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Wintersterne

Ein Panem Adventskalender
von

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Winterweiß


 

13. Dezember – Winterweiß
 

Rue
 

*
 

In Distrikt elf war es immer warm – 365 Tage im Jahr lang. Der fast schon tropische Distrikt baute Früchte an und da war es kein Wunder, dass er in einer eher extremen Wetterzone lag, damit die Früchte das ganze Jahr über prächtig gedeihen konnten.

So kam es, dass keiner hier Schnee kannte. Seit Jahrzehnten war in diesen Breiten kein Schnee mehr gefallen. Doch auch hier wurde natürlich Weihnachten gefeiert, auch wenn der Schnee für die Bewohner nur auf Fernsehaufnahmen des Kapitols zu bewundern war.

Auch die kleine Rue kannte viele Geschichten von ihrer Mutter, in denen sie von dem magischen Weiß berichtete, das angeblich kühl und weich sein sollte. Prinzessinnen tanzten in den Geschichten und diesen Schnee, küssten ihre Prinzen unter verschneiten Mistelzweigen und es gab prächtige Eispaläste. Dinge, die Rue nur zu gerne wahr gehabt hätte. In all den anderen Geschichten bauten die Kinder Schneemänner und rutschten Berghänge hinunter, nur um am Ende eines Wintertages mit einem warmen Kakao am Feuer zu sitzen.

Deshalb stellte das kleine Mädchen sich vor allem diese Begebenheiten des Nachts immer wieder vor, wie es wäre, wenn Schnee in Elf fallen würde, so richtig, dass er meterhoch liegen bleiben würde.

Der Hang hinter der Plantage, wo die Zehnjährige arbeitete wäre eine ideale Rutschpiste, überlegte sie sich zum Beispiel.

Allerdings würde es hier wohl nie schneien, also begnügte Rue sich damit, davon zu träumen.

In dieser Nacht hatte sie ebenfalls wieder von dem Schnee geträumt. Noch ganz verträumt und mit dem imaginären Gefühl von Kälte auf der Haut stand sie auf, Vogelgezwitscher von draußen vernehmend. Ein gewöhnlicher Tag in Distrikt elf stand an.

Barfuß tapste sie über den warmen Boden und schlüpfte zu ihren Eltern in das Wohnzimmer, möglichst leise um ihre jüngeren Schwestern nicht zu wecken, die noch schliefen. Wie jeden Morgen liefen die Frühnachrichten und nachdem sie ihre Eltern umarmt hatte, setzte sich Rue mit großen Augen vor den Fernseher, ihre Schüssel mit Haferschleim auf dem Schoß und schaute die Bilder der gestrigen Winterparade der Sieger durch das Kapitol an. Neben den traumhaften Prinzessinnenkleidern hatte sie dabei nur Augen für all den wunderbaren Schnee, der durch das Bild flog.

„Na Rue, du liebst den Schnee, oder?“, fragte ihre Mutter sie amüsiert.

Begeistert nickte Rue.

„Er ist so schön“, flüsterte sie andächtig, ohne zu registrieren, wie ihre Eltern einen bedeutungsvollen Blick tauschten.

„Rue, wie fändest du es…“
 

~
 

Nur wenig später saß Rue, in ihre dicksten Kleidungsstücke eingepackt und schwitzend, neben unzähligen Obstkisten in einem düsteren Waggon, der an eine Bahn angehängt war, deren Ziel der weiter entfernte Distrikt sieben war, in dem es um diese Jahreszeit immer heftig schneite, daher die dicke Kleidung.

Da die aktuelle Siegerin aus diesem Distrikt kam, mussten jeden Monat Lieferungen an den Distrikt getätigt werden und dieses Mal hatte das Los Rues Vater getroffen.

Noch immer konnte das Mädchen mit dem braunen Lockenkopf es kaum fassen, dass er sie tatsächlich mitnahm nach Sieben.

Aufregung kribbelte in ihrem Bauch, als sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung setzte und sie dem Schnee entgegenbrachte.
 

~
 

Eisige, ungewohnte Kälte drang durch die Waggontür, als der Zug in Distrikt sieben wieder zum Halt kam.

Nie zuvor hatte Rue eine derartige Kälte vernommen und fröstelnd schlang sie die Arme um sich, während ihr Vater die Türen des Waggons öffnete.

Ein stechender Wind fuhr in den Waggon und blies vereinzelte Flocken herein. Doch Rue hatte nur Augen für die Welt da draußen, die sich so gänzlich von der ihr bekannten unterschied. Den Mund und Augen weit aufgerissen stürmte sie an ihrem Vater vorbei und nach draußen.

So viel weiß! Überall um sie herum lag Schnee und sie versank bei jedem Schritt in dem kühlen und wie sie überrascht feststellte tatsächlich kühlem weiß. Mit einem unangenehmen Kribbeln drang der Schnee in ihre Schuhe und durchnässte ihre Socken, doch über ihre Freude vergaß sie all die Kälte.

Lachend streckte sie ihren Kopf in den Nacken und fing die Flocken auf, während sie sich im Kreis drehte.

So viel weiß!

Fasziniert beobachtete sie, wie die Flocken in ihren Händen schmolzen.

Eine Weile lang tollte sie auf diese Weise durch den Schnee, ließ sich fallen und badete förmlich in dem Schnee. So sehr war sie beschäftigt, dass sie nicht einmal merkte, wie kalt ihr doch wurde, denn eigentlich war sie viel zu dünn angezogen für den harten Winter in Distrikt sieben. Doch die Freude besiegte alle Körpergefühle.

Erst als ihr Vater kam, der sie amüsiert beobachtete, bereit, wieder nach Hause zu fahren, bemerkte sie, wie kalt es doch war, denn der Schnee war überall durch ihre Kleidung gedrungen und hatte sie völlig durchnässt. Lippen und Hände waren fast blau vor Kälte und bibbernd drückte sich die steif gefrorene Rue an ihren Vater.

Der weiße Schnee war wunderschön, aber Rue fragte sich, wie die Bewohner dieses Distriktes diese dauerhafte Kälte nur aushielten konnten.

Zwar fand sie den Schnee immer noch wunderschön, doch auch sehr kalt – zu kalt. Vielleicht musste sie nicht unbedingt noch einen Hügel hinunterrutschen, denn in Distrikt elf war es doch eigentlich auch ganz schön.

So war Rue doch sehr froh, als ihr Vater sie liebevoll an sich drückte, um sie zu wärmen.



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