Time to remember von seththos ================================================================================ Kapitel 54: Zwischenzeitlich... ------------------------------- Sooo... kurz vor dem neuen Jahr hier nun doch noch ein weiteres Kapitel. Derzeit habe ich wenig Zeit und es geht viel langsamer, aber ich hoffe, dass es immer noch Interessierte gibt, welche die Geduld haben und Nachsicht üben und trotzdem das nächste Kapitel lesen. Danke für die lieben Kommis! Ich freue mich immer darüber, auch wenn ich nicht mehr jedem einzeln antworten kann. Allen ein frohes neues Jahr 2014! Feiert schön! ^.~ ______________________________________________________________________________ Doch statt sich wieder dem Ausgang zuzuwenden, bog Seth wenig später nach rechts ab und führte Jono geradewegs in eine der kleinen Nebenkammern des Allerheiligsten, in welchem ebenfalls in kleinem Rahmen geopfert und gebetet werden konnte – allerdings den anderen Göttern des Landes. Jeder Raum galt als Aufenthaltsraum für einen dieser mächtigen Herrscher. Auch hier war es strengstens untersagt, die Ruhe zu stören, da man nie wissen konnte, wann die Götter sich dazu entschieden, in eine der Statuen zu fahren. Der Hohepriester ignorierte jedoch sowohl die Götterstatue als auch den kleinen Opferstein, welcher sich in dem von ihm gewählten Raum befand. Stattdessen trat er hinter den Stein, welcher nahe an der rechten Wand stand und studierte aufmerksam die dortigen Schriftzeichen. Jono verhielt sich zunächst still. Er kannte nur ein paar der kleineren Räume, da er die meiste Zeit während seiner heimlichen Tempelaufenthalte im Garten der Anlage verbracht hatte. Doch während er sich einmal nach rechts und links umsah, musste er zu seiner Enttäuschung feststellen, dass auch dieser Raum mit nichts nennenswert Neuem aufwartete. Das einzige Faszinierende in diesem sonst leeren Gewölbe, war die kleine Horusstatue, welche mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit ausgearbeitet war. Interessiert beugte er sich näher, um den Falkenkopf und die kleinen goldenen Verzierungen zu studieren, wurde dessen aber schnell überdrüssig. Da er noch nicht recht wusste, was Seth in diesem Raum zu finden hoffte, blieb ihm zunächst nichts Anderes übrig, als zu warten. Angelegentlich begab er sich ebenfalls hinter den Stein und versuchte, den Zeichen an der Wand einen sinnvollen Inhalt abzugewinnen. Entgegen vieler anderer Wände in der Tempelanlage, war diese nicht mit den üblichen Bildern ausgestattet, welche die Geschichte des im Raum wohnenden Gottes verständlich wiedergab, sondern mit einer langen Reihe von Hieroglyphen. Seufzend lehnte er sich zurück. So nachdenklich, wie Seth auf diese Zeichen starrte, musste es wichtig sein – und würde wohl noch dauern. Ein schepperndes Geräusch hinter ihm sorgte allerdings dafür, dass Jono kurz darauf Seths ganze Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Erschrocken wandte der Heeresführer sich um und stellte fest, dass Horus, welcher bis eben noch unschuldig hinter ihm gestanden hatte, inzwischen in diverse nicht definierbare Einzelteile zerlegt, auf der anderen Seite des Opfersteines lag. „Verflucht!“, entfuhr es ihm unwillkürlich. Ihm waren schon öfter Dinge aus der Hand gerutscht. Bisweilen geschah es, dass er, in Gedanken versunken, etwas mit seinem langen Zopf, seinem Chepesch oder seinem Ellbogen zerlegte. Neben diversen Tellern, Bechern, der ein oder anderen Keramikschale und ein paar Vasen gab es nur wenig, was er noch nicht in Stücke gebrochen hatte. Die Statue eines Gottes zu zertrümmern, gehörte aber selbst angesichts dieser langen Liste zweifelsfrei zu seinem Meisterstück. Sicher, er hatte, wie Seth richtig vermutete, des Öfteren bereits das eine oder andere Ebenbild der Götter zum Ärger des Hohepriesters aus den Altarräumen des Horustempels entfernt – und sich köstlich darüber amüsiert, wenn die jungen Priester wie aufgescheuchte Hühner umher gerannt waren, um das Verschwinden und wieder Auftauchen wahlweise als Fluch oder Segen zu deuten. Der entscheidende Punkt war aber, dass er sie immer wieder zurückgebracht hatte. Heil. In einem Stück. Ohne Kratzer. Beunruhigt sah er auf Seth, welcher noch immer ungläubig auf die Einzelteile starrte, welches einmal den Schutzgott des Reiches und damit auch den des Pharaos dargestellt hatten. Nicht, dass Jono diverse Flüche oder einen Vergeltungsschlag des betreffenden Gottes fürchtete. Im Gegenteil. Durch sein bewegtes Leben sowohl bei den Ägyptern als auch den Syriern und Nordmännern, war er bereits mit zahlreichen Göttern in Kontakt gekommen. Bisher war es keinem der Menschen gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass einer dieser Götter sein Leben lenkte und mehr Einfluss auf ihn ausübte, als ein anderer. Daher nahm er sein Geschick lieber selbst in die Hand. Gleichwohl er somit nicht an die allumfassende Macht des Horus glaubte, glaubte er doch an den Zorn des Seth. Einer sehr realen und mehr als gläubigen Person, welche nun vor ihm stand und ihn mit tief gen Nase gezogenen Augenbrauen musterte. „JONO!“, verlieh dieser mit nur einem Wort seinem Zorn Ausdruck. Sicherheitshalber wich der Heeresführer einen Schritt zurück. Bei Seth konnte man nie wissen, was er tun würde, wenn jemand sich an seinen Sachen vergriff. Besonders, wenn es sich um seiner Ansicht nach heilige Sachen handelte. Und als Hohepriester gehörte ihm nahezu alles, was sich in den Tempeln des Landes befand. Besagter Mann versuchte ihn indes noch immer in Grund und Boden zu starren. Dies war vielleicht einer der wenigen Momente, in welchen Jono sich wünschte, lieber nicht wissen zu wollen, was in dessen Kopf ablief. Entgegen seinem Willen konnte er im Spiegelbild von Seths Augen jedoch nur allzu deutlich erkennen, wie dieser ihn gedanklich zuerst vierteilen ließ, ehe er ihm sicherheitshalber den Kopf abriss – selbstverständlich eigenhändig – die Einzelteile getrennt voneinander verbrannte, die Asche in alle vier Himmelsrichtungen verstreute und seinen Kopf schließlich auf einen Spieß steckte. Der Spieß wiederum wurde, zu seiner ewigen Qual und Erinnerung, vor den Tempel des Horus gestellt, mit Blick in Richtung der Tempeltüren – als Abschreckung für alle anderen. Jono wusste einfach, dass Seth genau dies derzeit ernsthaft erwog - immerhin hatten sie sich schon als Kinder darüber ausgetauscht, was sie demjenigen antäten, der ihnen einmal großen Schaden zufügte. Kinder entwickeln bei der gedanklichen Bestrafung ihrer Intimfeinde bisweilen eine rege Fantasie. Und auch wenn die Theorie bereits einige Jahre in der Vergangenheit lag, rechnete Jono nicht damit, dass Seth sie heute nicht mehr in die Praxis umsetzen würde. Im Gegenteil. Womöglich spielten inzwischen auch einige neumodische Foltermethode eine tragende Rolle...   Angesichts dieser wenig erquickenden Aussichten, griff Jono reflexartig auf das einzige Mittel zurück, welches ihn womöglich vor dem sicheren Tod bewahren konnte. „Entschuldigung“, brach es aus ihm hervor. Seth, welchem bereits eine harsche Entgegnung auf der Zunge lag, hielt angesichts des unerwarteten Wortes inne. Sah man in das Gesicht des Heeresführers, kam man nicht umhin zu bemerken, dass diesem sein Versehen tatsächlich leid tat. Unwillkürlich dachte Seth an die letzten Monate im Palast. Durch die Gespräche seiner Diener erfuhr er bereits nach wenigen Tagen, dass Jono sich hin und wieder äußerst ungeschickt anstellte. Bis heute hatte er diese Unterstellung für ein pures Gerücht gehalten. Oder für eines von vielen weiteren Kleinigkeiten, die Jono unternahm, um nicht mit dem Heeresführer Anoubis in Verbindung gebracht zu werden. Denn wer konnte glauben, dass ein Mann, der in der Lage war, mehr als nur ein Chepesch mit höchster Präzision und Eleganz zu führen, bisweilen dazu neigte, ohne ersichtlichen Grund Dinge fallen zu lassen oder umzuwerfen? Doch nun, da er so vor ihm stand, die kaputte Statue auf der anderen Seite des Steines, wurde ihm klar, dass die Diener vermutlich nicht übertrieben hatten. Angesichts der Entschuldigung und des erschrockenen Ausdruckes in den Augen, als er auf die Figur blickte, erkannte er deutlich, dass er die Statue nicht absichtlich zerstört hatte. /Dennoch/, dachte Seth im Stillen und ohne seinen Gedankengang sichtbar nach außen zu tragen, /Strafe muss sein. Immerhin hat er nicht nur einmal für Unruhe in meinem Tempel gesorgt./ Er kam nicht umhin, sich auszumalen, was er in dieser Situation alles von dem Blonden verlangen konnte und fragte sich, wie weit Jono wohl gehen würde, um ihn wieder milde zu stimmen. Mit ernstem Gesicht trat er näher. „Wie genau, gedenkst du, den Schaden wieder gut zu machen?“ Nachdenklich sah Jono auf die Einzelteile, ehe er sich wieder Seth zuwandte. „Mit Leim?“, schlug er vor. Seth schüttelte den Kopf. Es ließ sich schwer einschätzen, ob der Blonde ihn mit Absicht falsch verstand oder wirklich nicht wusste, worauf er anspielte. Er musste also deutlicher werden. „Dir ist klar, dass du dich sicher nicht bei mir entschuldigen musst.“ "Muss ich nicht?", wagte der Blonde halb scherzend halb verunsichert zu fragen. Seths Blick umwölkte sich. Jono hielt inne. Ihm schien zu dämmern, dass sein Gegenüber auf etwas Anderes hinauswollte. „Nein", bestätigte er, nachdem er des Effektes halber einen Augenblick mit seiner Antwort wartete. "Deine Abbitte gebührt dem Gott, dem du in diesen seinen geheiligten Räumen geschadet hast.“ Misstrauisch werdend, sah der Blonde den Größeren an. „Und… wie genau stellst du dir das vor… Hohepriester?“, verlangte er zu wissen. „Ich denke, dass ein Besuch im Haupttempel des Horus das Einzige ist, das ihn milde stimmen wird.“ Unnütz zu erwähnen, dass Seth, als Hohepriester des Pharaos, die Aufsicht über alle durchgeführten Rituale im Tempel des ägyptischen Schutzgottes führte. Jono dachte nach. Dann nickte er zögernd. Letztlich erschien dies immer noch die bessere Variante zu sein – angesichts der anderen Möglichkeiten, welche er in Seths Augen kurzfristig aufflackern sah. „Wenn es denn…“, Jono fiel es sichtlich schwer, die anschließenden Worte zu formulieren, „der Wunsch des Gottes ist, werde ich gleich nach unserer Ankunft den Tempel aufsuchen und Abbitte leisten.“ „Gut, das ist ein Anfang“, ließ Seth ihn wissen. Der Blonde horchte auf. „Ein Anfang?“ Als wäre dies eindeutig und stünde außer Frage, sah Seth mit strengem Blick auf seinen Liebhaber. „Sicher. Immerhin hast du die Götterstatue des Horus zerstört. Allein geschaffen, um seiner Seele eine Heimat zu geben, wenn er hier einkehren will. Indem du sein Ebenbild zerstört hast, hast du ihn nicht nur eines Körpers beraubt, sondern auch Unheil über diesen Tempel, diese Stadt und alle seine Bewohner gebracht.“ Da Seth wusste, dass Letzteres womöglich eher ein Anreiz für Jono darstellte, seiner Aufforderung nicht nachzukommen, setzte er noch hinzu: „Auch Ilai und deine anderen Untergebenen, sowie ich, werden vom Fluch des Horus heimgesucht werden, wenn du nicht…“ „SCHON gut!“, unterbrach Jono den Priester, da er vermeiden wollte, dass Seth ihm in seiner Litanei womöglich noch die Schuld an allem Unheil in den kommenden einhundert Jahren zuschrieb. Etwas, das seiner Ansicht nach vollkommen übertrieben war. Leicht gereizt sah er zu dem Hohepriester. „Also? Was soll ich NOCH tun?“ Seth wusste, dass er gewonnen hatte. „Du nimmst an allen wichtigen Ritualen des Gottes Horus teil.“ Missmutig stimmte Jono zu. Er hasste diese Rituale - und Seth wusste es. „Welche Rituale wichtig sind und an welchen Tagen du dementsprechend im Tempel zu erscheinen hast, bestimme ich.“ Abermals gab Jono sein Einverständnis. Zufrieden reichte ihm Seth die Hand. Auffordernd sah der Hohepriester auf das entsprechende Gegenstück an Jonos Seite. „Gib mir dein Wort.“ Angesichts der zahlreichen wichtigen Rituale, welche ständig im Tempel des Horus zu dessen Ehren stattfanden – immerhin war er der wichtigste Gott des Landes – zögerte Jono ein letztes Mal, ehe er zum Zeichen seines Einverständnisses, sein Versprechen mit Handschlag besiegelte. Als läge ein unsichtbarer Zauber in dem warmen Händedruck, breitete sich ein siegessicheres Lächeln in dem Gesicht des Priesters aus. Noch immer die Hände miteinander verschränkt, zog er Jono kurz zu sich heran, ehe er diesem einen kurzen aber liebevollen Kuss aufdrückte. Nebenbei hob er seine andere Hand, die Handfläche in Richtung der Statue gedreht und löste sich langsam von den Lippen seines Geliebten. Mit unangemessen breitem Grinsen trat er auf das zerbrochene Gebilde zu und nahm nun auch die zweite Hand zu Hilfe. Mit nur wenigen einfachen Bewegungen durch die Luft, fügten sich binnen Sekunden die einzelnen Scherben wieder zu einer kompletten Figur zusammen. Noch immer zogen sich an den Bruchstellen deutlich sichtbar viele zarte Risse durch die feine Keramik. Doch auch hier half ein kleiner Funke Magie. Indem Seth vorsichtig über die einzelnen Risse strich, schloss sich ein Spalt nach dem anderen und das zerbrechliche Material fügte sich an den betreffenden Stellen zusammen, als sei nie etwas geschehen. Während der gesamten Prozedur warf Seth mehr als nur einen verstohlenen Blick auf die vor Unglauben geweiteten Augen seines Begleiters. Als die Figur schließlich wieder wie neu aussah, stellte er sie vorsichtig zurück auf den ihr angedachten Platz und wandte sich, als würde er den Ausdruck auf Jonos Gesicht nicht bemerken, wieder der Wandschrift zu. „Du hast mich reingelegt!“, ließ der Blonde sich schließlich empört vernehmen. „Ich wüsste nicht, womit.“ „Immerhin dachte ich, das Teil wäre kaputt.“ „Das war es ja auch.“ „Sicher. Aber du hast nicht gesagt, dass du es mit einem Fingerschnipsen wieder reparieren kannst.“ Selbstsicher sah Seth ihn an. „Es ist schwerlich meine Schuld, wenn du mir nach all der Zeit nicht einmal zutraust, eine simple Keramikfigur wieder zusammensetzen zu können.“ Angriffslustig starrte Jono auf die Figur, welche nun wieder unschuldig hinter dem Opferstein stand, und auf die Seele wartete, welche in ihr wohnen sollte. Es war unschwer zu erkennen, dass Jono in diesem Moment ernsthaft mit dem Gedanken rang, die Statue noch einmal zu zerstören – diesmal mit Absicht. „Ich denke, dass ich dich nicht daran erinnern muss, dass unser Handel trotzdem Bestand hat. Immerhin HAST du die Figur kaputt gemacht und damit einen Gott verärgert.“ Missmutig musste Jono ihm zustimmen – selbst wenn ihm klar war, dass Seth seine Situation schlicht ausgenutzt hatte. Letztlich hielt er seine Versprechen immer, wenn es ihm möglich war. Selbst ohne magisches Band, das wusste Seth nur zu gut, würde er zu seinem Wort stehen. /Allerdings…/, durchzuckte Jono eine Idee, /… habe ich ihm weder versprochen, wie ich zu diesen Ritualen erscheine, noch wo genau ich daran teilnehmen werde. Immerhin hat er nur ‚im Tempel‘ gesagt – nicht ‚im Allerheiligsten‘. Die Bäume der Tempelanlage sahen sehr gemütlich aus./ Zufrieden mit diesen Gedanken, widmete er sich wieder voll und ganz der Rückansicht von Seth. Dieser würde schon früh genug merken, dass er auch in näherer Zukunft nicht vorhatte, sich etwas von einem Hohepriester sagen zu lassen. Besagter Priester war noch immer dabei, den Text zu Ende zu lesen. Im Stillen bedauerte Jono, dass er des Lesens nicht mächtig war. Auch das Malen ging ihm nur schwer von der Hand. Es gab Tage, da wünschte er sich, so malen zu können, wie er es oft an den Wänden der Tempel oder an den Palastmauern bewundern konnte. All diese Figuren und Götter. So filigran gezeichnet. Auch die Herstellung von Farben hatte ihn stets fasziniert – bargen diese aus Pflanzen und Wasser bestehenden Gemische doch einen ganz eigenen Zauber. Aber dies waren Fähigkeiten, die in seinem bisherigen Leben keinen Platz fanden. Weder das Malen noch das Lesen oder Schreiben hätte ihm in der Vergangenheit in Syrien oder Ägypten seinen Magen gefüllt oder ihn am Leben gehalten. Er lernte schnell – doch immer nur das, was er zum Überleben brauchte. Kämpfen, ringen, reiten, Kriegsführung, Taktiken – Fähigkeiten, die ihn und andere nicht nur einmal davor bewahrt hatten, frühzeitig den Kopf zu verlieren. /Vielleicht, irgendwann einmal… werde ich die Zeit haben, das Malen oder Schreiben zu lernen…/, streifte ein kleiner sehnsüchtiger Gedanke durch seinen Kopf. Bis es soweit war, würde er sich auch weiterhin auf die Fähigkeiten von Seth verlassen müssen. Immerhin wurde bereits Priesteranwärtern das Lesen und Schreiben der Schriftzeichen beigebracht. Dieser war inzwischen fertig und tastete mit seinen Fingern den unteren linken Rand der Wand ab. Interessiert sah Jono dem Priester dabei zu, wie dieser immer wieder ein ums andere Mal ein Wort murmelte, kurz mit der Hand über eines der Zeichen fuhr, ehe er schließlich aufstand und dasselbe an einzelnen Wandbildern im Raum wiederholte. Erst, als er wieder am Ausgangspunkt anlangte, wurde der Sinn hinter dem ganzen Gebaren deutlich. Mit einem knappen Befehl drückte Seth schlussendlich nur noch einmal leicht gegen die beschriftete Wand hinter dem Opferstein. Beinahe gleichzeitig konnte Jono um sich herum die Umrisse der Bilder und Schriftzeichen in goldenem Licht aufleuchten sehen, ehe sich die so massiv erscheinende Wand vor ihnen mit einem dunklen Grollen zur Seite schob. Ohne lange zu zögern, entnahm Seth einer der Wände eine Fackel und betrat den dunklen Gang. Gleich nach den ersten Schritten entflammte er eine der zahlreichen Fackeln, welche den Weg nach unten säumten. Der Hohepriester machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen, als er hörte, wie langsame Schritte ihm folgten. Jono war von Natur aus neugierig – was ihn als Kind letztlich überhaupt erst in den Garten des Tempels geführt hatte. ~~~~~~~~~ Langsam und sich nur schwer von seinen Träumen losreißen könnend, erwachte Joey halb auf dem Bett von Seto liegend. Das Buch, welches er eigentlich hatte lesen wollen, war ihm vermutlich aus der Hand gerutscht. Blinzelnd öffnete er seine braunen Augen und starrte geradewegs in zwei blaue Gegenpaare. Keiner von ihnen sagte einen Ton. Ein Blick auf die auf dem Bett lose in einander verschränkten Hände machte deutlich, dass sie soeben wahrscheinlich dieselbe längst vergangene Erinnerung mit einander geteilt hatten. Die Lider geschlossen richtete Joey sich in seinem Stuhl auf und bemerkte erst jetzt, in welch unbequemer Position er – ein Blick auf die Uhr folgte – die letzten drei Stunden verbracht hatte. Dennoch, um ganz sicher zu gehen, warf Joey versuchsweise ein paar Brocken in den Raum. „Ägypten. Tempel des Anubis, kurz bevor wir das Artefakt geholt haben?“ Seto, die Augen auf Halbmast gesenkt, ihn jedoch genau beobachtend, nickte bestätigend. „Als du gerade deine Haare in Brand gesteckt hast.“ Seufzend lehnte sich Jono zurück. Seine eigenen Erinnerungen hatte er in chronologischer Reihenfolge zurück erhalten. Sollte dies bei Seth ebenfalls der Fall sein, war er noch ein gutes Stück von dem Tag entfernt, an den er sich besser nicht erinnern sollte. Immer noch erschöpft deutete Seto auf die blonden Strähnen von Joey. „Wozu?“, war seine einzige Frage, doch der Blonde wusste, worauf er hinauswollte. Reflexartig griff er sich in sein langes Haar, welches er im Nacken mit einem Gummi zusammengebunden hatte. „Diesmal ist es nur ein Gebet. Eines, das längst erhört wurde, also sollte ich sie wohl wieder abschneiden“, ließ Joey den Liegenden wissen und kam nicht umhin, dass ein wenig Blut den Weg in seine Wangen fand. Seto sah ihn einige Sekunden versonnen an. „Lass es so“, verlangte er schließlich. „Es gefällt mir.“ Den Kopf schräg gelegt, schaute Joey ihn fragend an. „Immerhin hast du es wegen mir wachsen lassen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)