Zum Inhalt der Seite

Time to remember

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ich brauche DICH!

Sodale... vielleicht ist dieses Kapitel nicht gerade weihnachtlich... aber es ist leider das nachfolgende Kapitel und ich hoffe, dass ich euch zumindest damit eine Freude mache, dass es überhaupt ein neues Kapitel gibt. ^_^*
 

Viel Spaß beim Lesen?
 

_______________________________________________________________--
 

~~~~~~~~~
 

Schweiß strömte über sein Gesicht. Seine Glieder schmerzten. Angestrengt hielt er den Schutzwall aufrecht. Er durfte keinesfalls scheitern. All die Männer dort unten kämpften schon seit Stunden. Doch dies war schon längst kein Krieg mehr, der nur mit Waffengewalt und Köpfchen ausgefochten wurde. Der Herrscher Syriens hatte es in den vergangenen Jahren geschafft, zahlreiche begabte Magier auf seine Seite zu ziehen. Mit zahlreichen kleinen Demonstrationen ihrer Macht hatten sie es in den vergangenen Monaten geschafft, selbst die treuesten Männer des Pharaos zu verunsichern. Viele hatten Angst um sich und ihre Familien, die im Herzen Ägyptens Schutz gesucht hatten.
 

Ein dumpfer Ton neben ihm, ließ ihn sekundenweise den Blick abwenden. Stumm registrierte er aus dem Augenwinkel den fallenden Körper einer der ehemaligen Palastwachen, welche bereits seit Tagen an seiner Seite kämpfte. Abir. Noch gestern hatten sie am abendlichen Feuer miteinander einen kurzen makaberen Scherz über sein mögliches baldiges Ableben ausgetauscht. Stirnrunzelnd richtete er seinen Blick wieder nach vorn. Heute Abend würde er keinen Scherz mehr machen. Ein Pfeil ragte aus seinem Hals. Sein Blut würde sich binnen Minuten mit dem trockenen Gestein unter ihm verbinden. Selbst über das Schlachtgetümmel am Grund der Schlucht, welches bis nach oben schallte, konnte er die gurgelnden Laute von Abdul hören. Noch lebte er.
 

Ein knackendes Geräusch folgte. Grässlich anzuhören. Hätte er es nicht schon so oft in den letzten Wochen vernommen, hätte es ihm wohl einen Schauer über den Rücken gejagt. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn die Silhouette von Hamzahn erkennen. Blutrot fielen zahlreiche Tropfen von seinem Streitkolben zu Boden. Er hatte seinen Kameraden von einem langsamen qualvollen Tod erlöst. Man hätte ihn nicht retten können. Bitterkeit und Resignation lag in seinem Blick, als er den Platz von Abir an Seths rechter Seite einnahm. Schnell entwand er dem leblosen Leib die Pfeile und den Bogen, den dieser nun nicht mehr gebrauchen würde. Trotzdem der Schädel zertrümmert war, starrten die Augen des Toten noch immer aus tiefen Höhlen in den rauchschwarzen Himmel. Das Leben hatte ihn bereits verlassen und doch war Seth sicher, einen verglimmenden Funken Dankbarkeit in den einst braunen Iriden erkennen zu können. Keiner der Soldaten wollte elend auf dem Schlachtfeld verbluten. Ein jeder, so hatte er von Jono erfahren, war dankbar für die Gnade eines schnellen Todes, sollte er nicht mehr zu retten sein. Dennoch erforderte dieser letzte Gnadenstoß fiel von den verbleibenden Soldaten ab.
 

In einer schnellen Folge streckte Hamzahn von seiner erhöhten Position aus einige der Krieger mit Pfeil und Bogen Abirs zu Boden. Erst als er auch den letzten Pfeil Abirs abgeschossen und seinen Tod mit dem von zahlreichen Syriern gerächt hatte, griff er nach seinem eigenen und setzte sein schreckliches aber notwendiges Tun fort.
 

Seth sah sich kein weiteres Mal um. Stattdessen richtete er seine Aufmerksam wieder auf das Gewimmel aus dunkelbraunen, gelben und orangen Farben. Ein erneuter Angriff auf seine mentale Barriere erfolgte. Geschwächt durch den erheblichen Schlafmangel geriet er kurz ins Wanken. Doch es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte er sich wieder im Griff. Neben ihm gaben die Krieger weitere Schüsse ab. Unten, das konnte er mit magisch geschultem Auge gut erkennen, hatten sie inzwischen ein wenig an Boden wettgemacht. Da! Kurz konzentrierte Seth sich auf einen kleinen farbigen Punkt und schärfte seinen Blick erneut. Rot. War es Jono? Der kleine rote Punkt war nur schwer von den anderen zu unterscheiden. Gerade preschte er nach links weg, wich einem der Streitäxte aus, nur um kurz darauf direkt in eines der Chepesch des Feindes zu laufen. Sein Kopf glitt ihm von den Schultern. Der rote Punkt bewegte sich nicht mehr. Seth wartete kurz. Er spürte nichts. Jono war am Leben.
 

Seit Beginn des Krieges vor mehr als einem Jahr hatten er und Jono zahlreiche Schlachten geführt. Er hatte es immer gespürt, wenn der Blonde verletzt war. Doch diesmal spürte er nichts. Wie auch? Dies war die letzte, die gefährlichste und größte Schlacht, die sie je gegen die syrische Armee geführt hatten. Atemu hatte darauf bestanden, selbst am Kampf teilzunehmen. Nur mit der Kraft der Millniumskette, hatte er argumentiert, wären sie in der Lage, die nächsten Schritte der Gegner vorherzusehen. Nun, da Jonos Einfluss und seine Funktion in der Armee des Pharaos vor nahezu zwei Jahren aufgedeckt worden war, war es nahezu unmöglich für ihn geworden, an Informationen zu gelangen.
 

Atemu sollte Recht behalten. Seine Fähigkeiten waren bei dieser Schlacht von unschätzbarem Wert, hatten sie doch dafür gesorgt, dass man die Armee der Syrier in diesem riesigen Tal hatte stellen können. Lediglich eine enge Passage führte von hier aus nach Ägypten. Schon zwei Tage vor dem Eintreffen der Gegner hatten sie das Gelände grob erkundet, um eine gute Verteidigung aufzubauen. Geschützt durch grobes Felsgestein waren einige Soldaten und Magier, unter anderem auch er selbst, am Taleingang zurückgeblieben. Der Hauptteil der Armee war weitergezogen, als wüssten sie nichts von den zahlreichen Männern, die auf der anderen Seite Stellung bezogen hatten. Für den Stoßtrupp, gleichwohl nur zur Ablenkung gedacht, war es ein Himmelfahrtskommando gewesen. Dennoch hatten sich auf Jonos Aufruf zahlreiche Freiwillige gemeldet - alle bereit, ihr Land unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Sicher trug auch der Mut und die tiefe Zuversicht ihres Heeresführers, welcher selbst an der Spitze mit ihnen geritten war, dazu bei, dass niemand sich vor ihm als Feigling hatte präsentieren wollen. Dies wiederum war ein Beleg für das Vertrauen, dass sie selbst nach dem großen Blutvergießen der letzten Wochen nach wie vor in ihren Anführer setzten. Inzwischen wusste jeder um die Fähigkeiten Jonos. Die Anwesenheit Atemus verlieh ihnen zusätzliche Kraft.
 

Dieser Kraft war es am Ende wohl auch zu verdanken, dass mehr als die Hälfte der vorausgesandten Männer es am Ende schafften, lebend zurück zu kehren - fliehend und mit dem Hauptteil der syrischen Armee im Rücken. Diese wähnte sich zu diesem Zeitpunkt noch am Siegen, wurden jedoch schon bald eines besseren belehrt. Doch auch die Syrier hatten inzwischen Einiges zu verlieren und kämpften bis zum letzten. Seit dem gestrigen Tag war ihr Kräfteverhältnis relativ ausgewogen. Es war ihnen gelungen, zwei Feldmagier, welche ihm in den vergangenen Tagen ihre Macht geliehen hatten, zur Strecke zu bringen. Inzwischen waren sie nurmehr leere Hüllen - nicht fähig, einen eigenen Gedanken zu denken. Man beratschlagte noch, ob ihr geistiger Tod mit dem Sterben auf dem Schlachtfeld gleichzusetzen war und es nicht besser sei, ihrem Leiden wie auch den Kriegern ein Ende zu bereiten. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen. Doch in Zeiten, da bereits so viele Männer dazu gezwungen waren, ihre verblutenden Kameraden mit eigenen Händen zu erschlagen oder auf andere Weise zu töten, wollte niemand das Leben eines Menschen beenden, der noch in der Lage wäre, aus eigener Kraft zu gehen und zu atmen. Man würde sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ihrer annehmen.
 

Jetzt zählte erst einmal nur, dass Seth zwei weitere Männer fehlten, welche ihm helfen konnten, den Flammen Einhalt zu gebieten, welche die Gegner den Männern des Pharaos entgegenwarfen. Erneut spürte der Hohepriester, wie etwas… oder jemand. versuchte in seinen Geist einzudringen. Augenblicklich riss er seine Barriere hoch. Verstärkte sie mit zahlreichen Fetzen aus nichtigen Erinnerungen. Das Rauschen von Wasser, wie es den Nil hinunterfloss. Das platschende Geräusch von Fischernetzen, welche am frühen Morgen ausgeworfen und am Abend wieder eingeholt wurden. Das Summen einer Dienerin, welche vor ihm um die Ecke bog. All diese kleinen Erinnerungen dienten der Ablenkung und sorgten dafür, den unerwünschten Eindringling von seinen wichtigsten Gedanken fernzuhalten. Nur wenn er selbst diese Barriere aufrecht erhielt, konnte er sicher sein, dass auch die anderen Männer um ihn herum von diesem schwarzen Einfluss verschont blieben. Wie leicht konnte man Gedanken manipulieren und lenken. In den vergangenen Jahren hatte er Unmengen an Wissen angesammelt. Er wusste, es brauchte oft nicht viel, um aus einem vormals treuen Mann einen Meuchelmörder zu machen. Sicher konnte man niemanden komplett verändern und ihn etwas tun lassen, was er nicht wollte. Doch wenn man einen Menschen fand, der gegen das gewünschte Opfer bereits einen kleinen Groll hegte, war es möglich, diesen so zu verstärken, dass er am Ende alle moralischen Grenzen niederriss und wider besseren Wissens zum Mörder wurde. Wie leicht konnte so jemand dazu gebracht werden, sich gegen den Pharao zu wenden. Schon allein aus diesem Grund hatte man zum Schutz des Pharaos in dieser Schlacht nur Leute ausgewählt, welche Seth und Jono zuvor auf Herz und Nieren geprüft hatten. Der Heeresführer hatte ihre Fähigkeiten im Kampf getestet, während Seth - unbemerkt von den Männern - in deren Köpfen nach vergangenem Groll oder möglichem Hass gesucht hatte. Das Ergebnis ihrer Bemühungen waren fast dreißig Männer. Einer von ihnen war Jono. Dieser hatte bei Seth selbst um eine Prüfung seines Geistes gebeten. Trotzdem Anoubis bereits seit ihres Tempelbesuches vor ein paar Jahren nicht mehr zum Vorschein getreten war, schien er sich doch gesorgt zu haben, dass am Ende er es sein könnte, der das Leben seines Pharaos an sich nahm. Doch Seth hatte ihn beruhigen können.
 

Links von ihm prallte ein Pfeil von einem der umliegenden Felsen ab. Gerade noch rechtzeitig hatte er seinen Kopf ein Stück zur Seite neigen können. Seth fluchte lautlos. Gestern noch hätten die zwei Feldmagier dafür gesorgt, dass solch ein Pfeil niemals in seine Nähe gelangt wäre, damit er sich ganz auf den Schutz des Pharaos und auf den der Soldaten konzentrieren konnte. Heute jedoch oblag es ihm selbst, sich auch diese Angriffe vom Leib zu halten. Diese Bürde zehrte ihn zusätzlich aus. Hamzahn neben ihm sah sich kurz um, entdeckte den Schützen in der in einiger Entfernung gegenüberliegenden Felswand und brüllte einen Befehl zu den anderen Soldaten. Diese richteten ihr Augenmerk augenblicklich auf die braun ummantelte Gestalt, welche zwischen dem gleichfarbigen Gestein nur schwer zu erkennen war. Gerade wollte er sich noch wegducken. Doch sein Standpunkt war schlecht gewählt. Um einen sicheren Tritt zu haben, hatte er sich auf einen kleinen flachen Vorsprung stellen müssen und die schützende Felswand begann erst kurz hinter ihm. Noch bevor er den rettenden Schritt tun konnte, ragten bereits ein Pfeil aus seiner Brust und einer aus seinem Bein, während ein dritter das Ziel um nur wenige Millimeter verfehlte und hinter ihm aufschlug. Seth konnte über diese Entfernung nichts hören, doch er war sicher, dass der Mann wohl ebenso röcheln würde, wie Abir kurz zuvor. Zwar hatte der Pfeil ihn nicht am Hals getroffen, doch wenn Seth den Punkt, an welchem der Schaft aus seiner Brust ragte, richtig deutete, waren wohl seine Lungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Hohepriester sparte sich sein Mitleid für die eigenen Leute auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Wichtigeres.
 

Kurz konzentrierte er sich auf sein Innerstes, spürte den Fäden nach, welche er bereits vor Tagen an einem weitaus sicherem Ort gewoben hatte. Er wusste, dass Atemu selbst über starke Kräfte verfügte. Allein das Milleniumspuzzle, welches er und Jono aus dem Tempel des Anubis in die Hauptstadt gerettet hatten, war angefüllt von unglaublicher Macht. Doch der Einsatz desselbigen barg auch unzählige Gefahren - nicht nur für die Feinde, auch für das Volk Ägyptens. Niemand, nicht einmal Atemu, konnte den wahren Umfang seiner Macht einschätzen. Zum Schutz Ägyptens hatte man sich dazu entschlossen, dass Atemu zwar in der Nähe der Schlacht bleiben würde, jedoch weit genug entfernt, um nicht selbst ein Opfer zu werden. Sollte der Pharao fallen, wäre alles umsonst gewesen. Es gab noch keinen Nachfolger, der seinen Platz übernehmen würde und sollte das Land aus diesem Krieg ohne einen Pharao hervorgehen, würde der syrische König am Ende doch gewonnen haben. Denn ein führerloses Land ließe sich mit bei weitem weniger Männer einnehmen.
 

Dem entsprechend verweilte Atemu in einer nahe gelegenen Festung. Eigentlich ein Tempel, welcher jedoch bereits vor so langer Zeit erbaut wurde, dass seine Existenz längst vergessen worden war. Die dreißig ausgewählten Krieger würden ihn notfalls von dort fortbringen und, sollte es notwendig sein, ihr eigenes Leben für ihn opfern. Damit dies nicht geschah oblag es nun Seth, seine eigenen Gedanken vor einem Eindringen in seinen Geist zu schützen, um nicht selbst unfreiwillig zu einem Verräter zu werden. Er zollte Atemu hohen Respekt. Dennoch wusste er, dass sein eigentlicher Antrieb schon längst nicht mehr allein der Schutz seines Pharaos war - sondern der Schutz Jonos. Dieser verweilte ebenfalls in der Festung. Sehr zu dessen persönlichem Missfallen, wie er wusste. Doch auch er wusste um die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßnahme. Die Männer, welche Atemu im Falle des Falls zur Seite standen, waren diesem treu ergeben. Doch niemand von ihnen konnte letztlich sicher sein, dass die Magier des Gegners nicht doch eine Möglichkeit finden würden, diese zu beeinflussen. Seth, das wussten sie vorher, würde genügend damit zu tun haben, die Männer auf dem Schlachtfeld vor den magischen Angriffen der Gegenseite zu schützen. Dreißig weitere Männer, die sich zudem auch noch fernab seines Standpunktes aufhielten, vor mentalen Angriffen abzuschirmen, ging selbst über seine Kräfte hinaus. So hatte man sich dazu entschlossen, dass Seth stattdessen nur zwei Personen schützen würde - den Pharao und Jono. Sollten sich die Männer Atemus wider Erwarten doch gegen ihn wenden, wäre der Heeresführer, als der stärkste von Ihnen, in der Lage, sie aufzuhalten. Zudem brauchte es einen kühlen strategischen Kopf, welcher den Überblick über die Schlacht behielt. Sie konnten es sich nicht leisten dass Jono, welcher noch immer am Besten mit der Vorgehensweise von Syriern vertraut war, auf dem Schlachtfeld starb.
 

Vor nunmehr drei Tagen hatten sie sich daher von einander verabschiedet. Nahezu wortlos. Der Tod hatte ihnen schon immer im Nacken gesessen. Von Beginn an war ihnen dies stets gegenwärtig. Doch beide wussten um die Stärken des Anderen und vertrauten darauf, dass sie einander wiedersehen würden.
 

Seths Augen verdunkelten sich. Zumindest war dies bis jetzt immer der Fall gewesen. Vor drei Tagen jedoch, hatte er diese Zuversicht zu einem guten Teil verloren. Atemu war vor seiner Abreise auf ihn zugekommen, hatte ihn gewarnt, dass er diese Schlacht womöglich nicht überleben würde. Seine Milleniumskette hatte ihm diese düstere Zukunft offenbart. Nach Ansicht der Kette, würde er, durchbohrt von zahlreichen Pfeilen, zu Boden gehen und sterben. Vor zwei Tagen hatte er die Vorhersage Atemus noch abgetan. Seine Barriere war zu stark, als dass nur ein einziger Pfeil sein Ziel hätte erreichen können. Doch inzwischen war er sich da nicht mehr sicher. Im Verlauf der letzten Stunden waren mehrere Feldmagier der geballten Stärke ihrer Gegner zum Opfer gefallen. Immer mehr Pfeile fanden ihren Weg zu ihm - wie der vorangegangene Zwischenfall nur all zu deutlich bewies. Atemus Sorgen waren demnach berechtigt. Wenn es so weiter ginge, würde er heute sterben.
 

Innerlich fluchend geisterte sein Blick erneut zu dem roten Punkt, welchen er einige Zeit zuvor im Schlachtgetümmel hatte niedergehen sehen. Er hatte Jono nichts von der Wahrsagung des Pharaos erzählt - und hatte Atemu ebenfalls um Stillschweigen gebeten. Es gab ohnehin nichts, was der Blonde hätte tun können. Sein Platz war an der Seite des Pharaos. Der Heeresführer hatte geschworen, sein Leben in den Dienst des Herrschers zu stellen. Und er war dankbar dafür, denn er befürchtete, dass Jono sonst womöglich etwas sehr Dummes versucht hätte. So wusste er - selbst wenn er heute tatsächlich fallen sollte, Jono wäre in Sicherheit. Er würde gewiss eine Möglichkeit finden, die Truppen der Syrier doch noch aufzuhalten, selbst wenn sie hier überrannt werden sollten.
 

/Aber ich werde nicht sterben. Nicht heute!/, versicherte er sich selbst.
 

Abermals spürte er einen scharfen Luftzug neben sich. Nur knapp verfehlte ein weiterer Pfeil sein Ziel. Grimmig verfolgte Seth den Luftwirbel mit Hilfe seiner Magie zurück zu seinem Ursprungsort, noch bevor die einzelnen Schichten aus Nichts wieder in ihren vorherigen Zustand zurückfallen konnten. Augenblicke später hatte er den Schützen ausgemacht. Es bedurfte lediglich eines Fingerzeigs. Sekunden danach gellte ein Schrei durch die Luft, ehe der Mann den Halt verlor. Ein paar winzige Steine unter ihm hatten sich gelöst und eine kleine Lawine ausgelöst, welche ihn kurzzeitig aus dem Gleichgewicht brachte. Das reichte. Doch das Gefühl der Zufriedenheit blieb aus. Der vorangegangene Pfeil hatte ihn zwar verfehlt, sich dafür allerdings ein anderes Ziel hinter sich gesucht. Ein weiterer guter Mann, seines Lebens beraubt. Wenn sich überhaupt ein Gefühl in ihm ausbreitete, dann war es Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass der Soldat sofort tot war. Dankbarkeit für ihn, weil er nicht leiden musste - und für seine Kameraden, weil sie ihn nicht hatten umbringen müssen.
 

Erschöpfung zeichnete sich inzwischen auf allen umstehenden Gesichtern ab, als der nächste Bogenschütze den frei gewordenen Platz des Getöteten einnahm. Es war nicht leicht gewesen, Plattformen zu finden, von denen aus sie einen sicheren Stand hatten und zugleich eine gute Schusslinie auf das Schlachtfeld unter ihnen. Die wenigen geeigneten Plätze am Rande der Klippen mussten stets besetzt bleiben. Während die vordere Reihe Pfeil um Pfeil auflegte und abfeuerte, sammelte die nächste Reihe die Pfeile der Toten ein und reichte sie weiter, bis sie selbst an der Reihe waren und den Platz eines getöteten Kameraden einnahmen. Hinter ihnen türmte sich derweil nicht nur felsiges Gestein in die Höhe, sondern auch die Leichen der Gefallenen. Der Stein unter ihnen war getränkt von Blut denn der Feind hatte sich bereits mit mehreren guten Schützen in der gegenüberliegenden Felswand verschanzt. Sie schienen ein ähnliches Ziel zu verfolgen.
 

Seth sah nach unten.
 

Der Strom nachrückender Krieger seitens der Syrier wollte einfach nicht abreißen. Die Ägypter, einer wie der andere, kämpften gut. Der enge Ausgang gab ihnen, wie von Jono vermutet, einen Vorteil. Dennoch…
 

/Womöglich…/, dachte Seth zum ersten Mal, /ist die Übermacht der Syrier zu groß, um sie besiegen zu können./
 

Doch schnell schob er den Gedanken zur Seite. Ein erneuter mentaler Angriff erfolgte. Er wankte. Fiel kurz auf ein Knie, ehe er sich wieder aufrichtete. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, schlug er zurück. Die Augen geschlossen, um sich besser auf die Präsenz der anderen Magier konzentrieren zu können, nahm er die Bewegung hinter ihm viel zu spät wahr. Mit einmal fühlte er, wie er ein Stück nach vorn gestoßen wurde. Unversehens fand er sich auf seinen Knien wieder, die Hände auf den scharfkantigen Stein gestützt. Ein zischender Laut drang durch seine Lippen, als er spürte, wie seine rechte Hand auf der Innenseite aufgerissen wurde. Seine Linke glitt indes ab und mit Schrecken stellte er fest, wie ihm der Milleniumsstab, den er bis eben noch in der betreffenden Hand gehalten hatte, entglitt. Hastig versuchte er, danach zu greifen, als er plötzlich ganz zu Boden gestoßen wurde.
 

"PASS AUF!", schrie jemand hinter ihm.
 

Erstaunt riss er seine Augen auf, glaubte er doch, die Stimme Jonos zu hören. Doch schon wenig später war der Moment vorbei und das Schlachtgetümmel brandete erneut auf. Alles Andere trat in den Hintergrund. Stöhnend versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen. Er musste dringend seinen Milleniumsstab wiederbekommen. Dieser war ein Stück den Abhang hinunter geschlittert und ruhte nun auf einem Felsvorsprung - nicht mehr als zwei Meter unter ihm, doch weit genug, um ihm in den nächsten Minuten vermutlich noch einige Scherereien zu machen.
 

"Geht es dir gut?", erkundigte sich eine Stimme, durch die Klänge von aufeinander prallenden Chepesch, Schmerzensschreien und sirrenden Pfeilen in der Luft nur schwer zu verstehen - aber nicht weit hinter ihm.
 

"Sicher", gab er zähneknirschend und einigermaßen erschöpft von sich. Seine Hand würde er später noch heilen können doch er fragte sich im Stillen, ob es ihm je gelingen würde, den sträflich vernachlässigten Schlaf nachzuholen. Die über Tage andauernde Anwendung von Magie hatte ihn bereits viel Kraft gekostet. Er konnte es in seinen Knochen spüren, denn es dauerte bei weitem länger als noch vor einer Woche, sich aus dieser halb liegenden Position in eine halbsitzende und schließlich eine stehende hinaufzuarbeiten. Fahrig klopfte er seine Kleidung ab.
 

"Dann ist es gut", hörte er es hinter sich murmeln. Nahe. Zu nahe.
 

Die dunkle Ahnung, bis eben nur am Rande seiner Wahrnehmung, wurde Gewissheit. Sein Körper erstarrte. Schmerz breitete sich in seinem Innern aus. Schmerz, der ihn von innen zu zerreißen schien. Er wollte... KONNTE sich nicht umdrehen. Wenn er es täte, würde er IHN sehen und er müsste erkennen, dass etwas ganz und gar nicht 'gut' war. Nur einen Augenblick, einen winzigen unendlich scheinenden Augenblick schloss er die Augen. Versuchte, den unvermeidbaren Moment noch ein wenig hinauszuzögern und konnte doch nichts dagegen tun, als ein leises Röcheln ihn brutal in die Gegenwart zerrte. Das Blut rauschte in seinen Adern. Erfüllt von dunklem Grauen drehte er sich um und sah Jono. Ein Chepesch lag noch immer in seiner blutenden Hand. Ein anderes befand sich einen Schritt entfernt auf dem Boden, ebenfalls rot von Blut. Er kniete vor ihm. zurückgesunken auf seine Knie und Füße, sah er ihn an. Ein Lächeln auf dem Gesicht. Eines, voller Erleichterung. Eines, das zu dem feinen Blutrinnsal, welches über seine Lippen floss, nicht passen wollte.
 

"Ich da...te …ch komme z... spät", fuhr er fort. Die Stimme nicht mehr als ein halb ersticktes Gurgeln.
 

Tropfen um Tropfen quoll zäh aus seinem rechten Mundwinkel. Seine blonden Haare zeigten sich verstaubt, ebenso seine Kleidung. Dreckig, zerrissen. Man sah ihm an, dass er sich den Weg bis hierhin freigekämpft haben musste. Rah allein ahnte, woher er gewusst hatte, wo Seth sich aufhielt. Der Hohepriester war sicher, dass von Anfang an er das Ziel des Jüngeren darstellte. Die Augen des Blonden verrieten ihn. Sie waren … ruhig. Zufrieden. Glücklich?
 

Wie konnte er so glücklich aussehen?
 

Der blutende Körper sank zur Seite.
 

Mit einem Sprung hechtete Seth zu ihm und hielt ihn davon ab, zu hart auf den Steinen aufzuschlagen. Es hätte ihm schwerlich mehr Verletzungen zufügen können, als er bereits besaß. Der Braunhaarige zwang sich zu zählen. Sieben Pfeile. Zwei im Oberschenkel. Einer im rechten Fuß. Zwei im Magen. Einer im linken Oberarm. Einer knapp über der Hand. Der letzte … in der Brust.
 

Jono hustete.
 

Ein neuer Schwall Blut folgte. Es tropfte zu Boden.
 

Ohne, dass er etwas sagen musste, schlossen die geschockten Soldaten die Reihen und füllten die von ihm hinterlassene Lücke. Um ihn herum ging das Töten weiter und doch hatte er nur Augen für den Todgeweihten, der in seinen Armen lag.
 

Durchbohrt von Pfeilen.
 

/Du wirst sterben, Seth. Durchbohrt von sieben Pfeilen/, hallte es in seinem Kopf wieder.
 

"Atemu!", fluchte er voll bebendem Zorn, während er auf Jono niederstarrte. Die Wahrheit dämmerte ihm und mit ihr kam die Wut.
 

"Er hat…", setzte er an, doch Jono ließ es nicht zu. Ein blutiger Finger legte sich auf seine Lippen.
 

"Er ...at… nichts, Seth. Gar ni...ts. Ich habe… Ich ga…nz allein habe…"
 

Jono würgte. Sein Körper zitterte haltlos. Kalter Schweiß mischte sich mit der roten Flüssigkeit, die an zahlreichen Stellen aus vielen kleinen und großen Wunden hervortrat. Doch schlimmer war das, was man nicht sehen konnte. Blut drang in seine Lungen und bahnte sich in krächzendem Husten Tropfen für Tropfen einen quälenden Weg durch die Luftröhre nach außen. Hilflos musste der Hohepriester mit ansehen, wie Jono in seinen Händen starb. Er wusste, er konnte nichts mehr für ihn tun. Gar nichts. Verzweiflung breitete sich in ihm aus. Pechschwarze, düstere Verzweiflung. Das kleine Licht, welches Jono in ihm entzündet hatte, begann zu verlöschen. Die Flamme wurde kleiner. Alle Farben verblassten. Seine Welt wurde grau.
 

"Jono… wie kannst du… Du hast geschworen, dass…"
 

Der Blonde versuchte den Kopf zu schütteln. Nicht mehr in der Lage, seine Kraft noch richtig zu dosieren, drückte er vermeintlich fest gegen die Brust des Hohepriesters. Doch für Seth fühlte es sich nicht stärker an, als das leichte, kaum spürbare Streichen einer Feder.
 

"'Mein Leben… für das deine'", zitierte er leise die Worte, welche Seth vor all der Zeit nur wie der Widerhall eines Traumes erschienen war. Damals. In der Wüste. Als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten.

"Seth… mei... Leben … gehörte imme... dir. Nur dir", fuhr Jono fort. Das Licht seiner Augen erlosch bereits. Immer wieder zuckten die einstmals braunen Perlen mal nach links, mal nach rechts, konnten den Hohepriester jedoch nicht mehr deutlich ausmachen. Doch er ließ nicht ab von seinen Worten und fuhr fort: "… Verspri... mir …"
 

Ein neuer Hustenschwall. Noch mehr Blut. Jono versuchte erneut, ihn zu fixieren. Vielleicht in der Hoffnung, dass Seth ihn, wie in all den letzten Jahren, auch ohne Worte verstand. Sein Wunsch sollte nicht erfüllt werden. Das goldene Braun seiner Augen erblasste. Das Leben entwich immer schneller aus ihm, floss heraus wie das Wasser eines Baches, das man nicht greifen, nicht festhalten konnte.
 

"Versprich…", setzte er ein letztes Mal an, "dass ...u lebe... wirst. Beschü...e Ägypten", bat er flehentlich.
 

Voller Entsetzen sah Seth ihn an.
 

"Das kannst du nicht ernst meinen! Wie kannst du das von mir verlangen?!" Fassungslos starrte er ihn an. Er hatte nicht vor, weiterzuleben. Nicht ohne Jono. Er wollte nicht zurück, in diese Leere, diese Schwärze. Niemals. Das konnte ihm Jono nicht antun. Ihm ein solches Versprechen abzuringen.
 

"Atemu… brau...t di...", brachte er hervor.

"Äg...pten… brauc… dic…", ergänzte er.

"Ägypten ist mir egal! Ich brauche DICH!", ließ Seth ihn wissen.

Ein glückliches Lächeln legte sich über das Gesicht von Jono.

"Ich weiß"

Seine Hand sank zu Boden. Seine Augen starrten ins Leere.

Und was auch immer er noch hatte sagen wollen, es blieb unausgesprochen.

Das Grau verschwand. Um Seth herum wurde es schwarz.
 

"Nein", flüsterte Seth. Hastig griff er nach der Hand des Blonden, drückte sie sich an die Wange. Ein Funke Leben. Wenn nur noch ein Funke Leben in ihm wäre, dann… Doch mit seinem letzten Atemzug wich auch die Wärme aus seinen Gliedern. Kein Finger mehr, der sich krümmte und ein letztes Mal über seine Wange strich. Kein freches Blitzen in den Augen, nur kalte, bodenlose, graue Leere. Er hatte immer geglaubt, sie hätten alle Zeit der Welt. Doch Jono hatte ihn erneut eines Besseren belehrt. Er war gegangen. Tot. Einfach so.
 

Und im selben Augenblick, in dem er ihn hier zurückgelassen hatte, hatte er ihn zum Leben verdammt. Mit seinen letzten Worten hatte er ihn an den Pharao und dieses Land, das ihm das Wertvollste, was er besaß, genommen hatte, gebunden. Und dafür hasste er ihn. Aus ganzem Herzen. Hass war das einzige Gefühl, das ihm geblieben war. Alle anderen hatte Jono mit sich genommen.
 

"Ich hasse dich", fluchte Seth flehentlich und zog den schlaffen Körper in seine Arme. "Ich hasse dich, Jono. Ich hasse dich."
 

Es regnete. Seth sah ins Leere. Sah nach oben. Stellte fest, dass es kein Regen war, der auf seine Hände tropfte, der seine Wangen hinunterlief. Er hatte nie zuvor geweint. Hatte nicht gewusst, was Tränen sind. Dass sie so brennen konnten. Wie Feuer. Der Himmel über ihm war blau. Doch er sah es nicht. Er sah nur Schwärze. Der Stein neben ihm, war braun. Es war egal. Für ihn war er schwarz. Er sah sich um. Dunkelheit. Nichts hatte sich verändert. Die Schlacht war noch in vollem Gange. Noch immer hallten Schreie vom Grund bis zu ihnen nach oben. Unstetig schweiften seine Augen über die blutige Szenerie, die sich vor ihm ausbreitete. Über die zahlreichen Leichen, welche um ihn herum lagen. Erstochen. Von Pfeilen durchbohrt. Erschlagen. Und unten? In der Schlucht? Noch mehr Tote. Krieg. Wenn dieser Krieg nicht wäre, wäre Jono noch am Leben.
 

Er spürte die irritierten Blicke nicht, welche ab und zu, wenn gerade ein Moment Luft war, in seine Richtung geworfen wurden. Er sah sich weiter um, bis er ihn entdeckt hatte. Den ersten Schützen. Den ersten, der ihn hatte treffen wollen. Den ersten, der stattdessen Jono mit einem Pfeil durchbohrt hatte. Es reichte ein Augenblinzeln. Der Mann rutschte ab. Stürzte. Fiel in die Tiefe. Kurz darauf der zweite. Dann der dritte. Einer nach dem anderen. Sie alle fielen. Einfach so. Es war so leicht. Er sah aus der Ferne ihre geöffneten Münder und vermutete, dass sie schrien. Alles egal. Er hörte es nicht.
 

Einer der Männer näherte sich ihm, wollte ebenso wie schon zuvor die restlichen Pfeile Jonos verwenden, um dessen Tod zu rächen. Er hatte kaum den Köcher berührt, als er bereits tot zusammenbrach. Voller Entsetzen registrierten die umstehenden Krieger viel zu spät, dass dessen plötzlicher Tod nicht das Resultat eines feindlichen Magiers war. Auch sie fielen nur Sekunden später ohne erkenntlichen Grund. Brachen einfach zusammen und standen nicht mehr auf. Erfüllt von Furcht, ließen einige der noch lebenden Krieger, welche hatten aufrücken wollen, ihre Waffen fallen. Sie rannten. Rannten um ihr erbärmliches Leben.
 

Sorgsam bettete Seth den Kopf von Jono auf das braunrote Gestein. Er hatte keinen Mantel um, mit dem er ihn hätte bedecken können. Kein roter Mantel, der ihn als Anoubis Ano-Ooobist, als Heerführer, ausgewiesen hätte. Er war als Jono gekommen. Jono hatte sein Leben für seines gegeben. Und der Pharao hatte ihn verraten. Hatte sein Versprechen nicht erfüllt. Hatte es zugelassen, obwohl Jono durch einen Schwur an ihn gebunden war.
 

Und er sollte einfach weiterleben? Weiterleben und für diesen Pharao kämpfen? Für dieses Land leben, das Jono bis hinein in den Tod nur Schmerz gebracht hatte?
 

Er erinnerte sich an die kleine Szene vor drei Tagen, als Jono in der Nacht vor seiner Abreise zu ihm gekommen war. Sie hatten sich geliebt. Das letzte Mal, wie er nun wusste. Und Jono hatte ihm von dem Glauben der Nordmänner erzählt. Dass es ein Leben nach dem Tod gäbe. Dass sie daran glaubten, dass die Seelen wiedergeboren wurden. Und er hatte ihm gesagt, wenn er sich einen Glauben aussuchen könnte - sich eine Wahrheit aussuchen könnte - dann wäre es diese. Denn er wolle gern noch ein weiteres Leben mit ihm leben. Und Seth hatte zugestimmt. Er wollte nichts Anderes. Ein Leben ohne ihn, konnte er sich nicht vorstellen. Wie auch? Jono WAR sein Leben.
 

Sein Blick fiel auf die Syrier unter sich. Der Milleniumsstab lag noch immer unerreichbar zwei Meter unter ihm auf dem Felsvorsprung. Doch nun war es gleich. Den Stab brauchte er, um seine Kraft zu kanalysieren, um sie zu lenken. Wozu sollte er jetzt noch seine Macht beschränken? Jetzt, da es keinen Sinn mehr machte, wenn einer von denen, die dort unten miteinander kämpften, lebten oder starben?
 

/Wenn sie auch sterben/, so dachte er, /wird es keinen mehr geben, den ich beschützen muss. Kein Syrien und kein Ägypten mehr. Dann kann ich ihm folgen./
 

Ausdruckslos hob er seine rechte Hand ein wenig an. Kein Gefühl spiegelte sich auf seinem Gesicht, während seine Finger immer größere Kreise zogen. Zur selben Zeit, etwas abseits vom großen Getümmel, wirbelten zahlreiche Sandkörner immer schneller in der Luft herum. Mit jedem Kreis nahm der kleine Sturm, welcher sich durch die Hand Seths bildete, immer größere Gesteinsbröckchen mit auf, welche am Rande zu tödlichen Geschossen wurden. Ein kurzes gemurmeltes Wort später wuchs der Sandsturm erst auf seine doppelte, dann auf seine vierfache und fünffache Größe an.
 

Mit einem kurzen Befehl wanderte der Sturm in Richtung der Kämpfenden, welche schon bald die Arme hochrissen - Freund wie Feind - weil der Wind mit den Gesteinsbrocken, ihre Augen verletzte und die Haut aufriss. Die ersten Schreie schallten nach oben, bahnten sich ihren Weg die Klippen hinauf. Seth kümmerte es nicht. Jono war tot. Wenn diese Menschen nicht wären, wäre er noch am Leben. Ein weiterer Befehl. Der Sturm wirbelte schneller. Er spürte mehr, als dass er es sah, dass die ersten Soldaten starben - getötet durch scharfkantige Steine, welche sich in deren Köpfe bohrten, die Haut aufschlitzten, bis sie verbluteten oder sich in ihre Brust gruben. Ägypter und Syrier gleichermaßen. Egal.
 

"SETH!", erscholl es warnend hinter ihm.
 

Der Hohepriester sah sich kurz um. Ein höhnisches Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. Soso. Sein Pharao hatte also auch den Weg hierher gefunden? Reute es ihn, dass er sein Versprechen gebrochen und Jono von dem bevorstehenden Schicksal seines Geliebten berichtet hatte? Oh ja!
 

/Bereue, Pharao! Doch alle Reue wird dir nichts bringen - denn ich werde dir nie vergeben! Niemals. Du hast es zugelassen. Hast zugelassen, dass er stirbt und meinen Platz einnimmt/, dachte er im Stillen.
 

Ohne lange zu überlegen, richtete er sein Augenmerk auf Atemu. Der Wind zu seinen Füßen flaute ab. Stattdessen sammelte er ihn in seinen Händen und entsandte ihn in Richtung der Person, welche nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Die offensichtliche Trauer und das Bedauern im Blick des Pharaos ignorierte er.
 

Dieser schien seine Reaktion vorausgeahnt zu haben und blockte seinen Angriff ab. Doch Seth war noch nicht fertig. Immer wieder sammelte er die Kraft in seinen Händen und schleuderte sie voller Wut in die Richtung des Pharaos. Hinter diesem zersprang Gestein und Geröll löste sich. Dennoch konnte er Atemu nur wenig anhaben. Einige Kratzer, mehr nicht. Erneut sammelte er sich. Unvermutet brach sein rechtes Bein unter ihm weg. Begleitet von einem schmerzhaften Aufstöhnen prallte es auf das Felsgestein. Doch Seth ignorierte es und wollte erneut angreifen. Es dauerte nur einen Augenaufschlag, bis er feststellen musste, dass sein Pharao anscheinend mächtiger war, als er aussah. Mühelos trat er näher und damit auch durch seine unsichtbare Barriere, die er um sich und Jono gezogen hatte.
 

"Es tut mir leid, Seth. Es tut mir leid. Ich hatte keine Wahl. Es tut mir unendlich leid", sprach er immer wieder auf ihn ein.
 

Kurz warf er einen Blick auf die blonde Gestalt, welche leblos neben ihm lag, ehe er sorgsam einen weiteren Fuß vor den anderen setzte. Es war offensichtlich, dass er seine Worte so meinte, wie er sie sagte. Dass es ihm tatsächlich leid tat. Und doch konnte Seth sich nicht dazu bringen, ihm zu vergeben. Weder ihm, noch irgendeinem anderen. Vor allem nicht sich selbst. Er hatte zugelassen, dass die Pfeile, die für ihn bestimmt waren, Jonos Leben beendeten. Er hatte ihn nicht beschützt, sein Versprechen nicht halten können. Doch ohne den Pharao wäre es Jono nie möglich gewesen, seinen Platz im Rad des Schicksals einzunehmen und an seiner Stelle zu sterben. Ohne den Pharao würde er womöglich noch leben, atmen, lachen. Also würde er den Pharao töten. Erst ihn und dann sich selbst.
 

Das war das Letzte, was er dachte, ehe sich tröstliche Dunkelheit über ihn legte. Wie ein Mantel breitete sie sich über ihm aus und ließ ihn zu Boden gehen. Er spürte noch, wie zwei Hände seine Schultern stützten. Fühlte, wie seine Beine unter ihm nachgaben. Danach fühlte er nichts mehr.
 

Jono war tot. Er hatte alle Gefühle mit sich genommen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (8)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mia11
2016-05-16T22:14:02+00:00 17.05.2016 00:14
Ich bin ganz zufällig auf deine story gestoßen. Und ich muss sagen CH habe noch nie so eine gute gelesen, es St sehr schade das sie nicht zu Ende geschrieben wurde. Aber vielleicht kommt das Ende noch?
Hoffentlich
Antwort von:  seththos
17.05.2016 09:25
Hi Mia,
ja, das Ende kommt noch. In meinem Kopf steht es schon ewig fest... *seufz* Aber ich komm einfach nicht zum Schreiben, seit ich berufstätig bin. Und wenn ich doch mal dazu käme, kann ich nicht. Schreibblockade. Es wird also wohl noch dauern, ehe Seth, Jono, Joey und Seto in meiner Geschichte ihr endgültige Happy ever after. 'Tschuldige. Aber ich freu mich trotzdem immer, wenn sich zu meiner 'alten Geschichte' ein Kommi verirrt. Das muntert auf und motiviert immer wieder, es doch nochmal zu versuchen.

Danke also für deine Nachricht. Sie hat mich sehr erfreut! ;-D

Liebe Grüße

seththos
Von:  Neko18
2015-12-16T14:12:41+00:00 16.12.2015 15:12
Würde mich auch auf weitere Kapitel freuen.
Von:  KamuiMegumi
2015-09-06T08:11:03+00:00 06.09.2015 10:11
Geht diese Geschichte weiter? Wäre wirklich schade wenn nicht...sie ist richtig gut!
Von:  Sarali
2014-12-19T19:41:49+00:00 19.12.2014 20:41
Ein schönes (wenn auch trauriges) Weihnachtsgeschenk! :)
Ich freue mich einfach immer riesig über jedes neue Kapitel. Sehr schön geschrieben, man fühlt sich mit im Krieg. Eine tragische Liebesgeschichte, die gleichzeitig so schön ist. Ich wiederhole mich, ich weiß ... Ich mag deine Geschichte und deinen Schreibstil einfach sehr! :D
Und diesen Teil der Geschichte endlich zu kennen ist toll. Es fügt sich langsam alles zusammen. Bin sehr gespannt wie Seto sich nun verhalten wird.
Ich liebe deine FF ^^
Auf diesem Wege wünsche ich dir schon einmal frohe Weihnachten :)
Von:  Yama-Sama
2014-12-18T19:25:18+00:00 18.12.2014 20:25
Nachdem ich die Geschichte in ein paar Tagen durchgelesen habe, schreibe ich dir jetzt auch mal. ^^
Muss sagen, ich habe selten so eine gute, spannende und fesselnde FF gelesen. Ich liebe ja das Pairing Joey/Seto. Ich finde auch sehr gut, dass du ein paar Actionszenen ^^ reingebracht hast und dann noch so detailliert beschrieben.
Mich würde es interessieren, wie lange du an einem Kapitel schreibst.
Ich freue mich wahnsinnig auf ein neues Kapitel. ^^
LG
Von:  Lunata79
2014-12-17T21:53:55+00:00 17.12.2014 22:53
Ah, ja. Jetzt wissen wir endlich, warum Seto seine Macht gegen Atemu eingesetzt hat.
Ich konnte Seths Schmerz richtig wahrnehmen. Echt traurig.
Aber was wird jetzt aus Seth und wie wird sich diese Erinnerung auf Seto auswirken?
Bin direkt gespannt aufs nächste Kapitel.

Lg
Lunata79
Von:  love_me
2014-12-16T23:56:06+00:00 17.12.2014 00:56
Hui, Weihnachtslich ist das wirklich nicht, und dann doch irgendwie weil ich mich total freu dass ein neues Kapitel da ist.
Und dann auchnoch ein ganzschön gewaltiges.
Schön endlich dieses fehlende Puzzelteilchen zu kennen warum Seth so böse auf den Pharaoh ist.
...aber armer Jono, ich hätt fast mit Seth mitgeheult. Dein Stil ist wirklich umwerfend realistisch. So richtig zum mitfühlen. Ich könnte wirklich die Schlacht hören und sehen. Großes Kompliment dafür.

Bin ja mal gespannt darauf wie es mit Seth weitergeht und wie sich das alles auf sein jetztiges Leben auswirkt.
Freu mich also schon ganz gespannt darauf wies weitergeht.
Grüßle und wünsch schöne Feiertage,
love_me
Von:  Niua-chan
2014-12-16T21:34:08+00:00 16.12.2014 22:34
Wow....ich bin erstmal noch sprachlos, aber das Kapitel beantwortet doch ein paar aufgeworfene Fragen.
Fehlt nur noch wie es zu dem Siegel der Götter in Seth gekommen ist, wobei ich da eventuell schon eine Ahnung habe.
Ich bin wirklich schon sehr darauf gespannt wie es weiter geht und wie sch das alles nch entwickelt. Ich hoffe sehr das Seto sich nicht woeder von Joey abwendet wenn die ganze Vergangenheit aufgedeckt ist, das wäre echt furchtbar...
Es ist übrigens wirklich eine Freude, dass du ein neues Kapitel hochgeladen hast auch wenn es so traurig ist.

Ich wünsche dir schöne Festtage und hoffe auf ein neues Kapitel im neuen Jahr.
Niua


Zurück