I hate you so much right now! von 2034Arabella ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Ahh! Ich hasse euch! Ich hasse euch gerade so was von dermaßen!”, schrie Chester, mit kippender Stimme, die Luft kam zischend aus seiner Kehle, die hohen Töne veränderten sich zu einem eklig kreischenden Geräusch, als ob jemand mit spitzen Fingernägeln über Glas kratzen würde. Mit einem Poltern flog die Akustikgitarre in die Ecke, landete auf dem Schlagzeug, stürzte die High Hat um. Das disharmonische Geräusch der auf dem Boden aufkommenden Gitarre wurde von dem hellen Beckenklang begleitet, verbreitete sich im Studio, ließ alle Anwesenden entsetzt die Augen aufreißen und die Ohren zuhalten. Alle, bis auf Chester. Er fuhr sich brutal durch die blonden Haare, riss sich dabei einige Strähnen aus, kniff die Augen gequält zusammen, als sich die Schmerzwelle von seiner Kopfhaut ausbreitete. „Fuck!“, stieß er aus, ebenso hoch und an der Obergrenze seines Stimmvolumens kratzend, mit zwei schnellen Schritten war er zu der Gitarre gesprungen. Er packte sie am Hals, riss sie hoch, nur um sie in die nächste Ecke zu feuern. Das von disharmonischen Klängen begleitete Krachen war noch lauter, ließ die sich der zu Boden gehenden Gitarre am nächsten sitzenden zusammenzucken. Doch nicht den blonden, tränenblinden Sänger, der wie aufgezogen wieder zu dem lädierten Instrument sprang, es diesmal mit zwei Händen packte und einem Hammer ähnlich schwang und sie mit viel Kraft auf den Boden schlug. Diesmal splitterte Holz, der Torso hielt nicht mehr zusammen, das Holz brach an mehreren Stellen. Der letzte Stoß, der die zerstückelte Gitarre ein letztes Mal in eine Zimmerecke fliegen ließ, verhallte mit einem für die Ohren gnädiger erscheinenden, leiser werdenden Misston. „Chester!“ Ein alarmiert klingender Ton, Panik überflutet, wenn auch immer noch fest und leiser als das entsetzte „Nein!“, das der Angesprochene ausstieß. --- Es hatte mit einer simplen Bemerkung angefangen. Eine ironische Bemerkung, die man nicht ernst nehmen würde, wenn man denjenigen, der diese Bemerkung gemacht hatte, genauer kannte. Doch Chester kannte die Macken seiner neuen Bandmitglieder noch nicht, kam nicht mit der immer sarkastischen, ironischen Art Daves klar, ignorierte meistens dessen Sprüche da er nicht wusste wie er zu reagieren hatte. Doch diesmal hatte er die ihn angreifende Bemerkung nicht ignorieren können – er hatte einen schlechten Tag gehabt, der im Verlauf immer ärgerlicher geworden war. Einfach zu viel war schief gelaufen – das Schlafen im Auto auf der Rückbank war auf Dauer weder erholsam noch gesundheitsfördernd, sein angespartes Geld steuerte dem Nullpunkt entgegen, er hatte kaum noch etwas zu essen und seine Frau Samantha ermahnte ihn ständig, zurückzukommen, da sie krank war und ohne ihn schlecht zurechtkam. Zudem musste er ständig feststellen, dass er, trotz dass er eigentlich der Älteste war und die meiste Erfahrung mit Musik hatte, nur sehr wenig konnte in Bezug auf das Arbeiten im Studio. Sein Verständnis von Musikaufnahmen war durch seine vorangegangene Arbeit mit Grey Daze geprägt – er bevorzugte es, die Aufnahmen mit wenigen Instrumenten und dementsprechend schlicht zu halten. Doch diese Einstellung teilte niemand der ehemaligen Xero-Mitglieder. Diese waren auch der gewichtigste Grund, warum Chester extremst von ihnen angepisst war. Stetig stellte er fest, wie gut sie sich verstanden, wie harmonisch sie zusammenarbeiteten, wie sie sich gegenseitig konstruktiv unterstützten. Chester war zwar offen von ihnen aufgenommen worden, doch schon bald spürte er diese Mauer, eine Mauer von Erinnerungen, die er nicht mit ihnen teilte, eine gemeinsame Vergangenheit, die er nicht mit ihnen hatte. Dadurch wurde er mehr und mehr zum Außenseiter, er war nur der Sänger, der manchmal gefragt wurde, wenn es um Lyrics der Gesangsparts ging – und selbst dann richteten sich alle im Zweifelsfall nach Mike. Chester fühlte sich mehr und mehr unnütz. Und diese Erkenntnis vermasselte im jedes Mal, wenn er mit den anderen im Studio war, den Rest seiner gerade noch mühselig aufrechterhaltenen Laune. Dieses Mal war es am Schlimmsten gewesen. --- „Jetzt hör doch auf, es lässt sich über alles reden.“, versuchte der Auslöser des Dramas den Sänger zu bremsen – ohne Erfolg. Der Sänger kickte mit einem heftigen Tritt die Snare Drum um, zeitgleich schoss der Drummer hoch, wurde allerdings gewaltsam von einer breiten Hand zurückgehalten und dann nach draußen gezogen – der DJ folgte ihnen unauffällig. Dave zuckte nur mit den Achseln, trat einen Schritt näher zu Chester, bemerkte dann jedoch ein kaum vernehmbares Kopfschütteln von der dritten, noch im Raum anwesenden Person und murmelte unsicher: „Ich denke, ich lass euch mal allein miteinander reden– ich bin hier überfordert.“ Und verließ mit hastigen, nach Flucht klingenden Schritten den Raum. „So – jetzt sind nur noch wir hier.“, stellte Mike fest, schob die Kopfhörer von seinen Schultern auf das Pult neben sich, verließ seinen Platz hinter dem Mischpult, kam langsam auf Chester zugelaufen. „Lass mich in Ruhe! Du bist an allem schuld! Ich hasse dich!“, donnerte Chester, immer noch mit viel zu hoher, kreischender Stimme. Er wich vor dem näher kommenden Mike zurück, stieß gegen die Trümmer der Gitarre, zertrat sie und stand plötzlich mit dem Rücken an der Wand. --- „Na Chester, vermisst du Samantha schon? Bestimmt nicht, L.A. hat viel zu bieten und das hast du sicher schon ausprobiert. Also – was ist besser – Huren aus Phoenix oder…“, an dieser Stelle hatte Chester Dave das Wort mit einer rüden Handbewegung abgeschnitten, eine Gegenantwort gezischt. „Ich liebe Sam und bin ihr treu.“ Er atmete tief durch, spannte die Fingerknöchel an – und starrte den Bassisten entsetzt an. Denn der lachte ihn aus. „Nichts für ungut, aber wahrscheinlich weißt du einfach nicht, wie gut Sex sein kann. Mit deiner Frau ist das sicher nicht so lustvoll wie…“, stichelte Phoenix weiter, wurde erneut von einem vor Wut schäumenden Sänger unterbrochen. „Halt die Klappe, du weißt gar nichts!“ „Weil du nichts erzählst – bei dem Thema bist du stumm wie ein Fisch – warum?“, mischte sich jetzt auch noch Rob ein, drehte einen Drumstick in der rechten Hand. „Weil es niemanden was angeht.“, grollte Chester, verschränkte die Arme und begann, zu mauern. Er fühlte sich plötzlich von allen Seiten angegriffen und wollte sich nur verteidigen. „Na klar geht es uns was an – schließlich sind wir eine Band und deine Erfahrungen in der Musik und mit anderen Dingen können zu unserem Stil beitragen.“, warf Mike ein, zog sich die Kopfhörer von den Ohren und legte sie auf die Schultern. „Fickt euch – meine Erfahrung interessiert euch doch einen Scheißdreck!“, rastete Chester jetzt völlig aus, alle schlechten Erfahrungen und deprimierenden Momente brachen auf einmal über ihn herein, gaben ihm den ultimativen schlechte-Laune-Kick. „Natürlich interessieren wir uns für dich – aber du mauerst so, dass wir tatsächlich schon überlegt haben, dich wieder rauszunehmen, wenn du so tust, als wären wir Fremde – zu einer Band gehört mehr als nur die Musik. Vertrauen und Freundschaft sind ebenso wichtig. Und wir hätten gern dein Vertrauen und deine Freundschaft, schließlich hast du unsere auch. Und wir wüssten wirklich gern, warum du so abweisend bist.“, fasste Mike mit Aufmerksamkeit auf sich ziehender Stimme die Situation zusammen – und Chester sah Rot. Versagensängste, Zukunftsängste, finanzielle und soziale Probleme schlugen wie ein Tsunami über ihm zusammen, drückten ihn zu Boden, ließen ihn untergehen. Sein Kämpferherz blies zum finalen Angriff: „Ahh! Ich hasse euch! Ich hasse euch gerade so was von dermaßen!“ --- „Warum hasst du mich? Weil ich gerne mehr über dich erfahren möchte? Weil ich sehe, wie du leidest und mauerst und ich langsam nicht mehr zugucken kann? Weil ich mir wünsche, das du mal Klartext reden würdest, anstatt immer nur ohne Inhalt zu labern? Warum hasst du mich, Chester?“ Mikes wuchtige Stimme wurde bei jedem Wort lauter, schneller, intensiver, drängender. Zusätzlich kam er auch immer näher auf den schmalen Sänger zu, der nicht weg konnte, weil die Wand im Rücken seine Flucht behinderte. „Ich hasse dich einfach! Lass mich in Ruhe!“, schrie er mit zitternder Stimme, zog die Arme an seinen Oberkörper. Mike stoppte, einen knappen Meter vor Chester. „Und ich dachte, ich würde dir wenigstens ein bisschen was bedeuten, du würdest mir wenigstens ein bisschen vertrauen. Nur ein kleines bisschen. Genug, um eines Tages den Anfang zu machen und die Mauer abzubauen.“, sprach Mike, jetzt mit ruhigerer Stimme, eher anklagend und traurig als drängend. Doch Chester beruhigte dies nicht – im Gegenteil. „Was willst du wissen? Was genau willst du über mein beschissenes, verfucktes Leben hören? Welche grausamen Details? Was für Drogen ich genommen habe? Wie oft ich mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt hab und wie viel Mal ich es ernsthaft versucht hab? Wie oft ich mich erniedrigen lassen musste, nur um zu überleben? Oder wie oft ich vergewaltigt wurde, in welchem Alter, von wem?“, schrie er, einem Zusammenbruch nahe, völlig vergessend, was er hier tat. Mikes Augen weiteten sich, er taumelte einen Schritt zurück. Seine Hand verkrampfte sich auf Herzhöhe. „Das…“, setzte er leise und entsetzt an, wurde aber unterbrochen. „Was? Passt dir das nicht? Ist das zu dreckig für dein ach so perfektes Leben? Du wolltest es doch hören! Wolltest, das ich endlich mal was über mich und mein beschissenes Leben erzähle! Jetzt musst du mir zuhören!“, kreischte der Sänger, völlig gefangen in seiner Rage, in seiner Verzweiflung. Mike atmete tief durch, kam wieder einen Schritt näher. „Chester, bitte – beruhige dich.“, murmelte er leise, griff nach einem Arm des Sängers, der nur zusammenzuckte, sich aber nicht aus dem warmen Griff befreite. „Jetzt kannst du nicht einfach abhauen. Jetzt muss ich es dir sagen.“, murmelte er wie abwesend, starrte auf einen Punkt hinter Mike, machte den Eindruck, als wäre er verrückt geworden. „Bitte, Chester – ich glaube nicht, dass das hier eine gute Idee ist. Lass uns doch später und in Ruhe drüber reden.“, schlug Mike vor, den Sänger ängstlich beobachtend. Der begann plötzlich wie wild zu zittern, murmelte mit bebender Unterlippe stockende Worte. „Bitte! Lass mich jetzt nicht allein. Nicht jetzt. Ich brauche dich! Ich muss – muss es dir sagen – bitte – hör mir zu. Später kann ich es vielleicht nicht mehr.“ Und Mike nahm den Sänger in den Arm, ließ sich mit ihm an der Wand nieder, zog ihn in eine Umarmung, bettete den weinenden Sänger sanft an seine Schulter, lies sein Shirt von dessen Tränen durchweichen und lauschte den erst stotternd und langsam Chesters Mund verlassenden Worten, folgte der grausamen und tränengetränkten Erzählung – und konnte nichts weiter tun, als dem zierlichen Sänger dabei immer wieder beruhigend über den Rücken zu streichen – ihm so zu sagen: ‚Ich bin da, auch wenn es manchmal nicht so aussah. Doch nun bin ich da und werde es auch immer sein.‘ Dieser Tag bildete einen Wendepunkt und gleichzeitig den Beginn der außergewöhnlich tiefen Freundschaft zwischen Chester Bennington und Michael Shinoda. --- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)