Malleus Maleficarum von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: | nuditas | ---------------------- Offensichtlich hatte Sacconi sein Versprechen wahr gemacht. Malik erhielt schon eine Woche später ein Schreiben von der Platonischen Universität, in welchem seine Aufnahme bestätigt wurde. Das leise Gefühl des Triumphes wurde allerdings ein wenig von der Tatsache überschattet, dass er es ausgerechnet Sacconi zu verdanken hatte, hier studieren zu können. Diesen Gedanken abschüttelnd versuchte er sich ganz auf seine Studien zu konzentrieren und überlegte nebenher sein weiteres Vorgehen. Der erste Grundstein, nämlich in Sacconis Gunst zu gelangen, war schon gelegt. Und nachdem er in dessen Palazzo zu Gast gewesen war, war er zu dem Schluss gelangt, dass er dessen Vertrauen gewinnen und ihn so irgendwann angreifen wollte, wenn er es am wenigsten erwartete. Malik sollte die Gelegenheit zu einem Wiedersehen schneller erlangen, als erhofft. Schwarzes Haar flatterte lautlos im Wind. Sie hatte ihm das Gesicht abgewandt. Er wollte es nicht sehen, er hatte Furcht vor den leeren Augenhöhlen, die ihm begegnen würden. Er wollte nicht, dass ihr Fluch sie ein zweites Mal traf. Hier im Wald waren sie sich das erste Mal begegnet. Hier im Wald an derselben Stelle, an welcher er damals seine Mutter auf diese traumatische Weise verloren hatte. Die Hexen sind schuld, hatte seine Mutter gesagt, ehe sie gestorben war. Die Hexen sind schuld, du darfst ihnen nicht vergeben. Erst, wenn sie alle tot sind, finde ich Frieden. Die Hexen sind niederträchtige Weiber, du darfst nicht auf sie hereinfallen, mein Sohn, hörst du? Lieber führe deinen eigenen Tod herbei, als dich auf sie einzulassen. Sie haben nichts verdient, als den Tod durch das Feuer, nur das Feuer kann uns vor ihrer Kraft bewahren. Seine Mutter hatte immer so gesprochen und er hatte ihr geglaubt, hatte jedes ihrer Worte in sich aufgesogen, bis er davon überzeugt war, dass alles Schlechte, was auf dieser Welt geschah, aufgrund von ihnen geschah, dieser bösen Frauen. Eine von ihnen hat deinen Vater in ihr Netz geholt, hatte sie mit eiserner Verbitterung gesprochen. Eine von diesen braunhäutigen Huren, sie hat ihn eingefangen, mit ihrem schwarzen langen Haar und ihren magischen Augen. Und der Hass war auf ihn übergesprungen. Doch dann sah er sie. Sie stand da. Unbewegt. Die Haare flatterten, genauso, wie das weiße Kleid der Delinquenten, obwohl kein Wind wehte. Sie war nicht mehr. Die feinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Sie brachte den Tod. Aber wie konnte etwas so Tödliches nur so schön sein? Sie wandte sich um und der Blick dunkler Augen traf ihn, ein Blick voller Hass und Traurigkeit war es, der ihn traf. Wer war sie? Er kannte sie. Ihre lockende Stimme, die fremde Worte bildete, ihre Stimme, die diesen Fluch aussprach über ihn. Werde zu dem, was du so sehr verabscheust und lebe damit, bis ans Ende deiner Zeit. Hatte sie das gesagt? Ihm schwindelte. Ihre Augäpfel schmolzen aus den Höhlen und plötzlich löste sie sich in Flammen auf und ein hoher Ton schwoll an, immer mehr, bis er die Hände auf die Ohren presste und dann, für einen kurzen Augenblick, nicht mal für eine ganze Sekunde, sah er lavendelfarbene Augen, die ihn in geballtem Hass anstarrten und dann … Dann erwachte er. Und die hellen Augen waren vergessen. Er ließ sich sein Pferd satteln. Heute ertrug er seinen Alltag nicht. Seto hatte in der letzten Nacht einen schlechten Traum nach dem anderen gehabt und den schlechten Träumen waren die wirklich schlimmen Träume gefolgt. Man mochte es als leichtsinnig ansehen, wenn ausgerechnet er alleine durch die Wälder außerhalb ritt und offiziell nahm er einen Diener und mehrere Leibwachen mit sich, die er aber ab einer bestimmten Stelle zurückließ und ihnen die Anordnung gab, zu warten. Es war sehr warm, der Sommer rückte näher, die Kühle des Waldes tat gut. Er hatte sich mit schlichter Kleidung angetan, damit man ihn nicht sofort erkannte, denn es war nie ganz sicher, ob in dieser Gegend nicht noch Zigeuner ihr Unwesen trieben. Seto blickte verbissen geradeaus, während der Wind aufgrund der Geschwindigkeit des Pferdes angenehm durch seine Kleidung strich. Dieses warme Frühlingswetter war ein solch paradoxer Gegensatz zu seinem Traum. Kalt und bitter und irgendwie glaubte er, sich an etwas erinnern zu müssen, an das er sich eigentlich gar nicht erinnern wollte. Hoffentlich wurde er die Kopfschmerzen bald los. In zwei Tagen war das Stadtfest und da brauchte er seine ganze Konzentration. Er ritt eine Weile an einem Flusslauf entlang – dieser Fluss, so wusste er, endete irgendwann in einem Gefälle, welches in einen See stürzte. Früher war er hier oft gewesen, als … Seto verengte die Augen. Er erinnerte sich nicht gerne an seine Kindheit. Sein Pferd war in einen flotten Schritt gefallen und Seto wischte sich gedankenverloren das verlängerte Hutband aus dem Gesicht. Bald kam er zu jener Anhöhe, an welcher sich der kleine Wasserfall befand. In der Ferne sah man keine Berge, dazu waren sie zu weit im Inland, nur ganz schwach die leichten Konturen der Abruzzen. Ansonsten nur Wälder und Weite und doch wurde er das Gefühl der Enge nicht los. „Ich bin nicht ich selbst“, murmelte er, doch als er absteigen wollte, hielt er einen Augenblick inne. Denn er hatte bemerkt, dass er nicht der einzige war, der diese Stelle unberührter Natur aufsuchte. Er sah einen jungen Mann dort unten im Wasser baden, einen jungen Mann, der ihm sehr bekannt vorkam. Einen Moment starrte er ihn nur an, wie gebannt, betrachtete den schlanken, gut geformten Körper, wessen Farbe von heller Bronze hatte, das Haar, welches durch die Wassertropfen wohl so eigen in der Sonne glitzerte. Mit einem Ruck sich losreißend, drückte er seinem Pferd die Hacken in den Bauch, welches empört schnaubte und sich dann in flottem Trab an den Abstieg machte. Malik hatte ihn noch nicht bemerkt. Und Seto verharrte eine Weile ungerührt im Sattel, ehe er fähig war, sich zu regen. Gott, wie konnte ein einfacher Mensch nur so schön sein? Eine Prüfung? Er knirschte mit den Zähnen. Dann fand er zu seiner alten Form zurück. „Ist das Wasser nicht noch zu kalt, um darin zu baden?“ Malik wirbelte herum, denn in der Tat war er so in seinen eigenen Gedanken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie Sacconi so nah an ihn heran gekommen war. Im ersten Moment spiegelte sich der Schreck in seinem Gesicht, dann schien er sich zu sammeln und schließlich zwang er sich zu einem Lächeln. Scham empfand er nicht. Wieso auch? Er wusste, dass er einen schönen Körper hatte und vielleicht war dies eine unverhoffte Möglichkeit, seine Rache ohne einen Zeugen zu vollziehen. Zu dumm, dass er nur einen kleineren Dolch mitgenommen hatte. „Es ist sehr frisch, Herr“, erwiderte Malik beipflichtend und streckte sich, aber es tut sehr gut nach einer anstrengenden Nacht. „Darf ich fragen, was Euch dazu bewegt, so ganz ohne Eure Leibwächter hier draußen zu sein? Ist das nicht gefährlich für einen Mann in Eurer Position?“ Seto bemerkte ein gefährliches Aufblitzen in Maliks Augen und nicht das erste Mal fragte er sich, woher er diesen jungen Mann kannte. Zu Maliks Erstaunen verzogen sich die Lippen Sacconis zu einem schmalen Lächeln. „Auch, wenn Ihr es nicht glauben mögt, ich bin durchaus selbst wehrhaft.“ Damit stieg er von seinem Pferd ab – es war ein anderes als damals – Malik schüttelte kaum merklich den Kopf. Natürlich war es ein anderes. Spätestens wenn sie 15 Jahre alt waren, tauschte man seine Pferde für gewöhnlich aus, weil sie dann nachließen. Damals hatte er einen Schimmel besessen, nun war es ein stolzer Rappe mit einer feinen Blesse und hellem Maul. Das Pferd war wohl darauf trainiert worden, dort zu bleiben, wo man die Zügel niederlegte. Ein ziemlich mühseliges Unterfangen, wie Malik in der Vergangenheit selbst schon einmal festgestellt hatte. Seine linke Augenbraue zucken lassend schwamm er ein wenig weiter heraus, Sacconi dabei im Auge behaltend. Was spielte es eigentlich für eine Rolle, welches Pferd Sacconi ritt. Oder versuchte er zwingend Zusammenhänge von heute zu damals festzustellen? Zwingend sich ins Gedächtnis zu rufen, warum er ihn hasste? Dass er die Blicke, die auf seinem nackten Körper lagen, nicht auf eine freie und angenehme Art genoss? Dass ihn die kühle Art dieses Mannes auf eine gewisse Weise erreichte? Nein, das gehörte alles zu seinem Plan. Er sollte ihn ansehen, er sollte ihm verfallen. Dann würde sein Triumph nur umso größer. Sacconi ging mit langsamen Schritten am Ufer neben Malik her. Bald kam er dem Wasserfall näher und Malik kam wieder näher an das Ufer heran, dort wo Seto jetzt stand. Das Ufer war nicht mehr abgeflacht, sondern war steil, sodass Malik sich mit den Unterarmen aufstützen und zu ihm hochblicken konnte. Seto blieb automatisch stehen und ließ sich einen Augenblick von diesen lavendelfarbenen Iriden gefangen nehmen. Ein Schauer überlief seinen Körper. Eine kurze Welle des Selbsthasses überflutete ihn, als er sich heimlich eingestand, dass Malik Ishtar ihm auf diese ganz besondere Weise gefiel. Er musste sich zusammen nehmen, nicht die Hand herab zu strecken und über den nackten Oberarm zu fahren, auf welchem sich eine leichte Gänsehaut gebildet hatte. „Darf ich Euch eine Frage stellen, Eure Magnifizenz?“, raunte Malik. Seto nickte wie mechanisch. „Wisst Ihr, was ich mich immer gefragt habe?“ Malik ließ eine bedeutungsvolle Pause, während Seto immer noch mit seinen inneren Dämonen rang. „Wieso ... seid Ihr der Hexenverfolgung abfällig geworden?“ Die Augen Sacconis verengten sich so schnell, so massiv veränderte sich sein Gesichtsausdruck, dass es Malik einen Augenblick mulmig zumute wurde und er fast wünschte, diese Frage nicht gestellt zu haben und plötzlich spürte er einen abrupten, schmerzhaften Griff im Haar und Seto war seinem Gesicht so nahe gekommen, dass Malik die Luft anhielt. „Wer in Gottes Namen seid Ihr? Ihr kennt mich. Woher?“ Sein Herz pochte mehrere Male schmerzhaft hart in seiner Brust, ehe er sich wieder sammelte und ungerührt erwiderte: „Wer kennt Euch nicht, Signore? Euer Ruf eilt Euch in jedes noch so winzige Dorf voraus, wie auch in dasjenige, in dem ich aufgewachsen bin, ehe ich nach Ferrara kam“, Malik konnte einen leicht bedrohlichen Unterton nicht aus seiner Stimme verbergen, woraufhin Seto ihn ebenso abrupt losließ, wie er nach ihm gegriffen hatte, sich darüber ärgernd, dass er für einen kurzen Moment die Kontrolle über sein Gemüt verloren hatte. Und das kam in Gegenwart von anderen Menschen selten genug vor. Allerdings konnte er den Verdacht, diesem jungen Mann schon früher einmal begegnet zu sein, nicht gänzlich fahren lassen, doch er beließ es vorerst dabei. Die Nacktheit war es, dachte er, die ihn so irritierte und ein altbekannter Hass flammte wieder in ihm auf. Sicherlich war es eine Prüfung. Um seine Standhaftigkeit zu testen. Wie konnte er auch ahnen, dass Malik genau um diese Schwäche wusste. Kurz daraufhin stemmte sich der junge Mann an dem steinernen Ufer hinauf, um wieder an Land zu gelangen. Seto wandte sich daraufhin abrupt um, kaum hatte er den makellosen Jünglingskörper in seiner vollen Pracht erspäht und versuchte das Verlangen niederzukämpfen, das ihn bei diesem Anblick überfiel. Malik Ishtar hatte einen wunderschönen Körper und auch sein Wesen hatte etwas für sich. Zumal er sicher war, dass der junge Mann etwas verbarg und er sich dabei ertappte, wissen zu wollen, was es war. Himmel, wäre er doch bloß nicht hierhergekommen. Um der Ablenkung willen und damit Malik keinen Verdacht schöpfte, beschloss er dessen zuvor gestellter Frage zu antworten. „Ich wusste immer, dass ich in der Position, in der ich jetzt bin, mehr bewirken kann. Es war nur eine Frage der Zeit. Außerdem erlitt die Mutter meiner Brüder einen tragischen frühzeitigen Tod, ich musste mich ihrer annehmen und konnte zwei Verbindlichkeiten mit diesem Posten vereinen.“ Das war nicht die ganze Wahrheit. Das ahnte auch Malik, welcher Setos Miene beim Sprechen nicht aus den Augen gelassen hatte. War es etwa doch das Gewissen gewesen, welches eine Mitrolle gespielt hatte? „Ich verstehe“, sagte Malik schließlich, „Und ich dachte, es hätte etwas mit diesem Savonarola zu tun …“ Malik ging in aller Seelenruhe zu der Stelle, an welcher seine Kleidung lag, ließ sich Zeit, dabei überlegend, ob er die günstige Situation etwas ausreizen sollte. Zu seiner Überraschung wurde Sacconi nicht wütend, als er dessen Widersacher ansprach. Im Gegenteil. „Natürlich kann ich ihn so besser im Auge behalten“, räumte Seto ein, der sich über sich selbst wunderte, dass er mit einem jungen Mann, den er kaum kannte, solche Gespräche führte. „Allerdings sehe ich ihn nicht als ernste Gefahr an. Die Menschen sind viel zu genusssüchtig, viel zu ausschweifend, als dass sie seinem Gewäsch verfallen würden.“ „Dennoch hörte ich, dass sich ihm einige bereits angeschlossen haben“, erwiderte Malik leise. „Eine nicht nennenswerte Anzahl, die glaubt, ihr Seelenheil in vollkommener Buße zu finden.“ Plötzlich war Malik aufrichtig interessiert. „Seid Ihr da denn anderer Ansicht?“ „Meiner Ansicht nach“, antwortete Seto bemüht reserviert, „Macht es keinen Sinn zu büßen, wenn man es nicht wirklich und mit Aufrichtigkeit im Herzen will. Gott blickt nicht an die Oberfläche, sondern auf das, was tief in einem Geschöpf verborgen liegt. Wer nicht mit dem Herzen zu Gott findet, der hat nichts anderes verdient, als das Feuer der Hölle. Wer jedem verfällt, der gute Worte schwingen kann, wie Savonarola, der kann büßen so viel er will. Am Ende wartet doch nur der finstere Schlund auf ihn.“ Er sprach das mit unverhohlener Bitterkeit aus. Dann lächelte er auf eine Art und Weise, die Malik einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. „Ihr solltet Euch nächsten Sonntag seine Predigt anhören, wenn er auf die Kanzel steigt. Dann könnt Ihr Euch selbst ein Bild machen.“ Seto hatte gar nicht gemerkt, wie nahe Malik ihm gekommen war, er roch die klaren Wassertropfen auf der Haut, spürte einen Moment den Atem, der ihn streifte, die zartbittere Süße, die sich mit dem Geruch des frischen Wassers vermischte und der ihm so anregend in die Nase stieg und als Malik ihn berührte, als sich seine Arme von hinten um ihn schlangen, zuckte er zusammen wie elektrifiziert, als die Stimme sein Ohr erreichte, schloss er einen Moment genießend, ergeben die Augen, „Signore, ich bin froh, dass wir uns hier begegnet sind“, wisperte er und Seto hasste sich für diesen Moment, indem er es erregend genoss, wie sich dieser nackte Körper an ihn presste, er jeden Muskel, jede Kontur spürte und nicht fähig war, sich dem wieder zu entziehen. „Ich war allerdings tatsächlich nicht ganz aufrichtig zu euch“, wisperte er ihm mit heißem Atem ins Ohr, „Einmal in meinem Leben habe ich euch bereits gesehen, aber ich war noch ein Knabe.“ Lippen, die sein Ohr streiften. „Und ich konnte Euch niemals wieder vergessen.“ Und da war etwas in seiner Stimme, ein Tonfall, wie er ihn schon einmal vernommen hatte. Die Hand Maliks strich von seiner Körpermitte hin zur Falte seiner Kleidung, um sich dort hinein zu stehlen. Plötzlich fand Seto zu seiner üblichen Autorität zurück und griff so abrupt nach Maliks Hand, dass dieser überrascht aufkeuchte. „Ich sage es Euch einmal – auch wenn Ihr mir offensichtlich die Wahrheit um Eure Herkunft verschweigt, Ihr bewegt Euch auf sehr dünnem Eis. Ich könnte Euch bereits jetzt wegen versuchter Verführung zur Sodomie verhaften lassen. Und man würde Euch auf mein Geheiß hin festnehmen, ohne Fragen zu stellen.“ Mit einem abfälligen Schnauben riss Malik sich los, seinen erhöhten Herzschlag dabei ignorierend. Dann ging er zu seiner Kleidung, die bohrenden Blicke des ehemaligen Inquisitors im Rücken. Verführung, ja? Wenn das der Grund war, warum die Kirche Frauen als Hexen verbrannte, sah Malik um Einiges deutlicher. „Und wenn Ihr mich festnehmen ließet, dann nur, um Eure eigene Schwäche zu verbergen. Niemand kann verbergen, was er in Wirklichkeit ist, Inquisitor Sacconi, und wenn er noch so viele Frauen und Männer auf dem Scheiterhaufen verbrennt, weil sie ihm gerade das vor Augen halten.“ Seto, welcher sich bereits ein paar harsche Worte zurechtgelegt hatte, prallte zurück wie von einer unsichtbaren Wand. Blieb stehen und folgte Malik, welcher sein letztes Kleidungsstück anlegt, und sich auf den Weg dorthin machte, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte, nur noch mit den Augen. „Wartet“, ließ ihn Sacconis kühle Stimme innehalten. Er sah ihn abwartend an. „Ich weiß, dass Noah aus welchem Grund auch immer große Stücke auf Euch hält. Ich weiß nicht inwiefern Ihr vertrauensvoll mit ihm sprecht, aber diese Begegnung heute sollte auch hier bleiben.“ Zu seinem Ärgernis verzogen sich die karamellfarbenen Lippen zu einem Lächeln. „Habt keine Sorge, Inquisitor“, und den Titel sprach er voller Verachtung aus, „Dies ist auch mein kleines Geheimnis, ich wäre ein Narr, wenn ich zu jemandem darüber spräche.“ Dann gab er seinem Pferd die Zügel und Seto verfluchte nicht zum ersten Mal an diesem Tag seinen Entschluss hierher zu kommen. Er fuhr sich durch das Haar. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er seinen Hut verloren hatte. Nachdem er sich kurz umgeblickt hatte, erspähte er ihn in der Nähe seines Pferdes liegend. Als er ihn jedoch aufheben wollte, hielt er inne, als er sich etwas gewahr wurde. Sich auf die Unterlippe beißend und den Hut brüsker auf den Kopf setzend, als es nötig war, ergriff er die Zügel seines Pferdes, auf dessen Rücken er sich dann schwang und ihm hart die Fersen in die Seiten drückte, sodass es aus dem Stand losgaloppierte. Er würde es nicht schaffen, ihn schwach zu machen. Er wäre nicht der Erste, aber der erste seit einer sehr langen Zeit. Plötzlich verspürte er gute Lust, einen Strick um Malik Ishtars Hals zu sehen, genauso wie um die Hälse aller Freudenjungen der Stadt. Seto schloss einen Moment die Augen und überließ seinem Pferd die Führung. Er musste sich beruhigen. Er durfte sie nicht gewinnen lassen. Er musste ihnen widerstehen. Und diesen Jungen … er musste seine Gedanken vor ihm verschließen. Er hatte das Feuer der Hölle in seinen Augen, lodernde Flammen, die einen verschlangen, wenn man zu lange in sie hinein sah. Einmal hatte er das bisher erlebt. Einmal … „Seto …“ Eine sinnliche Stimme, die lockend seinen Namen rief. Er wurde von ihr angezogen. So süß und doch so bedrohlich. Er wollte das Kruzifix umfassen, das er um den Hals trug, doch es war fort. „Seto…“ Ich komme ja, wollte er murmeln, doch er brachte keinen Ton über die spröden Lippen. Wo war er hier? Er wusste es nicht. Nur Licht, rot verhüllt flackerte in der Dunkelheit, in die es ihn zog – es war eine wohlige Dunkelheit, keine Dunkelheit, die man fürchten musste und doch stellten sich die feinen Härchen in seinem Nacken auf. „Seto…“ Die Stimme klang wie die einer rolligen Katze, verführerisch, lockend, samtig weich und lustvoll rau und honigsüß zusammen. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt und plötzlich hatte er es sehr eilig, diesem Lockruf nachzukommen, weil er Lust versprach, weil er süße Sünde versprach und eine Flucht aus dem Sein. Er kämpfte sich voran, durch die flackernde Dunkelheit und durch seinen eigenen Widerstand, doch den ließ er bald fahren und schließlich stieß er einen Raum auf, voll roter Seide – der Farbe der Sünde – erhellt von flackerndem rotorangenen Licht, mit kahlen Wänden, die irritierender weise Kerkerwänden glichen, nur in der Mitte des Raumes, da war ein Bett und auf diesem Bett… Ein schöner, nackter, hellbronzefarbener Leib, makellos und definiert, Schweißperlen brachten ihn zum Glänzen, die karamellfarbenen Brustwarzen reckten sich forsch in die Höhe und mit einem Pochen nahe dem Adamsapfel ließ Seto den Blick herab gleiten, über die leichten Bauchmuskeln hinab in die sündigen Tiefen des Schoßes und dort, vollkommen frei von jeglichem Schamhaar, makellos, reckte sich der Phallus in die Höhe, lustglänzend an der sinnlichen Eichel und eine Hand, die aus dem Nichts zu kommen schien, wand sich nun um ihn, um Seto die Befriedigung vor Augen zu halten, die schamlose, niedere Lust, die man doch so einfach stillen konnte und als er schließlich auf- und diese intensiven, lavendelfarbenen Augen sah, war er, ohne es zu bemerken, näher gekommen, viel zu nah, die Lippen öffneten sich, „Seto…:“ Es war zwecklos, dagegen anzukämpfen und der müßige Teil seines Wesens, von dem er niemals geahnt hatte, dass er existierte, ließ ihn jeden Gedanken an richtig und falsch von sich schieben, er sah nur noch ihn, die verschlingenden Augen, das helle Haar, das so verboten seidig wirkte, wie es bei einem Mann nicht wirken durfte, die karamellfarbenen Lippen, die ihm verführerisch entgegen glänzten und diese Stimme, die ihn lockte, immer wieder lockte, ihn einwob, bis er ihr vollkommen erlag. „Seto, ich will dich …“ und dann kam er über ihn und ein süßes Lachen ertönte und alles um ihn herum wich der ersten Schwärze des Aufwachens … Er lag reglos in seinem Bett, es war noch nicht ganz Tag draußen, eine leichte Brise ließ die Gardine des geöffneten Fensters wehen. Seto starrte ins Leere, noch immer atmete er schwer, noch immer ging sein Puls schneller, als er es sollte. Seine Körpermitte pochte. Er brauchte nicht an sich herabsehen, um zu wissen, dass er vollständig und schmerzhaft hart war. Und das nicht auf die Art, wie es morgens üblich war, denn dieses Gefühl von elender, niederer Geilheit, das konnte er nicht verleugnen. Dieser Junge hatte seine Gedanken verhext. So musste es sein. Wie abwesend tastete sich eine Hand an seinem Körper herab, presste sich an seine Leibesmitte, wie um die Erregung niederzukämpfen, doch mit dieser Berührung machte er es schlimmer, denn sie verschaffte angenehme Erleichterung und eine Weile ließ er sich tatsächlich dazu hinreißen – bis er irgendwann innehielt, die Decke zurückschlug und so abrupt aufstand, dass es ihn schwindelte. Das Schwindelgefühl ignorierend trat er zu einem Spiegel, vor dem eine Schüssel mit frischem, klarem Wasser stand, nahm Wasser in die hohlen Hände und klatschte es sich ins Gesicht. Die Kälte war angenehm. Dann packte er kurz entschlossen die ganze Schüssel und leerte sie sich über den Kopf, nur um sie dann wieder unsanft auf ihren angestammten Platz zu stellen und wütend sein Spiegelbild zu fixieren. „Das ist eine Prüfung“, sagte er zu sich selbst und fixierte sein Spiegelbild mit loderndem Blick. „Eine Prüfung und ich werde sie bestehen.“ Akefias Finger glitten gedankenverloren durch das weiße, seidige Haar dieses Engels, der sich ihm die ganze Nacht nun hingegeben hatte. Ryou genoss diese harmlose Zärtlichkeit nach ihrem durchaus heftigen Liebesspiel, auch wenn er für seine Verhältnisse ungewöhnlich still und in sich gekehrt wirkte. So sehr, dass es irgendwann auch Akefia auffiel. „Was ist denn mit dir?“, hakte er sanft nach und verwendete bewusst die vertraulichere Ansprache. Ryou blinzelte. „Nichts, schon gut, ich … Ich habe nur ein wenig nachgedacht …“ „Und was nimmt deine Gedanken so in Anspruch?“ Akefia zog liebevoll an einer der geliebten Strähnen, hauchte dann einen Kuss darauf und ließ sie durch seine Finger gleiten, bis sie auf dem Laken wieder zum Liegen kam. Der Jüngling seufzte und drehte sich vom Rücken auf den Bauch, verschränkte dabei die Arme und stützte den Kopf seitlich darauf, sodass er Akefia noch ansehen konnte. „Hast du es denn noch nicht gehört? Letzte Nacht haben sie das Haus von Signora Strozzi in Brand gesteckt. Und die Mädchen, sie … sie haben sie auf die Straße geprügelt und die die sich nicht haben prügeln lassen, sind elendig in den Flammen umgekommen.“ Das Haus von Signora Strozzi war eines der mittelständischen Freudenhäuser der Stadt, welches in erster Linie blutjunge Mädchen beherbergte. Ein einfaches Ziel. Akefia war erst einmal dort gewesen aber die Damen dort hatten eher weniger seinen Geschmack getroffen. Trotzdem war ihm diese Neuigkeit zuvor nicht zu Ohren gekommen. „Und deshalb machst du dir Sorgen? Das ist nicht schön, aber es ist schon öfter vorgekommen …“ „Akefia, die Stadt gerät in Aufruhr. Du merkst doch selbst auch, wie die Situation immer angespannter wird. Die Stadt teilt sich in zwei Lager. Und ehrlich gesagt war mir der machtgierige und resolute Sacconi immer noch lieber als der Fanatiker Savonarola. Wenn es dem gelingen sollte, seinen theokratischen Staat durchzusetzen, dann ist meinesgleichen vor nichts und niemandem mehr sicher“, schloss Ryou düster, welcher sich in eine sitzende Position aufgerichtet hatte und an den Bettrand gerückt war, die Arme fröstelnd um den Oberkörper schlingend. Akefia richtete sich ebenfalls auf und rutschte an ihn heran, wobei er eine dünne Decke nahm, um sie ihm über die zarten Schultern zu legen – dann legte er die Arme um Ryou, um ihn etwas zu wärmen und murmelte gegen das seidige Haar: „Ich werde niemals zulassen, dass dir etwas geschieht, das weißt du doch …“ „Auch du kannst nicht immer hier sein“, flüsterte Ryou, sich in die starken Arme schmiegend und die Geborgenheit genießend, die ihm geschenkt wurde. „Du solltest von hier weggehen. Mein Haus ist groß genug, ich …“ „Akefia, du stellst dir das zu einfach vor … Ich kenne nur das Leben hier, in meiner Kunst bin ich einer der Besten, aber das Leben da draußen, ich weiß nicht ob … ich weiß nicht mal, wie ich anders meinen Lebensunterhalt finanzieren sollte. Natürlich wird es immer Männer geben, die für mich bezahlen würden, in jedem Winkel, jeder Gasse, jedem Teil des ganzen Landes, aber …“ Er brach ab, auch Akefia wirkte nachdenklich. Natürlich wäre es auffällig, wenn er einen Freudenjungen bei sich aufnahm und es wäre auch gefährlich, sogar für ihn, musste Akefia zugeben, wenn sich die Lage tatsächlich so zuspitzen sollte, wie Ryou befürchtete. Dann kam ihm eine Idee. „Zuerst einmal möchte ich sicherstellen, dass du hier nicht in Gefahr bist. Ich werde dir zwei weiße Tauben schenken, die abgerichtet worden sind. Wenn du in Gefahr bist, lass sie fliegen, sie werden den Weg zu mir finden.“ Der Cherub lächelte – Akefias Fürsorge rührte ihn. „Wieso weinst du denn jetzt?“ „W-was, ich…“ Beschämt wandte Ryou das Gesicht ab. „Habe ich etwa endlich dein Herz erwärmt?“, raunte Akefia und zog das zarte Gesicht bestimmt wieder in seine Richtung. „Das hast du …“, schon öfter als es mir lieb ist, fügte er in Gedanken hinzu und ließ sich nur zu gerne erneut in ein Liebesspiel verwickeln. Malik staunte nicht schlecht, als er die vielen Menschen sah, die sich in die Kirche von San Marco drängten, um Savonarola bei seiner Predigt zu hören. Er war sich ziemlich sicher, dass er und Sacconi definitiv ein anderes Größenempfinden von viel und wenig hatten, denn die Kirche war beinahe zu drei Vierteln gefüllt. Josef, welcher in begleitete, ließ ein herzhaftes Gähnen hören, wobei er sich ausgiebig streckte. „Also, wenn du mich fragst, ist Sonntag früh definitiv die unchristlichste Zeit, um sich sowas anzuhören.“ Malik schmunzelte. „Dennoch bin ich dir dankbar, dass du mich begleitest.“ Josef winkte ab. „Andernfalls wärst du uns sonst noch verloren gegangen und das will ja keiner.“ Vor allem nicht Akefia, fügte der Diener in Gedanken seufzend hinzu, von dem er inoffiziell dazu abkommandiert worden war, Malik so selten wie möglich aus den Augen zu lassen, damit der ja nichts Dummes anstellte. Malik war aufgefallen, dass sich erstaunlich viele junge Männer hier in der Kirche drängten, fast noch jünger als er selbst, teilweise noch im Knabenalter - und er musste überrascht feststellen, dass er sogar den jungen Noah Sacconi hier erblickte. Die Bänke waren strikt aufgeteilt: Rechts vom Mittelgang saßen die Männer, links die Frauen, um ja keine ungewollte Nähe zu verursachen – und anders als die Frauen in den Tavernen, oder auf den Straßen, die er bisher kennengelernt hatte, trugen diese Grau und Braun und es war nicht mehr auszumachen, welche von ihnen nun eine Dame von Reichtum und welche eine aus armen Verhältnissen war, sie sahen alle nahezu gleich aus, denn auch auf Schminke verzichteten sie wohl größtenteils. Er schüttelte den Kopf. Wenn Mai das sehen würde, würde sie wohl in Ohnmacht fallen oder einen Schreianfall bekommen. Ihrer Meinung nach sollte jede Frau die Reize zeigen, die sie nun mal hatte. Der Gottesdienst selbst verlief so langweilig, wie Malik es von Ferrara gewohnt war, wo er wenigstens alle drei Wochen einmal zur Kirche gegangen war, auf Mais Anraten hin, um sich nicht irgendwie verdächtig zu machen, und er merkte, als er sich umblickte, dass er nicht der einzige war, auf den das einschläfernd wirkte – Josef neben ihm war der Kopf auf die Brust gesunken und er schnarchte leise vor sich hin und erst als der alte Priester mit den Worten schloss: „ … und nun wird der ehrenwerte Fra Savonarola die Kanzel besteigen.“ Kam wieder etwas Leben in die Anwesenden und auch Malik richtete sich automatisch auf, um einen Blick auf diesen Mann zu erhaschen, von dem er schon so viel gehört hatte. Langsam und erhaben schritt ein hagerer Mönch zur Kanzel hin, mit ordentlicher, sauberer Tonsur. Die Wangen waren eingefallen, die Augen lagen schwarz und kalt tief in seinen Höhlen, die Nase hakenartig und auffallend groß, während die schmale Oberlippe von der wulstigen Unterlippe beinahe verschlungen wurde und trotz seiner Hässlichkeit – anders konnte Malik es nicht mehr nennen – schritt er so erhaben an den Reihen der Gläubigen vorbei, als sei er der Messias höchstpersönlich. „Brüder und Schwestern“, ertönte die schnarrende Stimme, woraufhin alle Kirchgänger auf einen Schlag verstummten, „Ich begrüße diejenigen, die sich heute hier eingefunden haben. Es erfüllt mich mit Schmerz, dass die Reihen auch dieses Mal nicht zur Gänze gefüllt sind – wann werden nur endlich alle Kinder Gottes von Seinem Ruf erhört?“ Er machte eine theatralische Pause und Malik fand diesen Mann schon nach den ersten fünf Sekunden zum Kotzen. „Heute möchte ich euch von einem Mann erzählen, Brüder und Schwestern, einem Mann, der einst in den Reihen der Frommen durch das Land reiste und den Willen Gottes ausführte, er spürte die Abtrünnigen auf und führte sie Gott dem Allmächtigen zu, er brachte ihren Seelen Erlösung. Doch auch jemand wie er konnte auf lange Sicht hin der Verlockung des Bösen nicht widerstehen, er ließ sich von der Macht verführen und stellte den Dienst im Namen des Herrn zurück, er wandte sich von Gott ab, sich stattdessen an irdischen Reichtümern berauschend – Brüder und Schwestern, er ist ein Tyrann geworden und ihr alle kennt seinen Namen. Tyrann ist der Name eines Menschen von üblem Lebenswandel, des schlechtesten unter allen andern Menschen, der mit Gewalt über alle herrschen will, und besonders, wenn er sich vom Bürger zum Alleinherrscher aufgeschwungen hat. Es gibt nichts, was dem Tyrann verhasster wäre als der Dienst Christi und das rechte christliche Leben, denn es ist geradezu sein Gegenteil, und ein Gegenteil sucht das andre zu vertreiben. Ihr glaubt, einen guten Führer in ihm zu haben, doch lasst euch nicht verblenden! Je gesitteter sich ein Tyrann nach außen zeigt, umso verschlagener und böser ist er und von einem umso größeren, schlaueren Teufel ist er besessen, der sich in einen Engel des Lichts verkleidet hat, um besser treffen zu können. Brüder und Schwester, wendet euch ab von diesem Tyrannen, wendet euch dem unerschütterlichen Glauben zu, denn nur im Glauben und in der Demut findet ihr zu ihm, da findet ihr Erlösung. Lasst ab von teurer und aufreizender Kleidung, süßem Wein und der Verlockung der Frau, die doch der Ursprung allen Übels ist, lasst ab von langen und ausschweifenden Festen, lasst ab von der Versuchung der Welt und lasst ab von Sacconi, der für all die Sünde steht, der ein Mensch verfallen kann, rettet euch, rettet eure Seelen in dem ihr Buße tut und euch in Güte und Demut gebt und ächtet und verdammt all jene, die Gott so fern bleiben, wie heute dem Dienst an ihm. Amen!“ „Amen!“, erscholl es aus allen Richtungen um Malik herum, welcher diese Predigt erstmal sacken lassen musste. Dass Sacconi und Savonarola sich einfach nicht mochten, war ja noch untertrieben. Savonarola hatte Sacconi öffentlich und namentlich angegriffen und das, so wusste er auch selbst, war sehr gefährlich, dafür waren schon andere in einem Kerker verschwunden auf Nimmerwiedersehen, bedachte man den Status und den Einfluss Sacconis. Dieser Mann war doch ein Fanatiker. Allerdings, wenn er es so bedachte, als er Sacconi das erste Mal gesehen hatte, war ihm derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen. Plötzlich erschien ihm das damals am Scheiterhaufen so unwirklich. War das wirklich Seto Sacconi gewesen? Er war so … anders, als er ihn neulich am See getroffen hatte, als sie gesprochen hatten, wenn auch nicht lang. Verdammt. Oder war es am Ende nur die schmerzhafte Wahrnehmung eines kleinen Jungen gewesen, der seine Schwester verloren hatte? Savonarola, wie er dort auf der Kanzel gestanden und seine Hassreden geschmettert hatte … Er kam ihm mit einem Mal viel niederträchtiger vor, als Sacconi. Sacconi, der für den Mord an seiner Schwester verantwortlich war. Unbemerkt ballte er die Hände zu Fäusten, kam aber nicht dazu, weiteren Gedanken nachzuhängen, da um ihn herum plötzlich alles nach draußen drängte. Er stand auf und ließ sich von der Menge in Richtung der Kirchentüren drängen, dabei wandte er kurz den Kopf und – fing direkt den Blick des Bußpredigers auf. Einen Moment lang fixierten ihn die schwarzen Augen Savonarolas und Malik wandte sich schnell ab. Irgendwie hatte er gerade das ungute Gefühl, dass dieser Mann auf ihn aufmerksam geworden war. Versuchend, Josef nicht zu verlieren, kämpfte er sich einen Weg nach draußen. Die stickige Kirchenluft machte ihm immer Kopfschmerzen, er wusste genau, warum er nicht gern zur Kirche ging. Als er hinaus trat, blendete ihn das Sonnenlicht, allerdings, womit er nicht gerechnet hatte, war der kleine Tumult, der sich gebildet hatte. Malik konnte seinen Ursprung nicht gleich ganz erkennen, doch als er sich ein bisschen durch die stockende Menge hindurchgezwängt hatte, erkannte er die Kutsche mit dem Wappen der Sacconi und schließlich, als hätte er es geahnt, Seto Sacconi selbst, flankiert von einem fast peinlichen Aufgebot an Wachen, hoch oben auf seinem majestätischen Rappen, dessen lange Mähne im leicht aufkommenden Wind wehte. Einen lächerlichen Moment lang fragte er sich, ob es jetzt um den Bußprediger mit seinen verleumderischen Reden geschehen war, doch dann fiel ihm auf, dass offenbar nicht Savonarola der Grund war für dieses Aufgebot, denn Noah Sacconi, den er zuvor in der Kirche erspäht hatte, war am untersten Ende der Stufen scheinbar zur Salzsäule erstarrt. Oha. Offensichtlich hatte der Knabe sich unerlaubt vom heimischen Palazzo entfernt. Wollte Sacconi ihn in aller Öffentlichkeit maßregeln? Das sah ihm gar nicht ähnlich, so erpicht, wie er ansonsten darauf war, dass nichts und auch gar nichts nach außen drang. Eine Wache trat an Noah heran und richtete ein paar eindringliche Worte an ihn. Dessen Blick verdüsterte sich, doch auch eine Spur Verschüchterung war heraus zu lesen und die Menschen begannen schon zu tuscheln. Irgendwie hatte Malik Mitleid – es war sicherlich nicht immer angenehm, zu einer Familie zu gehören, die immer wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand. Malik war einige Schritte weiter nach vorne getreten, sodass er irgendwann Sacconis Blick auffangen musste und zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten sah er sich mit einem tödlich kalten Blick konfrontiert und er fragte sich schon fast, was bitte er eigentlich verbrochen hatte, doch als er merkte, wie durchdringend der Blick wurde, dass er eigentlich an ihm vorbei starrte, drehte er sich neugierig geworden um und erblickte Savonarola, der dastand wie eine Götzenfigur am oberen Ansatz der Treppe und diesen Blick ebenso erwiderte. Die Menge begann zu tuscheln. Die Feindschaft dieser beiden Männer war ja nun fast schon legendär, wenn auch Malik, wenn er neutral darüber nachdachte, verstehen konnte, warum Sacconi Savonarola nicht leiden konnte. Fanatiker hatten Menschen bisher immer ins Verderben gestürzt, wenn man auf die Geschichte zurück blickte. Auch, wenn Savonarola mit einigen Worten, die er gesprochen hatte, durchaus wahr gesprochen hatte, musste er einräumen. Indes die Wachen Noah zu der Kutsche flankierten, hob Savonarola höhnisch an: „Habt Ihr es nicht fertig gebracht in Eurer Sünde die Stufen der heiligen Mutter Kirche hinaufzusteigen? Hat sie Euch in die Knie gezwungen? Noch ist es nicht zu spät, tut Buße!“ Die Blicke wandten sich zu Sacconi, man rechnete wohl mit einem verbalen Schlagabtausch, doch Sacconi ging nicht mal auf die Provokation ein, sondern hob lediglich mit kalter Stimme an: „Haltet Eure Krakenarme von meiner Familie fern, ansonsten betrachtet es als offenen Angriff auf den Frieden dieser Stadt.“ Und in diesen Worten schwang die Drohung nach Blutvergießen, und Malik lief ein Schauer über den Rücken, als er bemerkte, wie die Menge unruhig wurde, denn nicht nur die Kirchgänger verharrten, um sich dieses Spektakel nicht entgehen zu lassen, auch die Menschen, die an diesem Tage so unterwegs gewesen waren, waren stehen geblieben, und langsam ertönten Pfiffe und wüste Rufe, die jeweils die andere Seite angriffen und Malik wurde sich unangenehm der Tatsache bewusst, dass er inmitten einer gereizten Menge stand, die im Begriff war, sich gegenseitig hochzuschaukeln. „Los komm, lass uns hier verschwinden, das wird mir zu brenzlig“, ertönte plötzlich Josefs Stimme, welcher ihn gleichzeitig am Ellenbogen packte und wegzog. Erst als sie die Menge hinter sich gelassen hatten, atmete Malik auf. „Mensch, was stehst du denn da auch wie angewurzelt“, beschwerte sich Josef, „Ich hab dich vorhin echt aus den Augen verloren.“ „War diese Feindlichkeit schon immer?“, murmelte Malik, während er einen Blick zurück warf. „Na ja, du hast es ja in der Predigt gehört“, meinte Josef unbehaglich, „Savonarola macht ja kein Geheimnis draus, dass er Sacconi am liebsten baumeln sehen würde. Wundert mich echt, dass der noch so ruhig bleibt, soviel Einfluss wie der hat, hätte der Savonarola schon längst aus dem Weg schaffen können, wenn er es darauf anlegen würde. Na ja. Signore al-Sayid sagt, dass es hier in ein paar Monaten ganz schön ungemütlich werden könnte, wenn das so weiter geht. Ist mir zu viel Schwarzseherei, wenn du mich fragst. Er sagt, wenns so weit ist, sollten wir alle Florenz lieber verlassen und das behagt mir noch weniger, als bei einem Putsch hier zu bleiben.“ Malik schwieg dazu. Er wollte Florenz auch nicht mehr so schnell verlassen. Es begann nämlich langsam ihm hier zu gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)