A Different Kind of Love von 2034Arabella (inklusive aller Fortsetzungen) ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Burden of Truth Unvorhergesehene, überraschende Wendungen im Leben mussten nicht immer etwas Gutes oder eine Verbesserung bedeuten. Sicher, oftmals war es so, dass man aus komplett neuen Situationen etwas gewinnen konnte, was einem einen Vorteil beschaffen konnte. Doch trotz dieser oftmals in seinem abenteuerlichen Leben bewiesenen und unwiderlegbaren Tatsache war Brad nicht mit der Entwicklung dieser neuen Situation zufrieden. Er war überhaupt nicht zufrieden. Ganz und gar nicht - eher das Gegenteil. Und selbst das war untertrieben. Eine realistische Wiedergabe seiner Einschätzung der Situation konnte mit „beschissen“ am besten dargestellt werden. Übertrieb er? Nein, gar nicht. Selbst zurückblickend konnte er kaum etwas Gutes entdecken. Zumindest nicht für sich. Seine Wenigkeit hatte er erneut - wie in so vielen Situationen davor schon - hinten angestellt und nicht mit in seine Überlegungen einbezogen. Er war sich selbst unwichtig. Paradox. Brad verstand es hinterher selbst nie, warum dem so war. Aber wenigstens war er ein guter Freund gewesen, hatte zugehört, nachgedacht, gute Tipps gegeben, die eine oder andere Erkenntnis bei dem Ratsuchenden erzeugt und am Ende den entscheidenden Ratschlag zum perfekten Glück des anderen gegeben. Nicht, ohne sich einmal bis auf die Knochen zu blamieren und für sich selbst eine Erkenntnis anderer und für ihn unvorteilhafter Art zu haben. Doch Brad wäre nicht Brad, wenn er sich das groß hätte anmerken lassen. Nein, er konnte vermutlich stolz darauf sein, sich wie ein gefühlsarmer Eisklotz gegeben und nichts - aber auch gar nichts - von innen nach außen sickern gelassen zu haben. Er war wie gefangen, gedrückt, gefesselt von seinen Prinzipien, seinem Stolz gewesen. Und die Wahrheit, die ihn wie ein Schlag ins Gesicht verletzt und entblößt hatte, lag - schwerer als der Himmel auf Atlas Schultern - auf seinen. --- Rob war nervös. Eine schlichte Tatsache, ebenso eine Tatsache, wie die, dass Linkin Park eine der berühmtesten Bands der Welt war oder dass 1,3 Milliarden Menschen auf der Erde keinen Zugang zu Strom für Licht hatten. Der Grund für die Nervosität war jedoch nicht so einfach darzustellen. Vielschichtig und verworren lagen die Ursachen dem beobachtenden Auge verborgen. Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Ursachen lag aber in Rob selbst begründet, in seinem Gefühlschaos, seinen letzten Entscheidungen und der undienlichen Reue darüber. So bereute er es, nicht spontan zu sein und immer wieder über ein Problem nachzudenken, auch wenn es bereits eine akzeptable Lösung gab - er suchte trotzdem eine bessere. Allerdings lag es im Auge des Betrachters, ob es sich am Ende tatsächlich um eine Verbesserung handelte. In Robs Fall war dem dieses Mal nicht so – diese Erkenntnis hatte er auch schon gehabt. Doch weil selbst nachdenken diesmal keine Lösung aus dem Hut zauberte und Rob mit der Situation nicht mehr klarkam, nötigte er sich dazu, jemanden zu fragen, der seiner Meinung nach sich am ehesten in seine Situation eindenken konnte. Brad, um den Glücklichen beim Namen zu nennen. Der noch nichts davon wusste, was gleich auf ihn zukommen würde. Es war mal wieder Nachmittag, mal wieder hingen düstere Wolken am Himmel, die damit drohten, Regen, Hagel und Donnerschlag auf die unter ihnen liegende Stadt loszulassen, mal wieder konnte man schon um fünf Uhr das Licht anmachen, weil das Zwielicht von draußen es nicht schaffte, den Raum, in dem Rob und Brad wie zwei überlebende Kriegsveteranen am Tisch saßen, Gedanken schweifend und schweigend, auszuleuchten. Auf dem Tisch stapelten sich leere und halbvolle Gläser unterschiedlichen Inhalts, Flaschen, ebenfalls leer oder halbleer, eine bunte Mischung von Spirituosen und Limonaden. Man konnte den Eindruck gewinnen, die zwei Männer hätten ordentlich getrunken, doch tatsächlich standen die Flaschen und Gläser schon einige Tage auf dem Tisch. Der Besitzer der Wohnung war bloß zu faul gewesen, sie wegzuräumen, weshalb es stattdessen immer mehr geworden waren. Rob, der neuerdings wieder darauf bedacht war, seine perfektionistische Ordnung zu halten, hatte zu Beginn noch die Nase gerümpft, dann aber nur die Gläser zur Seite geschoben und seines mit Wasser aus der noch fast vollen Flasche gefüllt. Jetzt betrachtete er schon geraume Zeit die klare Flüssigkeit, fuhr mit dem Finger auf dem Glasrand einen unendlichen Kreis. Innerlich zählte er, hatte er sich doch vorgenommen, wenn er bei 2.000 angekommen war, endlich die Sache, weswegen er Brad hatte um Rat fragen wollen, zur Sprache zu bringen. Gegenwärtig war er bei 1.967 angekommen. Brad hob sein mit irgendeinem Mix gefülltes Glas, trank einen tiefen Schluck und beobachtete Rob durch die verschwommene Fläche des durchsichtigen Gefäßes. In ihm regte sich berechtigter Zweifel über den Grund von Robs Besuch. So niedergeschlagen und abwesend war er schon lange nicht mehr gewesen, erinnerte sich Brad. Das letzte Mal war kurz vor Phoenix’ Austrittsgesuch gewesen. Am Ende hatte sich der Bassist es sich aber noch einmal anders überlegt und war in der Band geblieben. Robs Laune hatte sich spürbar gebessert, nachdem er aus New York zurückgekehrt war, Phoenix im Schlepptau und gute Nachrichten verkündend. Trotz allem war die ganze Aktion damals sehr seltsam gewesen und Brad waren die wahren Hintergründe immer noch fremd. Vermutlich wussten nur Dave und Rob selbst, was damals in New York passiert war, und hielten es geheim. Plötzlich ging ein Ruck durch den Drummer. Er hob den Kopf, visierte Brad an und atmete tief durch, zog die Schultern dabei hoch. „Glaubst du, ich bin zu ernst, zu streng mit mir?“, fragte er vollkommen zusammenhangslos seinen Freund. Brad runzelte die Stirn, fragte sich unwillkürlich, ob er etwas Grundlegendes verpasst hatte. Die Frage in dieser Konstellation machte nicht viel Sinn. „In welchem Bezug? Obligatorisch würde ich zwar erstmal 'Ja' sagen, aber du musst schon genauer erklären, was du willst“, meinte Brad grinsend, lachte innerlich, als er sah, wie skeptisch Rob die Stirn in Falten zog. „Das war eine ernst gemeinte Frage“, entgegnete Rob, wandte sich, seine Empörung zeigend von Brad ab, der mit einem breiten Grinsen auf den Lippen den Kopf schüttelte. „Da hast du doch deine Antwort. Zumindest bist du strenger und ernster zu dir als ich zu mir“, fasste Brad zusammen, ließ das Lächeln langsam verblassen und setzte ebenfalls einen ernsten Gesichtsausdruck auf. Lange musste er nicht warten, bis Rob ihn wieder ansah. Die braunen Augen seines Freundes waren verengt, verhaltener Zorn und Zweifel lagen in Robs Blick, doch wie Rauch an einem windigen Tag zerstreuten sich diese Emotionen von seinen Zügen, lagen wieder gleichmäßig und neutral. „Was würdest du denn an meiner Stelle machen?“, fragte Rob. Seine Stimme klang immer noch niedergedrückt. Brad musste unwillkürlich grinsen. „Um dir das zu sagen, muss ich immer noch wissen, um was genau es geht“, feixte er, zwinkerte Rob zu. Der Drummer konnte nicht mitlachen. Er bedachte Brad mit einem intensiven Blick, hob die Schultern, während er durchatmete, zählte innerlich bis drei und rang sich letztendlich dazu durch, Brad sein Geheimnis anzuvertrauen. „Na gut, wie du willst. Mal angenommen, du hättest mit einem Mann Sex gehabt - einfach mal so - und es hätte dir gefallen, was würdest du tun?“ Brad starrte seinen Freund an, fragte sich, ob er gerade eine akustische Störung gehabt hatte oder ob Rob das wirklich gefragt hatte. Zerstreut kratzte er sich am Kopf. „Es ist äußerst unwahrscheinlich, das so etwas 'einfach so' passiert. Da muss es schon einen guten Grund dafür geben“, murmelte er verallgemeinernd. Rob seufzte, stützte sein Kinn auf und schob die Unterlippe vor. Er dachte offensichtlich wieder darüber nach, wie viel er noch preisgeben sollte und konnte. Den Namen musste er geheim halten, aber dass es um ihn ging – so viel hatte Brad sich gewiss denken können. Also konnte er das auch direkt aussprechen, es war ja keine weltbewegende Neuigkeit. Ein wenig wunderte er sich über Brads stoische Gelassenheit, er hatte mit mehr Überraschung vonseiten des Gitarristen gerechnet, doch der reagierte fast schon zu ruhig. „Na dann: Jemand, den du schon etwas länger kennst und vertraust, eröffnet dir sein Interesse und du bist nicht abgeneigt, sondern probierst es aus - klingt das in deinen Ohren wahrscheinlicher?“, ließ Rob den letzten Satz in der Luft hängen und schaute Brad eingehend an. Keine Regung konnte ihm entgehen. Brad fuhr sich abwesend durch die Haare, schluckte. Jetzt hatte Rob ihn doch überrascht. Er hatte verschiedene Gedanken bezüglich des Hintergrunds gehabt – nun war ihm klar, dass mehr dahinter stecken musste. Sonst hätte Rob sich nie an ihn gewandt. Dass er gerade ihn fragte, gab ihm schon genug zu denken. Zumal Brad nicht ganz uneigennützig und betont locker antwortete: „Na ja, wenn der Sex so geil gewesen war, würde ich es noch mal ausprobieren. Was ist schon dabei, wenn beide es wollen?“ Robs Kopf senkte sich. Er schniefte laut und vernehmlich. Seine Hände verkrampften sich, die Knöchel traten weiß hervor. Zeichen von Nervosität - Brads Arm bewegte sich vorsichtig in Richtung des Drummers. Seine Hand legte sich behutsam auf Robs Schulter. Zeigte ihm, dass er nicht allein hier war und dass Brad ihm helfen wollte. Große, müde braune Augen sahen den Gitarristen durch den Vorhang von dunklem, langem Haar an, das Rob in die Stirn gefallen war. Brads Händedruck verstärkte sich, gab eine unhörbare Aufforderung an den niedergesunkenen Drummer. „Ich hab mit einem Mann geschlafen. Mehrmals. Habe gegen den Talmud verstoßen. Laut den Schriften würde mir ein schreckliches Schicksal blühen. Wir sind hier zwar in den USA, aber es geht ja um das Prinzip, das Männer nicht miteinander Sex haben sollten“, murmelte er. Er klang resigniert. Brad hob die Augenbrauen, seine Verwunderung kaum verhehlend. Er wagte kaum, weiter darüber nachzudenken, welche Auswirkung dies für ihn haben könnte, sondern beschränkte sich auf das eigentliche Problem - Rob. „Dürfen sie das nicht? Wenn du nun mal auf Männer stehst und nicht auf Frauen - warum solltest du dich verstellen und mit einer Lüge leben?“, mühte er seinem überanstrengten Gehirn eine passable pseudo-philosophische Weisheit ab, die Rob nur mit skeptischen Blicken bedachte. „Aber stehe ich wirklich auf Männer? Woher soll ich das genau wissen?“ Der Drummer schob Brads Hand von seiner Schulter, löste aber nicht den Griff, sodass Brads warme Hand komplett von Robs kühler, leicht zitternder Hand umschlossen wurde. „Also, darauf kann ich dir keine Antwort geben. Das musst du wissen“, meinte Brad, verbannte jegliche Ironie aus seiner Stimme, obwohl Rob unfreiwillig komisch klang. „Ich weiß es aber nicht. Woher auch? Ich hab nur mit diesem einen Mann geschlafen. Das hätte auch eine personenbezogene Anziehung sein können“, argumentierte der Drummer, Brads Blick ausweichend. Der Gitarrist straffte sich, überschlug im Kopf kurz seine Strategie und analysierte seine Gefühle. Sein Herz schlug zu schnell, sein Puls war zu deutlich an den Handgelenken spürbar. War er aufgeregt? Er konnte keinen Grund dafür finden - oder sich keinen Grund eingestehen. „Vielleicht musst du es mal mit einem anderen Typ ausprobieren. Dann würdest du zumindest wissen, ob du nur auf eine Person fixiert bist oder generell auf Männer stehst.“ Brad konnte den Drummer nicht länger ansehen, schlug lieber die Lider hernieder, als er leise anfügte: „Wenn du willst, kannst du es ja bei mir ausprobieren.“ Hatte er dies wirklich gesagt? Alles in Brad schien sich anzuspannen. Sein Pulsschlag beschleunigte sich nochmals, das Adrenalin stieg ihm in den Kopf und sorgte dafür, dass sich die bis jetzt ruhig gehaltene Atemfrequenz ebenfalls beschleunigte. Alles wartete nur auf Robs Reaktion - auf seine Abweisung oder seine Einwilligung. „Ich weiß nicht, Brad…“, nuschelte er schließlich, gab keine eindeutige Antwort. Doch das reichte dem Angesprochenen bereits. Er hatte nie mit einer direkten Einwilligung gerechnet, stattdessen nahm er die zögerliche Antwort als 'Ja'. Vielleicht auch, weil ein vergrabener Teil in ihm schon lange auf eine solche Chance gewartet hatte. Brads Hand wanderte zu Robs Kinn, strich federleicht über seine Wange, brachte die widerspenstigen Haare wieder an ihren angestammten Platz und näherte sich mit seinen Lippen Robs Mund. Mit angehaltenem Atem, jederzeit auf eine Abweisung gefasst, berührten Brads Lippen die des Drummers, bewegten sich gegen sie, erkundeten sie. Brad spürte den Luftzug des Atems von Rob auf seinem Gesicht, spürte kurz darauf, wie sich Robs Hände an seine Halsbeuge legten, ihn sogar etwas näher zogen. Robs Körper trat in Kontakt mit dem des Gitarristen. Er spürte die Wärme, den durch das Hemd hindurch kaum wahrnehmbaren Herzschlag des anderen. Ihre Herzen schlugen in unterschiedlichen Rhythmen, unterschiedlich schnell. Brads empfindliche Lippen spürten, wie Rob mehr Druck ausübte, schließlich mit seiner Zungenspitze sich zu Brads Mund hervortastete und in ihn glitt, bereitwillig hineingelassen. Der Gitarrist musste sich ein zufriedenes Stöhnen verkneifen, legte stattdessen seine Hand an Robs Hüfte, fühlte die Wärme der Haut unter dem rauen Stoff. All das fühlte sich so aufregend und erregend an. Brad wusste nicht mehr, was von all dem er für Rob tat und was davon sein Körper wollte. Tatsache war, sein Körper hatte schon länger nach genau diesem Kuss gelechzt, hatte ihn herbeigesehnt und dies erkannte Brad nun mit aller Intensität. Er wollte Rob. Doch Rob, bis jetzt vollkommen versunken darin, Brads Lippen zu kosten, wachte aus dem Traum der Leidenschaft und Zärtlichkeit auf. Ein Bild erschien vor seinen Augen, ein Name drängte danach, seine Lippen geflüstert zu verlassen. „Stop, Brad. Ich - ich kann das nicht.“ Mit der flachen Hand drückte der Drummer die breite Brust des anderen weg, sorgsam darauf bedacht, ihm nicht weh zu tun. Seine Worte verletzten Brad ausreichend, auch wenn im Augenblick der Zurückweisung Brads Verwunderung den Schmerz überdeckte. Wenige Sekunden verstrichen, bis Brad von selbst auf Abstand ging und leise fluchte. Rob sah beschämt in eine andere Richtung. „Verdammt.“ Brad rieb sich über sein Gesicht, zeigte ebenfalls Zeichen von Beschämung. Er verstand nichts mehr - deutlich hatte er Robs Erwiderung des Kusses gespürt, seine Anlehnung, sein Entgegenkommen. Rob hatte sogar die Initiative ergriffen und seine Zunge aktiv eingesetzt. Warum nun plötzlich diese Zurückweisung? „Warum?“, wollte er wissen, konnte noch keine vollständigen Sätze bilden. In seinem Kopf drehte es sich und sein Herz schlug schon wieder - oder immer noch - zu schnell. „Das geht nicht, Brad. Wir sind Freunde und in einer Band - Scheiße. Außerdem … außerdem …“, stammelte Rob, immer leiser werdend. Seine Hand bedeckte seine Augen, er konnte dem Gitarristen noch immer nicht in die Augen sehen. Langsam wurde ihm bewusst, in welche Situation er sich gerade gebracht hatte. Erst … „Dave“, flüsterte der Drummer, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Alarmiert horchte Brad auf. … und dann auch noch der Gitarrist. Rob wusste nicht, warum er sich dazu hatte hinreißen lassen. Nur eine Erkenntnis hatte er mitgenommen: Brads Lippen an seinen hatten sich gut angefühlt, keine Frage, der warme Körper hatte sich angenehm an seinen geschmiegt, doch etwas fehlte. Die Besonderheit, die das Zusammensein mit Dave ausgemacht hatte. Dieses Kribbeln im Unterleib, das Begehren, das Gefühl der Unersättlichkeit, das auch nach unzähligen Küssen noch nicht befriedigt war. All das fehlte - die Berührung des Gitarristen war nicht dasselbe wie eine Berührung des Bassisten. Brad war nicht Dave. Und Rob realisierte, dass es Dave war, den er wollte, nachdem er sich sehnte, der seine Träume beherrschte. „Phoenix, oder wie? Wie hat er denn geschafft, das geheim zu halten?“, fragte Brad, das unangenehme Schweigen unterbrechend, einen schwer zu definierenden Unterton in der Stimme. Klang er belustigt? Frostig? Ungläubig? Rob antwortete nicht, wich dem brennenden Blick des anderen aus. Er war ihm die Antwort schuldig, aber er wagte nicht, sie endlich auszusprechen. So schwieg er. „Du musst ihn ja wirklich lieben, wenn du wegen ihm bewusst gegen den Talmud verstößt.“ Rob sah entsetzt auf, glaubte seinen Ohren nicht. „Denkst du, dass es so fatal war?“ Ehrliches Erschrecken klang in der Stimme des Drummers mit, färbte sie auf unangenehme Art und Weise ein. „Nein, Rob. Wenn du ihn wirklich liebst, dann vergiss diese Verbote und Gebote einfach. Dafür darf dir alles andere egal sein“, flüsterte Brad, nicht zu lauterer Aussprache fähig, da er einen verräterischen Klos im Hals spürte. Seine Augen brannten und juckten auf einmal, nur mit Mühe konnte er die Tränen wegblinzeln. Er wunderte sich nicht mehr über die Reaktion seines Körpers. So hundeelend wie er sich fühlte, konnte er nachvollziehen, warum. Dennoch rang er sich dazu durch, Rob das zu geben, das er hören wollte, um glücklich zu sein - mit Dave, auf den Brad im Augenblick eine schwer zu greifende, schwelende Wut empfand, die alles toppte, was er bisher in Bezug auf den Bassisten empfunden hatte. „Bis jetzt hast du nach diesen Regeln gelebt, aber glücklich gemacht haben sie dich nicht. Jetzt hast du die Chance - ich nehme an, du hast Dave deswegen sicherlich in die Wüste geschickt - also ergreif sie! Vergiss diese eine Regel, brich sie, du wirst deswegen nicht zu einem anderen Menschen - schließlich bewahrst du deine Werte trotz allem“, fasste er seinen Ratschlag zusammen, sah Rob in die Augen und schaffte es sogar, die sich in seinen Augen sammelnden Tränen zu ignorieren. „Wirklich?“, fragte der Drummer hoffnungsvoll, schien zu überlegen. Brad ersparte sich einen Kommentar, nickte nur bedächtig. Alles in ihm schrie danach, zu gehen. Er musste hier weg. Er wollte ohne Zeugen die Beherrschung verlieren. Rob bemerkte vom inneren Kampf des Gitarristen nicht viel, er war zu abgelenkt von der Erkenntnis, die sich nun auch in seinem Kopf vollzog. Es war so simpel: Brad hatte Recht. Rob fragte sich, warum er sich so schwer damit getan hatte, das zu akzeptieren. Hatte er erst jemanden gebraucht, der die Worte aussprach, die er hören wollte? Offensichtlich. Zum Glück hatte Brad dies übernommen. Rob war ihm unendlich dankbar. So dankbar, dass er ihn spontan umarmte, ihm ein heiseres 'Danke' ins Ohr flüsterte und ihn dann ansah, ein leises Lächeln auf den Lippen. Brad sah ihn undefinierbar an, wich schließlich dem überglücklichen Blick aus. Er räusperte sich, dachte angestrengt nach, wie er schnellstmöglich von Rob wegkam. „Ich lass dich dann mal alleine. Ich denke, du hast was zu tun“, murmelte er, erhob sich und war schon an der Tür, als Robs Stimme ihn kurz innehalten ließ. „Ja. Danke, Brad... Ist mit dir alles in Ordnung?“ „Ja“, presste Angesprochener heraus, schoss in Windeseile aus der Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Ihm fehlten die Worte, um seine Gefühle der Wut, des Hasses und der Empörung, aber auch der Trauer und der Verzweiflung auszudrücken. Er hatte das Verlangen, die gesamte Welt zusammen zu schreien, alle Häuserwände in Los Angeles mit Flüchen zu bemalen, seine Gitarren zu zertrümmern - am liebsten auf seinen Autos - wohl wissend, dass er dramatisierte, aber er konnte einfach nicht anders. Der Zerstörungsdrang hatte von ihm Besitz ergriffen, war so unglaublich stark, dass er sich nicht mehr dagegen stemmen konnte. Brad konnte nicht anders, als mit der Faust gegen die nächste Wand zu hauen, wieder und wieder und wieder. Die Pein nicht wahrnehmend, so zerfressen vom innerlichen Schmerz. Die Handknöchel waren schon nach kurzer Zeit aufgeschlagen, doch er nahm es nicht wahr. Wieder und wieder schlug er sich die Wut auf sich selbst, sein Schicksal, die Welt und auch Dave aus dem Leib, ohne dass er sie mindern konnte. Ein Wort trat wiederholend aus seinem Mund - in einer Endlosschleife. „Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck!” Automatisch und nicht mehr von Brad gesteuert, liefen ihm dicke Tränen über die Wangen, benässten seinen Kragen und sein Hemd, tropften über seinen Hals und versickerten in der Kleidung. Seine Augen brannten, er presste sie zusammen, konnte sowieso nichts mehr wahrnehmen durch den nebligen Schleier der Tränenflüssigkeit, die sein Körper plötzlich literweise – zumindest erschien es ihm so - abgab. Als habe er sie nur für diesen Moment aufbewahrt. Der Moment, an dem ihm das Schicksal den Mittelfinger zeigte, der Moment, an dem er sich so verarscht von der Welt und Gott vorkam, dass er beides am liebsten zusammengeschlagen hätte. Der Moment, an dem er sich wirklich fragte, womit er das verdient hatte - er musste wirklich eine Menge Mist gebaut haben, um diese Art der Bestrafung verdient zu haben. Es gab wohl keine höhnischere, verletzendere, deprimierendere, erniedrigendere Art und Weise, abgewiesen zu werden. Das Gefühl kam einem Schlag ins Gesicht gleich, einer Blöße, einem nicht endenden Schmerz. Und nichts konnte diesen Schmerz überlagern, nicht einmal die blutenden Handknöchel, die Brad immer noch gegen die Wand donnerte, immer noch keinen Schmerz wahrnehmend. Sein andauerndes Fluchen war mittlerweile einem leisen Schluchzen gewichen, in das sich letztlich flüsternde Worte verzweifelnd mischten: „Verdammt … ICH wollte ihn doch …“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)