Weißer Nebel, Schwarzer Schatten von Kurai_Cheri ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Spät am nächsten Morgen stehe ich unschlüssig am Waldrand. Neben mir auf dem Boden liegen die Überreste eines ausgewachsenen Elchbullen. Sein Bauch wurde entzwei gerissen. Seine Innereien hängen aus seinem aufgeschlitzten Körper heraus. Sein Blut benetzt den Boden, sowie meinen Körper. Ein Anflug von Mitleid breitet sich in mir aus, als mir bewusst wird, dass ich dieses Tier auf brutalste Art bei lebendigem Leibe auseinander genommen habe. Meine Instinkte haben mich gefangen und mich dazu gezwungen zu töten, wieder einmal. Resigniert fahre ich mir durch meine verklebten Haare. Vollkommene Leere hat sich in meinen Kopf eingenistet. Macht mir das denken und fühlen unmöglich. Wie ferngesteuert setzen sich meine Füße in Bewegung. Mit langsamen Schritten nähere ich mich gedankenverloren dem Gebäude. Vor einer knappen Stunde sind die Schüler und Lehrer dorthin zurück gekehrt, doch vorher haben Letztere noch nach meinem Wohlbefinden gefragt. Auf ihre Frage ob es mir gut ginge, konnte ich nur mechanisch mit dem kopf nicken, zu erschüttert war ich über mich selbst. Obwohl es nicht das erste mal war, bin ich doch über mich bestürzte. Schon öfter habe ich wilde Tiere getötet, Hasen, Rehe, Wildschweine, doch nie eines in einer solchen Größe. Das Gemetzel um mich herum hat mir den Atem geraubt, als ich wieder bei verstand war, jedoch hat sich dieser kurz darauf erneut verflüchtigt. So sehr hat mich der traurige Anblick des toten Tieres mitgenommen, welches mich mit leeren und gleichzeitig anschuldigenden Augen angesehen hat. Ohne meine Umgebung beachten zu können, taumele ich benommen durch die Gänge. Die schockierten Blicke, meines Blut überströmten Körpers wegen, bekomme ich nur am Rande mit, zu weit entfernt scheinen meine Gedanken, die einfach nichts vernünftiges zu Stände bringen wollen. Nach einigen Minuten, die auf mich wie Stunden gewirkt haben, erreiche ich die Tür, die mich zu meinem Zimmer führen soll. Leise Stimmen dringen durch das Holz, kommen jedoch nicht bei mir an. Noch immer hängt das Bild des leblosen Elches in meinem Kopf. Schwach drücke ich die Klinke hinunter und öffne die Tür. Schlagartig verstummen die Gespräche und ich habe die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Mitbewohner. Erschrockene und besorgte Augenpaare treffen auf mich, während einigen von ihnen der Mund fassungslos aufklappt. Noch immer geistig abwesend schleiche ich fast schon an Logan vorbei, welcher an die Trennwand zwischen Flur und Küche lehnt. Nur langsam bewege ich mich auf das Bad zu und betrete es. Ohne die Tür zu schließen oder mich meiner Klamotten zu entledigen, steige ich in die Duschkabine. Mit leicht zittrigen Fingern stelle ich das Wasser an, was die Anderen scheinbar aus ihrer bisweiligen Starre reißt. Besorgt stürmen sie in das Bad und durchlöchern mich mit Fragen, doch ihre Worte erreichen mich nicht. Das Einzige, das ich wahrnehme, ist ein gedämpftes Stimmengewirr, das ich einfach nicht verstehen kann. Benommen drehe ich mich zu ihnen um und sehe sie aus leeren, einsamen Augen an, die meine innere Zerrissenheit nur all zu deutlich wieder spiegeln. Beim Anblick meines Gesichtsausdruckes verstummen sie erneut und mustern mich eindringlich. Das heiße Wasser prasselt unaufhörlich auf mich nieder und verleitet mein Hirn dazu, allmählich wieder seinen Dienst anzutreten. Trauer und Schuld mischen sich zu den anderen beiden ausdrücken in meine Augen und ich senke unbewusst den Blick auf meine Füße. "Verschwindet, alle. Ich will alleine mit ihr reden," ist Logans Stimme das erste, das ich wieder klar vernehme kann. Erst sieht es so aus, als wollten die Angesprochenen protestieren, doch als sie den ernsten und zugleich drohenden Blick des Schwarzhaarigen bemerken, verkneifen sie sich jegliches Kommentar und machen sich, wie befohlen aus dem Staub. Und so bleiben nur Logan, der im Türrahmen steht und ich übrig. Mit unbewegter Miene mustert er meinen Blut verdreckten Körper, der nur schleppend vom Wasser gereinigt wird, doch kann ich in seinen Augen Sorge aufblitzen sehen. "Ist alles in Ordnung bei dir?" spricht er mich mit ruhiger Stimme an und ich bemerke, wie sich meine angespannten Muskeln augenblicklich entspannen, doch der genaue Grund dafür ist mir nicht ganz klar. Stumm nicke ich mit dem Kopf und fixiere in mit meinen Augen. "Was ist passiert?" führt er leise fort und tritt einen Schritt auf mich zu. Einen Moment spannen sich meine Kieferknochen an, während ich überlege, ob ich es ihm sagen soll oder nicht. Als mir jedoch kein Grund einfällt, warum ich es nicht tun sollte, atme ich einmal tief durch. "Ich habe im Wald einen Elch getötet ... nein, ich habe ihn regelrecht zerlegt," nuschle ich kaum verständlich zurück, doch bin ich mir sicher, dass er es verstanden hat. Nachdenklich zieht er die Augenbrauen zusammen und nickt verstehend mit dem Kopf. "Du gehörst zum Nebelclan, wusstest du das?" stellt er nach einem kurzen Moment des Schweigens die nächste Frage. Wahrheitsgemäß schüttle ich den Kopf. "ich habe vor ein paar Tage. Die Vermutung gehabt, habe sie aber abgeschüttelt, da ich dachte, das es unmöglich wäre. Scheinbar haben meine Eltern genau den richtigen Samenspender gewählt," meine Stimme ist lediglich ein resigniertes Murmeln, als ich meine Gedanken laut ausspreche. Bei dem Wort Samenspender legt sich ein fragender Ausdruck auf sein Gesicht und seine Augenbrauen wandern nach oben. Gerade, als er den Mund für eine weitere Frage öffnen wollte, wandert sein Blick nach unten und schließt den Mund wieder unverrichteter Dinge. Irritiert lege ich den Kopf schief und sehe ihn weiterhin an. "Das gesamte Blut vom Elch ist abgewaschen oder?" spricht nun auch er seine Gedanken laut aus und blickt wieder in mein Gesicht. Erneut nicke ich nur schweigend. "Woher kommt dann das Blut? Du bist doch nicht verletzt oder?" fragt er weiter und wieder tritt Sorge in sein Gesicht. Verwundet sehe nun auch ich an mir herab, bis meine Augen am Boden der Duschkabine hängen bleiben. Das klare Wasser vermischt sich teilweise mit einer roten Flüssigkeit, die stark nach Blut riecht. Nachdenklich lege ich die Stirn in Falten. Nur langsam bemerke ich den Schmerz, der sich über meine Rücken zieht. Erst jetzt realisiere ich, das dieser nicht, wie ich am Anfang meines "Erwachens" aus dem Wahn vermutet habe, von einer Zerrung kommen kann. Es fühlt sich noch an wie ein Ziehen, sondern es pocht ganz unangenehm. Scheinbar habe ich mich beim Kampf mit dem Elch am Rücken verwundet. Zögerlich drehe ich mich, mit gesenktem Kopf um und ziehe meinen Pulli, sowie mein Shirt so nach oben, das Logan meinen Rücken sehen kann. Ein entsetztes Zischen entkommt ihm, ehe er mich am Oberarm packt und aus der Wohnung zieht. "Warum hast du das nicht gleich gesagt, dann hätte ich dich sofort auf die Krankenstation gebracht," knurrt er aufgebracht und sichtlich besorgt, während er mich durch die Gänge schleift. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)