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DQ8: Il Santuario in Cielo

Das Heiligtum im Himmel
von

Vorwort zu diesem Kapitel:

♫ Despair and Hope
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Komplet

Er schrak aus dem Schlaf und war in den ersten Sekunden irritiert über die Ruhe, welche ihn umgab. Es dauerte, bis er realisierte, wo er sich befand.

Jessica lag neben ihm. Mit klaren Augen starrte sie ihn an. „Wieder ein Traum?“

Er brauchte nicht zu antworten.

„Vielleicht solltest du doch mal einen Heiler konsultieren. Das geht jetzt schon so, seit du nach Alexandria kamst.“

„Eigentlich schon länger“, gestand er.

„Seit… diesem Tag?“

Durch das offene Fenster bliesen die Brisen die leise Nocturne der Natur hinein. Zikaden zirpten. Die Wiesen kicherten. Eine Knastkatze heulte. Und kurz wähnte Angelo, den Gesang seiner Ordensbrüder herauszuhören. Er schälte sich aus dem Bett. „Vergib mir. Ich muss für mich selbst sein.“

„Das warst du für Monate!“

„Bitte, Jessica: Versteh doch! Es ging alles so rasch, und ich… ich konnte mich nicht einmal darauf vorbereiten!“

„Zu mir zurückzukehren?“

Aus dem Stand schickte er ihr einen bitterbösen Blick. „Auf seinen Tod! Marcellos!“

Er rauschte aus dem Raum.

Jessicas Augen blieben lange an der hinter ihm zugefallenen Tür haften. Dann schob auch sie sich vom Laken, tapste die Treppe hinauf und wollte sich auf den blanken Boden hocken, mit Sicht aus dem Fenster, wie sie es als kleines Mädchen zuweilen getan hatte, wenn Alistair nicht nach Hause gekommen war. Doch etwas lenkte sie ab: Ein weißer Schein fiel durch den Rahmen, einer luziden Rutsche gleich, und warf dessen Konturen scharf an die gegenüber hängenden Tücher. Vollmond. Sie trat näher. Der Schatten wuchs…
 

Sein Fortschreiten beschleunigte sich mit jedem Schritt, und da er Alexandria verlassen hatte, kulminierte es in einem gedankenlosen Rennen. Der Wind zog alles aus seinem Verstand, und als er nicht mehr konnte und sich hechelnd ins Gras fallen ließ, fühlte er sich zumindest für den Moment befreit. Sterne blinzelten an der schwarzen Kuppel. Blasse Wolken streiften über den Himmel wie Segelschiffe. Vollmond.

Er fühlte sich zu schwer, um sich aufzuhieven. Die Last von zwei Jahrzehnten drückte ihn in den Grund, und er wehrte sich nicht. Tiefe Atemzüge. Die weißen Wimpern sanken.

Schritte.

Dergestalt geschmeidig platziert, dass wohl nur trainierte Ohren wie jene eines Templers sie wahrzunehmen vermochten. In der Erwartung, dass Jessica ihm gefolgt war, setzte er sich auf, ehe er erkannte, dass es mitnichten die Art des Ganges seiner Verlobten war.

„Ich wusste nicht, dass ich nicht allein bin“, begann er in die Dunkelheit, um dem Unbekannten dessen Stimme zu entlocken, und tastete nach seinem Shamshir, welchen er jedoch nicht mit sich führte. In der nächsten Sekunde entglitt ihm sämtliche Luft – der eisige Ort eines Degens schnellte an seinen Nacken, dünn und doch unmöglich, ihn nicht sofort als das, was er war, zu erkennen! Angelo hatte die Augen aufgerissen, war bemüht, sein Frösteln zu unterdrücken, reduzierte sich auf sein Gespür: Ein Augenpaar, hinabblickend auf seinen Schopf; ein Mund, welcher sich einen Spalt weit öffnete; der traute Duft und schließlich die erschauernden Worte: „Du bist schon lange nicht mehr allein.“

Die Präsenz der Klinge missachtend, wirbelte Angelo herum und konnte es nicht fassen: Hinter ihm ragte – in der blauen Templertracht – Marcello in die Höhe, seltsam diaphan. „Du lebst?!“

Doch er schüttelte das Haupt. „Ich bin hier, um mich zu verabschieden.“

Angelo stieß sich auf die Beine und wollte ihn mit allem, was er hatte, was er war, festhalten, jedoch griff er schlichtweg durch die Erscheinung seines Halbbruders. „Ich kann das nicht! Ich kann dich nicht gehen lassen!“

„Du musst. Du musst deinem Leben eine Chance geben, dich wieder glücklich zu machen.“

„Zwanzig Jahre lang habe ich mit dem Ziel gelebt, deine Aufmerksamkeit – nein – deine Liebe zu erringen! Jetzt bist du einfach weg, und ich stehe verloren da!“

„Trotzdem waren es keine vergeudeten zwanzig Jahre. Du hast Freunde gefunden und dich selbst. Auf den Schwingen des Göttervogels hast du Rhapthorne bezwungen. Du bist erwachsen geworden und unverzichtbar für viele Menschen, weil dich alle Abfuhren durch einen Templerhauptmann und Halbbruder doch nicht davon abgehalten haben, immer wieder ein neues Spiel zu wagen. Du hast mindestens weitere zwanzig Jahre vor dir – also nutze sie, damit du am Ende deiner Tage mehr bist als Radierspäne…“

Die himmelblauen Augen weiteten sich. „Marcello! Glaubst du etwa, du hättest nichts erreicht?! Du bist in den Klängen eines aufstrebenden Cembalisten! Du… du bist im Gewissen eines Obersten Hohepriesters! Im Stolz der Templer und in der katastrophalen Einrichtung deines Amtszimmers! Du bist auf meiner Engelsrobe und ein beachtlicher Teil in meiner Persönlichkeit! Du bist in den Herzen der Simpletoner, in den Überlegungen der Könige, natürlich in unserem von dir an ewig währenden Frieden vor Rhapthorne und selbst in meinem Triumph über ihn, denn all die Abfuhren meines Hauptmanns und Bruders haben mich schließlich erst auf die Reise geschickt, nicht wahr? Man muss keine Revolution auslösen, um der Nachwelt etwas zu erbringen! Die kleinen, unsichtbaren, manchmal auch unwesentlichen Dinge sind es, die uns erhalten!“

„Siehst du? Demnach bin ich überhaupt nicht weg“, gab Marcello ihm zu bedenken und setzte sich in Bewegung.

„Marcello!“

Er blieb stehen.

„Darf ich… dich jetzt berühren?“

Gespannt beobachtete er die Regungslosigkeit seines Anverwandten. Dann: Ein Nicken.

Behutsam trat er in die Erinnerungen der Schritte des Geistes. Als er ihn erreicht hatte, wagte er es, ihn zu umarmen. Sobald seine Finger den Stoff des Templerhabits tatsächlich fühlten, festigte sich ihr Druck auf ihn, und er lehnte seinen Kopf gegen den straffen Rücken. Er hätte auf der Stelle einschlafen können. „Mmmmh…“

„Was ist?“

„Du riechst nach… Weihnachtskeksen.“

Ein spöttisches Schnauben. „Hör auf zu weinen.“

Angelo drückte ihn so fest er konnte. „Aber…!“

„Du wirst stets weiterkämpfen müssen, Angelo. Ich werde das auch tun, doch nun in einer anderen Welt.“

„Die zwei Seiten eines Spiegels, hm?“

„Es tut mir Leid, dass es zwischen uns nie so geworden ist, wie du es dir gewünscht hast. Doch womöglich wird uns das… in einem anderen Leben vergönnt sein.“ Er glitt aus seiner Umarmung.

Entsetzen packte den Jüngeren. „Warte! Geh nicht! Ich will mit dir kommen! Marcello! Lass mich mit dir gehen!“

Über die Schulter widmete er ihm einen letzten Blick. „Angelo… Du kannst hier jetzt nicht fort. Die Göttin hat dir ein Geschenk bereitet, und es obliegt dir, diesem ein herzlicher Vater zu sein.“

„Ich kann das nicht!“

„Eines Tages wirst du verstehen, dass der Tod kein Ende ist – sondern manchmal ein Anfang. Und an jenem Tag wirst du über unseren vorübergehenden Abschied lächeln. Du kannst das, Angelo… denn du bist mein Bruder. Ich bin stolz auf dich.“

Mit verschwommener Sicht sah Angelo Kukule seinem Bruder nach, der in die Nacht schritt, die endgültige, und das Kind in ihm schaukelte einsam auf den schwindenden Worten seiner beruhigenden Stimme: „Sieh, es muss ein Zeichen sein:
 

Da, als der Hirte seine Herde

Gleißend weißer Wolkenpferde

Auf die blaue Weide bringt,

Einem jener sanften Schimmel

Unerreichbar hoch im Himmel

Eine Träne niederrinnt.

Noch ahnt niemand, was von oben

Kommt auf die Welt zugeflogen…“
 

Harfenmusik. Auf einem Nachtschrank liegend, lauschte der Templeroffiziersring ihr und erinnerte sich.
 

*
 

„Oh… Du musst erschöpft sein. Wo sind deine Sachen? Ist das alles, was du besitzt?“

„Ähm… Meine Mama und mein Papa sind gestorben. Deshalb habe ich nicht viel. Und ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll…“

„So ähnlich ist es auch mir ergangen. Aber mach dir keine Sorgen. Abt Francisco und wir anderen werden ab jetzt deine Familie sein."

„A-aber…“

„…Na komm schon, gehen wir zum Abt. Alles wird gut, hör doch auf zu weinen. Warum verrätst du mir nicht deinen Namen?“

„…Angelo.“
 

*
 

„"Engel"… Das ist ja ein schöner Name!“
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  LockXOn
2014-11-30T19:01:21+00:00 30.11.2014 20:01
Eine sehr spannende und mitreißende Geschichte. Dein Satzbau ist manchmal sehr kompliziert und man muss sich schon ab und zu die Mühe machen, einen Absatz nochmal zu lesen, aber das ist die Sache wert °-^. Das Ende hat mir persönlich gar nicht gefallen, aber das ist eigener Geschmack und ändert nichts daran, dass es durchaus passend ist, und hat schon gar keinen Einfluss auf die Gesamtqualität der Geschichte!


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