DQ8: Il Santuario in Cielo von Phantom (Das Heiligtum im Himmel) ================================================================================ Kapitel 2: Rendezvous mit einer Maske ------------------------------------- Hoch oben auf dem Wehrgang, über dem sich die Nacht wölbte und wohin nicht einmal das Zirpen der Zikaden reichte, war auch die Musik verstummt. Der Mond sandte seinen Schein auf die Zinnen und tauchte sie in Marmorweiß. Im Schattenwurf des mondänen Kostüms war das Antlitz nur zu erahnen – und dennoch wusste Jessica, dass sie der schwarzen Maske vertrauen konnte. „Danke.“ Er schwieg. „Meine Mutter… Alles, was sie wünscht, ist ihrer Familie eine sichere Finanzquelle, während sich Lorenzos Vater offenbar dasselbe von uns erhofft. Sein Sohn schiebt sich unser Silberbesteck unter die Paradiesvogelklamotte, aber sie lässt sich von seinen schmierigen Sprüchen einschleimen. Dabei sind seine Worte so hohl wie sein Kopf.“ Sie spürte der Maske Blick auf sich, und ihr war, als könnte sie ihre Enttäuschung wie Steine in einen ruhigen See hinter deren Höhlen plätschern lassen. „Er langweilt mich. Seine Art zu leben langweilt mich. Nicht Geld ist es, was ich möchte. Ich brauche kein Haus. Ich brauche keine Sicherheit. Ich brauche jemanden, der an meiner Seite steht. Der meine Hand ergreift und einfach mit mir losrennt! Ist das etwa zu viel verlangt?“ Ihre Stimme war in die Stärke gerutscht, und obgleich auch diese Brocken einfach im See ertranken, wollte sie sich entschuldigen, verwirrt darüber, weshalb sie ihm das alles überhaupt erzählte. „Vergeudet Eure kostbare Zeit nicht darauf, dem letzten Tagesstreifen nachzuschauen. Rafft Eure Kleider und folgt ihm, so schnell Ihr könnt.“ Ihre Augen trennten sich vom bergbewehrten Horizont und hefteten sich an ihn. „Was?“, stieß er mit dem Ansatz eines Lachens im Ton hervor. „Überrascht es Euch, dass ich auch sprechen kann?“ „Nein! Nein, das ist es nicht. Die vergangenen Minuten kamen mir nur so unwirklich vor. Ihr habt mich ja förmlich entführt, und dabei kenne ich nicht mal Euer Gesicht!“ „Würdet Ihr es denn gerne kennen?“ Jessica erlaubte sich, darüber nachzudenken, während sie ihn weiter betrachtete. „Noch vor einer Stunde habe ich mich an die Seite eines Kerls gefesselt gesehen, den ich nicht ausstehen kann. Ich kann die meisten Kerle nicht ausstehen, deren Gesichter ich kenne. Euer Reiz liegt in der Maske. Ich will, dass Ihr mich träumen lasst. Seid meine Begleitung heute Nacht, bevor ich morgen in meine Welt zurückkehre. Das ist der demaskierte Sinn eines Maskenballs, nicht wahr?“ „Für die Verzweifelten in der Tat.“ „Seid Ihr verzweifelt?“ Ein kurzes Gelächter hallte aus dem Inneren ihres Zauberlandentführers. „Ich bitte Euch! Kann ein Mann verzweifelt sein, dessen Gesellschaft von einer begehrenswerten Dame erwünscht wird?“ Ihre Mundwinkel zuckten. „Muss ich befürchten, dass Ihr mich nicht mehr aus Eurem Bann entlasst, wenn ich mich ihm erst einmal ausgeliefert habe?“ „Ich gestatte mir anzumerken, dass ich ein Mann von unversehrter Ehre bin, Miss Albert.“ „Woher wisst Ihr, wer ich bin?“ „In Argonia florieren die Gerüchte im sonnigen Gemüt seiner wortsprudelnden Bürger – besonders dann, wenn der Sohn des Kanzlers das Beet mit dem Dung seines Dünkels nährt. Unverblümt gestehe ich: Einen Anlass zum Angeben hat er dieses Mal wahrhaftig: Ihr seid das edelste Schmuckstück des Abends.“ „Es ist gewagt, mich als "Schmuckstück" zu bezeichnen, mein Freund. Ihr scheint Euch ohne jeden Vorwand der Bescheidenheit für einen Kenner des weiblichen Geschlechts zu halten. Eure Taktiken zumindest sind interessant!“ „Taktiken?“ Das dunkelrote Phantom legte sein Haupt schief, dessen große Hutfedern wippten. „In meiner Freizeit pflege ich allein meinem Gefühl zu folgen, nicht irgendwelchen Kalkulationen. Die Taktiken hebe ich mir für die Schlachten auf.“ „Man sagt, Frauen hätten schon weitaus größere Schlachten angezettelt als die Machtgier der Männer oder die Religion“, hielt sie herausfordernd gegen ihn. Als Alistairs Schwester, Bezwingerin Rhapthornes und unwiderstehliche Frau fasste sie einen Plan: Und wenn auch bloß für diese Nacht – er sollte ihr Schmuckstück sein! „Ich merke, Euer Temperament entspricht ganz der Haarfarbe.“ „Keine verfrühten Schlüsse, mein Herr, noch ist das Mädchen zahm.“ „Ach! Werde ich demzufolge doch noch demaskiert?“ Er machte keinerlei Anstalten, ihr Einhalt zu gebieten, da sie ihre Finger unter den Rand der Maske schob. „Ist es das denn wert? Ist dieses Gesicht es wert, dass der Zauber dafür bezahlt?“ „Der wahre Zauber, Miss Albert, verbirgt sich hinter der Maske.“ „Versprecht nie mehr als Ihr verwirklichen könnt“, ermahnte sie ihn, in jene Höhlen spähend, auf welche auch die Nacht ihr günstiges Auge warf. Himmelblaue Iriden, über denen sich nichts schloss, als ihre Lider sanken. Sie spürte seinen Luftzug. Und in letzter Sekunde eine Vibration des Bodens. „Meine Mutter!“ Schon warf Lady Rosalinde eine der Türen zum Wehrgang auf. Mit dem Ausdruck eines Stierstars erwartete sie einen verbalen Kniefall aus dem Mund ihrer Tochter. Diese jedoch war nicht hier. Vom Himmel herab schienen die Sterne über sie zu kichern. Auch die schwarze Maske bebte unter dem Gelächter ihres Trägers, nachdem er hinter den vier Fenstern im Thronsaal eine ruhige Nische für sie gefunden hatte. „Feurig, Eure Mutter! Wie sagt man doch? "Das Heilkraut fällt nicht weit vom Schleim"!“ „Wie schön für Euch, dass Ihr das auf die leichte Schulter zu nehmen wisst. Und danke. Das ist bereits das zweite Mal, dass Ihr mich aus einer wirklich brenzligen Situation gerettet habt. Was habt Ihr nun mit mir vor, mein namenloser Held?“ „Heute Nacht ist es mir nicht gestattet, Euch ferner zu entführen als die Hände Eurer Mutter reichen. Aber bis die Sonne sich über die Gipfel der Berge erhebt und jedweden Schatten vertreibt, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch von verweinten Träumen abzulenken.“ Das hier ist der Traum, dachte Jessica. Sie verdrängte keineswegs, dass die Gesellschaft der Schwarzen Maske vorübergehend war – ein Abenteuer, von dem ihr nicht mehr bleiben würde denn die Sehnsucht, es würde sich wiederholen, sobald sie aus ihm erwachte, schlimmstenfalls im Ehebett neben ihrem ganz persönlichen Dhoulmagus. Wenn der Traum einen mit offenen Armen empfängt, fällt es schwer, der Realität treu zu bleiben. Doch niemand vermochte ihr zu versichern, dass, wenn sie sich ihnen entgegenwarf, sie nicht verdunsten würden, so wie auch Wolken nicht zu greifen sind. „Welche Gegenleistung erwartet Ihr? Damit das gleich klar ist: Ich verfüge über die Regeln.“ „Was macht das schon? Ich denke, dass wir beide dasselbe wollen.“ „Seid Euch da nicht zu sicher, mein Lieber.“ „Ihr seid reserviert, weil Ihr nicht in meine Augen schauen könnt, habe ich Recht?“ „Wer weiß? Nehmt Eure Maske ab und entdeckt, ob sich etwas ändert.“ „Ihr mögt wohl keine Geheimnisse.“ „Nicht, wenn ich die Ahnungslose bin.“ „Ich halte Euch nicht auf, wenn Ihr sie mir abnehmen wollt. Nur sie mir selbst entfernen – das werde ich nicht tun.“ „Ihr macht ein großes Theater aus Eurer Gesichtsbedeckung, das müsst Ihr zugeben.“ „Und Ihr müsst zugeben, dass es mehr ist denn ein Stück Stoff, über das wir hier sprechen.“ Da gab sie ihm Recht: Einmal der Maske entledigt, wäre der Zauber unwiderruflich gebrochen und er ein Mann wie jeder andere auch. Er würde zur Person werden und damit jede seiner Handlungen persönlich. „Wenn ich abwarte, mich zu entscheiden?“ „Überlegt Ihr zu lange, wird Euch der unaufhaltsame Lauf der Zeit die Entscheidung aus der Hand nehmen. Die Nacht kennt ein Ende, und an dieses gekommen, müssen wir beide dorthin zurückkehren, wo uns das Schicksal zu finden verlangt.“ „Ich lasse mir nichts nehmen. Auch von der Zeit nicht. Bevor unsere Stunde schlägt, werde ich mich entschieden haben.“ Er bot ihr seine Hand an. „Ich bin gespannt auf das Ergebnis, wenngleich ich mir wünsche, dass jener Augenblick, da die besagte Stunde schlägt, in der fernen Ewigkeit versunken bleiben möge.“ Musik setzte ein, und sie drehten sich im Tanz. Die Schwarze Maske war geschickt darin, ihr unauffällig zu offerieren, sich fallen zu lassen, doch er unterschätzte sie. Nie lieferte sie sich ihm ganz aus, balancierte wagemutig auf der Schwelle zwischen vermeintlicher Hingabe und entschiedenem Widerstand. „Verzeiht mir die forsche Frage, aber es interessiert mich zu brennend, als dass ich sie ungestellt lassen könnte: Gab es jemals einen Mann, der in Euer Herz vorgedrungen ist?“ „Nein. Niemanden“, antwortete sie und löste sich von ihm bis auf die Finger, um einen weiten Kreis zu ziehen. Er nahm sie wieder entgegen. „Wie kommt das? Die Männer müssen Euch wie hungrige Hunde hinterherlaufen!“ „Und eben deshalb bevorzuge ich es, allein zu bleiben.“ Sie trennte den Kontakt von einem seiner Samthandschuhe und drehte sich um ein Viertel von ihm. „Ist es das, worauf Ihr abzielt? Eine feste Bindung?“ Er hatte geschwind reagiert, sich ebenfalls von ihr gewandt und tanzte so im Einklang mit ihr einige Schritte vorwärts. „Bin ich in Euren Augen ebenfalls bloß ein hungriger Hund?“ „In Anbetracht dessen, was ich nicht von Euch weiß, würde ich Euch zumindest nicht über einen Zwinger hinaus an mich heranlassen.“ Er brachte sie in eine Drehung, an deren Ende er sie an sich zog. Rechtzeitig stützte sie die Hände gegen seine Brust, um den Abstand zu wahren. „Mein Gesicht nicht zu kennen bedeutet nicht, dass Ihr nicht bereits mich persönlich erfahren habt.“ „Hinter dem Schutz Eurer Maske gebt Ihr vor zu sein, was Ihr nicht seid. Mit Euch kaufe ich die Knastkatze im Sack.“ „Stelle ich eine Gefahr für Euch dar?“ „Ich werde nicht zulassen, dass es soweit kommt.“ „Dann stehen meine Chancen offenbar schlecht.“ „Eure Chancen auf eine feste Beziehung, meint Ihr?“ Hinter der mysteriösen Maske steckte eben doch nur ein Mann. Eine anschwellende Unruhe am Ende des Saales lenkte ihre Blicke voneinander ab. Das harmonische Potpourri regenbogenfarbiger Röcke stob zu den Seiten. Auf dem Teppich des ihn bereits verratenden Gemurmels erwuchs – stolz wie ein Steinwächter, ohne dabei das winzigste Fünkchen Hochmut auszustrahlen – Argonias König zwischen ihnen. Die Krone edelte sein Haupt, in deren Zacken Argonherzen blitzten. Hinter ihm trippelte sein drolliger Kanzler einher, Lorenzos Vater. Da sein die Gäste begrüßender Blick Jessica begegnete, ermunterte König Clavius die ihn Umringenden, sich zu entspannen, und trat aus ihnen auf sie zu. „Miss Albert! Es erfüllt mich mit Freude, zu sehen, dass Eure Familie meiner Einladung nachgekommen ist.“ Jessica vollführte einen Knicks. „Nicht doch, Eure Majestät. Es ist an uns, Euch für die Einladung zu danken.“ „Ist denn der gute Lorenzo nicht an Eurer Seite? Sofern ich im Bilde bin, seid Ihr mit dem Sohn meines Kanzlers verlobt.“ „Seit ich mich erinnern kann, Majestät“, antwortete sie mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie auf etwas eigenartig Hartes im Brot gebissen. So, wie sie der Kanzler fixierte, erwartete sie, ihm würden jeden Moment kleine Dolche aus den Pupillen wachsen. „Der Verlobte ist aktuell mit meiner Mutter unterwegs. Ich habe sie aus den Augen verloren.“ Es war der Blick einer Säbelzahnkatze, der sich an eine Beute heftet, um die zu fangen sie viel zu fett ist. „Und kaum ist der Künftige abgehängt, hat sie sich schon einen Fiancé geangelt!“ Die unter dem Kinn des Königs Angeklagte schenkte dem genuschelten Fluch Gelegenheit, ihn nicht verstanden zu haben. Dies war weder der Ort noch die Zeit, um eine Diskussion mit dem ballonförmigen Suffix des Monarchen vom Zaun zu brechen. Auch König Clavius erwies sich als gewillt, dieser Thematik ein Ende zu setzen: „In Kürze wird das Festmahl zu Tisch gebracht. Kanzler, kümmert Euch um die Ordnung. Ich wünsche, dass Eure Mutter und Ihr es ebenso genießen werdet wie die gegenwärtige Unterhaltung – mit oder ohne den Verlobten.“ „Ihr beschämt mich, Majestät. Wir sind ein unbedeutendes Geschlecht aus einer kleinen Ortschaft und bereits genügend geehrt durch Eure persönliche Einladung.“ Der hochgewachsene Herrscher zwinkerte ihr zu. „Seit zwei Monaten hält der Friede wieder Einzug in unsere Länder, und ich habe mitnichten vergessen, wem dies zu verdanken ist.“ Da fiel ihr etwas ein: „Werden die anderen etwa auch hier sein?“ „Ihr sprecht von Euren Gefährten? Ich bedaure, aber Trodain benötigt seine Regierung und seinen Helden jetzt während des Wiederaufbaus. Wir sollten verständnisvoll sein – das Land hat eine schwierige Zeit hinter sich.“ Fürwahr – sie war des Reiches des verwunschenen Königs selbst ansichtig geworden. Was Dhoulmagus, Rhapthornes nicht ganz freiwilliger Untertan, aus dem Märchenschloss gemacht hatte, war erschreckend. Eine einzige Verbildlichung seiner Machtbesessenheit. Und dennoch vermochte sie nicht abzustreiten, ein klein wenig Mitleid für den Hofnarren zu empfinden, seit sie selbst unter dem Einfluss von Rhapthornes Zepter gestanden hatte. „Womöglich ist es erst einmal besser so“, fügte König Clavius seinen Worten hinzu. „Mein Sohn, Prinz Charmels, ist auf einige von ihnen überaus schlecht zu sprechen. Eine tragische Tatsache, ist er doch mit der trodainischen Prinzessin verlobt.“ Göttin, dachte Jessica, Prinzessin Medea ist nicht zu beneiden. Wenn sie sich zwischen Prinz Schamlos und Lorenzo entscheiden müsste… Nein – daran wollte sie nicht einmal denken! „Wo ist er überhaupt, Majestät, Euer Sohn? Er ist mir seit unserer Ankunft kein einziges Mal über den Weg gelaufen.“ Vielleicht war er ja schwer erkrankt – ein richtig fieser Schnupfen! Als las er ihren Gedanken, spannten sich die Falten zwischen den groben Zügen des argonischen Oberhauptes. „Warum fragt Ihr? Von Eurer Seite bemerke ich ja ebenfalls keine überschwängliche Sympathie für meinen Jungen.“ Sie fühlte sich ertappt. Wie unausstehlich der Prinz auch war – seinen Vater respektierte sie sehr. „Ich bitte ehrlich um Entschuldigung, Eure Majestät. Ich wollte auf keinen Fall überheblich sein.“ Frappanterweise öffnete sich Clavius’ Antlitz in etwas wie Verwirrung. „Nein! Nein. Entschuldigt mich. Eure Frage ist berechtigt. Es ist nur… Mein Sohn ist derzeit sehr unpässlich. Er ist erkrankt.“ Ein Gefühl fuhr durch sie, als hätte sie sich den Musikantenknochen gestoßen. „Das ist ja…! Es tut mir sehr Leid für Euch, Majestät.“ „Genug der Entschuldigungen!“, sprach er feierlich. „Auch dem Edelmann Yangus gedachte ich eine Einladung zukommen zu lassen, jedoch war sein aktueller Aufenthaltsort nicht zu ermitteln. Das ist sicherlich schade für Euch. Ich weiß, dass Ihr Eure Freunde gerne wiedergesehen hättet.“ „Macht Euch darum bloß keine Sorgen, Majestät.“ Innerlich musste sie über den "Edelmann" Yangus schmunzeln, aber tatsächlich hatte der liebenswürdige Bandit weitaus mehr von einem Edelmann als Lorenzo jemals haben würde. Halt! Er war ja gar kein Bandit mehr! Yangus und die Rote Elster betrieben gemeinsam einen Handel, mit dem sie um die Welt zogen. Das war das Letzte, was sie von den beiden gehört hatte. „Jessica!“ Die ihr merkwürdig vertraute, gleichwohl fern anmutende Stimme ließ sie herumwirbeln. Da war die schwarze Maske, deren Träger wie verschwunden geschwiegen hatte. Da sie der Richtung ihrer Höhlen folgte, nahm sie ihre sich durch die Menge kämmende Mutter zur Kenntnis. „JESSICAHAA? Wir verlassen diese Veranstaltung! Lorenzo fühlt sich hier nicht wohl, es ist ihm zu stickig! Komm, wir begleiten ihn zu seinem Anwesen! Augenblicklich!“ Der Beschworenen schwante plötzlich, dass sie jede Sekunde aus dem Traum gerissen werden würde, auf dessen Ende sie noch nicht vorbereitet war. Sie suchte den Kontakt der himmelblauen Augen, sah jedoch in eine bodenlose Schwärze, und das Himmelblau war verlustig gegangen, als wäre auf einen Schlag die Nacht über es hereingebrochen. Er wandte sich ab von ihr, und müßige Schritte vergrößerten die Entfernung. „Vergeudet Eure kostbare Zeit nicht darauf, dem letzten Tagesstreifen nachzuschauen.“ Er hatte ihr eine Chance offeriert. „Jessica! Steh da nicht herum!“ Zugleich hatte er sie gewarnt. „Rafft Eure Kleider und folgt ihm, so schnell Ihr könnt.“ Loslaufen bedeutet stets auch, etwas zurückzulassen. Aber würde sie nicht, wenn sie stehen blieb, das Wichtigste verlieren: Sich selbst? „Jessica! Wo willst du hin?!“ Er drehte sich um, als er ihre Absätze vernahm. Sie streckte den Arm aus; der Mund – jener Mund, den sie ungeküsst gelassen hatte – öffnete sich, doch ehe ein Wort daraus rutschte, riss sie ihm die Maske herunter. Es war, als risse sie einen Vorhang von der Bühne, hinter welchem sich die Schauspieler gerade erschöpft umkleiden. Ihre Kraft fegte auch den breitkrempigen Federhut von seinem Haupt, und milchige Haarsträhnen gelangten über strahlend blauen Augen zum Vorschein. Sie konnte es nicht glauben. Nicht, dass es unmöglich war. Aber genau dafür hatte sie es gehalten. Mit dem fallenden Vorhang erkannte Jessica, wie nahe ihre Hoffnungen dem Verwelken gewesen waren. Die Maske! Ein Stück Stoff als dämmeriger Pfad aus ihrem Verlies. Und sie hatte entschieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)