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Glück

von

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Glück

Der Wind wehte die schmalen Vorhänge vor der geöffneten Luke auseinander und wehte die klare, kühle Luft des Mid Ocean in das Zimmer des jungen Mannes.

Ramirez nahm sich einen Moment Zeit ehe er die nächste Seite des Buches in seinen Händen umblätterte und sog die Brise fast schon genießerisch ein.

Obwohl er sich nun bereits einige Wochen auf Arcardia befand, hatte diese Welt noch nichts von ihrem neuartigen Zauber für ihn verloren.

Dieser Planet schien im Gegensatz zum Silver Shrine regelrecht mit Leben überquellen und dies beschränkte sich nicht nur auf Menschen und Tiere.

Selbst zwischen den Seiten des dicken Wälzers vor ihm konnte er mit jedem knisternden Seitenschlag eine andere Geschichte zwischen den gedruckten Buchstaben lesen. Vorbesitzer hatten ihre Spuren auf dem Pergament hinterlassen, sichtbare wie unsichtbare und erzählten von der Vergangenheit des Buches.

Es war kein Vergleich zu dem uralten Atlanten, der in seinem Raum im Schrein lag und bei dem er mit jedem Umblättern befürchten musste, dass die Seiten unter seinen Händen brachen und zu Staub zerfielen. Und wenngleich auch zwischen seinen abgenutzten Deckeln eine ungeschriebene Geschichte wohnte, war es doch nur die eines kleinen Jungen, der die Sehnsucht nach den Weiten des Himmels im Herzen trug, und diese kannte Ramirez schon zu genüge.

Es war seine eigene.
 

Wenn er jedoch auf die Seiten direkt vor ihm blickte, dann...
 

Das Quietschen der sich öffnenden Eisentür zu seinem Zimmer riss ihn aus den Gedanken und ließ ihn von seiner Lektüre aufsehen.
 

„Als wenn ich es nicht geahnt hätte...“, begrüßte ihn sein Gast mit einem Kopfschütteln und einem schiefen Lächeln, die beiderlei eine gewisse Resignation wiederfanden.
 

„Hallo Doktor“, erwiderte der junge Kadett dem braunhaarigen Mann im Arztkittel und legte das Buch auf den Schreibtisch. „Was ist? Will Admiral Mendosa mich sehen?“
 

Sein Gegenüber fuhr sich fast schon ratlos mit der Hand durch den kurzen Schopf.
 

„Eigentlich wollte ich nur sicherstellen, dass du genug frische Luft bekommst.“
 

Die hellen Augenbrauen des Silviters schoben sich verwirrt nach oben.
 

„Es ist ein herrlicher Tag, Ramirez. Komm ein wenig mit auf Deck.“
 

Ein ertapptes Lächeln schlich sich auf die Züge des Kadetten.
 

„Entschuldige. Die Bücher sind alle so interessant, dass ich beim Lesen regelmäßig alles andere um mich herum vergesse.“
 

„Du bist der erste, den ich das über die Bücher valuanischer Militärgeschichte hören sage. Normalerweise stöhnen die Rekruten immer, wenn es zu diesem Teil der Ausbildung kommt“, erwiderte Doc, obwohl sie beide wussten, dass Ramirez ohnehin nicht an Maßstäben zu messen war, auf welche die Bezeichnung normal zutraf.
 

„Ich komme später nach, in Ordnung?“ fragte er den jungen Schiffsarzt, welcher daraufhin siegessicher grinste.
 

„Ich bin nicht der einzige, der denkt, dass dir etwas Sonne gut tun würde.“
 

Der Silviter musterte den Valuaner mit leichter Verwirrung, bis sein Blick auf das knapp dreijährige Mädchen fiel, welches sich an Docs Kittelzipfel klammerte und schüchtern hinter dem braunhaarigen Mann hervorlugte.

Ihre blonde Lockenpracht war in zwei Zöpfen mit großen Schleifen gebändigt und ihre saphirblauen Iriden verrieten eine gewisse Scheu – die jedoch nur so lange andauerte, bis sie bemerkte, dass Ramirez sie seinerseits beobachte.

Sie stieß sich Docs Beinen ab und kam mit kleinen, raschen Schritten auf den Kadetten zugetrippelt.
 

„Maria!“ stellte Ramirez mit einer Mischung aus Freude und Erstaunen fest und wurde prompt zurückgegrüßt.

„’mirez!“ rief sie und streckte ihre kurzen Ärmchen nach ihm aus. Der aschblonde Mann verstand den Hinweis und hob sie auf seinen Schoß, wo sie sich mit einem vergnügten Quietschen und einem durchaus zufriedenen Gesichtsausdruck nieder ließ.
 

Ein nostalgischer Ausdruck legte sich auf Ramirez Züge, wenn er daran dachte, dass es noch gar nicht so viele Jahre her war, dass er dies auch mit Fina getan hatte – auch wenn er damals selbst fast noch ein Kind gewesen war.
 

„’mirez! Dhabu!“ forderte die jüngere der beiden Töchter des Admirals und der Silviter brauchte nicht lange um zu erraten, bei wem sie sich diesen Befehlston abgeschaut hatte. Sie würde ihrem Vater sicher einmal eine würdige Nachfolgerin sein.
 

Das hieß, wenn sie überhaupt ... während er aufstand und Maria auf seine Schultern hob, schweiften Ramirez Gedanken einmal mehr ab, hin zu den Worten von Elder Prime... zu Moon Crystals, den Gigas ... dem Rain of Destruction und dem törichten Volk, das unter dem Licht des Yellow Moon lebte ...der junge Mann hatte seine Aufgabe nicht vergessen und auch wenn es anfangs wirklich so gewesen war, dass er den Umstand, auf einem valuanischen Flaggschiff gestrandet zu sein wirklich dafür hatte nutzen wollen, mehr über seinen vermeintlichen Feind in Erfahrung bringen zu können... so keimten doch immer mehr Zweifel gegenüber dem Urteil der Ältesten des Silviterschreins auf.

Er dachte an Mendosas erheiterten Ausbruch, als Ramirez ihn bei einem ersten Kräftemessen innerhalb von Sekunden besiegt hatte ... an Doc, der ihm bereits während ihrer ersten Begegnung sein Vertrauen geschenkt hatte, obwohl ihm der Silviter bis heute seine Herkunft verschwieg ... die Freundlichkeit der Menschen auf diesem Schiff und den umliegenden Häfen ...

Ramirez konnte nicht anders der Überzeugung zu sein, dass die Elders sich geirrt hatten ... haben mussten. Dies konnten keinesfalls die Menschen sein, deren Auslöschung seine Obrigkeit so kaltblütig angeordnet hatte.
 

Ein glockenhelles Lachen erfüllte den Raum, als der Rekrut damit begann, den tiefen Ruf der Wüstenreittiere nachzuahmen und das kleine Mädchen auf seinen Schultern glücklich vor- und zurückwippte.

„Weiter! Weiter!“ jubelte sie und Ramirez bemerkte, wie die düsteren Gedanken in den Hintergrund traten und sich selbst ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht schlich.

Er blickte zu Doc, der ihm zuvorkommend die Tür aufhielt und beschloss, das Grübeln für heute gut sein zu lassen.

Sein Freund hatte recht. Etwas Sonne tat ihm vielleicht wirklich ganz gut.
 

Doc hatte nicht untertrieben als er gesagt hatte, dass es ein herrlicher Tag sei.

Der Himmel über ihnen war von einem makellosen Blau und das Wolkenmeer unter ihnen schien endlos. Der Wind, der aus Richtung des Silver Ocean zu ihnen herüber wehte, roch nach Freiheit und war angenehm kühl, sodass Ramirez trotz der dunklen Uniform nicht im wärmenden Sonnenlicht schwitze.

Der Silviter starrte gedankenverloren in die Weite vor ihm, während er mit dem Schiffsarzt an der Reling der Aquila stand. Maria spielte irgendwo am anderen Ende des Decks mit Piastol, welche vorhin zufällig vorbeigekommen war und den jungen Mann von seinen mehr oder minder unfreiwilligen Dienst als Kindermädchen befreit hatte.

Als er behauptet hatte, die Bücher würden ihn interessieren, hatte er nicht gelogen. Sie waren nach dem einzigen Buch, welches er im Silver Shrine besessen hatte und von dem er jedes Wort auswendig kannte, wie ein unendlicher Quell des Wissens.

Aber über seine Lektüre hatte er beinah vergessen, dass diese Welt, über die er so eifrig las, jetzt auch tatsächlich für ihn greifbar war, so er denn nur die Tür öffnete.

Im Schrein hatte es kein Wind und Wetter gegeben, doch hier spürte er die Elemente direkt auf seiner Haut und es war ein wunderbares Gefühl.
 

„Danke, Doktor.“
 

„Doc.“
 

„Doktor.“
 

Der braunhaarige Schiffsarzt seufzte schicksalsergeben, als sich sein Freund weigerte, den Namen für ihn anzunehmen, den eigentlich alle auf dem Luftschiff benutzen.
 

„Nun, ich weiß zwar nicht genau wofür, aber bitte“, erwiderte Doc schließlich.

Das Lächeln, welches daraufhin Ramirez Mundwinkel kräuselte, sank jedoch wieder, als der seinen Gegenüber mit einem kritischen Stirnrunzeln den Himmel beobachten sah.
 

„Was ist los?“ fragte der Silviter.
 

„Die Wolken da hinten“, kommentierte der Valuaner und deutete auf eine schnell wachsende, dunkle Front am Horizont hinter dem Kadetten, die vor wenigen Minuten noch nicht da gewesen war.

„Das sieht verdammt nach einem Platzregen aus.“
 

Doc kratzte sich am Kopf.

„Da schaffe ich es einmal, dich aus deinem Zimmer zu bekommen und dann sowas...“
 

„Regen?“ entgegnete Ramirez und konnte die Neugier in seiner Stimme kaum unterdrücken. Sein Herz schlug aufgeregt wie das eines kleinen Jungen, während er auf das rasch näherkommende Grau blickte.

Er hatte zwar schon viel über dieses Wetterphänomen gelesen, aber seitdem er hier war noch keinen Schauer selbst miterlebt.
 

„Ja. Komm, stellen wir uns unter bevor wir nass werden“, erwiderte sein Gegenüber und kaum, dass er ausgesprochen hatte, begann er von Deck zu laufen.

An der Tür angelangt blieb er stehen und sah zurück zu Ramirez, der immer noch unverändert an der gleichen Stelle stand.
 

„Wo bleibst du denn?“ rief er, doch der Silviter schüttelte lediglich den Kopf und richtete dann seine tiefgrünen Iriden dann wieder in freudiger Erwartung auf die sich verdichtende Wolkendecke.

Etwas Feuchtes tropfte auf seine Nasenspitze, dann traf eine weitere, nasse Kugel seine Wange und perlte seine blasse Haut hinunter.

Den vereinzelten Vorboten folgte schließlich eine wahre Armee aus Tropfen, die sich prasselnd über das stählerne Deck ergoss.

Ramirez schloss die Augen und lauschte dem metallischem Klang, der ihren Aufschlag begleitete. Er spürte den Wind ihm den Regen und das feuchte Silberhaar ins Gesicht wehen und eine angenehme Wärme sich in seiner Brust ausbreiten.

Er war glücklich.

Der junge Mann lächelte in den Sturm hinein, schmeckte feuchten Perlen auf seinen Lippen und lächelte noch ein wenig mehr.

Für die anderen Leute hier an Bord mochte der Schauer nichts besonderes sein, aber für den Silviter war es die Erfüllung eines weiteren kleinen Wunsches auf einer langen Liste von Wünschen, die ein kleiner Junge einst erdacht hatte, während er in seinem Zimmer gesessen und Luftschiffmodelle gebaut hatte.
 

So schnell wie die Wolken gekommen waren, so zogen sie auch wieder vorüber und die Sonne brach in breiten, goldenen Strahlen durch das Grau der Himmelsgebilde. Der Geruch von nassem Stahl vermischte sich mit einem dem Aroma feuchter Erde, welches von den umliegenden Inseln aufstieg.

Myriaden kleiner Wassertropfen, die sich auf ein jedes Ding gelegt hatten, welches ihnen ausgesetzt gewesen war, brachen das Sonnenlicht vielfach in sich und ließen die Farben der Umgebung mit einer Intensität erstrahlen, als hätte ein Meisterkünstler ein Bild aus reinem Pigment gezeichnet.

Aber das wohl größte Wunderwerk thronte über all dem – ein buntes, schimmerndes Band, welches sich durchscheinend wie fein gewobene Seide in einem leichten Schwung gegen Wolken und Himmel abhob.

Selten hatte Ramirez etwas von so einzigartiger Schönheit gesehen, wenngleich er nicht sagen konnte, auf was seine smaragdfarbenen Iriden dort schauten. Seine Bücher hatten es im bisher nicht verraten wollen.
 

Er hörte Schritte über die ehernen Planken auf ihn zukommen und kurz darauf Docs Stimme neben sich.

„Manchmal möchte ich wirklich wissen, was in deinem Kopf vorgeht.“

Der Silviter löste seine Augen von dem leuchtenden Bogen und drehte den Kopf zu seinem Freund, der ihm wortlos ein weißes Handtuch entgegenhielt.

Mit einem dankbaren Nicken nahm er es entgegen und fuhr sich mit dem flauschigen Stoff durch die weißblonden, feuchten Strähnen.
 

„Oh, sieh an. Ein Regenbogen“, kommentierte Doc mit einem Blick auf den Himmel.
 

„Ein Regenbogen?“ fragte Ramirez, sich einmal mehr bewusst werdend, wie wenig er immer noch über diese Welt wusste.
 

„Du fragst wie jemand, der noch niemals einen gesehen hat.“
 

Als der Rekrut den fragenden Seelenspiegeln des jungen Arztes auswich, hörte er ein fast schon fassungsloses Ausatmen.
 

„Du bist wirklich unglaublich, Ramirez.“
 

Sich dieses Mal eine Bemerkung über die offensichtlich sehr behütete Kindheit seines Freundes verkneifend, nahm Doc die Umstände als solche an und warf einen weiteren Blick auf den Regenbogen.
 

„Aber das ist gut. Ein Regenbogen ist er immer ein gutes Zeichen.“
 

„Für was?“
 

Doc zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand über den kurzen Schopf.
 

„Unterschiedlich. Schwer zu sagen, was es diesmal ist. Die Zukunft vielleicht?“, mutmaßte er und ließ damit Ramirez Augen ebenfalls auf das schimmernde Band zwischen den Wolken zurückkehren.

Der Silviter lächelte.
 

Es war ein schöner, glücklicher Gedanke. Ein gutes Zeichen für die Zukunft.

Ja, daran mochte er glauben.
 

Es würde alles gut werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Elayla
2013-12-13T00:18:50+00:00 13.12.2013 01:18
So ich weiß die FF ist schon etwas älter, aber das ist das Spiel ja auch ^^ Finde ich sehr gut geschrieben ^^ Auch wenn ich nur die Version der Dreamcast kenne und nicht die der Gamecube. Von daher kenne ich die Vergangenheit von Ramirez nicht ^^; Skies of Arcadia spiele ich heute noch gerne auf meiner guten alten Dreamcast ^^


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