Durch die Nacht von irish_shamrock (Wege, die sich kreuzen) ================================================================================ Kapitel 1: Durch die Nacht ~ Wege, die sich kreuzen --------------------------------------------------- Durch die Nacht Wege, die sich kreuzen »Alle Frauen warten auf den Mann ihres Lebens, aber in der Zwischenzeit heiraten sie.« I r i s B e r b e n [ღ] Dieser Kampf ist nicht dein Kampf!« Ein tiefes, bedrohendes Knurren entkam seiner Kehle. »Deiner ist es ebenso wenig«, konterte ich trotzig, verschränkte die Arme vor der Brust und missachtete seinen Versuch, protestierend die Augen zu verdrehen. »Aber ich kämpfe für meine Freunde!« Aus dem Knurren wurde augenblicklich ein Fauchen. »Und ich für meine Schwester.«, meine Stimme stieg um einige Oktaven, sodass ich beinahe hysterisch klang, doch ich scherte mich nicht um diesen Zustand. »Für ihre Familie und ihre Freunde, die auch deine Freunde sind.« »Runter!«, brüllte er auf, warf sich auf mich und bedeckte meinen kleinen, zitternden Leib mit seinem schweren Körper. »Das ist absurd. Du kannst ja nicht mal zaubern!« Seine Offenheit und das Offensichtliche schlugen auf mich ein wie der Fluch, der meinen Kopf um nur wenige Zentimeter verfehlt hatte, und streckten mich nieder. Ich war bewegungsunfähig unter der Masse, die mich begrub, und doch kroch Wut in mir hoch wie Gift. Ich war genauso fähig und talentiert wie meine Schwester Fleur, wenngleich mein Alter diesem Szenario etwas im Wege stand. »Gabrielle!« Es war nicht Viktors Stimme, die mich zusammenzucken ließ, sondern der beinahe erstickte Schrei meiner Schwester, der meinen Verstand in einen Wirbel aus Farben und Lichtern zerrte. [ღ] Diese Nacht, die so viele Jahre in der Vergangenheit lag, schlich sich noch immer in meine Träume, nistete sich in meine Gedanken ein und weigerte sich, den Platz zu räumen für etwaige, schönere Erinnerungen. Mein Kopf schmerzte, denn erneut wurden meine Träume entzwei gerissen. Dunkelheit umfing mich wie ein schwerer Schleier. Das Einzige, das mir geblieben war, schien der Druck zu sein, den sein Körper auf mich ausgeübt hatte, in jenen düsteren Stunden des Krieges. Ich war jung, noch ein Kind, und in Wahrheit hatte ich zwar den Wunsch, ebenso viel Potenzial zu besitzen, wie es meiner Schwester zu eigen war, doch in der Realität hätte das Spektakel böse, finster und tödlich enden können. Tief Luft holend setzte ich mich aus dem großen Bett auf. Schweiß lief mir den Rücken hinab und auch mein Gesicht war getränkt, als wäre ich eine Meile innerhalb von wenigen Minuten gelaufen. Das Nachthemd klebte an meinem Körper wie eine zweite Haut. Ich war es leid, nahezu jede dritte Nacht diesen Kampf auszufechten, schweißgebadet aufzuschrecken und mich dann aus dem Bett quälend ins Badezimmer zu schleppen und die Angst und Furcht von mir zu waschen, in der Hoffnung, dass ich wenigstens ein paar Stunden Frieden und Ruhe finden würde. Widerwillig ließ ich meine Füße auf den weichen Teppich sinken. Meine Zehen verkrallten sich noch ein letztes Mal in den flauschigen Belag, ehe ich murrend und tapsig durch die Dunkelheit in Richtung Bad watete. Ich hasste das Licht der Halogenlampe, die am Spiegelschrank angebracht worden war und munter und fröhlich vor sich hin schien, nicht ahnend, dass mir ihre Fröhlichkeit zum Halse heraushing. Das triefende Shirt landete im Wäschekorb und als ich die Türen der Dusche aufschob, erfasste mich Erleichterung. Abgekühlt und zufriedener als ich sein sollte, krabbelte ich wieder ins Bett und wartete auf die Müdigkeit, die mich aber nicht mehr erreichte. [ღ] »Trink nicht so viel!« Vertraute Stimme, missverständliche Worte. Ich war in meinem zweiten Jahr zur Ausbildung als Heilerin im britischen, und magischen St. Mungo Hospital. Vor wenigen Stunden hatte ich meine Zwischenprüfung hinter mich gebracht und feierte nun mit ein paar Freunden in einer kleinen Bar am Stadtrand, bevor wir uns am frühen Morgen wieder zurück ins Wohnheim begeben mussten. London war so anders als Paris. Die französische Leichtigkeit, der Kitsch, der stets durch die Straßen und Gassen der Hauptstadt wehte und die vielen, schillernden Farben gab es hier nicht. Hier, in London, war alles schwerer, gedämpfter aber dennoch irgendwie verrückt. Aber es war aufregend, belebend und es machte Spaß! Mittlerweile hatte sich vieles in meinem Leben verändert. Jetzt, mit 19 Jahren, einer halben Ausbildung und einem Talent zur Aufspürung von Gefühlen (was bei meinem Studium von Vorteil war), war es mir gelungen, meine Fähigkeiten dort einzusetzen, wo sie von Nutzen waren. Im magischen Alter von dreizehn hatte sich bei mir diese Begabung gezeigt und Maman und Papa waren zwar nicht gerade begeistert von meinem Vorhaben gewesen, in London ein Studium zu beginnen, schließlich hatten sie bereits eine Tochter an dieses Land verloren. Doch in Frankreich gab es solch Institutionen nicht, in denen ich den richtigen Schliff und die nötige Form erhalten hätte. Widerwillig hatten sie akzeptiert, dass das jüngste Vögelchen flügge wurde. Meine Schulzeit in Beauxbaton war friedlich, sorglos und ging mir leicht von der Hand. Umso überraschter waren Familie und Freunde, als ich mich entschloss, dem Beispiel Fleurs zu folgen, um in Großbritannien mein berufliches Glück zu finden. Und nun war ich hier, feierte, begoss das gute Ergebnis meiner Prüfung und doch fühlte ich mich beobachtet. Blicke in meinem Rücken, die Brandlöcher in den seidenen Stoff meiner blutroten Bluse gebrannt hätten, wäre derjenige, der mich so interessiert betrachtet hatte, nicht an mich heran getreten. Ich nahm die Flasche Carlsberg von meinen Lippen und blickte verwundert neben mich. Der große, stattliche Mann, der sich auf den Tresen aufstützte, taxierte mich. Faszination und Freude gingen von ihm aus, als er den Anschein erweckte, auf etwas, vielleicht eine Reaktion, zu warten. »Wer hätte gedacht, dass ich dich je wiedersehe.« Ein Lächeln umspielte seinen Mund und die dunklen Augen, die durch die Gläser der Brille ein wenig größer erschienen, strahlten voller Zuversicht. Etwas in der Färbung seiner Stimme verriet mir, dass er kein Engländer war. Ein wenig grob und abgehackt holperten die Worte von seinen Lippen, aber waren sie flüssig und nur an manchen Stellen eine Nuance seltsam klingend. Fragend zog ich die Augenbrauen zusammen. Der Akzent war ein Hauch osteuropäisch und irgendwie vertraut, dennoch überkamen mich Skepsis und Bedenken. »Erkennst du mich nicht?« Nun war er es, der verwundert die dunklen Brauen zusammenkniff und selbst an seinen Fähigkeiten, oder seinem Verstand, zu zweifeln begann. »Ich habe ein gutes Gedächtnis!« Seine Selbstbestätigung kam mir recht eigenartig vor, also lächelte ich zögernd. »Du bist doch Gabrielle Delacour?« Die Bierflasche in meiner Hand begann gefährlich zu wackeln. Meine Hand zitterte, als ich meinem Gegenüber in die dunklen Augen sah. Ich wollte nicht zustimmen, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Stattdessen nickte ich und auch meine Lippen verfingen sich in dem Drang, sich zu einem Grinsen anzuheben. »Wusste ich es doch.« Die plötzlich aufkommende Begeisterung und Freundlichkeit in seiner Stimme waren beinahe entwaffnend. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so viel Ehrlichkeit und Erleichterung ausstrahlte. Der Mann mit dem ernsten Gesicht schien plötzlich von so viel Zuversicht und Vertrauen gepackt, dass die finster dreinblickende Miene verschwand. Und da, endlich, regte sich etwas in meinem Verstand. »Viktor?« Wie er, hatte auch ich nur noch einen Hauch meines französischen Akzents beibehalten, was sich jedoch rasch änderte, sobald ich heimatlichen Boden betrat. Doch es freute mich, jemanden wiederzusehen, den ich kannte, jemanden, der mich kannte, mich beschützt und gerettet hatte. [ღ] Es war nicht gut, mit offenen Augen in die Finsternis zu starren, während die Gedanken Purzelbäume schlugen und mit schillernden Farben Leuchttafeln beschrieben. Einer der wenigen Momente in meinem Leben, der mich glücklich machte, vertrieb die bösen Erinnerungen der letzten Stunden, die mich nicht ein Auge hatten zukriegen lassen. Nur allzu gern schwelgte ich in diesem Augenblick und ein Kribbeln, ausgehend von meinen Zehen, zog sich unaufhörlich meinen gesamten Körper hinauf. [ღ] Der Druck seiner Finger war stark, dennoch ließ ich mich von ihm durch die dunklen Flure des Wohnheims schieben. Mein Rücken streifte die biederen, beinahe steril wirkenden Wände, während er seine Hände schützend um meine Mitte schlang. Unbeholfen stolperte er mit mir im Arm in das winzige Zimmer, das mir als Wohn- und Schlafstätte diente. Das Badezimmer nebenan musste ich mir mit Shannon Dunnings teilen, doch ich wusste, dass sie noch unterwegs war und höchstwahrscheinlich bei ihrem Freund Mikaél bleiben würde. Mein Zimmer war das Letzte auf dem Gang und in wenigen Stunden musste ich schon wieder meinen Dienst antreten. Das Erstaunen und die Verblüffung waren groß, überwältigend und setzten mich Schachmatt. Wie oft er mich in meinen Träumen besuchte, vermag ich nicht zu beziffern. Seit damals, bei der großen Schlacht um Hogwarts, hatte ich ihn nicht mehr gesehen, doch nie war er vergessen. Und nun stand er vor mir. Groß, athletisch, kämpferisch, draufgängerisch, doch in keiner Weise übertrieben in diesen Eigenschaften. Höfliches Geplänkel über die Lebensverläufe ging einher mit dem Vernichten von teuren Tropfen, die Viktor beisteuerte. Meine Finger verkrampften sich um den Hals der Flasche, als er mir freundlicher Weise ein Glas Wodka anbot. Leicht gekränkt und mit den kräftigen Schultern zuckend, ließ er trotzdem eine Flasche des Fusels an den Tisch bringen, an dem wir saßen. Da es Viktor an der Theke zu laut wurde, bestand er darauf, sich etwas zurückzuziehen, und da ich nicht unhöflich sein wollte, war ich ihm in die kleine Lounge gefolgt, immer noch verblüfft darüber, dass dieses Etablissement über solch eine Ausstattung verfügte. Er berichtete mir, dass er in der Zeit nach dem Krieg ein Studium begonnen, dieses mit Bravur gemeistert hatte und nun Junior-Assistent des Chefredakteurs bei einer berühmten Muggel-Zeitung sei. Aus diesem Grund hatte er ein Sprachtraining absolviert, um den Engländern in so gut wie nichts nachzustehen. Anerkennend über den Verlauf seines Lebens nickte ich und freute mich für ihn, dass er so straff und streng seine Ziele verfolgte. »In ein paar Jahren«, so versicherte er mir, »werde ich meine eigene Zeitung herausbringen!« Dass er viele Talente besaß, nicht zuletzt das Spielen von Quidditch in der Profiliga, überraschte mich kaum, doch das er in Erwägung zog, eigenhändig eine Redaktion zu leiten, verwirrte mich dann doch ein wenig, hatte ich diesen Beruf als letzten für jemanden mit seinen Fähigkeiten vermutet. Viktor Krum war groß, hühnenhaft, kräftig und stark, doch ihn mit einer Feder in der Hand zu sehen, brachte mich zum Kichern. »Lachst du mich aus?« Seine Stimme schlug nun von Begeisterungsstürmen in drohende Gewitter um, doch ich schüttelte den Kopf, sodass meine blonden Locken um meinen Kopf herum schwangen. Ich versicherte ihm, dass dem nicht so sei und er leerte abermals das Whiskey-Glas. Doch die Flüssigkeit im Inneren leuchtete nicht bernsteinfarben, sondern war durchsichtig. Ähnlich wie Wasser, doch besaß sie nicht dessen Leichtigkeit. »Bist du dir sicher, dass du nicht mal probieren möchtest?« Auf seine Worte hin entfloh mir ein zaghaftes Lachen. Widerstrebend griff ich nach dem schweren Gefäß und schüttete den Inhalt meine Kehle hinunter. Ein Schütteln erfasste meinen Körper, doch nach wenigen Augenblicken war das Gefühl, würgen zu müssen, verschwunden. Wie viele Gläser ich hinter mich brachte, nachdem der erste Schock verwunden war, wollte ich nicht wissen. Der Geschmack von teurem Wodka auf der Zunge, der Druck seiner Lippen auf meinem Mund, der Duft des Parfums an seinem Hals, der von seinem College-Pullover herüber wehte und meine Sinne benebelte. Im Rausch zerrte ich an Pullover und Hose. Flinke Finger nestelten an meiner Bluse herum, doch ich war mir sicher, dass er wusste, was er tat. Ob Viktor betrunken war, vermochte ich nicht zu sagen, denn seine Aktionen waren gefasst, sicher und ließen nichts von Trunkenheit erkennen. Kühle umfing mich, als er die Bluse von meinen Armen und meinem Rücken schob. Seine Zunge verweilte weiterhin in meinem Mund, während er mich besitzergreifend an sich presste. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper, die jedoch nicht von der Kälte herrührte. Meine Haut prickelte unter jedem Kuss, jedem Zungenschlag und jedem, leichten Biss, den er auf mich niedergehen ließ. Ich gierte nach seinen Händen, die mich in ekstatische Höhen trieben, verlangte nach seinen Lippen und deren derbem Geschmack, lechzte nach Tönen, die noch nie zuvor an meine Ohren gelangt waren. Viktor Krum war stark, athletisch und selbstsicher und ich schmiegte mich an ihn, als gäbe es keinen Morgen. [ღ] Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich unweigerlich an diese Szenerie zurückdachte. Diese Nacht war außergewöhnlich, neu und erschreckend zugleich. Ich hatte verloren. Ich verlor mich, mein Herz und meine Unschuld an diesen Mann in der Hoffnung, dass dies auf Ewig so blieb. Doch Irren war bekanntlich menschlich. Denn nichts blieb mehr übrig als die Erinnerung, eine Flasche Wodka und eine Packung Kondome, aus der er leise fluchend das Letzte genommen hatte. Ich behielt nichts zurück. Nicht einmal die Gewissheit, dass ich ihn irgendwann wiedersah. So wundervoll diese Nacht auch gewesen sein mochte, der Tag darauf war trüb, düster und ebenso verhängnisvoll. Ohne ein Wort des Abschieds war Viktor meinen Armen entschlüpft. Nicht einmal einen Brief hatte er mir gelassen. Wut und Trotz stiegen mir in heißen Tränen in die Augen und schienen meine Haut zu versengen, wenn ich ihnen freien Lauf ließ. Ich kompensierte meinen Zorn, indem ich mich voll und ganz auf mein Studium konzentrierte, meinen Abschluss, ebenso wie Viktor einst, mit Auszeichnung erhielt und nun als Oberheilerin für Problemfälle zur Verfügung stand. Durch die Gabe der Empathie und der, durch mich eigens entwickelten, Wünschelruten-Technik, erfasste ich Stimmungen und Verletzungen meiner Patienten, ohne sie auch nur untersuchen zu müssen. Schwingungen und Energiefelder genügten, um eine Diagnose zu stellen. Und meine Erfolgsquote sprach, ohne übertrieben klingen zu wollen, für sich. [ღ] »Willst du mich heiraten?« Erschrocken und verblüfft blieb mir der Rest des Filets im Halse stecken. »Liebling? Gabby? Geht es wieder?« Mein Räuspern war mir peinlich, doch ich spürte bereits, wie mir das Blut in die Wangen schoss, während ich mit dem Frosch kämpfte, der sich weigerte, meine Luftröhre zu verlassen. Daniel erhob sich von seinem Platz und hechtete zu mir herüber, um mir behutsam über den Rücken zu streichen. Der adrette, brünette, junge Mann redete beruhigend auf mich ein. Tränen stiegen mir in die Augen, als ich den Drang, mich zu übergeben, erfolgreich niederkämpfte. Doch zweierlei Dinge stießen mir übel auf: Das kleine Stückchen Fleisch in meiner Kehle und Daniels Antrag, der mich wie ein Schlag traf und außer Gefecht setzte. Daniel de Grovan, Oberarzt auf der Station für Fluchschäden, seit anderthalb Jahren mein Freund und wenigen Minuten mein vermeintlicher Verlobter, bedachte mich mit seinem Dackelblick, der wahrlich Butter zum Schmelzen brachte. Benommen, wie ich war, nickte ich und bereute es sofort, war meine Aktion als Antwort auf seine zweite Frage zu verstehen. Doch Daniel, umsichtig und führsorglich, griff bereits in die Tasche seines nachtblauen Jacketts und zog eine kleine, schwarze Schatulle hervor. Er öffnete das Kästchen und in dem Bett aus rotem Samt blickte mir, ebenso wie Daniel, ein Diamantring entgegen. Um dem Ganzen noch das Körnchen aufzusetzen, kniete er sich vor mich hin, griff nach meiner Hand und hielt sie festumschlossen. »Gabrielle Pierrette Delacour, willst du mich heiraten?« [ღ] Mein Kopf schmerzte. In einer solchen Situation konnte ich keine Entscheidung fällen. Sechs Augenpaare waren auf mich gerichtet, als meine Kollegen, zwei Schwestern und ich vor dem Bett des Patienten standen. In drei Wochen sollte ich »Misses de Grovan« werden und die daraus resultierenden Kopfschmerzen schrillten als mir als Warnzeichen entgegen. Ich schloss die Augen, versuchte, etwas zu fühlen, irgendeine Schwingung, ein Signal zu empfangen, doch bei dem älteren Herren und der vorherrschenden Sachlage, gelang es mir nicht, eine eindeutige Diagnose zu stellen. So ordnete ich Bewachung und Antibiotika an und machte mich mit meinem Gefolge auf ins nächste Zimmer, um den nächsten Leidenden zu beurteilen. »Mister Viktor Krum. Wurde von einem Muggelbus frontal erwischt«, flapsig entkamen die Informationen der jungen Schwester im vierten Ausbildungsjahr und mir wäre beinahe das Herz in tausend Stücke zersprungen. Wie man ihn hier her gebracht hatte, ohne dass die Muggel Verdacht schöpften, interessierte mich wenig. Viel zu entsetzt war ich, als ich Viktor dort liegen sah, mit Schürfwunden im markanten Gesicht, die Augen fest geschlossen und dem provisorisch angelegten Kopfverband. »Innere Verletzungen«, spie ich aus, ohne auch nur auf die überraschten Gesichter zu achten. Meine »Fühler« schlugen augenblicklich aus, als ich in das geschundene Antlitz des Mannes blickte und schluckte. Schnell berichtete ich von dem, was ich empfangen hatte, während meine Kollegen bejahend nickten und die Schwestern anwiesen, ihn sofort in die notwendigen Abteilungen zubringen und die ebenso wichtigen Untersuchungen durchzuführen. »Doktor?« Die Stimme der flapsigen Helferin war sanft und Besorgnis schwang darin mit. Dass ich blass wurde, mir jegliche Farbe von den Lippen wich und ich gefährlich schwankte, wurde mir schmerzlich bewusst, als der Boden in Sekundenschnelle näher kam. Ich wollte Viktor nicht sehen. Nicht so und wiedersehen wollte ich ihn ebenso wenig. Dennoch stand ich dort und blickte auf den hühnenhaften Mann herunter, dessen Füße aus dem Krankenbett ragten. Mittlerweile schlugen die Medikamente gut an und auch seine Verletzungen klangen nach und nach ab. Es war beruhigend festzustellen, dass ich ihn in nicht weniger als vier Tagen wieder los wurde. Viktor hatte sich kaum verändert, zumindest, was das Äußere anbelangte, wenn man von den Hämatomen und Prellungen absah. Irgendwo auf der Straße hatte man seine Brille gefunden und das Rettungsteam hatte sie vor wenigen Stunden an uns übersandt. Ebenso wie die restlichen Habseligkeiten, die er mit sich geführt hatte. Portemonnaie, etwas, das aussah wie ein teures Muggel-Telefon und eine Chip-Karte von einem edlen Hotel in Londons Innenstadt. Seine Hände waren unverletzt, wie ich erleichtert aufatmend erkannte und ein dankbares Gefühl erfasste mich. »Gabrielle?« Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich das samtig-klingende, geschmeidig-anschmiegsame »R« in meinem Namen vernahm, das mir die Härchen auf den Armen zu Berge stehen ließ. Nur Viktor vermochte meinen Namen so auszusprechen, dass mir die Knie weich wurden. Hart schluckte ich an dem Kloß in meinem Hals. Wie viel Kraft es ihn kostete, die Lider zu heben, wusste ich nicht. Doch wie viel Kraft es mich kostete, nicht in seine Arme sinken zu wollen, um mich behütet und wohlig warm zu fühlen, das war mir mehr als schmerzlich bewusst. Mein Innerstes fuhr Achterbahn. Gefühle, Empfindungen schrien und brüllten durcheinander. Zorn focht gegen Zuneigung, Wut setzte sich gegen Liebe zur Wehr und mein Verstand stand schweigend und unbeteiligt neben mir. Viktors Versuch, sich aufzurichten, gelang ihm, wie ich verwundert feststellte, gut. Er beschwerte sich über die Fahrmethoden der Muggel und das Verkehrssystem. Mein Blick sollte Gleichgültigkeit ausstrahlen, doch stattdessen war ich erleichtert ihn fluchend und murrend vor mir zu sehen. Er war mein Retter, mein Freund und doch blieb er der Mann, der mich einfach so sitzen und allein zurückgelassen hatte. »Gabrielle.« Wieder begann mein Rücken wohlig zu kribbeln, doch ich zwang mich, diesem Drang, dem Genuss, nicht nachzugeben. »Was ist passiert?« Etwas irritiert über seine Frage legte ich die Stirn in Falten und zog die Augenbrauen zusammen. »Ein Bus hat dich erwischt.«, meinte ich und zuckte etwas verunsichert mit den Schultern. »Nein«, meinte er gedehnt und schüttelte den Kopf. »Mit dir?« »Mit mir?« Verblüffung zeichnete sich auf meinem Gesicht ab, da mir seine Frage absurd erschien. »Ich bin Oberheilerin und verlobt.« Wie aus der Pistole geschossen entkamen mir die Worte. Lieber schnell und schmerzlos, als langgezogen und Wunden aufreißend. »Verlobt?« Das Offensichtliche hatte er wohl kaum übersehen, doch an meiner bevorstehenden Hochzeit würde er zu knabbern haben, ging es mir leicht bitter, aber dennoch voller Genugtuung, durch den Kopf. Viktor sackte das Kinn auf die Brust und er vermied es, mich anzusehen. Doch ich empfing sehr wohl die vielen, verwirrenden Gefühle seinerseits: Wut, Bedauern, Eifersucht, Neid, Enttäuschung Bittere Galle schoss meinen Hals hinauf und verstärkte die Empfindungen, die von ihm ausgingen. »Was hast du denn erwartet?«, meine Stimme war sanft und leise als ich, selbst von mir überrascht, die Frage an ihn richtete. Seine massigen Schultern zuckten kaum merklich, als er den Blick hob. Er forderte mich auf, fortzufahren, doch seine Lippen blieben versiegelt. »Du hast mich einfach zurückgelassen. Ich wusste nicht, wo du warst, was du dachtest.« Dass ich mich nun für seine Taten rechtfertigte, ärgerte mich. »Ich dachte, dass du auf mich wartest«, grollte es seine Kehle hinauf. »Viktor ...« Ungeduld erfasste mich. »Wie lange? Wie lange hätte ich warten sollen? Weder ein Zettel, noch eine Eule oder sonst etwas hast du mir dagelassen.« »Heirate nicht!«, entkam es ihm plötzlich. »Bitte, heirate nicht!« »Viktor!«, knurrte ich ungehalten und empört. »Wie kannst du mich bitten, nicht zu heiraten?« »Gabrielle«, begann er erneut und um einiges energischer. Sein Blick ließ mich ganz klein werden, dennoch strahlte er Bitten und Reue aus. »Du warst mitten in deiner Ausbildung.«, fuhr er fort. »Da wäre ich dir nur ein Klotz am Bein gewesen. Meine Lebensvorstellungen waren nicht kompatibel mit deinen.« »Kompatibel?«, ich konnte nicht verhindern, dass ich hysterisch klang. »Gut, gut. In Ordnung.« Mein Versuch, mich zu beherrschen und meine Fassung wiederzuerlangen, klappte außerordentlich gut. Ich nickte bedächtig und bemühte mich, seine Worte richtig zu verstehen. »Warum? Warum waren unsere Leben nicht kompatibel, und scheinen es jetzt aber zu sein? Warum jetzt? Ich heirate in zweieinhalb Wochen.«, tief durchatmend fuhr ich mir durch die blonden Locken. »Tu' es nicht!«, wich er aus und lenkte den Fokus wieder auf seine Bitte. »Viktor«, knurrte ich. »Du kennst meinen Mann doch gar nicht. Ich liebe ihn.« Meine eigenen Worte klangen wie aus dem Mund einer Fremden. Ich belog mich selbst und saß, ausharrend, in der Hölle, in die ich mich selbst befördert hatte. »Nein, nein. Tust du nicht!«, sagte er entschieden und jede Silbe strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. »Erinnerst du dich an die Fleuers Hochzeit?« Irritiert runzelte ich die Stirn. Zaghaft nickte ich und versuchte, die Gedanken an das Fest wieder aufzufrischen. [ღ] »Tanzt du mit mir?« Es hatte mich viel Überwindung gekostet, den hochgewachsenen, jungen Mann zu bitten, sich mit mir auf der Tanzfläche zu bewegen. Viktor hatte an einem der Tische gesessen und mit seltsamem Blick ein junges Mädchen beobachtet, das grazil übers Parkett schwebte. Ich hatte weiche Knie bekommen, als ich ihn kommen sah und ebenso, als er mir die Hand zur Begrüßung reichte. Vor zwei Jahren, als in Hogwarts das 'Trimagische Turnier' stattfand, hatte er mich bereits in seinen Bann geschlagen. Und von diesem Augenblick an, schienen sich unsere Wege immer wieder zu kreuzen. Als Fleur heiratete, ich ihn um einen Tanz bat und Viktor, wenngleich auch etwas mürrisch dreinblickend, zustimmte, vergaß ich für einen flüchtigen Moment die Angst, den Terror, die Morde und die Gewalt. [ღ] »Du hast mir imponiert.« Seine dunkle Stimme holte mich ins Hier und Jetzt zurück. »Nicht nur, als du mich um einen Tanz gebeten hast, sondern auch, als du für deine Familie und die Menschen kämpfen wolltest, die ihnen wichtig waren.« Seine Zugeständnisse schmeichelten mir, doch ich weigerte mich, mich einlullen zu lassen! Autoritär verschränkte ich die Arme vor der Brust, sodass mein Kittel leicht zu zwicken begann. Ich weigerte mich, zuzugeben, dass ich, trotz meines verletzten Herzens, viel, zu viel für ihn empfand. Ein Klopfen an der Tür ließ mich zusammenfahren. »Ah, hier bist du. Hast du einen Moment, Liebling? Der Florist ist da und möchte die Blumendekoration und deinen Brautstrauß besprechen. Wir hatten ihn doch gebeten, hier her zu kommen, da er uns dann endlich einmal gemeinsam antrifft.« Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht hatte Daniel den Kopf ins Zimmer gesteckt und blickte mich mit liebevollen Augen an. Dann richtete er sein Augenmerk auf Viktor, nickte ihm flüchtig, aber dennoch freundlich zu und wartete darauf, dass ich ihm folgte. Mein letzter Blick galt dem Patienten, ehe ich zu meinem Verlobten hinaus auf den Gang trat. Der Florist, in Begleitung einer jungen, attraktiven Blondine, die eifrig jedes gesprochene Wort auf ihrem Klemmbrett vermerkte, hatte uns über eine Stunde in Beschlag genommen. Als wir uns endlich auf ein Blumen-Arrangement geeinigt hatten, das auf den vielen, runden Tischen verteilt werden sollte, verabschiedete sich Daniel von uns, gab mir einen feuchten Kuss auf die Wange und ließ mich mit Mister Hutcherson und seiner zierlichen Assistentin allein zurück. Die Blondine hielt sich schützend und skeptisch umsehend das Schreibbrett vor die Brust, auf dem das Logo von »Flowers 'n Trash« prangte. Die Frage nach den Blumen, die meinen Brautstrauß schmücken sollten, warf mich etwas aus der Bahn und verunsicherte mich. »Ist der Bräutigam nicht für den Strauß zuständig?«, hakte ich vorsichtig nach und überging den schnaubenden Laut der Blondine, die zum Überfluss auch noch die Augen verdrehte und die bis in die Haarspitzen gestylte Frisur ins Wanken brachte, da sie nur abfällig den Kopf schüttelte. »Junge Frau«, vernahm ich die Stimme des netten, kleinen Herren, »Sie bestimmen noch immer, welches florale Gefüge Sie wünschen.« Mit einem hastigen Nicken in Richtung Assistentin, schlug diese ein kleines Heftchen auf, in dem diverse, infrage kommende Blumen und Blüten abgebildet waren. Ich entschied mich für Wildrosen, Mohnblumen und Adonisröschen. Meinem Wunsch wurde entsprochen, auch wenn Florist, nebst Assistentin etwas verstört und seltsam-schockiert dreinblickten. »Mister de Grovan wird sich dann um alles weitere kümmern.« Endlich hatte ich das Gespräch über und hinter mich gebracht. Ich schluckte schwer bei dem Gedanken daran, dass ich Viktor noch ein Mal gegenübertreten musste. Morgen würde er entlassen werden, doch seine Worte hallten noch immer in meinem Kopf nach. Die letzten Stunden hatte ich damit zugebracht, abkömmlich zu sein, wenn er nach einem Arzt verlangte. Ich hatte schließlich noch andere Patienten, die meine Hilfe benötigten. Doch für seine Genesung und Entlassung war, zu meinem Bedauern, noch immer ich zuständig. Tief holte ich Luft, ehe ich meine Fingerknöchel gegen die Tür fahren ließ, nach der Klinke griff, sie herunter drückte und in das helle, freundlich wirkende Zimmer trat. »Wo willst du hin?« Meine Stimme klang ebenso schockiert wie drohend. Viktor war gerade dabei, die letzten Knöpfe des dunklen Hemds zu schließen, als ich ins Krankenzimmer gestürzt kam. »Wer hat dir gestattet, aufzustehen? Nur ich bin befugt, dich aus diesem Haus zu entlassen, und nicht du als Patient!« Meine vor Zorn geschwängerten Worte schien er kaum zu registrieren. Als er sich zu mir umwandte, waren seine Augen kalt und seine Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander gepresst. »Du weichst mir aus und ich gehe!«, brummte Viktor, kramte in einer Schublade des kleinen Tisches, der neben seinem Bett stand, nach seinen Sachen und schien zum Aufbruch bereit. Ich stellte mich ihm in den Weg, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte gebieterisch dreinblickend zu ihm auf, auch wenn ich riskierte, eine Genickstarre zu bekommen. Viktor Krum ragte vor mir auf, wie eine Mauer. Undurchdringbar, unüberwindbar und undurchschaubar. »Diesen Kerl willst du heiraten.« Es war keine Frage, es war eine Feststellung, und diese brachte mich und meine Vorsätze ins Wanken. Ich presste meine Kiefer so hart aufeinander, dass es wehtat, doch ich hielt seinem Blick stand. Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. Ich begriff nicht, was ihn so amüsierte. »Leg. Dich. Wieder. Hin.« Ich betonte jedes einzelne Wort in der Hoffnung, dass er gehorchte. »Nur mit dir!«, gab er leichtfertig zurück und mir entglitten vor Schreck die Gesichtszüge. »Du liebst ihn nicht und wirst ihn auch nicht heiraten!« Seine Behauptungen brachten ihm nur ein verstörtes, hölzern klingendes Kichern ein. Von Empörung gepackt schnappte ich nach Luft. »Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten?!«, fauchte ich und das Blut schoss mir unweigerlich vom Hals hinauf in die Wangen. »Weil ich sehe, wie er dich ansieht. Weil ich sehe, wie du ihn ansiehst und ich sehe, wie du mich ansiehst!«, sagte er, während er langsam und mit geschmeidigen Bewegungen auf mich zutrat. Seine Erklärung blockierte das Sprachzentrum in meinem Gehirn. Ich lechzte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Schließ' die Tür!«, befahl er und ich wich vor ihm zurück. »Mach schon!« Mein Kopf schoss unweigerlich in Richtung Tür und als ich sah, dass diese noch immer halb offen stand, blieb ich bewegungsunfähig. Erneut machte er einen weiteren Schritt auf mich zu, schob mich zum Ausgang des Zimmers und schloss die Pforte, indem er die flache Hand auf das lackierte Holz sinken ließ. Ich spürte, wie er meinen Rücken gegen das Holz presste. Sein Kuss kam heiß und schnell, ebenso wie seine Zunge, die er ohne langes Warten in meinen Mund schob. Heiß, prickelnd und verzehrend schlug die Welle über mich zusammen. Die Enttäuschung, die Wut und der Drang, aus dem auszubrechen, das mich nur allzu bald in Ketten legte, trieben mich an. Ich hasste Viktor dafür, dass ich mich all die Jahre im Ungewissen ließ, aber ich liebte ihn und verzehrte mich nach ihm. Ich liebte Daniel dafür, dass ich mich aufgefangen und mich stets lieb und zuvorkommend behandelte, aber ich hasste ihn, weil er mir keine Wahl ließ, mein Leben selbst zu bestimmen! »Heirate mich!«, japste Viktor keuchend und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Ein schnaubender Laut entkam mir, als ich seine Worte vernahm. Seine Finger fuhren über meine erhitzte Haut, berührten Lippen und Wangen, ehe er seinen Mund ein weiteres Mal auf meinen presste. Ich ergab mich ihm erneut, vergaß für wenige Augenblicke alles, was geschehen war, blendete Verantwortung, Entscheidungen und alles wichtig erscheinende aus. Meine Finger vergruben sich in sein leicht feuchtes Haar, die Stoppeln seines Bartes kratzten an meinen Wangen und ich konnte mich der Gier nach diesem Mann nicht verwehren. Sie erblühte unter seinen Fingerspitzen, seinen Lippen und den Lauten, die hungrig aus seiner Kehle drangen. Zum zweiten Mal, innerhalb von wenigen Minuten, bereute ich meine Taten nicht. Sollten die Bedenken doch später an meine Tür klopfen und mein Gewissen nach draußen zerren. Meine Finger zerrten währenddessen an fließenden, derben Stoffen. Ich ergab mich, verlor erneut Kontrolle und Selbstbeherrschung und schloss Angst, Furcht und Rücksicht in das Kästchen, in dem mein Verlobungsring einsam und allein verharrte. [ღ] Viktors Schritte waren groß und schnell, als er mich hinter sich her zog. Ich hatte Mühe, seinem Tempo zu folgen. Meine Absätze klapperten über den Boden, doch das störte mich nicht. Endlich hielt er inne und trat langsam auf den Schalter zu, hinter dem eine ältere, rothaarige Frau stand, die uns erwartungsvoll musterte. »Las Vegas, für zwei.« Mit einem breiten Grinsen entschied Viktor, wohin die Reise ging. Die Dame zog kurz eine dünne Augenbraue empor, ehe sie die Daten in den Computer vor sich einhackte. »One-Way-Ticket?« Nun wanderte ihr Blick von Viktor zu mir und ich starrte überrascht zurück. Viktor wandte sich zu mir um, drückte meine Hand und wartete auf eine Entscheidung. Luft drang in meine Lungen, als ich den Mund öffnete, doch nicht ein Ton kam heraus. Er nickte. Piepsend spie der Drucker die Tickets aus, ehe die Angestellte des Flughafens diese in einen Umschlag steckte. Viktor bezahlte, ließ sich den Weg zum Gate erklären und wieder wurde ich in Windeseile davon gezogen. Fliegen kannte ich nur mit Besen. Reisen tätigte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur mit Flohpulver, Portschlüssel oder ich apparierte. Doch sich auf Muggel-Art fortzubewegen, erschien mir unter Nicht-Magiern als weniger auffällig. Las Vegas war bunt, überdreht, lachend, kreischend, funkelnd und leuchtend. Den Weg vom Flughafen legten wir in einem Taxi zurück, das wir uns mit einem weiteren Pärchen teilten. Wir lernten Mick und Lisa Turling im Flugzeug kennen. Beide waren gebürtige Amerikaner und in London auf Sight-Seeing-Tour gewesen. »Unsere Flitterwochen«, hatte Mick erklärt und seiner jungen Frau einen verliebten Blick zugeworfen. Nachdem beide kichernd einen schmatzenden Kuss austauschten, und wir uns in unverfängliche Gespräche verwickelten, erklärten sie sich bereit, uns ihre Stadt zu zeigen, sobald wir gelandet waren. Die Turlings waren kaum älter als dreißig Jahre, und noch immer verliebt wie am ersten Tag, meinte Lisa stolz. Wir hielten vor dem »Desert Palms« und mir wurde etwas mulmig zumute. Auf die Frage, ob wir hier reserviert hätten, nickte Viktor mit ernstem Blick und Lisa starrte uns leicht verlegen und verschüchtert an. Nachdem Viktor für uns eincheckte, besah ich mir mit Mick und Lisa das Casino. Alles blinkte, flimmerte und schimmerte in den schönsten Farben. Rouletttische, Poker, Black Jack, einarmige Banditen... Ich war so fasziniert, so überwältigt, dass ich Viktors Erscheinen erst gar nicht bemerkte. Er griff nach meiner Hand und zog mich von den tutenden, klingelnden Automaten fort. Draußen auf dem Strip herrschte reges Treiben. Menschen wichen einander aus, oder standen beieinander und lachten. Wir folgten Mick und Lisa die lange Promenade hinauf, auf der sich Hotels, Casinos und Bars dicht drängten. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit gelaufen waren, wiesen die beiden auf ein kleines, seltsam schrill aussehendes Gebäude. »Was ist das?« Ich war noch immer etwas benommen von dem ganzen Flitter und Glitzer um mich herum. »White Chapple«, meinte Mick grinsend und auch Viktors Lippen kräuselten sich zu einem freudigen, wenngleich auch etwas angespannten Lächeln. »Was?« Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, doch Viktor nahm mich in den Arm, gab mir einen Kuss auf die Stirn und griff behutsam nach meinen Händen. »Heirate mich!« »Aber das hast du mich doch schon einmal gefragt«, gab ich zurück und erntete ein schiefes Grinsen. »Aber du hast mir nicht geantwortet«, erwiderte er und ich war mir sicher, ein merkwürdiges Funkeln in seinen Augen zu sehen. »Wäre ich sonst, Hals über Kopf, mit dir hier her gekommen?«, wollte ich wissen, doch ich spürte die Anspannung, die von ihm ausging, sofort. »Ja, ja. Natürlich!« Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mir meiner Worte bewusst wurde. Hastig wedelte ich mit den Händen vor meinem Gesicht herum, um dem Drang, nicht hier und jetzt weinen zu müssen, zu widerstehen. »Aber ... aber, was ist mit Trauzeugen?« Doch meine Frage tat er nur mit einem breiten Grinsen ab. Wieder zog er mich hinter sich her und wir stürmten die kleine Kapelle. »Keine Sorge!«, versicherte mir Lisa. »Sie haben hier alles, was du brauchst. Kleider, Blumen und Elvis.« »Elvis?«, fragend zog ich die Augenbrauen zusammen, als mich Lisa aus Viktors Fängen befreite und mich in Richtung Glastür schob, hinter der ein paar Kleider auf Ständern hingen. »Nun, mehr ein Elvis-Imitat, aber der ist mindestens genauso gut.« Mit einem freundlichen, ehrlichen Lächeln blickte die junge Frau zu mir und ihre Augen begannen unweigerlich zu leuchten. »Du suchst dir ein Kleid aus und ich besorge die Blumen.« Damit verschwand das schwarzhaarige Mädchen und ließ mich mit einer gelangweilt dreinblickenden, grauhaarigen Frau zurück. Nachdem ich ihr meine Konfektionsgröße nannte, verwies die Dame auf einen der hinteren Ständer und ich eilte mit flinken Schritten auf diesen zu. Ich erwartete nicht, dass ich ein Kleid finden würde, das meinem alten Brautkleid entsprach, doch als ich an das dachte, was ich überstürzt zurückgelassen hatte, scheuchte ich Gewissensbisse und Schuldgefühle fort. Ich fand ein Kleid, das in seiner Schlichtheit bestach, ohne Schnörkel, ohne Glitzer. Der beigefarbene Stoff lag schwer auf meiner Haut, doch als Lisa mit einem kleinen Strauß in den Händen auf mich zu eilte, vergaß ich diesen Umstand schnell. Löwenmaul und Angelika mit etwas Grün, mehr brauchte es nicht, um mich zum Strahlen zu bringen. Ich würde heiraten. Ich würde den Mann heiraten, den ich liebte und meine Hochzeit würde vielleicht nicht dem gewohnten Muster entsprechen, mit Blumenkindern, Tauben und einem Priester. Aber sie würde eines werden, und zwar himmlisch und der schönste Moment in meinem Leben. [ღ] Ich spürte die Schwere seines Körpers in meinem Rücken, als er sich an mich drängte. Sein Arm schlang sich um meinen Bauch und ein zufriedenes Seufzen entkam seinen Lippen. Mein Blick glitt zu meiner linken Hand, um deren Ringfinger sich ein schmales, goldenes Band schmiegte. Ich wusste nicht, wie Viktor auf die Schnelle zu diesem Ring gekommen war, aber er hatte mir versichert, dass der Ring echt sei, ebenso wie der kleine Brillant in der Mitte. Er passte, strahlte und funkelte mit meinen Augen um die Wette und als ich Viktors Lippen an meinem Hals ausmachte war ich mir sicher, nichts bereuen zu müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)