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Wünsche

Argus Filch & Mrs. Norris
von

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Wünsche


 

„Squib!“

„Freak! Bleib weg von mir!“

„Lasst uns sehen, wie hoch er fliegen kann!“

***
 

Der Sommer war heiß, doch der zwölfjährige Junge saß trotzdem in seinem stickigen Raum. Etwas Hartes flog von außen gegen sein Fenster, doch er erschrak nicht, sondern blieb vollkommen reglos, sah den Staubkörnern beim Tanz im einfallendem Licht zu und ignorierte den wiederholten Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn er sie nicht beachtete, konnten sie ihm auch nichts tun. Hier konnten sie ihn nicht erreichen, hier war er sicher.

Lautlos zog er die Beine an den Körper und schlang die Arme um seine Knie. Er war lieber allein, als mit den Kindern draußen zu spielen. Er wusste ja, wie die Spiele immer endeten, schließlich war er nicht dumm, auch wenn Flavian Wells das behauptete. Am Ende waren sie gar nicht mehr so harmlos, am Ende wurde immer jemand verletzt. Und das war meistens er.

Flavian Wells dachte sich außerdem die schlimmsten Beleidigungen aus. Seit einem Jahr verstand Argus auch, weshalb er anders war, aber er verstand nicht, wieso man ihn deswegen hasste.

Es war ihm schon immer merkwürdig vorgekommen, dass alle Kinder der Nachbarschaft – die Filchs lebten seit Jahren in einer rein magischen Gesellschaft – angefangen hatten, die ersten Anzeichen von Magie zu zeigen und er, auch wenn er sich angestrengt hatte, niemals Kaffeetassen oder Gartenschläuche zum Schweben gebracht hatte. Zu dieser Zeit hatte er sich aber noch eingeredet, dass er in Hogwarts schon noch alles lernen würde. Das hatten seine Eltern auch gesagt, nur hatten sie sich dabei besorgte Blicke zugeworfen, die Argus nicht verstanden hatte. Nun tat er es.

Er war ein Squib. Er würde niemals zaubern können und sein größter Wunsch, einmal Hogwarts von innen zu sehen, war mit dem Nichterscheinen der Eule an seinem elften Geburtstag geplatzt.
 

Manchmal träumte er davon. Er hatte die Mauern des Schlosses nie gesehen, aber er konnte sie sich deutlich vorstellen. Unzählige Korridore, die nur darauf warteten, von ihm erkundet zu werden. Die Große Halle, in der er speiste und an seinem Haustisch saß, Hausaufgaben lösend oder mit seinen Freunden redend. Die Klassenräume, die voller neugieriger Köpfe waren, die mit Wissen gefüllt werden wollten.

Wenn er von Hogwarts träumte, wachte er mit einem Lächeln auf. In den Sommerferien, wenn die Nachbarsjungen wieder da waren, wurde er meistens von lauten Rufen, er solle seinen nichtmagischen Hintern nach draußen bewegen, geweckt. Dann lächelte er nicht.
 

Nur zu den Mahlzeiten verließ Argus sein Zimmer. Seine Eltern versuchten ihn stets aufzumuntern, aber er spürte die Enttäuschung, die sie trotz allem empfanden. Vermutlich war er wirklich das, was Flavian Wells sagte: ein Freak. Er war kein Zauberer, er war aber auch kein Muggel. Er war irgendwo dazwischen gefangen. Er war gar nichts.
 

Erst am Abend traute er sich aus dem Haus. Draußen war die Hitze gewichen, sie hatte grauen Regenwolken Platz gemacht. Die Stimmen auf der Straße waren verstummt. Das bedeutete, dass Flavian Wells und seine Freunde nach Hause gegangen waren.

So unauffällig wie möglich schlich sich Argus aus dem Haus. Er durfte um diese Uhrzeit normalerweise gar nicht raus, aber seit geraumer Zeit konnte er nicht aufhören, seinen Eltern zu widersprechen. Er war wütend auf sie. Sie behandelten ihn wie ein rohes Ei und glaubten, dass er nichts davon merkte. Wenn sie so wenig von ihm hielten, dann musste er sich nicht mehr die Mühe machen, um irgendwelchen Erwartungen gerecht zu werden.

Die Regeln zu brechen war für ihn eine völlig neue Erfahrung. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor ungehorsam gewesen zu sein. Es bereitete ihm gleichzeitig Unbehagen und Genugtuung. Es war ein zwiespältiges, gefährliches Gefühl, vor dem er irgendwie auch Angst hatte. Er beschloss, dass er nur einen ganz, ganz kurzen Spaziergang machen würde.
 

Seine Füße trugen ihn über den Spielplatz. Dahinter lag ein großes Maisfeld, in dem Flavian Wells und seine Freunde ihn schon mehr als einmal zurückgelassen hatten. Zwei Mal sogar gefesselt.

Im Absperrgeflecht befand sich ein eine kleine Lücke, durch die er klettern könnte, wenn er wollte. Einen Augenblick lang zog Argus diese Option in Erwägung. Wenn er nicht gerade von fünf wütenden Kindern gejagt wurde, dann mochte er die großen Blätter, die leise raschelten, wenn man sich durch das Feld kämpfte. Er mochte den Geruch von Gemüse und den Anblick von kriechenden Würmern.

Gerade, als er sich entschieden hatte, einen kleinen Ausflug ins Feld zu wagen, hörte er ein Geräusch. Wie erstarrt blieb er stehen und lauschte. Es klang verzweifelt, verletzt und qualvoll. Und Argus wusste auch sofort, woher es kam, denn er hatte bereits den Durchgang im Zaun erreicht und dort lag, das Pfötchen in ein Stück Draht verheddert, ein kleines Kätzchen. Es musste noch schrecklich jung sein. So schätzte er es zumindest ein, aber Argus kannte sich nicht wirklich mit Katzen aus.

Vorsichtig in die Knie gehend, streckte er die Hand aus, um dem kleinen Tierchen beruhigend über den Kopf zu streicheln.

„Keine Sorge, ich hol dich da raus“, versprach er und besah sich die Pfote, um die der Draht gewickelt war. Er hatte dem Kätzchen leicht ins Fleisch geschnitten, aber es blutete zum Glück nicht stark. Es dauerte eine Weile, aber mit etwas Geschick schaffte er es, das Tier zu befreien. Nachdem Argus es auf den Arm genommen hatte und aufgestanden war, konnte er es auch genauer betrachten. Die Katze war nicht besonders hübsch und kein Mädchen – die reagierten doch normalerweise mit Quietschen und Seufzen auf niedliche Haustiere – hätte sich wohl nach ihr umgedreht. Sie war grau wie die Wolken, die über ihnen hingen, aber ihre gelben Augen stachen auffällig heraus.

„Gelb wie der Mais“, murmelte Argus. Das Kätzchen gab ein schnurrendes Geräusch von sich und begann sich die verletzte Pfote zu lecken. Erst jetzt, nachdem sie den Kopf bewegt hatte, fiel Argus auf, dass sie ein winziges Halsband trug. Es war rosa – und es gab nur eine Frau, die eine Vorliebe für rosa Halsbänder hatte.

Enttäuscht zogen sich Argus‘ Mundwinkel nach unten. Für einen kurzen Moment hatte er gehofft, dass er sie behalten konnte, dass er endlich eine Freundin haben konnte und nicht mehr so allein sein musste. Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick, machte sich der Junge auf den Weg, um die gelbäugige Katze zu ihrer Besitzerin zu bringen, die sich bestimmt schon schreckliche Sorgen machte.
 

„Oh, Argus…“

Vollkommen durchnässt stand er da, die Katze in den Händen haltend und blickte zu der älteren Hexe auf, die ihm gerade die Tür geöffnet hatte. Der Regen hatte ihn auf den letzten paar hundert Metern überrascht und er war heftig genug gewesen, um ihm eine unfreiwillige Dusche zu verpassen.

„Ich hab sie auf dem Spielplatz gefunden. Sie hat sich die Pfote verletzt.“ Er reichte der Dame das gefundene Tier. Sofort machte sie sich daran, nach dem Zauberstab zu greifen und sich um die Verletzung zu kümmern.

„Hab vielen Dank, mein Junge. Ich hab sie schon überall gesucht… Sie ist noch so klein und so jung.“ Den Kommentar, dass man bei so vielen Katzen, wie seine Nachbarin sie hatte, leicht den Überblick verlieren konnte, verkniff sich Argus. Sie war, im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern ihrer Gegend, immer nett zu ihm gewesen. Vielleicht lag das ja auch daran, dass sie ebenfalls recht eigen und anders war. Er fand, dass es schlimme Dinge gab, als dreißig Katzen zu besitzen.

„Keine Ursache, Mrs. Norris. Ich muss jetzt nach Hause.“ Es war spät und er musste nun wirklich nach Hause, also verabschiedete er sich höflich, auch wenn er immer noch einen geknickten Eindruck machte. Gerade wollte er von der Treppenstufe hüpfen, als die Frau ihn aufhielt.

„Argus! Warte…“ Ehe er sich versah, hatte Mrs. Norris ihm das Kätzchen zurück in die Arme gedrückt.

„Sie mag dich. Du kannst besser auf sie aufpassen als ich.“

Der ungläubige Blick und das darauf folgende Strahlen, das über die Gesichtszüge des Jungen huschte, ließen die Hexe auflachen.

„Es war schon immer mein Wunsch…“, begann Argus aufgeregt, brach jedoch abrupt ab. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er immer zwei Wünsche gehabt hatte. Hogwarts war sein bewusster Wunsch gewesen, aber das hier… war ihm nie klar gewesen. Er war nicht mehr allein – und es fühlte sich wundervoll an.

„Wünsche sollte man sich erfüllen, mein Junge“, sagte Mrs. Norris nur und wuschelte ihm durchs nasse Haar.

Argus ließ sich diese Worte durch den Kopf gehen, als würde er sie zum ersten Mal hören – das tat er vermutlich auch – und fragte dann plötzlich: „Wie heißt sie?“

Überrascht blinzelnd, legte die alte Hexe den Kopf schief. „Ich habe ihr noch keinen Namen gegeben. Das darfst du nun übernehmen. Und jetzt solltest du dich beeilen, bevor ein richtiges Gewitter aufzieht.“
 

An diesem Abend kehrte Argus vollkommen glücklich nach Hause zurück – und das ohne von seinen Eltern erwischt zu werden. Er würde sie morgen zwar erst einmal an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sie eine neue Mitbewohnerin hatten, aber für ihn stand fest, dass er seine neue Freundin nicht mehr hergeben würde. Er fühlte, dass sie für lange, lange Zeit – wenn nicht sogar für immer – auch seine einzige bleiben würde.

„Vielleicht erfülle ich mir auch irgendwann den anderen Wunsch…“, murmelte er ihr zu, als er endlich im Bett lag und viel zu… dankbar war, um einzuschlafen. „Was meinst du, Mrs. Norris?“
 

Am nächsten Morgen wurde Argus Filch von einem Stein geweckt, der seine Fensterscheibe traf. Ein leises, verteidigendes Fauchen neben ihm auf dem Kopfkissen ertönte und obwohl er heute Nacht nicht von Hogwarts geträumt hatte, lächelte er.
 

***

„Willkommen in Hogwarts, Mr. Filch.“

„Natürlich, Haustiere sind hier sehr gerne gesehen.“

„Mrs. Norris? Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name für eine Katze.“
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2012-11-10T10:24:14+00:00 10.11.2012 11:24
Die schlichte Aufmachung hat es mir in diesem Fall ehrlich angetan; es ist als ob man einmal Kinderstimmen und das andere Mal die dezent verträumte, nachdenkliche Stimme Dumbledores hören könnte.

Ansonsten ist es eine schöne, schlichte Idee wie Filch zu seiner Katze kam. Dass Mrs Norris eingangs so samtig und am nächsten Morgen bereits leicht kratzbürstig wirkte, zauberte mir ein Schmunzeln auf die Lippen. Davon abgesehen finde ich die Perspektive Argus' jedoch überzeugend. Die Züge der Verdrossenheit, das Begreifen einzelner Verhaltensweisen von Gleichaltrigen und Erwachsenen, der schmale Zeitraffer bis zum Nichterscheinen der hogwartschen Eule... das war sehr glaubhaft. Insgesamt sind die Erinnerungen sehr lebendig eingeflochten, was dem Text einen betrübt-bitteren Unterton verleiht.

Ob es später immer noch die gleiche Mrs Norris wäre?
Gruß,
Morgi
Von:  EsistJuli
2012-08-26T19:23:29+00:00 26.08.2012 21:23
Ich bin ganz deiner Meinung. Auch ein Filch war mal jung und muss irgendwie zu seiner Katze gekommen sein. Mir gefällt deine Geschichte sehr gut. Allerdings müsste Mrs. Norris dann ja sehr alt sein. Aber vielleicht geht das bei Zaubererkatzen ja^^
Tolle Geschichte auf jeden Fall :)
Von:  MissAnni
2012-08-21T22:27:32+00:00 22.08.2012 00:27
Awww.
Noch gestern hab ich mit ner Freundin über Argus' Jugend geredet und wir haben aus Spaß überlegt, ein RPG zu unsrem liebsten Hausmeister aufzumachen.
Was für'n Zufall, dass du anscheinend gestern Nacht auch ein bisschen über Argus' Jugendjahre nachgedacht hast. :D

Ich mag die Geschichte sehr, sehr gerne :3
Gerade weil es um einen Charakter geht, der erstens nie wirkliche Erwähnung findet oder zweitens immer kleiner gemacht wird, als er ist. Mir tut er ja schrecklich Leid, weil er Squib ist und ich denke auch, du schreibst ihn auf keinen Fall ooc oder sowas... er ist jung, es ist Jahrzehnte her und es ist kein Wunder, dass er sich verändert hat. Danke für die amüsante ONS!
Von:  Aburamegirl
2012-08-21T17:31:11+00:00 21.08.2012 19:31
Nachdem ich mir die Beschreibung zum dritten Mal durchgelesen habe,
habe ich mich entschieden diesen One Shot mal zu wagen, auch wenn er um Mr. Filch geht.
Wenn ich ehrlich bin hat mich der Charakter sehr wenig interessiert, bis jetzt!
Eine wirklich schöne Geschichte und Variante über Hausmeister, der selten erwähnt wird.
Dein Schreibstil ist toll und auch die Handlung war logisch und ansprechend. Allein wie er zu seiner Katze gekommen ist, ist sehr süß.
Das er am Ende sogar seinen Wunsch erfüllt bekommt ist ein hübscher Abschluss.

Viele Grüße
Aburamegirl



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