Halo von Inzestprodukt ================================================================================ Kapitel 12: Satanshimmel ------------------------ Geschichten über Wesen weit über dem eigenen Potenzial existierten seit jeher. Götzenbilder, Gotteskinder. Der Naivität des Menschen ist zu Last zu legen, dass er als einzige Rasse wirklich zu dieser Art Verehrung greift; Religion. Religion als Lebensweiser, als Licht in dunklen Stunden und als einzige Aussicht auf Frieden nach einem gescheiterten Leben. Darstellungen und Ausrichtungen unterscheiden sich hierbei ebenso wie die Anhänger als solche; warum glauben, wenn Generationen auf ein Zeichen warten? Er hatte sie gesehen, Bilder und Skulpturen. Geflügelte Menschen, zu ihren steinernen Knöcheln lagen die Erbauer im Staub und beteten. Engel. Ein kleines Wunder, eine spontane Krise – man möge ihnen helfen. Die Geflügelten als Hoffnungsschimmer, wenn schon das Bild Gottes nicht als solches vertretbar schien. Sie lagen gar nicht so falsch mit ihren Vermutungen; ein Mensch mit Flügeln, der dem Himmel nahe schien – empor fliegen und den Schöpfer grüßen, ein Leben fern vom Abfall ihrer Welt, die doch eigentlich zivilisationstechnisch noch in Kinderschuhen steckte. Es gab auch unterschiedliche Auffassung von Engeln; Flügel auf dem Rücken, Flügel statt Arme, Flügel am Kopf. Nur eines hatten sie gemeinsam: Die strahlende Farbe der Unschuld. Nirgends würde sich das Abbild eines Engels zeigen, dessen Flügel nicht strahlend weiß ins Blickfeld stachen. Michael hatte den Gegenbeweis zu seinen Füßen liegen. Im Moment beneidete er die naive Menschheit um ihre einfache Art; wenn er doch nur an etwas glauben könnte. Dabei war ihm nicht einmal die höhere Entität „Gott“ von Bedeutung; er stürzte sich auf weitaus einfachere Dinge. Vertrauen, Zuneigung, emotionale Stabilität. Sicherheit wäre auch ganz schön, aber die hatte er vor Jahren verloren. Nicht, dass der Himmel als solcher je ein sicherer Ort war. Von der Erwartung mussten schon viele Abstand einnehmen, denn kaum ein Ort war strenger und konsequenter. Oder klingt ein Flügelschlag besonders sicher? Vor dem hatte er zwar keine Angst – zur Not lebte er eben in Abgeschlagenheit irgendwo in einem Wüstenteil, jeder Eindringling würde von ihm persönlich erledigt werden – doch brachen die anderen Säulen seines Lebens in mehr und mehr Einzelteile. Er fühlte sich wie eine unwichtige Nebenrolle in einer Geschichte, als er mit den anderen Soldaten aufmarschierte und zum Ausgang ihrer Kaserne steuerte; eine Nebenrolle, die kurz erwähnt sterben würde. Die letzten Jahre hatten deutlich gezeigt, dass all die kindischen Prügeleien nichts weiter waren als Kinkerlitzchen; er wünschte es nicht einmal seinem zu Kindertagen größten Widersacher – so ein Knilch, der ihm ständig seine Apfelstücke geklaut hatte und dafür ordentlich mit dem Kopf in das Laufgitter gepresst wurde – von Berjaels Faust erwischt zu werden. Wenn er nicht vollkommen schief lag, würde Michael auch heute noch Schrauben an den Fingerknöcheln beteuern. Dass ihr Boss sich mit dem ein oder anderen mechanischen Teil ausgestattet hatte, war kein Geheimnis. Man sah es ja auch deutlich, denn eine Brusthälfte wurde durch eine Platte aus Metall ersetzt. Nun… der Rothaarige war ja nicht sonderlich eitel, aber darauf konnte er ehrlich gesagt verzichten. Wie schön, dass er mit Raphael inzwischen einen persönlichen Heiler gefunden hatte. Er seufzte und schüttelte den Kopf; ein Heiler konnte ihn aber auch nicht mehr zusammensetzen, wenn er erst einmal zu Brei püriert wurde. „He.“ Neben ihm straffte sich an langer Körper, die schwarzen Haare reichten ihm zu den Schultern und in den Augen glänzte eine Gefahr weit außerhalb des Schlachtfeldes; Mordlust war nie ein guter Begleiter, denn sie griff auch irgendwann auf die eigenen Reihen über. Auf Zaphikel sollten sie ein Auge haben. Michael antwortete ihm nicht, starrte hingegen auf den breiten Rücken des Soldaten vor ihm. Sie würden nicht die einzigen Kämpfer sein, dazu war die Armee viel zu klein. Wenn tatsächlich ein Großteil ihrer Brüder kämpfen würde, war jeder Mann von Bedeutung. Jede Frau, jedes Kind. Sektor 47 war Unsinn, das hatten sie im Laufe der letzten… Atemzüge bemerkt. Der Tod wartete vor ihrer eigenen Haustür. Es war nicht der erste Kampf, den sie bestritten. Viele Jahre tauchten Engel auf, deren Schwingen nichts weiter als tiefe Schwärze bildeten. Einige konnten sie besiegen, doch Massen flohen und suchten einen Unterschlupf auf, der bisher leider geheim für jene blieb, die sich gegen sie stellten. Das Motiv war unklar, doch eines war ihnen bewusst: Es musste einen Drahtzieher geben. Jemand, der all diese Engel lenkte und ihnen die Kraft gab, weiterzumachen. Es war zum verrückt werden! Nervös kaute der Rothaarige wieder und wieder auf seiner Unterlippe herum, etwas war ihnen entgangen. Etwas Wichtiges, das sich bisher vortrefflich aus der Öffentlichkeit rausgehalten hatte. „Besuch für dich.“ Zaphikels Stimme war schneidend, abwertend. Wieder riss er ihn aus Gedanken hervor und nun blickte Michael tatsächlich auf, allerdings in die andere Richtung. Genervt verdrehte er die Augen, auf Diskussionen hatte er gerade wirklich keine Lust und so drehte er ab und marschierte von ihrer Truppe weg, die sich nach und nach in viel zu viele, aufbrechende Gesichter verwandelte, von denen er einen Großteil nie wieder sehen würde. Jemand fasste ihn an der Schulter und als er sich mit einem Ruck losreißen wollte, folgte noch eine Hand; viel größer als die andere du auf der anderen Seite. „Zieht ab ihr nervt!“ „Wir sind gekommen, um dich abzuholen.“ Uriel ließ ihn los, straffte sich und warf somit einen riesigen Schatten auf den viel kleineren Engel nieder, welcher eine regelrechte Antipathie gegen diesen Unterschied entwickelt hatte. Mehr noch, es war Hass. „Nett, danke. Eure Party muss ohne mich steigen.“ „Mach es bitte nicht so kompliziert, dafür haben wir nun wirklich keine Zeit.“ „Schnauze, Uriel!“ Wenn es ihn pikierte, ließ sich der Erdengel nichts anmerken. Er trug diese bescheuerte Maske, mit der er sich selber besser unter Kontrolle zu haben glaubte, doch die Wutausbrüche nahmen immer weiter zu. Sympathisch, dass außer ihm noch jemand etwas zerstörte. Jibril schien sich schon mehr am Tonfall des Feuerengels zu stören; sie passte nicht in diese Gegend. Er wusste, dass sie kein kleines, schwaches Weibchen war, aber das Kämpfen lag ihr fern. Es missfiel ihr schlichtweg. „Ich sagte doch, dass er nicht mitkommen wird.“ Pazifist Nummer zwei, Raphael. Er schaute nicht auf Michael, sondern fixierte die anderen beiden Elementare. Ob er für eine Seite Partei ergreifen würde? Wohl kaum, Raphael war feige. Er schlug sich meist auf die Seite, deren Erfolgsaussichten am Größten waren. Doch trotz dessen, dass sie ihn zu dritt sicher niederringen und mitschleifen könnten, war da noch der unglückliche Umstand mit dem Feuer. Der Heiler hatte Kostproben davon bekommen, was dieses wilde Element in dem oft so zornigen Körper anstellen konnte und er war ehrlich gesagt nicht erpicht darauf, sich selbst behandeln zu müssen. Und das nur, weil sein Arm in ein Stück Presskohle verwandelt werden würde. „Raphael…“ Das klang schon wieder bedrohlich und der Blonde wusste auch, dass Michael ihn seiner Angst wegen bewusst persönlich ansprach. „Ich habe ein neues Spiel auf dem Schlachtfeld entwickelt…“ „Ist das so?“ Er wollte es ja gar nicht wissen, das merkte Michael klar und deutlich. Umso befriedigender war es, dass er den Augenkontakt mit Jibril nicht brach, dafür den Windengel neben sich ins Schwitzen brachte. „Ich dachte einfach, dass ich mal nett sein sollte. Meinst du nicht? Weil doch dauernd eine Hand abfliegt oder ein Bein vom Körper getrennt ist… ich brenn jedem, der sich mir in den Weg stellt, seine scheiß Initialen in seine scheiß Knochen, Körperteil für Körperteil. Natürlich ist da etwas Fleisch im Weg, aber…“ „Wage es nicht, mir zu drohen“, zischte Jibril und verlor für einen kurzen Moment die Beherrschung fasste sich jedoch wieder schnell. „Wir haben etwas für dich. Aber nicht hier. Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann“, gab sie schließlich ruhiger zu und schaute ihn auf diese nervige, mitfühlende Art an; wie eine Schwester ihren kleinen Bruder eben anschaute. „Außerdem möchte Bal dich sehen“, legte Raphael schnell nach und nutze so die Atmosphäre der Versöhnung. Michael brummte unzufrieden, legte dann den Kopf in den Nacken und starrte nach oben. Viel zu lange schon war der Himmel grau. - Eigentlich hatte er gar keine Zeit für diesen ganzen Schund und insgeheim fühlte er sich auch hintergangen; sein Misstrauen war einfach zu groß um zu glauben, dass sie ihn wirklich widerstandslos ziehen lassen würden. Aber ob er sie verletzen konnte, war die andere Frage; das hier war eine Art Familie. Zumindest mehr, als seine wirkliche es je für ihn war. „Dass ich mich um dich sorge, ist dir sicherlich egal.“ „Richtig.“ Als einzige Frau hatte Jibril es gewiss nicht leicht unter den Elementaren, doch sie hatte sich einen Status geschaffen und zudem recht Glück, dass zwei der drei Männer sich in Zurückhaltung üben konnten; Raphael rauchte eine Zigarette und Uriel beobachtete stumm das Geschehen. „Du bist viel zu dünn. Entschuldige“, setzte sie nach dieser kurzen Anmaßung hinterher und legte die Hände auf ihrem Kleid ab. „Kann ich dir nichts anbieten, Michael? Ein Getränk, etwas zu essen… Kleidung?“ Michael knurrte: „Du gehst zu weit, Fräulein 'Der durchsichtige Stoff verdeckt meine Schultern und alle anderen Reize genug', okay?“ Er ließ ich auf einem Sessel fallen und bereute dies direkt; all die gepolsterten Möbel waren nicht mehr unbedingt das, was er selber bevorzugen würde. „Wenn du bitte zum Punkt kommst… sobald Berjael meine Abwesenheit bemerkt, erschießt er mich an Ort und Stelle wegen Fahnenflucht.“ „Du hast doch keinen Vertrag unterschrieben?“ Natürlich, Bürokratie konnte alles regeln; sie kannte den Engel mit der Waffe nicht. Der setzte zur Not das Staatsarchiv in Brand und sonnte sich in Unschuld. „Wir sind eine große, glückliche Familie“, intonierte Michael und wiederholte damit bewusst die Worte, die man ihm damals schon entgegengespuckt hatte. Jibril taxierte ihn und ließ die Augen unverhohlen über seinen Körper wandern. Michael wusste, an welchen Stellen sie bewusst stockte: Sein Bauch war nicht bedeckt. Er trug Waden hohe Stiefel mit einer höheren Sohle, seine Hose bedeckte gerade so viel, wie Unterwäsche es eigentlich tat und um seine Hüfte war ein Halfter, in dem mehrere kleine Messer und Wurfgegenstände steckte. „Ihr benutzt Waffen?“, fragte sie eigentlich vollkommen desinteressiert und erhob sich wieder, verzichtete allerdings auf ein Umrunden. „Wieso sollten wir das nicht?“ „Ich dachte, das wäre gegen die Ehre.“ „Die Ehre ist die scheißegal, wenn ein Wurfmesser dir deinen Arsch retten kann.“ Sie überging den vulgären Ton, atmete dann einmal tief ein und drehte sich weg. Uriel rührte sich. Wechselten sich nun alle ab, um ihm Vorwürfe zu machen? „Pass auf… dir steht es frei, jederzeit zu gehen. Dennoch solltest du dir anhören, was… wie soll ich sagen… was rausgefunden wurde?“ „Komm zur Sache, Uriel…“ Es reichte ihm, auch Michael stand wieder auf und steuerte dabei deutlich das Fenster an; das ging schneller und ihm war herzlich egal, was die anderen darüber dachten. „Luzifel ist Teil der Revolte.“ Raphael sprach es aus, ohne weiter nachzudenken. Nun sah er hingegen aus, als würde er jedes Wort auf der Stelle unter höchst möglichen Schmerzen zurücknehmen wollen, denn Michael war erstarrt. Es war ja nicht so, dass man ihm seine Gefühle nicht ansehen konnte. Wenn es darum ging, war er ein offenes Buch. Wut, Trauer, Freude, Missgunst – nie hatte Raphael jemanden gesehen, dem dies so frei ins Gesicht geschrieben war wie dem Feuerengel selbst. Michael drehte den Kopf langsam und wieder starrten diese Augen in Raphaels. Der konnte dem nicht Stand halten, löste sich von der Wand und schritt im Raum umher. Uriels Mimik blieb hinter der Maske verschlossen, doch er hatte sich aufgerichtet und schien bereit, jeden möglichen Schaden mit seinem Körper abzuwenden. Jibril hatte noch immer die Hände auf dem Kleid gefaltet, doch sie krampfte sie ineinander und schenkte dem Heiler einen undefinierbaren Blick. Dieser wandte sich von ihnen ab und drehte sich wieder zum Kleinsten in ihrer Runde. „Was soll das lange Herumreden? So oder so bleibt es die gleiche Information.“ Er pausierte, doch es folgte keine Antwort. „Wir haben Beweise“, meldete Jibril sich wieder zu Wort und löste damit vermutlich eine hohe Dankbarkeit in Raphael aus, nicht als Einziger in Schussrichtung zu stehen. „Späher, Spione in seinen Rängen, Aufzeichnungen. Michael, wir wollen dich nicht verletzen, wir wollen dir helfen, in Ordnung? Lass uns dir bitte helfen, du musst das nicht alleine…“ Sie verstummte abrupt, als er die Hand stumm hob und ihr damit Schweigen auferlegte. Langsam drehte er sich um und blickte in die Gesichter dieser drei Engel, an die er für den Rest seines Lebens gebunden war. „Wir lassen dich nicht einfach gehen“, fing Jibril wieder an und machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Stimme klang hohl, besorgt. Sie machte sich aufrichtige Sorgen: Nie war sie eines der Mädchen gewesen, die sich ihren Tränen ergaben doch jetzt standen sie ihr in den Augen; ob sie auch fließen würden, entschied die Hüterin des Wassers selber. Auch, wenn sie es nicht zugeben würde; sie war nervös und das machte ihre Angst nur noch schlimmer. Krampfhaft schloss sie beide Hände um die Schultern des Kleineren, grub dabei ihre Fingernägel bebend in sein Fleisch. Michael wäre gerne eine jener Personen, die mit Ruhe auf erschütternde Nachrichten reagiert, doch leider war dem keines Wegs so. Mit einer schnellen Bewegung des Oberkörpers zog er sich aus Jibrils Griff heraus und bemerkte nur nachlässig die tiefen Kratzer, welche sie hinterlassen hatte. Natürlich könnte das eine wilde Geschichte sein, aber ausgerechnet sie wussten, was das in ihm auslöste. Also wollten sie ihn entweder in den Tod schicken oder aber sprachen die Wahrheit, an die er nun einfach glaubte. Als er gerade zum Fenster rausstürmen wollte, drehte er sich noch einmal ruckartig um. „Wo ist Bal?!“ „Bleib doch hi-“ „Wo ist Bal, verdammt?!“ Jibril verstummte, schaute ihn offensichtlich verzweifelt an. Er spie aus, schlug die Scheibe mit dem Ellenbogen kaputt und nahm den direkten Weg nach drau0ßen. Hinter ihm rief Raphael seinen Namen, doch für ihn hatte er keine Zeit. Luzifel… warum sollte sein Bruder sie hintergehen? Er, der in den Stand des Morgensterns erhoben worden war. Er hatte alles, das gab man nicht einfach auf. Wenn er genau darüber nachdachte… hatte Michael nicht das Gleiche getan? Von heute auf morgen sein Leben über den Haufen geworfen und riskiert, auf keiner Seite Fuß zu fassen? Dennoch, er hatte nicht ihre Heimat verraten, er war ja immer noch da. Bal fand er schnell, ihren Herzschlag zu finden war leicht und so landete er mit einem Blick in ihr ängstliches Gesicht. Das lange, helle Haar fiel ungeordnet von ihrem Kopf weg und auf dem Gesicht zeigte sich Sorge und Angst. „Michael-Sama… Ihr seid verletzt.“ Mit zitternden Fingern griff sie nach seinem Arm, doch Michael schüttelte sie ab und brachte Abstand zwischen sie, indem er einen Schritt nach hinten tat. „Wusstest du es?“ Sie ließ die Hände sinken, starrte ihn dann für einen Moment sprachlos an, nickte schließlich. „Seit Kurzem.“ „Und?“ Er wurde unruhig, tigerte von einer Ecke in die andere und blieb immer wieder stehen, um sie anstarren zu können. „Ist da was dran? „Ich befürchte, es ist wahr. Glaubt mir, ich habe es selbst nicht realisieren wollen…“ „Schön. Ja, toll. Ich geh dann jetzt.“ „Wartet!“ Dieses Mal riss er seinen Arm direkt außer Reichweite und drehte sich nicht zu ihr um, doch er hatte einen Entschluss gefasst. „Wollt Ihr Euren eigenen Bruder töten?“ Diesen Satz würde er nie wieder vergessen, denn damit bewahrheitete sich dieser Verdacht und schlug mit aller Gewalt zu; Luzifel als solchen gab es nicht mehr. „Sei still! Ich werde ihn töten, niemand sonst!“ Genau das würde auch geschehen – außer ihm hatte niemand das Recht, diesen Verrat zu beenden. Nicht Zaphikel, nicht Sariel, nicht Berjael. Ganz besonders Berjael nicht. „Dann nehmt mich mit! Ich habe geschworen, mein Leben lang bei Euch zu bleiben! Ich will es mit eigenen Augen sehen!“ Jetzt wandte er sich ihr wieder zu, straffte die Schultern. Was sollte er es auch verbieten? Bal hatte schon immer ihren eigenen Kopf gehabt, ihn nun um Erlaubnis zu bitten war absurd, sie würde es doch eh tun. Eine reine Formsache. „Mach, was du willst.“ Seine Schwingen entfalteten sich und beförderten Michael schnell in die Höhe. Während des Fluges kämpfte er mit Wut und Enttäuschung. - „Ich sollte dir die Zähne ausschlagen!“ „Ich bin da, man!“ Natürlich blieb sein Verschwinden nicht unbemerkt, aber das konnte ihm nun auch herzlich egal sein. Die Ernüchterung kehrte ein, die Information keilte sich fest und drückte sein Gesicht in eine kalte Lache aus Hass und verdrängter Einsamkeit; jetzt würde er wirklich nicht mehr an ihn herankommen. Die Ewigkeit kam ihm viel zu kurz vor, um ein Leben in anderen Bahnen aufzubauen. Bal fiel nicht auf, generell hätte Michael an jeder Stelle landen können, denn Kilometer um Kilometer hatten sich Kämpfe gebildet; hohe Engel, niedere Diener, Verräter. Blut und Körper säumten den Boden. Zwischen ihnen all die Fremden, unter den Leichen viele Freunde. Berjael packte ihn an der Hand und zum ersten Mal bemerkte Michael, dass er anders aussah. Zerstörter. Eines der Augen war ihm herausgerissen worden und er tropfte aus hunderten kleiner Wunden, grinste ihn schief an. „Wenn ich den Bastard finde der das hier alles zu verantworten hat, ramm ich ihn meine Pistole ins Herz.“ „Mein Bruder ist einer von ihnen.“ Er musste es aussprechen, damit er nicht alleine mit dieser Erkenntnis war. Der viel größere Engel kniete am Boden, stützte sich dort ab und starrte zu Michael hoch, noch immer seine Hand fest haltend. „Weiß ich.“ Die Mimik des Rothaarigen geriet außer Kontrolle, er versuchte, seine Gefühle mit Bewegungen des Mundes zu verarbeiten doch es wollte ihm nicht gelingen. Wusste denn jeder außer ihm, dass Luzifel ein Verräter war? „Von Anfang an schon geahnt. Aufgeblasener Affe, hat man doch gesehen. Immerhin darf ich ihm jetzt offiziell in den Arsch treten. Was ist? Wollen wir ein paar Verräter sterben lassen?“ Er zog sich ungefragt an Michael hoch und kam wieder auf die Beine, wischte sich über die blutende Augenhöhle. „War eh das Blinde“, murrte er kurz, riss sich dann etwas von dem dreckigen Stoff ab, den er mit dem Wort 'Kleidung' beleidigte. Dann zog er vollkommen desinteressiert den fehlenden Augapfel hervor und drehte ihn in den Händen, schnalzte mit der Zunge. „Wartet!“ Das war Bal, deren kleine Hände in die Pranke des irritierten Berjaels griffen und sein Auge an sich nahmen. Michael vergaß für einen Moment, dass er sich betrogen fühlte und beobachtete fasziniert und angewidert zugleich, wie die heilenden Kräfte seines Kindermädchens Berjael überforderten und ihm sein Auge zurückgaben – voll funktionstüchtig. „Verdammte Heiler“, knurrte er und blinzelte, schaute sich dann mürrisch um. Ja, Dankbarkeit war eben Luxus. Als sein Blick auf Michael hängen blieb, kam dieser wieder in der Realität an; der Lärm und das Geschrei vermengten sich mit dem Geruch des Todes und er wollte aufbrechen, doch wieder hielt ihn Berjael fest. „Man ich hab kein Bock auf Händchen halten, klar?! Glückwunsch, endlich siehst du mal was und nun Arsch hoch!“ Der Große zog seine Pistole und ließ den Lauf zwei Mal gegen die Stirn des Feuerengels stupsen. „Erinnerst du dich an Sektor 47?“ „Fresse man!“ „Erinnerst du dich an den Scheiß Sektor?!“ „Ja da kommen die Drecksdämonen her, jetzt lass mich los!“ Er wurde nah an die Brust des anderen gerissen, sah die Metallplatte vor sich glänzen und hörte den Herzschlag Berjaels. „Ich hab gesagt, ich töte den Scheißkerl. Weißt du noch?“ Die Stimme ein Beben, er sprach leise. Nur für ihn. Michael nickte und fühlte sich mit der Waffe an der Schläfe wirklich nicht wohl. Er spannte den Abzug. „Hat dir schon mal jemand erzählt, was du für Augen hast, Streichholz?“ Er wollte ihn auslachen, doch die Situation war zu ernst. Wieder ein langsames Nicken; neben ihnen erstarrte Bal und blickte ihn ängstlich an. „Was sagen sie so über deine Augen? Praktisch, wenn man plötzlich sehen kann.“ Er murmelte leise, dann erhöhte sich der Druck um sein Handgelenk, dass es zu bersten drohte. „Lauter.“ „Dämon…“ Er schloss sie, diese Dämonenaugen, die ihn schon von Anfang an verraten hatten. Er würde ihn erschießen, an Ort und Stelle töten, wegen dieser verdammten Farbe. „Ich habe nie viel von unserer Gesellschaft gehalten.“ Der Griff lockerte sich und Michael schaute wieder auf, rechnete mit dem Lauf einer Waffe vorm Gesicht, doch er sicherte sie wieder und steckte sie weg, rang sich ein schiefes Grinsen ab. „Du bist das Licht… Michael.“ Irritiert runzelte der Angesprochene die Stirn, als diese ungewohnten Worte ihm entgegen schlugen. Und die Gesichtszüge entglitten ihm, als er ihn aufmarschieren sah; die vier schwarzen Schwingen auf dem Rücken gefaltet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)