Halo von Inzestprodukt ================================================================================ Kapitel 4: Im Kreis allein -------------------------- Hm Berjael scheint für verschiedene Gemütszustände zu sorgen. Die einen lieben ihn und die anderen würden ihn am liebsten schon jetzt sechs Fuß tief unter der Erde sehen. Fakt ist, ich hab noch einiges vor und brauche solche Charaktere. ------------------------------------------- „Gibt es eine weitreichend verständliche Erklärung für deine Torheit?“ Michael schwieg, wandte den Blick trotzig ab und widerstand noch dem Drang, nun mit dem Fuß auf dem Boden herumzuscharren, konnte jedoch das geschnaufte ‚Pff!‘ nicht mehr zurückhalten, was jedoch wie so oft übergangen wurde. So wie immer eigentlich. Raphael, dieser Idiot! Der Rothaarige wusste ja, dass der junge Arzt wider eines besseren Wissens gehandelt hatte, dennoch verfluchte er ihn gerade im Stillen. Nachdem er sich nämlich aus diesem furchtbaren Schlafzimmer gekämpft und seine Schulter für funktionstüchtig abgesegnet hatte, kam er nicht mehr sehr weit; Luzifel versperrte ihm den Weg an der Eingangstür, sprach jedoch über seinen Kopf hinweg mit dem Engel des Windes. Wobei diese Bezeichnung übertrieben war. Wirklich gesprochen hatte er tatsächlich sehr wenig, seine Augen verrieten den kurzen Unmut jedoch, seinen ‚kleinen‘ Bruder nun abzuholen, nachdem er von Raphael über die ungewöhnliche Verletzung informiert worden war. Natürlich, eine Kugel in der Schulter gehörte nicht zu den trotzigen Blessuren, die er sich bei einer kurzen Prügelei zuzog oder sonst wie Anstalten machte, etwas vom eigenen Blut zu verlieren. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, wenn Raphael den angehenden Fürsten des Lichts nicht benachrichtigt hätte. Der Weg nach Hause verlief in einvernehmlicher Stille, erst jetzt musste er sich ihm stellen. Wobei Luzifel tatsächlich nicht wirklich an einer ehrlichen Antwort interessiert war. Er musste sich aufspielen, Michael seine Fehler unter die Nase reiben und dies so diskret, dass dieser innerlich vor Scham beinahe platzte. Im Moment gewann sein kindlicher Trotz und er versuchte mit überzogenem Interesse an seinem Bettpfosten einem weiteren Gespräch aus dem Weg zu gehen. So sah es zumindest der Rotschopf, welcher nun nur noch wartete, wieder aufbrechen zu können und so die Auseinandersetzung – welche er zweifelsohne verlieren würde – zu umgehen. In seinem Zimmer fühlte er sich von ihm in die Ecke gedrängt, obgleich sie sich beide an gegenüberliegenden Seiten befand; Michael neben dem Bett und Luzifel unmittelbar vor der Tür, welche durch seine große Gestalt und aus Michaels ungünstigem Blickwinkel von ihm versperrt wurde. Er könnte das Fenster nehmen, immerhin rechnete er nicht mit einer plötzlichen Geste der Sorge von Seiten des schwarzhaarigen Engel in Form dessen, dass er ihn zurückholen würde. Dennoch wollte er ihm diesen Triumph nicht gönnen und so zog er weiteres, stures Schweigen vor. Viel zu sagen hatten sie sich seit einiger Zeit ohnehin nicht mehr, dazu gingen ihre Lebensweisen und auch die angelernten Verhaltensmuster zu weit auseinander. Doch daran arbeitete Michael ja; wenn er eine wirkliche Erfüllung fand, würden sie schon wieder zueinander finden, immerhin wollte er dem Schicksal ja ein Schnippchen schlagen und für statt gegen den Himmel kämpfen. Den Status des größeren Zwillings würde er nur schwer erreichen, aber als Engel hatte er immerhin unverschämt viel Zeit, an seinem Leben zu feilen. „Michael. Ich erwarte eine Antwort.“ Hervorragend, ausgerechnet heute jedoch war er an Gesprächen interessiert. Zudem schien er keine Ambitionen zu hegen, sich in nächster Zeit von dort wegzubewegen, trotz des straffen Zeitplanes, nach welchem er stets lebte. „Wohlmöglich hast du den Kontext meiner Frage falsch verstanden: Wie kommt ein fester Fremdkörper derart tief in den Fleisch, ohne dass er in tatsächlicher Funktion verwendet wurde? Wer hat auf dich geschossen und warum ist dein erster Weg Raphael und nicht Bal, die nun einmal für dich zuständig ist?“ Und warum solltest nicht du mein erster Weg sein? , schoss es ihm plötzlich durch den Kopf, woraufhin er sich strafend auf die Unterlippe biss. Diese starke Abhängigkeit gegenüber Luzifel wollte er allmählich beenden, ihr brüderliches Band hatte in den letzten Jahren ohnehin stark gelitten. Woran auch immer es lag. Die Regung dieser kurzen Selbstjustiz blieb natürlich nicht unbeachtet, doch wie zu erwarten keimte keine offensichtliche Sorge in Luzifel auf, sodass dieser wie zuvor an Ort und Stelle verweilte, lediglich eine Augenbraue zur Bewegung bemüht hatte. Vermutlich wusste er auch dass kaum wenn er den Raum verließ, Michael wieder aufbrechen würde ohne ihm eine richtige Antwort zu geben. Sie misstrauten sich beide im Moment zu sehr, um dem anderen tatsächlich Rede und Antwort zu stehen. Um seinem Trotz eine neue Ebene zu verleihen, ließ sich der angehende Engel des Feuers mit verschränkten Armen auf sein Bett sinken, überschlug die Beine und sank mit dem Oberkörper nach hinten, starrte an den Himmel des Bettes über sich. Ein warmes Orange, das Tuch hatte ihn schon immer gestört. Nur verbrachte er zu wenig Zeit in diesem Raum um wirkliches Interesse an einer Änderung zu verfolgen. Schritte lenkten seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bruder, welcher sich entgegengesetzt seiner Erwartungen zu ihm begab, jedoch nicht selbst auf dem Bett Platz nahm. Den Kopf gedreht beobachtete der Rothaarige ihn, zog misstrauisch die Augenbrauen herunter, doch auch das würde Luzifel kaum beeindrucken, denn trotzdem streckte er die Hand nach ihm aus, berührte die frisch verheilte Schulter nur flüchtig und blickte wie so üblich nicht wirklich in das Gesicht des Zwillings. „Raphael hat wahrlich bemerkenswerte Fortschritte gemacht.“ Das war‘s, mehr sagte er nicht, wandte sich zum Gehen und schloss schließlich auch die Tür hinter sich. Die Schritte entfernten sich, als er den langen Flur hinabging. Fassungslos richtete sich der junge Erzengel auf, wieder alleine im Raum. Diese unterschwellige Art, seine eigene Inkompetenz müde zu belächeln machte ihn beinahe verrückt; warum er auch nie wirklich Entsetzen in ihm auslösen konnte, schien ihm beinahe wie eine Strafe. Ein einziges Mal nur würde er ihn sprachlos sehen wollen, denn obgleich er ihm nicht geantwortet hatte, drehte Luzifel den Spieß herum und ging wie üblich mit einem Triumph davon. Wütend schlug Michael auf die Matratze unter sich, spürte ein Beben im Inneren. Diese Demütigung! Das Gefühl von Schmach breitete sich ihm aus und leckte heiß unter der Haut entlang, kroch in einer unbeschreiblichen Geschwindigkeit bis in die Fingerspitzen. Seine Nägel brannten, die Augen wurden heiß in den Höhlen und in seinen Beinen spannten sich die Muskeln wie zu einem Sprint an, doch er wusste es besser. Und fürchtete sich, denn dem Feuer nun nachzukommen würde vermutlich seinem eigenen Untergang nahe kommen, zeigte es der gerade in ihm verursachte Schmerz doch nur zu deutlich. Mit Schwung richtete er sich auf, schüttelte diese Niederlage vorerst von sich ab und durchquerte den Raum, riss die Tür mit dem Wissen auf, den massiven Knauf schlagartig zu erhitzen. Sollte er nur, er würde sowieso wieder gehen, eigentlich wollte er ohnehin wieder direkt in die Kaserne statt erneut zuhause zu landen. Ein dehnbarer Begriff, es fühlte sich zumindest nicht so an, wie es dies vielleicht sollte. Nun, vielleicht würde Berjael das nächste Mal ihn aus dem Schiff werfen, dann hatte all sein Grübeln ohnehin eh ein Ende. - „Wo warst …t du?“ „Wieso? Hast mich vermisst?“ Auf Erimites hatte er gerade ehrlich gesagt nicht wirklich Lust, doch dieser folgte ihm kaum dass er wieder gelandet war durch den großen Versammlungsraum; hier und da lagen Soldaten herum, wurden von ihren weniger zerfetzten Kameraden umsorgt. Blut hatte den Boden an zu vielen Stellen benetzt, schmerzlich stöhnte immer mal wieder jemand auf. „Der Boss sucht …t dich. Ist wütend …ten.“ „Aha…“ Das war er auch aber Berjael dies so offen zu sagen wäre nach den paar gesammelten Erfahrungen der letzten Stunden ziemlich unklug, wenn nicht zu sagen vollkommen lebensmüde. „Sagt …t, sollst dich nicht einfach verpissen … ten. Macht man nicht …t. Verstanden?“ „Nerv mich nicht, du…!“ „Hey!“ Ausgerechnet der, wunderbar. „Dir geht’s zu gut, was?! Wie kannst du es wagen, dich einem erfahrenen Soldaten zu widersetzen?!“ „Du meinst hoffentlich nicht dich, du Würstchen!“ Mit Emhom würde er sich wahrlich nie anfreunden, der Zug war definitiv schon vor seiner Ankunft abgefahren. Das zeigte auch der größere Engel, welcher Michael am Hemdausschnitt zu sich zog und sich in einer übertriebenen Geste auf seine Augenhöhe begab, ihn auf Grund der geringen Größe offensichtlich verspottend. „Wenn dir jemand sacht, dass du landen sollst… was machste dann? Richtig, landen! Und nicht einfach abhauen und alles in Gefahr bringen, was geplant war!“ „Wo war bitte was geplant? Ihr seid wie die letzten Vollidioten in euren Tod geflogen, du Penner! Einfach von einer Klippe springen ist nicht geplant, Schwachkopf!“ „Du Made, wie redest du mit mir?! Ich bin dein Vorgesetzter, du…!“ „Fenel ist tot, oh großer Boss! Bring ihn zurück oder spiel dich nicht so auf!“ Wütend riss er sich aus dem Griff heraus, stolperte noch einige Schritte nach hinten und schnaufte. Seit wann der nun sein Vorgesetzter war, wüsste er zudem auch gern aber das konnte leider nur einer beantworten und dieser würde es nur in einem Fall plötzlich auftretender Großzügigkeit tun und das erwartete er von Berjael nun wirklich nicht. Ach, wo er schon beim Thema war… „Das nächste Mal bleibst du hier. Wenn du zu uns gehören willst, dann auch mit allen Wunden. Wir flicken die Leute hier wieder zusammen, Einzelgänger kann hier niemand gebrauchen.“ Da saß er, einen Arm vor sich haltend und neben sich ein Soldat, welcher ratlos auf die Wunde blickte, dann seufzend den Kopf schüttelte und etwas murrte, dass sie lieber auf die Ärzte warten sollten. Michael blickte mit undurchdachter Kampfeslust in das eine Auge des Kriegsherrn, welcher jedoch keine Ambitionen für Streit verspürte und dementsprechend ruhig den ihn wenig beeindruckenden Blick erwiderte. Dass der Rothaarige immer wieder kurz auf die letzten Fetzen dessen blickte, was einst ein Arm gewesen war, störte ihn scheinbar nicht. „Deine Chance, Kleiner. Hau mir eine rein, nachher wird ich nur zurückschlagen.“ Michael antwortete nicht und unterdrückte den Drang, dieser Aufforderung wirklich nachzukommen; dass schiefe Grinsen machte es nun nicht besser, denn er fühlte sich verspottet. „Bist doch noch sauer, oder? Dass ich wen rausgeworfen hab, der bis hierhin eh verreckt wäre – und wir gleich mit, das Vieh hätte uns zerfleischt.“ „Spar dir die Scheiße“, antwortete der Erzengel und schob sich die Hände in die Hosentaschen, blickte sich noch einmal von seinem Standpunkt aus um. Mit einer Erklärung hätte er wirklich nicht gerechnet, aber sie machte nichts besser. Er wusste einfach nicht, wie er mit diesem Mann umgehen sollte und für den ersten Tag unter den Soldaten hatte er schon erstaunlich viel Müll erlebt. Vermutlich war dies nicht seine Welt aber anderweitig fand er auch keinen Anschluss, also würde er sich hier zusammenreißen und ein unverschämt dickes Fell zulegen müssen, so traurig diese Wahrheit auch war. Er kannte den geopferten Soldaten nicht und auch zu Fenel und ein paar weiteren Verstorbenen konnte Michael keine wirkliche Bindung aufweisen, doch allein der Gedanke, dass sie mit ihm gesprochen hatten und nun tot im Magen eines Dämons verweilten, trieb ihn fast in die Tränen hinein. Jemanden sterben zu sehen war nie leicht und er hätte diese Erfahrung gerne noch vor sich hergeschoben. Ohne nun zu antworten setzte er sich wieder in Bewegung, stieg über einige im Wege liegenden Soldaten hinweg und fragte sich gleichzeitig, warum man sie nicht auf ihre Pritsche legte; hier auf dem Boden schien wenig angebracht und erinnerte ihn an ein vorzeitiges Massengrab. Wobei es anders auch nicht besser wäre, im Endeffekt litten sie im Kollektiv. Welcher Arzt sich nun her bewegen würde, war ebenso fraglich, doch zweifelsfrei notwendig. Er hatte Raphael einmal darüber reden hören – Raphael sprach ja viel, wenn der Tag lang war und dies auch ungeachtet, ob man ihm tatsächlich zuhören wollte – dass unter den Ärzten im Krankenhaus wenig Begeisterung für diese Tätigkeit der schnellen Versorgung der Soldaten herrschte, da schließlich der gesellschaftlich herabgestufte Rang dieser beachtet wurde, doch es war selbstredend zwingend notwendig. Immerhin könnten die Dämonen sich auch gegen den Himmel stellen statt sich Assiah zuzuwenden, diesem Planeten in Kinderschuhen. Der blonde Engel persönlich würde vermutlich nicht hier auftauchen, das war auch ganz praktisch denn Michael hatte ihm immer noch nicht berichtet, wie es zu der Schusswunde gekommen war und ein weiteres Mal bei Luzifel verpfiffen zu werden war nun wirklich nicht erstrebenswert. Allerdings konnte das auch durch die anderen Ärzte passieren, denn natürlich kannten sie ihn als Mitstreiter ihres Kollegen und baldigen Chefs. Was sie die Absichten Michaels anging, war hier zweitrangig, denn die unerfahrenen Erzengel waren wunderbares Kanonenfutter für den Rest. Unerfahren, noch längst nicht in ihre Kräfte hineingewachsen und voller Fehler, die es zu beseitigen galt. Diese Sensationsgeilheit machte Michael fast krank. Dennoch strebte er an, es allen zu beweisen. Sie würden sich schon umschauen, sein Name würde schon noch strahlen und das fortwaschen, was man ihm jetzt noch anlastete; immerhin war da ja sein über alles begabter Bruder. „Michael!“ Einige Meter weiter links von ihm hockte Sariel auf dem Boden, winkte ihn herbei; oder zumindest beabsichtigte er das, sein Blick sprach Verunsicherung aus. Bevor er nun ziellos durch die Reihen der Verletzten ging, begab sich der Rothaarige dann doch zum jungen Mitstreiter, blieb jedoch stehen und bedachte den Soldaten dort nur mit einem flüchtigen Blick. „Was?“ Das eine, sichtbare Auge zuckte über das Gesicht Michaels, dann wieder zum Soldaten und schließlich schien Sariel zu befinden, dass er auch ohne den für ihn namenlosen Beistand überleben würde und erhob sich. „Wo warst du? Wir verarzten seit Stunden die Leute und warten darauf, dass endlich ein Arzt Zeit findet.“ „Und was hat das mit mir zu tun?“ War er tatsächlich jedem Rechenschaft schuldig, weil er zu Raphael gegangen war? Inzwischen merkte er ja, dass dies hier nicht üblich zu sein schien, da nervte die Fragerei bloß. „Nun ja… nichts“, antwortete Sariel etwas vor den Kopf gestoßen und trat über den am Boden liegenden Körper weg. „Zaphikel und ich haben uns nur gefragt, ob du auch mitgekommen bist… wir haben ein paar Leute auf dem Schlachtfeld verloren und da dachte ich…“ War das ein Anflug von Sorge um ihn oder wollte er nur nicht mit dem Schwarzhaarigen alleine ‚der Neue‘ sein? Denn Michael befand, dass der Letzte ihres kleinen Trios schwer zu durchschauen war; er arbeitete noch an seiner Personenkenntnis, doch irgendwie war Zaphikel ihm suspekt und schien nicht ganz ehrlich bezüglich sich selbst zu sein. Das würde die Zeit zeigen – wenn sie denn noch welche hatten. „Mir geht es gut“, antwortete er kurz angebunden und ließ ein weiteres Mal seine Augen durch die Menge schweifen. „Was habt ihr die ganze Zeit gemacht? Hier scheint nicht viel passiert zu sein, oder?“ Sariel lehnte sich gegen die Wand, seufzte ergeben. „Nicht wirklich, nein. Wir warten auf die Ärzte, die der Boss informiert hat. Eigentlich sollten sie schon längst da sein aber er sagt, wir sollen nicht nach ihnen schauen und wohlmöglich Druck machen, am Ende kommt niemand mehr her, bis dahin müssen wir also durchhalten und warten.“ „Dass die Leute Schmerzen haben, weiß er schon?“ Vielleicht war er ja zu naiv aber Michael hatte einfach kein Verständnis für diesen offensichtlich dummen Befehl; als würden die Heiler sich im Falle eines Falles an die Kampffront stellen, auch ihnen musste etwas an der Gesundheit der Armee liegen, oder etwa nicht? Ihm war das alles zu schwammig, die ganzen Aussagen um ihn herum kamen Michael vor wie die Rechtfertigung eines kleinen Kindes, welches trotzig einfach nach einer schnellen, aber doch vollkommen unlogischen Lösung suchte. Nachvollziehbar musste es scheinbar nicht sein und das störte ihn ganz gewaltig. Dennoch war er nicht in der Position, sich zu beschweren und so ergab Michael sich vorläufig seinem Schicksal und wartete mit dem Rest auf das Eintreffen eines Arztes. - Es würde keiner kommen, das war ihm bei der Dämmerung bewusst geworden. Inzwischen hatten sie zwei weitere Tote zu verbuchen und auch Berjael hatte bisher davon abgesehen sich zurückzuziehen, was laut Zaphikel sonst eigentlich nach einer gescheiterten Mission der Fall war. Er sprach nicht mit ihnen, er kümmerte sich um niemanden und doch schien klar zu sein, dass der viel zu große Engel sich um sie sorgte. Zumindest um die Männer am Boden, zu teilen gefangen in Fieberträumen und eingenommen vom Schmerz. Michael hatte es sich wie die übrigen Soldaten zur Aufgabe gemacht zu handeln und schlich zwischen den Verletzten umher, reichte ihnen Wasser und legte kalte Tücher auf. Bisher hatte er sich nie für jemanden verantwortlich gefühlt, doch sollte er tatenlos herumstehen und warten, dass sie ihnen unter den Händen wegstarben? Auch Berjael schien sie nicht aufhalten zu wollen und so waren es die Überlebenden, die nun beinahe krank vor Sorge um jedes Leben kämpften. Einige erholten sich langsam, ihre Astralkräfte kämpften gegen die Wunden an und zu teilen standen sie auch wieder auf, saßen wenigstens aufrecht und konnten das ein oder andere Trinkgefäß halten. Als der Feuerengel bei dem Mann aus dem Flugschiff angekommen war, zögerte er allerdings. Große Teile der Haut fehlten, Fleisch und Knochen waren an manchen Stellen zu einem unansehnlichen Brei zerfetzt worden und irgendwie bestand seine Brust nur aus der Hälfte ihrer ursprünglichen Form. Auch lag er weiter abseits, vermutlich war sein Anblick eine Belastung für die Genesenden: er zitterte, die Augen geschlossen. Von Zeit zu Zeit war schon jemand hier gewesen aber lange verweilten sie nicht an Ort und Stelle, überließen ihn wieder sich selbst. Michael ging in die Knie, betrachtete ihn aufmerksamer. Stellte die Schale mit Wasser neben sich ab. „Kannst du mich hören?“ Vorerst keine Reaktion, vermutlich hätte er selber auch besseres zu tun als brav zu antworten und so fuhr er mit seinem Finger vorsichtig über die Lippen des Mannes, hatte einen Wassertropfen an der Fingerspitze kleben und hoffte so, ihn zum Trinken zu animieren. Keine Reaktion, wieder befeuchtete er seinen Finger und ließ ihn über die Lippen streichen, fixierte diese regelrecht mit seinen Blicken. Nichts. „Streichholz!“ Nerviger, elender…! „Was?!“ Er wandte seine Aufmerksamkeit nur ungern Berjael zu, doch da dessen Präsenz, sprich sein Körper als geschlossene Masse, sich unaufhaltsam näherte sah er lieber auf und starrte ihn wütend an. „Guck nicht so blöd, weg da jetzt und geh schlafen!“ „Sülz mich nicht voll, du… hey!“ Also ehrlich, wie oft er nun von ihm wie ein kleiner Köter am Hals hochgehoben worden war, konnte Michael nicht mehr sagen aber die massige Hand des Kriegers schloss sich fest um ihn, zerrte ihn in die Luft. Wenigstens ließ er ihn dieses Mal nicht hilflos baumeln und so schubste Berjael den Rekruten nur ein paar Meter weg, versperrte ihm dann wieder mit seinem eigenen Körper den Weg. „Du sollst doch gehorchen! Geh schlafen, wenn der morgen noch lebt kannst du ja weitermachen.“ Angriffslustig blickte Michael ihn an, trotzdem musste er um seinen Aufenthalt hier fürchten denn irgendwie traute er es Berjael zu, jederzeit hinausgeworfen zu werden; vorher wollte er sich zu einem unentbehrlichen Mitglied entwickeln und dem war leider nicht der Fall. Noch nicht, dass in ihm großes Potenzial schlummerte, wusste er. Und Berjael auch, vermutlich hatte er ihn allein deswegen hier aufgenommen. „Iss vorher etwas, wenn du die nächste Mahlzeit verpasst hungerst du den Tag über.“ Mit einem Kopfnicken deutete er hinter Michael, wo Sariel stand und ihm ein in Papier eingeschlagenes Stück Brotkante reichte, doch das verschmähte der Rotschopf und schritt an dem Engel mit der Augenklappe vorbei. Schritte hinter ihm, bald schon hatte Sariel ihn eingeholt. „Es ist unklug, sich so vor dem Boss zu benehmen, weißt du…“ „Schnauze! Statt mir Predigten zu halten könntest du für einen Arzt sorgen, meinst du nicht?!“ „Dann nenn mir doch den Namen desjenigen, der sich von einem kleinen Rekruten in dieses Loch beordern lässt? Du scheinst ja einen gefunden zu haben“, schnalzte er das erste Mal abfällig gegenüber dem Erzengel, welcher den Blick gen seiner Schulter durchaus registrierte, es jedoch unkommentiert ließ. Natürlich kannte er jemanden, nur würde dieser sich im Notfall mit seinen Zähnen in der Wand des Krankenhauses verkanten, bloß um nicht mit diesem Ort in Berührung zu kommen. Raphael fiel also flach, höchstens Bal könnte er fragen aber diese würde seinen Eintritt in die Armee sicherlich nicht ohne Sabotage hinnehmen, in welcher sie ihn zur Räson bringen wollen würde. Demnach stand auch Michael vor einem Rätsel und so blieb er ebenso nutzlos wie der Rest der Leute, die sich allmählich in Richtung Schlafkammer begaben. Einen Augenblick blieb der Rothaarige stehen, schaute ein weiteres Mal in der großen Halle um sich, doch nichts besserte sich. Der Schmerz stand vielen ins Gesicht geschrieben, Schnitte klafften auf, Wunden bluteten immer wieder aufs Neue los. Das war also nun seine Welt. Nun, wenn er in ihr leben wollte, würde er sie zumindest nicht vollkommen unberührt lassen da er die Ansicht vertrat, dass jedes fehlende Handeln nur noch verschlimmert, was ohnehin schon da ist. Berjaels Blick im Rücken half ihm bei der Entscheidung allerdings nicht sonderlich, unter Beobachtung konnte er nicht gut arbeiten; schon jetzt spürte Michael, wie seine Handflächen schwitzig wurden und so lief er den anderen dann doch nach ins Schlaflager und bezog seine kleine Pritsche weiter hinten im Raum. Zaphikel daneben lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Decke betrachtend, während Sariel weiter mittig einen Platz gefunden hatte. Es wurde etwas gemurmelt, hier und da lachte jemand halbherzig und leise, doch allgemein schienen sie alle nicht wirklich in bester Stimmung zu sein; was nicht verwunderlich war, bedachte man die ganze Situation hier. Licht gab es nur jenes, das aus der großen Versammlungshalle hereindrang, doch dieses erlosch schon sehr bald, hüllte die liegenden Gestalten in Dunkelheit. Das würde also Michaels erste Nacht unter den Soldaten werden. Noch wusste er nicht, wie genau er zu diesen Personen stehen sollte doch schienen sie ihn zumindest im Moment weniger zu verspotten, was für diesen komischen Haufen ein wirklicher Fortschritt war. Unter der dünnen Decke würde er schnell frieren, also musste er möglichst bald einschlafen, ansonsten würde dies beinahe unmöglich für ihn zu bewerkstelligen. Es war schwierig, wenn man die Geräusche anderer Personen dazu rechnete. Im Moment befanden sich etwa zwanzig Männer bei ihm. Mit Zaphikel und Sariel gehörte er zu den Jüngsten und in Michaels Fall war er vermutlich der Einzige, der nach etwa einer halben Stunde nicht damit gerechnet hatte; er hätte es nicht einmal für möglich gehalten, diesen Gedanken niemals gehegt und entsprechend groß war der schockierende Moment, in welchem er Erkenntnis erlangte. Da seine Füße kalt wurden, hatte er noch keinen Schlaf finden können und bekam die Situation zu seinem Übel von Anfang an mit; dass er sich unter Männern befand, schien auch ein gewisses Maß primitiven Verhaltens vorauszusetzen, zumindest war er allein nie wirklich damit in Berührung gekommen – im wahrsten Sinne des Wortes, denn ein paar Betten weiter stöhnte gerade jemand ein weiteres Mal leise auf, während er sich selbst befriedigte. Michaels Augen weiteten sich etwas, dann zog er sich die Decke etwas weiter bis an das Gesicht und versuchte, dies auszublenden. Scheinbar schien es außer ihm niemanden zu kümmern, zumindest beschwerte sich niemand, noch lachte es aus irgendeiner Ecke, womit er nun fest gerechnet hatte. Nun herüberzurufen und einfach ‚Ruhe!‘ brüllen würde ihn vermutlich sehr unglücklich machen, denn keiner der Soldaten würde sich seinem Wort ergeben. Allmählich hatten sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt, er sah Umrisse von Betten und unförmige Körper unter dünnen Decken, doch den Verantwortlichen dieser kleinen Pornosession nicht – was ganz gut war. Dennoch richtete er sich etwas auf, lokalisierte das Geräusch auf der anderen Seite und befand es für besser, sich wieder hinzulegen. Die Augen zugekniffen und die Decke noch etwas weiter nach oben gezogen rollte sich der kleine Körper zusammen. - Merkwürdig, irgendetwas stimmte nicht. Er war – nachdem der erleichterte, heisere Schrei des namenlosen Soldaten durch den Raum gesickert war – tatsächlich eingeschlafen, hatte nun auch Schnarchen, Grunzen und Gerede anderer ausgeblendet und doch schien etwas zu stören. Und dies nicht im Traum. Wenn Michael sich bewegte, fühlte er sich besser als zuvor, doch gleichzeitig löste es Unbehagen in ihm aus und da er von Natur aus einen übertriebenen Selbsterhaltungstrieb besaß, schlug er letzten Endes doch die Augen auf, blinzelte müde. Es konnten unmöglich mehr als ein paar Minuten vergangen sein, besten Falls eine Stunde. Noch immer war es verhältnismäßig leise im Raum. Doch eine fatale Änderung ließ ihn erstarren – jemand lag neben ihm. Um genau zu sein dahinter, ein Arm hatte sich um ihn gelegt und die Hand streichelte über seinen entblößten Bauch. Auf der Seite zu schlafen war also ein großer Fehler, doch für diese nüchterne Art einer Feststellung blieb ihm eigentlich keine Zeit, denn nun spürte er auch den fremden Atem im Nacken, schauderte angeekelt. Die Körperwärme war es, welche ihn geweckt hatte. Ein leises, amüsiertes Lachen. Man hatte also bemerkt, dass er aufgewacht war. „Na, auch endlich wach?“ Die Stimme konnte er nicht zuordnen, also war das niemand von den Männern, mit denen er bisher ansatzweise Kontakt hatte. Es war auch nichts Besonderes an ihr; durchschnittlich, die eines jungen Erwachsenen vielleicht. Wobei dies bei Engeln ohnehin relativ war. Das Streicheln an seinem Bauch nahm nicht ab; im Gegenteil. Immer wieder rutschte die Hand weiter nach oben, tastete sich zur Brust des jungen Engels, welcher spätestens jetzt seinem Fluchtinstinkt nachkam und rasch nach vorne rutschte, um sofort aufzuspringen und dann ohne Rücksicht auf Verluste den Körper des Mannes rösten wollte – falsch gedacht, dort stand nämlich auch jemand und wenn Michaels Augen ihn nicht vollkommen täuschten, hatte dieser bereits eine Hand in die eigene Hose geschoben. „Ihr seid doch…!“ Eine Hand prallte an seinen Mund, schloss den Unterkiefer fest ein und ermöglichte es ihm so nicht, sich zu äußern; er schmeckte etwas Blut, hatte sich doch auf die Unterlippe gebissen. „Wir wollen doch keinen wecken“, flüsterte der Mann hinter ihm wieder in sein Ohr und ließ die Hand vom Bauch weiter zur Seite gleiten, fasste ihn an der Hüfte. Auch ein Bein schob sich heran, über die des Feuerengels und presste ihn an den Körper des anderen. Mit Rutschen und gedämpften Fluchen holte er mit einem Fuß zum Tritt hinter sich aus, doch das Bein drückte ihn nur fester gegen den fremden Körper, minimierte seine Bewegungsfreiheit. Langsam stieg eine Art unbegründete Panik in ihm auf; was sollten sie schon großartig mit ihm anstellen? Wobei der Mann vor ihm definitiv gerade in seiner eigenen Welt steckte und dass er Michael zu nicht mehr als einem Objekt in dieser machte, passte diesem gar nicht. Nun, nicht dass nun jemand dachte, er würde gerne der Protagonist in eines anderen Mannes Gedanken sein, er wollte am liebsten gar nicht Teil dieser inneren Sekte werden! „Jetzt stell dich nicht so an, die meisten hier haben das mitgemacht. Du bist halt der Neue“, flüsterte es wieder in sein Ohr und allmählich fand seine Panik doch berechtigte Existenzbegründungen; fummelte der gerade hinter ihm herum? Ganz klar – ja! An seiner Hose wurde bereits gezogen, was den letzten Zweifel ausräumte und ihn wieder zum zappeln animierte – ehe er mit Schwung auf den Bauch gedreht wurde und der Typ hinter ihm mit dem Knie in seinem Kreutz dafür sorgte, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Die Hand hielt weiterhin seinen Mund zu und mit beiden Beinen als Waffe seines Gegners hatte er kaum eine Chance sich zu befreien. Michaels Arme wurden indes vom Zweiten festgehalten – der gerade noch an sich gespielt hatte und nun fummelte er ihn allen Ernstes an! – und hinter sich spürte er deutlich, wie die Präsenz des anderen Soldaten, kaum dass sie sich beim herumdrehen weniger aufdringlich entfernt hatte, wieder ganz nahe rückte. Ein Knopf wurde aufgemacht, Stoff einer Hose raschelte und an seiner eigenen wurde wieder gezogen. Irgendwas drückte ihm gegen… stopp! Das reichte, er würde sich nicht zur billigen Nutte machen lassen, bloß weil die Herren zu viel Tinte auf dem Füller hatten! Wie er ihnen entkommen sollte, war jedoch die andere Seite. Um ehrlich zu sein hatte Michael große Angst, dass sie dies hier durchziehen würden – was zweifelsfrei passierte, wenn er sich nicht selbst befreite. Rationalität fiel ihm schon immer irgendwie schwer und jetzt die Ruhe zu bewahren und sich bestenfalls noch zu entspannen käme genau zum gegensätzlichen Ergebnis dessen, was er sich selber wünschen würde, doch Zeit hatte er nun auch nicht mehr und da er in die Enge getrieben wie ein verängstigtes Tier reagierte – als welches er sich auch gerade fühlte – geschah, was geschehen musste: Funken schlugen auf, wieder die ihm selbst unheimliche Hitze und der Griff um seinen Nacken löste sich etwas. Ein ungläubiges „Was zum…?“ drang ihm an die Ohren, doch das zur Hälfte in die Matratze gepresste Gesicht verzog sich nur zu einer Maske aus Wut und Verzweiflung. Als seine Flügel nun noch ausgebreitet wurden, ließ er dem Feuer einmal freien Lauf und gewährte, dass es ihn schützte. Ein erschrockener Schrei, schnell entfernte sich der Soldat von ihm und auch der andere ließ ihn los, während Michael selbst sich schnell aufrichtete, den Raum in ein helles Leuchten tauchte. Inzwischen war auch der letzte Soldat wach geworden, doch kein Laut drang an seine Ohren; das Prasseln und Knistern nahm alles ein und wurde zu seiner ganzen Welt; dann schossen die Flammen wieder in Richtung Gesicht, was ihn paralysiert erstarren ließ. Sie würden ihn verbrennen, seine Augen aus den Höhlen ätzen und die Haut zu einer einzigen Masse aus pulsierendem Schmerz verwandeln, wenn er sich nicht unter Kontrolle brachte. Das war schwerer als gesagt, selbst die Flügel konnte er nicht verschwinden lassen. Seine Konzentration nun einzig auf die Flammen zu lenken erschien Michael unmöglich, galt sie doch eher dessen, dass er nicht verletzt werden wollte. Einzelne Schemen huschten vor seinen Augen umher, Schreie durchfluteten den Raum, sie riefen nach jemandem, doch das verstand der in Flammen stehende Engel nicht. Platsch. Und wieder hatte man ihn gelöscht – dieses Mal hoffentlich erneut mit Wasser, denn Michael war noch zu versteinert, um verdächtige Gerüche wahrzunehmen. Sein Atem ging unregelmäßig, die Hände waren zu Fäusten geballt und an den Federn seiner Flügel perlten Wassertropfen herab, Haare hingen ihm nass in den Augen. Jetzt registrierte er die in einer Ecke gesammelten Soldaten, ihre ihm ängstlich zugewandten Blicke und der Unglaube, der in ihren Augen stand. Vor ihm stand Raphael, den Eimer noch erhoben, er selbst war scheinbar gehetzt. Das blonde Haar hing zerzaust vom Kopf, auch er atmete beschleunigt, begradigte seinen Stand nun. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren fasste er Michael am Handgelenk, zog ihn mit sich und somit hinaus aus dem Raum, weg von den anderen Soldaten. Wieder spürte der Feuerengel ein Brennen in sich, heiß stieg es sein Gesicht empor und sammelte sich hinter der Stirn, ehe ihm ein paar warme Tränen über die Wangen rutschten. „Schneller“, hörte er die Stimme des Windengels, ließ sich von diesem ungewohnt handzahm aus der Kaserne führen, hinaus in die Nacht und einige hundert Meter weit ins offene Feld, ehe sie endlich stehen blieben und Raphael sich zu ihm drehte, ein Seufzen vernehmen ließ. Hände fassten das Gesicht Michaels, drehten es in einen Winkel und halfen dem Arzt, dass er ihn besser anschauen konnte. In einem Anflug aus Mitgefühl legte er ihm die Hände auf die Schultern und trat erst näher, doch die Umarmung würde Michael nicht zulassen, da er jetzt schon den Oberkörper etwas von ihm wegdrehte, so unterließ Raphael es dann auch und ließ ihn wieder los. „Deswegen die Verletzung mit der Kugel, ja?“ Wozu sollte er ihm antworten, es war doch ohnehin offensichtlich. Nun war er aufgeflogen und wenn es ablief wie bisher würde auch Luzifel in wenigen Stunden davon unterrichtet werden. Es war also umsonst gewesen; zwar hatten ihn bisher nicht einmal zwei Tage an die Armee gebunden, aber sie hatten Hoffnung gespendet und die war nun dahin. ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘, doch im Moment fühlte Michael sich nicht dazu in der Lage, überhaupt etwas aufbauen zu können. Er hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Sein Magen krampfte und die Beine entwickelten ein Gefühl wie Wackelpudding. Langsam ließ er sich auf einem der zahllosen Felsbrocken in dieser Einöde sinken, zog die Knie an den Körper heran und vergrub sein Gesicht in den Armen. Irgendwo war er eben doch ein Kind und so sehr ihn dies störte – ändern konnte er nichts an dieser maßlosen Traurigkeit in sich. Allmählich wollte sie empor und dass sie dies ausgerechnet vor Raphael durchzog, machte es nicht wirklich besser. Neben sich spürte Michael, dass auch der Arzt sich zu ihm gesetzt hatte; ein seltsamer Geruch erfüllte die Umgebung und kroch in seine Nase; es stank. Langsam sah er auf, erblickte zwischen Raphaels Lippen eine Zigarette. Er war Raucher? Sein blick blieb nicht unbemerkt, wurde jedoch mit einem Lächeln zur Kenntnis genommen. „Schau nicht so… ich hab grad viel Stress und muss den irgendwie abbauen. Mir hilft es.“ Er klang nicht anklagend, eher freundlich und damit konnte Michael nun wirklich nicht umgehen, drehte sich etwas von ihm weg. „Es stinkt…“ „Und ist verdammt ungesund aber ich mach‘s eh nicht lange… Nur, bis das Gröbste vorbei ist.“ Ein leises Knistern erfüllte die Luft, als er den Tabak mit der Glut wegbrannte, einen Stoß Rauch zwischen den Lippen entkommen ließ. „Ich bin fix und alle, weißt du…“ Ohne eine Reaktion Michaels abzuwarten hatte er weiter gesprochen, schaute dabei auf einen unbestimmten Punkt über sich und ließ schließlich den Nacken etwas knacken. „Bin vor etwa einer halben Stunde mit ein paar Kollegen hier angekommen. Da drin sieht es ja grausig aus, wie ein Schlachthof. Wir haben die schlimmsten Wunden versorgt… meine Kollegen können besser heilen als ich, ein paar Leute sind also nur genäht worden aber das wird schon. Etwas Bettruhe und hin und wieder ein Bad und ich hab Hoffnung für alle.“ Er blickte auf Michael, berührte diesen jedoch immer noch nicht. Auch musste Raphael auf der Kante des Steinbrockens sitzen, da die weiterhin nicht eingezogenen Flügel Michaels ihm den Platz raubten. Kurz erlaubte er sich einen neugierigen Blick auf diese und lächelte schließlich, zog wieder an der Zigarette. „Dann die ganzen Übungen wegen dieser Elementar-Sache und die Ausbildung… ich bin wirklich müde…“ Er streckte sich, nur anders als bei Michael war hier kein Knacken im Rücken oder anderweitigen Gelenken zu hören; er kannte Raphael gar nicht krank. „Deswegen rauche ich erst einmal etwas… ungesund aber nur eine kurze Übergangslösung… ach Mist!“ Michael drehte den Kopf, sah der herabfallenden Glut nach, welche aus der Zigarette geplumpst war. Der Blonde war aufgesprungen und tastete an sich herum, fand schließlich die kleine Schachtel mit den Streichhölzern und blickte enttäuscht hinein. „Leer“, informierte er den Rothaarigen mit Zigarette im Mund, blickte sich seufzend um, ehe er bei Michael hängen blieb; dieser zog eine Augenbraue hoch, schüttelte den Kopf. „Vergiss es…“ „Nur etwas… Eine winzige Flamme, das reicht schon.“ „Hast doch gesehen, was grad passiert ist?“ Er rutschte etwas weg, umfasste wieder seine Knie, doch da umrundete der Arzt ihn schon, beugte sich vor sein Gesicht. „Hab ich und ich hab vollstes Verständnis für deine Reaktion.“ Dass er ihm so nah kam gefiel Michael gar nicht; mürrisch beugte er sich etwas nach hinten, doch Raphael rückte nach und näherte sich seinem Gesicht wieder auf gefährlich aufdringliche Art und Weise. „Wenn du nicht willst, dass ich dich anspucke…!“ „Ach komm, nur ein kleines… danke!“ Der war ja furchtbar, da kam er dieser dummen Bitte lieber nach und rutschte dann grummelnd wieder etwas weg, sackte wieder ein Stück weit in sich zusammen. Natürlich bemerkte er, dass Raphael ihn nur von der Situation ablenken wollte aber dass nun alles gelaufen war, würde er nicht vergessen. Es war ja auch fast lächerlich, sich deswegen derart verletzt zu fühlen. Immerhin hatte er noch keinen wirklichen Fuß dort gefasst, es war nur eine Idee, die nun kaputt war. Dennoch hatte er zu viel an diese gehängt, dass es ihm vollkommen egal sein könnte. Michael wollte sich seiner Bestimmung nicht ergeben, aber vielleicht war eben genau das Problem: Er hatte keine Wahl. Es war sein Schicksal und dieses aufzuhalten käme dem Zählen von Narben in Berjaels Gesicht gleich: Eine Sisyphos-Afgabe. Ehe man sich versah, waren dort neue und man konnte von vorn beginnen. „Michael… darf ich fragen, warum du der Armee beigetreten bist? Ich meine… Kampf?“ Raphael wusste, dass er sich gerade weit aus dem Fenster lehnte aber scheinbar fürchtete er ihn auch nicht, wie Michael gerade befand. Er hob den Kopf wieder und drehte ihn zum anderen, betrachtete ihn etwas. „Wieso?“, fragte er schließlich, drehte sich wieder etwas und ließ auch endlich die Flügel verschwinden. „Ist doch egal, oder? Ist doch meine Sache…“ „Ja sicher ist das deine Sache. Ich frag nur aus Neugierde. Irgendwie muss sich bei dir ja der Gedanke eingenistet haben, dass die Leute mit dem schlechtesten Ruf zu dir passen könnten.“ Jetzt lachte er etwas abfällig, woraufhin Raphael verwundert die Augenbraue hob. „Mal ehrlich, mein Ruf ist auch nicht der Beste. Da kann mir das ja schon mal egal sein, oder?“ „Ja weil du ständig Leute verprügelst…“ „Das verdienen die auch…“ „Was gibt es bitte für Gründe jemanden zu verprügeln, der dich nur angeschaut hat?“ „Da gibt es genug! Dir sollte man auch das Maul polieren für dein absolut ekelhaftes Schlafzimmer! Wenn ich schon an diese Tapete denke…!“ „Hallooohoooo das ist grad gar nicht der Gesprächsinhalt!“ Gut, sein Schlafzimmer schien nicht jedermanns Geschmack zu treffen aber das war Raphael dann auch relativ egal. Michael scharrte mit dem Fuß auf dem Felsen herum, rümpfte die Nase etwas. „Warum hast du Luzifel gerufen…?“ „Gegenfragen zählen nicht“, antwortete er dem Feuerengel und zog erneut an der Zigarette, lehnte sich nun wieder an den Stein heran. „Weil ich dachte, dass dein Bruder wissen sollte… nun ja, du warst stark verletzt und ich dachte, er… also ich fand es irgendwie richtig, weißt du?“ „Hm-hm“, machte Michael und würde am liebsten laut schreien; natürlich. Luzifel machte esimmer richtig, warum sollte man ihn nicht als ideale Lösung bei Problemen heranziehen? Wie kindisch er sich gerade verhielt, war Michael gar nicht bewusst. „Jetzt zu meiner Frage… warum die Armee?“ „Weil ich nichts anderes kann als mich zu prügeln… irgendwie muss ich ja mal nützlich sein.“ Er erwiderte Raphaels ungläubigen Blick stur, rümpfte die Nase und widerstand gerade noch dem Drang, ihm die Zunge entgegenzustrecken. „Verzeih aber das sah gerade nicht so aus als wenn…“ „Glaub mir ich hatte auch kein Bock dazu!“ Beim Gedanken schüttelte es ihn etwas; oder lag das daran, dass er noch immer nass war? „Willst du etwa noch hier bleiben, jetzt nach allem?“ Wieder zog Raphael an der Zigarette, warf sie dann zu Boden und trat sie aus, schien selbst etwas zu frieren. „Ich denke, das ist egal.“ Michael streckte die Beine aus, in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Selbst, wenn ich es wollte… du glaubst doch nicht, dass die mich noch dort lassen.“ Um ehrlich zu sein hatte er sich noch nie so intensiv mit Raphael unterhalten, vor allem nicht über Gefühle und all dieses…Zeugs, mit dem er eigentlich nicht gern hausieren ging. Aber es fühlte sich in Ordnung an, er glaubte nicht dass er ausgerechnet dies Luzifel erzählen würde. Es war ja nicht so, dass man jeder Zeit das Gespräch mit seinem Bruder suchen konnte. „Soll ich ehrlich sein? Mir ist kalt. Und dir auch, du wirst nur krank. Wenn ich mich richtig erinnere, verkühlst du sehr schnell, oder? Lass uns reingehen, dort warten meine Kollegen und dein Boss auch. Der sah aus… ganz viele Stellen verbrannt.“ Vermutlich hatte Michael etwas Anderes erwartet bei dem ‚soll ich ehrlich sein‘, denn sein Blick glitt in eine kurzweilige Enttäuschung, was Raphael lächeln ließ. „Du wirst ein prima Soldat… wenn du erst einmal das Feuer kontrollieren kannst, kann dir keiner was. Na komm, weglaufen ist Unsinn. Du hast nichts angestellt.“ „Oh klar dass ich fast ein paar Leute geröstet habe, wird Berjael scheißegal sein. Er mag mich ja auch so gern, wir sind ein Herz und eine scheiß Seele, weißt du?“ „Sind wir das, ja?“ Michael erstarrte, schloss dann die Augen und bewegte die Lippen zu einem stimmen Fluch. Als er wieder aufblickte, war dort die massige Gestalt des Kriegsherrn, welcher ihn aus seinem einen Auge anfunkelte. ------------------------------------------- Ich geb zu ich vermisse Fenel etwas aber ich muss mich auch stark von meinen eigenen Charakteren zurückziehen, ansonsten übernehmen sie die Überhand. Wie kann es eigentlich sein, dass ich Favoriteneinträge aber keine Kommentare bekomme? :P Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)