Geister der Vergangenheit von maoyan (Der Augenblick der Rache) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Geister der Vergangenheit Sie hatte grüne Augen. Wunderschön. Lange, schwarze Wimpern. Geschwungene Augenbrauen, die am Rand rot waren. Rot wie die krakelige Schrift auf dem Paket, rot wie das Blut, das ihren Körper entstellte. Blut an meinen Händen, von den Schnitten an meinem Bauch kommend, aus denen noch immer das Blut quoll. Ein grausames Lachen, heiser und kratzig. Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott. Ich kniff die Augen fest zusammen, wartete auf den nächsten Schnitt. Blinzelte. Und war zurück in der Gegenwart. Noch immer zitternd versuchte ich die Erinnerung abzuschütteln. „Das war vor zwölf Jahren“, sagte ich laut, um die Stille zu vertreiben. „Es ist vorbei. Der Täter wurde gefasst.“ Fast hätte ich es geglaubt. Fast. Eine Gänsehaut überzog meine Arme, meine Atmung beschleunigte sich. Nein. Ich würde nicht glauben, dass er zurück war. Das Paket war einfach falsch adressiert gewesen. Verzweifelt klammerte ich mich an diesen Gedanken, hängte mich an ihm fest, obwohl ich selbst wusste, wie hohl diese Ausrede war. Meine Hände zitterten noch immer, als ich die Polizei anrief. Erst dann bemerkte ich den Brief – jemand hatte ihn seitlich ins Paket gesteckt, dort, wo kein Blut war. Mit klopfendem Herzen zog ich den Zettel heraus. Öffnete ihn. Las die Nachricht. Das war der Moment, in dem ich anfing zu schreien. Ich nippte an dem Kaffee. Wohltuend warm rann er meine Kehle herab. Zitternd vor Kälte zog ich die Decke enger um mich. Es half nichts. Es war eine innere Kälte, die mich nicht losließ. Ich hatte alles noch einmal erlebt – wie ich von der Schule nach Hause gelaufen bin. Wie der Mann mich nach dem Weg gefragt hatte und ich nur zu gerne geantwortet hatte, geschmeichelt von der Aufmerksamkeit eines Erwachsenen. Wie er mich ins Auto zog und blaffte: „Zeig’s mir!“ Wie er mich vergewaltigte und mir blutige Schnitte zufügte. Und schließlich wie die Polizei den Täter und mich fand. „Er ist aus dem Gefängnis entkommen. Tut mir leid. Ich weiß nicht, warum man mich nicht verständigt hat“, erklärte die Polizistin mir und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Ha…Hat er…das Paket geschickt?“ Meine Stimme stockte beim Reden. „Wir gehen davon aus. Sie bekommen Personenschutz – ich lasse ihnen Harris und Brodney hier.“ Die zwei Männer nickten mir zu und bezogen Stellung an der Tür. Eine ganze Weile blieb ich so still sitzen und starrte in die Luft, ohne wirklich etwas zu sehen. Dann stand ich so abrupt auf, dass Harris und …Bradley? Bradney? Zusammenzuckten. Es war mir egal. Wie in Trance ging ich ins Bad, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich sah hoch in den Spiegel und erstarrte. Eine eiskalte Hand legte sich auf meine Schulter, strich über meinen Hals. „Hast du mich vermisst?“, fragte er. „Ich hoffe doch, du hast meine Nachricht bekommen: Es ist noch nicht vorbei!“ Und dann lachte er, heiser und kratzig. „Ich bin noch nicht fertig mit dir, meine Süße.“ Sein Atem strich über meinen Hals. „Aber jetzt haben wir viel Zeit füreinander.“ Ich war erstarrt vor Angst. Krampfhaft versuchte ich Luft zu holen, zu schlucken, zu reden, irgendetwas! „Wie…“, brachte ich heraus, bevor ich wieder abbrach. Meine Herz klopfte wie wild. „Wie bist du hier hereingekommen?“ Fast hätte ich mich schon bei diesem einen Satz verhaspelt. „Das Fenster, Süße. Das Fenster.“ Er war mir noch näher gekommen, sein Atem bewegte meine Haare. Er drehte mich herum und zog sein Messer, um mir den ersten Schnitt zuzufügen. Plötzlich flog die Tür krachend auf. Die zwei Polizisten standen in der Tür, mit erhobener Pistole. Sie erfassten die Situation. Sahen das Messer. Und feuerten. Einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Dann schlugen die Kugeln ein, trafen den Vergewaltiger direkt ins Herz. Er fiel. Es wirte alles so unwirklich. Mein Leben lang hatte ich ihn gefürchtet, hatte ihn gehasst. Und jetzt lag er da, tot, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Aber alles, was ich spürte, war Bedauern. Bedauern darüber, dass nicht ich ihn getötet hatte. In diesem Moment wurde ich bewusstlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)