C'est la vie von Black_Melody (Manchmal geht das Leben seltsame Wege) ================================================================================ Kapitel 1: Welcome to your personal hell ---------------------------------------- Auch ein Weg von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt. – Koreanisches Sprichwort „Wenn du das wirklich durchziehst, rede ich nie wieder auch nur ein einziges Wort mit dir!“ Das war der letzte Satz, den meine Mutter von mir zu hören bekommen hatte. Vor vier Tagen. An der Tatsache, dass ich seitdem nicht mehr mit ihr gesprochen hatte, ließ sich wohl erkennen, wie wirksam die Drohung gewesen war. Es hätte ja funktionieren können. Aber wäre es so gewesen, hätte ich wohl kaum in dem Flugzeug gesessen, das uns nach Seoul brachte. Ich hatte ja prinzipiell nichts dagegen, dass meine Mutter sich nach vier Jahren des Alleinseins wieder verliebt hatte. Nein, absolut nicht, ich gönnte es ihr, auch wenn ich Liebe für unnötig hielt. Es störte mich auch nicht, dass sie, wie in modernen Zeiten nicht unüblich, das Internet zur Hilfe genommen hatte. Das war für mich völlig in Ordnung. Was mir aber gewaltig gegen den Strich ging, war die Tatsache, dass sie nach acht Monaten Fernbeziehung beschlossen hatte, dass wir zu ihrem neuen Lover nach Südkorea ziehen sollten. Aber ich wurde ja nur vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich hatte nicht mal mehr die Zeit gehabt, mich von meinen Freunden zu verabschieden, aber ich musste diesem Miststück, das mich auf die Welt gebracht hatte, lassen, dass sie das geschickt eingefädelt hatte. Sonst wäre ich wahrscheinlich über Nacht einfach verschwunden. Das war ihr wahrscheinlich auch bewusst gewesen. Verdammter Mist. Wieso hatte ich etwas gegen einen Spontanumzug? Mal überlegen, vielleicht war es die Tatsache, dass ich noch nicht volljährig war, aber immerhin alt genug, um zu wissen, was ich wollte und was nicht. 9000 Kilometer, sieben Stunden Zeitverschiebung. Ich wechselte mal eben den Kontinent! Und zu allem Überfluss beherrschten weder mein jüngerer Bruder noch ich die Landessprache auch nur annähernd, von meiner Mutter wollte ich gar nicht anfangen. Und dabei ging es eigentlich nicht darum, dass wir nach Seoul zogen. Tokyo, Jakarta, Bangkok – das alles wäre mir gleich schrecklich vorgekommen. Weil in diesen Ländern nicht jeder fließend englisch beherrschte und ich mit einer Kultur konfrontiert wurde, die ich nicht kannte. Wobei mir die Kultur wesentlich harmloser vorkam als die sprachlichen Barrieren. Zu allem Überfluss war ich schon an einer Schule angemeldet. Na super. Zwar eine Schule für Ausländer, aber ich wusste jetzt schon, dass das absolut daneben gehen würde. Weil ich nicht war wie sie. Ich war einfach nicht wie die anderen Mädchen in meinem Alter, und mit Jungen kam ich auch nicht wirklich aus. Weil ich nicht darauf aus war, mich zu besaufen. Weil ich mich absichtlich anders stylte. Weil ich andere Dinge schätzte als andere Jugendliche. Und doch war ich irgendwie wie sie, aber das hatte nie jemand außerhalb der Szene versucht zu sehen. Faktisch war ich einfach gegen alles und jeden. Und das würde zumindest für die nächsten neun langen Monate so bleiben. In neun Monaten würde ich 18 Jahre alt werden und zusehen, dass ich meinen Hintern schleunigst wieder nach Deutschland bekam. Ich könnte sicherlich bei meiner besten Freundin unterkommen, das wäre ja auch nur eine Zwischenlösung. Und dafür würde ich direkt mal anfangen, meine Kohle zusammenzukratzen. So viel war sicher. Nichts würde mich länger in Korea halten als unbedingt notwendig. Seufzend lehnte ich mich zurück und schloss die Augen, konzentrierte mich auf die Musik, die mich umgab, indem ich meinen MP3-Player einfach lauter stellte. Wenigstens gab es in Südkorea anständige Musik, und nach Japan hatte ich es auch nicht so weit. Immerhin würden die Menschen in meiner Umgebung nichts an meinem Musikgeschmack auszusetzen haben. Ich war mir sicher, auch so alle schnell gegen mich aufzubringen mit dem Sprich-mich-an-und-du-stirbst-Blick und der Anti-Einstellung. Yeah. Das würden lustige Monate werden. „Jia. Hey. Du sollst aufhören, so missmutig zu gucken“, sprach mein Bruder mich an, nachdem er mir einfach einen Kopfhörer geklaut hatte. Ausgerechnet der, der mein einziger Verbündeter sein sollte und es meistens auch war, versuchte, zwischen meiner Mutter und mir zu vermitteln. Was er auch musste. Immerhin sprach ich nicht mehr mit meiner Mutter und ignorierte, was sie sagte. „Lass mich, Josh“, knurrte ich und versuchte, meinen Kopfhörer zurückzuerobern. Er sollte mich einfach nur in Ruhe sterben lassen. Ob ich mich kindisch verhielt? Vielleicht ein wenig, aber jeder, der so urteilte, sollte mal bitte versuchen, sich in meine Lage zu versetzen. Es konnte ja nicht jeder wie mein Bruder sein und das alles einfach so hinnehmen. „Du weißt, dass ich genauso viel Bock auf den Umzug habe wie du, aber was können wir machen? Wir haben doch schon alles durch, Eltern sitzen leider am längeren Hebel.“ Ja, da hatte er recht, was mich aber nicht daran hinderte, ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen. Wir hatten gebettelt, geschrien, Sachen kaputt geschlagen, versucht, ruhig zu argumentieren und es hatte nichts gebracht. Wobei ich mich tatsächlich noch mehr angestrengt hatte als mein Bruder. Ich hatte sehen können, dass meine Mutter förmlich geplatzt war, zumindest teilweise, aber trotzdem war sie hart geblieben. Die Frau hatte ein Herz aus Diamant. Zu hart, um auch nur einen Splitter abzubekommen. Ich seufzte, als verkündet wurde, dass wir in wenigen Minuten landen würden. Ich war nach 18 Stunden Flug müde, durchgeschwitzt und immer noch schlecht gelaunt. Und demnächst würde ich den neuen Freund meiner Mutter kennenlernen. Und sie ihn auch das erste Mal persönlich treffen. Wehe, ich würde in den nächsten Monaten noch einen neuen Stiefvater kriegen. Dem würde ich das Leben zur Hölle machen, ein endloser Albtraum aus Schmerz und Verzweiflung. Wenn er sich mit der Hochzeit immerhin noch zurückhielt, bis ich ganz weit weg war, würde ich ihn nur meinen Hass spüren lassen, aber er würde überleben. Ich hatte nicht viel Bock auf einen koreanischen Nachnamen. Erst recht nicht Kim. Jia Kim. Wie dumm würde das denn klingen. Und selbst wenn er ganz in Ordnung wäre, er hatte keine Chance, mit mir auszukommen. Weil ich unausstehlich war. Die letzten Minuten verbrachte ich damit, grimmig in der Gegend umher zu starren, was ich vorher eigentlich auch schon getan hatte. Ich musste die Musik leider ausschalten, also hatte ich nichts anderes zu tun. Na wunderbar. Ich war noch nicht mal angekommen und mir war langweilig. Wenn mein zukünftiger Stiefpapi schon leiden würde, würde ich in der Zwischenzeit sterben. Nach der Landung ging eigentlich alles für meinen Geschmack viel zu schnell. Ich wollte diesen Typen nicht sehen, aber er holte uns ja schon vom Flughafen ab. Mein erster Eindruck war eigentlich gar keiner. Der Typ war mir egal. Ich wusste, dass er Daniel Kim hieß, in den Staaten geboren war, einen amerikanischen Vater und eine koreanische Mutter hatte und ehrlich gesagt reichte das völlig. Er sah nicht so übel aus, wie ich erwartet hatte, aber sonst sagte ich kein Wort, ignorierte ihn und verkündete nur lautstark, dass ich duschen und schlafen wollte, und das am besten gleichzeitig, worauf mein Bruder nur genervt seufzte, aber das war mir egal. Er ging mir auch so manches Mal auf die Nerven, wenn er stundenlang das Bad besetzte, weil er seine Haare noch machen musste. Dann konnte er auch eine halbe Stunde warten, während ich duschte. „Jia, sei ein wenig netter“, sprach meine Mutter mich dann doch mal direkt an, obwohl sie eigentlich darauf hätte kommen können, dass ich sicherlich nicht auf sie hörte. Von allen verhassten Menschen der Welt würde ich auf sie gerade am Wenigsten hören. Aber das würde ich ihr sicher nicht sagen. Spätestens in einer Woche, wenn die Schule nach den Ferien wieder beginnen würde, würde es eh einen neuen Konflikt geben. Ich hatte nicht vor, zur Schule zu gehen, nein, dann doch lieber ausschlafen, Musik hören und in Selbstmitleid baden. Aber meine liebste Frau Mutter würde das natürlich nicht so leicht zulassen. Diskussionen vorprogrammiert. Die Zeit der Autofahrt verbrachte ich im Halbschlaf. Ich war einfach nur noch fertig, der Flug war die eine Sache, der Stress der letzten Tage der andere. Und ich wollte nicht unter der Dusche einschlafen. Obwohl das durchaus dem Möglichen entsprach. Ich wollte aber im Auto auch nicht völlig einschlafen, das würde böse enden. Aber ich war so müde und ein paar Minuten würden niemandem schaden. Sicherlich nicht. Und mein Brüderchen würde mich schon wecken… Dachte ich zumindest, denn ich wachte in einem Bett auf. Mein eigentliches Bett war es nicht, also konnte das ganze Ding mit Auswandern kein Albtraum gewesen sein. Na dann. Hätte ja klappen können. Aber auch mein an der Wand stehender Koffer widersprach dem. Oh, wie ich nur hoffte, dass Joshua mich hochgetragen hatte, wäre ja noch schöner, wäre das dieser Bastard gewesen. Geduscht hatte ich aber immer noch nicht, und das war das nächste, was ich tun würde. Aber ganz sicher. Deswegen stand ich auf und lief einfach in den Flur. Eine Wanduhr verriet mir, dass es früher Nachmittag war. Änderte nun leider nichts daran, dass der Tag nicht mehr besser werden würde. Im Gegenteil, mit dem Essen konnte es nur noch schlimmer werden, aber daran wollte ich gar nicht denken. Genauso wenig wie an meine Zwangsdiät. Wasser. Duschen. Badezimmer finden. Das war erst mal die Mission. Mir fiel erst jetzt auf, dass das Haus nicht allzu klein zu sein schien. Es erinnerte mich an diese modernen Architektenhäuser mit Glaswänden zur Gartenseite und ging über mindestens zwei Etagen, sonst wäre die Treppe im Flur relativ unnötig. Da ich keine Ahnung hatte, wo ich hin sollte, ging ich einfach nach unten und stand in einem riesigen Wohnzimmer, in welchem ich gleich mein Hassobjekt entdeckte. Und einen riesigen Fernseher, von der Anlage mal ganz zu schweigen. Mit dem Haus konnte ich mich sicher ganz leicht anfreunden. Okay, jetzt musste ich mit dem da Kontakt aufnehmen. Weil ich das Bad sonst nie finden würde. Der Typ schien Kohle wie Heu zu haben. Immerhin war tatsächlich die Wand hinter dem Fernseher verglast und ein schöner Garten erstreckte sich draußen. Das einzige, was ich an dem Haus hätte kritisieren können, wäre gewesen, dass es zu krass war. Aber das war kein Kritikpunkt. Nicht in dem Sinne. Und das wurmte mich irgendwie. „Hey, Daniel. Wo ist denn das Bad?“, fragte ich direkt und schon fast ein wenig beiläufig. Er sollte ja nicht auf die Idee kommen, dass ich ihn brauchte. Ich würde das Bad zur Not auch allein finden, es würde nur ein wenig länger dauern. „Oben am Ende des Flurs“, antwortete er lächelnd. Na super. Ich schaffte es gerade noch so, mir ein „Danke“ herauszuwürgen, bevor ich die Treppe wieder hinaufging und schleunigst zum Bad lief. Gott, der versuchte aber auch, sich gut mit mir zu stellen, der Art und dem Tonfall nach zu urteilen. Dass das eventuell gar nicht in meinem Interesse lag, schien für ihn gar nicht so auf der Hand zu liegen wie für mich. Ich wollte von dem Mann, seiner Familie und seinem Job nicht viel wissen. Aber gut, wenn er mir genügend Freiheiten und eine Kreditkarte ohne Limit überließ, könnten wir miteinander auskommen. Notgedrungen. Und auch nur so lange, wie es unbedingt notwendig war. Eilig schnappte ich mir meinen Bademantel und frische Kleidung aus meinem Koffer, den ich einfach offen auf meinem Bett liegen ließ, und lief zielstrebig auf die Tür zu. Als ich das Bad jedoch betrat, wäre mir fast alles aus der Hand gefallen. Überall sah ich Marmor. Hallo? Wie viel verdiente der Typ denn bitte? Vielleicht sollte ich mal versuchen, Taschengeld zu beantragen, auch wenn ich eigentlich alt genug war, selber mein Geld zu verdienen. Schaden konnte das ja nicht. Aber immer noch war ich der Meinung, dass eine gepflegte Dusche im Moment wichtig war. Wäre da nicht die Badewanne gewesen, hätte ich wahrscheinlich sogar geduscht, aber ich erlag der Versuchung und ließ mir einfach das Wasser einlaufen. Wofür war so etwas denn bitte da, wenn nicht, um auch mal ein Bad zu nehmen? Duftende Badezusätze waren immerhin auch genug vorhanden, wie ich feststellte, als ich einen Schrank öffnete. Ich wusste nicht, wie lange ich in dem duftenden Nass lag, aber irgendwann merkte ich, dass das Wasser abkühlte, und das deutlich. Folglich sollte ich wohl zusehen, dass ich aus dem Wasser kam, wenn ich nicht krank werden wollte, weswegen ich mir noch schnell die Haare wusch und mich dann gründlich abtrocknete. Ich überlegte, ob ich mir einfach eine der Bodylotions schnappen sollte, die hier standen, aber wofür hatte ich denn dann meine eigene mitgebracht? Also schied die Möglichkeit aus. Lustlos tapste ich also durch den Flur und warf dabei einen Blick auf die Uhr. Hey, ich wusste nicht wie, aber ich hatte es irgendwie geschafft, so lange zu brauchen, dass es in zweieinhalb Stunden menschlich wäre, ins Bett zu gehen. Und bis dahin musste ich auch noch meine Haare föhnen, mich eincremen und ins Internet. Irgendwie würde ich den Rest dieses grauenhaften Tages auch noch überstehen, immerhin war ich jetzt wieder sauber und halbwegs ausgeruht. Das Abendessen würde für mich eh ausfallen, solange ich nicht alleine in meinem Zimmer essen durfte. Sicherlich würde sich das auf Dauer bemerkbar machen, wenn ich jegliche Nahrungsaufnahme in Gegenwart meines ‚Stiefvaters‘ verweigerte, aber hey, schaden konnte es nicht, auch wenn ich schon ziemlich schlank war und meine Mutter gern etwas mehr auf meinen Rippen gesehen hätte. Außerdem… misstraute ich dem koreanischen Essen. Ich musste in den nächsten Tagen dringend einen Supermarkt finden, in dem ich Tiefkühlpizza und ähnliches bekam, was immerhin vertrauenserweckend aussah. Fertignudelsuppen wären auch annehmbar, und sonst blieb abzuwarten, welche Fertiggerichte ich zur Auswahl hatte. Denn, mein Problem war da auch noch ein ganz anderes: Ich konnte nicht kochen, zumindest nicht richtig. Sonst hätte ich mir selber irgendetwas zusammenschustern können, aber bei meinen Kochkünsten würde ich entweder die Küche in Brand setzen oder mich vergiften. Beides nicht sonderlich reizvoll. Seufzend zupfte ich an meinen Shorts und ließ mich auf das Bett fallen, nachdem ich meine Haare trocken geföhnt hatte. Ich hätte auspacken sollen, aber ich hatte immer noch die Hoffnung, dass das hier nur ein einwöchiger Trip war. Wenn man jedoch bedachte, dass unsere restlichen Sachen in einem Container auf dem Weg hierher waren, war das leider sehr unwahrscheinlich. Natürlich konnte ich es nicht ändern. Natürlich wusste ich das auch. Und ich wurde von allein älter. Aber bis ich dieses Land wieder als freier Mensch verlassen durfte, würde ich hier wahrscheinlich nur rumgammeln. Bei der Hitze, die mir für den Hochsommer prophezeit worden war, was Anfang März noch nicht abzusehen war, würde ich mich nicht einen Millimeter mehr bewegen als notwendig. So viel stand fest. Und Sonne gefährdete meine edle, europäische Blässe, das konnte ich ja mal gar nicht durchgehen lassen. Alles in allem saß ich tatsächlich in meiner persönlichen Hölle. _________________________________________________________________________________ Ach Gott, wie gesagt, etwas ganz Neues von mir. K-Pop und Hetero. o.o Wer hätte das einmal für möglich gehalten. Um welche Band es geht, wird hier noch nicht bekannt, aber das erzähle ich euch schon bei Zeiten. ;D Natürlich ein ganz liebes 'Hallo!' an alle, die mich schon literarisch kennen, und an die, die mich hier noch nicht kennen - keine Sorge, ihr werdet mich schon noch gut genug kennenlernen. ^.~ Ich beiße niemanden und vertrage begründete Kritik. Ich antworte in der Regel nicht auf Kommentare, vielleicht in meinem Vorwort, aber sonst nur, wenn Fragen da sind. Weil ich teilweise echt nicht weiß, was ich darauf antworten soll. :'D Autorin und manchmal so... unkreativ. Oo Über Favos und Kommentare würde ich mich freuen, auch wenn ich weiß, dass K-Ffs hier nicht so viel gelesen werden. Bis zum nächsten Mal! ^____^ Kapitel 2: Just another horrible day ------------------------------------ Wer lächelt statt zu toben, ist immer der Stärkere. – Japanische Weisheit Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es nicht nur dunkel. Nein. Es war noch nicht einmal sechs Uhr. Und das in meinen Ferien und am Wochenende. Wieso ich aufgewacht war, wusste ich zuerst selber nicht, bis mich das permanente Piepen neben meinem Bett daran erinnerte. Was war das denn jetzt? Wer rief mich um diese Zeit an? Knurrend griff ich nach dem nervenden Ding und hob einfach ab. „Was?“ „Ich wollte dir nur gute Nacht sagen, Süße. Ich geh gleich ins Bett.“ Einen Augenblick… Das war Kimberly. Meine beste Freundin. Aber Freundschaft, wenn man mich in aller Frühe aus dem Bett klingelt? Niemals. „Hast du mal auf die Uhr geguckt?“, grummelte und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht, bevor ich weiter durch meine völlig durcheinandergeratenen Haare strich. Ich schlief einfach zu unruhig. Das lag bestimmt an der ungewohnten Luft. „Wieso? Es ist doch noch nicht einmal zehn Uhr. Wie kommt es, dass ich dich schon geweckt habe?“ Aua. Ich konnte ein genervtes Seufzen nicht unterdrücken. Ja, so war Kimberley. Strohdoof, aber doch irgendwie lieb. Warum umgab ich mich eigentlich immer wieder mit Menschen, die den IQ eines Toastbrots hatten? Ach ja, das waren meistens die, mit denen man Spaß haben konnte und die sich auch nüchtern so benahmen, als wären sie völlig blau. Und eigentlich glaubte ich gar nicht, dass sie wirklich so dumm waren. Nein, sie benutzten ihre Gehirne nur nicht, und Kimberleys musste schon umgeben von Spinnweben sein. „Kimi, bei dir ist es noch nicht einmal zehn Uhr. Hier ist es fast sechs Uhr morgens“, erklärte ich geduldig und gähnte. „Und jetzt tust du mir bitte den Gefallen und lässt mich weiterpennen. Und demnächst denkst du dran, dass ich dir acht Stunden voraus bin. Zumindest zeitlich. Okay?“ „Ach so, entschuldige. Verdammt, du bist ja nicht mehr zuhause. Dann schlaf noch eine Runde und hab dann einen schönen Tag? Wir schreiben morgen. Oder so.“ Und damit hatte sie auch wieder aufgelegt. Kopfschüttelnd schmiss ich mein Handy zurück auf den Nachttisch und schloss die Augen wieder, legte mir einen Arm über das Gesicht. Eigentlich war es gar nicht so schlimm, dass ich wach war. Ich hatte immerhin fast zehn Stunden durchgehend geschlafen, das konnte reichte selbst nach langen Tagen eigentlich immer. Aber irgendwie hatte ich einfach keine Lust, mich aus dem Bett zu bewegen. Ich hätte ja diesem… Daniel über den Weg laufen können. Pah. Niemals würde ich mich freiwillig aus diesem Zimmer bewegen. Ich hatte einen Fernseher, einen DVD-Player, meinen Laptop und eine Anlage. Und bei Weitem genug Platz. Es reichte, um sich hier für einige Monate zu verschanzen. Und wenn ich Möbel vor die Tür rücken musste, um meine Ruhe zu haben, hatte meine Mutter immer noch die Möglichkeit, mir Nahrung durch das Fenster zukommen zu lassen. Wenn ich einen simplen Flaschenzug baute. Aber ich war mir sicher, meine Mutter würde mich die ersten Tage erst durch die Gegend schleppen und alles besichtigen, dass auch nur annähernd für Touristen gemacht war. Ja, so war sie manchmal, und da ich mich nach wie vor weigerte, mit ihr zu reden, konnte ich ihr schlecht klar machen, dass ich eigentlich gar keine Lust auf so etwas hatte. Ich wollte mich nur nicht rausbewegen. Das würde ja an Arbeit grenzen. Seufzend drehte ich mich um. Nur noch acht Monate und 20 Tage. Dann war ich volljährig in Deutschland und konnte wieder hier weg. Ja. Diesen Tag würde ich als den schönsten meines Lebens feiern. Dann hatte ich meine liebenswerten, idiotischen Freunde wieder. Dann konnte ich nachts durchschlafen und war von meiner Mutter befreit. Auch wenn ich sie einerseits ja immer noch lieb hatte. Verdammt, sie war meine Mutter! Selbst wenn sie mir manchmal nur auf die Nerven ging mit ihrer ganzen Art. Der einzige, den ich ernsthaft nicht verlieren wollte, war mein Bruder. Warum ich mich nun mit dem so gut verstand, wusste ich auch nicht so genau, aber wir hatten uns schon immer gut verstanden. Obwohl es ja eigentlich immer hieß, Geschwister seien wie Feuer und Wasser. Vielleicht lagen wir auch einfach zu dicht beieinander, was unser Alter betraf. Wir waren eher Freunde. Genervt schlug ich die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Es hatte doch keinen Sinn mehr, noch schlafen zu wollen, und ewig lange im Bett liegen zu bleiben, wäre auch nur sinnvoll, wenn ich mich in aller Ruhe selbst bemitleiden wollte. Also zog ich die Gardinen auf und sah auf die in morgendliches Dämmerlicht getauchte Straße, die einige 100 Meter von dem Grundstück entfernt verlief. Es hatte schon seine Vorteile, am Stadtrand zu wohnen, auch wenn die Autos schon eine Weile unterwegs waren, hier war wesentlich weniger Verkehr als im Stadtzentrum. Und auch das Grundstück war nicht gerade klein, das wäre im Stadtzentrum absolut undenkbar. Ich schüttelte den Kopf und ging zur anderen Wand, vor der der Fernseher stand, den ich einfach mal anschmiss. Ich sollte auf jeden Fall aufhören, etwas Positives an der Situation zu finden. Das war ganz mies und absolut scheiße. Stattdessen sollte mich doch bitte sinnloses Fernsehen ablenken, aber… Da gab es ein Problem. Richtig, ich konnte nur ein paar notdürftig zusammengeschusterte Sätze koreanisch und genau die Sprache laberten die Leute in dem Flimmerkasten. Halleluja. Viel schlimmer konnte das auch nicht mehr werden. Aber Fernsehen hatte im Vergleich zu Radio den Vorteil, dass die Bilder einem auch einen Teil der Ereignisse erzählen konnten, also ließ ich die Kiste einfach laufen und zog mich nebenbei an. Kurzzeitig ging ich ins Bad zur morgendlichen Routinewäsche, bevor ich mich in meinem Zimmer auf das Bett schmiss und gelangweilt auf den Fernseher starrte. Ich hatte das Gefühl, dass diese Serie, die da lief, einfach völlig sinnlos war, aber wahrscheinlich war der Inhalt in den Dialogen versteckt. Was es mir erst recht unmöglich machte den Kram zu verstehen, aber damit konnte ich leben. War schon okay so, immerhin konnte ich es momentan auch nicht ändern. Trotzdem griff ich nach der Fernbedienung und suchte, bis ich einen halbwegs nett aussehenden Musiksender fand. Musik war immer gut, da musste man nicht so viel denken und erst recht nicht verstehen. Nicht, dass ich nicht schon koreanische oder japanische Musik gehört hatte. Nein, ich liebte asiatische Musik sowieso, demnach kam mir das Programm gerade recht. Ich streckte mich auf dem Bett aus und genoss es einfach, die Musik zu hören. Ich schaffte es tatsächlich wieder, in eine Art Halbschlaf abzudriften, ich nahm zwar die Musik noch war, aber ich konnte mich nicht dazu bewegen, die Augen zu öffnen. Anscheinend war es doch noch ein bisschen früh gewesen, als Kimi mich aus dem Bett geklingelt hatte. Ich wusste nicht, wie lange ich so dalag, aber irgendwann hörte ich die Haustür unten, was mich wieder ein wenig fitter werden ließ. Als mein Blick auf die Uhr fiel, stellte ich fest, dass es mit neun Uhr morgens für meine Verhältnisse zwar immer noch früh war, aber immerhin eine Zeit, zu der die Welt langsam munter wurde. Oder zumindest diese Welt, in die man mich jetzt geschmissen hatte. Und in dieser Welt bekam ich ernstzunehmenden Hunger. Ich hatte am vorigen Abend immerhin wirklich nichts gegessen, weil man mich nicht hatte zwingen wollen und ich auf meine neue ‚Familie‘ keine Lust gehabt hatte. Mein Bruder war meine Familie, meine Mutter eigentlich auch, wenn ich sie nicht gerade aus Rebellion ignorierte, aber dieser Typ sicherlich nicht. Der würde niemals zu meiner Familie gehören. Wenn ich Hunger hatte, sollte ich wohl etwas essen, deswegen machte ich mich auf den Weg nach unten. Ich wusste ja mittlerweile immerhin, wo die Küche war, und wenn ich mir rechtzeitig genug Nahrung und Getränke mit nach oben nahm, konnte ich vielleicht überleben, ohne jemals unten essen zu müssen. In der Küche angekommen, öffnete ich erst einmal den Kühlschrank und starrte den Inhalt an. Es gab da Sachen, die ganz essbar aussahen. Joghurt, Käse, Wurst. Aber auch einige Dinge, die ich beim besten Willen nicht identifizieren wollte und bei denen ich auch nicht sicher war, ob ich es konnte. Nein. Ich schnappte mit einige Becher Joghurt und kippte den Inhalt in eine Schüssel. Aus dem auf der Anrichte stehenden Obstkorb nahm ich mir einfach Orangen, Bananen und Äpfel, schnitt diese und mischte die Stückchen unter, bevor ich mir einen Löffel schnappte, mir eine Flasche Cola unter den Arm klemmte und mit meiner Ausbeute in mein Zimmer verschwand. Eineinhalb Liter trinken genügten locker bis zum Abend, meine Schüssel Obstsalat würde auch zumindest ein paar Stunden halten und die Zeit würde ich schon irgendwie rumbekommen. Ich hatte nicht um sonst drei sehr dicke Bücher in meinem Koffer gehabt, außerdem gab es zur Not immer noch das Fernsehen und mein Laptop gewährte mir Zugang in das heilige Reich des Internets. Aber erst einmal blieb ich bei meinem Musiksender und frühstückte nebenbei, sicherlich nicht komplett gesund, aber ich würde den Teufel tun und mich beklagen. Immerhin hatte ich mein Frühstück und musste meine Mutter an diesem Morgen noch nicht sehen. Zumindest wäre das eigentlich zu vermuten gewesen. Hätte sie nicht plötzlich in meinem Zimmer gestanden und mich beim Essen beobachtet. „Jia, wir sollten wirklich einmal reden“, sprach sie mich ruhig an, was bei mir sofort alle Alarmglocken schrillen ließ. Wenn so etwas kam, hatte sie etwas vor, das mir gar nicht gefiel. Nicht, dass ich überhaupt mir ihr reden wollte und alles in mir direkt auf Abwehr ging. Aber ich konnte mir ja zumindest anhören, was sie von mir wollte. Beinhaltete ja nicht, dass ich antworten musste. „Ich weiß doch, dass dir das alles hier nicht passt. Aber ich verstehe nicht, warum. Versuch doch wenigstens, Daniel und dem Land neutral gegenüber zu stehen.“ Gereizt stand ich auf und lief mit verschränkten Armen in dem Raum auf und ab. Es war eine harmlose Forderung, aber trotzdem hätte ich sie am Liebsten geohrfeigt. „Du fragst mich, was mein Problem ist?! Meine Mutter, die sich wie ein pubertierender Teenager benimmt, ist mein Problem!“, fuhr ich sie giftig an. „Du hast zwei Kinder, die du aus ihrer Umgebung gerissen hast, du warst nicht einmal offen für die Möglichkeit, dass ich bei einem anderen hätte bleiben können! Ich hätte bei Kimi wohnen können, aber nein, du hast mich gegen meinen Willen mitgeschleppt! Und ich kann Daniel und dieses verfluchte Land nicht ausstehen, egal, wie nett er ist oder die Menschen hier allgemein, weil es nicht mein Zuhause ist! Ich kenne hier niemanden, ich verstehe diese Sprache nicht, ich bin tausende Kilometer von meinen Freunden entfernt, nur um einmal ein paar Punkte zu nennen!“ Fest gruben sich meine Fingernägel in meine Haut. Ich musste verhindern, auf sie loszugehen, eine Schlägerei würde ich so oder so gewinnen, immerhin war ich trainierter. „Schon, aber dein Bruder sieht das Ganze offener-…“ „Ich bin aber Jia und nicht Joshua! Joshua hat kein so großes Problem damit wie ich, das ist mir klar, aber du glaubst doch nicht, dass er damit glücklich ist! Du reißt unsere ganze Familie wegen diesem Typen auseinander! Villen gibt es überall, Jobs auch, er hat keine Familie, er hätte locker nach Deutschland kommen können!“ „Natürlich hätte er das, aber ehrlich, du bist eine unwahrscheinliche Zicke geworden, seit du ständig mit deinen Mädels zusammenhingst. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es dir einmal gut tut, in eine neue Umgebung zu kommen.“ „Was für ein Problem hast du mit mir und meinen Freundinnen?!“ Wütend sah ich meine Mutter an. Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein. Jetzt argumentierte sie so, dass ich es nicht einmal nachvollziehen konnte? „Tut mir leid, dass ich mir diese Freundinnen ausgesucht habe, aber zum Glück kann man sich seine Freunde im Gegensatz zur Familie aussuchen“, entkam es mir schnippisch. „Würdest du jetzt bitte zusehen, dass du deinen Arsch hier rausbekommst?! Ich will allein sein, oder zumindest dich und deinen tollen, neuen Macker nicht sehen.“ Ich hörte ihr gestresstes Seufzen, als ich die Tür hinter ihr schloss. Genugtuung. Ja, das war es. Ich konnte ihr heimzahlen, was sie mir angetan hatte, und dafür war ich einfach nur noch dankbar. Anscheinend litt meine Mutter unter der Tatsache, dass ich nichts mit ihr zu tun haben wollte, aber sie litt noch nicht genug. Nicht so sehr wie ich. Nein, bis sie wusste, was ich durchmachen musste, musste ich sie noch lange schmoren lassen. Aber bitte, niemand hatte das Recht, etwas gegen meinen Freundeskreis zu sagen. Außer mir natürlich. Immerhin kannte ich meine Freunde ziemlich gut und wusste nur zu genau, dass einige den IQ einer Qualle hatten. Oder eines Toastes. Im Gegensatz zu dem, was meine Mutter für mich gern gehabt hätte, mochte ich meine Freunde. Sie waren lustig drauf und man konnte mit ihnen Spaß haben. Keine verklemmten Spießer, die sich nur allzu sehr um Schule, Job und Zukunft sorgten. Sie lebten wie ich. Sie lebten für das Hier und Jetzt. Denn wenn aus man das Jetzt nicht nutzte, war jede Überlegung für die Zukunft sinnlos. Und ohne Spaß konnte man nicht permanent arbeiten. Immerhin würde ich Arbeiten um zu leben, nicht umgekehrt. So lange ich jung war, konnte ich immerhin Spaß haben. In zwanzig Jahren konnte ich immer noch zu einer verklemmten Übermutti werden. So wie meine Mutter es jetzt war. Ich konnte für meinen Vater nur hoffen, dass sie nicht schon immer so war, sonst könnte ich ihn ja wirklich bemitleiden. Das war auf Dauer ja unerträglich, so verklemmt konnte ein Mensch nicht sein. Obwohl dieser spontane Umzug alles andere als verklemmt oder durchdacht war. Es würde eh nicht lange dauern, bis wir zurück nach Deutschland gingen, die Geschichte mit diesem Daniel würde nicht ewig halten, da war ich mir sicher. „Schwesterchen, kommst du? Wir wollten ein bisschen in die Stadt“, hörte ich die Stimme meines Bruders durch die Tür. Es war immer noch Samstagmorgen, was wollten wir um diese Zeit in der Stadt? Aber offenbar war mein Auftritt meiner Mutter gegenüber laut genug gewesen, um selbst meinen kleinen Bruder einzuschüchtern. Gut so. Joshua konnte auch gleich wissen, wie ich diesen Kinderkram fand. Auch wenn er sowieso der einzige war, der mich zu verstehen schien. „Wer hat gesagt, dass ich mit will?“, gab ich störrisch zurück, als ich die Tür geöffnet hatte und ihm gegenüber stand. Und damit hatte ich nicht einmal Unrecht, niemand hatte mich gefragt. „Niemand, aber Carola besteht darauf, dass du mitkommst“, beantwortete er meine Frage und betrat den Raum. Carola. Ja, das war noch eine gute Idee, meine Mutter zu bestrafen. „Wenn du sie übrigens fertig machen willst: Lächeln, Schweigen, Schlampe denken. Das bringt mehr und ist für dich gesünder. Ergib dich einfach vorerst in dein Schicksal, ändern kannst du es nicht.“ Nachdenklich sah ich ihm nach, als er nach unten ging und mir noch zurief, ich solle mich beeilen. Auch wenn es mir ganz und gar nicht gefiel, er lag damit richtig. Für mich waren solche Wutanfälle nie schön, besonders, weil es dauerte, bis ich mich wieder abgeregt hatte. Vielleicht war die Taktik gar nicht mal so schlecht. Wenn sie ausrastete, weil ich äußerlich völlig ruhig blieb, war ich mental auf jeden Fall stärker. Und das war das, worum es in diesem Krieg ging. Ab sofort gab es dann eine komplette Taktikänderung. Eilig schaltete ich den Fernseher aus und schlüpfte in meine Schuhe, sprintete dann die Treppe runter und hakte mich bei meinem Bruder ein. Ja, so würde es gehen. So hatte ich einen Verbündeten und wir würden siegen, aber erst hieß es jetzt den Ausflug in die Stadt zu überleben. „In den nächsten Tagen machen wir dann noch eine Sightseeingtour“, eröffnete meine Mutter freudestrahlend und erntete von mir nur einen kalten Blick. Ja, von mir aus konnten wir gern eine Sightseeingtour machen, auch wenn ich innerlich kochte, ich blieb nach außen ruhig. Auf eine weitere Woche, in der ich nicht ein einziges Wort mit meiner Mutter sprechen würde. Ich war mir sicher, mein Plan würde funktionieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine sensible Frau, die ihre Kinder liebte, sich von so etwas beeindrucken ließ. Wir fuhren mit der U-Bahn in das Stadtzentrum, und auch, wenn ich es meiner Mutter niemals gesagt hätte, war das einfach nur beeindruckend. War das hier eine Stadt oder ein Ameisenhaufen? Auch wenn es nicht später als halb zwölf sein konnte, wimmelte es nur so von Menschen, überall waren Wolkenkratzer. Das war so… ungewohnt. Ich kam immerhin aus einer Kleinstadt mit süßen 16.000 Einwohnern. Und das hier war eine Metropole, eine der größten Städte der Erde. Nachts musste es beeindruckend sein, wenn die bunten Leuchtreklamen die Straßen erhellten. Gegen Mittag waren sie nun einmal ausgeschaltet, wahrscheinlich kostete es auch einfach zu viel Strom. Aber konnte das in einer Millionenstadt wirklich Thema sein? Ich nahm mir auf jeden Fall vor, noch einmal ausgiebig shoppen zu gehen, bevor ich zusah, dass ich wieder nachhause kam. Wenn ich das heute Morgen im Fernsehen richtig gesehen hatte, trugen die Musiker teilweise sehr schöne Sachen, wieso sollte ich nicht zusehen, dass ich mit Daniels Kreditkarte noch einmal einen komplett neuen Kleiderschrankinhalt bekam? Es war ja nicht mein Geld, und der hatte davon so viel, dass ihm ein bisschen weniger nicht schaden würde. Eine Weile bummelten wir einfach nur ziellos durch die Innenstadt. Ich blieb dicht bei meinem kleinen Bruder, und irgendwie hatte ich das Gefühl, ich drückte mich immer enger an ihn. Ich spürte die Blicke in meinem Rücken, ich fühlte mich so beobachtet wie selten. Sicher war meine Haarfarbe nicht unauffällig und ich war immerhin Europäerin, demnach schon etwas Besonderes, bis zu einem gewissen Grad zumindest. Und ich kuschelte ja mehr oder weniger öffentlich. Zwar mit meinem Bruder, aber man sah es uns nicht deutlich an. Und dadurch, dass mich diese Blicke beunruhigten, suchte ich nur mehr Schutz, was wieder mehr Blicke auf uns zog. Ich hasste diesen Effekt jetzt schon. Zuhause hätte sich niemand darum gekümmert, wenn ich mich bei einem jungen Mann, ob Bruder oder nicht, eingehakt hätte. Ich wäre allgemein nie so angestarrt worden, denn ich war in Deutschland nichts Besonderes. Oh, wie ich diese Gaffer gerade dafür verabscheute. Trotzdem rückte ich ein wenig von meinem Bruder ab und versuchte, diese Unruhe zu vertreiben. Vielleicht lagen die Blicke auch nur an meiner Haarfarbe. Oder an meinem Outfit. Wer konnte das schon so genau sagen? Anfang März und ich trug eine lange Jeans, ein nicht gerade hochgeschlossenes Top und High Heels. Na gut, vielleicht war ich selber schuld, aber es war warm genug, und auch in Deutschland wäre ich so rumgelaufen, wenn die Temperaturen dementsprechend gewesen wären. So gut mir die Shoppingmeile auch gefiel, ich war froh, als es hieß, dass es Zeit wurde, zum Haus zurückzukehren. Endlich hatte der Spießroutenlauf ein Ende, endlich konnte ich mich wieder verziehen und meinen Gedanken nachhängen. Und vielleicht im Internet meinen neu angelegten Blog einweihen. ‚Daily horror‘ hatte ich ihn genannt und wollte eigentlich meine Zeit in Südkorea nur zu genau dokumentieren. Ich musste doch meine Freunde und auch sonstige Menschen, die sich dafür interessierten, von meinem kleinen Ausflug und dem Flug wissen lassen. Und irgendwann musste ich auf jeden Fall Fotos machen. Von dem Haus, dem Essen, das mir seltsam vorkam, und allem anderen, das auch nur irgendwie interessant war. In meinem vorübergehenden Zuhause angekommen, wollte ich mich direkt nach oben verziehen, aber meine Mutter hielt mich gleich auf. Und sie klang ziemlich aggressiv. „Jia, es reicht! Du solltest aufhören, dich selbst zu bemitleiden, das bringt dir auch nichts!“ „Und dir bringt es nicht, mich mitgenommen zu haben, Carola“, erwiderte ich distanziert lächelnd. „Du bleibst jetzt hier unten!“ Ich hörte gar nicht weiter auf sie, sondern ging einfach die Treppe hinauf und verzog mich in mein Zimmer, wo sich ein bitteres Lächeln in mein Gesicht schlich. Die Runde ging an mich. Auch wenn es nur eine Runde war, die ich für mich entschieden hatte, wenn ich durchhielt würde ich endgültig siegen. Ich konnte nur hoffen, dass es so blieb, denn wenn sie sich aufregte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich gehen ließ, einfach viel größer. Der erste, vollständige Tag in Korea hatte also wieder grauenhaft angefangen. Aber irgendwann würde er nur einer von vielen grauenhaften Tagen sein. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich hier nicht einen einzigen guten Tag haben würde, die höchste Stufe wäre wahrscheinlich erträglich, und das auch nur, wenn man mich in Ruhe in meinem Zimmer bleiben ließ, ich meinen Laptop mit Nonstop-Internet hatte und ich mit Nahrungsmitteln versorgt wurde. Aber bis ich meine liebste Mutter und Daniel soweit erzogen hatte, würde es wohl noch ein wenig dauern. Ich wusste nicht, wieso, aber meine liebe Familie ließ mich tatsächlich für den Rest des Tages in Ruhe. Wahrscheinlich heulte meine Mutter sich bei ihrem neuen Macker aus und mein Bruder hatte unten eine Konsole entdeckt. Bei dem Riesenfernseher machte das Zocken ihm wahrscheinlich viel mehr Spaß. Aber es konnte mir egal sein, solange ich meine Ruhe hatte. _________________________________________________________________________________ Kapitel 2. ^.^ Oh Gott, ich habe Kopfschmerzen. D: Und ich bin erkältet, aber ich dachte mir, dass ich das Kapitel einfach mal hochladen sollte. Nyu, Kommentare sind erlaubt und gern gesehen, auch Favos natürlich. Uuuund... im nächsten Kapitel wird das Geheimnis gelüftet, um welche Band es eigentlich geht. :D Bis dahin! ^___^ Kapitel 3: School days ---------------------- Man kann die Menschen entbehren, aber es bedarf eines Freundes. – Chinesisches Sprichwort Die nächsten Tage waren nicht erwähnenswert gewesen. Das Wetter hatte sich dramatisch verschlechtert, weswegen Sightseeing nicht möglich gewesen war. Das einzige, das mir an diesen Tagen nicht gepasst hatte, war die Tatsache, dass meine Mutter mich gezwungen hatte, zum Essen nach unten zu kommen und mit diesem… Mann an einem Tisch zu essen. Allerdings konnte ich das ganz gut ignorieren, indem ich auf meinen Teller sah oder teilweise einfach nur herauszufinden versuchte, was sie mir jetzt wieder aufgetischt hatten. Vertrauenserweckend sah das meiste nicht aus, und ich hielt es für klüger, nicht nachzufragen. Es war aber wirklich bewundernswert, wie oft ich ‚keinen Hunger‘ hatte und mir dann, sobald alle im Bett waren, Äpfel holte. Mittlerweile hatte ich einige sogar schon oben liegen, damit ich nicht jede Nacht erst mein Nachtmahl holen musste. Auf jeden Fall lebte ich noch. Und das eigentlich sehr zu meinem Leidwesen, denn ich hatte tatsächlich beschlossen, am Montag, meinem ersten Schultag, tatsächlich aufzustehen und mich in dieser grauenhaften Schuluniform zur Schule zu schleppen. Ein böser Fehler, denn ich hatte am gestrigen Abend noch mit Kimi telefoniert und war dementsprechend müde. Denn eigentlich war es zwei Uhr morgens gewesen, als ich in mein Bett gekrochen war. Diese verdammte Zeitverschiebung, konnte die sich nicht mal verpissen?! Nach nur vier Stunden Schlaf ging es mir nicht besonders gut, was man mir wohl schon am Frühstückstisch nur zu genau anmerkte. Ich sollte heute acht verdammte Stunden in der Schule hocken, und das nicht nur heute, nein, eigentlich jeden Tag. Okay, es waren acht Schulstunden. Die in Zweierblöcke geteilt waren, demnach vier Blöcke. Und ein Block ging über 80 Minuten. Gut, ich hatte weniger Unterricht als in Deutschland, und wenn ich den Lehrer oder die Lehrerin ignorieren wollte, war das für mich das kleinere Übel, ich brachte immerhin elf Jahre Erfahrung mit. Wie alle anderen Schüler auch, eigentlich konnten einem die armen Lehrer mehr leidtun als die Schüler. Aber ich hatte ungern Mitleid mit dem Feind. Es war noch eine Stunde vor Unterrichtsbeginn, als mein Bruder und ich uns auf den Weg machten. Während wir in der Bahn saßen, zupfte ich an meinem Rock herum und versuchte, aus dem formlosen Ding doch noch etwas zu machen. Wieso durfte mein Bruder überhaupt eine Hose tragen? Warum mussten Mädchen Röcke anhaben? Bitte, hatte die Schulleitung noch nie etwas von Emanzipation gehört? Hosen waren einfach viel praktischer. Aber besser sah die meines Bruders auch nicht aus. Dunkelblau und grau waren einfach nicht meine Farben, sie waren so trist und schrecklich langweilig. Ich wollte mich nicht in so etwas stecken lassen, aber ich hatte keine andere Wahl. Und bevor ich den Rock mit meiner Schere hätte kürzen können, notdürftig zumindest, erreichten wir unsere Station und stiegen aus. Am liebsten hätte ich einfach die Flucht ergriffen, aber wenn man in einer Schuluniform während der Schulzeit in der Stadt herumlief, würde man wahrscheinlich dank Polizei schneller in der Schule sitzen, als man reagieren konnte. Vor Unterrichtsbeginn hatten Joshua und ich uns vor dem Schulbüro einzufinden. Wir bekamen unsere Stundenpläne, Gebäudepläne und noch eine Menge anderen Kram, um den ich mich herzlich wenig kümmerte, in die Hand gedrückt und wurden vor das Lehrerzimmer gescheucht, von wo aus unsere nächsten Lehrer uns mitnehmen sollten. Das Erschreckende war, dass Joshua und ich uns anschwiegen. Wir hatten ja schon, seit wir hier gelandet waren, nicht so viel miteinander gesprochen. Aber normalerweise hätten wir irgendwelche blöden Scherze gemacht, weil uns eh niemand verstand. Ich hatte das Gefühl, mein Bruder ließ mich immer mehr im Stich. Nicht, dass ich nicht von Anfang an völlig allein gewesen wäre, mit meiner Gegenwehr, aber jetzt gab er mir nicht einmal mehr ein wenig Rückhalt. Wo war unser gutes Verhältnis? Ich verstand es einfach nicht, es wollte nicht in meinen Kopf. Aber ich glaubte einfach einmal daran, dass sich das alles wieder legen würde. Mein Bruder hatte sich mit der Situation so weit abgefunden, ganz im Gegensatz zu mir. Er war öfter draußen unterwegs, wenn unsere Mutter einkaufen ging, und er hing ständig vor irgendeiner Konsole, die an den Fernseher unten angeschlossen war. Er schien sogar schon Bekanntschaften in der Nachbarschaft geschlossen zu haben, aber mich interessierte es nur bedingt. Menschen waren nicht wichtig, erst recht nicht hier. Ich brauchte keine neuen Kontakte, ich hatte meine alten Freunde, die ich für kein Geld der Welt hergeben würde. Sie waren alles, das mir noch geblieben war, und die einzigen, die ich haben würde, wenn ich vor meiner Familie floh. Bevor ich es überhaupt mitbekam, musste ich einer Frau folgen, die kleiner war als ich selbst und auch noch gar nicht so alt zu sein schien. Sie hatte sich mir als Frau Kim vorgestellt. Das war alles schön und gut, den Namen konnte ich dank Kimi ja sogar im Kopf behalten, aber sie würde mich nur als seltenen Gast sehen. Wenn ich mich einmal aus Langeweile in die Schule bequemte. Aber selbst wenn mir langweilig war, hatte ich in der Regel mehr zu tun als nur rumzusitzen. Mehr als körperliche Anwesenheit zu erwarten, war eine Wunschvorstellung, das würden meine ersten Lehrer gleich heute von mir zu spüren bekommen. Und ab morgen konnte ich mit Abwesenheit glänzen. Innerlich betend, dass man mich nicht zu sehr anstarrte, betrat ich nach der Lehrerin das Klassenzimmer. Natürlich spürte ich die Blicke auf mir, teils neugierig, teils einfach nur desinteressiert, wie ich bemerkte, aber es war vorhersehbar gewesen. Ich war schon dankbar, als sie mich vorstellte und mich nicht dazu zwang, das selbst zu tun. Auch zeigte sie auf einen Platz, wohin ich mich setzen konnte, in der immerhin vorletzten Reihe. Das war bei vier Reihen schon gar nicht so schlecht. Wenn ich weiter hinten im Raum schlief war es unauffälliger. Mein Sitznachbar schien allerdings weniger angenehm zu sein. Nicht, weil er unsympathisch oder gewalttätig war, nein, er passte einfach nicht zu meiner schlechten Laune. Er lächelte die ganze Zeit, und schon das schien der Sonne Konkurrenz machen zu wollen. Ich wollte keine wandelnde Energiesparlampe neben mir sitzen haben, ich wollte jemanden, der genauso mies gelaunt war wie ich. Der war leichter zu ignorieren. Aber ich hatte keine große Wahl und akzeptierte das einfach, vielleicht ließ er mich ja in Ruhe schlafen, wenn ich ihm die kalte Schulter zeigte. Wenn ich Glück hatte. Aber mein Glück hatte sich ja schon vor einiger Zeit verabschiedet. Und das bekam ich auch gleich wieder zu spüren, allerdings nicht von dem Strahlemann. Nein. „Sungjae wird dich sicher herumführen“, meinte Frau Kim und zeigte auf meinen Sitznachbarn, der das nur mit einem „Gern“, kommentierte. Hatten sich eigentlich alle gegen mich verschworen? Aber warum kam mir der Sonnenmensch nur so bekannt vor? Er war größer als ich, aber das war auch nicht weiter schwierig, ich war einfach zu klein. Das half mir nicht im Geringsten weiter, und Namen waren eh unwichtig. Wie wahrscheinlich war es, dass ich mir seinen gemerkt hätte, wenn ich ihm nur einmal irgendwo über den Weg gelaufen war? War ja auch egal. Auf jeden Fall hatten wir jetzt Unterricht und ich versuchte, zumindest motiviert nach vorn zu sehen, was mir aber komplett misslang. Sollte die Lehrerin halt wissen, dass ich nur hier war, weil man mich dazu zwang, war schon okay so. Und auch der Sonnenstrahl schien zu ahnen, dass er mich lieber in Ruhe lassen sollte und ich nicht einmal aus Langeweile mit ihm reden wollte. Es war zwar nichts gegen ihn persönlich, aber das würde er eh nie verstehen. Also war es besser, einfach nie erklären zu müssen, worum es mir ging. Der Unterricht an sich unterschied sich gar nicht so sehr von dem Zuhause. Er war völlig unnötig und langweilig, und, soweit ich zuhörte, lernten wir nur Dinge, die wir nie wieder in unserem Leben brauchen würden. Der Sinn dahinter war mir schon immer ein Rätsel gewesen, aber ich hatte auch noch nie versucht, dieses Rätsel zu lösen. Vielleicht würde ich irgendwann einmal darüber eine Arbeit schreiben, die am besten so hochwissenschaftlich klang, das kein Mensch außer mir Begriff, worum es ging. Man musste ja nur lange, verworrene Sätze bauen, Fachwörter reinstopfen und ein bisschen hochgestochen dahinschreiben. Und durch die langen Sätze verwirrte man den Leser, das war auch immer die Taktik der Schulbuchautoren. Ein flüchtiger Blick auf meine Uhr ließ mich inne halten. Ich hatte erst die erste Stunde überstanden? Das konnte doch nicht wahr sein… Wenn jetzt nur Kimberly hier gewesen wäre, oder irgendjemand, mit dem ich mich unterhalten konnte. Über Lehrer lästern, mein Leid kundtun, nach Hausaufgaben fragen. Warum hatte man mich nicht neben jemanden setzen können, der mich zumindest bei Laune hielt? Das war ja die reinste Folter, so etwas sollte verboten werden. „Schläfst du innerlich noch oder hat deine miese Laune einen anderen Grund?“, wurde ich auf einmal ruhig angesprochen und sah meinen Sitznachbarn an. Er hatte mich angesprochen. Wollte ich dem zukünftig vorbeugen, hätte ich ihn jetzt anschnauzen müssen, aber immerhin konnte er sich mit mir unterhalten. So kam ich nicht auf blöde Ideen wie Musik hören im Unterricht oder den Tisch vollkritzeln. Und wenn ich eh nur ab und zu anwesend war, konnte er mich auch nur dann volllabern. „Ich hab eine viel zu kurze, beschissene Nacht hinter mir und habe schlechte Laune“, gab ich zurück und sah gelangweilt wieder zur Tafel. Es war wahrscheinlich unauffälliger, nach vorn zu sehen, wenn ich mich schon mit anderen Dingen als dem Unterricht beschäftigte. „Frag aber nicht, wieso ich schlechte Laune hab“, hängte ich sicherheitshalber an, um Neugier direkt im Keim zu ersticken. Ich wollte sicherlich nicht mit ihm darüber reden. „Ach so. Und ich dachte schon, die Schule hat Schuld“, erwiderte er, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er lächelte. Ich wusste nicht, warum, aber ich kämpfte hartnäckig gegen den Drang, nachzusehen. „Ja, das könnte ein Faktor sein, der meine Laune nicht hebt.“ Das war es sicherlich. Meine Laune stieg nicht an, weil ich Zeit vergeudete, indem ich mich langweilte. Lieber hätte ich die Zeit vor meinem Laptop verschwendet. Dabei hatte ich wenigstens Spaß. „Gibst du mir mal deinen Stundenplan?“, kam es von nebenan, woraufhin ich ihm einfach den Zettel rüberschob. Sollte er mit dem Ding glücklich werden, so oft würde ich den nicht brauchen. Aber er würde mir den wahrscheinlich eh gleich zurückgeben und wollte nur irgendwas gucken. „Wir haben alle Kurse zusammen. Das ist ungewöhnlich, finde ich aber gut. Ich kann dich dann immer mitnehmen zu den Räumen.“ Oh, na ganz toll. Eine nervige Quasselstrippe, die ich in jedem Kurs dabei… Moment. Kurse. Wir hatten Kursunterricht? In verschiedenen Räumen? Und als Klasse zusammen wahrscheinlich nur Hauptfächer? Das bedeutete, ich musste dreimal an einem Tag den Raum wechseln? Und dazwischen hatten wir Pausen? Oh, ich hätte mir den Plan und den Gebäudeplan auf jeden Fall einmal ansehen sollen. Jetzt musste ich aber erst zusehen, wie ich Sungjae – so hieß er doch, oder irrte ich mich da jetzt schon? – in der Pause loswurde. Ich wollte keinen verdammten Babysitter, und in Anbetracht der Tatsache, dass hier auf Englisch unterrichtet wurde, würden mich wohl alle verstehen. Es konnte doch nicht so schwer sein, den Weg zu einem verdammten Raum zu finden. Aber wie schwer konnte es sein, einen Menschen bei über 1000 Schülern zu finden? Ich wollte unbedingt wissen, wie Joshua in seiner Klasse zurechtkam. Er war verdammt noch mal mein kleiner Bruder, und wehe demjenigen, der es wagte, ihn zu mobben. Das würde dann eine sehr schöne Begegnung geben. Aber mein Problem war immer noch nicht gelöst, also probierte ich es einfach mit der Wahrheit. Oder mit einem Teil. „Ich hatte eigentlich vor, meinen Bruder zu suchen und mich zu erkundigen, wie seine ersten Stunden verlaufen sind. Und, weißt du, du kannst auch gern mit deinen Freunden abhängen, ich komm schon klar.“ Bitte, wer wollte schon eine Schülerin herumführen anstatt Spaß zu haben? Aber ich war mir nicht einmal ganz sicher, ob er viele Freunde hatte, immerhin war der Platz an seiner anderen Seite nicht besetzt. Natürlich war es nicht unmöglich, dass jemand auch einfach krank war, aber so oft kam das hier ja sicherlich nicht vor, immerhin wollten die anderen wohl zu einem großen Teil einen guten Schulabschluss machen. „Kein Problem, ich treffe mich mit meinen Freunden an einer Bank unter einem Baum. Ich denke einfach, dass sie deinen Bruder dorthin bringen, immerhin geht ein neuer Schüler in die Klasse meiner Freunde. Sie sind nett, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Na wunderbar. Hatte mein Bruder also auch einige von der Sorte an sich kleben, das war ja wirklich… erfreulich. Das heißt, mit viel Glück, hatte ich die Nervensägen bald auch noch zuhause zu ertragen. Moment. Das war nicht mein Zuhause, aber übergangsmäßig schon. Arg. Verdammter Zwiespalt. Auf jeden Fall wollte ich die nicht auch noch in meiner kostbaren Freizeit um mich herum haben. Aber abwenden konnte ich das böse Schicksal auch nicht. Wie konnte ich Sungjae denn loswerden? Das war immer noch mein Problem. Ich hätte ihn einfach mit meinem Todesblick anstarren können, aber das hätte er wahrscheinlich einfach vor sich hin strahlend ignoriert. Ich hätte ihm natürlich auch sagen können, dass ich eigentlich überhaupt keinen Bock auf nichts hatte, und erst recht nicht darauf, meine Zeit mit ihm zu verbringen, aber irgendwie kam mir das ziemlich unhöflich vor, also schied das prinzipiell schon aus. Aber, und Gott, war ich gerade froh, ein Mädchen zu sein, er würde mich nicht auf die Mädchentoilette begleiten, damit hatte ich eine Möglichkeit, zumindest ein paar Minuten Ruhe zu ergattern. Ich konnte ein erleichtertes Seufzen gerade noch unterdrücken, als es endlich zur Pause klingelte und ich somit zumindest ein wenig Freizeit hatte. Ohne Schulhofführer. Natürlich nachdem ich mich in die Toilettenräume verzogen hatte, die er mir zeigte. Auf dem Weg vom Klassenraum laberte er mich die ganze Zeit zu, wo ich denn was finden würde und dass das eigentlich gar nicht so schwer war. Er beschrieb mir noch kurz den Weg zu dem gemeinsamen Pausenplatz, wie er sagte, und ging dann schon vor. War mir nur Recht. Schwer seufzend setzte ich mich im Vorderteil, wo die Waschbecken waren, auf den Fußboden und kramte mein Handy heraus. Oh, hoffentlich hatte ich hier Internet, ich würde sonst noch sterben, bevor der nächste Block überhaupt begangen hatte. Und einmal in meinem Leben hatte ich tatsächlich Glück und konnte nicht wiederstehen, meine Freunde über einen kleinen Status wissen zu lassen, wie schlecht es mir gerade ging. Also, nein, noch wussten sie es nicht, aber sobald sie wach waren würden sie das schon sehen. Ich musste mir meine tägliche Dosis ihres Mitleids sichern. Obwohl ich das eh schon hatte, und richtiges Mitleid war es auch nicht. Aber sie würden mich durch diese Zeit bringen, und wenn sie mir nur ein paar aufmunternde Worte schickten. Nach einigen Minuten stand ich auf und sah kurz in den Spiegel, zupfte ein bisschen an meinem Zopf herum und machte mich dann auf den Weg nach draußen. Es wäre wohl auffällig, würde ich 20 Minuten auf der Toilette verbringen, und der erste, der wüsste, was mein Problem war, wäre mein Bruder. Er kannte mich einfach in und auswendig und er würde schon wissen, dass ich mit Sungjaes positiver Art gerade ein ganz großes Problem hatte. War es nicht eigentlich so, dass Positives und Negatives sich anzogen? Nun ja, jetzt gerade war es anders herum, ich kam mit dieser guten Laune überhaupt nicht klar. Und Joshua würde das relativ schnell erkennen. Genervt verdrehte ich die Augen, als ich sah, dass meine klasseneigene Nervensäge sogar recht behalten hatte. Da saßen zwei Jungs, die ich nicht kannte, mit meinem Bruder und Sungjae auf einer Bank und unterhielten sich. Ich wollte da nicht hin, ich sah innerlich meinen seelischen Tod schon kommen, aber ich hatte eigentlich gar keine andere Wahl, als zu ihnen zu gehen, immerhin übersah man mich für gewöhnlich nicht. Allein schon wegen meiner Haarfarbe. Und ich war auch schon entdeckt worden, Joshua winkte mir zu, so dass ich gar keine andere Option mehr hatte. So schlimm würde es schon nicht werden, versuchte ich mir auf jeden Fall einzureden. Es waren vielleicht noch zehn Minuten, danach hatte ich nur noch Sungjae am Hals, und der sollte sich mal schön auf den Unterricht konzentrieren, während ich mich mal ein bisschen zum Schlafen hinlegte. „Guck nicht so finster, Jia“, meinte Josh lächelnd und streckte sich, während er auf der Bank zwischen den anderen saß. Natürlich war kein Platz mehr für mich, und irgendwie war ich nicht sonderlich scharf drauf, bei irgendjemandem auf dem Schoß zu sitzen, weshalb ich mich ins Gras sinken ließ. „Halt die Klappe und erlöse mich von dem Strahlemann“, gab ich nur trocken zurück. Ja, das wäre mal eine dauerhaftere Lösung, und an dem amüsierten Blick meines Bruders sah ich, dass er schon verstanden hatte, worum es ging. „Sei nicht so mies drauf, wenn jemand nett zu dir sein will. Er kann immerhin auch nichts für deine schlechte Laune.“ Tja, manchmal sagte mein Bruder sehr zu meinem Leidwesen die Wahrheit, und er wusste das meistens auch. Und sein wissendes Lächeln ließ mich nur zu genau spüren, dass er auch jetzt wusste, dass er recht hatte. Oh, dieses… „Nein, aber besser wird meine Laune auch nicht. Eher im Gegenteil, und wenn ich ihm nachher eine reinhaue, sollte er sich lieber nicht wundern, das weißt du. Außerdem bin ich aus einem ganz anderen Grund mies drauf. Ist nicht schön, wenn der eigene Bruder einen im Stich lässt.“ Wenn das nicht ein Konter vom Feinsten gewesen war, wusste ich auch nicht mehr weiter, der fassungslose Blick meines Bruders bestätigte mich immerhin. Das hatte gesessen, und er schien tatsächlich nach einer passenden Antwort zu suchen. Ich hatte ihn wirklich einmal sprachlos gemacht. War das ein gutes Gefühl? Ich war mir nicht ganz sicher. Es war ein vorübergehender Triumph, den ich mir unfair erarbeitet hatte. Aber im Krieg war alles erlaubt. „Du weißt, dass ich dich nie im Stich lassen würde“, gab er leise zurück und sah mich immer noch geschockt an. „Du weißt, dass ich mich gerade nur der Situation anpasse. Im Gegensatz zu dir komme ich hier nicht so schnell wieder weg, und jammern bringt mich nicht weiter. Ich sitze noch ein paar Jahre hier fest.“ Mir entkam ein gereiztes Schnauben. So leicht kam er mir nicht davon, auch wenn er damit recht hatte, dass er länger hier bleiben musste als ich. „Du hättest noch in Deutschland etwas machen sollen. Du hättest mit mir kämpfen können, verdammt! Aber nein, der Kleine zieht den Schwanz ein, und ich muss allein versuchen, irgendetwas zu bewegen. Ich verstehe dich nicht, Josh. Das Leben ist kein Ponyhof, und wenn du etwas nicht willst, musst du für deine Interessen einstehen, aber du kannst das einfach nicht. So wirst du im Leben nicht weit kommen, wenn du dich immer nur der Situation anpasst.“ „Und du wirst mit purer Rebellion nicht immer weiterkommen. Das musst du doch auch einsehen. Du kannst dich gegen unsere Mutter wehren, aber willst du wirklich immer gegen sämtliche Vorschriften kämpfen? Das kannst nicht einmal du aushalten.“ Ohne etwas zu sagen schloss ich die Augen und zwang mich, einmal durchzuatmen. Er hatte recht, ich konnte nicht immer kämpfen. Nicht permanent. Das würde selbst ich nicht durchstehen, ich war immerhin auch nur ein Mensch. Ich brauchte ein wenig Halt, und den hatte ich bisher immer bei meinen Freunden gefunden. Und in der Musik, aber wenn ich gegen jede Vorschrift vorging, würde das auf Dauer nicht mehr ausreichen. „Ich bin zäh“, antwortete ich ihm trotzdem, als es gerade zum nächsten Unterrichtsblock klingelte. Und ausnahmsweise war ich einmal dankbar dafür, in den Unterricht zu müssen. Immerhin konnte ich mich dann für weitere Attacken wappnen, und die würden mich spätestens auf der Heimfahrt erwarten. So schnell würde mein Bruder mir die Aktion nicht verzeihen, und ich konnte es ihm eigentlich nicht einmal übel nehmen. Jetzt hatte ich auf jeden Fall wieder zwei Stunden totzuschlagen, und es kam natürlich, wie es kommen musste. Ich saß wieder neben Sungjae. Damit waren meine Nerven dann völlig am Ende. „Worum ging es bei der Diskussion mit deinem Bruder?“, fragte er mich mit ernstem Blick, kurz nachdem der Lehrer den Raum betreten hatte. Warum war dieser Junge so verdammt neugierig? Aber er schien das tatsächlich ernst zu meinen, und er schien auch darüber nachzudenken. Also konnte ich es einfach probieren. Was hatte ich schon zu verlieren? „Es ging darum, dass er mich allein gelassen hat, als es darum ging, sich gegen den Umzug zu wehren“, erklärte ich also trocken und strich mir durch die Haare. Viel mehr brauchte er eigentlich gar nicht zu wissen. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass er wusste, welchen Umzug ich meinte. „Und deswegen bist du sauer auf ihn. Aber das sagt nicht, warum du gegen jeden bist.“ Seufzend verdrehte ich die Augen. Sollte ich ihm das wirklich erklären? Na gut, es nahm nicht viel Zeit weg, also konnte ich mir die Zeit auch nehmen. Aber das war doch eigentlich mehr als offensichtlich, wieso kam er nicht darauf? Er schien doch nicht ganz auf den Kopf gefallen zu sein. „Also erstens, Menschen sind manchmal schrecklich anstrengend und kompliziert. Ich persönlich bevorzuge Hunde und Katzen, die kann man wenigstens so erziehen, dass sie einem keine Szene machen. Zweitens bin ich gegen meinen Willen hier, wie du vielleicht schon mitbekommen hast. Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber ich will die Zeit hier überleben und dann zurück nach Deutschland. Ich bin gegen alles, um meiner liebsten Mutter das auch zu genau zu zeigen. Ich habe tagelang nicht ein Wort mit ihr gewechselt, davor und danach haben wir uns angeschrien. Aber es bringt nichts. Ich bin trotzdem hier gelandet und ich komm hier so schnell nicht weg. Und ich habe meine Freunde in Deutschland, ich brauche keine neuen.“ Nachdenklich nickte mein Sitznachbar und verhielt sich ein Weilchen ruhig. Und ich genoss es, ihn endlich einmal zum Schweigen gebracht zu haben. Er schien ernsthaft über das, was ich ihm gerade erzählt hatte, nachzudenken. So schwer war das doch gar nicht zu verstehen, oder? „Weißt du“, begann er nach einiger Zeit leise und sah mich immer noch ernst an, „vielleicht brauchst du auch nur wenige Personen hier. Die dich davon ablenken, dass du hier nicht in deiner Heimat bist. Vielleicht brauchst du das Gefühl, wieder selber die Kontrolle über dein Leben zu haben, indem du dir Menschen suchst, mit denen du auskommst. Du brauchst nicht viele, aber es ist immer gut, jemanden zum Reden zu haben.“ Er hatte ernsthaft über meine Situation nachgegrübelt und versucht, eine Lösung zu finden? Das war ja irgendwie ziemlich süß von ihm. Auch wenn ich so eigentlich gar nicht denken wollte. Sungjae war vielleicht jung und ein sehr positiver Mensch, aber er schien auch eine ruhige Seite zu haben, die sich mit Problemen auseinandersetzte. Und das nicht nur mit seinen eigenen. Ich mochte diese Seite irgendwie lieber. Und wenn ich ihm eine neutrale, ehrliche Chance geben würde, wäre Sungjae wahrscheinlich gar nicht so übel. Zumindest die Tage, die ich in der Schule verbringen musste, konnte ich dann immerhin mit ihm totschlagen. „Es ist nicht, dass ich mit niemandem reden kann. Die Menschen, denen ich vertraue und die mich wirklich seit Jahren kennen, sind viel zu weit weg. Und bis man jemandem vollständig vertraut, kann es lange dauern. Länger als ich hier bin.“ Selbst wenn ich mich auf die Suche nach jemandem machen würde, der mich ergänzte, bis das Vertrauen groß genug war, um über wichtige Dinge zu sprechen, würde einige Zeit vergehen. Und immerhin hatte ich nicht vor, ewig in Korea zu bleiben. „Niemand hat gesagt, dass jemand dein ganzes Leben kennen muss. Es ist oft leichter, eine Situation neutral zu beurteilen, wenn die Person deine Vergangenheit nicht kennt und davon nicht beeinflusst wird. Und ich denke, du brauchst wirklich jemanden, der dich beschäftigt und dir das Gefühl gibt, selber die Kontrolle zu haben. Vielleicht musst du dann nicht mehr so viel rebellieren, um zu spüren, dass du noch selber Entscheidungen treffen kannst.“ War das wirklich der Sinn hinter meiner Rebellion? Dass ich selber etwas entscheiden konnte, und ich den Beweis dafür darin suchte, dass ich die Entscheidungen immer gegen andere traf? Einerseits klang das verdammt seltsam, aber andererseits auch schon wieder logisch, und das verwirrte mich gerade sehr. Warum war mir das nicht aufgefallen? Aber es änderte nicht allzu viel daran, dass ich meine Mutter immer noch hasste. Weil sie mich einmal um die halbe Welt geschleppt hatte. Und ich hatte Kontrolle über mein Leben, auch wenn Sungjae das wohl kaum glauben würde. Ich hatte mein Leben besser im Griff als die meisten anderen. Ich wollte aber gerade einfach rebellieren. Ich wollte, dass meine Mutter spürte, wie es mir ging. Und dafür brauchte ich keine Freunde. Ich brauchte keine Menschen. Ich brauchte mein Durchhaltevermögen und Musik. Und meine Freunde in meiner Heimat. Ich wusste nicht, wie, aber der Rest des Schultages verging relativ schnell. Sungjae ließ mich in Ruhe meinen Gedanken nachhängen, und das war auch wesentlich besser so. Ich brauchte Zeit, um mir zu überlegen, was ich tun sollte. Sollte ich wirklich versuchen, mich locker mit Sungjae anzufreunden? So locker, dass ich ihm nach meiner Abreise zu nichts mehr verpflichtet war? Was sprach denn dagegen? Ein Kontakt wäre immerhin schon besser als nichts, und vielleicht würde die Zeit, in der ich hier festsaß, schneller vergehen. Außerdem hatte jeder eine Chance verdient, auch Sungjae. Er konnte die Zeit eh nicht schlimmer machen. „Ich kann morgen leider nicht hier sein“, sprach er mich dann doch noch einmal in der letzten Stunde des Tages an und lächelte schief. „Aber morgen ist dann einer meiner besten Freunde hier, er ist in Ordnung. Und er hat kein Problem damit, mit dir ein wenig Zeit zu verbringen.“ Ich nickte knapp. „Ist gut, ich kann ja mal gucken, ob ich mit ihm auskomme.“ Ich musste Sungjae ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich morgen nicht zur Schule kommen würde. Das würde er wahrscheinlich dann von seinem Kumpel hören, aber auch damit konnte ich leben. Solange er mich nicht löcherte. „Kannst du mir die Daten der Prüfungstage geben?“, fragte ich noch nebenbei, denn irgendwie hielt ich es doch für gut, zumindest kurz vor den Prüfungen und natürlich während der betroffenen Tage in die Schule zu gehen. Sonst war es mir wirklich relativ egal. Das würde man zwar auch an den Noten sehen, aber es waren meine Noten, wenn jemand damit ein Problem haben sollte, dann ja wohl ich. Ich zwang mich zu einem kleinen, dankbaren Lächeln als Sungjae die Daten auch noch in meinen Kalender eintrug, und irgendwie fiel mir dieses Lächeln gar nicht so schwer. War positives Denken etwa ansteckend? Hatte er mich damit infiziert? Na ja, solange es außer ihm niemand bemerkte, war das schon okay. Das würde sich auch wieder geben. Wenn ich nicht allzu oft mit ihm zusammen hing. Und außerhalb der Schule würden wir uns eh nicht oft sehen. Hoffnung auf Heilung bestand also. Nach dem Unterricht machte ich mich auch direkt auf den Weg zu der Haltestelle, an der mein Bruder und ich einsteigen mussten. Ich wollte nicht unbedingt mit ihm zusammen gehen. Dabei würde nur wieder Streit herauskommen, und ich hatte heute genug gegen ihn gekämpft. Aber ich konnte ihm auch nicht dauerhaft aus dem Weg gehen, spätestens am Gleis in der Station würden wir uns sehen. Sollte ich mich vielleicht bei ihm entschuldigen? Ich hatte übertrieben reagiert, wenn ich ehrlich war. Aber andererseits hatte ich mich nur gewehrt, gegen einen gut verborgenen Angriff. Und außer meinem Bruder hatte ich hier niemanden, dem ich vertraute. Meine Mutter und ich kämpften immerhin noch immer gegeneinander. Und Sungjae kannte mich erst einen Tag lang. Sicherlich nicht. „Josh?“, sprach ich meinen Bruder also leise an der Haltestelle an und wartete, bis er mich ansah. Sein Blick war nicht sonderlich freundlich, aber auch nicht komplett ablehnend, das war doch schon mal gut. „Es tut mir leid. Das von vorhin. Du weißt schon.“ Gott, ja, ich war schlecht darin, mich bei jemandem zu entschuldigen. Weil ich es nicht oft tat. Und deswegen sah mein Bruder mich auch ein wenig überrascht an. Er wusste genau, dass ich es hasste, mich zu entschuldigen. Hoffentlich wusste er das dann jetzt auch zu schätzen. „Ist schon okay. Du hast es nicht so gemeint. Denke ich. Aber glaubst du wirklich, dass ich dich im Stich gelassen habe?“ Ein leises Seufzen entkam mir. Was sollte ich darauf antworten? Mein Bruder wollte die Wahrheit von mir, dann sollte er sie auch bekommen. „Manchmal fühlt es sich so an. Du tust nichts, um dich zu wehren, du akzeptierst einfach alles. Du suchst dir neue Kontakte hier, anstatt alles daran zu setzen, Carola zu einem Rückzug zu bewegen. Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich ganz allein in dem Kampf und du wärst nur der Zuschauer. Das ist wie ein kleiner Verrat.“ Was gab ich hier eigentlich gerade von mir? Das klang schnulzig wie sonst nichts, ging ja mal gar nicht. Aber es war verdammt noch mal mein kleiner Bruder, der diese Seite doch zu einem kleinen Teil schon kannte. Das war wohl in Ordnung, oder? „Du weißt, dass wir Carola nicht dazu bringen können, zurück zu gehen. Und selbst wenn wir jetzt wieder nach Deutschland gehen, wir stehen vor dem Nichts. Hier komme ich die nächsten zwei Jahre nicht mehr weg, also muss ich mich mit der Situation anfreunden. Ich versuche, das Beste daraus zu machen. Weil ich keine andere Wahl habe. Und eigentlich sind die Jungs gar nicht so übel, auch Sungjae nicht. Ich mag ihn irgendwie.“ Ich nickte leicht, bevor wir in die Bahn stiegen und uns einen Platz suchten, wo wir gemütlich sitzen und uns unterhalten konnten. Joshua hatte recht, wenn er sagte, dass wir unsere Mutter nicht umstimmen konnten. Auch wenn es mir gar nicht gefiel, sie liebte Daniel, und der würde nicht mit uns nach Deutschland kommen. Wahrscheinlich zumindest. Wir würden sie nicht dazu bekommen, mit uns zurückzugehen. „Sungjae ist schon in Ordnung, auch wenn mir seine stille Seite lieber ist“, ergänzte ich die Aussage schließlich und strich mir durch die Haare. „Lief bei dir denn eigentlich alles gut heute?“, erkundigte ich mich, um doch von dem Thema wegzukommen. Ich wollte nicht über Sungjae nachdenken, nicht jetzt, wo ich gerade meine verdiente Ruhe zurückerobert hatte. Den Rest der Heimfahrt über plauderten wir über dies und das, und ich stellte fest, dass mein Bruder zum Teil die gleichen Lehrer hatte wie ich. Im Gegensatz zu mir hatte er sogar schon einige Wörter koreanisch heute gelernt, was wohl auch daran lag, dass er den Lehrern im Gegensatz zu mir zuhörte und den Kontakt zu seinen Mitschülern suchte. Mein Bruder war so unheimlich anpassungsfähig. Gut, ich konnte mich auch schnell einer Situation anpassen, wenn ich denn wollte. Aber ich wollte nicht. Ich war heilfroh, als wir wieder zuhause angekommen waren. Auch wenn ein leichtes Mittagessen bereit stand, verzog ich mich erst einmal nach oben in mein Zimmer, hängte meine Schuluniform weg und schlüpfte in Jeans und T-Shirt. So fühlte ich mich immerhin schon wesentlich wohler, sodass ich dann auch zum Essen ging. Richtiges Abendessen gab es nur abends mit der Familie, auch wenn ich damit nicht wirklich glücklich war. Es ließ sich damit leben. Genauso wie es sich ohne Menschen ganz gut leben ließ, aber drei oder vier doch ganz gut waren, um einem Gesellschaft zu leisten. _________________________________________________________ Endlich wurde jetzt das Geheimnis gelüftet, um welche Band es sich handelt. *0* Solltet ihr Sungjae nicht zuordnen können - er ist der Maknae von BTOB. Und ich liebe diese Band seit Monaten so abgöttisch. Q__Q Wenn ihr sie nicht kennt - anhören bitte! Sie sind~~ so unbeschreiblich. Wer mit mir Fachdiskutieren will, kann das gern tun. Auf FB oder hier, je nachdem. :'D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)