Kind zweier Welten von Ur (Percy & Molly II) ================================================================================ Kapitel 1: Erwartungen ---------------------- Molly Weasley hatte ihren eigenen Kopf. Den hatte sie schon mit sechs Jahren bewiesen, als sie verkündet hatte, sie wolle auf eine Muggelschule gehen und lesen und schreiben lernen wie »normale Kinder auch«. Percy hatte all diese Dinge von seiner Mutter gelernt und war vor Hogwarts nie auf einer Schule gewesen. Aber Audrey hatte ihm gut zugeredet und Molly war auf eine Muggelschule gegangen. Sie war mit großer Begeisterung für Muggelkinderbücher und etwas, dass sie ›Sachkunde‹ nannte, wieder zurück gekommen und hatte über die Jahre hinweg eine besonders große Zuneigung zu ›Winnie the Pooh‹ und ›The little Prince‹, zu Vögeln und zu Eichhörnchen entwickelt. Das Einzige, was sie an der Zaubererwelt besonders aufregend fand, waren die Eulen. Also hatten Percy und Audrey der zehnjährigen Molly eine Schleiereule gekauft und Percy hatte das dumpfe Gefühl, dass seine älteste Tochter ihn noch nie mehr geliebt hatte, als in diesem Moment. Sie hatte ihre Eule Miss Marple genannt, nach einer merkwürdigen Figur aus Muggelgeschichten, nach denen Audrey ganz verrückt war und deren Filme sie sich gern mit Molly ansah. Vor ihrem elften Geburtstag hatte Molly schließlich eine Frage gestellt, von der Percy sich nie hatte erträumen lassen, dass er sie von einem seiner Kinder hören würde: »Muss ich denn nach Hogwarts gehen?« Percy hatte ein paar Sekunden gebraucht, um die Frage zu verarbeiten. Es war ihm nicht viel dazu eingefallen, außer: »Ja.« Aber Molly Weasley wäre nicht Molly Weasley gewesen, wenn sie diese Antwort nicht mit einem »Warum?« gekontert hätte und Percy rang einige Zeit mit sich, ehe er schließlich so ruhig und vernünftig wie möglich erklärt hatte, dass Molly lernen musste, ihre Magie zu kontrollieren und dass sie unter den Muggeln früher oder später gegen das Geheimhaltungsabkommen verstoßen hätte und Percy und Audrey dann in Schwierigkeiten kommen würden. Molly akzeptierte diesen Grund zähneknirschend, aber sie verkündete ihrem Vater ohne Umschweife, dass sie nur nach Hogwarts gehen würde, wenn sie weiterhin mit ihren Muggelfreunden Kontakt halten und ihnen von sich erzählen dürfte. Percy war entsetzt gewesen. Sein ganzes Leben hatte er auf die Einhaltung von Regeln bestanden und nun kam seine eigene Tochter daher und wollte mit ihren zarten zehn Jahren bereits alles über den Haufen werfen, womit er sich selbst identifizierte. »Den Kindern würde doch ohnehin niemand glauben, wenn sie es weitererzählen«, hatte Audrey ihm leise gesagt und ihm beruhigend die Schulter getätschelt. »Außerdem sind die beiden sehr nett.« Percy hatte nie behauptet, dass Damien und Jess nicht nett waren. Es waren reizende Kinder – auch wenn Jess nach Percys Meinung eine zu große Vorliebe für alles Matschige und Dreckige hegte – und Percy war froh, dass seine Tochter so gute Freunde unter Muggeln gefunden hatte. Trotzdem erschien es ihm zu riskant, die Kinder einzuweihen. »Olivia und mein Vater wissen es auch«, erinnerte Audrey ihn. Schließlich hatte Percy nachgegeben. »Also schön… aber sie müssen absolutes Stillschweigen bewahren!« Molly hatte gejuchzt, ihn umarmt und war davon gestürmt und bei ihren beiden Freunden anzurufen und ein Treffen zu vereinbaren. »Ich habe das Gefühl, dass ich meiner zehnjährigen Tochter nichts entgegen zu setzen habe«, beichtete Percy seufzend seiner Frau, die ihn amüsiert schmunzelnd betrachtete und ihm eine seiner roten Locken aus dem Gesicht strich. »Sie ist eben ein Dickkopf. Aber solange sie nicht in zwei Jahren beschließt, mit ihrem Besen eine Weltreise zu machen, mache ich mir keine Sorgen.« Percy starrte seine Frau an und versuchte sich vorzustellen, wie seine viel zu junge Tochter die Schule hinwarf und sich auf eigene Faust auf eine Entdeckerreise machte. Nein, das würde eindeutig zu weit gehen. Soweit würde er es nicht kommen lassen. Percy und Audrey bekamen einen Brief, kurz nachdem Molly in Hogwarts angekommen war. »Hey Mum, hey Dad, hey Lu! Ich hoffe, dass es euch gut geht (und Lu, lass die Finger von meinen Büchern, ich will keine Eselsohren haben, wenn ich wieder komme!). Es ist eigentlich ganz nett hier und das Essen schmeckt wirklich super. Wahrscheinlich ist Miss Marple glücklich, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr im engen Käfig wohnen muss, sondern oben in der Eulerei schlafen kann. Ich hab ihr noch zwei Briefe für Jess und Damien mitgegeben, es wäre nett, wenn ihr sie weiterfliegen lasst, sobald ihr diesen Brief gelesen habt. Ich bin übrigens in Hufflepuff gelandet. Es ist ziemlich schön hier unten, es stehen viele Pflanzen rum und man wohnt direkt neben der Küche. Die Leute sind auch sehr nett. Ich hab mich mit zwei Jungs namens Mortimer (wir nennen ihn Mo) und Gus beim Abendessen unterhalten. Mal sehen, wie der Unterricht wird. Leider kann ich Pflege magischer Geschöpfe und Muggelkunde ja erst im dritten Jahr wählen. Ich hab euch lieb! Molly« Percy war recht erleichtert, dass es Molly offenkundig ganz gut in Hogwarts gefiel. Er stellte sich vor, wie sie alle ihre Mitschüler, die aus Zaubererfamilien stammten, über all die Muggeldinge belehrte, die sie so liebte. Es war schwierig sich einzugestehen, dass man bereits vor der Geburt des Kindes gewissen Vorstellungen gehabt hatte, wie es später werden würde. Und Percy hatte sich immer ein fleißiges, vernünftiges Mädchen vorgestellt, das später womöglich ebenfalls im Ministerium arbeiten würde. Ein Kind, das in seine Fußstapfen trat. Aber Molly hatte kein Interesse daran, in Percys Fußstapfen zu treten. Sie unterhielt sich gern mit ihrem Opa über die Muggeldinge, die er genauso liebte wie seine Enkelin. Sie liebte Onkel Georges magische Zaubertricks und sie sprach gerne mit ihrer Tante Hermine über all die Bücher, die Hermine ebenfalls als Kind gelesen hatte. Percy fühlte sich auf schreckliche Art und Weise aus dem Leben seiner ältesten Tochter ausgeschlossen. Während Lucy gern Schach spielte, bereits mit fünf ganz wild auf Hogwarts gewesen war und keinerlei Interesse daran hatte, sich mit Muggeldingen zu beschäftigen, war Molly so fern von ihm, als wäre sie eigentlich nur Audreys Tochter und nicht seine eigene. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen. Nicht einmal mit seiner Frau. Es waren leise Gedanken, die sich nachts in seinen Kopf stahlen und sich breit machten. Sie schoben Erinnerungen vor sein inneres Auge, darüber, wie seine Mutter früher immer bestrebt war, Fred und George davon abzuhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Er hatte sie schon damals verstanden und jetzt verstand er sie noch besser. Ihm ging es genauso. Und er konnte nicht umhin sich zu fragen, ob sein Leben nicht gut genug für seine Tochter war, wenn sie sich so weit ab von Percys Weg durchs Leben bewegte. Und damit meinte er noch nicht einmal, dass sie nach Hufflepuff gekommen war. Seiner Meinung nach war er niemals der Vorzeige-Gryffindor gewesen. Ravenclaw hätte vermutlich besser zu ihm gepasst. Aber Molly schien ihm zu entgleiten und Percy wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Wie es sich in Mollys späterer Schullaufbahn herausstellte, war sie tatsächlich sehr gut in Pflege magischer Geschöpfe, Muggelkunde und auch in Kräuterkunde. Aber all die Fächer, die Percy als essentiell wichtig empfand – Zaubertränke, Verwandlung, Zauberkunst – lagen ihr nicht. Sie brachte durchschnittliche Noten nach Hause und verkündete nach ihren ZAG-Prüfungen, dass sie nur ihre drei besten Fächer und Astronomie weiter belegen würde. »Aber… was willst du mit diesen Fächern denn später anfangen?«, entrüstete sich Percy und als Molly die Schultern zuckte, hatte er nicht übel Lust, seine Tochter laut anzuschreien. »Eigentlich würde ich gern mit Tieren arbeiten. Oder Bücher schreiben. Hagrid sagt, ich hätte das Zeug dazu, nach ihm die Stelle für die Pflege magischer Geschöpfe zu übernehmen. Er will sich einige Zeit aus Hogwarts verabschieden und Onkel Charlie in Rumänien Gesellschaft leisten…« Natürlich hatte Hagrid ihr Flausen ins Ohr gesetzt. Hagrid und seine Molly verstanden sich blendend. Sie sprachen über all die spannenden Kreaturen und Tiere und Hagrid hatte schon mehrmals von Mollys unsagbarem Talent im Umgang mit magischen Geschöpfen berichtet. »Tierarzt wäre auch toll, aber dafür fehlt mir wohl leider die Muggelausbildung…«, hatte Molly hinzu gefügt und tatsächlich so ausgesehen, als würde sie es bedauern, ihre Schulzeit auf Hogwarts verschwendet zu haben, anstatt sich auf einer Muggelschule für eine dieser Universitäten vorzubereiten, von denen Audrey ihm erzählt hatte. »Du könntest im Ministerium für die Abteilung der Aufsicht magischer Geschöpfe arbeiten«, schlug Percy matt vor und sah seine letzte Hoffnung auf eine Gemeinsamkeit mit seiner Tochter aufglimmen. Doch Molly tat ihm den Gefallen nicht, seinem stummen Flehen entgegen zu kommen. Stattdessen verzog sie das Gesicht und zuckte die Schultern. »Ministerium ist nicht so meins, Dad. Ich zieh lieber mein eigenes Ding durch.« Und Percy hatte ihr nachgesehen, als sie mit ihrem rotblonden Lockenkopf und der Brille aus dem Wohnzimmer verschwunden war, sicherlich um in ihrem Zimmer Muggelgeschichten zu lesen, oder Briefe an ihre Muggelfreunde zu schreiben. Als seine Mutter das nächste Mal zu Besuch kam, kochte er ihr einen Tee und setzte sich zu ihr an den Küchentisch. Es waren Sommerferien, doch draußen regnete es beharrlich. Aus Mollys Zimmer drang laute Musik – wahrscheinlich war es irgendeine Muggelband – und Lucy war mit Audrey beim Einkaufen. »Ist alles in Ordnung, Percy?«, erkundigte sich seine Mutter. Percy musterte sie. Ihre roten Weasleyhaare waren mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen und sie war viel schmaler als früher. Seit Freds Tod hatte sie nie wieder ihre gesunde Fülle erreicht und ihr freundliches Gesicht hatte einen traurigen Schatten, der nie gänzlich aus ihren Zügen verschwand. Er war einen Augenblick lang versucht, alles zu leugnen und sich das in seiner Vorstellung recht erniedrigende Gespräch zu ersparen, aber dann platzte es doch aus ihm heraus. »Ich glaube, Molly kann mit mir überhaupt nichts anfangen. Wahrscheinlich erzählt sie jedem, was für ein langweiliger Spießer ihr Vater ist. Und sie interessiert sich kein bisschen für das, was mich interessiert. Sie will die verrücktesten Dinge mit ihrem Leben anstellen. So hab ich mir das Leben meiner Tochter nie vorgestellt!« Jetzt war es raus. Percy spürte, wie sein Nacken heiß wurde und er umklammerte seine Teetasse etwas fester als nötig. Molly Weasley, nach der Percy seine Tochter benannt hatte, lächelte ein wissendes Lächeln, das sie wie so oft sehr mütterlich wirken ließ. Jetzt, da er selbst zwei Töchter hatte, betrachtete er seine Eltern mehr als jemals zuvor als ein kleines Wunder, die insgesamt sieben Kinder großgezogen und bei keinem von ihnen versagt hatten. Er selbst war offensichtlich mit zwei Kindern völlig überfordert. Vielleicht hatte er sich zu viel zugetraut. Vielleicht war er letztendlich kein guter Vater. »Wie du weißt, hab ich mir Freds und Georges Leben auch immer anders vorgestellt«, sagte seine Mutter und sein dunkler Schatten huschte über ihr Gesicht. Einen Moment lang betrachtete sie den Inhalt ihrer Teetasse, als könnte sie ihren verstorbenen Sohn darin sehen und Percy stellte sich für kurze Sekunden vor, wie es wäre, wenn eine seiner Töchter sterben würde. Der Gedanke war so furchtbar, dass er seinen Tee hinunter stürzte und sich dabei die Zunge verbrannte. »Aber letztendlich geht es darum, dass deine Kinder nicht eine kleine Ausgabe von dir selbst sind und ihren eigenen Weg gehen müssen. Und als Elternteil muss man lernen, sich damit abzufinden, dass zu viele Erwartungen an die Kinder nicht gesund sind. Am wichtigsten ist es, dass die Kinder glücklich sind. Und Molly ist glücklich, oder nicht?« Percy fummelte an seiner Teetasse herum und nickte nachdenklich. Auch wenn seine Tochter lieber nicht nach Hogwarts gegangen wäre, schien sie doch sehr zufrieden mit ihrem Leben. »Es ist nicht zu spät, deine Tochter kennen zu lernen«, fügte Molly Weasley lächelnd hinzu. Percy seufzte. Eigentlich sollte es doch nicht nötig sein, dass man als Vater seine fünfzehnjährige Tochter kennen lernen musste. Er kannte sie seit ihrer Geburt. Und doch auch nicht. Hatte er sich zu wenig um sie bemüht? Er hatte nie versucht, mit ihr über all diese Muggeldinge zu sprechen, die sie so interessierten. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, sich von ihr erklären zu lassen, worum es bei Winnie the Pooh und The little Prince ging. »Du weißt hoffentlich, dass deine Tochter dich nicht langweilig und spießig findet«, sagte Molly und Percy blickte verwundert auf. Seine Mutter musterte ihn mit so viel Liebe und Stolz, dass er unweigerlich verlegen wurde. Besonders in diesen Moment erinnerte er sich daran, wie viel Kummer er ihr damals bereitet hatte, als er sich von der Familie entsagt hatte. »Sie ist wirklich sehr unsicher, weil sie dich stolz machen will, aber sich sicher ist, dass du nie stolz auf sie sein wirst, weil sie nicht so geworden ist, wie du sie dir vorgestellt hast. Sie hat mit deinem Vater darüber gesprochen.« Percy schluckte und rückte nervös seine Brille zurecht. »Das war mir nicht klar«, gab er mit belegter Stimme zurück und fühlte sich einmal mehr wie der unzulänglichste Vater auf der Welt. »Ich werd mich jetzt auf den Rückweg machen. Ron und Hermine wollen später noch vorbei schauen«, sagte seine Mutter und erhob sich. Percy stand ebenfalls auf und brachte seine Mutter noch zur Tür ihres kleinen Hauses. Er blickte ihr nach, als sie sich ein paar Meter von der Tür entfernt um die eigene Achse drehte und verschwand. Dann schloss er die Tür, machte auf dem Absatz kehrt und klopfte zögerlich bei Molly an die Tür. Die Musik verstummte. »Ja?« Er trat ein. Mollys Zimmer war ein buntes Durcheinander aus Muggel- und Zaubererwelt. Magisch bewegliche Bilder von ihr und ihren Muggelfreunden schmückten eine Pinnwand über dem Bett, ihr riesiges Bücherregal war vollgestopft mit Tierbüchern und Lehrbüchern über magische Geschöpfe, sowie mit allen möglichen Muggelgeschichten und etwas, das sie CDs und DVDs nannte, auf denen Musik und Filme gespeichert waren. In einem Käfig stand ihre Schleiereule Miss Marple und hatte den Kopf unter ihren Flügel gesteckt. Wie sie bei der lauten Musik schlafen konnte, war Percy schleierhaft. Molly lag auf dem Bett und las. Sie betrachtete ihn erstaunt, als er etwas verloren in ihrem Zimmer stand und sich schließlich räusperte. »Liebe Grüße von deiner Oma«, sagte er probehalber. Molly lächelte. »Danke. Nächstes Mal setze ich mich wieder zu euch, aber das Buch ist einfach zu spannend«, gab sie zurück und setzte sich aufrecht hin, um es kurz hochzuhalten. Percy zögerte einen kurzen Moment, dann ging er zu ihrem Bett hinüber, ließ sich darauf nieder und starrte den Buchdeckel an. »Neverwhere« von Neil Gaiman. Eines dieser Muggelbücher. »Und…?«, sagte Percy und hörte selber, wie unbeholfen er klang, »Worum geht es?« Molly sah ihn einen Augenblick lang verwundert an, dann breitete sich auf ihrem Gesicht ein Strahlen aus, das Percys Herz bewog auf die doppelte Größe anzuschwellen. Er fragte sich, wie er es all die Jahre versäumt hatte, sich mit seiner Tochter zu beschäftigen und nicht nur mit der Tochter, die er sich vorgestellt hatte. »Also, es geht um diesen Typen, Richard Mayhew, und der rettet eines Tages ein Mädchen namens Door…« Percy schob seine Brille auf der Nasenwurzel nach oben und lächelte, während seine Tochter ihn freudig in ihre Welt einlud. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)