Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2) von Purple_Moon (Crimsons eigene Serie, yay!) ================================================================================ Kapitel 35: Familienbande ------------------------- Als er erkannte, dass er sich in der Gewalt von Ruin und Demise befand, die ihn fälschlich beschuldigten, etwas mit Sorcs Zustand zu tun zu haben, konnte Crimson gut nachvollziehen, wie sich Sorc fühlte, wenn ihm Kuro oder Neo böse Absichten unterstellten. Allerdings war seine Lage noch etwas ungemütlicher. Sie mussten etwas mit seinem Tee gemacht haben, als er ihn unbeaufsichtigt gelassen hatte. Wie sonst hätten sie ihn dermaßen verschnüren können, ohne dass er das mitbekam? Seine Hände und Füße waren jeweils einzeln an ein Stuhlbein beziehungsweise an die Stangen der Stuhllehne gefesselt, der Oberkörper noch einmal an die Lehne gebunden. Aber das schlimmste war das Banneisen. Es löste in Verbindung mit der Tatsache, dass er sich nicht bewegen konnte, regelrechte Panikattacken in ihm aus, so dass er schneller atmete und Schweißausbrüche bekam. Ziemlich peinlich. Außerdem hielt das Banneisen, obgleich um seinen Hals befindlich, nicht die Schwertklinge von seiner Haut ab. „Rede!“ verlangte Ruin nachdrücklich. Demise stellte gerade den leeren Wassereimer zur Seite. Crimson hatte den Mann noch nie ohne Rüstung gesehen. Er war ein großer, gut bemuskelter Kriegertyp, der wirklich nur Ruins Bruder im Geiste war, wie sie ihn selbst einmal bezeichnet hatte. Er sah ihr gar nicht ähnlich – mit dunkelbrauner Haut und krausen Rasterzöpfen bildete er einen krassen Gegensatz zu der weißhaarigen Frau. Im Moment massierte er seine Finger, als müsse er sie davon abhalten, den Kontakt zu Crimsons Kiefer zu suchen. „Ich habe Sorc nichts angetan,“ teilte Crimson den beiden sachlich mit. „Er ist in diesem Zustand, weil er ein aufwändiges Ritual durchgeführt hat.“ Ruin ruckte an seinem Haar, dass sie immer noch in ihrer Faust hielt. „Erzähl keinen Mist! Er ist dein Feind! Warum solltest du zulassen, dass er hier ein Ritual veranstaltet? Zufällig weiß ich, dass du heute alle von hier weggeschickt hast! Weißt du, was ich glaube? Du hast versucht, ihn loszuwerden, weil deine Freunde sich über ihn beschwert haben. Dafür hast du dich gut vorbereitet und dann alle anderen in Sicherheit gebracht. Du musst irgendwas gemacht haben, um seinen Widerstand zu brechen und sein Bewusstsein wegzusperren...“ „Du irrst dich! Die Mühe müsste ich mir gar nicht machen, ich könnte einfach dem Zirkel des Bösen sagen, dass er mich stört!“ protestierte Crimson. „Gib es doch zu... das gehört alles zu deinem Racheplan!“ Ruin ging auf seine Argumentation überhaupt nicht ein. „Lass mich versuchen, ihn zu überzeugen, Schwester,“ sagte Demise mit tiefer Stimme und schob sie sanft aus dem Weg. Als sie Crimson losließ und das Schwert von seinem Kinn nahm, konnte er sehen, dass es vor dem Fenster schon hell wurde. Das Elixier! Er musste dem Elixier bei Tagesanbruch etwas Wasser hinzufügen und die Hitze unter dem Kessel reduzieren! Später benötigte er dann... „Hey!“ lenkte Demise seine Aufmerksamkeit auf sich. Er krempelte den Ärmel seines Hemdes hoch und zeigte seine Faust. „Wie können wir Vater aus diesem Zustand befreien? Spuck's aus, oder ich sorge dafür, dass du zuerst deine Zähne ausspuckst!“ „Er ist nur erschöpft, er wird eine Weile schlafen und dann wieder aufwachen,“ versicherte Crimson. Es gelang ihm, die Ruhe zu bewahren, denn irgendwie glaubte er nicht daran, dass die beiden so gewalttätig waren, wie sie vorgaben. „Vater würde niemals riskieren, so außer Gefecht gesetzt zu werden,“ widersprach Ruin, die nun mit verschränkten Armen etwas seitlich stand. Das Schwert ruhte auf dem leeren Bett neben ihr. „Sorc vertraut mir,“ teilte Crimson ihr mit. „Und euch anscheinend auch, denn wie bitte seid ihr hier hereingekommen?“ „Durch das Haupttor,“ sagte die Fee. „Niemand hat uns aufgehalten. Nicht einmal das Schlossherz. Wie nachlässig von dir, bist du nicht jetzt der Schlossherr?“ Crimson versuchte, eine etwas selbstsichererer Pose einzunehmen, doch seine Haltung war durch die Fesseln deutlichen Beschränkungen unterworfen. Eigentlich sollte er sich wohl fürchten, aber statt dessen beruhigte er sich langsam. „Wenn das Schlossherz euch nicht aufgehalten hat, dann stuft es euch nicht als Bedrohung ein. Es kennt euch, schätze ich.“ „Blödsinn!“ zischte Ruin. „Es war nicht aktiv, als wir hier gelebt haben!“ Crimson überlegte, ihnen die Wahrheit zu sagen, befand aber, dass sie das vielleicht falsch verstehen würden. „Ich habe Sorc nichts getan!“ wiederholte er statt dessen. „Ich habe ihn sogar vor den Gegnern, die er hier hat, in Schutz genommen. Meiner Verantwortung als Schlossherr obliegt es, für die Sicherheit meiner Untergebenen zu sorgen und...“ „Untergebenen?“ unterbrach Demise ihn. „Vater unterwirft sich niemandem!“ „Doch, tut er,“ erwiderte Crimson. „Es ist ja nicht so, als würde ich ihn unterjochen! Er hat mir die Treue geschworen, indem er mir sein Wort als Prinz der Eisigen Inseln gab!“ Seine letzte Bemerkung bewirkte zum ersten Mal, dass die Geschwister einander zweifelnde Blicke zuwarfen. Hoffentlich einigten sie sich schnell zu seinen Gunsten. Das Elixier brauchte Zuwendung! Zwar ging es dieses Mal nicht um eine fehlende Zutat, aber wenn er es zu lange zu heiß köcheln ließ, konnte es zu sehr eindicken. „Sorc bat mich darum, alle wegzuschicken, damit er sein Ritual durchführen konnte,“ fuhr Crimson möglichst ruhig fort. „Ich war allein mit ihm und wusste nicht, was er plante, aber ich ließ es ihn tun. So sehr vertraue ich ihm.“ Crimsons Stimme klang in seinen eigenen Ohren fest und glaubwürdig, er war selber überrascht. Wieder tauschten die Geschwister Blicke aus. Aber sie konnten sich wohl nicht recht dazu durchringen, ihm zu glauben. „Ach, da sind ja alle!“ kam eine weitere Stimme hinzu. „Du liebe Zeit, Jungchen, die sind ja leicht mit dir fertig geworden.“ „Olvin! Du hast gewusst, dass sie herkommen wollten?“ „Wir haben uns gestern im Dorf getroffen und uns unterhalten. Daher wussten sie ja auch, dass niemand hier ist, aber ich dachte nicht, dass sie so leichtes Spiel mit dir haben.“ Olvin legte sein weniges Reisegepäck ab und baute sich vor Crimson auf, ohne dass Ruin oder Demise ihn davon abhielten. „Ich muss sagen, der Anblick hat was.“ „Du kommst gerade zur rechten Zeit, Olvin,“ reagierte Ruin endlich. „Wir fanden Vater hier im Krankenbett bewusstlos vor! Angeblich durch sein eigenes Verschulden, ein Ritual! Hast du ein Mittel, um die Wahrheit aus Crimson herauszubekommen?“ „Ich habe euch bereits wahrheitsgemäß geantwortet!“ beschwerte Crimson sich. „Ach, Sorc und Crimson sind in letzter Zeit ganz dicke Kumpel,“ winkte Olvin ab. „Vielleicht haben sie irgendwas ausgeheckt, und es ist ein bisschen schiefgegangen. Demise, sei so gut, hol mir einen Stuhl, ja? Danke.“ Der Alte stieg auf den Stuhl, den der Unterweltlerkrieger ihm neben Sorcs Bett stellte, und warf einen Blick auf den Patienten. Er atmete scharf ein. Crimson konnte sein Gesicht nicht sehen, aber Demise und Ruin standen mit am Bett und warteten ungeduldig auf eine Diagnose. „Was ist denn?“ fragte Ruin in einem alarmierten Tonfall. „Olvin, bitte sag doch was! Was hat Vater?“ Olvin beugte sich über Sorc und vollführte ein paar standardmäßige Handgriffe wie den Puls fühlen, ein Augenlid anheben. „Deshalb also,“ murmelte er vor sich hin. „Er stellte mir in letzter Zeit hin und wieder mal seltsame Fragen... aber er war immer neugierig, daher...“ Crimson befand, dass sich die Situation nicht zu seinen Gunsten entwickelte. Sorcs Adoptivkinder sahen feindselig in seine Richtung, wenn nicht besorgt auf ihren Vater. „Keine Sorge, mit dem ist körperlich alles in Ordnung, bis auf die Erschöpfung,“ konnte Olvin sie jedoch beruhigen. „Ich bin auch sehr sicher, dass der Idiot das selber verbockt hat. Aber Jungchen, ich glaube, du solltest uns erklären, warum du ihn nicht aufgehalten hast.“ Drei Augenpaare wandten sich abwartend ihm zu. „Er wollte nicht aufgehalten werden, deshalb hat er es mir nicht vorher erklärt. Und ich habe ihm genug vertraut, um das zu akzeptieren,“ gab Crimson Auskunft. „Könnte mich wohl jemand losbinden? Es ist unbequem und ich friere in den nassen Klamotten.“ „Lass mich den Anblick noch ein paar Minuten genießen.“ Olvin grinste ihn fies an und musterte ihn von oben bis unten. „Das Ritual war aber ein Erfolg... ja? Kannst du das mit Sicherheit sagen?“ Crimson nickte. „Sorc ist auf seinen eigenen Füßen hierher gegangen, nachdem er fertig war.“ „Um was für ein Ritual geht es denn eigentlich?“ wollte Ruin wissen. Olvin tätschelte ihre Hand. „Das soll dir dein Vater mal selber erklären, Kindchen. Demise, lass jetzt Crimson frei, ich glaube, der hat was zu tun.“ Überrascht beobachtete Crimson den großväterlichen Umgang von Olvin gegenüber den beiden. Demise hörte tatsächlich auf den Alten und band ihn los. Crimson bewegte probeweise die versteiften Gelenke und stand erst auf, als er es seinen Knöcheln zutraute, sein Gewicht zu tragen. „Ich muss in den Turm. Ihr beide könnt hier bleiben, wenn ihr wollt,“ sagte er zu den Geschwistern. „Aber dann will ich kein Genörgel hören, bis Sorc euch alles erklären konnte!“ „Jetzt hab keine große Klappe, bloß weil du wieder frei bist!“ schnauzte Ruin ihn an. „Ihr habt übrigens was vergessen!“ motzte Crimson zurück und deutete auf das Banneisen. Freundlicherweise entfernte Demise auch dieses, aber nicht gerade vorsichtig. Olvin stieg von seinem Stuhl, und der Schlossherr musste wohl oder übel einen Moment das Feld räumen, denn das Elixier wartete schon. Unterwegs trocknete er magisch seine Kleidung, und als er Wasser in den Kessel gegeben und das Feuer darunter leicht reduziert hatte, schlotterten ihm auf einmal die Knie als nachträgliche Reaktion auf den Stress, so dass er sich setzen musste. Weder Cathy noch Sorc machten sich derzeit in seinem Kopf bemerkbar. Die Ruhe war ungewohnt. Sogar die Drachen schwiegen. Aber vielleicht wussten sie noch gar nichts von der Veränderung, denn seine Schüler waren mit ihnen unterwegs. Als Crimson den Kontakt suchte, erfuhr er, dass beim Abenteuerausflug alles in Ordnung war. Mava, Lily und die älteren Schüler hatten alles im Griff. Auch Appi, Yugi, Yami und Blacky als Aufpasser für Meras nahmen an dem Ausflug teil, es gab also keinen Grund zur Beunruhigung – die Kinder waren in guten Händen. Bis die Gruppe wieder nach Hause kam, musste Crimson etwas einfallen, wie er mit den neuen Besuchern umgehen sollte. Aber eigentlich gab es kein Problem. Sie waren eben Besucher. Vielleicht konnten sie im Dorf wohnen, um Ärger im Schloss zu vermeiden, andererseits sah Crimson es nicht mehr ein, immer erst zu überlegen, ob seine Entscheidungen jemandem nicht passen könnten. Als er seinen Beinen wieder traute, begab er sich zurück nach unten. Im Moment konnte er nicht durch Cathy überall hinschauen und versuchte es auch nicht, während das Schlossherz noch Anpassungen vornahm. Crimson musste selber noch richtig realisieren, was passiert war. Was bedeutete die Seele eines Chaoshexers für das Schloss? Unbegrenzte Möglichkeiten oder einen direkten Weg in den Abgrund? Etwas dazwischen? Er zuckte mit den Schultern und beschloss, es auf sich zukommen zu lassen. Aufgrund der begrenzten Personenzahl nahm es Crimson gerne auf sich, das Frühstück zu machen, eine Arbeit, die ihn wie immer entspannte. Er lud eine Anzahl von schnellen Omelettes mit Marmeladenauswahl und mehrere Teller auf ein Tablett und schaffte sie zur Krankenstation. Nicht gerade ein anspruchsvolles Essen, aber so brauchte er nicht lange, ehe er wieder vor Ort sein konnte. Ruin und Demise reagierten etwas misstrauisch, folgten aber Olvins Beispiel, als dieser sich am Essen gütlich tat. Sorc wachte nicht auf. Allerdings konnte er es verkraften, eine Mahlzeit ausfallen zu lassen, wie der Necromant versicherte. Sein körperlicher Zustand war stabil. Crimson beobachtete Ruin beim Essen, bis sie ihm einen bösen Blick zuwarf. Als sie für ihn noch Runa gewesen war, hatte er sich ein bisschen in sie verliebt... aber dieses Gefühl wollte er nicht wieder zulassen. Zu tief saß noch die Enttäuschung über ihren Betrug. Verrat konnte man es wohl nicht nennen, schließlich hatte sie von Anfang an für Sorc gearbeitet, damals, als Sorc noch der Feind gewesen war. Dinge änderten sich, daher wusste Crimson, dass er ihr eines Tages vergeben würde, so wie ihrem Vater, aber eben jetzt noch nicht. Sie hatte bewusst mit seinen Gefühlen gespielt, das nagte noch an ihm. In diesem Zusammenhang kam ihm der Gedanke, dass sie es auf Sorcs Anweisung getan hatte, da es zum Plan gehört hatte, dass Crimsons Gruppe sich mit ihr anfreundete. Natürlich hatte besonders er sich als williges Opfer dieses Plans erwiesen. Wie es schien, war Sorc zumindest unterschwellig in seinem Kopf und schickte ihm Ideen... oder zumindest schloss Crimson die Möglichkeit nicht aus. Vielleicht war das Sorcs Art, seine Kinder in Schutz zu nehmen. Als das Essen verspeist war, schickte Olvin Demise und Ruin los, damit sie nachsahen, ob ihre früheren Zimmer bewohnbar waren. Seiner Meinung nach waren die Räume frei, aber mit Sicherheit sagen konnte er es nicht. Crimson ließ sie gewähren, obgleich er keine Ahnung hatte, von welchen Räumen sie hier sprachen. Wenn er sie im Moment nicht benutzte, sprach eigentlich nichts dagegen, dass sie sie wieder in Beschlag nahmen. Er merkte allerdings, dass Olvin auf eine Gelegenheit wartete, mit ihm allein zu reden, deshalb ließ er sich Zeit damit, das Geschirr zusammen zu packen, während Olvin darüber philosophierte, welche Tränke nachgefüllt werden mussten. Als die Tür sich hinter den Geschwistern schloss, starrten der Schlossherr und der Necromant für einige Sekunden dorthin, ohne in ihren Tätigkeiten inne zu halten, dann stoppten sie beide. „So... jetzt berichte mir, Jungchen!“ Olvin verschränkte die Arme vor der Brust und setzte seine strengste Mine auf. „Was hat Sorc angestellt, dass er keine Seele mehr hat?“ „Das hast du gleich gesehen?“ staunte Crimson. „Ich bin Necromant,“ sagte Olvin, als wäre das die Mutter aller Antworten. „Also?“ Die beiden setzten sich auf die Stühle bei Sorcs Bett. „Es war ein Ritual aus der Seelenmagie,“ begann Crimson und schilderte dann möglichst genau, an was er sich erinnerte. Er fand es ausgesprochen interessant, dabei Olvins Minenspiel zu beobachten. Hin und wieder ein verstehendes Nicken, skeptisches Stirnrunzeln, entgeistertes Kopfschütteln oder staunendes Augenaufreißen. Er endete damit, wie er Sorc ins Bett gesteckt hatte. Olvin seufzte tief und langgezogen. „Ich wusste immer, dass der Kerl ein Vollidiot ist, aber das setzt dem ganzen die Krone auf. Gibt seine Seele aus Neugier her – hat man sowas schonmal gehört!“ Doch der Necromant wirkte sehr ernst und sah Crimson fest an. „Auf der anderen Seite kenne ich Sorc als jemanden, der sich mit einem Thema lange auseinandersetzt, bevor er solche endgültigen Sachen macht. Deiner Schilderung nach wusste er genau, was er tut, wie er es tun muss, welche Risiken er eingeht und welche Folgen es für ihn hat.“ „Darüber konnte ich noch nicht mit ihm sprechen. Was meinst du mit Folgen?“ Olvin schlug einen neutralen, akademischen Tonfall an, während er noch einmal prüfend den Blick über den Patienten schweifen ließ. „Die Seelenmagie kennt vielfältige Anwendungen. Heute ist nicht mehr klar, welche davon zuerst praktiziert wurde, man nimmt aber an, dass die Anfänge darin wurzeln, dass Magier versuchten, ihr Leben zu verlängern, wie bei so vielen Forschungsprojekten. Eine Zeitlang war es modern, eine Waffe mit einem Teil der eigenen Seele zu versehen, um sie wirkungsvoller zu machen. Viele Dinge werden leider für den Krieg erfunden, so auch einige Zauber, die auf die Seele des Opfers zielen. Deshalb lernen manche Kriegsmagier die Seelenmagie, um sich davor zu schützen. Eine sehr wirkungsvolle Methode ist es, die eigene Seele außerhalb des Körpers zu lagern.“ „Also ist Sorc nun immun gegen Zauber, die auf die Seele zielen,“ schloss Crimson. „Ja, aber zugleich ist er anfällig für alles, was einen unbeseelten Körper in Besitz nehmen kann. Etwa körperlose Seelen, die irgendwo herumspuken. Aber der Kerl hat einen Willen aus Stahl. Insofern musst du dir deswegen keine großen Sorgen machen. Wenn sein Bewusstsein noch im Körper wohnt, dürfte jedes andere Bewusstsein es schwer haben.“ „Wird er... anders sein? Kann er seine Magie weiter benutzen?“ Crimson fürchtete sich ein wenig vor der Antwort, aber er musste es wissen. „Es spricht nichts dagegen,“ meinte Olvin schulterzuckend. „Zweifellos wird er nicht der Gleiche bleiben, aber ob es eine positive oder negative Veränderung gibt, hängt ganz von den Umständen ab. Ich kann da kaum aus Erfahrung sprechen – nie zuvor ist mir jemand untergekommen, der seine Seele an ein Schloss gebunden hat. Aus bekannten Überlieferungen geht hervor, dass Magier für das Ritual eigentlich bewegliche Gegenstände nehmen, die sie mit sich tragen können. Du solltest wissen, Crimson... ein Mensch kann nicht beliebig weit oder lange von seiner Seele entfernt sein.“ „Ist das sicher?“ hakte Crimson nach. „Das würde ja bedeuten...“ Olvin nickte bedächtig. „Ja. Sorc hat sich sein eigenes Gefängnis geschaffen. Ich nehme an, dass er den Bereich, den er mit dem Zauber abgegrenzt hat, nicht verlassen kann, oder nur in einem begrenzten Radius.“ Crimson zog sich der Magen zusammen. „Lass mich raten... das Ritual wurde nicht nur benutzt, um die eigene Seele zum Schutz aus dem Körper zu entfernen, sondern man hat es auch missbraucht, um Gefangene an einem Ort festzusetzen.“ „Davon kannst du ausgehen,“ stimmte Olvin zu. „Allerdings kenne ich keine aktuellen Beispiele. Aber es ist mit vielen Dingen so... jemand erfindet etwas, um damit etwas Gutes zu tun, und lässt dabei eine Waffe auf die Welt los. Vermutlich ist das, was du in deinem Turm machst, aus genau diesem Grund illegal.“ „Vermutlich,“ bestätigte Crimson. Er wollte nicht zu ausführlich darauf eingehen, aber natürlich wusste er, warum das Elixier von Sil-har'kahn so einen schlechten Ruf hatte. Durch das Zeug waren mehr Leute umgekommen als gerettet wurden. Olvin holte eine kleine Phiole aus seiner Robe und trank den Inhalt. Es schien, als hätte er diesen Handgriff schon oft geübt. „Mir scheint ja, du bist noch im Zeitplan, Jungchen. Du weißt hoffentlich noch, was wir verabredet haben.“ „Es ist nicht nötig, mich daran zu erinnern.“ Crimson war leicht pikiert, weil der Alte wohl dachte, er würde sein Wort brechen. Heute war der vorletzte Tag vor dem großen Ereignis. Crimson wurde ruhiger, je näher er dem Ende kam. Schlicht und einfach, weil mit jedem Schritt weniger schiefgehen konnte, die Wartezeit dahinschmolz und weil sich generell eine gewisse Routine eingestellt hatte. Er wusste, dass es ein Restrisiko gab, aber das gab es bis zum Schluss. Am frühen Nachmittag saß er immer noch neben dem Bett, während Olvin ein paar routinemäßige Aufgaben erledigte und sich dann zurückzog. Dafür, dass er gar nicht wirklich als Heiler angestellt war, tat er ganz schön viel. Crimson döste etwas, schreckte jedoch aus diesem Zustand hoch, als Cathy sich wieder bei ihm bemerkbar machte. Genau genommen kehrte seine Verbundenheit mit dem Schloss in voller Stärke zurück, jedoch... anders. Er konnte mehr Umgebung wahrnehmen und zusätzliche Räume – unter anderem den Tankraum mit dem deaktivierten Tank, von dem vorher niemand etwas gewusst hatte. Er konnte im Geiste über dem Schloss schweben und alles überblicken, und so etwas wie ein Instinkt sagte ihm, dass derzeit alles in Ordnung war. Offensichtlich verfügte Cathy über ein paar neue Fähigkeiten. „Gefällt's dir?“ Sorc schaute ihn vom Bett aus mit einem noch leicht schläfrigen Gesichtsausdruck an. Crimson sprang auf. „Sorc! Du hast... ich meine... dein Bewusstsein hat deinen Körper wiedergefunden, ja?“ „Wie du siehst.“ „Uhm... es ist vielleicht etwas klischeehaft, aber... wie fühlst du dich?“ Der Chaoshexer runzelte die Stirn. „Groß!“ Er grinste, was Crimson mit Erleichterung sah. „Wie es aussieht, kannst du schon wieder Belustigung empfinden. Das ist gut.“ „Ja, meine Emotionen scheinen wieder normal zu sein,“ bestätigte Sorc. „Zwar tun sich mir ein paar neue Möglichkeiten auf, aber wenn mein Bewusstsein in diesem Körper ist, erscheint mir alles ziemlich normal... Ich habe mich in den letzten paar Stunden bemüht, unsere Gedankenwelten wieder soweit voneinander zu trennen, dass niemand durcheinander kommt. Scheint ja auch geklappt zu haben.“ „Stimmt... ich habe nicht mehr das Gefühl, dass jemand meine Gedanken neu ordnet, wenn sie in eine negative Richtung abdriften,“ fiel es Crimson auf. „Willst du es wieder so haben?“ fragte Sorc. Der Weißhaarige schüttelte zögerlich den Kopf. „Ich fand die Erfahrung an sich schon ganz lehrreich... vielleicht komme ich auf das Angebot zurück. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich selber lerne, positiv zu denken.“ „Das stimmt wohl.“ Sorc setzte sich auf und bediente sich an der Wasserkaraffe. Er füllte den Becher zweimal nach. „Olvin meint, dass du den Bereich, den das Schlossherz kontrolliert, nicht verlassen kannst,“ bemerkte Crimson. „Das wäre möglich,“ gab Sorc unumwunden zu. „Aber selbst wenn... es gibt Schlimmeres. Und wie du weißt, sind Theorien aus dem Lehrbuch kein Hindernis für mich. Eins steht allerdings fest: Wenn ich sterbe, muss ich darauf achten, dass es hier passiert, damit mein Bewusstsein sich wieder mit meiner Seele vereinen kann und nicht losgelöst herumirren muss.“ „Sorc, das ist eine gruselige Vorstellung. Heißt dass, dein Bewusstsein wird dann auch hier in dem Schloss bleiben, wenn du stirbst?“ „Nun... niemand weiß es genau, bevor es passiert, nicht wahr? Meine Seele gehört Cathy, bis Cathy aufhört zu existieren. Also werde ich nach dem Tod meines Körpers wohl sowas wie ein Schlossgespenst.“ „Oh, Sorc... was hast du getan? Du hast dich selbst verdammt!“ „So würde ich das nicht nennen. Auch Schlossherzen haben eine begrenzte Lebensdauer, also sorge dich nicht um mein Seelenheil.“ Sorc schwang die Beine aus dem Bett und stellte sich auf die Füße. „Versteh mich nicht falsch... ich fühle mich gehrt durch das, was du getan hast. Aber...“ Crimson suchte nach den richtigen Worten. „Du... hättest es nicht tun müssen!“ „Nein. Aber ich wollte.“ Sorc legte Crimson beide Hände auf die Schultern. „Es ist alles gut so, wie es jetzt ist – du musst nicht darüber nachdenken, ob du beim Ritual richtig entschieden hast. Du darfst ein Geschenk auch einfach mal annehmen.“ „Wir reden hier nicht von einer schicken Robe oder sowas,“ erwiderte Crimson. „Nein, da hast du Recht. Aber ich bin dein Chaoshexer, der dich mit allem unterstützt, was er hat. Lass mich der Helfer im Hintergrund sein. Benutz mich auf jede Art, die du für richtig hältst und verlang von mir, was immer du brauchst. Hab kein schlechtes Gewissen deswegen.“ Die erneute Bestätigung des Treueschwurs machte Crimson wieder einmal bewusst, wie wenig er als Anführer taugte. Er hatte sich das leichter vorgestellt, aber er war immer ein Einzelgänger gewesen, und das rächte sich jetzt. Es gehörte eben mehr dazu, als Befehle zu erteilen. „Nicht doch... lass solche Gedanken gar nicht zu, sonst ziehen sie dich runter,“ ermahnte Sorc ihn sanft. Er rückte Crimsons Schultern etwas zurecht und hob sein Kinn leicht an. „So. Lass niemanden deine Zweifel sehen. Du darfst welche haben. Aber lass sie niemanden sehen. Wir haben doch gerade noch über positives Denken gesprochen. Ich bin selber kein guter Anführer, aber ich werde gut darin sein, dich aus dem Hintergrund zu einem zu machen.“ Die selbstbewusstere Pose hob gleich Crimsons Stimmung ein wenig. „Ich habe wohl wieder zu laut gedacht.“ „Daran müssen wir arbeiten. Stell dir einen Raum oder eine Landschaft vor, wo du ganz alleine bist und andere dich nicht hören können. Ein schlichtes Zimmer ist für den Anfang am einfachsten. Stell es dir vor mit geschlossenen Fenstern und Türen. Lass nur die Leute hinein, die du darin haben willst.“ „Das ist alles?“ „Für den Anfang. Ich bin nicht gut darin, sowas zu erklären.“ Crimson verdrehte die Augen. „Das sagst du öfters... dabei machst du das ganz gut. Ich finde auch, dass du als Anführer nicht so schlecht gewesen sein kannst, wenn du mit deiner letzten Unternehmung fast erfolgreich warst, obwohl du Malice dabei hattest.“ Beide lachten darüber. Crimson war erleichtert, weil er mit der Sache im Nachhinein so locker umgehen konnte. „Ich denke aber insgesamt zu chaotisch, als dass ich auf die Dauer ein guter Lehrer oder Anführer wäre,“ gab Sorc zu bedenken. „Deshalb bin ich auch völlig ungeeignet als Thronfolger der Eisigen Inseln. Ich mag meine Freiheit zu sehr.“ „Und dann bindest du dich an ein Schloss?“ „Das war meine freie Entscheidung.“ Crimson wollte noch etwas dazu sagen, aber in dem Moment klopfte es energisch an der Tür, und schon im nächsten Moment platzte Ruin herein, dicht gefolgt von Demise. Die Frau stürmte auf Sorc zu, der sich ihr zuwandte und sie in seine Arme schloss. „Oh Vater, ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Sie sprach mit einem weinerlichen Unterton. Demise hatte tatsächlich ein verräterisches Glitzern in den Augen, als er seine Schwester sanft verdrängte, um Sorc ebenfalls zu umarmen. Er schwieg dabei jedoch, möglicherweise war auch seine Stimme etwas belegt. Sorc ließ sich bereitwillig drücken. Demise hielt ihn eine halbe Minute fest, ehe er etwas verlegen zurücktrat. „Es tut gut, euch endlich wieder zu sehen,“ sagte der Chaoshexer, wobei er eine Haarsträhne aus Ruins Gesicht strich und Demise väterlich den muskulösen Arm tätschelte. Crimson wurde auf einmal klar, dass dies die erste Familienvereinigung der drei seit Sorcs Gefangennahme war, und fühlte sich fehl am Platze. Er verließ unauffällig die Krankenstation. Als er den Gang entlang spazierte und überlegte, ob er schon in seinen Turm gehen sollte, um den nächsten Arbeitsschritt zu planen, materialisierte sich Cathy und schwebte neben ihm her. Crimson blieb stehen, um den Geist zu betrachten, was dieser stolz zuließ. „Hm... sieht gut aus,“ stellte er fest. Cathy zeigte wieder die Farben, die er vor der Veränderung gehabt hatte. Die Haare trug er immer noch offen, aber das sah ganz ordentlich aus und durchaus attraktiv, nicht mehr so förmlich wie mit der Rosenfrisur. Auf der Brust befand sich neuerdings ein roter Edelstein in einer schmalen, rautenförmigen Einfassung. Der Kopfschmuck hingegen wirkte etwas eigenwillig: Ein Kranz aus kleinen Zweigen schien direkt von einem Ohr zum anderen aus dem Hinterkopf zu wachsen und sah fast aus wie ein Heiligenschein. Bei einem Schlossherz, das Rosen als Motto hatte, passte das irgendwie, war aber gewöhnungsbedürftig. Der Geist schwebte hin und her und drehte sich dabei, um sich von allen Seiten zu präsentieren. „Freut mich, dass es dir gefällt, Crimson.“ Der Schlossherr hob eine Augenbraue. Soso. Kein Ihr und kein Meister mehr, aber wenn er so darüber nachdachte, hatte Sorc auch aufgehört, ihn Direktor zu nennen. Nun, vielleicht galt das nur für Gelegenheiten, bei denen sie allein waren. Jedenfalls fühlte er sich dadurch nicht weniger respektiert, also ließ er sich die Veränderung gerne gefallen. „Ist schon jemand außer Olvin zurück gekehrt?“ fragte Crimson. „Die Küchenmädchen nehmen gerade ihre Arbeit wieder auf. Ich habe mich erkundigt und erfahren, dass die restliche Gruppe noch einige Stunden braucht, sie haben einen Badeteich entdeckt und dort noch einmal das Lager aufgeschlagen.“ „Na, sei es ihnen gegönnt.“ Während sein Partner mit den Schülern unterwegs war, unternahm Dark einen Botenflug für Crimson, ihn erwartete er im Laufe des Tages zurück. Auch Ray musste demnächst wieder auftauchen. „Es interessiert dich vielleicht, dass Olvin zu stärkeren Medikamenten übergegangen ist,“ begann Cathy plötzlich ungefragt. Das interessierte Crimson tatsächlich. „Ähm... ich habe vorhin gesehen, dass er was getrunken hat, aber ich dachte mir nichts dabei.“ „Der Schaden an seinem Körper ist bereits nicht mehr mit konventionellen Mitteln zu heilen, wie du weißt. Ich entziehe ihm seit einer Weile keine Energie mehr, weil ich als Schlossherz meine Bewohner nicht gefährden darf. Ich glaube, dass er schon durch pure Willenskraft durchhalten wird, bis das Elixier fertig ist. Aber du wirst keine Zeit für einen zweiten Versuch haben.“ „Das habe ich befürchtet,“ seufzte Crimson. „Und das bedeutet, dass ich unbedingt Erfolg haben muss, weil er mir keine zweite Chance geben kann.“ „Wahrscheinlich,“ nickte Cathy. Wenn Crimson ganz ehrlich war, wollte er sich die Arbeit auch nicht noch einmal machen, aber zumindest hätte es ihn beruhigt, wenn er im Falle seines Versagens um einen neuen Versuch hätte bitten können. „Es sind nur noch zwei Tage. Bisher läuft alles gut. Wir dürfen nicht zweifeln, Cathy.“ Das Schlossherz nickte lächelnd, und fast glaubte Crimson, Sorc in diesem Lächeln zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)