Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2) von Purple_Moon (Crimsons eigene Serie, yay!) ================================================================================ Kapitel 24: Ein Tag am Strand ----------------------------- Der zum Schloss gehörige Strandabschnitt war durch eine natürliche Felsformation ein wenig vor Eindringlingen und neugierigen Blicken geschützt, so dass Crimson auf dem Weg, den er genommen hatte, seinerseits nicht gleich bemerkt wurde. Das war auch gut so, denn er war nicht der Erste am Strand, wie er anhand von lautem Gelächter schon von weitem erkennen konnte. Er duckte sich erstmal hinter ein paar größere Felsbrocken und lugte um sie herum zum Wasser, das etwa zehn Meter von seinem Versteck entfernt begann. Jemand saß in sicherer Entfernung am Strand und passte anscheinend auf die Kleidungsstücke auf, die neben ihm aufgetürmt waren. Das musste Fire sein, denn niemand sonst hatte kleine, rote Zöpfe. Sein Rücken war von der rechten Hüfte bis zur linken Schulter mit einem stilisierten, blutroten Flammenmuster tätowiert. Die Typen, deren Lachen Crimson gehört hatte, befanden sich bis zu den Schultern im Wasser und versuchten, sich gegenseitig unterzutauchen. Den Haarfarben nach musste es sich um Sorc und Ray handeln. Sie bekriegten sich noch ein paar Minuten, bis sie anscheinend genug hatten. „Fire, komm ins Wasser! Es ist gut temperiert!“ rief Ray. „Lass mal, Onkel... ich bin hier ganz zufrieden,“ antwortete der junge Feuermagier. „Du musst mal baden!“ entgegnete Sorc. Er und sein Bruder waren dabei, zurück zum Strand zu schwimmen. Erst, als sie nicht weiter schwimmen konnten, weil es zu flach wurde, standen sie auf und rannten auf Fire zu. Dieser war reaktionsschnell auf den Beinen und auf der Flucht, aber die älteren Männer verfolgten ihn gnadenlos und schreckten vor dem Einsatz von Magie nicht zurück. Ray traf ihn mit einem Lichtball im Kreuz und streckte ihn damit nieder. Beide stürzten sich auf ihn, wobei jeder sich einen Arm und ein Bein schnappte. „Nicht doch, lasst mich runter! Hey! Ich bin kein Kind mehr, das könnt ihr nicht machen!“ jammerte Fire, klang dabei aber so, als würde er sich amüsieren. Außerdem wehrte er sich nur halbherzig. Sorc und Ray trugen ihn zügig so weit zum Wasser, dass es ihnen bis zu den Waden reichte, schwangen ihn dann zwischen sich, um Schwung aufzubauen, und warfen ihn schließlich im hohen Bogen in die Wellen. Fire kreischte, bis das Wasser über ihm zusammenschlug. Indessen waren Vater und Onkel schon wieder hinter ihm her, damit er nicht gleich wieder flüchten konnte. Crimson erwischte sich dabei, dass er ein Grinsen auf dem Gesicht hatte, und beschloss, dass es ein guter Zeitpunkt war, um sich zu zeigen. Im Gehen zog er sich aus und ließ seine Kleidung neben die andere fallen. Dabei fiel sein Blick auf den Stapel, der Rays weiße Edelrobe war. Der Griff eines Schwertes schaute unter dem Stoff hervor. Nun... er war ein Prinz, es war vielleicht nicht verwunderlich, wenn er bewaffnet war. Crimson machte sich keine weiteren Gedanken darüber, sondern marschierte zum Wasser. Fire hatte sich auf Sorcs Rücken festgekrallt wie ein Kind, das huckepack getragen werden wollte, und zog an den schwarzen Haaren. Der Chaosmagier ließ sich nach hinten fallen. Beide gingen unter und kamen separat wieder hoch, laut kichernd. So war es Ray, der Crimson zuerst entdeckte. In seinem momentanen Zustand – brusttief im Meer – sah er nicht viel königlicher aus als irgendjemand sonst. „Crimsoooon! Wie schön, dass du zu uns kommst!“ Er winkte eifrig und wirkte dabei mindestens zehn Zyklen jünger, als er war. An seiner Stirn, wo der Verband fehlte, war eine kleine, verschorfte Platzwunde mit bläulich verfärbter Umgebung zu sehen. Crimson mochte das Gefühl von nassem Sand unter seinen Füßen, der im Wasser aufgewirbelt wurde. Das stetige Wellenrauschen war beruhigend und inspirierend. Und die Gesellschaft war... etwas Neues. Er hatte das Gefühl, dass er in eine familiäre Szene hineinplatzte, aber die Betroffenen nahmen ihn gerne bei sich auf. „Hey, Onkel! Der Kerl ist ja noch ganz trocken,“ meinte Fire über Sorcs Schulter hinweg. Drei Augenpaare wandten sich Crimson lauernd zu. Dann verschwand die Gruppe kollektiv unter Wasser. Crimson hatte einen Moment Zeit, sich zu wundern, ehe er von mehreren Händen an Füßen und Beinen gepackt und nach unten gezogen wurde. Er schnappte reaktionsschnell nach Luft. Die Hände hielten ihn fest, fingen sogar an, ihn am Bauch zu kitzeln, dennoch stellte er überrascht fest, dass er keine Angst verspürte. Als ihm die Luft knapp wurde, ließen sie ihn los und schubsten ihn aufwärts. Sorc gab sich in seinen Gedanken zu erkennen. Das schien seine neueste Angewohnheit zu sein, aber Crimson wusste es zu schätzen, wenn er das tat. Er tauchte auf und wischte sich die weißen Haare aus dem Gesicht. Fire war der Einzige, der lediglich einmal den Kopf zurückwerfen musste, um seine Haare nach hinten zu befördern. Zwischen ihm und Sorc, der kurz darauf neben ihm stand und grinste, bestand überhaupt keine offensichtliche Ähnlichkeit. Aber als er zu lachen anfing, stimmte sein Vater mit ein, und beide klangen auf die gleiche Art sorglos, ehrlich amüsiert und auf liebenswerte Art ein wenig albern. Wenn die Gesichter voller Lachfalten waren, hatten die Augen das gleiche schalkhafte Blitzen in den roten Pupillen. Die ganze Art, wie sie miteinander umgingen, sprach von einer großen Vertrautheit, und das bezog auch Ray mit ein. Letzterer war im Moment frei für ein Gespräch, daher fragte Crimson ihn: „Hast du eigentlich auch Kinder? Ihr erinnert mich an mich, wenn ich mit meinem Vater und meinem Onkel im Kristallschloss bin... oder war, früher. Manchmal war Dark auch dabei. Aber Kuro ist schon immer viel gereist, daher war es selten, dass wir alle zusammen waren.“ „Ich habe zwei Töchter,“ antwortete Ray. „Sie sind bei mir aufgewachsen. Aber die Mutter wollte nicht mit mir zusammen leben. Sie hat einen anderen Mann, mit dem sie inzwischen noch einen Sohn hat. Wir haben gelegentlich Kontakt.“ „Komisch, wollte sie keinen Prinzen?“ „Eventuell wollte sie meiner Mutter aus dem Weg gehen... aber ich sag's mal so: Wenn ein Wille dagewesen wäre, hätten wir einen Weg gefunden. Es sollte halt nicht sein.“ Sie bekamen eine Ladung Wasser ab, als Sorc neben ihnen erneut auf Tauchstation ging, weil Fire ihn niederrang. Jemand riss Crimson die Füße weg, und er konnte sich gerade noch schwimmend abfangen. „Ich glaube, ich behalte Fire gerne hier, der bringt bestimmt Leben in die Bude!“ prustete er. „Darauf kannst du wetten, besonders in Kombination mit Sorc,“ stimmte Ray zu. „Und wenn erst noch die Homies da sind, wirst du keine Langeweile mehr haben. Die Jungs sind ganz in Ordnung, keine Sorge.“ Sorc tauchte hinter Ray auf und hielt sich hustend an seinen Schultern fest. „Was quatscht ihr hier? Das könnt ihr an Land tun!“ Er zeigte seine Zähne mit einem berechnenden, heiteren Grinsen. „Ich habe dich noch nie so ausgelassen gesehen, Sorc,“ merkte Crimson an. „Du wirst Sorc auch nie so sehen,“ entgegnete der Chaosmagier. „Sorc ist ein fieser Hexer der Finsternis, der stets ein ernstes Gesicht macht und keine Schwäche zeigen will. Niemand würde dir glauben, dass er anders lachen kann als böse, deshalb tut er es nicht, merk dir das. Mit anderen Worten, wenn du jemals jemandem erzählst, dass du mich so gesehen hast, werde ich alles abstreiten und dich in dein letztes Leben zurückhexen.“ „Mein letztes Leben? Woher willst du wissen, dass ich eins hatte?“ „Tja, das wäre dann gegebenenfalls ein Problem,“ kicherte Sorc. „Für dich, meine ich.“ Crimson schlug mit der flachen Hand auf das Wasser, so dass Sorc die Spritzer abbekam, doch jener ging hinter Ray in Deckung. Dafür war er dann wieder vor Fire auf der Flucht. Bei dem Gerangel wurde Ray geschubst und setzte zu einer Racheaktion an. Natürlich war es für Crimson nicht möglich, als Einziger unbeteiligt daneben zu stehen. Hier war jeder gegen jeden angesagt, bis die Gruppe sich ausgetobt hatte. „In der Welt des Blauen Lichts gibt es eine Sonne, vor deren Licht man sich schützen muss, wenn man helle Haut hat,“ sagte Sorc. Er lag auf dem Rücken und blickte die Schattensphäre an, die sich in einem strahlenden Lavendelton zeigte. „Etwas in der Art muss da oben auch sein.“ Crimson lag zwischen ihm und Ray auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen. Sein Haar fühlte sich warm auf seinem Rücken an. „Ist es schön dort?“ Der Chaosmagier ließ sich mit der Antwort etwas Zeit. „Nein, finde ich nicht... jedenfalls nicht in der großen Stadt. Sie mag ihre eigene Art der Wunder haben, aber die Magie ist müde... sie wird nicht geschätzt, nicht erkannt und dennoch ausgebeutet, auf eine indirekte Art. Aber wenn man sich von der Stadt entfernt, dem unaufhörlichen Trubel der Menschenmassen und den grellen Kunstlichtern entflieht und den Nachthimmel betrachtet, sieht man die Sterne. Die Sterne besitzen noch die Urkraft des Cosmos, das Geheimnis der Schöpfung. Ich badete in ihrem Licht, lauschte ihrem Lied und spürte das pure Leben jener Welt. Seither frage ich mich, wie es wohl über der Schattensphäre aussieht. Es muss dort auch Sterne geben, denn wenn ich in ruhigen Nächten genau hinhöre, kann ich das Lied wahrnehmen...“ Crimson richtete sich erstaunt auf die Ellenbogen auf und sah Sorc in die dämonisch anmutenden Augen. Diese hatten im Moment einen verträumten Ausdruck und begegneten dem Blick des Weißhaarigen ohne Vorbehalte. „Als ich die Welt des Blauen Lichts betrat, wusste ich sofort, dass ich dort nicht hingehöre,“ fuhr Sorc fort. „Malice hat davon geschwärmt, wie einfach es wäre, sie zu erobern, weil die meisten Menschen dort einen schwachen Willen haben und leicht zu beeinflussen sind. Aber alles, was er wollte, war ein Weg zurück, um Rache zu nehmen. Er hat mich belogen, und ich wusste es im Grunde auch... aber ich war neugierig. Wenn ich meine größte Schwäche benennen sollte, dann würde ich sagen, es ist meine Neugier. Und damit meine ich nicht den Wunsch, Wissen anzuhäufen, sondern alles einmal ausprobieren zu wollen. Meine Neugier hat Aceria vernichtet.“ Sorc schloss einen Moment lang die Augen, als durchlebte er eine schmerzhafte Erinnerung. Unbewusst rieb er sich den Fleck am Handgelenk, der von seinem Schlossherz übrig war. Dann setzte er sich mit einem Ruck auf. Crimson hingegen hatte noch keine Lust, sich zu erheben, und ließ sein Kinn auf seine Hände sinken. Auf der Seite, wo Sorc gelegen hatte, kam es ihm kalt vor. Fire, der bäuchlings auf seines Vaters anderer Seite gedöst hatte, blinzelte träge in seine Richtung. „Darauf war ich auch neugierig,“ murmelte Sorc. „Hm?“ machte Crimson. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Zögernd, zuerst nur die Finger, und als er das duldete, auch der Rest. Sorc strich Crimsons Haare zur Seite und fuhr denn sachte über das Siegeltattoo. „Wer hat das verändert?“ „Dark. Er kann diese Hyroglyphen lesen,“ antwortete Crimson unumwunden. Außerdem stellte er fest, dass er Sorcs Berührung ertragen konnte, obwohl er anfangs sogar die Berührung seines Vaters gescheut hatte, kurz nachdem er das Siegel erhalten hatte. „Es ist gute Arbeit... er hat das Bannsiegel mit seiner eigenen Magie von Malices Einfluss gereinigt,“ sagte Sorc. „Faszinierend.“ „Was meinst du damit? Ist das ungewöhnlich?“ wunderte Crimson sich. Sorc fuhr vorsichtig die Konturen nach. „Malice ist ein Unterweltler. Seine Art von Magie hat eine andere Farbe als die, die das Tattoo jetzt erfüllt. Ich hatte erwartet, dass die Zeichen, die ergänzt wurden, in einer anderen Farbe leuchten. Um... Farbe meint in dem Fall nicht unbedingt eine Farbe in dem Sinne, aber diese Beschreibung ist am verständlichsten, denke ich.“ „Du siehst Dinge,“ sprach Crimson das Thema zum ersten Mal offen an. „Ich hatte schon oft den Eindruck, dass du mehr siehst als andere...“ „Das kommt, weil ich hinsehe, Direktor. Die meisten Menschen sind zu sehr auf das fixiert, was in ihren Augen normal ist. Sogar hier im Schattenreich.“ „War das bei dir schon immer so?“ „Ja... ich musste als Kind aufpassen, was ich sage, denn ich merkte schnell, dass nicht jeder das gleiche sieht wie ich. Oft wurde ich belächelt, ein spielendes Kind eben, aber manchmal wurde mir gesagt, dass ich nicht lügen darf...“ „Das ist möglicherweise der Unterweltleranteil,“ meldete sich Ray zu Wort. „Wenn du nicht ein Magier wärst, wärst du ein Unterweltler, Bruder.“ Er grinste schelmisch. „Und ich bestimmt ein Krieger. Mutter glaubt, dass sie dazu verflucht ist, Magier zu gebären. Naja, darauf kommt es nicht an. Sie wurde im Laufe ihrer Karriere als Chaosjägerin sehr oft von ihren Feinden verflucht...“ „Aber du siehst auch, Ray,“ wandte Sorc ein. Der Lichtmagier wälzte sich auf den Rücken und streckte sich gähnend. „Schon, Auren und sowas. Aber du siehst sogar Geister, die außer für Feen und Unterweltler unsichtbar sein sollten. Und du siehst die Strömungen der Magie nicht nur, sondern unterscheidest ihre Farben!“ Sorc runzelte die Stirn. „Ach, das ist nichts anderes, als verschiedene Familienmitglieder voneinander zu unterscheiden.“ „Das ist es wohl. Die Magie ist für dich Familie,“ stellte Ray fest, aber er klang nicht eifersüchtig, sondern wie jemand, der es seinem Bruder von Herzen gönnte, wenn er mit seinen Gaben glücklich war. Auren zu sehen musste ein Magier normalerweise extra lernen, und die meisten konnten das nur, wenn sie sich darauf konzentrierten, da bildete auch Crimson keine Ausnahme. Die Strömungen der Magie, wie die allgegenwärtigen Kräfte der Natur genannt wurden, spürte Crimson eher, als dass er sie sah. Er wusste es, wenn er sich an einem Ort mit besonders starker Finsternismagie befand, und konnte sein Gegenelement Licht herausspüren, aber die anderen unterschied er kaum. Fire hatte sich neugierig erhoben und betrachtete eingehend das Tattoo. „Voll krass... Im Ernst, das gefällt mir gut!“ „Na danke... ich kann den Künstler leider nicht weiter empfehlen.“ Crimson brachte es fertig, darüber zu lachen. Vor ein paar Monaten hätte er das nicht für möglich gehalten. Er biss sich auf die Lippe, denn ihm fiel plötzlich ein, dass er Olvin gegenüber noch eine Schuld zu begleichen hatte. Er wollte sich dadurch jetzt nicht die Stimmung vermiesen lassen. Vielleicht konnte er den Alten umstimmen, wenn erst das Elixier fertig war. „Hey, was ist? Was machst du für ein Gesicht, wenn ich dein Tattoo bewundere?“ beschwerte Fire sich. „Es ist nicht wegen dir, ich habe an etwas Unangenehmes gedacht,“ versicherte Crimson. „An etwas Unangenehmes, das du nicht ändern kannst?“ hakte Sorc nach. „Ich weiß nicht...“ „Willst du darüber reden?“ „Nicht jetzt, glaube ich...“ Nein, Crimson wollte lieber noch ein wenig den Moment genießen. Kumpelhaft mit anderen Männern nackt am Strand zu liegen, hatte etwas Entspannendes. „Wenn es soweit ist, zögere nicht,“ nahm Ray den Faden auf. „Es ist keine Schande zu wissen, wann man sprechen und wann man schweigen sollte.“ Seine Stimme klang irgendwie komisch. Crimson drückte sich mit einem Arm hoch, so dass er dann auf der Seite lag und stirnrunzelnd Ray ansehen konnte. „Was bitte?“ Ray schüttelte den Kopf, wie um einen Gedanken loszuwerden. „Ach, nichts.“ Sorc, der noch immer seine Hand auf Crimsons Rücken gehabt hatte, ließ diese zu seiner Schulter wandern und stützte gemütlich sein Kinn darauf. „Ray sieht auch, wie ich schon sagte, aber manchmal seltsame Dinge.“ „Ach, hör auf.“ Der jüngere Bruder klang verlegen. „Dinge, die noch nicht passiert sind,“ führte Sorc seine Andeutungen weiter aus. „Nur erkennt man oft erst hinterher, was er gemeint hat.“ „Ist also völlig nutzlos,“ meinte Ray. „Mir hat er mal gesagt, ich würde das Wasser lieben lernen,“ warf Fire ein. „Aber ich mag das Wasser noch nicht mehr als früher. Ist auch logisch für einen Feuermagier.“ „Das kann doch noch kommen,“ entgegnete sein Vater. „Das Dumme ist ja, dass man nie weiß, wie lange es dauert, bis seine Andeutungen eintreffen.“ „Aaah, Schluss jetzt!“ Ray hielt sich die Ohren zu. Ein paar schwarze Haare fielen vor Crimsons Brust herunter, und ihm ging auf, dass Sorc ihm sehr nahe war, aber es machte ihm nichts aus. Er hatte ein sicheres Gefühl in Gegenwart der drei Prinzen der Eisigen Inseln – Fire war ja streng genommen auch einer. Es war interessant, nach und nach ihre Geheimnisse zu erfahren, in persönliche Angelegenheiten eingeweiht zu werden und mit ihnen herumzualbern. Fast wie mit Brüdern, die er nie gehabt hatte, obgleich Sorc und Ray vom Alter her eher seine Onkel sein konnten. Als ob das Ablegen der Kleider alle Schranken aufhob, dachte Crimson. Schon allein dadurch, dass man jemandem auf die bloße Haut blicken konnte, erfuhr man manchmal vieles, was man sonst nie herausgefunden hätte. Jeder gab sich eine Blöße und wurde verwundbar, dafür konnte aber auch niemand Waffen am Körper verstecken. Es gab keine Rangabzeichen, keine Statussymbole. Alle stellten sich auf die gleiche Stufe. Crimson hatte sich nie für einen Philosophen gehalten, aber seine Gedanken gefielen ihm. Sorg lachte leise dicht an seinem Ohr. Wahrscheinlich hatte er wieder telepathisch gelauscht. „Fühl dich nicht zu sicher mit uns,“ sagte er in einem kryptischen Tonfall. „Wir könnten eine Verschwörung gegen dich planen.“ „Verdirb mir doch nicht diesen kuscheligen Moment,“ seufzte Crimson theatralisch. „Du planst keine Verschwörung gegen mich. Ich habe das Wort von Prinz Soach.“ „Und du sagst noch, du vertraust mir nicht,“ stellte Sorc fest. Er schien zufrieden mit dem Gesprächsverlauf zu sein. „In meiner Familie ist das königliche Wort bindend,“ bemerkte Ray. „Es geht sogar über Familienbande, obwohl die sonst das Wichtigste für uns sind. Aber wenn Soach sein Wort bricht, wird es Schande über uns alle bringen, weil es dann heißt, das Wort eines Prinzen der Eisigen Inseln sei nichts wert. Insofern erwarten wir, dass er sich daran hält, selbst wenn es bedeutet, dass er gegen uns handeln muss.“ Crimson war überrascht. Er hatte erwartet, dass die Familie im Zweifelsfall vor ging. Aber Rays Erklärung war auch einleuchtend. „Also habe ich im Prinzip jetzt schon ein Bündnis mit euch allen,“ stellte er fest. „Nicht unbedingt,“ klärte Ray ihn auf. „Es ist nur so, dass Soach auf deiner Seite wäre, sollte es zu einem Konflikt zwischen dir und den Inseln kommen. Das Einzige, was zwischen ihm und seiner Treue zu dir stehen könnte, ist ein früherer Schwur, denn alle, denen er vor dir sein Wort gegeben hat, haben Vorrecht.“ „Uhm... wie viele sind das denn?“ Nicht dass dann dauernd Leute ankamen, die alle was von Sorc wollten und seinen Schwur untergruben. „Nur noch einer,“ antwortete Sorc. „Mein Wort als Prinz der Eisigen Inseln vergebe ich nicht leichtfertig.“ Crimson nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis und kam sich schon etwas wichtig vor, weil er quasi ein seltenes Gut bekommen hatte. Eines, dessen Wert er unterschätzt hatte, aber sein Unterbewusstsein musste das schon vor ihm erkannt haben. Er fühlte sich von Sorc in keiner Weise bedroht, obwohl ihm die Logik zur Vorsicht riet. Fire stand auf und wischte sich Sand vom Körper. „Onkel Ray, warum machen wir nicht gleich alles fest? Das wolltest du doch." „Ja... aber jetzt? Na, warum nicht.“ Auch Ray erhob sich. Er hielt Crimson eine Hand hin. „Komm, reiß dich einen Augenblick von meinem Bruderherz los.“ Crimson nahm neugierig die Hand und ließ sich hoch helfen. Nur Sorc blieb sitzen und beobachtete das Geschehen. Ray legte Crimson die Linke Hand mitten auf die Brust und die rechte auf seine eigene. Dazu senkte er ein wenig den Kopf, blickte dem Weißhaarigen aber weiterhin in die Augen. „Ich bin dir dankbar, weil du meinen Bruder hier aufgenommen hast, Crimson vom Lotusschloss. Soach bedeutet mir sehr viel. Zögere nicht, im Gegenzug einen Gefallen von mir einzufordern, was immer es sei. Du hast das Wort von Lichal, Prinz der Eisigen Inseln.“ Er trat elegant zurück und überließ Fire das Feld. Dieser stand etwas unschlüssig vor ihm. „Ich hab das erst einmal gemacht, und da war es nicht so förmlich... Also, du hast meinen Vater wahrscheinlich vor der Hinrichtung bewahrt oder vor einem tragischen Unfall in irgendeiner anderen Rehabilitationsstelle... glaube ich... und das sehe ich nicht als selbstverständlich an. Tja, dann...“ Er machte es wie Ray, legte eine Hand auf Crimsons Brust und die andere auf seine, nur dass es bei ihm etwas unbeholfen wirkte. „Crimson vom Lotusschloss. Ich schulde dir was, weil du meinem Vater geholfen hast. Solange ich unter deinem Dach wohne, werde ich alle beschützen, für die du verantwortlich bist. Du hast das Wort von Nyrador, Prinz der Eisigen Inseln.“ Er neigte feierlich den Kopf und trat zurück. „Ein Hinweis noch... dieser Schwur ist begrenzt durch ein Versprechen, das ich meinem Vater gegeben habe: Ich werde nicht mein Leben riskieren, wenn ich es vermeiden kann.“ „Dein Schwur schließt ja auch dich selbst mit ein,“ befand Crimson zustimmend. Sorc ließ verpeinlicht seine Stirn auf seine angezogenen Knie sinken. „Ihr seid verrückt, wegen mir solche Schwüre zu leisten.“ „Wir wollen ja nicht wissen, wie genau der Wortlaut deines Schwures an Crimson war,“ entgegnete Ray. „Zweifellos war das überaus dramatisch, wie ich dich kenne.“ „Pah, macht doch alle, was ihr wollt.“ Sorc stand nun auch auf und schritt auf das Wasser zu. „Lasst uns noch eine Runde schwimmen und den Sand loswerden, dann aber sollten wir wieder rein gehen... Crimson muss sich um sein Elixier kümmern. Alle vier fingen wie auf ein geheimes Zeichen an zu rennen und stürzten sich in die Wellen wie die Kinder. Crimson speicherte diesen Tag in seinem Gedächtnis, denn wer konnte sagen, ob etwas wie das jemals wiederkommen würde? Später zogen sie die Kleidung über ihre noch feuchten Körper, und mit ihnen das Erwachsensein. Crimson beobachtete, wie Ray während des Vorgangs mehrere Messer und Dolche in seiner Kleidung verschwinden ließ, ehe er sich sein Schwert auf den Rücken schnallte. Genau genommen war es ein Kurzschwert, das samt Griff etwa so lang war wie seine Hüften breit. Es war hinten an seinem Gürtel befestigt und somit kaum zu sehen, wenn er auch noch einen Umhang darüber trug. Auch Fire hatte das ein oder andere versteckte Teil aus Metall. Der Schlossherr bekam so eine Ahnung, warum Sorc die schlosseigenen Roben trug, seit er hier war, denn irgendwo in den Notizen über Rehabilitanden gab es einen Punkt, der das Mitführen von Waffen ohne Erlaubnis des Stellenanbieters verbot. Crimson hatte immer angenommen, das wäre für Sorc nicht von Bedeutung, aber da irrte er sich vielleicht. Auf dem Weg nach drinnen wurden sie alle allmählich wieder ernst, am ehesten natürlich Sorc, der Übung darin hatte, neutral auszusehen. „Ach ja, ich habe ja ganz vergessen, dass ich dich von Mutter grüßen soll, Sorc,“ ergriff Ray das Wort. „Und natürlich von Iquenee.“ Der Lichtmagier ließ mit einer Bewegung etwas aus der Luft erscheinen, ein Trick, den Crimson auch schon bei Sorc gesehen hatte. „Und Vater sendet dir dies.“ Er reichte seinem Bruder einen Löffel. Sorc nahm ihn an sich. „Äh, ja?“ „Das ist sein Lieblingsfrühstückslöffel. Er findet, es ist Zeit, dass du ihn kriegst. Ich bin so neidisch!“ „Vater hat den Löffel abgegeben?“ staunte Sorc. Beide Prinzen starrten einander an und brachen plötzlich in Gelächter aus, das sie mit Mühe unter Kontrolle brachten. Kein Wunder, dass Ray auf eine geeignete Gelegenheit gewartet hatte, den Löffel zu übergeben, überlegte Crimson. Das Besteckteil schien so eine Art Insiderwitz zu sein, denn auch Fire konnte damit offensichtlich nichts anfangen. Sorc ließ den Löffel verschwinden, so dass Crimson sich fragte, ob es etwas mit der Handbewegung zu tun hatte. Vielleicht ein Familienzauber. „Ich werde ihn in Ehren halten, das kannst du Vater versichern,“ verkündete der Chaoshexer. Als sie in den Bereich des Schlosses gelangten, in dem ihnen andere Bewohner über den Weg laufen konnten, waren er und Ray ganz die ernsten Magier, für die alle sie hielten, und Fire fing wieder an, in Gossenslang zu reden. Crimson indessen stieg seinen Turm hinauf, um dort für den Rest des Tages und die Nacht lang die Stellung zu halten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)