Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2) von Purple_Moon (Crimsons eigene Serie, yay!) ================================================================================ Kapitel 9: Internes Problem --------------------------- Kapitel 9: Internes Problem Beim Abendessen war heute der Tisch ganz neu besetzt. Dharc und Milla kamen natürlich nicht – Lily versorgte sie zur Strafe für den Gebrauch von Drogen mit einem relativ geschmacklosen, aber vitaminreichen Gesundheitsbrei. Auch Paladia fehlte, aus nachvollziehbarem Anlass. Da Lily bei ihren Patienten blieb, war auch sie nicht beim allgemeinen Essen anwesend, sondern aß in ihrem Ärztezimmer, um ihre Schützlinge besser überwachen zu können. Endymion, Creata, Cybernec und Cross waren Crimsons Gäste. Sie saßen alle nebeneinander an einer Seite des Tisches, wobei Cross pflichtbewusst am liebsten stehen geblieben wäre, aber auch er musste essen. Shiro und Kuro zeigten sich in trauter Brüderlichkeit, einer in vornehmer Schlosshüterkleidung, der andere in schlampiger, abgenutzter Landstreicherkluft. Legend, Veiler, Saambell und Rosi hockten ebenfalls nebeneinander und schwiegen die meiste Zeit angesichts der ernsthaften Besucher. Yami, Yugi, Mava und Crimson saßen zusammen an der verbleibenden Seite. Sorc verspätete sich. Cathy teilte mit, dass er noch einen Moment brauchte, also fingen alle anderen schon an zu essen. Crimson hatte persönlich gekocht, was für ihn immer eine Entspannung war. Es gab Omelett mit Pilzen und Brot mit Wurst. Nichts Besonderes. Der Magier hatte beschlossen, die allgemeine Bedrücktheit und bedrohliche Stimmung für den Rest des Tages zu ignorieren, schließlich waren ihm zuletzt auch ein paar gute Dinge passiert. Er quatschte ausgelassen mit Yugi und Yami, wobei manchmal auch die Skills ihren Kommentar dazugaben, und ließ sich dabei nicht von den anderen stören, die beharrlich still blieben. Schließlich tauchte auch Sorc auf. Crimson unterbrach seinen Vortrag über Gartengestaltung unter alchemistischen Aspekten. „Sorc! Alles in Ordnung?“ „Ja doch. Ich bin... gestürzt.“ „Ähm... okay...“ Der Chaosmagier kam anscheinend gerade von der Krankenstation. Er trug einen frischen Verband am Kopf und einen am rechten Arm, außerdem humpelte er und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Ein Geruch nach Kräutersalbe haftete ihm an. Das linke Auge zeigte einen dunkelblauen Schimmer. Er trug eins von den Gastgewändern in weißer Bettbezugoptik. „Ähm... wo bist du gestürzt, wenn ich fragen darf?“ erkundigte Crimson sich. „Im Keller,“ war die ausweichende und ziemlich ungenaue Antwort. Sorcs leicht indignierter Blick ließ vermuten, dass mehr dahinter steckte, er das Problem aber nicht breittreten wollte. Crimson ließ es im Augenblick dabei bewenden, wusste aber im gleichen Moment, dass ein gewisser Geist nicht ganz unbeteiligt war. Er konnte ein Gefühl der Schadenfreude wahrnehmen, das nicht seines war – jedenfalls nicht ganz. Außerdem beschäftigte sich Mava gerade auffällig unauffällig mit seinem Essen und konnte dabei ein ganz leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Sorc setzte sich neben Kuro und begann zu essen. Man hatte den Eindruck, dass er alles genau untersuchte, bevor er es zu sich nahm. Kuro ignorierte den Mann völlig, solange dieser ihn nicht ansprach, und das tat er nicht. Statt seinen eigenen Becher zu benutzen, nahm Sorc einen von einem leeren Platz. Niemand kommentierte das, aber Crimson dachte sich seinen Teil. Blackys Vater war nicht gerade beliebt, aber falls er Probleme hatte, zog er es im Moment wohl noch vor, sich damit nicht an den Schlossherren zu wenden. „Danke für das Essen. Wir werden in Kürze abreisen,“ verkündete Endymion schließlich. „Cross wird jedoch hierbleiben und die Situation noch eine Weile im Auge behalten.“ Crimsons Augenbraue zuckte. „So, wird er das? In dem Fall muss er sich an die Regeln hier halten und seine Energie dem Schlossherz zur Verfügung stellen. Außerdem wäre es allgemein angebracht, wenn er sich irgendwie nützlich machen würde.“ „Selbstverständlich. Ich bin sicher, ihr einigt euch,“ sagte Endymion. Die Gruppe hatte sich erhoben, und Cross verneigte sich zur Bestätigung vor Endymion auf eine militärische, kurze und knappe Art. „Wir gehen noch kurz bei den Kindern vorbei. Den Weg finden wir dann schon, bemüh dich nicht,“ winkte Cybernec ab, als Crimson aufstehen und sie begleiten wollte. Die drei Magier verließen den Speiseraum, Cross hingegen setzte sich wieder hin. Mit seiner eigentümlichen Rüstung wirkte er wie ein Soldat, der Pause hatte und gleich wieder zum Dienst musste. Er hatte zum Essen lediglich sein Helmvisier aufgeklappt, so dass man einigermaßen sein Gesicht sah. Für den Alltagsgebrauch fand Crimson die Rüstung etwas unpraktisch. Die Schüler fingen an, das Geschirr wegzuräumen, das nicht mehr gebraucht wurde. Es gab heute keine Diskussion. Es war, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. „Es wäre sehr freundlich, wenn ich eine eigene Kammer oder eine sonstige bescheidene Unterkunft haben könnte,“ ließ Cross sich vernehmen. Crimson nickte. „Mava, zeigst du ihm bitte den Flügel, in dem das Personal untergebracht ist?“ „Klar. Komm mit! Sorc kennt sich hier ja schon aus, der findet vermutlich selbst was.“ Täuschte es, oder war das ein gehässiger Ausdruck auf Mavas Gesicht, den er Sorc zuwarf? Das kannte man von dem Lichtmagier gar nicht. Aber irgendwie war es verständlich – Sorc hatte Mavas und Neos Tod in Kauf genommen, als er Mava gezwungen hatte, Exodia freizusetzen. Der Blonde trug deutlich sichtbar mehrere Artefakte, die wie Schmuck aussahen. Sorc hatte anscheinend darauf gewartet, dass Mava hinaus ging, denn er vergewisserte sich, dass die Tür zu war, ehe er sprach. „Crimson. Gib mir bitte deinen Ring.“ „Hä? Was...“ Crimson griff automatisch nach dem kleinen Artefakt, das er sich vorhin angesteckt hatte. „Nein... warum sollte ich?“ Sorc sah ihn an – mit Augen, die viel zu sehr Blackys ähnelten. „Bist du sicher, dass es deiner ist? Hast du ihn überprüft?“ Crimson starrte zusammen mit Yugi auf den Ring. „Klar bin ich sicher... aber nein, überprüft habe ich ihn nicht, wieso...“ „Nicht! Nicht ausprobieren.“ Crimson hielt sich gerade noch zurück, als er versuchen wollte, seinen Typ in Krieger zu ändern. Er gab dem Drängen nach, nahm den Ring ab und legte ihn in die ausgestreckte blaue Hand. Sorc drehte den Ring zwischen den Fingern seiner Linken und verpasste dem Ausrüstungsgegenstand einen kleinen magischen Impuls. Sofort schoss ein Schatten heraus und stürzte sich mit weit aufgerissenem Maul auf den Magier. Kuro, der neben Sorc gesessen hatte, fiel vor Schreck vom Stuhl. Crimson wollte helfend eingreifen, doch Shiro hielt ihn mit einer Geste zurück. Der Schatten beachtete niemanden außer Sorc, der den Ring hielt. Er hatte wenige Zentimeter vor dem Gesicht des Chaosmagiers gestoppt. Sorc hatte nichtmal gezuckt und wich auch jetzt nicht zurück, obwohl er den Mundgeruch voll abkriegen musste, falls das Wesen welchen hatte. Er und der Schatten starrten einander an, belauerten einander. Es sah aus, als würde so etwas wie ein geistiger Kampf zwischen ihnen stattfinden. Plötzlich löste der Schatten sich mit einem zischenden Geräusch auf und war verschwunden. Alle Zeugen dieses Schauspiels atmeten erleichtert auf. Sorc warf Crimson kommentarlos den Ring zu. „Ähm...“ Dem Weißhaarigen fiel kein passender Kommentar ein außer: „Hattest du schon immer Pupillen, Sorc?“ „Ist dir das nie aufgefallen?“ Der Blauhäutige nahm sich von den Pilzen nach, und das waren dann auch die letzten. „Doch, war schon immer so. Mava weiß es.“ Nun gab es auch von ihm ein schadenfrohes Grinsen. Kuro rappelte sich auf die Füße. „Was sollte das denn eben? Wolltest uns zeigen, dass wir froh sein können, dich hier zu haben, was? Aber darauf falle ich nicht rein!“ „Glaub doch, was du willst, Skill,“ kommentierte Sorc. Crimson reichte den Ring seinem Vater. „Das ist wirklich nicht meiner. Da sind Runen innen eingraviert. Und der Stein hat ne leicht andere Färbung. Ich habe ihn vorhin einfach angesteckt, ohne darauf zu achten.“ Shiro drehte den Goldreif nachdenklich zwischen den Fingern und sah sich die besagten Runen an. „Also wenn du das nächste Mal versucht hättest, eine deiner akrobatischen Flugeinlagen zu machen, hättest du statt einem Paar Flügeln einen Schattendämon bekommen.“ „Vermutlich... und dann wäre ich entweder durch ihn oder beim Sturz gestorben.“ Crimson glaubte daran, dass nicht Sorc dafür verantwortlich war. Der Ring hatte auf seinem Schreibtisch gelegen, seit ihn die Schlange gebissen hatte, also offen zugänglich für jeden, der sich die Mühe machte, ihn zu suchen. Cathy hatte mehrere Tage das Turmzimmer nicht überwacht, sondern Crimsons Krankenbett. Es war ein weiterer Anschlag! „Wer sagt uns denn, dass du nicht selber dafür verantwortlich bist?“ klagte Kuro den Chaosmagier beharrlich an. „Du willst uns nur in Sicherheit wiegen!“ Sorc wandte sich ihm mit einem liebenswürdigen Lächeln zu. „Und warum, bitte, sollte ich mir die Mühe machen? Hätte ich gewollt, dass Crimson stirbt, wäre er längst tot. Mal ganz davon abgesehen liegt mir die Artefaktmagie nicht.“ „Du hast es jemanden machen lassen!“ Sorc seufzte theatralisch und verdrehte dabei die Augen. „Das Schlossherz hat mich nicht aus den Augen gelassen, seit ich hier bin. Soviel zu deiner Theorie.“ Kuro ließ sich so schnell nicht überzeugen. „Dann hast du einen Helfer!“ „Wie du meinst. Ich gehe wieder an die Arbeit, sag Bescheid, wenn du mir was beweisen kannst.“ Sorc leerte seinen Becher und verließ den Raum. Er gab sich erneut offensichtliche Mühe, nicht zu humpeln, aber etwas stimmte nicht mit einem seiner Beine. „Wir haben keinen Grund, Sorc zu misstrauen,“ sagte Yami zu Kuro. „Er hat auch bei Genesis mit niemand Außenstehendem Kontakt gehabt.“ „Unterschätze diese Sorte nicht, Junge!“ warnte Kuro. „Crimson, ich hätte eigentlich erwartet, dass du ihn hochkant rauswirfst! Nach allem, was er dir angetan hat...“ „Das war hauptsächlich Malice.“ „Nimmst du ihn jetzt auch noch in Schutz?“ „Nein, das wollte ich damit nicht sagen, aber ich vertraue auf Genesis' Urteil und...“ Crimson wurde unterbrochen, denn sie hörten draußen etwas poltern, dann jemanden fluchen. Um genau zu sein war es wohl Sorc. „Scheint, er ist wieder gestürzt,“ murmelte Yami. *** Olvin hatte sich also in Erinnerung gebracht, gerade als Crimson sich entspannt fühlte. Somit war es mit der Entspannung dann auch gleich wieder vorbei. Der Schlossherr achtete verstärkt auf jeden seiner Schritte, falls sich darunter ein Abgrund auftat oder dergleichen. Zumindest besaß Schloss Lotusblüte für die unbestimmte Dauer von Cross' Aufenthalt einen Drachen, und zwar ein ziemlich großes, massiges Weibchen von ockerbrauner Farbe und mit zwei nach hinten zeigenden Hörnern. Sie hörte auf den Namen Tyra und sonnte sich gerne auf einem der Abflugtürme. Der war gerade groß genug für sie. Der Berserkerdrache war indessen wieder zu Lord Genesis zurückgekehrt. Cross hatte sich ein Zimmer im Bereich der Lehrkräfte zuteilen lassen, das sich in der Nähe der Abflugplattformen befand, so dass er bei einem Ernstfall schnell zu seinem Drachen konnte. Er drehte oft seine Runden im Schloss, weil er noch keine andere Aufgabe hatte. Crimson überlegte, ihn als Lehrer für Selbstverteidigung oder so etwas einzusetzen. Auf jeden Fall lief Cross nicht mehr in seiner Rüstung herum. Er trug nur noch den Anzug, der darunter gehörte, und wirkte damit irgendwie wie ein Leistungssportler. Aber Crimson konnte das nicht bemängeln – seine eigene Magierkluft bestand zum Teil aus einem sehr engen Anzug. Ein bisschen gefiel ihm der Anblick durchaus, aber er war nicht grundsätzlich auf Männerhintern scharf. Davon abgesehen hatte Cross auch ein nettes Gesicht. Crimson schlief unruhig, obwohl Cathy versprach, auf ihn aufzupassen. Doch in gewisser Weise wollte er ja, dass Olvin auftauchte, so dass er mit ihm reden konnte. Es war verzwickt. Die Ungewissheit nervte am meisten. Tags darauf erwartete er Eria zurück, jedoch nicht besonders früh. Derweil erholten sich Milla und Dharc gut von ihrem kleinen Experiment, und es gab für alle Unterricht – auch für Yami und Yugi, wobei sich Yami im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Anfänger anstellte. Die Gruppe fragte sich, ob er wohl überhaupt Talent zum Magier hatte, schließlich besaß er einen Körper, der in der Welt des Blauen Lichts geboren worden war, während Yugis aus dem Schattenreich stammte. Zur Mittagszeit gab es immer eine längere Pause von zwei Stunden, ehe der Nachmittagsunterricht anfing. Da nachmittags meistens die Konzentration schwächer wurde, setzte der Direktor für diese Zeit möglichst den praktischen Unterricht an. Dadurch, dass er so wenige Schüler hatte, kam er gut damit klar, es war wie eine Beschäftigung, die er mit den Kindern teilte. Sie gingen an den Strand und übten zaubern, und natürlich gab es körperliche Ertüchtigung. Zum Ende hin bestand diese immer daraus, dass sich alle die Kleider vom Leibe rissen und ins Meer rannten. Abgesehen von der Lehrkraft natürlich. Normalerweise hätte es aus Crimsons Sicht kein Problem gegeben, aber seit man ihm vorgeworfen hatte, pädophil zu sein, hielt er sich lieber etwas zurück, denn seine Schule hatte keine Vorschriften für Badekleidung. Normalerweise schwamm jeder nackt im Meer, und auch im Kellerbad waren immer alle nackt, wobei es auch niemanden störte, wenn die Geschlechter vermischt waren. Crimson dachte darüber nach, dass er eines Tages wohl getrennte Badezeiten für Mädchen und Jungen einführen musste, wenn es mehr wurden, und beaufsichtigte dabei seine Schüler von weitem. Auch Yami und Yugi hatten sich der Gruppe angeschlossen. Cross kam auf ihn zu, und zu Crimsons Verblüffung trug er eine klassische Magierrobe mit Gürtel und Ziermustern drauf. Hatte Endymion ihm Gepäck zukommen lassen? Der Kreuzritter verneigte sich grüßend. „Ich könnte den Unterricht für körperliche Ertüchtigung übernehmen. Dann könntest du dich auf die theoretischeren Sachen und Verwaltungsangelegenheiten konzentrieren. Ich kann die Schüler auch lehren, einen Drachen zu beschwören und zu pflegen.“ Irgendwie hatte Crimson eher mit Kritik gerechnet und war daher positiv überrascht. Ob Cross irgendwelche Hintergedanken hatte, etwa, die Kinder vor Crimson zu schützen, ließ er mal außen vor. „Ja... gerne. Danke, Cross.“ Als nächstes musste er jemanden dafür einstellen, die Stundenpläne auszuarbeiten, denn bisher hatten sie nur grob festgelegte Tagesabläufe. Aber damit musste Cross klarkommen – er ließ sich diesbezüglich nicht hetzen. Es war im Moment ohnehin eher unwahrscheinlich, dass neue Schüler kamen, wenn sich herumgesprochen hatte, dass der Direktor auf Kinder stand. Außerdem hatte Crimson noch andere Probleme, nämlich mit Olvin. „Ach ja, Cross... kannst du bitte dafür sorgen, dass der Torweg wieder instandgesetzt wird?“ Crimson hatte das eigentlich den Eltern der Kinder sagen wollen, aber da Cross noch hier war, reichte das. Cathy hatte sich noch gar nicht bei ihm beschwert. Entweder hatten Endymion und seine Kollegen sich doch schon darum gekümmert, oder das Schlossherz war zu beschäftigt. Cross verneigte sich knapp. „Ich werde persönlich für die Reparaturarbeiten sorgen.“ Er schritt energisch davon. Als Crimson im Anschluss an seinen Unterricht nach Paladia und dem Baby schauen wollte, wurde er Zeuge einer eigentümlichen Szene: Sorc saß auf der ersten Behandlungsliege, an der man beim Betreten der Krankenstation vorbei kam. Lily nähte eine frische Platzwunde auf seiner linken Wange, während der Mann ein Tuch unter seine Nase hielt, die anscheinend auch etwas abbekommen hatte. Crimson bekam Fetzen des laufenden Gesprächs mit. „... insofern kann ich es ja verstehen, aber das muss aufhören, wo kommen wir denn da hin? Sprich mit dem Direktor!“ sagte Lily drängend. „Nein, das ist mein Problem,“ erwiderte Sorc. „Ich brauche niemanden, der es für mich löst.“ „Aber es trägt nicht zur Besserung deiner Arbeitsfähigkeit bei!“ beharrte die Fee. „Muss erst noch was richtig Schlimmes passieren? Immer ihr Männer mit eurem Stolz!“ Crimson huschte vorbei, ohne zu fragen, worum es ging. Er respektierte Sorcs Meinung zu dem Thema. Gerne sogar. Paladia freute sich, ihn zu sehen, Aber sie hatte keine guten Nachrichten, jedenfalls aus seiner Sicht. „Meine Schwestern wissen, wann ungefähr der Geburtszeitpunkt ist, und vielleicht hat die Schamanin es inzwischen erfahren. Sie werden mich gewiss bald abholen kommen.“ Crimson seufzte. „Naja, das ist mir klar... aber ich hab's bisher immer verdrängt.“ Sie lächelte schalkhaft. „Aber es wird bei uns nicht so sein wie bei anderen amazonischen Müttern und ihren Kindsvätern. Wir sind noch auf andere Art verbunden, Crimson, also werden wir in Kontakt bleiben. Amazia wird sich darüber sicher auch freuen.“ Für die Amazonen, besonders für seine eigene Mutter, war Crimson ein großer Held, ein Inbegriff der Tapferkeit. Nun ja... vielleicht übertrieben sie etwas, aber er beschwerte sich gewiss nicht, denn es war schwer genug, als Mann bei den Amazonen einen guten Stand zu haben. Das Baby lag neben Paladias Bett in einer Krippe, deren Unterbau so hoch war, dass die Mutter problemlos herankam. Dafür konnte das Ding nicht schaukeln, was eine Amazone auch eher kitschig fand. Für sie musste alles praktisch sein. Wenn das Kind schrie, nahm sie es in den Arm und beruhigte es. Schaukelnde Wiegen waren etwas für Mütter, die dafür zu bequem waren. Einerseits sollten die Kinder ja von Anfang an auf das harte Leben als Kriegerin vorbereitet werden, dennoch wurde viel Wert auf die Mutter-Tochter-Bindung gelegt. Die Blonde bemerkte Crimsons nachdenklichen Blick. Die Wiege befand sich nicht auf derselben Seite wie sein Stuhl. „Nimm sie ruhig, Crimson,“ forderte sie ihn auf und war bereits dabei, ihm das Kind zu geben. „Yugi und Yami waren gestern Nachmittag hier. Wir haben darüber diskutiert, wie man eine Tochter von dir nennen könnte.“ Der Magier nahm das Baby an sich und hielt es vorsichtig. Der Flaum auf dem Kopf war grün, stellte er fasziniert fest. Aber bei weißhaarigen Elternteilen wusste man eh nie, mit was man zu rechnen hatte. „Du hast dir in all der Zeit keinen Namen überlegt?“ Paladia kicherte amüsiert. „So kann man es nicht sagen, ich habe mich einfach nicht entscheiden können. Es ist nicht so, dass der Name besonders ausgefallen sein soll... er muss nur irgendwie... besonders sein.“ „Ist das nicht das gleiche?“ „Ich kann's nicht so recht erklären, aber... selbst der ausgefallenste Name erschien mir nicht besonders genug.“ Im Schattenreich war es nicht unüblich, den Namen vorher festzulegen. Crimson wusste, dass man das in der Welt des Blauen Lichts auch gerne tat. Nur behielt man dort seinen Geburtsnamen meistens für das ganze Leben, während er hier nach Bedarf geändert wurde. Es kam auch oft vor, dass die Eltern noch den Geburtsnamen benutzten, während alle Welt nur den selbst gewählten Beinamen kannte. „Also... zu welcher Entscheidung bist du gekommen?“ erkundigte Crimson sich. „Scarlet.“ „Oh... das ist auch ein Rotton, genau wie mein Name!“ „Ja, genau, Yugi kam darauf. Er sagte, dein Name sei Englisch, und Scarlet auch, das ist sogar ein sehr ähnliches Rot. Ich finde die Idee gut, denn das verbindet sie mit dir.“ Crimson nickte gerührt. Damit konnte er sich gut abfinden, dagegen hätte es ihn schon gestört, wenn sie ihm den Namen gar nicht verraten hätte – auch das taten manche Amazonen. Insgeheim hoffte er, dass seine Tochter eine Magierin wurde. Aber selbst wenn... dann würde die Schamanin sie ausbilden, nicht er. Zu schade aber auch. Auf der anderen Seite hatte er gar keine Zeit für ein Baby. Es war also schon gut so, wie es war. „Ich werde Lily den Gefallen tun, heute noch hier zu bleiben, aber morgen ziehe ich wieder in mein Zimmer, bis meine Schwestern kommen,“ teilte Paladia ihm mit. „Ich werde dich wieder besuchen, und du kannst jederzeit zu uns kommen.“ Es klang fast so, als würde sie bedauern, abreisen zu müssen. Ob es von ihrer Seite eine tiefe Liebe war, die ihre Beziehung zu ihm definierte, wusste er nicht, Crimson jedenfalls fühlte sich ihr freundschaftlich verbunden... eine Freundschaft, die durchaus an Liebe grenzte, aber er hatte sich bemüht, es nicht zu tief werden zu lassen. Doch vielleicht konnte man das nicht ganz verhindern, wenn man gemeinsam ein Kind hatte. Als Crimson Paladia verließ, sprach Sorc ihn an, der an der Tür gewartet hatte. „Direktor, hast du einen Moment Zeit?“ Na wunderbar, jetzt musste er sich wohl doch mit dem Problem befassen. Der Chaosmagier hatte ein neues Pflaster im Gesicht kleben. Das linke Auge mit dem Veilchen war ein wenig geschwollen, wie nun aus der Nähe zu sehen war. Die Verfärbung war etwas dunkler geworden. Crimson hob auffordernd die Augenbrauen. „Ich möchte einen Zauber im Schloss installieren, doch natürlich brauche ich dein Einverständnis dafür,“ sagte Sorc. Crimson war überrascht, er hatte damit gerechnet zu erfahren, wer oder was für all die Verletzungen verantwortlich war. „Einen Zauber? Und was meinst du mit installieren?“ „Nun, ich denke, es wird zumindest eine hübsche Dekoration, wenn nicht sogar etwas Nützliches. Es ist etwas schwer vorherzusagen mit Chaosmagie. Ich muss etwas... an die Wände malen. Es wird aber gar nicht zu sehen sein, wenn ich fertig bin.“ „Ähm... du willst etwas mit Chaosmagie in meinem Schloss machen? Etwas Größeres?“ Sorc grinste breit, und es war das erste Mal, dass Crimson diesen Gesichtsausdruck nicht irgendwie spöttisch oder hämisch oder sonstwie fies fand. So sah jemand aus, der sich diebisch auf etwas freute. „Keine Sorge... ich habe geschworen, im Sinne der Gemeinschaft zu handeln. Du solltest jedoch dein Schlossherz davon in Kenntnis setzen, dass ich mit deiner Erlaubnis agiere... wenn du es denn gestattest.“ Crimson zögerte mit seiner Antwort. Er dachte kurz darüber nach, Sorc vor Olvin zu warnen, verkniff es sich jedoch. Konnte man dem Chaosmagier soweit vertrauen, ihn überall die Wände bemalen zu lassen mit einem ominösen Zauber, von dem er nicht einmal wusste, ob er funktionierte? Ihn, einen ehemaligen Feind? Moment... wie kam das Wort 'ehemalig' in die Satzkonstruktion? Nein, das war etwas zu schnell. Dennoch erwischte Crimson sich dabei, dass er die Idee interessant fand wie ein Rezept mit unbekanntem Zweck. Es war ein Risiko. Sorc begegnete seinem fragenden Blick ganz offen, doch das konnte ein Trick sein. Aber er hatte geschworen... „In Ordnung,“ nickte Crimson. „Du hast mein Einverständnis.“ Er verzichtete auf jeden Hinweis darauf, was er zu tun gedachte, falls Sorc sein Vertrauen missbrauchte. Irgendwie waren sie beide stumm darin überein gekommen, die alten Geschichten ruhen zu lassen. Das hätte sonst nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer dieser gefühlsduseligen Unterhaltungen geführt, in deren Verlauf alle Beteiligten sich gegenseitig vergaben und einander ihr Bedauern aussprachen. Doch Crimson wollte nicht vergeben, und Sorc bat nicht darum. Vielleicht tat ihm das alles noch nicht einmal Leid. Seltsamerweise konnte Crimson damit gut leben. Sie verließen die Krankenstation gemeinsam, gingen nebeneinander her wie zwei alte Kollegen. „Ich wäre dafür, weitere Drachen anzuschaffen,“ schlug Sorc vor. „Tyra wird uns vielleicht nicht für lange erhalten bleiben.“ „Aber die sind nicht immer zahm,“ gab Crimson zu bedenken. „Außerdem... wie stellst du dir das vor? Ist ja nicht so, als könnte man Drachen irgendwo kaufen!“ „Hast du Bedenken wegen der Kinder?“ Crimson wollte schon ja sagen, doch er war eigentlich derjenige mit der Schule, die solche Bedenken nicht übertreiben wollte. Er war derjenige, der immer über alle spottete, die gefährliche Zauber verbieten wollten. Statt die Kinder vor allem zu schützen, wollte er sie lieber lehren, mit Gefahren umzugehen. „Nein. Ich wette, die wären begeistert.“ „Davon kannst du ausgehen.“ „Cross hat angeboten, Drachenkunde zu unterrichten.“ „Na wunderbar! Ich werde mal mit ihm reden, vielleicht kann er sich mit um die anderen Drachen kümmern.“ Crimson blickte stirnrunzelnd zu seinem Begleiter, der ein paar Zentimeter größer war als er, so dass er tatsächlich zu ihm aufschauen musste. „Das klingt, als hättest du schon welche auf Lager! Übertreib es nicht.“ „Du hast mir gesagt, ich soll mich um die Sicherheit kümmern. Also wird niemand jemals dieses Schloss gewaltsam einnehmen.“ Sorc hatte ein erhabenes Lächeln drauf, das nichts mit Prahlerei zu tun hatte. Vielleicht war es gut, ihn auf der eigenen Seite zu haben. „Lass mich wissen, wenn du Fortschritte machst,“ antwortete Crimson diplomatisch, und ihre Wege trennten sich, als ein anderer Gang den ihren kreuzte. Der Weißhaarige lächelte ironisch, denn er hatte das Chaos auf sein Schloss losgelassen. Aber wenn sein Cousin mit Blacky zurechtkam, würde er selbst ja wohl mit dessen Vater fertig werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)