Puppentanz von Flordelis ================================================================================ Kapitel 2: Wandernde Schausteller --------------------------------- Eines der ersten Dinge, die Rin sehen konnte, als sie sich an einer Stelle befand, von der aus sie den Weg sehen konnte, waren fünf dort stehende Wägen. Die eingespannten Pferde rasteten und schnaubten nur hin und wieder, scheinbar unzufrieden über die Pause oder die nächtliche Reise. Auch Rin erschien es wie eine sehr seltsame Tageszeit, um unterwegs zu sein, aber möglicherweise hatten sie einfach ihre Gründe. Sie konnte nicht zählen, wie viele Leute es waren, die da bei den Wägen standen, es waren nicht nur zu viele, so manche von ihnen standen auch in der Dunkelheit, schienen kurzzeitig zu verschwinden und dann plötzlich wieder aufzutauchen, wenn sie in den Feuerschein zurückkehrten. Aber der innere Kern der Gruppe, diejenigen, die tatsächlich in der Mitte des Lichtscheins standen und sich miteinander unterhielten, das waren drei Männer und eine Frau. Irgendetwas machte sie nicht sonderlich glücklich, so viel war anhand der hektischen Gesten zu erkennen, aber sie sprachen nur mit gedämpften Stimmen, weswegen es Rin nicht möglich war, etwas zu hören. Sie überlegte, vorsichtig näherzugehen, fürchtete aber, entdeckt zu werden. Auch wenn die Gruppe auf den ersten Blick keine Waffen mit sich zu führen schien, war es doch möglich, dass sie Feinde waren – oder zumindest jemand, der ihr nichts Gutes wollte. Sie hatte gehört, dass in letzter Zeit oft junge Mädchen entführt wurden, um in Bordellen zu arbeiten und das wollte sie sich lieber ersparen. Das Beste, was ihr einfiel war, sich vorsichtig zurückzuziehen, damit sie Manji holen könnte. Er würde eher wissen, was zu tun war, ob es nun darin bestand, näherzugehen oder lieber einen großen Bogen um diese Fremden zu machen. Gerade als sie versuchte, sich rückwärts zu bewegen, spürte sie plötzlich, wie jemand hinter sie trat. Im ersten Moment glaubte sie – nein hoffte sie regelrecht – dass es sich dabei um Manji handelte, aber ihre Nase war inzwischen derart an ihn und seinen Geruch gewöhnt, dass sie auch ohne hinzusehen sagen konnte, dass er es nicht war. „Was gibt es hier zu sehen?“, fragte eine düstere Stimme, die ihr nicht im Mindesten bekannt vorkam. „Gar nichts“, antwortete sie hastig, atemlos, in der Hoffnung, dass sie es schaffen würde, den Fremden davon zu überzeugen, dass sie an keinerlei Ärger interessiert war. „Ich habe nichts gesehen, absolut nichts.“ Die Person sagte nichts mehr, war aber immer noch da, sie konnte seine Anwesenheit spüren, aber mehr noch: sie bemerkte, dass er keinerlei Lichtquelle mit sich führte. Er stand also genau so im Dunkeln wie sie und vielleicht würde ihr das die Gelegenheit geben, es auszunutzen. Ohne länger zu zögern griff sie nach einem ihrer Messer, fuhr herum und wollte es gerade vollkommen ziellos in den Körper des anderen rammen – als eine weitere Stimme sie innehalten ließ: „Was treibst du denn da schon wieder?“ Diese erkannte sie nicht nur auf Anhieb, sofort nahm sie auch den altbekannten Geruch ihres Begleiters wahr, auch wenn er ihr – wie so oft in solchen Momenten – wesentlich angenehmer erschien als sonst. Seine bloße Anwesenheit erfüllte sie mit einer inneren Sicherheit, die sie nicht nur davon abhielt, das Messer in den Körper des anderen zu rammen, sondern auch den Blick von dessen Silhouette zu nehmen, um Manji anzusehen. „Wonach sieht es denn aus?“ Ihre Stimme zitterte ein wenig, wofür sie sich am Liebsten geohrfeigt hätte, aber für den Moment machte sie sich erst einmal nichts mehr daraus. Manji blinzelte müde, verschlafen, dann blickte er den anderen Mann an. „Für mich sieht es aus als würdest du gerade einen Unbewaffneten umbringen – und das entspricht so gar nicht deiner sonstigen Art, wenn du mich fragst.“ Kaum hatte er das gesagt, sprang Rin furchtsam zurück und musterte den Mann vor sich ein wenig genauer, zumindest soweit es ihr in dieser Dunkelheit möglich war. Tatsächlich war der Unbekannte groß, breitschultrig, trug einen dichten Bart, während sein Kopf fast gänzlich kahl war, aber er führte keinerlei Waffen mit sich. Über diesen Umstand sichtlich erschrocken, verbeugte sie sich rasch. „Tut mir Leid, das wollte ich nicht! Ich hoffe, ich habe Euch nicht verletzt.“ Zu ihrer großen Überraschung gab der Mann ein angenehm tiefes Lachen von sich, das nichts mehr mit der düsteren Stimme von zuvor gemein hatte. „Ist schon gut, junges Fräulein. Ich hätte Euch nicht so sehr erschrecken sollen, dann wäre das auch nicht passiert – und im Grunde ist ja auch absolut nichts geschehen, ich bin unverletzt.“ Manji stellte sich neben Rin und fuhr ihr mit der Hand unsanft durch das Haar. „Sie ist manchmal ein wenig übereifrig, aber sonst ist sie ein ziemlich gutes Mädchen.“ Sie warf ihm einen empörten Blick zu, der ihm sagen sollte, wie wenig sie davon hielt, dass er sie immer als Mädchen bezeichnete, statt anzuerkennen, dass sie schon wesentlich mehr als das war. Aber wie üblich beachtete er sie nicht im Mindesten und sah stattdessen den Mann ihnen gegenüber an. „Gehörst du zu der Gruppe da?“ „Tue ich. Mein Name ist Tohru.“ Manji und Rin stellten sich auch knapp vor, dann fragte der Ronin, worum es sich bei dieser Gruppe handeln würde. „Wir sind Schausteller“, erklärte Tohru, was sofort Rins Aufmerksamkeit weckte. „Wir wandern durch das Land und geben Aufführungen verschiedener Stücke.“ „Und macht mit dem kleinen Zeug nebenbei jede Menge Geld, was?“, fragte Manji. Auch Rin wusste, dass wandernde Schausteller neben ihren kleinen Aufführungen, die nur den Höhepunkt eines Besuchs darstellten, auch allerlei andere Dienste oder Waren anboten. Ihr Vater hatte ihr damals immer ein kleines Windrad gekauft, auch wenn es kurz darauf stets auseinandergebrochen war, es war immer eine schöne Erinnerung gewesen. „Könnte man so sagen“, stimmte Tohru schmunzelnd zu. „Aber warum unterhalten wir uns eigentlich im Dunkeln? Wir sollten zu den anderen ins Licht gehen.“ Gemeinsam näherten sie sich den versammelten Schaustellern, deren gesamte Aufmerksamkeit sich schon bald den Neuankömmlingen zuwandte. Dabei wurde Rin mit derart vielen Namen bomardiert, dass sie sich kaum einen merken konnte. Lediglich den des Oberhaupts konnte sie sich auf Anhieb merken: Osamu. Warum genau sie sich diesen merken konnte, wusste sie nicht so recht, möglicherweise lag es daran, dass er sich mit seinem schneeweißen Haar und der aristokratischen Nase direkt in ihr Gedächtnis einbrannte. „Ich hoffe, keiner meiner Leute hat euch erschreckt“, sagte Osamu entschuldigend, während er sich verneigte. „Wir wollten eigentlich nur eine Rast machen, in aller Ruhe, aber...“ Er verstummte und auch die anderen fielen in ein bedrücktes Schweigen. „Was ist passiert?“, fragte Manji, der scheinbar die Möglichkeit sah, etwas zu verdienen – zumindest konnte Rin sich nicht vorstellen, dass er das aus Neugier fragte. „Auf unserer Gruppe scheint ein Fluch zu liegen“, antwortete Osamu seufzend. „Wir führen derzeit ein Stück auf, das unbedingt eine Frau, eine Tänzerin, in der Hauptrolle benötigt. Aber inzwischen ist uns die fünfte Darstellerin abhanden gekommen.“ Tohru nickte langsam, die Arme vor der Brust verschränkt. „Wir glauben, dass einige von ihnen weglaufen, weil sie den Druck nicht vertragen – andere wurden uns vermutlich von irgendwem abgeworben.“ „Wir können nicht sehr viel zahlen“, erklärte eine Frau, die ein wenig abseits stand und deren Name Naoka sein sollte. „Vielen Mädchen ist das vermutlich auf Dauer zu wenig.“ „Wir haben nur kurz Rast gemacht“, fuhr Osamu fort, und dann ist sie aus ihrem Wagen verschwunden, genau wie ihre wenige Kleidung.“ Wieder schwiegen alle betreten, wie auf eine stumme Einigung, dann sprach Osamu weiter: „Uns stört weniger die Tatsache, dass sie einfach verschwinden und uns damit Sorge bereiten – sondern mehr, dass wir vollkommen mittellos dastehen, wenn wir keine Hauptdarstellerin mehr haben.“ Er runzelte missbilligend die Stirn, sichtlich verunsichert, was er nun tun sollte, um seine Leute am Leben zu halten, ohne die gesamte Aufführung ändern zu müssen, was sicherlich auch nicht so einfach gehen würde. „Also braucht ihr eine neue Hauptdarstellerin, hä?“, hakte Manji nach. Tohru nickte. „Wir müssen eine neue Schauspielerin anwerben, sobald wir in die nächste Stadt kommen und ihr beibringen, wie das Stück funktioniert... das wird dauern und wird uns heftige Verdienstausfälle einbringen.“ Alle Anwesenden seufzten synchron, während Manji die überraschte Rin an den Armen packte und ein wenig nach vorne schob. „Warum nehmt ihr nicht sie?“ Sie blinzelte und warf ihm einen verwirrten Blick zu. Er beachtete sie allerdings nicht weiter und sah nur Osamu an, der genau wie die anderen die junge Frau musterte. „Kann sie denn tanzen?“, fragte Naoka skeptisch, während sie sich eine graue Haarsträhne aus der Stirn strich. „Das Kostüm dürfte ihr passen, aber das nützt alles nichts, wenn sie nicht tanzen kann.“ „Und?“, fragte Manji an Rin gewandt. „Kannst du?“ „Natürlich kann ich“, sagte sie sofort. „Und schauspielern kann ich auch sehr gut.“ „Ach, echt?“ Sie ignorierte Manjis ratlosen Einwurf und blickte die Schausteller an, die sich leise miteinander unterhielten. Dabei waren sie erstaunlicherweise derart leise, dass Rin kein Wort davon mitbekam. Doch schließlich endete die Unterhaltung wieder und Osamu wandte sich erneut ihnen zu. „Gut, wir werden es ausprobieren, direkt morgen früh, wenn wir alle ausgeschlafen sind. Seid ihr damit einverstanden.“ „Wir sind dabei“, sagte Manji enthusiastisch, noch ehe Rin überhaupt reagieren konnte. Sie nickte allerdings dennoch, um zu zeigen, dass sie derselben Meinung war, nur um sich nicht sagen zu lassen, dass sie keinen eigenen Kopf besitzen würde. Immerhin war es kein vollkommen abgedrehter Auftrag, sondern sogar etwas, das ihr möglicherweise Spaß machen und sie vielleicht sogar berühmt machen würde – und sie konnte es eigentlich kaum noch erwarten, wenn sie ehrlich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)