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Puppentanz

von

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An einem Sommerabend

Noch nie zuvor war Rin das Leben so schwer vorgekommen wie in diesen Tagen. Jeden Abend, wenn die Sonne unterging und ihre letzten roten Strahlen in die Welt hinausschickte, lag sie schwer atmend im trockenen Gras, schweißnass und mit einem Gefühl bleierner Schwere in der Brust.

Sie war entschlossen, das Kämpfen zu lernen, um ihre Eltern zu rächen – aber es war noch viel, viel schwerer als sie es sich je hätte vorstellen können.

Manji kannte keinerlei Gnade – wohl nicht zuletzt deswegen, weil sie das von ihm verlangt hatte – und trieb sie jeden Tag bis zum Äußersten. Manchmal kam es ihr so vor als würde er schlichtweg vergessen, dass sie nicht wie er war, dass ihre Wunden nicht heilten.

Und dann gab es Momente, in denen ihm das bewusst zu werden schien, so wie in diesem Augenblick.

Er beugte sich über sie und musterte sie mit einem Hauch von Besorgnis in den Augen. Auch wenn das schwer zu sagen war bei ihm, wie sie fand. Zu sehr war sein Gesicht von Leid und Schmerzen geprägt, aber wenn er besorgt war – so viel wusste sie inzwischen durch die gemeinsame Reise – dann wurden seine Züge ein wenig weicher, sanfter und dann mochte sie ihn auch viel mehr.

Aber wenn sie ihn mochte, konnte sie erst recht keine Schwäche vor ihm zeigen.

„E-es ist alles in Ordnung“, brachte sie angestrengt hervor, ihr Hals fühlte sich viel zu rau an.

„So siehst du mir nicht aus.“ Auch in seiner brummenden Antwort lag etwas, das man mit viel Fantasie als Besorgnis bezeichnen konnte.

Manchmal glaubte Rin, sie würde sich das nur einreden, um ihn sympathischer finden zu können, aber viel öfter war sie davon überzeugt, dass sie den wahren Manji in diesen Augenblicken sah und alles andere, was er sonst von sich zeigte, nur eine Fassade war, damit er nicht verletzt wurde.

Der Gedanke, dass sogar jemand wie er verletzlich war, hatte etwas Beruhigendes an sich und deswegen konnte sie ihn einfach nicht aufgeben.

Er zog einen Frosch am Stiel hervor, den er in der Zwischenzeit gegrillt haben musste, was dazu führte, dass sie sich unwillkürlich fragte, wie lange sie bereits im Gras lag – oder wie er es schaffte, Frösche zu fangen und zu grillen, während er gleichzeitig ihr Training beobachtete und ihr dabei Anweisungen zurief.

Mühevoll setzte sie sich aufrecht hin und nahm ihm leise dankend den Frosch ab. Ihre Muskeln schmerzten bereits demonstrierend bei diesen wenigen Bewegungen und sie wusste, dass sich das noch verstärken würde – aber Manji meinte darauf, das Gegenmittel zu kennen: „Du musst dein Training morgen sofort fortsetzen.“

Er biss in seinen eigenen Frosch und riss ein großes Stück heraus, das er ungeduldig kaute. Rin wollte sich ihm empört zuwenden und eine Antwort fauchen, aber sie schaffte es nur, den Kopf ein wenig zu drehen, damit sie an seinem Gesicht vorbeisehen und mit rauer Stimme antworten konnte: „Ich habe furchtbare Schmerzen... kannst du nicht mal ein wenig Gnade walten lassen?“

Zuerst antwortete er nicht, aber kaum hatte er fertig gekaut, hob er die Hand und schlug ihr sanft auf den Kopf. „Wenn du dein Training nicht fortsetzt, werden die Schmerzen noch schlimmer. Du musst mit Bewegungen dagegen angehen.“

Sie wollte schnippisch erwidern, dass er sich anscheinend gut damit auskannte, aber dann fiel ihr Blick wieder auf seine Muskeln, die er sicher nicht von ungefähr hatte, also musste er wirklich Ahnung von dem haben, was er tat – und sie hatte ihn immerhin darum gebeten, ihr zu helfen.

„Verstanden“, murmelte sie daher kleinlaut und begann ebenfalls zu essen, auch wenn ihr der Geschmack von gegrillten Fröschen immer noch nicht wirklich behagte.

Für eine Weile schwiegen sie beide, dann fiel ihr noch ein anderes Thema ein: „Sollten wir nicht bald wieder Geld verdienen, um uns etwas richtiges zu essen zu kaufen?“

„Hast du was gegen Frösche?“, fragte er grinsend.

Sie schnaubte, wobei ihre Brust wieder schmerzte. „Sie werden auf jeden Fall nie meine Lieblingsspeise. Also?“

Statt weiter dagegen anzudiskutieren, stellte er eine andere Frage: „Und was schlägst du vor?“

Während sie überlegte, lauschte sie dem Summen von Insekten und dem letzten Singen der Vögel bevor diese den Kopf unter den Flügel stecken und schlafen würden. Es sagte ihr, wie weit weg sie von der Zivilisation waren und wie schwer es in dieser Gegend war, eine kurzfristige Arbeit zu finden – besonders für zwei Leute wie sie.

„Ich weiß nicht so recht. Wollen wir vielleicht eine Stadt suchen, um uns dort nach Arbeit umzusehen?“

Er runzelte ein wenig die Stirn, was ihr verriet, dass er nicht sehr begeistert von dieser Idee war.

„Was spricht denn dagegen?“

„Du wirst in der nächsten Zeit erst einmal nicht wirklich laufen können“, erwiderte er grinsend. „Und ich werde dich bestimmt nicht tragen.“

Unwillkürlich erschien ein roter Schimmer auf ihrem Gesicht, was sie sichtlich ärgerte, immerhin wollte sie sich vor ihm keine Blöße geben – auch wenn es dafür inzwischen ohnehin schon zu spät war.

Sie sagte nichts mehr, sondern beschloss schweigend weiterzukauen, da die Müdigkeit mit jeder Bewegung ihres Kiefers stärker zu werden begann und sie sich ohnehin nicht mehr lange würde wachhalten können. Am besten war es, wenn sie am nächsten Tag noch einmal mit ihm sprechen würde – oder am Tag darauf, wenn sie endlich, hoffentlich, keine Schmerzen mehr hatte.

Als er fertig mit Essen war, legte er den hölzernen Spieß beiseite. „Du solltest bald schlafen, damit du morgen bald mit dem Training weitermachen kannst.“

Diese Aufforderung hätte es nicht gebraucht, denn kaum war sie ebenfalls fertig mit essen – was ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war – legte sie sich bereits zu Boden und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen.
 

Trotz der Erschöpfung träumte sie. Jedenfalls musste es sich um einen Traum handeln, denn sie konnte nicht glauben, dass sie in der Wirklichkeit jemals an einen Baum gefesselt hängen würde wie eine Raupe in einem Kokon.

Scharfe Drähte, die bei jeder Bewegung in ihre Haut schnitten und dabei aber nicht schmerzten, hielten sie am Stamm fest. Der Blick nach unten enthüllte ihr eine unendliche Schwärze, in der sich der Baum verlor.

Hilflosigkeit durchströmte sie, sie wünschte sich, Manji würde erscheinen und sie retten, aber er kam nicht. Wo auch immer sie sich gerade befand, es war ihm nicht möglich, herzukommen, sie müsste sich selbst retten – aber es gelang ihr einfach nicht.

Ihre Versuche, sich aus dem Kokon herauszuwinden, führten dazu, dass die Drähte sich tiefer in ihre Haut gruben und schwarzes Blut aus ihr hervorquoll und den Stamm hinunterfloss.

Das kann nicht sein!, fuhr es ihr durch den Kopf. Das ist alles nicht wahr! Ich muss einfach nur aufwachen!

Doch etwas hielt sie an diesem Traum, genau wie ihren Körper am Baum.

Ein grausames, spöttisches Lachen erklang plötzlich aus den Tiefen der schwarzen Unendlichkeit und näherte sich ihr in rasender Geschwindigkeit.

Erschrocken kniff sie die Augen zusammen, um nicht mitansehen zu müssen, was da auf sie zukommen würde. Sie spürte die Vibrationen im Baumstamm, als das Wesen – oder was auch immer es war – an diesem hinaufkletterte, um zu ihr zu kommen und etwas mit ihr zu tun, von dem sie lieber nicht wissen wollte, was es sein würde.

Ihre Atmung beschleunigte sich, ihre Furcht stieg auf eine ihr unbekannte Ebene – und plötzlich verstummte das Lachen und auch die Vibrationen des Baumes stoppten.

Noch immer hielt sie die Augen geschlossen, sie fürchtete sich davor, was sie entdecken könnte, wenn sie diese öffnete. Aber gleichzeitig wusste sie auch, dass sie es tun musste, dass sie sich dem stellen musste. Immerhin war es auch nur ein Traum, in der Realität hatte sie schon ganz andere Situationen durchgestanden.

Mir kann nichts passieren, sagte sie sich. Mir kann nichts passieren.

Es dauerte eine Weile, fast schon eine Ewigkeit, in der sie diese Worte in ihren Gedanken immer wiederholte, aber dann glaubte sie, endlich den Mut gefunden zu haben, ihre Augen zu öffnen.

Also atmete sie noch einmal tief ein – heiße, fast schon schmerzhafte Luft erfüllte ihre Lungen – und öffnete dann ihre Augen.
 

Es dauerte einen kurzen Moment, in dem sie nur den schwarzen Himmel anstarrte, bis Rin bewusst wurde, dass sie wieder wach war. Der Traum war vorbei, ohne dass sie gesehen hatte, was sich vor ihr befand und in ihrem Unterbewusstsein ihr Leben bedroht hatte.

Warum träume ich so etwas?, dachte sie und seufzte dabei innerlich.

Sie wusste nicht viel von Traumdeutung, aber es war selbst ihrer Meinung nach möglich, dass sich ihre Hilflosigkeit darin symbolisierte. Selbst ihr Unterbewusstsein sagte ihr also, dass sie lernen müsste, sich zu verteidigen.

Aber vorher war sie durstig. Ihr war heiß und ihre Kehle schien regelrecht zu brennen, so als ob sie wirklich diese schmerzhaft warme Luft eingeatmet hätte.

Vorsichtig richtete sie sich auf, wobei sie das Stöhnen aufgrund ihrer Schmerzen unterdrückte. Ihr Blick fiel auf Manji, der schnarchend neben ihr lag und sich von nichts in seinem Schlaf zu stören lassen schien.

Wie typisch.

Sie stand auf, auch wenn das wegen ihrer protestierenden Muskeln reichlich anstrengend war und ging die wenigen Schritte bis zum naheliegenden Fluss, der noch so vertraut wie eh und je gluckerte und sie den Traum langsam vergessen ließ. Das kühle Nass fühlte sich noch dazu angenehm in ihrer Kehle an und erinnerte sie daran, dass sie gerne wieder einmal baden würde. Für Manji war das allerdings reichlich unwichtig, er verstand eben nichts von den Bedürfnissen einer Frau – oder Hygiene – deswegen ließ er ihr seit Beginn des Trainings nur selten Zeit zum Baden.

Ein plötzliches Gewirr von Stimmen riss sie aus ihren Gedanken und lenkte ihren Blick zu dem nicht weit entfernten Weg. Normalerweise kam nur selten jemand dort vorbei, besonders in der Nacht, aber in dieser befand sich dort offenbar wirklich jemand.

Sie überlegte, Manji zu wecken, nur für den Fall, dass es sich um jemand Gefährliches handeln könnte, aber dann beschloss sie, erst einmal festzustellen, wer es war. Wenn sie ihn aus unwichtigen Gründen weckte, könnte er möglicherweise sehr ungehalten werden.

Also stand sie, mit einiger Anstrengung, wieder auf und lief langsam hinüber, um nachzusehen, wer dort war, in der Hoffnung, dass es niemand Bedrohliches war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-07-17T10:41:49+00:00 17.07.2012 12:41
Alsooo! X3 Deine Angst, das die beiden zu OOC wirken würden, kann ich in aller Ruhe dementieren - denn du hast sie super getroffen und auch Manjis Eigenarten kommen echt gut rüber. Mir hat alles gut gefallen, es gibt kein "die und die Stelle ist mein Liebling" weil du sie so toll beschrieben hast. Ich hatte alles wieder vor meinem geistigen Auge, wie die beiden miteinander üben, sich zanken, schlafen oder... Manji sich nicht wäscht. Ich glaub das muss der Gute noch lernen. Auch seine Gefühle, das er gerne den harten Kerl raus lässt, haben mir gefallen. Ach, ich liebe diese FF, und ich hoffe, das es bald weiter geht! *_*


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