Un Monstre á Paris von SainzDeRouse (Eine Liebe in Trümmern, eine Andere wächst) ================================================================================ Kapitel 1: Die, in der die Nachtigall zum Schlafe ruft ------------------------------------------------------ Kapitel 1 – Die, in der die Nachtigall zum Schlafe ruft Januar, 1911: Der Applaus des Publikums hallte durch den Saal und die roten, schweren Bühnenvorhänge des Cabaret L'Oiseau Rare schlossen sich. Die junge Sängerin Lucille Frémir, die bereits seit drei Jahren im Kabarett ihrer Tante Carlotta sang, drehte sich zu ihrem Gesangspartner. „Du hattest recht, Francoeur. Das Publikum ist begeistert“, sagte sie lächelnd und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Das Lied ist eine großartige Komposition.“ „Brrr“, brachte Francoeur nur heraus. Denn schon stand das Publikum auf, Ovationen und Zugabe-Rufe drangen durch den dicken Vorhang. Wie besprochen warteten sie eine Moment, bis sie schon befürchten mussten das überwältigte Publikum stiege auf die Bühne. Plötzlich öffnete sich der Vorhang, die Menge tobte, sogar unschickliches Pfeifen war aus zwei Ecken zu hören. Auf ein Zeichen von Francoeur begann das Drei-Mann-Orchester zu spielen und Lucille begann mit dem Lied, mit dem sie vor genau einem Jahr das erste Mal mit Francoeur auf der Bühne gestanden, und einen großen Erfolg errungen hatte. Damals hatte Francoeur mit seinem Gitarrenspiel und seiner lieblichen Stimme das Lied auf eine völlig neue Weise erneuert und den Gästen des Kabaretts die schönste Show seit langem geboten. Seither waren Lucille und ihr unbekannter Monsieur Francoeur, der von weit hergekommen war, niemand wusste woher, in ganz Paris gefragt und eine künstlerische Attraktion in Montmartre. Wieder erwarten gab Francoeur mit seiner Gitarre die Melodie vor und Lucille trat zwei Schritte vor und begann zu singen. Sie ist mondän, so souverän La Seine, la Seine, la Seine Das Publikum jubbelte, setzte sich jedoch augenblicklich wieder und horchter der schönen Stimme der jungen Mademoiselle. Auch stimmte Francoeur mit seiner lieblichen Stimme im Chorus von „La Seine“ ein. Ich hab erkannt, ich bin gebannt La Seine, la Seine, la Seine Ich höre sie, ihre Melodie La Seine, la Seine, la Seine Ist sie so fein? Ist es der Wein? La Seine, la Seine, la Seine Oh, ich weiß es nicht also frag mich nicht Die Seine und ich ich liebe dich Oh, ich weiß es nicht also frag mich nicht Die Seine und ich ich liebe dich Lucille tanzte kokett an der Spitze der Bühne und nahm Blickkontakt mit Francoeur auf. Sie winkte ihn zu sich und auch er trat nun aus dem Schatten hervor und tanzte um sie herum, der Gitarre weiter eine Melodie entlockend, während er seinen Part begann und Lucille seinerseits sich nur noch an „La Seine“ beteiligte. Gut geht es mir, bin ich bei dir La Seine, la Seine, la Seine Wie ein Gedicht ist sie für mich La Seine, la Seine, la Seine Im vollen Lauf drehten sie sich wie in einer Erdlaufbahn umeinander traten abwechselt von vorn nach hinten als sie das Refrain zusammen zum Besten gaben. Oh, ich weiß es nicht also frag mich nicht Die Seine und ich ich liebe dich Oh, ich weiß es nicht also frag mich nicht Die Seine und ich ich liebe dich Nun begann Francoeur sein kleines Solo auf seiner Gitarre und sang seinen Schlagabtausch mit Lucille, welche diesen begann. Hoch oben hier Bin ich bei dir In deiner Flut Finden wir Mut Die frische Luft Was für ein Duft Sie wirbelten umeinander ohne auch nur ansatzweise aneinander zu stoßen, obgleich die Bühne nicht sehr viel an Platz hergab. Lucille und Francoeur haben vom ersten Akkord an, harmoniert wie die verschiedenen Farben der untergehenden Sonne. Zusammen beendeten sie ihren Schlagabtausch und sangen fortan gemeinsam das Refrain. Hoch oben hier Verzeihst du mir Die Seine und ich Ich liebe dich Die Seine und ich Ich liebe dich Die Seine und ich Ich liebe dich Die Seine und ich Ich liebe dich Die Beiden tanzten ihre letzten Schritte als wäre es eine einstudierte Choreographie. In ihrer Harmonie lief ihr letzter Tanzschritt in die Verbeugung über und die Menge jubelte. Lucille bekam, wie so oft, einen prunkvollen Strauß Blumen zugeworfen, wie man sie oft in den Blumenläden fand. Sie nahmen sich bei der Hand, verbeugten sich noch einmal gemeinsam und traten zurück. Unterdessen fiel der Vorhang wieder hinunter und beendete die Show. „Francoeur, du warst großartig“, sagte Lucille und bedachte den Blumenstrauß mit keinerlei Beachtung. „Wir waren großartig brrr“, sagte Francoeur und lächelte sie an. „IHR WART FANTASTISCH“, rief plötzlich Carlotta die hinter die Bühne gekommen war und nahm Lucille den Strauß ab. „Inzwischen geht uns der Platz aus, wo soll ich die Dinger noch hinstellen? Ha ha ha.“ „Stell die Garderobe ruhig zu, solange ich an den Schminktisch komme, ist es mir gleich“, winkte Lucille ab. ******** Seit sie vor einem halben Jahr einen Heiratsantrag von Raoul bekommen und sich mit ihm verlobt hatte, waren sie kurze Zeit später in eine eigene Wohnung gezogen. Zuvor hatte Lucille bei ihrer Tante in der Wohnung über dem Kabarett gelebt, doch dort war unter den neugierigen Blicken Carlottas, Privatsphäre ein Fremdwort. Auch wurde es mit Francoeur als dritte Person einfach zu eng. Und da ihrer Tante das Zusammenleben mit Francoeur nicht ganz geheuer war, war ein Umzug ohnehin die letzte Möglichkeit. Denn Francoeur ist ein zwei Meter großer Floh, der durch einen Zusammenstoßen zweier Tränke aus dem Labor des Professors, gewachsen und eine melodische Stimme erhalten hatte. Raoul war schon seit langer Zeit der Lieferant des Professors, der sein Labor in einem monströsen Gewächshaus namens „Botanischer Garten“ hatte, indem viele tropische Pflanzen wuchsen. Sein Assistent, Charles, dem Affen, war ihm, seit er diesem durch einen Trank verschiedener chemischer Substanzen, zu einer erweiterten Intelligenz verholfen hatte eine große Hilfe. Charles besaß weißes Fell, eine lange dicke Nase und einen langen Schwanz. Er verstand jedes Wort das man ihm sagte und kommunizierte über beschriebene Karten auf denen die verschiedensten Redewendungen standen. Francoeur war einst ein Floh in Charles Fell gewesen, bis zum besagten Abend, an dem Raoul während der Abwesenheit des Professors, der zur geraumen Zeit in New York war, unerlaubterweise im Labor herumgespielt hatte. Er sollte lediglich die Lieferung vor der Tür abstellen, doch konnte er seine Neugierde nicht zügeln und zog auch seinen Freund Emile in die Sache mit hinein. Nachdem Raoul bereits eine Sonnenblume in fünfzehn Meter Höhe hat wachsen lassen, fielen ihm die Tränke aus der Hand und es hatte eine riesige Explosion gegeben, die Francoeur hat wachsen lassen. Dieser irrte fortan als „Monster in Paris“ durch die Stadt und fand ein zu Hause in der Garderobe Lucille's, nachdem sie sich nach anfänglicher Angst, von seiner Singstimme angezogen fühlte. An diesem Abend erhielt Francoeur eine weitere Chance sein Musiktalent zu beweisen und trat zusammen mit Lucille im Kabarett auf. Nach der Show wurde er sogleich von Raoul und Emil entdeckt, die der Sängerin ihre Glückwünsche mitteilen wollten, kannte Raoul sie ja aus Kindertagen. Zusammen tüftelten sie an einen Plan um Francoeur für die Bewohner der Stadt unerkannt zu machen, indem er den vorgetäuschten Tod fand. Leider hatte es nicht so funktioniert wie erhofft und der damalige Préfet Maynott hatte Jagd auf Francoeur gemacht. Als dieser nach dem letzten Schuss aus der Waffe des Commissaire Maynott verschwunden war, glaubte Lucille und die anderen ihn für tot, doch war er nur wieder nach dem nachlassen des Trankes wieder in seiner Originalgröße geschrumpft und hatte die Tage in ihrem Ohr verbracht. Nachdem sie das herausgefunden hatten war Raoul mit Charles zum Gewächshaus gefahren um den Professor die Geschichte zu erzählen, der gerade von seiner Reise aus New York zurück gekehrt war, und baten ihn um einen neuen Trank. Der Professor erfüllte ihnen den Wunsch und mischte einen Trank zusammen der Francoeur nicht nur zu lebenslanger Größe verhalf, sondern auch zu weiteren menschlichen Fähigkeiten. So verstand er die menschlichen Worte nicht nur, sonder konnte sie auch selbst erlernen. Da er dennoch ein Floh war und wie jeder andere Floh sich von Blut ernährte, war es für Carlotta unerträglich ihn trinken zu sehen und somit auch überhaupt mit ihm ihre Wohnung zu teilen. Zumal es auch zu einigen unschönen Flecken auf Teppich und Polstergarnituren gekommen war. Nachdem Raoul einige Monate bei Emile gewohnt hatte, war doch seine Behausung, sein Transporter Chaterine im Hochwasser in die Tiefe gesunken, und eine neue Bleibe suchte, taten sich die drei zusammen und fanden eine hübsche Bleibe in Montmartre. Tante Carlotta war es nur recht gewesen, denn mit dem unliebsamen Leben mit Francoeur, trotz der schönen Stimme, war doch Tag für Tag immer Trubel im Haus gewesen. Tagsüber hatte sie schon kaum mehr Ruhe gefunden. Francoeur spielte an Klavier oder Gitarre und komponierte, Lucille studierte die neuen Lieder ein, Raoul war auch oft zugegen und mit ihm auch so manches Mal sein Freund Emile und seine Verlobte Maud. Nur beim ehemaligen Capitaine Paté, der seit der Verurteilung Maynottes zum Monsieur le Commissarie befördert wurde, fand sie ein wenig Ruhe und Lucille merkt das sich zwischen den beiden Witwern ein zartes Band geknüpft hatte. Seit Tante Carlotta ihren Mann vor sechs Jahren verloren hatte, bestand die lebensfrohe Frau darauf, nachdem sie ihre Lebenslust wieder gefunden hatte, das sie allein und in Frieden weiter leben wolle. Die alleinige Übernahme des Kabaretts war Arbeit genug und damit wollte sie zeigen wie sehr sie ihren Mann geliebt hat, indem sie es erfolgreich weiter führte. Nur zu Lucille hatte sie eine tiefe Bindung, denn auch sie hatte im Alter von neun Jahren ihre Eltern verloren und lebte fortan bei ihr. Wenn Carlotta sich nicht gerade mit einer alten Freundin traf, genoss sie die Entspannung vor dem heimeligen Kamin. ******** Lucille zog sich in der Garderobe um, hängte die Flügel über die Schultern der Ankleidepuppe und das weiße, reich bestickte Kleid hängte sie hinter ihren Paravent. In ihrer Alltagskleidung und eingekuschelt in ihrem Mantel schlängelte sie sich an den unzähligen Blumensträußen vorbei, die zusammen eine riesige Blumenwiese ergaben und lief zum Hintereingang, wo Francoeur bereits auf sie wartete. „Brrr, warum willst du heute unbedingt durch die schmutzige Gasse laufen? Gragaga?“, fragte Francoeur und hielt ihr seine behandschuhte Hand hin um ihr die Treppen hinunter zu helfen. Für einen kurzen Moment erschien ein Lächeln in Lucilles ernstes Gesicht. Francoeur war ein richtiger Gentleman. Wenn doch nur Raoul auch so wäre, dachte sie sich enttäuscht. „Ich habe für heute die Schnauze gestrichen voll, ich will keinen mehr sehen. Keine Gäste, keine Etiketten, keine Höflichkeiten, ich will einfach nur noch nach Hause. Oder vielleicht auch nicht“, seufzte sie schwer. Bedrückt senkte Francoeur den Blick. Er konnte Lucille gut verstehen. Seit einem halben Jahr erlebte er jeden Tag aufs neue dieses Theater des realen Lebens zwischen einem Paar. Einem sehr ungleichen Paar. Auch wenn er Raoul mochte, doch empfand er es als eine Schande wie er mit Lucille umsprang. Oder eher das er seine Versprechen nicht einhielt. „Was soll ich nur machen, Francoeur? Wenn er heute wieder nicht sein Versprechen eingehalten hat, dann...“ Den Satz konnte sie nicht beenden, da es ihr schon die Tränen in die Augen trieb. „Denk nicht daran, brrr. Ich bin mir sicher das er heute sein Versprechen gehalten hat“, sagte der große Floh und legte behutsam seine zwei Arme, die unter einem Ärmel versteckt waren um seine Freundin. „Ich hoffe du hast recht.“ ******** „WAS GEHT HIER VOR?“, rief Lucille wutentbrannt. Kaum hatte sie einen Schritt in ihre gemeinsame Wohnung getan, erkannte sie das Unglück. Auch wenn gerade nichts davon zu sehen war, befand sich die Wohnung in einem sehr gepflegten Zustand. Es war einer dieser Neubauten, mit hohen Decken, Flügeltüren und hohen Fenstern, meist zwei in einem Raum. Die Wohnung hatte einen herrlichen Holzboden und ein wenig Stuck in der Mitte der Decke, an der jede von ihnen ein kleiner Kronleuchter herunter hing, mit herrlich geschwungenen Armen. Lucille hatte von dem Geld das sie über die Jahre im Kabarett gesparrt hatte, wovon sie ursprünglich einmal reisen wollte, verwendet um die Wohnung schön herzurichten. Überall standen schicke, moderne Möbel, welche so schön glänzten wie die Oberfläche eines Silbertabletts wenn sie poliert wurden. Mit viel Liebe hatte Lucille hübsche Tapetten aufhängen lassen und während dem gesamten halben Jahr hier und da ein Gemälde aufgehangen, welche sie auf einem Markt oder einem Atelier entdeckt hatte und mit einem golden gestrichenen Rahmen aufgehängt. Die Räume waren recht groß, es gab ein Salon, welcher als Aufenthaltsraum genutz und in dem Gäste empfangen wurden. Eine geräumige Küche mit einem Esstisch, eine Badezimmer, ein Schlafzimmer für Raoul und Lucille, wie auch ein Zimmer für Francoeur. Im Flur gab es eine Klappe an der Decke die man öffnen und eine Leiter herunterziehen konnte. Dort war eine ausklappbare Treppe befestigt, die zu einem unausgebauten Dachboden führte. In diesem, und nur in diesem, durfte Raoul seine Gerätschaften, Werkzeug und Erfindungen lagern, doch hatte er sich mal wieder nicht daran gehalten. Spuren von Ölflecken waren auf Boden und Möbeln zu sehen, offenbar war Raoul nicht darauf bedacht gewesen, sich die Hände zu waschen, geschweige denn etwas Vorsicht walten zu lassen. Die Küche sah aus wie ein Schweinestall, das dreckige Geschirr stapelte sich und auf dem Tisch standen viele, für Lucille undefinierbare Metallgegenstände. Mitten im Chaos saß Raoul, bekleidet nur mit einem schmutzigen Hemd, welches auch noch falsch zugeknöpft war und einer langen Unterhose. „BIST DU DES WAHNSINNS?“, schrie Lucille und konnte kaum an sich halten. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen und seine Sachen aus dem Fenster geschmissen. „NEIN!.... UND WIESO SCHREIST DU SO?“, schrie Raoul zurück, verständnislos über Lucilles Reaktion. „Ich dachte du würdest dir wieder deine Kunden zurückholen und mit deinem Lieferservice fortfahren?“ „Tu ich doch. Aber Catherine ist noch nicht fertig und...“ „WIE SIE IST NOCH NICHT FERTIG? Seit Monaten arbeitest du an ihr, ich dachte sie sei fertig, das hast du gesagt.“ „Jein, sie ist fertig, aber eben noch nicht ganz.“ „Nicht ganz?“, fragte Lucille bedrohlig und trat näher. „Ja. Mir sind noch Verbesserungen eingefallen, die wollte ich...“ „VERBESSERUNGEN?“, rief Lucille und schlug ihn mit voller Wucht auf die Wange. „HEY“, rief er empört und drohte mit dem erhobenen Finger, das sie es sich nicht noch einmal erlauben sollte. „WARUM NUR MUSST DU IMMER AN DEINEN DÄMLICHEN ERFINDUNGEN ARBEITEN? KANNST DU NICHT ARBEITEN WIE JEDER ANDERE NORMALE MANN?“ „HÖR AUF MICH ANZUSCHREIEN!“ „ICH SCHREI SO VIEL ICH WILL. DU BIST HIER IN MEINER WOHNUNG!“ Stille. „Oh... so ist das also. Die Prinzessin fühlt sich vom Bettler in ihrem Schloss bedrängt. Na schön...“ „Du weißt ganz genau das es so nicht gemeint war“, sagte Lucille ruhig. Wie so oft sammelten sich bereits die Tränen in ihren Augen. Es tat ihr weh und sie hasste es zu streiten, doch sah sie es nicht ein nachzugeben, auch wenn sie ihn liebte. „Wie war es denn dann gemeint, PRINZESSIN?“ „Schon während den drei Monate bei Emile hast du nichts zu Stande gebracht. Du hast eine Erfindung nach der anderen gebaut, doch nichts fand anklang. Alle waren ein Flop...“ „MOMENT MAL....“ Ein Knall. Wieder hatte sie ihn auf die Wange geschlagen. Nie wollte er zuhören. Nie wollte er mal einen Fehler zugeben, war er auch noch so klein. „Seit einem dreiviertel Jahr hast du keinen richtige Arbeit gehabt. Immer bist du dir zu fein für jeden Aushilfsbeschäftigung und kündigst nach wenigen Wochen. Es bringt zu wenig Geld ein. Du bekommst immer Rückenschmerzen. Der Arbeitgeber hat etwas gegen dich. Immer eine andere Ausrede. Wenn es nicht deine Catherine ist, willst du dich in keinen anderen Transporter setzen. Nicht einmal die Hausarbeit willst du übernehmen, denn schließlich bringt ja der Mann die Brötchen auf den Tisch, doch was wenn er es nicht kann, weil er nichts verdient?“ Säuerlich, ja beinahe hasserfüllt blickte Raoul ihr in die Augen. So hatte er sie noch nie angesehen und es fiel ihr schwer, weiterhin standhaft zu bleiben und ihm in die Augen zu sehen. „So denkst du also über mich. Du glaubst das ich ein Versager bin“, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf während er den Blick nicht von ihr lassen konnte. Beschämt drehte Lucille ihr Gesicht weg und legte ihre Hände schützend um ihren Körper. Schlagartig begann sie zu frieren und versuchte die Tränen zu unterdrücken. „Das genügt mir als Antwort“, sagte er und lief schleunigst an ihr vorbei, jedoch nicht ohne hart ihre Schulter zu streifen. Raoul lief ins Schlafzimmer, zog sich eine Hose über, schnappte sich seinen Mantel. „Dann will ich Eure Hoheit nicht länger stören“, rief er ironisch und schmiss die Tür hinter sich zu. Mit diesem lauten RUMPS war das Gespräch beendet und für Lucille fühlte es sich so an, als wäre es nicht nur das. Nun brach Lucille vollends zusammen. Sie rutschte an einem Küchenschrank hinunter und ließ den Tränen freien Lauf. Sofort trat Francoeur an ihrer Seite, hob sie vom Boden auf, als wöge sie nicht mehr als eine Feder und setzte sie an einen der Stühle des Esstisches. Heulend saß sie da, vorn über gebeugt, das Gesicht in den Händen verborgen. Traurig blickte Francoeur auf sie hinunter. Sein Herz schmerzte bei dem Anblick. Er konnte es nicht ertragen seine Freundin so leiden zu sehen. Er setzte sich auf den Boden um auf ihrer Höhe zu sein, nahm ihre Hände von ihrem Gesicht und blickte sie an. „Grarr. Er wird wieder kommen“, sagte er und wischte ihre Tränen weg. Eine Grimasse ihrerseits zeigte ihm das sie versucht war ihn anzulächeln, doch gelang es ihr nicht. „Das ist lieb... das du … das sagst, aber... ich bin nicht sicher ob ich das will“, schluchzte sie. Noch ehe Francoeur noch etwas erwidern konnte ließ sie sich nach vorne fallen, schlang die Arme um seinen Hals, so das sein großer Hut herunter fiel und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Es war keineswegs eine Erleichterung für sie das Raoul fortgegangen war, doch spürte sie seit geraumer Zeit das es für sie beide, so keine Zukunft geben konnte. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Zudem gab es wegen ihren Auftritten immer wieder Streit. # Zu Anfang war Raoul noch gern zu jeder ihrer Vorstellungen gekommen, doch schon lange war sein ehemaliger Stammplatz fremd besetzt und ließ er keine Möglichkeit aus zu zeigen das er ihren Erfolg neidete. Immer wieder begann er Streit und kam mit seinen eifersüchtigen Fragen. Wo warst du so lange? Warum bist du nicht direkt nach Hause gekommen? Wer hat dich aufgehalten? Wie heißt er? Selbst die Vorstellung das Lucille einen anderen hätte, war für Raoul nicht unmöglich. Und das verletzte Lucille am meisten. Francoeur legte seine Arme um Lucille und strich ihr liebevoll über den Rücken. „Es wird alles gut, brrr.“ Lucille reagierte gar nicht darauf. Doch verständlich wenn sie vor den Trümmern ihres Lebens steht. Ihrer Beziehung. Ihrer Liebe zu ihrer Jugendliebe aus Kindertagen. Noch lange wollte sich Lucille nicht beruhigen, so trug er sie auf ihr Bett und ließ zu das sie sich weiterhin an ihn drückte und seinen schicken Anzug vernässte. Er wollte das sie für ein paar Stunden zur Ruhe kam, doch so half es nichts. Also entschied er sich dazu, einen seiner neuen Kompositionen vorzusingen. Nachts erwachen alle deine Sinne Träume wachsen, Zweifel halten inne Frei von Ängsten steigen Gefühle aus dem Schweigen Francoeur glaubte bereits zu spüren wie sich der verkrampfte Körper Lucilles entspannte und streichelte ihr weiter über den Rücken um ihr zu zeigen, das sie nicht allein war. Fühl den duklen Schleier, der dich streichelt Fass ihn, spür ihn, wie er dich umschmeichelt Schütze dein Gesicht Vor dem grellen Tageslicht Denk an nichts mehr, was die Seele traurig macht Und höre nur noch die Musik der Nacht Die Abstände der Schluchzer wurden immer größer und Lucille war nun vollends entspannt und schloss die Augen. Schließ die Augen und gib dich deiner Sehnsucht hin Flieh weit fort vor dem Zweifel und dem Tag Schließ die Augen und schweb im Geíst davon Und verlier dich im Reich der Illusion Leise wird Musik in dir erklingen Hör sie, lass sie zärtlich dich durchdringen Lös dich von der Welt Die dein Herz gefangen hält Widerstrebe nicht der unbekannten Macht Den dunklen Drängen der Musik der Nacht Für einige Sekunden war Lucille abgedriftet und wurde nicht mehr von ihrem schmerzenden Herz gequält. Durch das Zucken in ihrem Körper, welches sie manches Mal verspürte wenn sie gerade einschliff wurde sie aufgerüttelt. So rutschte sie an ihm herunter und legte ihren Kopf auf Francoeur's Schoß. Wir reisen in eine and're Wirklichkeit Wo die Seele sich reinigt und befreit Lass dich treiben, lass alles hinter dir Denn erst dann wirst du ein Teil von mir Lucille war eingeschlafen. Vorsichtig legte Francoeur die Decke über ihren Körper. Komm und spür den süßen Rausch des Schwebens Komm, berühr mich, trink vom Quell des Lebens Lass den Traum geschehen Versuche zu verstehen Durch zärtliche Musik in mir erwacht Und such mit mir nach der Musik der Nacht Noch eine Weile betrachtete Francoeur die friedlich schlafende Lucille. Seit einiger Zeit betrachtete er sie sehr gerne und liebte es wenn sie lächelte und sie Grübchen bekam. Dann fühlte er sich glücklich und nichts konnte den Tag versauen. Es sei denn es gab wieder Streit mit Raoul und sie wurde traurig oder war wütend. Aber wenn sie alleine waren ging es ihr gut. Wenn sie mit ihm sang oder ihm beim Spielen eines Instrumentes zuhörte strahlte sie hell von Innen heraus und konnte sich nichts mehr anderem widmen. Es war als würde sie sich in einer anderen Welt befinden, die nur sie betreten konnte, ein geheimer Ort. Mit klopfendem Herzen befreite er sich von ihr, legte ihr ein Kissen unter den Kopf und betrachtete sie noch eine Weile. Sie war so schön. Das war ihr erst Wochen nachdem er wieder dank des Tranks des Professors vergrößert wurde aufgefallen. Seitdem hatte sich so einiges verändert. Nicht die Größe war anders, oder fühlte sich anders an, als davor, als er vergrößert war. Körperlich hatte sich nichts geändert. Aber innerlich war alles so kompliziert und unbekannt. Als hätte seine Gefühlswelt zuvor auf ein Löffel gepasst und nun nicht mal eine Vase genug war. Alles war so viel und reichhaltig, durcheinander und auch Schwankungen waren nun Teil seines Alltags. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, löschte das Licht und ging zur Tür. Einmal noch drehte er sich zu ihr um, ehe er die Tür schloss. Diese Nacht würde er noch lange wachen, denn ihm war gerade ein neues Lied in den Sinn gekommen. Ein ganz besonderes. Eines für Lucille. Fortsetzung folgt . . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)