Finera - Dawn of the Dark von Kalliope ================================================================================ Kapitel 31: Herbstwind ---------------------- 19. November Rain Seit dem Vorfall in Milenas Labor war genau ein Monat vergangen. Rain zog sich den flauschigen Wollschal tiefer ins Gesicht, als sie sich gegen den Herbstwind durch die Straßen von Illumina City kämpfte und das Café ansteuerte, das Camille ihr eine Stunde zuvor via ComDex genannt hatte. Flache Pfützen auf den Straßen zeugten noch von dem schweren Regenschauer, der am Vormittag gewütet hatte, doch nun zeigte sich die Sonne immer mal wieder hinter den grauen Novemberwolken. Als sie eintrat, klingelte ein Glöckchen über der Tür und sowohl Camille als auch eine Kellnerin schauten auf. „Rain!“ Camille sprang auf und zog ihre Freundin in eine kräftige Umarmung, dann ließ sie sie wieder los und bugsierte sie an den Tisch in der Ecke. „Ich freue mich ja so, dass wir uns endlich wiedersehen!“ Rain erwiderte das Lächeln nicht ganz so überschwänglich, freute sich aber ebenfalls und streifte den Wintermantel ab, den sie sich von ihrem ersten Gehalt gekauft hatte. „Ich freue mich auch. Wann bist du angekommen?“ „Gestern Abend.“ Camille fuhr sich durch das braune Haar, das durch die hohe Luftfeuchtigkeit nun stark gewellt war und wie ein Wischmopp in alle Richtungen stand; dennoch schien sie sich daran nicht zu stören. „Es war so eine tolle Reise, du hättest wirklich mitkommen sollen.“ Die ganze Zeit über hatte sie Rain täglich Nachrichten auf den ComDex geschickt und ihr dadurch mitgeteilt, was sie bei ihrer Bildungsreise erlebte. Interessant klang es allemal, aber es war nicht ganz Rains Interessengebiet und das wussten sie beide. Rain nickte daraufhin lediglich und betrachtete Camille genauer. Es fielen ihr zwei Dinge ins Auge: Elfun war in seinem Pokéball und dazu hatten sich zwei weitere Pokébälle gesellt. Moment … Zwei? „Du hast gar nicht erzählt, dass du zwei neue Pokémon hast.“ Enttäuschung machte sich in ihrem Gesicht breit. „Und wieso ist Wolli in seinem Pokéball?“ „Das sollte eine Überraschung sein“, verkündete Camille und begann wieder so breit zu lächeln wie ein Sonnflora. „Mein Vater hat mir ein Fossilpokémon zur Aufzucht überlassen, das hatte ich dir ja bereits erzählt. Es hat sich dann durch Zufall ergeben, dass ich ein zweites Fossilpokémon bekomme, weil die andere Forscherin, die sich darum kümmern sollte, krankheitsbedingt ausfällt. Bei ihren Pokémon hat sich Wolli dann leider auch mit der Pokémongrippe angesteckt, deshalb hat Schwester Joy ihm die Ruhe im Pokéball verordnet. Wolli gefällt das natürlich nicht, aber im Moment ist der kleine Flauschball so müde, dass sie ohnehin alles verschläft.“ „Also hast du jetzt zwei Fossilpokémon.“ „Aufregend, nicht wahr? Ich stelle dir die beiden nachher gerne vor, aber hier drinnen kann ich sie nicht aus ihren Bällen lassen. Marino, mein Amarino, ist sehr scheu und fühlt sich unter so vielen Menschen nicht wohl. Flix, mein Flapteryx, ist das genaue Gegenteil, aber er ist so ein Wildfang, dass er vermutlich ein großes Chaos anrichten würde.“ Die Art, wie Camille sprach, ließ vermuten, dass sie bereits derartige Erfahrungen mit ihren beiden neuen Pokémon gemacht hatte. „Ein Amarino und ein Flapteryx also. Da werden dich einige Trainer mit Sicherheit beneiden, weil Fossilpokémon so selten sind und bei richtigem Training starke Partner werden können. Wobei ich mir bei dir in Sachen Training ja keine Sorgen machen muss.“ Grinsend streckte Rain ihr die Zunge raus. Camille lachte auf. „Du bist mir immer noch böse, weil ich dir damals nicht gesagt habe, dass Wolli schon über Level 30 ist, nicht wahr?“ Rain zuckte mit den Schultern. „Schwamm drüber. Lass uns bestellen, ich bin total durchgefroren. Diese Herbststürme im Moment sind wirklich unangenehm.“ „Da gebe ich dir Recht.“ Beide winkten die Kellnerin heran und gaben ihre Bestellungen auf: Kakao und Schokoladenkuchen, passend zur kalten Jahreszeit. Eine Weile aßen sie stillschweigend vor sich hin, dann ergriff Camille wieder das Wort. „Wie geht es Ninja?“ „Ach ja …“, antwortete Rain ausweichend und beschäftigte sich auffällig lange mit ihrem Kuchenstück. „Es geht. Wenn ich daran denke, wird mir noch immer schlecht. Es ist schon ein Monat her, aber Ninja ignoriert mich noch immer.“ „Es ist erst einen Monat her“, verbesserte Camille sie und seufzte. „Versetz dich doch mal in seine Lage. Er wurde zur Entwicklung gedrängt, ohne dass sein Körper von alleine den dafür nötigen Level erreicht hat. Das ist bestimmt eine ganz große Kopfsache und Ninja muss das alles erst verarbeiten. Ich bin mir sicher, dass er dir bald verzeihen wird und sich wieder von dir trainieren lässt.“ „Ich hoffe es. Milena hat die ganze Zeit nichts mehr dazu gesagt, ich bin so wütend auf sie gewesen.“ „Jetzt nicht mehr?“ „Ich weiß nicht … Ihre Erfindung hat Potenzial und es war alleine meine Schuld. Sie hat mich nicht dazu gezwungen, dass ich mich in ihr Labor schleiche und heimlich die Maschine ausprobiere. Nein, damit muss ich alleine klarkommen.“ „Hm…“ Camilles Haare wippten auf ihren Schultern auf und ab, als sie minimal den Kopf schüttelte und ihren heißen Kakao schlürfte. „Es ist deine Entscheidung. Wie lange willst du eigentlich noch für sie arbeiten? Wenn ich ehrlich bin, hätte ich gleich nach dieser Sache meine Koffer gepackt und wäre abgehauen.“ „Sie bezahlt mich gut und ich lerne wirklich viel. Die anderen Forscher sind alle sehr nett und erklären mir alles, was ich noch nicht verstehe. Eine bessere Vorbereitung für die Universität kann ich mir nicht vorstellen.“ „Falls du überhaupt etwas in dieser Richtung studieren willst“, fügte Camille hinzu. „Anderes Thema. Hast du auch davon gehört, dass in den letzten Wochen vermehrt Gestalten gesichtet wurden, die an Team Dark erinnern? Wenn ich daran denke, dass diese Schurken zurückkehren könnten, läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Ich finde es schon seltsam, dass ausgerechnet jetzt Gerüchte aufkommen, dass Team Dark sich neu formiert.“ „Wie meinst du das?“ „Milenas Unternehmen hat fast seinen alten Einfluss zurück. Es gibt keinen größeren Hersteller im Bereich der medizinischen Geräte und Versorgung der Pokémoncenter. Sie war schon einmal der Kopf dieser Organisation, wieso sollte sie nicht …“ „Du spinnst“, unterbrach Rain sie mit scharfem Ton. „Milena hat mit dieser ganzen Sache nichts mehr zu tun. Sie hat ihre Fehler eingesehen und widmet sich jetzt nur noch ihrer Forschung. Guter, ehrlicher Forschung, mit der sie den Pokémon helfen möchte.“ Camille zog die Augenbrauen fest zusammen. „Hörst du dir eigentlich selbst zu? Was daran soll gut und ehrlich sein, wenn du selbst ein Pokémon besitzt, das mit den Folgen ihrer neusten Erfindung zu kämpfen hat? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie dich einer Gehirnwäsche unterzogen hat.“ Rain ließ die Gabel klirrend auf den Teller fallen. „Niemand hat mich einer Gehirnwäsche unterzogen“, stellte sie kühl klar und schnappte sich ihren Schal. „Das muss ich mir von dir nicht sagen lassen, Camille.“ „Rain, jetzt warte doch mal …“ Doch Rain wartete nicht. Sie wickelte sich den Schal um den Hals, schlüpfte in Rekordgeschwindigkeit in ihren Mantel, legte einen Schein auf den Tisch und stapfte zurück in den kalten Herbstwind. Milena war nicht mehr die fehlgeleitete Forscherin von früher – und wenn Camille ihr das nicht glaubte, würde sie es ihr eben beweisen müssen. Hosted by Animexx e.V. 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