Finera - Dawn of the Dark von Kalliope ================================================================================ Kapitel 25: Tief Engelbert -------------------------- 10. Oktober - Rain - Am nächsten Morgen verdeckten graue Wolken den bis dahin stets blauen Himmel und auch die Temperaturen waren von einem Tag auf den anderen um gute zehn Grad gesunken. Im Wartebereich des Pokémoncenters, der mit weichen Loungesesseln und kleinen, kreisrunden Beistelltischen ausgestattet war, liefen gerade die Nachrichten, als Rain und Camille nach dem Frühstück aus dem Speisesaal kamen. „Kommen wir nun zum Wetter. Hoch Tiffany hat sich entgegen der Prognosen innerhalb der letzten Nacht aus Zentralkalos verabschiedet und schwächt sich von Stunde zu Stunde auf dem Weg nach Norden soweit ab, dass es gegen Abend aufgelöst sein wird. Stattdessen hat nun Tiefdruckgebiet Engelbert seine frostigen Hände fest um Kalos gekrallt. – Was ein Wortspiel, Sally, haha! – Danke, Simon. Die für heute zu erwartenden Tageshöchsttemperaturen liegen bei durchschnittlich zwölf Grad, also packt die Sandalen und Sommerkleider wieder ein, Leute, uns erwarten auch in den nächsten Tagen kalte Oktoberschauer und eisige Winde.“ Camille schüttelte den Kopf und ihre blasse Porzellanhaut wirkte ohne den strahlenden Sonnenschein kalt und fahl. „Schade, ich hatte mir doch gestern extra noch ein neues T-Shirt gekauft.“ Sie zog eine Grimasse und knöpfte ihre dunkle Strickjacke auf, unter der ein kanariengelbes T-Shirt zum Vorschein kam. Vorne war der Kopf eines Pikachu abgebildet und darüber der Spruch Harpy‘s got ya! in roten Lettern. „Ich sollte mir wohl besser einen Pullover anziehen gehen.“ Rain zog eine Augenbraue nach oben, als sie das T-Shirt sah. Sie konnte den Spruch nicht zuordnen, aber auf dem Weg zu ihrem Doppelzimmer erklärte Camille ihr, dass sich der Spruch auf das starke Pikachu von Major Bob bezog, der trotz seines hohen Alters noch immer Arenaleiter von Orania City war. „Er ist so ein zäher Kerl, wahrscheinlich wird er auch in zehn Jahren noch Trainern das Leben zur Hölle machen.“ Camille grinste und drückte die Tür zu ihrem Zimmer auf. „In meiner Heimat Kanto sind er und sein Team berühmt-berüchtigt. Ich habe gehört, dass manche Trainer sogar erst nach Prismania City gehen, um dort den vierten Orden zu erkämpfen, damit sie bessere Chancen gegen Major Bob haben, obwohl er den dritten Orden vergibt.“ „Was ein Glück, dass man nicht zwingend an die Reihenfolge der Orden gebunden ist.“ Wobei es natürlich besser war, wenn man sich daran hielt, denn die Arenaleiter setzten von Orden zu Orden Pokémon auf höheren Leveln ein. Vermutlich war ihre Schwester Summer auch gerade auf dem Weg zur zweiten Arena von Kalos. Nachdem sich die beiden Mädchen umgezogen hatten, traten sie hinaus in die Kälte und die Wetterfrau Sally hatte nicht gelogen. Der eisige Wind fuhr durch jede Kleidungsritze hinein und schon nach einer halben Stunde waren sowohl Camille als auch Rain durchgefroren, sodass sie sich in eines der vielen Cafés flüchteten. „Man sollte meinen, dass so ein Wetter für Oktober vollkommen normal ist, aber bis gestern hatten wir noch sommerlichen Temperaturen. Das ist wirklich gemein.“ Camille bibberte vor sich hin und kaufte einen heißen Kakao, um sich daran aufzuwärmen. Rain hingegen verzichtete auf einen Kakao, denn ein Blick in ihr Portemonnaie erinnerte sie daran, dass sie dank Summer nun mit weniger Budget auskommen musste. „Wie lange werden wir eigentlich hier in Illumina City bleiben?“ „Keine Ahnung“, stieß Camille zwischen zwei hastigen Schlucken hervor. „Ich kann reisen, wohin ich möchte, solange ich nächstes Semester wieder zurück an der Uni bin. Wie sieht es mit dir aus?“ Schulterzuckend verließ Rain neben Camille das Café und fand sich sogleich wieder in der Kälte wieder. „Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht.“ Das stimmte sogar, denn als sie letzten Monat von zu Hause abgehauen war, wollte sie einfach nur weg. Sie wollte ihre Pokémon trainieren und stärker werden, aber zu den Orden der Region zog es sie nicht unbedingt. Sie wollte sich weiterbilden, Wissen sammeln und ihren Charakter weiter formen, nicht nur stumpfsinnig gegen die Arenaleiter antreten. „Meine Eltern haben mein Taschengeld gekürzt, ich werde mir vorerst irgendwo einen Aushilfsjob suchen müssen und dann … mal sehen.“ „Illumina City liegt praktischerweise sehr zentral. Von hier aus kann man ganz Kalos bereisen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich von hier aus meine Exkursionen plane, dann sehen wir uns, wann immer ich hier bin – falls du vorhast, in den nächsten Monaten hier zu bleiben, versteht sich.“ Einen Moment lang dachte Rain darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es wirklich noch nicht.“ Nachdenklich kaute Camille auf ihrer Unterlippe herum. „Die ganzen Sehenswürdigkeiten in Illumina habe ich schon gesehen, ich denke, mich wird es spätestens nächste Woche an einen anderen Ort ziehen. Cromlexia, denke ich. Die vielen Steine dort interessieren mich, außerdem forscht dort ein Bekannter meines Vaters. Ich werde ihm einen Besuch abstatten und vielleicht kann ich Paps dazu überreden, dass er mir endlich das Fossilpokémon schickt, von dem er ständig spricht. Komm doch mit?“ „Das ist lieb von dir, aber ich denke, ich bleibe vorerst hier. Mir gefällt Illumina City, die Stadt ist das genaue Gegenteil von Honey Island. Hier sind überall Menschen, an jeder Ecke ist etwas los, außerdem war ich noch gar nicht in der Stadtbibliothek und in den Museen.“ „Dann werden wir uns wohl vorläufig trennen.“ Einen Augenblick lang übermannte Traurigkeit Camilles hübsches Gesicht, doch dann hellte es sich wieder auf und sie begann eine Melodie aus einem Werbespot zu summen. „Ich bin echt froh, dass wir uns auf dem Weg nach Kalos getroffen haben, Rain. Du bist eine gute Freundin, aber wenn die Zeit kommt, muss jede von uns ihren Weg gehen. Ich bin nicht traurig, weil ich alleine weiterreisen werde, immerhin können wir uns jeden Tag via ComDex schreiben und wir sehen uns ja wieder. Bis dahin unternehmen wir einfach was zusammen.“ „Klingt nach einem guten Plan.“ Rain nickte, war jedoch gedanklich nur halb bei der Sache. „Natürlich ist es ein guter Plan, schließlich ist der von mir!“ Am Nachmittag hatte Rain sich alleine auf den Weg in die Stadt gemacht. Camille hatte das Bildtelefon im Pokémoncenter in Beschlag genommen und telefonierte sämtliche Freunde und Bekannte ab, wovon sie eine Menge hatte, denn die Liste, die sie sich geschrieben hatte, war beinahe eine Seite lang. Mit einem neu gekauften Regenschirm bewaffnet kämpfte Rain sich durch die Straßen, die trotz des Wetters voll waren, auch wenn die Menschen nun hektischer und schneller liefen als sonst und auch kein schallendes Gelächter aus den Cafés nach außen drang. Alle schienen unter dem plötzlichen Wetterwechsel zu leiden und bekämpften die Stimmung jeder für sich. Das Café, in dem Rain sich zuerst nach einem Nebenjob erkundigt hatte, brauche keine Aushilfe. Auch in zwei weiteren Cafés sah es nicht besser aus und bei der Tageszeitung ließ man sie gar nicht erst weiter als bis zur Rezeption. Trotzdem gab sie nicht auf und stapfte durch den Regen. Am Anfang ihrer Suche war sie noch wählerisch gewesen, doch nach den ersten Stunden verflüchtigte sich dieses elitäre Denken und sie fragte in jedem Geschäft nach, das ihr halbwegs passend vorkam. Überall lehnte man sie ab, schickte sie fort und nur selten waren die Ladenbesitzer wirklich freundlich dabei. Es schien, als hätte der Regen die Gemüter getrübt. Rain lief den gesamten Nordring der Stadt ab. Der Bahnhof von Illumina nahm keine jugendlichen Aushilfskräfte, seit es immer wieder zu Problemen mit örtlichen Gang-Streitigkeiten kam. Das Kunstmuseum wies sie ab und in das Grand Hôtel Pique Faîne traute sich Rain schon gar nicht mehr, da der Portier ihr einen dermaßen vernichtenden Blick zuwarf. Sie schaute an sich herab und konnte es ihm nicht verübeln. Trotz Regenschirm war sie durchnässt, ihre Schuhe schmatzten bei jedem Schritt und waren mit Wasser vollgesogen und ihre Jeans war dreckig. Trotzdem gab sie nicht auf, schlurfte weiter zum Südring. In der Nähe des Pokémonlabors gab es mehrere Hochhäuser und fulminante Glasbauten und bei einem von ihnen blieb Rain einer inneren Eingebung folgend stehen. Das Gebäude schien einen nahezu quadratischen Grundriss zu haben, lag etwas versetzt zu den anderen Gebäuden und ein gut drei Meter hoher Stahlzaun umgab das gesamte Gelände. Alle der gut fünfzehn Stockwerke waren dunkel verglast, man konnte nicht erkennen, was sich im Inneren befand. Ein gut einen halben Meter breites Stahlschild neben dem Eingang nannte den Namen der Firma, die sich hier befand: Mai Technologies. Mai … Konnte das sein? Rain benetzte ihre Lippen und starrte weiterhin auf das Schild. Vor knapp dreißig Jahren war Milena Mai die Anführerin von Team Dark und die Besitzerin von Mai Pharmaceutics gewesen. Ihre Forschungen hatten den Grundstein für Team Dark gelegt, auch wenn Milena Mai während der Gerichtsverhandlungen immer beteuert hatte, dass sie alles für einen höheren Zweck getan hatte. Rain hatte nie geglaubt, dass diese Frau so böse war wie einst Giovanni und Team Rocket. Milena Mai war eine brillante Wissenschaftlerin und hatte Pokémon von allen Krankheiten heilen wollen, nur ihr Weg war nicht der richtige gewesen. Rain überlegte nicht länger. Sie spannte ihren Regenschirm zusammen und trat durch das schmale Eingangstor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)