Finera - Dawn of the Dark von Kalliope ================================================================================ Kapitel 15: Kitty ----------------- 4. Oktober - Rain - In der Nacht war zweimal die Sprinkleranlage angegangen, ohne dass es einen Brand gab. Schwester Joy war vollkommen überfordert und hantierte mit einem Werkzeugkasten herum, während sie versuchte die Trainermeute zu beruhigen, die sich murrend und meckernd um sie versammelt hatte. Mittlerweile dürfte es im Pokémoncenter keinen trockenen Fleck mehr geben und zusammen mit einigen anderen Trainern hatte Rain in den frühen Morgenstunden ihr Zeug gepackt und war gegangen. Das Pokémoncenter würde ohnehin für die nächsten Tage gesperrt werden, hatte Schwester Joy gestresst verlauten lassen. Ziellos zog Rain durch die Straßen von Illumina City. Es war noch dunkel, aber der Himmel änderte bereits langsam seine dunkle Farbe zu einem helleren Ton, der das baldige Morgengrauen ankündigte. Die ersten Menschen huschten mit verschlafenen Gesichtern durch die engen Gassen und breiten Alleen, aber Rain schenkte ihnen keine Beachtung. Sie war übermüdet und trotzdem hellwach. Ihre Gedanken kreisten um den Kampf zwischen Kitty und Rocco, so lautete der Name des Sichlor-Trainers. Nachdem allen Anwesenden klar gewesen war, was in dem Kampf geschehen war, hatte Schwester Joy sich endlich einen Weg zu den beiden bahnen können. Sie war vollkommen außer sich gewesen – noch nie hatte Rain erlebt, dass eine Schwester Joy dermaßen austicken konnte. Das Ende vom Lied war, dass Kitty und Rocco ihre Trainerlizenz verloren, ein Hausverbot für alle Pokémoncenter in Illumina City und ein lebenslanges Verbot für den Wiedererwerb der offiziellen Lizenz bekamen. Beide würden nie wieder gegen Arenaleiter kämpfen und Orden gewinnen können. Rain fand die Strafe angemessen. Als die ersten Cafés öffneten, kaufte Rain sich von ihrem Ersparten eine große Tüte mit Marzipancroissants, heißer Schokolade und Tamotbeerenplunder. Billig war der ganze Spaß nicht, aber nach dieser Nacht brauchte sie einfach etwas, was sie aufmunterte. Während sie das erste Croissant verspeiste, schlenderte sie durch die Straßen und bemerkte im Augenwinkel etwas. Nein, nicht etwas – jemanden. Ihre Augen wurden groß, als sie ausgerechnet Kitty auf einer Parkbank kauern sah. Ohne dies willentlich zu beeinflussen, steuerten ihre Beine bereits auf die braunhaarige Trainerin zu. Kitty schluchzte bitterlich, zitterte am ganzen Körper und presste den dunklen Rucksack fest an ihren Bauch. „Hier.“ Rain hielt ihr die Papiertüte mit dem Frühstück hin, doch Kitty reagierte nicht. „Hey, Kitty, ich rede mit dir.“ Die Trainerin blickte auf. Ihre Augen waren knallrot und verquollen, was einen gruseligen Gegensatz zu ihren giftgrünen Iriden schaffte. Noch einmal schluchzte sie, griff dann nach einem Taschentuch und schnäuzte lautstark. „Was willst du?“ Jegliche Angriffslust war aus ihrer Stimme verschwunden. „Wenn du dich über mich lustig machen willst, verschwinde.“ Rain blickte einen Moment lang gen Himmel, dann ließ sie sich neben Kitty auf der Parkbank nieder, angelte ein Plunderstück aus der Tüte und drückte es ihr in die Hand. „Du siehst ziemlich scheiße aus, wenn ich das mal so sagen darf.“ Kitty beäugte das Essen misstrauisch, biss dann jedoch davon ab, kaute und nahm einen noch größeren Bissen. Durch die Tamotbeere schmeckte das süße Gebäck zusätzlich scharf, doch das Brennen auf Lippe und Zunge hielt nur kurz es. Es schien Kitty zu schmecken. „Hast du die ganze Nacht hier draußen auf der Bank verbracht?“ Als Kitty stumm nickte, schaute Rain zu Boden. Sie hatte Kitty nicht gerade als freundlich erlebt, aber jetzt sah sie einfach nur aus wie ein Häufchen Elend, das Hilfe brauchte. Ihre Hilfe. „Also gut, ich sag dir jetzt mal was. Das, was du und Rocco gemacht haben, war verantwortungslos, unreif und es ist nur recht und billig, dass Schwester Joy euch beiden die Lizenz entzogen hat. Trainer lassen ihre Pokémon niemals bis aufs Blut oder sogar bis zum Tod kämpfen. Niemals.“ Bei ihren Worten zuckte Kitty zusammen und neue Tränen landeten mitten auf dem Plunderstück, doch Rain fuhr unbeirrt fort. „Aber – und ich hätte vor ein paar Tagen nicht gedacht, dass ich das mal so sagen werde – ich denke, dass du eigentlich eine sehr gute Trainerin bist. Du hast Fiaro sehr gut trainiert und es so stark gemacht, dass du nur mit ihm die ersten vier Orden von Kalos erkämpfen konntest. Wieso also hast du zugelassen, dass Sichlor stirbt? Wieso hast du Fiaro nicht zurückgehalten? Das war nicht einfach nur ein Kampf, weil Rocco blöde Sachen zu dir gesagt hat, da steckt mehr dahinter oder?“ Es dauerte noch einige Minuten, bis Kitty aufgegessen hatte. Sie rieb die Krümel von ihren Händen ab, klopfte auf ihre schwarze Hose und schaute Rain direkt an. „Rocco und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten. Er ist so ein Arschloch. Immer war er besser als ich. Immer hat er auf mir herumgehackt. Sichlor hier, Sichlor da. Dartiri und ich haben Tag und Nacht trainiert, aber als ich mir sicher war, dass wir eine Chance hatten, war er bereits losgezogen, um die Orden zu sammeln. Weißt du, wie es ist, wenn man das jüngste von sieben Kindern ist und nie die Chance bekommt, sich zu beweisen?“ Ein Funken von dem Kampfeswillen kehrte in ihren Blick zurück. „Meine Geschwister waren immer älter, größer, besser als ich und dann auch noch Rocco. Ich wollte doch einfach nur zeigen, dass in mir mehr steckt, dass ich auch eine gute Trainerin sein kann – die beste, wenn es sein muss.“ Rain nickte. Mittlerweile knabberte sie an ihrem zweiten Croissant. „Ob du es glaubst oder nicht, aber ich verstehe, wie du dich fühlst. Ich habe eine Zwillingsschwester, die immer im Mittelpunkt steht. Immer geht es um sie, nie um mich. Nicht, dass mir das wichtig wäre, aber ich möchte, dass mein Name auch etwas wert ist. Irgendwann wird man sagen: ‚Da kommt Summer Light, die Profi-Trainerin.‘ Und was sagt man über mich?“ Kitty erwiderte ihren Blick. „Ich wollte nie, dass Sichlor stirbt. Alles, was ich wollte, war zu gewinnen. Mehr nicht. Rocco zeigen, dass ich besser bin als er“, sagte sie leise und mit brüchiger Stimme. „Wenn ich könnte, würde ich es sofort rückgängig machen. Ich bin nicht das Monster, das die anderen Trainer in mir sehen.“ „Ich weiß, Kitty.“ Eine Weile saßen sie noch schweigend nebeneinander, teilten das Frühstück und verabschiedeten sich, als sie getrennte Wege gingen. Rain wusste nicht, was Kitty jetzt tun würde, aber sie dachte noch lange darüber nach. Was würde sie an ihrer Stelle tun? Jedenfalls würde sie nicht zurück nach Hause gehen zu sechs älteren Geschwistern, denen sie gestehen musste, dass sie ihre Trainerlizenz verloren hatte. Kitty war keine Versagerin und genau das war auch Rain nicht. Sie würde etwas aus ihrem Leben machen, was Bestand hatte. Etwas, was so groß und bedeutend war, dass man sich immer an Rain Light erinnern würde. Rain wusste nicht, was dieses große und bedeutende Etwas war, aber sie wusste, dass die Chance dafür kommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)