Paper Heart von Naoki_Ichigo (Das aus Worten kreierte Herz) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2: "Und wenn du dich zu Tode liest, ist mir doch egal!" -------------------------------------------------------------------------- Regungslos stand Malik da und starrte seinen Gegenüber an. Was sollte er jetzt tun? Der andere machte ebenfalls nichts. Wahrscheinlich wusste jener genauso wenig, was nun zu tun war. Immer wieder wanderte der Blick des jungen Ägypters über den Körper des Fremden und landete schlussendlich jedes Mal bei der Waffe, die sich in der rechten Hand des anderen befand. Er musste schlucken. Als er vor einigen Wochen mal aus reiner Langeweile so durch das Internet gesurft war, war er auf ein paar Seiten gestoßen, auf denen man sogenannte "Fanfiktion"s veröffentlichen konnte. Kurz gefasst waren "Fanfiktion"s Geschichten von Fans für Fans. Es gab ganz viele Bereiche: Videospiele, Serien, Kinofilme, Bücher und so weiter, über die man eine dieser Geschichten schreiben konnte. Neugierig wie er nun mal war, hatte er natürlich gleich mal nachgeschaut, ob es auch zu "Kirâ" etwas gab, was auch der Fall gewesen war. In einer Geschichte ging es darum, dass Bakura plötzlich bei einem Mädchen - sie wurde Lea, dann kamen ganz viele unmögliche Namen, die sich kein normal Sterblicher merken konnte, Star genannt. Ein vollkommen bescheuerter Namen! Wieso konnten die Kinder heutzutage keinen normalen Namen haben? Früher ging das doch auch. Nun gut, schlimmer als diese Lea, war die Rechtschreibung und die Grammatik - Logik war vom ersten Satz an nicht vorhanden. Wieso er sich das Ganze dann doch durchgelesen hatte? Weil es ihn irgendwie interessiert hat, wie Bakura denn in die reale Welt kommen konnte und wie das Mädchen und der Attentäter reagieren würden, wenn sie sich begegnen. Aber genau genommen, war das ein totaler Schwachsinn, was die Autorin da geschrieben hatte. Die hatte einfach keine Ahnung! "Wer bist du?", traute sich der Blondschopf dann doch endlich zu fragen. Schweigen. Hm, vielleicht sollte er sich selbst erst einmal vorstellen, bevor er den anderen fragte, wer er denn sei. "Ich bin Malik. Und du?" Ein erneuert Versuch. Irgendwie kam er sich reichlich bekloppt vor. Sein Herz pochte schneller als üblicherweise, aber ihn verwunderte das herzlich wenig. "Bakura." Malik wurde plötzlich ganz heiß. Bakura. Nervös kaute der Oberschüler auf seiner Unterlippe herum. Eine schlechte Angewohnheit. Und was jetzt? Er hatte "Kirâ" aufmerksam durch gelesen, er wusste, dass Bakura unzählige Menschen auf dem Gewissen hatte - auch wenn jene nur in dem Buch existiert hatten. Der Weißhaarige war ein Mörder! "Eizô Bakura?", fragte Malik leise nach. Seine Stimme wollte mit einem Mal nicht mehr, so wie er. "Ja." Die Antwort war mit einer Härte und Bedrohlichkeit ausgesprochen, die dem Ägypter einen Schauer über den Rücken jagte. Er konnte verstehen, dass Bakura so reagierte. Immerhin kannten sie sich nicht und Malik wusste einfach so den Namen des Braunäugigen. Er sollte vorsichtig sein! Langsam trat der Blondschopf ein paar Schritte zurück. Je mehr Abstand, umso besser. Es wäre gelogen gewesen, wenn Malik abstreiten würde, dass er sich tierisch über die Tatsache freute, dass Eizô Bakura in seinem Zimmer stand. Ein Teil von ihm freute sich, wie ein gestörter Gnom über diesen Sachverhalt, nur leider gab es da auch noch einen anderen Teil, der zur Vorsicht riet und Angst verspürte. Bakura war nun mal ein Mörder, da gab es kein "wenn" und kein "aber"! Außerdem war jener auch noch bewaffnet und Malik stand ziemlich schutzlos da. Nicht unbedingt beruhigend. Der Weißhaarige, welcher bis jetzt sehr ruhig gewesen war, schritt mit einem mal auf Malik zu. Jener stand mit dem Rücken zur Tür. Die Tür öffnete sich innen. Bakura versperrte dem anderen den Fluchtweg, in dem er seine Arme links und rechts von diesem platzierte. Seine Waffe hatte er eingepackt, da er wusste, dass Malik keine besaß. Ja, er wusste, dass der andere unbewaffnet war. Malik war etwas größer, als Bakura, wodurch der zuletzt Genannte zum Oberschüler aufsehen musste. Eine komische Situation. "Nun gut, Malik. Ich würde jetzt vorschlagen, du erklärst mir erst einmal was dieser Mist hier soll und ich werde mir dann überlegen, was ich mit dir mache", meinte Bakura. Er sprach in einem unfassbar ruhigen Ton, doch genau das machte die Sache so bedrohlich. Vor allem die roten Augen jagten dem Blondschopf einen erneuten Schauer über den Rücken. Er hatte es immer als cool empfunden, wenn Bakuras Augen ihre Farbe änderten. Manchmal hatte er sich während des Lesens gefragt, ob dies auch in der Realität möglich war - schwachsinnig. Jetzt, da er am eigenen Leib erfuhr, wie es sich anfühlte, in diese Augen zu sehen, hatte er Angst. Ganz langsam entfernte sich der Weißhaarige. Er wandte Malik dabei aber nicht seinen Rücken zu. Auch wenn hier alles aussah, als wäre es nur ein harmloses Jungenzimmer, würde er nicht unvorsichtig werden. Seine Feinde waren gerissen. Keiner von ihnen würde davor zurück schrecken einen Jungen, der wahrscheinlich noch nicht einmal eine Ahnung hatte, was auf ihn zu kommen sollte, dafür zu benutzten ihn zu vernichten. Als Bakura an seinem Ausgangspunkt angekommen war, sah er seinen Gegenüber abwartend an. Dieser brachte aber keinen Ton heraus, schien sogar das Atmen vergessen zu haben. Hatte Malik etwas so viel Angst vor ihm? Dafür gab es doch kaum einen Anlass. Er war doch noch recht nett zu dem Jungen gewesen. Seltsam. "Hey, Malik, atmen nicht vergessen." Erschrocken sah der Angesprochene auf. Ein durchaus amüsanter Anblick. "Also, was ist? Redest du jetzt, oder muss ich nachhelfen?" Bakura verabscheute es zu warten und er ließ auch nicht gerne auf sich warten. Zögerlich setzte sich Malik in Bewegung. Sein Ziel war das Buch, welches neben Bakura auf dem Boden lag. Er wusste nicht genau, wie er das alles hier erklären sollte, immerhin verstand er ja selbst nicht, was los war. Wie kam der Weißhaarige, Malik ging jetzt einfach mal davon aus, dass wirklich Eizô Bakura aus dem Buch "Kirâ" war, hier her? Wie kam eine fiktive Person in die Realität? Argwöhnisch wurde Malik beobachtet. Dachte Bakura, er wollte ihn in eine Falle locken? Hielt er ihn für einen Feind, eine Bedrohung? An seinem Ziel angekommen, ging er langsam in die Knie - eine zu schnelle Bewegung könnte sein Todesurteil sein - und hob das Buch auf. Hastig suchte er die Seite, auf welcher er das Lesen beendet hatte und zum Abendessen gegangen war. Als sie gefunden hatte sah er zu Bakura. Ob jener ihm seine Geschichte abkaufen würde? Wohl eher nicht. "Also weißt du, Bakura, so genau kann ich mir das hier auch nicht erklären", starte Malik seinen Versuch eine Erklärung abzuliefern, "Ich habe in diesem Buche eine Textstelle laut gelesen und dann bin ich zum Abendessen nach unten ins Esszimmer gegangen. Als ich wieder kam standest du bereits hier." Während er gesprochen hatte, hatte er dem anderen das Buch hingehalten und auf besagte Textstelle gezeigt. "In diesem Buch gibt es einen Charakter, der aussieht wie du und Eizô Bakura heißt." Misstrauisch nahm der Angesprochene das Buch entgegen und las sich die Passage aufmerksam durch. Malik kaute unterdessen wieder nervös auf seiner Unterlippe herum. "Ich weiß wirklich nicht, wie du hier her gekommen bist." Vielleicht sollte er nicht zu sehr darauf beharren, dass er unwissend war. Machte ihn das nicht unglaubwürdig, verdächtig? Es herrschte einige Sekunden Stille zwischen den beiden Jungen, die dem Schüler wie eine halbe Ewigkeit erschienen. "Du willst mir also allen Ernstes weißmachen, dass ich aus diesem Buch komme?" Ein Nicken. "Hältst du mich für bescheuert?" Kopfschütteln. Schweigen. "Nun gut, deine Erklärung ist derartig unrealistisch und verrückt, dass sie mir doch irgendwie einleuchtend erscheint." Das war jetzt eine unerwartete Aussage. Verblüfft sah Malik den anderen an. Meinte jener das jetzt ernsthaft oder war das nur ein schlechter Scherz? "Du glaubst mir?", fragte er daher sicherheitshalber nach. "Mehr oder weniger." Wie jetzt "mehr oder weniger"? "Hä?" "Nun, wirklich überzeugt bin ich nicht, aber seltsamerweise habe ich nicht das Gefühl, dass du mich anlügst." Das war verständlich. Der blonde Oberschüler erschrak, als Bakura mit einmal das Buch laut zu schlug und dieses auf das weiche Bett warf. "Genug geredet, ich werde mich jetzt hier ein bisschen umsehen und dann ein Bad nehmen. Du wirst derweilen einen Weg suchen, mich wieder in das Buch zu lesen. Ich rate dir von unüberlegten Handlungen sowie anderweitigen dämlichen Gedanken ab. Schlussendlich wirst nämlich du es sein, der dumm aus der Wäsche guckt, sofern es dir dann noch möglich ist." Eine klare Drohung, aber Malik hatte nicht vorgehabt irgendetwas anzustellen. Bakura war ein Mörder. "Hab verstanden." Zögerlich begab sich Malik zu seinem Bett und schlug "Kirâ" auf der ersten Seite auf. Zwar hatte er sowas von überhaupt keine Ahnung, wie er den Weißhaarigen zurück lesen sollte - er wusste ja nicht einmal, wie er ihn nun genau herausgelesen hatte -, aber im Moment war es wohl das Beste, wenn er einfach das tat, was man von ihm verlangte. "Wenn du willst, kannst du dir frische Kleidung aus meinem Schrank nehmen. Ich hab bestimmt ein paar Sachen, die dir passen." Sollte er Bakura vielleicht auch sagen, dass Isis und ihr fast Ehemann im Erdgeschoss waren? Und wenn er schon mal an die beiden dachte, was wenn sie den fremden, jungen Mann hier sehen würden? Wie sollte er das bitteschön erklären? Isis würde sich sicherlich nicht mit einem "Ich habe ihn aus dem Buch herausgelesen" zufrieden geben. Wortlos nickte Bakura und sah sich dann genauer in dem Schlafzimmer um. Gegenüber von der Tür stand unter dem großen Fenster ein Schreibtisch. Zu dessen Rechten ein kleiner Mülleimer und zur Linken, mit einem kleinen Abstand, das Nachtkästchen. Das Bett stand logischerweise links von dem kleinen Schränkchen und zugleich an der Wand, die aber nicht ganz durchgezogen war. Sie ging noch ein kleines Stücken nach dem Bettende weiter. Auf der anderen Seite der Wand befand sich eine Sitzgruppe und ein Fernseher, sozusagen ein kleines Wohnzimmer. Ging man an diesem geradewegs vorbei kam man zum Bad. Wenn man vom Müllereimer weiter nach rechts sah, entdeckte man einen Sitzsacke, der ganz einsam und verlassen in der Ecke ruhte und scheinbar darauf wartete, dass man ihn benutzte oder weggab. Ansonsten gab es auf der rechten Zimmerseite nicht viel zu sehen. Ein paar Schränke und eine Kommode, mehr nicht. In den Schränken standen massig Bücher und CDs. Auf der Kommode befand sich ein CD-Player, Kopfhörer, ein paar geöffnete CD-Hüllen sowie ein paar Kabel, die Bakura auf die Schnelle nicht benennen konnte. Er würde sich später damit beschäftigen. Eine Tür, die der Braunäugige seltsamerweise fast übersehen hätte, machte jenen neugierig. Was wohl dahinter war? Ohne lange zu überlegen, öffnete er sie einfach und war mehr als nur überrascht. In einem der Schränke, die im Zimmer standen, hatte er ein paar Kleidungsstücke entdeckt - natürlich hatte er sich darüber gewundert, dass der Junge so wenig besaß, aber nichts gesagt -, das hier schien aber der eigentliche Kleiderschrank zu sein. Für was brauchte ein Junge denn bitteschön so viele Hosen und Oberteile? Bei einem Mädchen hätte Bakura einen zusätzlichen begehbaren Schrank noch verstanden, aber bei einem Jungen fehlten ihm die Worte und die Erklärungen. Aber gut, es konnte ihm egal sein. "Ich werde mir noch die anderen Räume anschauen", verkündete er. "Geht klar. Tut mir aber bitte den Gefallen und lass dich von meiner Schwester und ihrem Verlobten nicht entdecken. Den beiden dein Erscheinen zu erklären ist weitaus komplizierter." Ein Nicken. Beide wollten so wenig Stress wie nur irgendwie möglich. Zwar war es der weißhaarige Mörder gewohnt oft an für ihn vollkommen unbekannten Orten zu sein, aber dennoch war er jedes Mal auf diese Tatsache vorbereitet gewesen. Jetzt im Moment war das aber ganz anderes. Er war einfach "mir nichts" "dir nichts" in einem fremden Haus gelandet. Damit musste man erst einmal klar kommen. Des Weiteren bestand immer noch die Möglichkeit, dass es sich um einen Hinterhalt handeln könnte, auch wenn alles hier recht normal und friedlich erschien - was das alles doch erst recht verdächtig machte, nicht wahr? In den restlichen Räumen des Stockwerkes befand sich nichts Interessantes und auch im Erdgeschosses, welches es mit einer besonderen Vorsicht - wegen Isis und Mahad, die im Wohnzimmer saßen - erkundete, gab es nichts Nennenswertes zu finden. Für heute würde es jetzt einfach mal gut sein lassen. Weg von hier kam er wahrscheinlich eh erst am morgigen Tag. Somit begab er sich ins Badezimmer des Jungen. Sollte er duschen oder wie gesagt baden? Erst einmal Handtücher suchen und finden. Ein Shampoo wäre auch nicht schlecht. Also machte sich Bakura zuerst daran, alle Badeutensilien zusammen zu tragen. Danach holte er sich etwas zum Anziehen aus dem spärlich mit Kleidung ausgestatteten Schrank in Maliks Zimmer - er hatte nun wirklich nicht vor halbnackt an dem Jungen vorbei zu laufen. Wo sollte er die Nacht eigentlich verbringen? Hier, das war schon klar, aber wo genau. Bakura würde sich sicherlich nicht mit dem Sofa zufrieden geben, auch wenn er schon an viel ungemütlicheren Orten nächtigen musste. Wenn die Möglichkeit auf ein schönes, warmes, weiches Bett bestand, dann würde er sie nicht an sich vorbei ziehen lassen! Nun gut, eins nach dem anderen. "So, Kleiner, ich gehe jetzt baden und ich gebe dir hiermit nochmals den Rat von vorhin: Komm ja nicht auf dumme Gedanken." Wer war hier klein? Im Normalfall würde Malik jetzt eine bissige Antwort geben, aber gerade war hier alles nicht normal, somit schwieg er und nickte einfach brav. Es war keines Wegs klug sich jemanden, wie Bakura, zum Feind zu machen, also immer lieb lächeln und winken - wobei man das Winken auch weglassen konnte. Als Bakura im Bad verschwunden war, holte Malik ein Mal tief Luft. Das war doch verrückt. Er war doch verrückt. Wieso um alles in der Welt glaubte er dem anderen, dass er Eizô Bakura war? Wieso um alles in der Welt ließ er zu, dass irgendein Fremder hier im Haus herum spazierte? Dieser Bakura könnte genauso gut ein Verrückter sein, der sich nur verkleidet hatte - sehr gut verkleidet wohl gemerkt. Wie er das wohl mit den verschiedenen Augenfarben hin bekommen hatte? Soweit Malik wusste, gab es zwar farbige Kontaktlinsen, aber die konnten nicht von rot auf braun und zurück wechseln. Seltsam. Was sollte er jetzt machen? Sollte er zu Isis runter gehen und ihr sagen, dass ein Fremder in seinem Bad war? Würde sie ihm glauben? Und selbst wenn, der Kerl war bewaffnet! Der würde sie alle doch ohne mit der Wimper zu zucken umlegen! Blöde Situation! Seufzend stand Malik auf. Bakura würde sicherlich hier übernachten wollen - wo sollte jener auch schon hin -, da brauchte dieser auch noch eine Decke und ein Kissen. Zwar hatte dieses Haus durchaus ein Gästezimmer zu bieten, aber dem Blondschopf behagte der Gedanke nicht, den Weißhaarigen in jenes zu schicken. Wahrscheinlich würde Bakura das eh nicht zu lassen. Malik klopfte gegen die Badezimmertür und wartete dann auf Reaktion des anderen. Diese bestand aus einem gereizt klingend: "Ja?" "Bakura, ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich dir schnell eine Decke und ein Kissen sowie die jeweiligen Bezüge für heute Nacht hole. Ich bin gleich wieder da." "Ja, ja, mach nur." Lautlos verließ der Oberschüler sein Zimmer und holte die benötigten Sachen aus dem Gästeschlafraum. Er ging zwei Mal. Ein Mal um die Decke und das Kissen zu holen und ein Mal um für die Bezüge zu sorgen. Ob Bakura seine Sachen selbst beziehen konnte? Bestimmt, sowas war doch total einfach. Würde jener überhaupt auf dem Sofa schlafen? Wohl eher nicht. Malik dachte ein paar Sekunden darüber nach und entschloss sich dann letzen Endes, noch ein Spannbetttuch zu holen, nur falls der Weißhaarige wirklich mit dem Bett verlieb nahm. Während Malik mit sich und seinen ganzen Gedanken beschäftigt war, versuchte Bakura sich beim Baden zu entspannen, was nicht unbedingt leicht war. Für ihn war diese Situation vollkommen neu und suspekt. Wie war es möglich - angenommen er stammte wirklich aus einem Buch -, dass er mit einem Mal in einer völlig anderen Welt landete und dies scheinbar nur, weil ein Teenager ein paar Zeilen laut vorgelesen hatte. Das kam einem doch wie aus einem schlechten Kinofilm vor. Nur leider war es in seinem Fall keiner. Und ein Traum war es leider auch nicht, die "zwick mich"-Methode hatte er bereits angewandt. Nun gut, er musste auf jeden Fall einen Rückweg finden. Es erschien ihm logisch, dass der Junge ihn zurück lesen konnte. Hergebracht hatte ihn jener ja auch dadurch, wenn auch unbewusst. Was im Moment wohl in seiner Welt los war? Was war mit seinem Verfolger? Was wenn er nicht so schnell, wie er hoffte, zurück konnte? Was wäre mit Marik, seinem besten Freund, mit dem er sich für den nächsten Morgen verabredet hatte? Marik konnte schlecht mit seiner Wut umgehen. Sehr schlecht sogar. Wenn er ihm doch nur eine Nachricht zu kommen lassen könnte. Egal! Der blonde Kerl im Nebenzimmer musste halt einfach seine aufgetragene Arbeit richtig machen, dann würde alles gut werden, davon war Bakura überzeugt. Ach, wie er es doch verabscheute sich auf andere verlassen zu müssen. Genervt von den momentanen Umständen stieg der blasse, junge Mann aus der Wanne und griff nach einem Handtuch, um sich abzutrocknen. Wo sollte er seine Waffen eigentlich unterbringen? Mit ins Bett wollte er sich nicht unbedingt nehmen - keine gemütliche Angelegenheit, wie er schon so oft feststellen durfte. Würde er sich aber beispielsweise nur auf das Nachtkästchen legen, könnte der Zwerg, der eigentlich keiner war, versuchen sich ihrer zu bemächtigen. Wieso musste sein Leben nur so nervig sein? Klar, er hatte sich mehr oder weniger selbst für seinen jetzigen Lebensstil entschieden, aber hätte man ihn nicht vorher sagen können, dass er dann immerzu alle nur erdenklichen Möglichkeiten, seien sie auch noch so lächerlich, in Betracht ziehen musste, wenn er irgendwohin kam? In wie weit dieses Wissen seine Entscheidung dann schlussendlich beeinflusst hätte, stand in den Sternen, dennoch wäre diese Information nett gewesen. Als Bakura fertig im Bad war begab er sich in Maliks Zimmer. Der Blondschopf saß auf dem Bett und war mit dem Buch beschäftigt. Auf dem Boden lagen die Sachen, die Malik holen wollte. Der Weißhaarige beachtete diese aber erst einmal nicht. Viel mehr lag seine Aufmerksamkeit auf dem Jungen, der seinem Freund Marik nicht nur vom Namen, sondern auch vom Aussehen her, doch recht ähnlich war. Es gab nicht viele Menschen, die dunkelhäutig waren und dennoch von Natur aus helles Haar besaßen - war Maliks Haar überhaupt naturblond oder nur gefärbt? Die Augenfarbe des Schülers war auch nicht unbedingt gewöhnlich. Irgendwie seltsam. "Sag mal, Malik, bist du von Natur aus blond oder sind deine Haare gefärbt?", fragte er den jüngeren von ihnen. Der Angesprochene erschrak sich erst und sah entsetzt zu dem Braunäugigen. Es dauerte ein Weilchen bis eine Antwort erfolgte: "Die sind von Natur aus so." Wieso klang der Junge denn so gereizt? Er hatte ihm doch nur eine durchaus berechtigte Frage gestellt. Komischer Kerl. Schulterzuckend nahm das Ganze aber dann hin. Konnte ihm doch egal sein. Wortlos begann Bakura nach kurzem Schweigen die Decke und das Kissen zu beziehen. Selbst war sich der Mann. Wahrscheinlich hatte Malik geglaubt, er würde sowas nicht können und ihn um Hilfe bitten, aber da hatte der Junge falsch gedacht. Da Marik von Ordnung und Haushalt nicht viel hielt blieb schlussendlich alles an dem Weißhaarigen hängen, dazu gehörte unteranderem eben auch das wechseln der Bettwäsche. Als er fertig war, sah er zu dem Blondschopf, welcher wieder in seinem Buch vertieft war. Malik hatte sich im Schneidersitz auf sein Bett gesetzt, seinen Kopf stützte er auf seiner linken Hand, während er in der rechten das Buch hielt. Früher hatte er auch viel gelesen und wenn er könnte, würde er auch heute noch ein Buch nach dem anderen verschlingen. Leider war es ihm nicht mehr möglich. Er hatte keine Zeit und das Geld musste für andere Dinge herhalten. Bakura musste gähnen. Zeit ins Bett zu gehen. "Hey, Malik, mach mal Platz! Ich will jetzt schlafen!", befahl Bakura dem anderen. Wie er gesehen hatte, gab es hier ein Sofa auf dem der jüngere von ihnen schlafen konnte. Träge sah der Angesprochene auf, klappte dann ganz langsam das Buch zu und stand auf. "Ich hab dir ein frisches Spannbetttuch auf den Stuhl hinter dir gelegt", meinte Malik nur und nahm dann sein Bettzeug und verschwand in das Raumeigene Wohnzimmer. "Ich werde morgen im Übrigen in der Früh zum Arzt gehen. So gegen Mittag werde ich aber wahrscheinlich wieder da sein. Meine Schwester und ihr Freund kommen erst abends Heim." "Solang du mir keinen Ärger machst und mich wieder zurück bringst, ist mir egal, was du so treibst." Wehe der Zwerg, der ja eigentlich größer als der Braunäugige war, log ihn an! Nun gut, notfalls würde er einfach zu härteren Maßnahmen greifen, so wie immer. Er sollte aufhören so paranoid zu denken. Das da nebenan war nur ein ganz normaler Junge, mehr oder weniger zumindest. Seufzend legte sich Bakura ins Bett. Das Bettlacken hatte er nicht gewechselt, dazu war er jetzt zu faul. Während er so dalag und auf den Schlaf wartete, welcher netterweise immer etwas brauchte egal wie müde der Weißhaarige war, viel ihm auf, dass die Schwester seines unfreiwilligen Gastgebers nicht ein einziges Mal, seitdem er hier war, nach ihrem Bruder gesehen hatte. Es war doch schon spät, wollte sie nicht mal nach dem Jungen sehen? Er hatte immer, kurz bevor er ins Bett gegangen war, nach seinem kleinen Bruder gesehen. Hatte ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben und war noch ein Weilchen geblieben um ihn zu beobachten. Es war jedes Mal ein wunderschöner Anblick gewesen. Als kleines Kind war die Welt noch so schön. Die Probleme kamen dann mit der Zeit, ob man wollte oder nicht. Wie es seinem Brüderchen jetzt wohl ging? Ob er im Moment glücklich war? Hatte er eine Beziehung? Hatte er endlich richtige Freunde? Oder war er immer noch so einsam? Wenn er wieder in seiner Welt war, würde er ihn mal besuchen gehen und ihn ausfragen. Ihre letzte Begegnung war schon lange her. Malik kämpfte derweilen mit anderen Problemen. Er war ebenfalls müde und wollte schlafe, aber traute sich nicht einfach mit dem Lesen aufzuhören. Bakura würde ihn umbringen, wenn er ihn nicht nach Hause las. Wieso musste ihm das passieren? Was hatte er denn verbrochen? Klar, er hatte sich durchaus ab und zu mal gewünscht Eizô Bakura zu treffen. Aber das war ein Wunsch, der ein Wunsch hätte bleiben sollen. Sich eine Begegnung im Kopf zusammen zu spinnen war eine Sache, wenn das Ganze erst Realität wurde, sah das Alles schon reichlich anderes aus. Sein Buchliebling war ein Mörder. Wer wollte schon einem Mörder vollkommen schutzlos gegenüber stehen? Eben: Niemand. Hätte man ihn nicht irgendwie vorwarnen können? Nun gut, er musste jetzt das Beste aus seiner Situation zu machen. War nur die Frage nach dem "wie", die es zu klären galt. Darüber würde er aber morgen nachdenken. Jetzt würde er erst einmal noch ein bisschen lesen und dann auch schlafen, immerhin musste er früh aufstehen. Wieso hatte er den Arzttermin noch mal in die Morgenstunden gelegt? War er zu diesem Zeitpunkt nicht ganz bei Sinnen gewesen? Höchstwahrscheinlich. Gedacht - getan. Bakura schlief sicherlich eh schon längst. * Durch ein nerviges Piepsen wurde Malik an nächsten Morgen geweckt. Sein Wecker. Murrend steckte er seine Hand nach dem dämlichen Teil aus. Der Griff ging aber ins Leere. Verwundert über diese Tatsache sah Malik auf. Bis vor kurzem hatte er sich nämlich noch unter seiner Decke versteckt. Wo war sein Wecker? Wieso stand da sein Fernseher? Und weshalb war sein Bett mit einem Mal so ungemütlich? Das Piepsen war noch immer zu hören. Es dauerte ein wenig bis der blonde Oberschüler wieder wusste, was Sache war. Gestern hatte er ja unerwartet Besuch bekommen und dieser hatte ihm sein schönes, weiches, warmes Bett geraubt. "Hey, Malik, wenn du dieses scheiß Teil nicht sofort abstellst werde ich das übernehmen!" Bakura! Hektisch warf der Schüler seine Decke zur Seite, sprang auf und hastete zu seinem Nachtkästchen, auf welchem das scheiß Teil - auch Wecker genannt - stand. Mit einem Knopfdruck war der Lärm beendet und es war Ruhe im Zimmer. "'Tschuldigung." Malik drehte sich um, er musste sich jetzt fertig machen. Sein Arzt lag ein ganzes Stück von seinem Zuhause entfernt. Zuspätkommen wollte er nicht, es war ihm unangenehm. Schnell holte er sich frische Unterwäsche aus seinem begehbaren Kleiderschrank und verschwand ins Bad. Musste aber gleich darauf noch mal raus, da er auch eine neue Hose und ein neues Oberteil brauchte, denn er hatte am vorherigen Abend vergessen seinen Schlafanzug an zu ziehen. An den Wecker hatte er auch nur gedacht, weil jener den Boden geküsst hatte, als Malik ausversehen an das Nachtkästchen gekommen war, als er sich wieder auf sein Bett geschmießen hatte, nachdem er Bakuras Kissen und Decke geholt hatte. Nachdem er dann aber alles hatte, machte er sich fertig. Während er sich die Zähne putze fragte er sich, ob Bakura auch, so wie er, die Möglichkeit hatte sich jeden Tag in einem Bad frisch zu machen. Eine eigentlich vollkommen nötige Frage. Der Weißhaarige war laut des Buches oft Tage lang in fremden Ländern unterwegs, da blieb ein derartiger Luxus nun mal auf der Strecke. Wieso dachte er jetzt an so was? Immer wenn er gelesen hatte, wie Bakura in ein anderes Land reiste und sich dort Schießereien und Verfolgungsjagten lieferte hatte er es als cool empfunden, wollte das auch erleben. Jetzt aber fühlte es sich falsch an, so zu denken, so zu fühlen. Wie der andere wohl über sein Leben dachte? Malik wusste nicht genau, wieso er dem anderen eine frische Zahnbüste neben das Waschbecken legte und genauso wenig konnte er sie erklären, weshalb ihm der Gedanke gekommen war, seinem Lieblingscharakter etwas aus der Stadt mit zu bringen. War er des Nachts auf den Kopf gefallen? Oder lag es vielleicht an der Luft? Nein, wohl eher nicht, so schlecht war die jetzt dann doch nicht. Wobei es sicherlich nicht falsch wäre die Fenster zu öffnen. Heute sollte es wieder warm werden. Nach dem Malik sich im Bad fertig gemacht hatte, ging er wieder ins sein Zimmer, um seine Tasche zu packen. Er nahm seine derzeitige Lektüre "Kirâ" mit, natürlich seinen Geldbeutel und den Haustürschlüssel sowie sein Handy. "Ich bin wahrscheinlich so gegen Mittag wieder da", meinte Malik noch zu Bakura bevor er sich auf den Weg ins Erdgeschoss machte, um sich seine Jacke und die Straßenschuhe anzuziehen. Was der andere wohl jetzt die ganze Zeit über unternehmen würde? Würde er ebenfalls raus gehen? Was wenn ihn jemand als Eizô Bakura erkannte? Würde man ihn darauf ansprechen? Hoffentlich nicht. Man würde denken, er wäre ein Cosplayer, also jemand der sich beispielsweise als Charakter eines Mangas oder Animes verkleidete und diesen auch versuchter charakteristisch nach zu ahmen. Nun gut, vielleicht würde Bakura auch einfach im Haus bleiben und sich langweilen oder fernsehen. Vormittags kamen war keine besonders anspruchsvollen oder unterhaltsamen Sendungen, aber man konnte sich die Zeit mit ihnen ein wenig vertreiben. Darauf kam es hier ja mehr oder weniger an. Ein gelangweilter Bakura war mit Sicherheit nicht sonderlich angenehm. Sollte er ihm sagen, dass er die Videospiele ruhig durchspielen darf? Nein, Bakura würde sowieso machen, was er wollte. Als ob jemand wie er eine Erlaubnis brauchen würde. Seine Gedanken an Bakura versucht Malik dann aber schnell ab zu stellen, da sie seiner Meinung nach ins Nichts führten. Er kannte den Weißhaarigen kaum und konnte somit seine aufkommenden Fragen nicht selbst beantworten, den anderen wollte er nicht fragen. Noch immer hatte er Angst vor diesem. Angst und Respekt. Leider konnte er seine Gedankengänge nicht kontrollieren, weshalb er stillschweigend vor sich hin grübelte. Dabei viel ihm gar nicht auf, wie schnell er voran kam. Ehe er sich versah war er bereits an der Schule angekommen, welche auf dem Weg zum Arzt lag. Das Ganze fiel ihm aber erst auf, als ihn einer der Schüler, welche im Moment auf dem Weg zum Lehrgebäude waren, anrempelte. Malik stolperte nach vorn, fiel aber nicht, da er sein Gleichgewicht halten konnte. Am liebsten hätte er den anderen Jungen jetzt deswegen angeschnauzt, doch jener war schon wieder außer Sichtweite. Murrend lief der Blondschopf weiter. Sein Blick war stur geradeaus gerichtet. Einfach ignorieren. Einfach alles und jeden ignorieren! Zügig schritt er voran. Nicht das noch jemand auf die Idee kam, ihn an zu sprechen. Ein paar der Schüler hier erinnerten sich bestimmt noch an ihn. Er selbst erkannte auch das ein oder andere Gesicht, auch wenn er die Namen der Personen nicht mehr wusste Hatte er sie überhaupt jemals gekannt? Wahrscheinlich nicht. In seinem ersten und eigentlich auch letzten Schuljahr in Japan hatte er nicht auf seine Mitschüler geachtet. Lediglich den Namen der beiden Klassensprecher und des Schülersprechers hatte er sich gemerkt. Des Weiteren erinnerte er sich noch an einen Jungen, der in der zweiten Reihe auf der Fensterseite gesessen war. Wie war doch gleich der Name dieses Jungen gewesen? Seltsam, jetzt da er ihn wissen wollte, fiel er ihm nicht ein. Aber war das nicht immer so? Immer wenn man etwas wollte, klappte er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. So ähnlich wie der berühmte Vorführeffekt. Aber gut, das alles war eh vollkommen unbedeutend. Er würde so und so nicht mehr zur Schule gehen, deshalb musste er sich an niemanden erinnern. Das wäre dann nur reine Verschwendung von Energie und "Speicherplatz". Eine kräftige Hand legte sich mit einem Mal auf Maliks Schulter. "Guten Morgen, Malik. Wer hätte gedacht, dass ich dich mal in der Nähe der Schule sehen würde. Möchtest du dir das Schulfest ansehen?" Akefia, der Schülersprecher der Domino City Oberschule, stand hinter Malik. Dieser hatte sie, während der ältere Ägypter gesprochen hatte. Nicht zu jenen umgedreht, sondern weiterhin nach Vorne gesehen. "Hau ab, Akefia! Ich bin nur auf den Weg zum Arzt", antworte Malik gereizt. Er drehte sich zu dem anderen um, wobei er die fremde Hand von seiner Schuler nahm. Wie kam dieser weißhaarige Vollpfosten nur drauf, dass er an einem lächerlichen Schulfest interessiert war? "Ach so. Aber du wirst doch trotzdem ein paar Minuten für uns übrig haben? Du kannst ja nach deinem Termin vorbei schauen. Das Fest geht bis siebzehn Uhr. Komm, ich zeig dir kurz die ganzen tollen Stände, die die Schüler alleine aufgebaut haben. Jede Klasse hat sich etwas anderes ausgedacht, dass kannst du dir echt nicht einfach entgehen lassen." Genervt verdrehte der Blondschopf die Augen. Wieso konnte dieser aufdringliche Trottel ihn nicht in Ruhe lassen? Was um alles in der Welt hatte er denn verbrochen? "Nein!", zischte Malik gereizt und wollte seinen Weg fortsetzen. Leider wurde dies verhindert. Die Götter mussten ihn wahrlich hassen. "Du bist echt ein Sturkopf, Malik." Und Akefia war eine Nervensäge! Ohne noch groß Worte zu verlieren, packte Akefia Malik am Handgelenk und zog ihn auf den großen Schulvorhof, auf welchem das Fest stattfand. Während sie über den Hof schritten, erklärte der Schülersprecher, dass die Schüler sich erst noch in der Aua trafen, um zu erfahren, wie das Ganze nun genau ablaufen sollte. Zwar hatte man schon die Tage zuvor darüber gesprochen, doch die Organisation der Domino City Oberschule war einfach grausam. Zum Glück gab es in jedem Jahrgang sehr engagierte Schüler, die sich darum kümmerten. Eigentlich ein Armutszeugnis. "Weißt du, Malik, wenn du ab und zu mal in die Schule kommen würdest, würden dir diese Feste auch viel mehr Spaß machen. Es ist lustig mit den Klassenkameraden etwas aufzubauen beziehungsweise alleine schon Überlegungen zu Papier zu bringen, was man auf dem Schulfest machen könnte, ist klasse." Malik hörte gar nicht hin. Was war denn bitteschön toll daran, wenn sich knapp dreißig Schüler stritten, was nun schlussendlich umgesetzt wurde und wer welche Aufgaben übernahm? Am Ende blieb eh alles an den fleißigen Schülern und Schülerinnen hängen, während der Rest sich eine schöne Zeit machte. "Akefia, lass mich endlich in Ruhe. Du gehst mir tierisch auf die Nerven!" Jetzt hörte der andere nicht zu. Wie sollten sie so jemals auf einen grünen Zweig kommen? Wollten die beiden das überhaupt? Malik wohl eher weniger. Und Akefia würde dem Blondschopf sicherlich nicht so einfach seinen Willen geben. "Der übernächste Stand gehört deiner Klasse. Die haben sich echt viel Mühe gegeben. Soweit ich weiß, läuft da in den ersten Jahrgängen irgendein Wettbewerb." Diese Information interessierte Malik ja auch so sehr. Um weiten Erklärungen und unnötigen Informationen zu entgehen blieb der Oberschüler einfach stehen. Bis jetzt war er noch relativ widerstandslos hinter dem anderen her, aber irgendwann war einfach Schluss mit lustig. Verwundet wurde er dann von dem Weißhaarigen angesehen, der sich scheinbar nicht denken konnten, was denn nun auf einmal los war. Kein Wunder. Bei Malik konnte man nie so genau wissen, was plötzlich Sache war. "Akefia, ich sage dir das jetzt wirklich zum aller letzten Mal: Lass mich in Ruhe! Ich interessiere mich nicht mal ansatzweise für die Schule und all den Deppen, die meinten in ihr herum irren zu müssen. Es ist mir egal, ob ich hier Freunde habe oder nicht. Ich bin nicht daran interessiert Erinnerungen mit anderen zu teilen. Du kannst mich wahrscheinlich nicht verstehen, aber das ist mir egal. Lass mich von jetzt an einfach in Frieden!" Die Rede des jüngeren von ihnen verwunderte den Weißhaarigen noch mehr, als die Tatsache, dass jener mitten drin stehen geblieben war. Lag wohl daran, dass Malik mit einem Mal so viel auf einmal von sich gab. Oder daran, dass Akefia wirklich nicht nachvollziehen konnte, wie man eine derartige Ansicht haben konnte. Zwar sah er ein, dass es Menschen gab, die nicht unbedingt vierundzwanzig Stunden am Tag von anderen belagert werden wollten, aber Maliks Verhalten war doch nun wahrhaftig nicht mehr ganz normal - wobei sich hier die Frage breit machte, was denn schon normal war. Nun gut, wieso, weshalb, warum auch immer. Der Weißhaarige sagte jedenfalls erst einmal nichts. Während er so sprachlos da stand, löste sich den andere aus dem Griff des größeren Jungen. Händchen halten wollte er schließlich auf keinen Fall mit diesem aufdringlichen Gorilla! "Weißt du, Malik, es ist sehr traurig etwas Derartiges aus deinem Mund zu hören." Sehr traurig sogar. Schon oft hatte er sich gefragt, wieso der Angesprochene sich gegenüber anderen immer zu so abweisend verhielt, wieso er keine sozialen Kontakte pflegte, doch eine Antwort hatte er nie erhalten. "Dann heul doch, wenn es so traurig ist!", fauchte Malik gereizt. Er sollte sich jetzt am besten einfach umdrehen und zum Arzt gehen - zu spät kommen wollte er nämlich nicht. Verständnislos schüttelte Akefia seinen Kopf. Dieser Junge war einfach unbegreiflich. Immer wenn er bei Malik daheim vorbei schaute, kam er mit Isis ins Gespräch. Das Thema war stets ihr kleiner Bruder. Sie erzählte ihm jedes Mal von einem Malik, der fröhlich war, aber mit einem Mal sein Lächeln verloren hatte. Was der Grund dafür gewesen war, verriet sie dabei aber nicht. Dass sie ihn aber kannte, hatte er im Gefühl. Immerhin war sie Maliks große Schwester, wenn sie keine Ahnung hatte, was ihrem kleinen Bruder die Fröhlichkeit geraubt hatte, wer dann? Wahrscheinlich dieser Rishid, der große Bruder der beiden. Jenen hatte er aber bis heute noch nie zu Gesicht bekommen, was aber sicherlich daran lag, dass jener nicht mit den beiden Geschwistern in einem Haus lebte und ein Restaurant führte, da hatte man wohl nicht allzu viel Freizeit, um mal bei der Verwandtschaft vorbei zu schauen. "Ich werde nicht weinen, Malik. Dazu gibt es keinen Grund. Im Gegenteil, er werde so lange fröhlich sein, bis du dich ergibst und endlich mal anfängst zu lächeln." Zu viele Kitschfilme! Das kam davon, wenn man sowas wie eine beste Freundin hatte, die mit einem Mal ihre weibliche Ader entdeckte. Schlimm war das! Richtig schlimm! Kommentarlos wandte sich der blonde Oberschuler ab und trat den Weg zum Schultor an. Dieser schleimige, nervige Volltrottel von einem Schülersprecher konnte ihn mal kreuzweise, wobei er ihn nicht mal dies erlauben würde! Der Kerl sollte in der Hölle schmoren! Akefia wollte Malik natürlich aufhalten, dies wurde aber durch den Ruf eines Jungen gestört, der auf den Weißhaarigen zu gelaufen kam. "Aki, da bist du ja." Die Stimme klang unsagbar fröhlich. Ganz anderes als Maliks. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht drehte sich der Angesprochene um. Er ließ den Blondschopf nur ungern gehen, jetzt da dieser endlich mal hier her gefunden hatte, auch wenn der Grund dafür ein Arzttermin war, aber manchmal musste man seine Niederlage einfach einsehen und sich anderen Dingen zuwenden. Verloren war nämlich nicht gleich verloren. Nach dem Termin würde Malik wieder an der Schule vorbei kommen und dann würde Akefia ihn auf dem Schulfest herumführen. Fürs erste musste er sich nun aber von jenem trennen und sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. "Aki, ich hab dich schon überall gesucht. Deine Klassenkameraden suche dich ebenfalls." "Jetzt hast du mich ja gefunden. Wie kann ich für dich tun, Ryô?" Der Angesprochene war ein gutes Stück kleiner, als Akefia, dafür aber genauso weiße Haare, wie jener. "Ich wollte dich nur Fragen, wann du heute aus hast." Fast schon leuchtend braune Augen sahen zu dem jungen Ägypter hoch. Ryô war ein süßer Junge, auch wenn man so etwas über Jungs wohl nur sagte, wenn man ein Mädchen war. Aki interessierte das reichlich wenig. Er bezeichnete den jüngeren so wie er wollte. Bis jetzt hatte es auch noch nie Beschwerden gegeben. "Hm, wenn alles gut läuft kann ich so um siebzehn Uhr gehen." "Dann warte ich bis dahin auf dich, in Ordnung." "Tu' was du nicht lassen kannst. Aber beschwer dich nicht, wenn du dann Langeweile hast." "Werde ich ganz sicher nicht. Ich hab was zu lesen dabei." So ein kluges Bürschchen. "Mit wem hast du dich da eigentlich gerade unterhalten? Ich konnte nichts sehen, weil du im Weg standest." Neugierig legte Ryô seinen Kopf schief, wobei ihm eine seiner langen, weißen Haarsträhnen ins Gesicht fiel. "Mit Ishtar Malik." "Malik? Wie konnte der sich denn hier her verirren?" Erstaunen. "Er muss zu einem Arzttermin und ist deshalb an der Schule vorbei gekommen. Ich habe ihn gesehen, gepackt und her geschleift. Tja, leider ist er mir entkommen. Aber wenn er wieder vorbei kommt, zeig ich ihm, wie toll unser Schulfest ist und dann wird er gar nicht anders können, als begeistert zu sein und seine Meinung zu ändern." Kurzes Schweigen. "Aki, du klingst gerade naiv. Außerdem erinnerst du mich an einen dieser klischeehaften Mangahelden. Tu' uns bitte beiden den Gefallen und lass das." So eine trockene Aussage war recht ungewöhnlich für den ruhigen Oberschüler, doch Akefia brauchte derartiges von Zeit zu Zeit auch mal. Jener musste manchmal in die Realität zurück geholten werden, was meistens dann der Fall war, wenn er irgendwelche Pläne schmiedete, die Ryôs Meinung nach nicht zu dem älteren von ihnen passten. "Mach ich, wenn du aufhörst von jetzt auf gleich so erwachsen zu sein." Kopfschüttelnd seufzte der blasse Junge mit den braunen Augen. Manchmal war Akefia aus seiner Sicht einfach unmöglich. Was war denn falsch daran, ab und zu erwachsen zu wirken? So war er eben. "Das macht mit dir gerade keinen Sinn, was? Ich werde jetzt zurück zu meiner Klasse gehen, Anzu wollte uns allen noch etwas sagen oder zeigen oder beides. Wir sehen uns ja dann später. Bye." Und schon war Ryô auf den Weg in die Richtung aus der er gekommen war. Da heute aber scheinbar der "Festhaltetag" war, kam er nicht weit. Aki hatte den jüngeren Schüler am Handgelenk erwischt und hielt ihn auf. "Du bist gemein zu mir, weißt du das?" Die wehleidige Stimme des Schülersprechers wollte nicht so recht zu dessen Erscheinungsbild passen. "Und?" "Und? Dafür gibt es jetzt als Strafe einen Abschiedskuss in aller Öffentlichkeit!" Eine fürchterliche Drohung! Ohne das Ryô sich großartig dagegen wehren konnte bekam er ein Küsschen auf die Stirn und als wäre dies nicht schon genug wurde ihm auch noch mit einem frechen Grinsen im Gesicht durch die weiße Mähne gewuschelt. Eine unverschämte Unverschämtheit war das! "Aki, du bist ein Depp." Und damit war ein Machtwort gesprochen. * Kirâ Nur langsam wurde der weißhaarige Junge wach. Sein Körper fühlte sich schwer an und seine Augenlider wollten sich eigentlich auch gar nicht öffnen, aber sie mussten. Er blieb einige Minuten ruhig in dem Bett liegen. Die Decke über ihm kam ihm in keinster Weise bekannt vor. Wo war er? Angestrengt versuchte er sich an die Geschehnisse des gestrigen Tages zu erinnern. Doch so genau konnte er nicht alle reproduzieren. Da war dieser Junge mit der komischen Frisur gewesen und ein paar Fremder, die definitiv nicht auf ein nettes Pläuschchen aus gewesen waren. Was hatten die nochmals von ihm gewollt? Kyô! Sein kleiner Bruder. Mit einem Mal saß der Weißhaarige aufrecht im Bett und sah sich hektisch um. Wo war der Kleine? Eine sanfte Berührung an seinem Oberschenkel ließ ihn auf die rechte Seite des Bettes schauen. Friedlich vor sich hin schlummernd lag da der Gesuchte. Erleichter atmete er aus. Dem Kleinen durfte nichts zustoßen. Liebevoll strich er seinem Brüderchen über den kleinen Kopf. Durch den kurzen Schreck war er nun vollkommen wach und beschloss, sich in der Wohnung - danach sah es hier aus - ein wenig umzusehen. Vielleicht entdeckte er auch den Eigentümer. Und vielleicht konnte jener ihm auch die ein oder andere Frage beantworten. Sachte stieg er aus dem Bett. Inzwischen war er recht gut darin sich leise in einem Raum zu bewegen. Kyô schlief zwar meistens sehr fest und wachte oft auch nur auf, wenn seine Windel nass wurde, aber man musste es ja nicht darauf anlegen, oder? Wachsam erkundete der blasse Junge die fremde Umgebung. Viel gab es nicht zu entdecken. Diese Wohnung, er ging einfach mal davon aus, dass es eine war, bestand aus dem Raum, in dem er sich momentan befand, einem kleinen Bad und einer Abstellkammer. Wie konnte man in so einer kleinen Behausung wohnen? Er fühlte sich ihr förmlich eingeengt. Gerade als er sich wieder auf den Weg zum Bett machte, um das Stoffhäschen vom Boden auf zu heben, da es heraus gefallen war, kam jemand durch die Wohnungstür. Der Neuankömmling war ein gutes Stück größer als der Weißhaarige, weshalb zuletzt Genannter zum anderen aufsehen musste, was ihm natürlich gar nicht passte. "Auch schon wach", war das erste, was der Fremde von sich gab. Die Stimme klang seltsam. Auf der einen Seite wirkte sie bedrohlich, auf der anderen aber beruhigend. Eigentlich doch ein Ding der Unmöglichkeit. Vielleicht kam diese bedrohlich Wirkung aber auch von den Augen oder dem recht markanten Gesicht? Oder lag es einfach an der jetzigen Situation? "Wer sind Sie?" Schweigen. In aller Seelenruhe packte der junge Mann mit der gebräunten Haut seine Einkäufe, die in einer kleinen weißen Plastiktüte verstaut waren, aus und räumte sie in eines der wenigen Regale, die wohl Bestandteil der Küche sein sollten. "Ich? Ich bin dein Retter." Eine sehr aufschlussreiche Antwort, die ja so viel erklärte. "Und hat mein Retter auch einen Namen?" "Sicher doch." "Und der lautet wie?" "Marik." Es herrschte einen Moment Stille, die schlussendlich von Kyô, der langsam wach wurde, durchbrochen wurde. Als Marik sich in Bewegung setzte, wusste der Weißhaarige nicht, was er tun sollte. Was hatte der andere vor? Irgendwie zweifelte er daran, dass der blonde junge Mann etwas schlechte im Sinn hatte. Immerhin hatte er sie gerettet. Mit langen Schritten war er trotzdem sofort bei seinem kleinen Bruder, der auch gleich in den Arm genommen werden wollte und nach seinem Stofftierchen und einem "Guten Morgen"-Kuss verlangte. Ein niedliches, verwöhntes Kind. "Na, hast du gut geschlafen, mein Kleiner?" Große Kinderaugen sahen zu ihm auf. Eine Antwort im Sinne eines Nickens oder Kopfschüttelns erhielt er aber nicht, was seiner Meinung nach einfach daran lag, dass Kyô sich erst einmal die unbekannte Umgebung näher ansehen wollte. "Wie heißt der Kleine?", fragte Marik, der sich inzwischen vor den Beiden hingekniet hatte. Der Weißhaarige, welcher auf dem Bett platzgenommen und seinen kleinen Bruder auf seinem Schoß genommen hatte, schien erst zu überlegen, ob es gut war zu Antworten. "Kyô." "Und wie ist dein Name?" "Bakura." Er hatte leichtsinnig gesprochen, doch gesagt war nun mal gesagt und daran konnte nichts mehr geändert werden. ________________________________________________________________________________________ Kapitel wurde noch nicht richtig Korretkturgelesen, werd eich irgendwann später mal machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)