Die Magie der Worte von Feuerblut ================================================================================ Akt 2: Autor auf Abwegen ------------------------ Manchmal fehlt sogar dem besten Autor die rettende Idee, die Inspiration. Aber wie kann man sich Abhilfe verschaffen? Wie kann man diese Kluft der Leere überwinden? Wie soll man sich aus der Dunkelheit, welche die Ideenlosigkeit mit sich bringt, befreien? Tja. So mancher Autor kommt selbst wieder aus diesem Loch heraus. Manch andere greifen zu eher ungewöhnlichen Mitteln, die so ihren Preis, ihren Gegenwert haben…   Ich starrte fassungslos den Mann vor mir an. Das war… das war William Shakespeare?!?! Ich war in einer Welt gelandet, welche nass, dreckig und dunkel war… und die erste Person, welcher ich begegnete, war der berühmte Schriftsteller William Shakespeare, der Autor des Buches, das ich gerade in der Oberschule lesen musste? War das ein Zufall…! Nein… es war unvermeidbar. Die Worte der Hexe schossen mir beinahe sofort in den Sinn. Es war alles geplant. Auch meine Begegnung mit diesem Mann. „Und wie heißt Ihr, junger Herr?“, wurde ich gefragt und verneigte mich ebenfalls kurz. „Entschuldigen Sie mein Zögern, ich heiße Kimihiro Watanuki, sehr erfreut!“, antwortete ich langsam. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals mit so einer Persönlichkeit sprechen würde! „Schnell, lassen Sie uns ins Haus gehen, hier ist es viel zu nass, um eine gesittete Unterredung zu führen!“, schlug der Schriftsteller vor und ich folgte ihm hastig. Sein Haus war nicht besonders prunkvoll, es war relativ schlicht, aber es gefiel mir. In der Küche roch es nach Kräutern, welche zum Trocknen von der Decke hingen. Im Ofen brannte ein Feuer und eine Frau saß in einem Sessel und strickte. „Darf ich vorstellen? Meine werte Frau Anne“, sagte Shakespeare und wir schüttelten uns die Hände. Die Frau trug ein altrosafarbenes Kleid mit einer weißen Schürze, ihre hellbraunen Haare waren nach hinten gebunden und sie war etwas korpulenter. „Guten Abend.“ „Du hast es wirklich getan, Willy. Du hast diese Hexe also um Hilfe gebeten. Irgendwann wird dich deine Lieblingsbeschäftigung noch auffressen.“ „Nicht Lieblingsbeschäftigung, meine Liebe, Bestimmung! Es ist mein Schicksal, dass ich schreibe!“ „Worum geht es denn? Wobei kann ich Ihnen denn helfen?“, fragte ich, nachdem ich mit einer Tasse Tee in den Händen in einem Sessel saß. „Nun ja, es ist so: Ich würde gerne ein Stück schreiben. Allerdings habe ich einfach keine Ideen… Also… es soll eine Tragödie, ein Drama werden. Aber ich möchte starke Gefühle mit einbringen, die große Liebe… Doch was mir fehlt, sind konkretere Details!“ Ich verschluckte mich an meinem Tee. „Ähm… das wievielte Jahr schreiben wir hier gerade?“, wollte ich wissen und Anne lächelte mich an. „Wir schreiben das Jahr 1584“, antwortete sie und ich überlegte scharf. Romeo und Julia würde doch erst im Jahr 1595 veröffentlicht werden… wenn ich die Daten denn richtig im Kopf hatte!! Das war doch erst in elf Jahren… er konnte doch unmöglich schon jetzt dieses Liebesdrama schreiben wollen, oder? „Ich möchte etwas Neues kreieren, was noch niemand zuvor geschrieben hat!“, erklärte Shakespeare und war aufgestanden. Er lief aufgeregt umher. „William, bitte beruhige dich. Du weißt, dass ich ein Kind erwarte. Du beunruhigst mich!“ „Verzeih, Liebste. Komm mit, Watanuki, wir gehen in meine Schreibstube!“, sagte William und ich folgte ihm, zuvor wünschte ich seiner Frau noch eine gute Nacht. „Das Erste, was ich brauche, ist ein Ort!“, überlegte Shakespeare und ich zerbrach mir darüber den Kopf, was ich nun sagen sollte. Schließlich hatte mir Yuko sehr ins Gewissen geredet, keineswegs die Geschichte zu verändern, also sollte ich ihm die richtige Idee auch nicht zuflüstern, sondern er als Autor musste doch selbst draufkommen, oder?? „Wie wär’s, Sie nehmen einen Ort, der bereits existiert?“, fragte ich, so viel traute ich mich dann doch zu sagen. „Aber was für ein Ort? Frankreich? Nein, da gab es schon so viele Liebesgeschichten, jeder lernt sich in Paris kennen… Paris hier, Paris da… Nein, das ist nicht gut. Wir nehmen… Italien! Eine Stadt in Italien! Dann nehmen wir doch am besten… Venedig!“ „NEIN!“, brüllte ich auf und hielt mir erschrocken den Mund zu. „Ich… mag Venedig nicht“, fügte ich noch kleinlaut hinzu, um meinen Ausrutscher zu vertuschen, doch der Dichter war ja schließlich nicht blöd… „Ach, Verzeihung, ich vergaß, Sie kommen aus der zukünftigen Zeit. Was mich interessieren würde… haben Sie denn mein Werk bereits gelesen? Ist es berühmt geworden?“ Ich schluckte, ertappt. „Ja… ich bin gerade dabei, es zu lesen. Und Ihr könnt mich ruhig duzen, ich bin noch nicht so alt, als dass ‚Sie‘ angebracht wäre“, sagte ich ausweichend. „In Ordnung! Ich fühle mich durch meine Werke auch noch nicht sonderlich alt! Ich bin William!“ Wir schüttelten uns erneut die Hände. „Watanuki, sehr erfreut“, stellte ich mich erneut vor. „Aber… wenn du mein Stück bereits kennst… kannst du mir doch sagen, wo es spielt, oder nicht?“ „Ich könnte…“, fing ich wieder zu sprechen an, „… aber das werde ich nicht tun. Ich möchte nicht, dass mein Einwirken in dieser Zeit Folgen für die Zukunft hat, aus der ich komme“, erklärte ich und der Mann mir gegenüber nickte nachdenklich. „Ich verstehe… allerdings ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch, musst du wissen! Also… eine Stadt in Italien, welche nicht Venedig sein soll. Dann nehme ich die Stadt… Verona!“ Ich zuckte zusammen und sah den Schriftsteller an, welcher plötzlich eine Feder zückte. „Aber das ist doch…“, setzte ich an und William sah auf. „Ist etwas?“ „Diese Schreibfeder!“, sagte ich und er lächelte milde. „Hast du sie schon einmal gesehen? Zufällig bei der Hexe?“ Ich nickte wortlos. „Sie ist der Gegenwert für deine Hilfe, mein Junge“, erklärte der Schriftsteller und tauchte sie nun in ein Tintenfass. „Aber ich bin doch so unkreativ! Ich kriege so was wie ein Buch doch niemals hin, auch nicht, wenn ich nur der Helfer dafür sein soll!!“ Shakespeare schien mir gar nicht zuzuhören, er erinnerte mich irgendwie ein bisschen an Yuko oder Mokona, sie hörten mir nämlich auch nie zu und setzten immer ihren eigenen Kopf durch. „Diese Feder… ist etwas ganz Wertvolles. Bisher jedes meiner Werke ist ihr entsprungen. Sie ist nie kaputtgegangen. Ich weiß auch nicht, was sie so stabil und haltbar macht, aber es ist nun einmal so. So… Stadt Verona, Italien. Wie bringe ich denn eine Handlung ein? Sollen die Liebenden gleich zusammenkommen? Was meinst du, Watanuki? Was findest du schöner?“ „Mmh…“, antwortete ich nichtssagend, aber dafür ausweichend. „Ich kenne mich nicht so sehr mit Büchern und Liebesdingen aus. Ich meide sie“, gestand ich. „Ein Bücherhasser! Welch Schande! Ein solch hübscher, junger Mann wie du hat außerdem noch nie eine Geliebte gehabt? Du weißt ja gar nicht, was du alles verpasst! Diese Leidenschaft, der Reiz der Liebe, das Flattern in der Bauchgegend, das Rasen des Herzens, das Rauschen des Blutes in den Ohren…“ Ich lauschte ihm und war am Überlegen, ob alle Autoren so waren wie er… oder ob er einfach einen an der Klatsche hatte. Wie konnte ein einzelner Mensch so viel in nur so kurzer Zeit philosophieren? Ich betrachtete die brennende Kerze auf dem Tisch, welcher vor lauter Pergamenten beinahe überzuquellen schien. Irgendwie bestand da schon fast eine richtige Brandgefahr. Ich sah mich weiter im Raum um. Überall lagen Stapel voller Pergament herum, auf manchen sah ich rote Wachsversiegelungen. Einiges befand sich auch in einem zerknüllten Zustand auf dem Boden. Überall befanden sich Tintenfässer und Kerzen, soweit ich es in der doch schon stark vorangeschrittenen Nacht noch erkennen konnte, das Zimmer war nicht sonderlich hell. Ich konnte das leichte Kratzen der Feder auf dem Papier hören, als der große Meister im schwachen Schein der Kerze die ersten Zeilen seines berühmten Meisterwerks verfasste. „Erste Szene… im Schloss von Verona… Zwei verfeindete Familien treffen aufeinander. Es war dunkel und es regnete, blitzte, donnerte, da selbst die Natur diesen Streit nicht duldete“, flüsterte der Schreiber und in diesem Moment donnerte es laut und Blitze erhellten die Nacht. Gedankenverloren sah ich hinaus, wo der Regen immer noch die Straßen durchnässte. Ich ging zum Fenster und schloss den Laden. Danach setzte ich mich wieder auf einen Stuhl und beobachtete Shakespeare weiter. Irgendwie… kam ich mir gerade so unnütz vor. War es nicht mein Auftrag ihm zu helfen? Aber wie konnte man denn jemandem helfen, wenn man ihm nicht zu viel verraten durfte? Ich blinzelte und gähnte anschließend. Ich war auf einmal so müde… dieses Gefühl breitete sich weiter in mir aus, das stetige Kratzen der Feder beruhigte mein Gemüt und schlussendlich ließ ich los…   „Ein schrecklicher Mörder, der eine ganze Familie auslöschte… Und das war… der niederträchtige Duce Montague…!“, murmelte Shakespeare und sah weiterhin in den Regen hinaus. „Die Einzige, welche von der ehrenwerten Familie der Capulets übrigblieb, war Juliet!“ „Na, hast du Ideen bekommen, großer Schreiber?“ „Oh ja, sogar sehr viele! Aber irgendwie… bemitleide ich diesen Jungen da hinter mir… Er hat keine Ahnung, was es heißt, mit den Charakteren einer Geschichte mitzufühlen, ihrem Schicksal teilzuhaben. Er scheint Bücher, wenn er denn überhaupt welche in die Hand nimmt, einfach nur zu lesen, aber er hat keine wirkliche Vorstellung davon, was sie ausdrücken wollen…“ „Du weißt, dass dich dies einen weiteren Gegenwert kosten wird, Willy“, betonte Yuko ausdrücklich und der Schriftsteller grinste. „Darf ich auch mitmachen?“, fragte er vorsichtig und nun war es an der Hexe, die Lippen zu einem Grinsen zu verziehen. „Der Preis… wird die Erstausgabe von deinem Buch sein!“, sagte Yuko und Shakespeare erschrak etwas. Der Autor schluckte. „Das… ist ein hoher Preis für einen Schriftsteller. Aber… ich werde ihn bezahlen!“ „Dann… wird sich dein Wunsch erfüllen!“, endete die Hexe und verschwand. Watanuki schlief weiterhin und merkte gar nicht, wie er und William in die Luft gehoben wurden und beide nebeneinander auf einem Bett landeten, friedlich schlafend. Noch war er ruhig, versunken in den Tiefen seiner Träume. Noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)