Rote Dämmerung von mangacrack (Wir sind, was wir waren) ================================================================================ Kapitel 3: Ein langer Fall ohne Ende ------------------------------------ Kommentar: Ich scheine mit den 30 Kapitel überrascht (und in Arrcross Fall geschockt) zu haben. Aber ich kann mich halt nicht kurz fassen, daher ist die grobe Schätzung wohl berechtigt. Viel Spaß beim Lesen mangacrack xxx ::Kapitel 03 – Ein Fall langer ohne Ende:: Vor der großen Zeremonienhalle versammelten sich Scharen von wartenden Engeln. Der ganze Himmel schien sich in einer Schale zu versammeln, um von ihrem Fürsten des Lichts Abschied zu nehmen. Der Nachthimmel über ihnen war grau und Wolken verhangen. Es war eine grauenhafte Stimmung, denn die Massen vor der Kathedrale, in der die letzte Versammlung stattfinden sollte, die der Öffentlichkeit zugänglich war, waren alles andere als beherrscht. Die trauernde Engel aus der einfachen Bevölkerung weigerten sich zu gehen, obwohl sie bereits einen letzten Blick auf Michael geworfen hatten, als verhüllte Staatsdiener den aufgebahrten Feuerengel an ihnen vorbei trugen. Für viele Engel war dies der vielleicht einzige Moment in ihrem ganzen Leben, an dem sie dem Heerführer nahe sein konnten. Denn Michael hatte sich nie für öffentliche Auftritte interessiert, wenn sie keine Unterhaltung für ihn versprachen. Viele von Michaels treu ergebene Soldaten hatten sich geweigert zu dieser Versammlung zu erscheinen und hatten geschworen ihren Herrn auf ihre Weise zu ehren. In den Lagern brannten Leuchtfeuer zu Ehren seiner Seele. Lediglich die hochrangigen Offiziere hatten erscheinen müssen und dürfen sich bis auf fünf Schritte dem offenen Sarg nähern. Die restlichen Engel, die der Gedenkfeier beiwohnten, durften nur an ihm vorbei gehen. Nicht wenige Soldaten hatten mit ihrer Fassung gekämpft, als sie ihren Herrn und Fürsten regungslos hatten daliegen sehen, aber bei ihnen war es wenigstens echte Anteilnahme. Nicht wie die hohen Beamten, die einige Worte murmelten, aber alle ziemlich bald von Camael verscheucht wurden. Der Krieger hatte neben seinem Herrn Stellung bezogen und hatte Tag und Nacht dort gestanden. Es war ihm egal gewesen, dass eigentlich eine himmlische Garde von ausgewählten Feuerengeln für den Schutz von Michael, dem Hüter des Feuers und ihres Elementes, zuständig waren. Camael stand hinter dem Sarg, strenge Haltung angenommen und seine rechte Hand über das Herz gelegt. Schon bald hatte man es aufgegeben, zu versuchen ihn davon abzubringen. Raphael seufzte schwer und strich seine Uniform gerade. Barbiel hatte keine Gnade gekannt und ihn auf die brisante politische Lage hingewiesen. Er konnte es sich jetzt nicht leisten, von den Normen abzuweichen und lediglich in einem Anzug erscheinen. Dabei hasste er die formelle Kleidung. Er sah aus wie Rosiel oder Sevothtarte, in der komplett in weiß gehaltenes Staatsgewand mit dem Abzeichen seines Ranges auf der Brust. Immerhin waren die Zeiten vorbei, in denen sie alle Rüstung und Schwert getragen hatten. „Diese Scharade ist eine Schande“, murmelte Raphael mehr zu sich als zu Barbiel, die hinter ihm stand. „Michael würde den Platz hier eigenhändig in die Luft sprengen, wenn er das hier sehen könnte.“ Oder er würde Unruhe veranstalten und sich tierisch darüber freuen wie die Hohen Engel versuchten das Protokoll zu wahren. Das wäre etwas, was er Michael zutrauen würde, wenn es denn möglich wäre. Seine eigene Beerdigung und Gedenkzeremonie zu verschandeln. Aber es war nur ein Wunschdenken. Eine Fantasie, die niemals wahr werden würde. „Raphael?“ Jibril war aus einem anderen Ausgang getreten und versteckte sich wie auch er im Schatten des Eingangs eines Gebäudes, von dem aus sie zur himmlischen Kathedrale laufen sollten. Wachen waren aufgestellt worden um zu verhindern, dass die Menge sie belästigte. Dennoch behagte es Raphael nicht, dass er sich von der Masse anglotzen lassen und begutachten lassen musste. Es ging hier um Michael, seinen Freund. Er war nicht hier, weil Michael bloß ein Element gewesen war. „Raphael?“, fragte Jibril noch einmal. „Hallo Jibril“, meinte Raphael abwesend und versuchte weiterhin in den Schatten zu verschwinden. In der leisen Hoffnung er würde dann nicht dort hinaus müssen und sich Michaels Antlitz noch ein weiteres Mal antun. Währenddessen begrüßte Jibril Barbiel und wechselte einige leise Worte mit ihr. Der Windengel hörte nicht zu, aber er konnte sich denken, dass Jibril seiner Beraterin dankte, dass sie so oft für ihn da gewesen war. „Keine Ursache, Jibril-sama. Es ist meine Pflicht, meine Ehre und mein Wunsch“, hörte er gerade Barbiel sagen. Also hatte er recht gehabt. Doch es war Raphael egal, ob die Frauen hinter seinem Rücken Feldzüge der Art 'Lass den depressiven Windengel ja nicht aus den Augen, wir wollen ihn behalten' planten oder sich über mögliche Formen der Politik unterhielten. Gerade wurden ein paar weitere hohe Engel angekündigt, die sich auf den Weg machen sollten. Bald wäre ihr Auftritt, denn die Elemente hatten die Aufgabe als letzte die Kathedrale zu betreten und sich von ihm zu verabschieden. Während die meisten Engel nur einen kurzen Zeitraum gewährt bekamen, durften die Elemente bis an den Sarg herantreten und sich so viel Zeit nehmen wie sie wollten. Für Raphael jedoch stand außer Frage, dass er das im Protokoll angeführte Mindestmaß überschreiten würde. Unter allen Augen, die sie beobachten würden, konnte er sich nicht verabschieden. Ertragen würden ließ sich die öffentliche zur Schaustellung nur, weil Raphael keine Alternative fand, die er für angemessen hielt. - Interessant war im Allgemeinen die unterschiedliche Stimmung unter den Engeln, beobachtete Barbiel. Die gemeine Bevölkerung hatte vornehmlich Angst, vielleicht sogar berechtigt, doch der Himmel war ohne Michael nicht hilflos. In Barbiels Gehirn hatte bereits der Teil das Denken übernommen, der sie in Schlachten schon unzählige Male gerettet hatte. Es stand ein Soldat weniger auf dem Feld, der in diesem Fall zwar leider eine große Lücke hinterlassen würde, aber es war eben nicht zu ändern. Trauern konnten sie später, jetzt mussten sie zeigen, dass der Himmel nicht führungslos dahin trieb und in sinnlosen Diskussionen verfiel. Sie durften nicht erst beim ersten feindlichen Angriff aufwachen. Sie mussten ein Zeichen setzten und Zuversicht zeigen. Der Himmel hatte sich unter Sevothtarte stets auf Michael gestützt, weil der lieber an der Front kämpfte, als an den Ratssitzungen teilzunehmen, aber der Himmel war nicht schwach. Es schien als würde Jibril als erste damit anfangen, eben dieses zu beweisen. Warum sonst würde sie die wallenden himmlischen Gewänder, die man von ihr gewohnt war, gegen einen Waffenrock eintauschen? Es war ein Anblick, der Raphael-sama in seiner niedergedrückten Stimmung vermutlich nicht aufgefallen war, ihr jedoch schon. Statt eines angemessenen Kleides trug Jibril eine enge weiße Militärhose mit den dazugehörigen schwarzen Stiefeln und einer dunkelblauen Montur dazu, an der ebenfalls das Rangabzeichen befestigt war. Die langen Haare hatte Jibril in einen hoch angesetzten Pferdeschwanz zurück gebunden und der schwarze Gürtel an ihrer Hüfte war mit einer Schusswaffe und anderen kleineren Taschen versehen. Die Herrin des Wassers sah jetzt alles andere als die zerbrechliche Glaspuppe aus, die sie solange gewesen war. Eher wirkte Jibril wie die Kommandantin der Wachleute, die den Korridor frei hielten. Aus vergangenen Zeiten wusste Barbiel, dass Jibril zwar politische Auseinandersetzungen dem Krieg vorzog, aber wie alle anderen Elemente eine erfolgreiche militärische Laufbahn hinter sich hatte. Sie war ein hochrangiger Engel. Sie konnte kämpfen. Ebenso war Jibril in der Lage Truppen zu kommandieren, es trauten ihr nur die wenigsten Engel zu. Gerade Barbiel konnte beurteilen wie es war, ständig unterschätzt zu werden. Die Art und Weise wie sich Jibril nun gekleidet hatte, symbolisierte deutlich, dass sie Michaels Flügelspanne auszufüllen gedachte. „Auf denn “, meinte nun eine tiefe Stimme hinter ihr und Barbiel verneigte sich noch im herumdrehen. „Es ist an der Zeit.“ Uriel schritt mit seiner riesigen schattenhaften Gestalt an Barbiel vorbei und nickte ihre Präsenz anerkennend zu, während er Jibrils Begleitung vollkommen ignorierte. Energischen Schrittes wandte er sich Raphael und Jibril zu und ließ die drei Wachposten hinter sich zurück. Barbiel konnte sich dank ihrer Anstellung als Raphaels Vertretung und in diesem Fall als seine Leibwächterin, ebenfalls von Michael persönlich verabschieden. Ihr Name würde im Protokoll nicht auftauchen, ebenso wenig wie sie nicht angekündigt werden würde. Sie war der Schatten ihres Herrn, nicht mehr und nicht weniger. Kurz begutachtete Barbiel Uriels Assistenten, aber konnte mit ihm nicht viel anfangen. „Es freut mich ihre Bekanntschaft zu machen“, grüßte er zurückhaltend. Wohl, weil er sich ihres exakten Ranges nicht sicher war. Uriels Vertretung war ein großer Engel mit blonden Haaren und einem Gesicht, das er zum Teil unter einer Maske versteckte. Sie verneigte sich. „Barbiel, vom Rang der Gewalten“, stellte sie sich vor. „Miguel, vom Rang der Herrschaften“, erwiderte der Engel, der über ihr stand, folgte sich dem Rang hierarchisch. „Danke“, sagte sie. „Es freut mich ebenfalls, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass ein anderer Anlass wäre.“ „Das ist wahr. Es ist ein mehr als trauriger Anlass“, erklang nun eine weitere Stimme. Erst jetzt fiel Barbiel auf, dass es sich bei Jibrils Begleitung um den jungen Raziel handelte. Verwundert sah sie ihn kurz an, während er sie und Miguel ordnungsgemäß begrüßte. Vom Aussehen her war er nur ein kleiner Junge, doch Barbiel erinnerte sich, dass Raziel gegen Zaphikels Stellvertreter gewesen war und immer noch seine Stellung innehatte. Da Raziel selbst bloß den Rang eines Fürsten innehatte, aber dennoch die Aufgaben eines Throns erledigte, war es ein kluger Schachzug der persönliche Assistent der Herrin des Wassers zu werden. Von Jibril konnte er Rückendeckung erwarten, ohne dass sie versuchen würde seine Autorität in den Rängen der Rebellen zu untergraben. Jibril hingegen gewann damit Einfluss auf eine wichtige politische Fraktion im Himmel, die derzeit viel Ansehen genoss. Besonders in der einfachen Bevölkerung, die nach den Unruhen durch Sevothtarte und Rosiel dem Rat der Seraphin nicht mehr vertraute. Ich sollte dankbar sein, dass Jibril-sama und Raphael-sama sich im Moment so gut verstehen. Ansonsten müsste ich die Hälfte der politischen Angelegenheiten mit Raziel abstimmen, dessen Fähigkeiten mir außer Zaphikel strengen Rufes nicht bekannt sind. So könnte unsere Zusammenarbeit in der nächsten Zeit sehr bedeutsam für die Zukunft werden, sinnierte Barbiel und beschloss sich mit dem jungen Engel zu arrangieren. Es war erstaunlich, dass die Spannung, die zwischen den Elementen herrschte, als sie über den Platz schritten, nicht den Himmel teilte und Schalen auseinander brechen ließ. Ein sorgenvoller Blick nach oben zeigte Barbiel, dass Raphael-sama in sehr schlechter Stimmung war. Nach langer Erfahrung und einem eingehenden Studium wusste sie, dass nicht alle Verbindungen mit dem Element, welche die großen Vier bewachten, bewusster Natur waren. Das stetige Zerren des Windes an ihrer Kleidung und die einzelnen Regentropfen, die herunter fielen sagten ihr auch, dass es Jibril nicht sehr viel besser erging, trotz der guten Miene die sie machte. Nur Uriel-sama hatte bisher kaum ein Wort gesagt. Aber es war auch nicht der richtige Zeitpunkt um Gespräche zu führen. So emotional aufgewühlt, wie die Elemente im Moment waren, konnte Barbiel nur hoffen, dass ein Taifun nicht losbrechen und das Himmelreich verwüsten würde. Sie kannte ihren Herrn nun lange genug, um zu wissen, dass er trotz seiner kühlen Fassade leicht am Rande seiner Selbstbeherrschung marschieren konnte. Bis der Schock nachließ, war es nur noch eine Frage der Zeit und Raphael-sama würde dann endgültig die Nerven verlieren. Derartig emotional aufgewühlt und kein Michael-sama, der Raphael-sama wieder zur Vernunft bringen wird, dachte Barbiel besorgt. Die Engelsmassen riefen alle durcheinander, während die drei verbliebenen Elemente mit ausgestreckten Flügeln über den Platz zur Kathedrale schritten. So war es im Protokoll vorgeschrieben und keiner hatte im Moment die Kraft sich dagegen aufzulehnen. Huldigungen, Bitten und Gebete erklangen und verstummten erst, als zuerst Uriel, dann Jibril und zuletzt Raphael das große Flügeltor passierten, welches danach hinter den drei Begleitern geschlossen wurde und sich Wachen davor postierten. Die Wartenden auf dem Platz ließen sich zum Gebet auf die Knie fallen. Barbiel musste sich anhalten, um nicht mit großen Augen das Prachtwerk an himmlischer Baukunst zu bestaunen, das sie gerade betreten hatte. Noch nie hatte sie dieses Gebäude betreten dürfen, wenn die Kirche auch zum alltäglichen Stadtbild des Himmels gehörte. Die himmlische Kathedrale war riesig. Die Gotteshäuser, welche die Menschen auf der Erde bauten, waren nichts im Vergleich zu dem Gebäude, das sich über Barbiels Kopf erhob. Sicher passten hier über zehntausend Engel hinein. Die Fenster im Kirchenschiff waren so riesig, dass sie die ganze Kirche erleuchteten, dennoch wirkten sie schmal im Vergleich zum restlichen Gemäuer. Überall befanden sich kleine Balkone, die bis an die übergroße Decke reichten und mit anwesenden Engeln besetzt waren. Für die drei verbliebenen Elemente hatte man drei große Balkone hergerichtet, die sich gleich in der ersten Etage am Ende des Kirchenschiffes befanden, sodass sie den besten Blick auf den aufgebahrten Engel des Feuers hatten. - Raphaels Magen rumorte vor Spannung und vor Aufregung. Er fühlte, wie draußen der Wind stärker blies und seine Kräfte unbemerkt verrückt spielten. Immer noch befand er sich in dieser Wolke, die alle Geräusche abschirmte und jegliches Geschehen langsamer erscheinen ließ, doch er wusste: es war real. Das Singen des Chors, das in ihm Übelkeit verursachte, genauso wie die leisen Stimmen der Generäle, welche Blicke austauschten und dann ehrerbietig ihre Köpfe senkten. „Oh Herr, erbarme dich...“ Raphael zuckte zusammen und das Pfeifen des Windes in seinem Ohr verdeutlichte seine innere Reaktion auf diese scheinheilige Zeremonie. Eigentlich wollte er das hier nicht mitmachen. Sein Körper bewegte sich allerdings wie von selbst, die festen Mauern hielten ihn gefangen und ließen ihn ein Protokoll durchlaufen, auf das er seit Urzeiten programmiert war. Vor langer, langer Zeit, als er noch ein Kind gewesen war und man ihm beigebracht hatte, was hier hieß ein Element zu sein. Es war entwürdigend. Der Chor besang einen Gott, der tot war. Einen wahnsinnigen Schöpfer und der Himmel tat, als wäre nichts gewesen. Und die Dämonen? Die waren genauso wenig bereit ihrem Teufelskreislauf der Zerstörung auszubrechen. All das resultierte in dem Schriftzug vor ihm. - Der Körper stirbt, aber der Geist, der ihn übersteigt, kann vom Tod nicht berührt werden. Das bedeutet, ich bin der unsterbliche Geist. – Sie waren jetzt vorne angekommen und nur Raphaels jahrhundertelange Erfahrung hielt ihn davon ab, jetzt in die Knie zu gehen und vor der Tafel, die man vor Michaels offenen Sarg angebracht hatte, zusammenzubrechen. „Michael“, flüsterte Raphael erstickt und er fühlte wie jemand ihm eine Hand auf die Schulter legte. Aber es kümmerte den Windengel nicht, wer es war. Es war gleich. Es bedeutete nichts, weil es nicht Michael war, der ihm jetzt beistand. Wie auch? Sein Freund lag tot vor ihm. Zum einen ließ ihn der Anblick Michaels in dieser förmlichen weißen, aber zum Kämpfen absolut ungeeigneten Gala Uniform, schwindelig werden. Es drehte sich alles in seinem Kopf und irgendwo sagte Raphael sein ärztlicher Verstand, dass er wirklich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Aber er musste diese Zeremonie überstehen und hinter sich bringen. Sie würde nicht ohne ihn stattfinden, aber was sollte er tun? Beten? Nein, er war nicht Jibril, er konnte das nicht mit einem zielbewussten Glauben wieder wettmachen. Er war auch nicht wie Uriel, der fast wie eine große regungslose Steinstatue dastand, sich keinen Zentimeter rührte und alles stillschweigend ertrug. Es mochte ein bizarrer Anblick sein. Für die vielen Engel war das ein Ereignis, das es vielleicht nie wieder geben würde. Die erste offizielle Versammlung der Elementare, die zum ersten Mal seit Jahrtausenden vom Rat der Seraphin befohlen worden war und dann dazu zu einer Beerdigung. Zu einer Verabschiedung eines Elements. „Michael“, presste Raphael noch einmal voller Schmerz hervor. Schließlich brachte er es endlich fertig, die Stufen zu dem Sarg hinauf zu steigen, um vor diesem stehen zu bleiben. Er sprach nur leise, weil er nicht wollte, dass andere seine letzten Worte zu Michael hörten, doch er war sich sicher, dass zumindest Uriel und Jibril ihn hören würden. „Michael, du Idiot. Du Hitzkopf. Wie konntest du das tun?“, fragte Raphael, in der Hoffnung er würde Antwort bekommen. Vor ihm ausgestreckt lag Michael regungslos da, beide Arme vor seiner Brust gekreuzt, die sein Schwert hielten. Es sah aus, als würde er schlafen. Obwohl Michael nie so feierlich dagelegen hätte. Das bewies Raphael nur noch ein weiteres Mal, dass Michael tot war. Vorsichtig führte Raphael seine Hand zu Michaels Wange, wo der Drache eintätowiert war, in der Hoffnung die unwirkliche Realität würde zerspringen, wenn er Michael berührte. Die Wirklichkeit blieb ein Traum. Die helle Haut wirkte noch weißer als üblich und der Körper war kalt. Michael war immer warm gewesen und hatte stets Hitze ausgestrahlt, als könnte das Feuer nicht in seinem Körper bleiben! „Michael.“ „Das bringt ihn nicht zurück, Raphael“, murmelte Uriel neben ihm. „Ich weiß“, antwortete Raphael tonlos, aber schon etwas ruhiger. Uriel wirkte wie ein unerschütterlicher Berg, der sich nicht vom Fleck bewegte. Was er denken mochte, Michael so zu sehen? Seine und Michaels Beziehung war die Seltsamste von allen gewesen, wobei sich wahrscheinlich jeder von ihnen einbildete eine besondere Beziehung zu Michael gehabt zu haben. Bei Jibril mochte das zutreffen, sie kämpfte mit wütenden Tränen und ihrer Fassung. Der Erdengel allerdings verzog keine Miene. Nicht ein Muskel regte sich und das schwarze Haar fiel in einem kompliziert gebundenen Zopf in das unbewegte Gesicht. Raphael ging sogar soweit sich zu fragen, wie Uriel trauerte. Selbst Michaels Züge wirkten weniger tot. „Wir sollten nach oben gehen“, schlug Jibril ebenso leise vor, die jetzt auf Raphaels anderer Seite stand und Michaels Kopf damit am nächsten war. „Umso schneller ist es vorbei.“ „Du hast recht“, gab Raphael zu. Dennoch viel es ihm schwer sich loszureißen und nicht einen weiteren Wiederbelebungsversuch zu starten. Jedoch es würde nicht funktionieren. Er konnte niemanden zurückholen, der über ihm stand oder ihm in seiner Macht ebenbürtig war. Michael würde nie wieder erwachen. Als er oben auf dem Balkon auf dem bequemen Stuhl an der Ballestrade Platz genommen hatte und sein Gesicht mit schweren Vorhängen vor den restlichen Anwesenden verborgen wurde, er aber immer noch einen guten Blick auf das Geschehen unten hatte, kam es Raphael dennoch so vor, dass Michael jeden Moment aufspringen und sich über die Sinnlosigkeit dieser Veranstaltung beschweren würde. - Auf der Ebene herrschte nur Dunkelheit und sie drang wie eine Gewalt bis an seinen gelähmten Körper heran. Eine Augenbinde verhinderte, dass er etwas sehen konnte. Doch die Macht des endlosen Nichts war dennoch allgegenwärtig. Sie belästigte und verhöhnte ihn, dass er durch die Ketten an seinen Gelenken absolut hilflos war. Die säuselnden mokierenden Stimmen kannte er schon lange, aber ein Gesicht dazu hatte es nie gegeben. Feige Geister, die sie waren, wagten sich nicht aus dem Schutze der Dunkelheit heraus. Nur hin und wieder folterten sie ihn mit Illusionen. Niemals blutete er. Nie wurde ihm eine Wunde zugefügt, aber litt er Schmerzen. Sein Verstand reagierte auf seine Sinne, so durcheinander sie auch sein mochten. Etwas anderes hast du auch nicht verdient, oder?, fragte ihn die Dunkelheit. Man hat dich verdammt und vergessen. Zu Recht, wie ich meine. Er antwortete nicht. Es war hart diesem Drang nicht nachzugeben, aber niemals würde er sich auf die Illusionen einlassen. Der Wahnsinn musste warten. Durchhalten und die Folter still ertragen, war die einzige akzeptable Option. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)