Cem von inkheartop (Dazwischen) ================================================================================ Kapitel 1: Mika. Jo. -------------------- Dreiundzwanzigster Es ist eigentlich eine ziemlich bescheuerte Geschichte. Aber Jo erzählt sie so gerne. Wie er den Anhänger verloren hat, im Schnee, im Dezember. Den Anhänger, den Cem ihm geschenkt hat, damals. Und obwohl sie schon mehr als ein Jahr getrennt waren, war es eine Tragödie. Jo suchte. Überall. Ging den ganzen Weg noch mal ab, zweimal, dreimal, sechsmal. Nichts. Dann der letzte, nicht gerade hoffnungsvolle Gang ins Fundbüro. „Ich suche einen Anhänger“, sagte Jo dort. „Ein Löwenkopf, gold und ein bisschen verkratzt. Hintendrauf steht… steht… Gut gebrüllt, Löwenherz.“ „Ah, da haste aber Glück gehabt“, grinste der Fundbürotyp und kramte den Anhänger aus einer kleinen Kiste voll mit weiteren Anhängern. „Der wurde heute Morgen abgegeben.“ Am liebsten wäre Jo in Tränen ausgebrochen und dem Kerl um den Hals gefallen. Er beschränkte sich auf Letzteres. Der Kerl, der Fundbürotyp, das war Michael. Mika. Inzwischen ist der Anhänger fast unwichtig geworden. Aber Jo hat ihn immer noch am Schlüsselbund. Er weiß, dass Mika nicht sonderlich glücklich damit ist. Und Mika weiß, dass er damit leben muss, weil Jo nichts davon hält, jegliche Erinnerungen an Exfreunde in den Müllschredder zu werfen und die Reste zu verbrennen. Cem ist ein Teil seines Lebens gewesen, so wie Mika jetzt einer davon ist. „Und wenn der Löwe nicht gewesen wäre“, pflegt Jo zu sagen, wenn Mika mal eine seiner seltenen Eifersuchtswutanfälle hat, „und wenn Cem nicht gewesen wäre, dann würden wir uns gar nicht kennen.“ Dann gibt er meistens Ruhe. Und inzwischen lächelt er sogar ein bisschen, wenn Jo jemandem die Kennenlerngeschichte erzählt und dabei Cem erwähnt. Er lächelt und schüttelt den Kopf. „Es war schon irgendwie Schicksal“, sagt Jo, als er und Mika beim traditionellen Dreiundzwanzigster-Dezember-Weihnachtsessen sitzen. Das machen sie seit drei Jahren. Mit Lisa und Tobias, mit Jay und der Freundin, die er dieses Jahr hat – Petra heißt sie und ist bisher sein bester Fang, findet Mika. Ihr erzählt Jo die Geschichte und Pet lächelt verlegen und sieht zu Mika. „Quatsch“, meint Mika und stößt Jo verlegen in die Seite. „Übertreib nicht gleich.“ Aber so ist Jo. Wenn man Mika vor drei Jahren erzählt hätte, dass er mal mit einem derart hoffnungslosen Romantiker zusammen sein würde, hätte er dem anderen an die Stirn getippt und ihn einen Spinner genannt. Mika ist überhaupt nicht romantisch. Er vergisst ihren Jahrestag und verschenkt zu Geburtstagen immer Gutscheine, er mag weder Rosen noch Kerzen und er könnte gut ohne Liebe, aber niemals ohne Sex auskommen. Zumindest hat er das mal gedacht. Jo mag all diese Sachen. Und den restlichen Kram und er steht furchtbar auf Weihnachten. Für Mika ist das nur eins dieser Feste, die es eben im Laufe des Jahres so gibt. Wie Ostern oder den Muttertag. „Bleibt ihr morgen zu Hause?“, fragt Tobias und reicht Mika eine Flasche Bier. „Ne.“ Mika schüttelt den Kopf. „Meine Ma hat drauf bestanden.“ Er zuckt mit den Schultern, kann sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Er liebt seine Ma, könnte ihr nie was abschlagen. „Zum Glück kommt sie mit Jo klar, was?“ Mit einem Funkeln in den Augen nippt Tobi an seinem Bier. Es stimmt schon, nicht jeder kommt mit Jo gut aus. Jos Familie gehört dazu. Aber seine Mutter liebt diesen Kerl so abgöttisch. Mika weiß gar nicht, wo sie das her hat. „Wir bleiben dieses Jahr hier“, erklärt Lisa, die das Gespräch mit angehört hat. Sie räuspert sich und sieht in die Runde. Alle sehen satt und zufrieden aus, so wie Mika sich fühlt. „Ähm, Leute“, sagt Lisa. Ihr Blick verhakt sich mit Tobis und Stille kehrt ein. „Ich will euch was sagen.“ Tobias nimmt ihre Hand und ihre Augen flackern. „Ich bin schwanger.“ Der Gedanke ist seltsam. Dass da jetzt in Lisas Bauch ein Wesen wächst, das zu Tobias gehört wie es zu ihr gehört. „Schon verrückt“, spricht Jo aus, was Mika nur denkt. „Lisa ist vierundzwanzig. Irgendwie jung, oder? Dann ist sie grad mal dreißig, wenn das Kind in die Schule kommt.“ Mika nickt nur. Jo hat seine Hand zu Mikas in die Jackentasche geschoben, er spürt die Finger kalt an seinen. Eine Weile lang gehen sie schweigend nebeneinander her. Was ungewöhnlich ist, wenn man mit Jo geht. Jo schweigt nicht oft. Aber zu Weihnachten ist er immer anders. Er redet nicht viel darüber, doch Mika weiß, dass er an seine Familie denkt. Sein Gesicht zerfällt dann immer ein bisschen, sein Mund wird ganz gerade und seine Augen scheinen ins Leere zu starren. Mika mag es nicht, wenn er so aussieht. „Ich glaube, zum Kinderkriegen ist man immer zu jung“, spricht er in die Nacht hinaus, in die laternenbeleuchtete Nacht. „Hm“, macht Jo. „Willst du mal Kinder?“ Die Frage trifft ihn nicht ganz unvermittelt, jetzt da Lisa und Tobias Nägel mit Köpfen gemacht haben. Und trotzdem überrascht es ihn. Darüber nachgedacht hat er noch nie wirklich. „Ich weiß nicht“, gibt er ehrlich zu. „Ist ne große Sache.“ Jo sieht ihn von der Seite an. „Ich will Kinder.“ Ein verrückter Satz. Nicht nur aus Jos Mund, sondern so insgesamt. So, an Mika gerichtet. „Du kannst nicht adoptieren.“ Jo schnaubt. „Weiß ich. Aber irgendwann bestimmt.“ Um den Haustürschlüssel rauszukramen, holt er seine Hand aus der Jackentasche. „Ich wär kein schlechter Vater“, sagt Jo, während sie die Treppe hochgehen. „Denk ich. Vielleicht ein bisschen zu nett. Aber du kannst uns dann ja anschnauzen.“ Er stößt ein leises Lachen aus. In Mikas Hals wächst ein Kloß. Achtundzwanzigster Streit ist nicht ungewöhnlich, sagt man. Schon gar nicht zur Weihnachtszeit. Streng genommen ist aber gar nicht mehr Weihnachten. Es ist der achtundzwanzigste Dezember und der erste Tag seit einer Woche, an dem Mika einfach nur zu Hause im Bett liegen und seine Ferien genießen könnte. Irgendwie ist alles schief gegangen. Er weiß gar nicht mehr richtig, wie der Streit angefangen hat. Nur dass sie irgendwann wieder auf die Kinderfrage gekommen sind, das ist ihm geblieben. Mika will keine Kinder. Mika glaubt nicht, dass er ein guter Vater wäre. Er glaubt nicht, dass er zusammen mit Jo ein guter Vater wäre. Genauso hat er das gesagt. Irgendwie kann er verstehen, dass Jo ihn vor die Tür gesetzt hat. Mit Jacke, zum Glück. In ein paar Stunden kann er wieder zurückkommen, das ist ihm klar. Und eigentlich könnte er zu Tobias gehen, er und Lisa nehmen ihn immer auf, wenn was schief gelaufen ist. Er hat keine Lust auf Tobias und Lisa. Dann muss er auch nur wieder an Kinder denken. Er hat auch keine Lust auf Jay oder Nina oder Franzie. Alleinsein. Die Stadt hat auch noch nicht ganz begriffen, dass Weihnachten vorbei ist. Die Lichter hängen immer noch überall und die Menschen sehen genauso abgehetzt aus wie vor dem Vierundzwanzigsten. Eine Bank im Park. Von hieraus kann er die Bibliothek sehen, ein schönes Gebäude. Der Schnee liegt in diesem Teil des Parks noch auf den Wegen, der Räumdienst ist wohl weihnachtsfaul. Wenigstens sieht es nett aus. Das denkt er. Bis ein junger Kerl, schwer beladen mit zwei riesigen Taschen und einem Rucksack, an ihm vorbeigeht. Das heißt, er balanciert mehr und Mika sieht das Unglück schon, bevor der Typ schwankt und der Schnee seine Füße nicht halten will. „Fuck“, flucht er. Und noch ein paar andere unschöne Dinge. Anstatt aufzustehen, bleibt er liegen, auf seinem unbequem aussehenden Rucksack und im Schnee. „Brauchst du Hilfe?“, fragt Mika. „Nein“, raunzt der andere. Dann seufzt er und richtet sich auf. „Sorry. War nicht so gemeint.“ „Schlechten Tag erwischt?“ Mika hält ihm eine Hand hin und hilft ihm auf. „So in etwa.“ Der Fremde sammelt seine Taschen ein und sieht ein bisschen verloren in die Welt. „Schlechtes Leben wohl eher.“ Er setzt sich zu Mika auf die Bank. Vielleicht ganz gut so, denkt der. Vielleicht vertreibt der die Gedanken an Kinder und Jo und blöde Streits mit Jo über Kinder. „Was haste denn da drin?“ Mika deutet auf die Taschen. „Bücher.“ „Wow. So fleißig bin ich echt nicht.“ Der Fremde zuckt mit den Schultern. „Ist nicht nur zum Lernen. Sind auch Romane. Und ein paar Kochbücher.“ „Ein paar?“ Wieder das Schulterzucken. Zusätzlich ein fast schon verlegenes Kratzen des Hinterkopfs. „Irgendwann muss ich’s ja lernen. Bisher hat mein Freund immer gekocht.“ Mika bemerkt die Perfektform. Und das Maskulinum. „Kenn ich“, sagt er. Sie tauschen Blicke. Der Fremde hat schöne Augen. Blaugrau. Dabei ist seine Haut wie Sand, ein bisschen dunkler, passend zu den schwarzen Haaren. Er erinnert Mika an jemanden, an irgendwen. „Ich komm nicht ganz mit dem Lernen hinterher“, sagt der Typ. „War in der letzten Zeit eher mit Wohnungssuche beschäftigt. Ist zurzeit echt nicht leicht.“ „Was studierst du?“ „Architektur.“ „Cool. So Häuser bauen oder eher Räume?“ Der Fremde grinst. „So Häuser bauen.“ Mika erwidert das Grinsen. „Sorry. Ich versteh nichts davon. Ich will nur Lehrer werden.“ Die Augenbrauen schießen gewohnt schnell in die Höhe. „Echt?“ Das sagen die meisten, die es nicht werden wollen. „Ich könnte nie wieder zur Schule gehen.“ Das auch. „Ich will’s anders machen als meine Lehrer“, meint Mika nur, sein Standartspruch. „Tolerant, interessant, keine Schlaftablette.“ „Wart’s nur ab“, grinst der Fremde. „Bis du sechzig bist. Dann hast du den Stoff schon so oft durchgekaut.“ Mika winkt ab. „In Gemeinschaftskunde tut sich immer was. Und in der deutschen Grammatik auch.“ Ein Lachen als Antwort. Nicht laut, aber mit dem ganzen Gesicht. Es erinnert ihn stark an Jo. Jo. Jetzt denkt er schon wieder an ihn. Fragt sich, warum sie so oft streiten müssen und warum sie so verschieden und warum sie überhaupt zusammen sind. „Alter“, sagt der Fremde und runzelt die Stirn. „Dir geht’s aber auch nicht sonderlich, was?“ Mika ist keine Heulsuse. Aber zurzeit ist’s einfach so allgemein ziemlich bescheiden. Da darf er mal ein paar Tränen verdrücken. Ein Zittern läuft durch seinen Körper und er vergräbt das Gesicht in den Händen. Die warme Hand des Fremden liegt auf einmal auf seinem Rücken. Kein Wort. Sie sitzen einfach eine Weile auf dieser Bank und Mika versucht, wieder zu Atem zu kommen. Wieder klare Gedanken zu fassen. Alles wird von Jo überschwemmt. „Manchmal…“, sagt er irgendwann, weil er das Gefühl hat, dass er etwas sagen muss, um nicht verrückt zu werden. „Manchmal frag ich mich echt, wieso ich bei ihm bleib.“ Die Hand liegt immer noch da, zwischen seinen Schulterblättern. Und tut gut. „Wir sind so verschieden. Wir gehen uns gegenseitig auf die Nerven, wir…“ Er bricht ab. Mit zusammengekniffenen Augen sitzt er da und sucht nach Gründen, warum er bei Jo bleibt. Ihm fällt nur einer ein. Dummerweise ist der auch wirklich gut. Sie schweigen wieder. Ein junges Pärchen kommt vorbei. Mit Kinderwagen. Mika sieht weg. In diese irritierend blauen Augen, die ihn anlächeln, obwohl der Mund ganz ernst ist. „Ich kann dir da auch nichts raten. Ich kenn dich gar nicht. Und ich krieg nicht mal meine eigenen Beziehungen auf die Reihe.“ Mika schmunzelt. „Die ist bisher auch meine längste.“ „Na, dann…“ Er reicht ihm ein Taschentuch. Mika putzt sich die Nase, bedankt sich und steht auf. Es wird Zeit. „Wenn du mal jemandem zum Reden brauchst…“, sagt der Fremde, der inzwischen gar nicht mehr so fremd ist. „Ich bin eigentlich niemand, der redet“, gibt Mika zu. „Ich auch nicht.“ Sie grinsen sich verhalten an, bis Mika die Hand ausstreckt. „Michael“, sagt er und der Fremde schlägt ein. „Cem.“ Natürlich lässt Jo ihn wieder rein. Natürlich fällt er ihm um den Hals und überschwemmt ihn mit Küssen und Entschuldigungen. Mika entschuldigt sich auch, entschuldigt und entschuldigt sich und ist mit dem Kopf ganz woanders. In der Nacht liegt er im Bett neben Jo, der einen Arm auf seinen Brustkorb gelegt hat. Ruhiger Atem, warm und vertraut. Mika hat gesagt, dass es ihm leidtut. Jo auch. Alles ist gut. Sie haben geredet. Sie hatten Sex. Und jetzt liegt Mika neben Jo und denkt an dessen Exfreund. Deshalb kam er ihm bekannt vor. Mika hat ihn auf ein paar Fotos gesehen, die Jo fein säuberlich in ein Album geklebt hat. Blaue Augen. Sein Herz zieht sich zusammen. Das kann ja wohl nicht sein, denkt er bei sich. Dass er sich verknallt. In Cem. Aber er weiß, wie es sich anfühlt, verknallt zu sein. Er kennt das Herzklopfen und das warme Gefühl in seinem Bauch, wenn er an dieses Lächeln denkt und an die Hand auf seinem Rücken, zwischen seinen Schulterblättern. Das kann ja wohl nicht sein. Es ist Nacht und es wird Tag und Mika liegt wach, starrt an die Decke und steht erst auf, als Jo beginnt sich zu strecken und ihn anzublinzeln. „Morgen“, nuschelt Jo. Mika nuschelt was zurück, das er selbst nicht ganz versteht. Er macht Kaffee. Er bringt Jo Frühstück ans Bett und vergleicht das Gefühl, das er bei Jos Lächeln empfindet, mit dem, wenn er an Cem denkt. Kaum zu unterscheiden. Das bei Jo kommt ihm normaler vor. Gewohnt. Und tiefer, es sitzt eingegraben in seiner Lunge und bringt sein Herz in Einklang. „Wow“, murmelt Jo und reibt sich die Augen. „Wir sollten öfter streiten.“ „Machen wir doch schon“, meint Mika, Jo streckt ihm die Zunge raus. „Ich hab dich lieb“, brummt Jo später gegen sein Kinn, reibt die Nase gegen Mikas Wange. „Ich dich auch“, wispert Mika zurück, fängt den Kuss und verbietet sich ein schlechtes Gewissen. Es ist doch nichts. Nichts passiert. Es wird auch nichts passieren. Dreißigster Mika steht im Supermarkt und betrachtet die Raketen, die Böller und die Wunderkerzen. Eigentlich will er nichts kaufen, oder zumindest wirklich nicht viel, aber es ist immer wieder verlockend. Feuerwerk ist für ihn das einzige, was er romantisch nennen würde. Aber vor allem ist es aufregend. „Die Preise sind ganz schon rauf gegangen dieses Jahr“, stellt jemand neben ihm fest. Mika zuckt zurück, weil die Stimme ihm zu bekannt, zu vertraut vorkommt. „Hey“, bringt er heraus, mehr nicht. Cem lächelt. Mikas Herz schlägt. Noch. „Zufälle gibt’s“, sagt Cem und greift nach ein paar Riesenwunderkerzen. „Die gibt’s gar nicht.“ „Was?“ In Cems Einkaufswagen liegt nicht sonderlich viel. Jogurt, Brot, Dosenananas und Bier. Ob er Silvester allein verbringt? Mikas Wagen kommt ihm dagegen regelrecht überladen vor. „Na, erst die Parkbank und jetzt hier…“ Cem zuckt mit den Schultern. Kann man sein Lächeln eigentlich ausschalten? Mika würde gerne. Denn dann wäre die Katastrophe, die gerade auf ihn zurast, vielleicht nicht ganz so verheerend. „Was machst du denn noch hier? Die Schlange an der Kasse wird immer länger und wir…“ Mika schließt die Augen. Jo verstummt. Und Cem… ja. Cem. „Jo“, sagt er. Klingt überrascht und erfreut und überrascht. Mika blinzelt ihn an, sieht die blauen Augen zwischen sich und Jo hin und her huschen. „Cem“, sagt Jo. Und langsam breitet sich dieses Strahlen über seinem Gesicht aus, wie Weihnachten kurz vor der Bescherung, Mika kennt diesen Blick zu gut. Er kennt Jo zu gut. Er weiß, was jetzt passieren wird. Und er kann nur tatenlos daneben stehen. „Wow“, macht Cem. „Lange nicht gesehen.“ Jo hat ihn längst in seine Arme geschlossen und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Mika ist eifersüchtig. Und weiß nicht, auf wen. „Das kannst du laut sagen… Auch Einkaufen für Silvester?“ Ein Blick in den Einkaufswagen, ein Stirnrunzeln. Es passiert. Mika kann es nicht aufhalten. „Oh“, macht Jo. „Sieht ja nicht wirklich nach Party aus.“ „Hab auch keine große Lust drauf.“ „Auf Silvester?“ Jo klingt fassungslos. So ist er. „Jeder hat Lust auf Silvester, sogar… ach, ich hab euch noch gar nicht vorgestellt. Cem, das ist Mika, mein Freund, meine bessere Hälfte, wie auch immer du es nennen willst. Und das ist Cem, du weißt schon, der Anhänger…“ „Ja“, nickt Mika. „Der Anhänger.“ „Hast du den immer noch?“, lächelt Cem verblüfft. Was ist das für ein Blick, den er Mika dabei zuwirft. „Natürlich.“ Dankenswerterweise erzählt Jo jetzt nicht die Geschichte. Aber Mika hätte sie jederzeit in Kauf genommen, wenn es nur das Folgende verhindert hätte. „Hast du zurzeit jemanden?“, fragt Jo und rümpft die Nase als Cem den Kopf schüttelt. „Allein Silvester feiern geht gar nicht. Willst du zu uns kommen? Wir feiern mit ein paar Freunden, wird relativ ruhig, wenn man den Alkohol und Mikas Essen außen vorlässt.“ „Ah, du kochst?“ Mika nickt und will, dass… dass die letzte Woche nicht geschehen ist, dass Cem verschwindet, dass Jo verschwindet, dass… Er weiß nicht, was er will und dieses Gefühl macht ihn fast verrückt. Cem lächelt fast verlegen und reibt sich den Nacken. „Du lässt mich ohne ein Ja sowieso nicht gehen, was?“ „Du kennst mich.“ Es ist dieser Satz, der Mika den Rest des Tages im Kopf bleibt. Egal wie er ihn dreht und wendet, er ist da und macht ihm klar, dass Cem Jo kennt, dass Jo Cem kennt, dass er irgendwie das dritte Rad an diesem seltsamen Wagen ist. Er versucht auch nicht, es Jo auszureden. Es hätte keinen Sinn. Aber sein Schweigen lässt Jo trotzdem die Stirn in tiefe Falten legen. Zu Hause sieht er ihn an und tippt ihn auf die Nase. Das macht er so oft, einfach so. „Du hast doch nichts dagegen, oder?“ „Quatsch“, murmelt Mika, räumt die Einkäufe in den Kühlschrank und hofft, dass Jo nicht merkt, dass seine Augen brennen. Einunddreißigster Kaum geschlafen und das sieht man auch. Mika steht vor dem Badezimmerspiegel und atmet noch mal durch. Für halb acht sind alle angekündigt, jetzt ist es fünf vor und sein Herz rast schon. Wenigstens das Essen ist soweit fertig und Jo deckt den Tisch und Jo wird auch zuerst zur Tür rennen, darum muss er sich also auch nicht kümmern. Er kann sich ganz auf seinen Herzschlagen und die blauen Augen konzentrieren. Boden, verschluck mich, viel schlimmer kann’s nicht mehr kommen. Jay zuerst da, Petra hat eine Flasche Wein dabei und Jo steht die Rolle des Gastgebers ganz hervorragend. „Wo sind die Eltern?“, fragt Jay scherzhaft. „Kommen nicht. Die zwei sind bei Lisas Schwester eingeladen. Aber Katja bringt ihren neuen Freund mit“, plaudert Jo. „Und ich hab Cem eingeladen.“ „Deinen Ex?“ Petra sieht zu Mika. „Macht dir das nichts aus?“ „Gar nicht“, lügt Mika. Es klingelt und Jo hastet zur Tür. „Hey, wir hatten’s grade von dir.“ Das ist er wohl. Cems Lachen klingt selbst aus dem Flur so gut. Bescheuert gut. „Hoffentlich nur Gutes.“ „Das sind Jay und Petra“, sagt Jo. „Pet“, verbessert Petra schnell. „Du bist Cem?“ Bald sind auch Katja und ihr Neuer da, er hat strohblondes Haar, einen eigenartigen Akzent, den Mika noch nie gehört, und einen komischen Namen, den er sich bei all dem Herzklopfen und so weiter gar nicht erst gemerkt hat. Das Essen läuft gut, besser als Mika erwartet hat. Er rennt zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, und sein Platz ist gegenüber von Petra und neben Jo, er weicht Cem aus so gut es geht. In der Pause zwischen Hauptgang und Dessert sitzen die anderen im Wohnzimmer und sehen sich Dinner for one an, von der Küche aus kann Mika das Gelächter hören. „Kompliment an den Koch.“ Vor Schreck lässt Mika fast die Schüssel mit dem Mousse au Chocolat fallen. „Verdammt… ich mein… Danke.“ Er spürt Cems Blick auf sich. „War die Suppe nicht zu scharf? Jo meint immer, es könnte unschärfer sein… schmecken… also…“ Was labert er da? Cem gluckst. „Nein, war genau richtig. Die Suppe.“ Mika sieht auf. Cem hat die Tür hinter sich geschlossen. Ein weiteres geräuspertes „Danke“, dann wendet Mika sich wieder dem Dessert, aber er hört die näher kommenden Schritte auf den Fliesen. „War ne ganz schöne Überraschung“, sagt Cem, versucht es unverfänglich klingen zu lassen, aber jeder Dummkopf hätte die Unsicherheit heraushören können. „Ausgerechnet Jo…“ „Ich hab’s gewusst“, murmelt Mika ohne aufzusehen. „Nicht gleich, aber als du deinen Namen gesagt hast. Jo hat mir mal ein Foto gezeigt.“ „Er hat das immer gern gemacht, solche Sachen aufgehoben und rumgezeigt, egal wem.“ „Hm.“ „Er ist schon ne Nummer für sich.“ „Hm.“ Schweigen. Nur das Herzklopfen und das Gelächter aus dem Wohnzimmer durchbrechen die Stille, es kommt Mika alles so unwirklich vor. Weil, das hier, das kann doch nicht echt passieren. „Warum hast du Jo eigentlich diesen Anhänger geschenkt?“ Ablenken muss er sich, von den bösenbösen Gedanken, die sich in seinem Hirn breit machen, mit jedem winzigen Zentimeter, den Cem näher kommt. „Der Löwe?“ „Und die Inschrift“, fügt er hinzu. „Gut gebrüllt, Löwenherz.“ „Na ja“, meint Cem, „wir haben zu der Zeit Die Brüder Löwenherz gelesen.“ „Wir?“ „Ja. Wir haben uns gegenseitig vorgelesen und… es ging so viel um Mut und ums Menschsein. Jo ist der mutigste Mensch, den ich kenne. All die Sachen, die er seiner Familie gesagt hat…“ Mika stößt zischend Luft aus. So geht ihm das immer, wenn jemand Jos Blutsverwandte erwähnt. Den Begriff Familie haben sie nicht verdient. Er will sie gerne in der Luft zerfetzen und anbrüllen und sie so sehr verletzen, wie sie Jo verletzt haben. Dabei weiß er das alles nur aus Erzählungen. „Ich hab das quasi live mitgekriegt“, sagt Cem und jetzt sieht Mika doch endlich auf. „Ich war dabei, als er es ihnen gesagt hat, das mit ihm und mir und dass er niemals so werden würde, wie sie sich das vorstellen.“ Cem wischt sich in einer fahrigen Bewegung über den Mund. „Meine Eltern haben nicht so krass reagiert! Und wir sind Moslems!“ Eine Weile lang schweigen sie wieder, aber dieses Mal ist es ein anderes Schweigen. Mika hat Jos Eltern nie kennengelernt. „Und der Anhänger…“, fährt Cem leise fort. „… das war… für ihn, damit er sieht, dass ich für ihn da bin. Immer. Dass er das Richtige getan hat.“ Immer. „Wie lang wart ihr eigentlich zusammen?“ „Fast vier Jahre. Hatte seitdem nie ne Beziehung, die länger gehalten hat.“ Vier Jahre. Vier Jahre sind eine lange Zeit. Mika portioniert die Mousse au Chocolat in kleine Schüsseln, macht Schlagsahne dazu. Die Schokostreusel sind noch im Schrank. Der Schrank direkt hinter Cem. Zögern. „Kann ich mal…“, fängt er an und geht an Cem vorbei, die kleine Küche scheint noch kleiner, noch enger und er riecht Cem. Ein scharfes Männerparfum, ein bisschen Honig und Zimt. Er riecht nach Weihnachten. Die Lippen, die sich plötzlich auf seine drücken, schmecken nach Weihnachten. Nach dem verbotenen Durchs-Schlüsselloch-gucken, bevor man ins Wohnzimmer zu den Geschenken darf. Das heimliche Plätzchennaschen direkt vor dem Essen. Verboten und heimlich. Der Kuss fühlt sich an wie Weihnachten. „Tut mir leid“, flüstert Cem, als Mika zurückweicht. „Ich wollte ni…“ „Schon gut“, brummt Mika, versucht das Zittern in seiner Stimme und in seinen Beinen zu verbergen, greift nach der Packung mit den Schokostreuseln und geht zu seiner Mousse zurück. Er kippt viel zu viel Schokolade auf die Sahne, aber wenn er Glück hat, fällt es niemandem auf. Ohne ein weiteres Wort, ohne einen weiteren Blick trägt er das Tablett mit den Schalen ins Wohnzimmer, wo der Butler im Fernsehen grade die Lady zum letzten Mal fragt „The same procedure as every year?“. Zwanzig Sekunden später flackert schon die Werbung für die nächste Sendung über den Bildschirm. „Oh, Mikas Schokomatsch!“, freut sich Jay und grinst von einem Ohr zum anderen. „Wisst ihr noch, als Mika zum ersten Mal…“ Da hat er sich auch schon ausgeklinkt. Cem ist ihm nachgekommen, setzt sich auf seinen Platz und Mika setzt sich auf seinen. Jos ganzes Gesicht ist übersät mit Lachfältchen. „Du hast Dinner for One verpasst.“ „Schon okay.“ Mika greift zu seinem Dessert und hofft, dass Jo nichts bemerkt. Es fühlt sich an, als hinge eine Leuchtreklame über seinem Kopf: Cem und Mika haben sich geküsst. „Hast du den Sekt eigentlich in den Kühlschrank gestellt?“, wechselt Jo so abrupt das Thema, dass Mika fast den Faden verliert. „Was? Eh, nein, ich… da war kein Platz mehr, ich hab ihn aufs Fensterbrett getan, das müsste auch reichen.“ „Alles klar. Dann hol ich gleich die Gläser.“ Es ist tatsächlich schon halb zwölf. Und diese halbe Stunde vergeht auch viel zu schnell. Viel zu schnell, weil Mika das Gefühl hat, dass er das neue Jahr nicht mit einer Lüge beginnen sollte. Erst recht nicht, wenn es um Jo geht. Aber dann sind es nur noch zwei Minuten und sie stehen alle unten auf der Straße, Sektgläser in der Hand, und Jo hat einen Arm um seine Schultern gelegt. Als in der Ferne plötzlich die Kirchturmuhr schlägt und die Nachbarn das Feuerwerk in die Luft jagen, hat Mika das Gefühl, dass alles vollkommen falsch läuft. Dass Jo… Mika weicht dem Kuss aus und schiebt Jo von sich. Er hat gar keine Zeit, um sich Jos Blick näher anzusehen, er will es einfach nur sagen… „Ich hab Cem geküsst.“ Sagt er. Mittenrein in die Glückwünsche und Umarmungen und Küsse um sie herum, mittenrein in das Knallen und Zischen und Pfeifen der Raketen, in die explodierenden Farben am Himmel. Jetzt sieht er Jo. Er sieht, wie die Überraschung etwas weicht, was er bei Jo noch nie gesehen hat. Er versteht den Ausdruck nicht, den seine Augen und sein Mund annehmen, er versteht nicht. „Was?“, fragt er nur. Schmerz. „Ich… In der Küche, da…“ „Was?“ Noch mal. Und seine Augen huschen über Mikas Schulter. Mika dreht sich um, sieht Cem dastehen, verloren zwischen diesen Menschen, die er nicht kennt und die ihn nicht kennen. In seinem Blick zeichnet sich langsam das Verstehen ab. „Jo“, wispert Mika, dabei will er eigentlich gar nichts sagen und heraus kommt das Dümmste, was er von sich geben könnte. „Es war nur ein Kuss…“ Jo tritt einen Schritt von ihm zurück. „Es ist nie nur ein Kuss.“ Erster Er schläft bei Jay, der nicht versteht, was abgelaufen ist, der aber auch erst mal keine Fragen stellt. Obwohl übernachten das falsche Wort ist, denn eigentlich sitzt er nur am Küchentisch, im Dunkeln und unterdrückt den Drang zu heulen. Er hat Angst, dass er dann nie wieder damit aufhört. „Okay“, sagt Jay, als er um fünf Uhr morgens in die Küche kommt und sich beinahe zu Tode erschreckt, als er das Licht anknipst und Mika da sitzen sieht. „Ich hab Frühschicht und ich bin echt müde. Aber, Alter, jetzt sag endlich, was los ist.“ „Kannst du mir auch n Kaffee machen?“ Jay seufzt tief und kippt Wasser in die Maschine und sagt nichts. Aber Mika ist klar, dass er wieder fragen wird. Er kennt Jay seit der Oberstufe, es kommt ihm ewig vor. Wenn er jemanden seinen besten Freund nennen würde, wäre es wohl dieser Kerl, der in Gemeinschaftskunde immer bei ihm abgeschrieben und ihm dafür die Matheaufgaben vorgeflüstert hat. Sie waren schon ein gutes Team. Außerdem war Jay wohl der einzige Typ in Mikas gesamtem Jahrgang, in den Mika sich einfach nicht verlieben konnte. Ihre erste Begegnung endete mit Jays Mageninhalt auf Mikas Schuhen. Und das war nur der Anfang. Also nimmt Mika seine Kaffeetasse entgegen, starrt die Wand, bloß nicht Jay, an und erzählt. Erzählt von der ganzen tragischen Komik, die es mit sich bringt, wenn man sich in den Exfreund seines Freundes verknallt. „Scheiße“, kommentiert Jay schlussendlich und schenkt sich Kaffee nach. Mika schnaubt. Das kann er laut sagen. „Du bist aber schon noch in Jo verschossen?“ Jay sieht ihn prüfend an. „Ich mag den Kerl nämlich, dein bester Fang, mit Abstand.“ Mika würdigt diese Aussage nur mit einem Augenrollen, aber er denkt schon darüber nach. Natürlich ist er in Jo verschossen. Nur… Irgendwie… „Ach, Mann…“ Sein Kopf knallt auf die Tischplatte und er fragt sich ernsthaft, wann sein Liebesleben beschlossen hat, so kaputt zu werden. Lief doch alles bestens bisher. „Okay“, fängt Jay an, „ich kann leider nicht den ganzen Tag hier sitzen und Händchen halten. Aber ich bin sowieso schwer dafür, dass du deinen Arsch in Bewegung setzt und das klärst, mit Jo, mit Cem, mit dem Postboten, mit wem auch immer. Aber klär das.“ Und die nächsten Worte grummelt er nur aus dem Flur heraus. „Ich kann’s nämlich nicht ertragen, wenn du so ne Fresse ziehst. Ciao.“ Mika lächelt schwach. „Idiot“, ruft er ihm hinterher und Jay knallt nur die Tür hinter sich zu, aber das ist schon okay. Er ist ein Idiot, nur eben ein Idiot, der von Zeit zu Zeit recht hat. Die Frage ist nur, ob Mika das schafft. Das bezweifelt er nämlich. Er wird weich bei Jo. Cremetortenweich, wenn er in diese Augen guckt und sich all die dummen Witze anhört und vor allem wenn Jo weint. Das erträgt er nicht. Und weil er Jo kennt, weiß er, dass er weint. Vielleicht ist ja Katja bei ihm. Mit einem Bild von Katja und Jo und einem Berg von Taschentüchern und Schokolade im Kopf steht Mika auf. Ihm ist schwindlig, weil er so viel gedacht und so wenig geschlafen hat. In den Schwindel drängelt sich Cem. Du bist in Cem verknallt. Das weiß er. Und bevor er zu Jo geht, sollte er doch… Cem sitzt tatsächlich da, auf dieser Parkbank, den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Mikas Herz schlägt so schnell bei diesem Anblick, dass er stehen bleiben muss und nichts sagen, nur atmen kann. „Hey“, murmelt er irgendwann. Cem zuckt zusammen und sieht ihn an. Sieht wieder weg und Mika ist froh darüber. „Hatte dich gar nicht erwartet“, lügt Cem. Mika weiß einfach, dass er lügt. Weiß es wegen der Hände, die er im Schoß knetet, und wegen der bläulichen Lippen, die sich nur fast zu einem Lächeln verziehen. Hoffnungsvoll. Unsicher. „Wie lange sitzt du schon hier?“ Cem verzieht das Gesicht. „Keine Ahnung. Ne Weile.“ Sie schweigen. Und Mika wundert sich, wie sich das Schweigen zwischen zwei Menschen verändern kann, wenn plötzlich so etwas zwischen ihnen steht. So etwas wie ein Kuss, egal wie kurz er war. „Tut mir leid, dass ich dich geküsst habe“, sagt Mika, als er es nicht mehr aushält. Ein wenig verwundert hebt Cem den Kopf. „Ich hab dich geküsst.“ Herzklopfen. „Ist doch egal“, murmelt Mika. Dieser Moment in der Küche ist so verschwommen, er weiß nicht, wer jetzt angefangen hat, darum geht es auch gar nicht. Cem nickt und jetzt sieht Mika rauf in den Himmel. Grau in grau und kein einziger Fetzen des blauen Winterhimmels zu sehen, den Jo so mag. „Es wird schneien“, meint Cem, wahrscheinlich nur, um irgendetwas zu sagen. Ob er wohl auch an Jo denkt, wenn er im Winter nach oben schaut? „Wieso habt ihr euch damals getrennt, du und Jo?“, fragt Mika. Er ist sich nicht sicher, warum er das wissen will, er braucht einfach diese Antwort. Vielleicht, um besser zu verstehen, was in ihm vorgeht. Was in Jo vorgeht. Cems Füße scharren auf dem Boden. „Das willst du doch gar nicht wissen.“ „Doch.“ Natürlich klingt er kindisch. Natürlich kann er sich denken, dass Cem gar nicht darüber reden will. Natürlich. „Er hat mich betrogen.“ „Was?“ „Nicht so wie du denkst. Oder vielleicht doch, was weiß ich. Ich hab ihm verziehen. Verzeihen geht leicht bei ihm… Aber… ich hab’s nicht vergessen. Es ging nicht darum, dass er das gemacht hat. Sondern warum. Und ich hab… wir haben uns auseinander gelebt. Wir waren zwanzig, was erwartest du da? Klar, du träumst von der großen Liebe, du denkst, du hast sie vor dir. Wenn es dann doch nicht so ist… hältst du dich dran fest. Ich wollte nicht zugeben, dass es nicht so wehgetan hat, wie es hätte wehtun sollen. Nur irgendwann ging’s eben nicht mehr.“ Was bedeutet das für ihn? In Mika baut jemand einen Damm. Der lässt die Gedanken nicht durch, die Gefühle auch nicht oder sonst irgendetwas, von dem er meint, dass er es jetzt habenmachenfühlendenken sollte. Einfach nur, weil… Das nichts für ihn bedeutet? Weil er Jo liebt. Weil er nicht nur in Jo verliebt ist. Er liebt ihn. Kaum denkt er das, fühlt er sich seltsam. Es ist eine Sache, diese Großen Drei Worte zu sagen, eine ganze andere, sie auch wirklich so zu meinen. „Was machst du jetzt?“, zerrt Cem am Rand seiner Aufmerksamkeit und lenkt ihn ab von seinem Herzen, das irgendwie… „Weiß nicht“, sagt Mika. Jo will ihn nicht mehr sehen. Aber Jo wollte ihn schon oft nicht mehr sehen. Aber Jo wollte ihn noch nie wegen so was nicht mehr sehen. ABER JO. Mika weiß es wirklich nicht. „Ich hab keine Chance, oder?“, fragt Cem plötzlich und läuft rot an. „Sorry, ich… ist mir rausgerutscht, also…“ „Schon gut“, unterbricht Mika das Gestammel, runzelt die Stirn, versucht ein Lächeln. Mehr sagt er nicht. Ganz sicher kann er nämlich nicht antworten. Nur Jo spukt in seinem Kopf herum. Cem scheint ihn auch so zu verstehen. Er drückt sich von der Bank hoch und grinst Mika an, aber das Grinsen hängt schief und erreicht seine Augen kein bisschen. „Ich wusste gar nicht mehr, wie schnell das gehen kann“, sagt er. „Das Verlieben und das Wieder auf dem Teppich landen.“ Mika schluckt. „Jo nimmt dich wieder“, meint Cem und dreht sich zum Gehen. „Sonst wäre er ein Idiot. Und dafür halt ich ihn eigentlich nicht.“ Seine Schritte sind langsam und schlendernd, als müssten seine Füße jeden Stein des Weges spüren, um ihn gehen zu können. „Wir sehen uns“, ruft Mika ihm hinterher. „Klar“, ruft Cem zurück, aber er dreht sich nicht um. Mika hofft wirklich, dass er ihn wiedersieht. „Was willst du?“, fragt Jo. Er klingt wütend. Er klingt, als habe er geweint. Er klingt… ach, was, Mika hat keine Ahnung, wie er klingt, das Blut rauscht in seinen Ohren und er kann sich kaum aufs Denken konzentrieren, so nervös ist er. „Reden“, sagt er. „Ich will nicht reden“, sagt Jo. „Seit wann das?“ „Seit gestern.“ Er hebt das Kinn und presst die Lippen aufeinander. Jo ist nicht hübsch, stellt Mika fest. Nicht wie Cem, dessen Gesicht ihn so lange nicht losgelassen hat. Ja, Cem ist hübsch. Vielleicht sogar schön. Jo ist… interessant. Er lässt ihn immer wieder los. Damit er ihn neu entdecken kann. „Dann“, murmelt Mika und räuspert sich, „rede eben nur ich.“ Jo hebt skeptisch eine Augenbraue. Sieh mich nicht so an, will Mika sagen, da kann ich nicht denken. „Als wir diesen Streit hatten, wegen Kindern und so… da bin ich in den Park gegangen. Da war Cem. Ich hab nicht gewusst, wer er ist. Aber… ich war genervt und sauer und…“ Schnell, bring’s hinter dich, „vielleicht hab ich auch geheult…“ Hat Jos Mundwinkel grade gezuckt? Er hat mal gesagt, dass er es lustig findet, Mika heulen zu sehen, weil er dann den Mund so verzieht und die Augen zusammenkneift. Auf total männliche Art natürlich. „Cem ist toll“, fährt er fort. „Und da, im Park, da… hab ich mich verknallt. Und als wir uns geküsst haben… ich mag ihn…“ „Du bist nicht wirklich gut im Reden, weißt du“, sagt Jo. Mika klappt den Mund zu. Ich liebe dich, will er sagen, aber er kriegt es nicht raus. „’tschuldigung“, brummt er stattdessen. Er sieht sich im Treppenhaus um und zieht fröstelnd die Schultern hoch. Wahrscheinlich hat Cem recht und es schneit wirklich bald. Jo seufzt. „Willst du rein kommen?“ Hm?! „Schau mich nicht so an“, sagt Jo leise. „Da kann ja kein Mensch denken.“ Und er lässt Mika vorbei in die warme Wohnung, in der es nach Jo und Mika und Heizungsluft riecht. Herzklopf. Erst mal steht Mika rum wie ein Fremder, unsicher was er jetzt tun soll. Kann. Soll. „Tut mir leid, Jo.“ „Weiß ich.“ Er sieht Jo an, macht den Mund auf und wieder zu und wieder auf und… „Ich dich auch“, antwortet Jo. Sein Lächeln fließt durch Mika hindurch. Wärme. Mika fällt ihm um den Hals und es ist ihm egal, wie er aussieht, wenn er heult. Obwohl er weiß, dass dieser Moment ganz sicher auch in Jos nächster Geschichte auftauchen wird. Einer eigentlich ziemlich bescheuerten Geschichte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)