Wikingerblut von CaroZ (MIU-Trilogie 1) ================================================================================ Kapitel 2: Papierparole ----------------------- Der Morgen hing trüb wie ein schmutziges Geschirrtuch über Alfeld an der Leine, als Fritz seinen Ford Fiesta in der Nähe der Papierfabrik parkte. Er traute sich nicht, auf das Grundstück zu fahren. Womöglich war das nicht erwünscht; außerdem fuhr er noch immer mit dem LDS-Kennzeichen, und unauffällig war das sicherlich nicht. Eher ein Zeugnis seines Versagens. Das Gebäude, dominiert von Weiß und Dunkelrot, ragte wenig ansehnlich vor ihm auf. South African Pulp and Paper Industries Limited, kurz SAPPI, war, wie er im Internet recherchiert hatte, der Hauptarbeitgeber der Stadt Alfeld. Noch immer zerbrach er sich den Kopf darüber, warum sein neuer Arbeitsplatz sich ausgerechnet im Keller einer Papierfabrik befinden musste. Ergab das einen Sinn? Wieso hatte die MIU keine schmucken Büroräume hinter verglasten Fenstern? Wieso ein Keller? Es war doch viel gesünder, bei Tageslicht zu arbeiten! Kopfschüttelnd betrat er das Gelände. Buschfeldts Anweisungen, wie er die Fabrik zu betreten hatte, hallten noch in seinem Hinterkopf wider: Agenten sollten nicht den Haupteingang benutzen, sondern sich an der Rückseite des Gebäudes durch einen Handscan Zugang verschaffen. Fritz jedoch war zum ersten Mal hier; für ihn gab es noch keine Erkennungsdatei. Er musste auf gewöhnlichem Wege hinein. Drinnen empfingen ihn eine beinahe unangenehme Wärme und der Lärm vieler tätiger Papierstanzen. Es roch nach Chemikalien und Holz. Das Licht war grell, doch seine Augen gewöhnten sich unerwartet schnell daran. Eine junge Mitarbeiterin, die aus einem angrenzenden Korridor herbei sprang, hieß ihn mit einem Kopfnicken willkommen. »Guten Tag. Bitte nichts anfassen.« Dann wollte sie auch schon weitereilen. »Moment, Moment!«, hielt Fritz sie auf. »Ich – ich wollte eigentlich …« »Sekunde«, antwortete sie und rieb sich die Ohren. »Oh Gott, diese Stanze kann einen taub machen. Aber sonst wäre es so still.« Fritz merkte auf. Das war er – der Satz, den Buschfeldt ihm genannt hatte und auf den er nun mit der richtigen Antwort reagieren musste. Puuh, beinahe hätte ich das auch noch verbockt. Stattdessen seufzte er und fragte theatralisch: »Tja, was ist nur aus der guten alten Musik geworden?« Die junge Frau nickte nur abwesend, fuhr sich durch das blondierte Haar und winkte ihm dann, ihr zu folgen. »Hier lang.« Er kam einfach mit, als ließe er sich nur als interessierter Kunde etwas zeigen. Sie führte ihn ein paar Gänge hinunter, vorbei an dunklen und erleuchteten Räumen, aus denen die verschiedensten Geräusche und Gerüche drangen. Fritz erkannte, dass hier nicht nur Papier hergestellt, sondern auch allgemein Holz verarbeitet wurde. Seine Führerin hielt in einem ansonsten leeren Korridor vor einem Treppenabgang, der mit zwei Ketten versperrt war. Mit einer Hand nahm sie die Absperrung beiseite, mit der anderen deutete sie hinunter. »Bitteschön, viel Vergnügen.« Fritz drehte sich perplex nach ihr um, doch sie lächelte ihn nur an. Dem Ton nach hätte sie ihn ebenso gut in eine römische Arena geschickt haben können. Ihr rundes Gesicht verriet jedoch keine Arglist. Ver…gnügen? »Äh … danke.« Sie wartete doch tatsächlich, bis er auf der ersten Stufe abwärts stand, um dann die Ketten wieder vorzuhängen. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich und ging dann schnellen Schrittes den Gang wieder zurück. Fritz lauschte seinen eigenen Schritten auf den weißgefliesten Stufen. Die Decke war niedrig, doch dieser Umstand besserte sich, sobald er unten angekommen war und sich erneut in einem Korridor mit Türen zu jeder Seite wiederfand. Die Beleuchtung war ein wenig schlechter als oben, außerdem entdeckte er – sehr zu seiner Überraschung – neben der ersten Tür in einer Halterung eine brennende Fackel. Das war eine mehr als merkwürdige Dekoration, doch Fragen würde er ohnehin eine Menge zu stellen haben, wenn er hier erst einmal endlich empfangen wurde. Glücklicherweise stand an dieser ersten Tür gut lesbar das Wort SEKRETARIAT. Er griff nach der Klinke und drückte die Tür auf, die leichter war, als sie ausgesehen hatte, und so bereitwillig aufschwang, dass er schier ins Zimmer stürzte. Hinter einem Schreibtisch starrte ihn eine blutjunge Blondine mit Hornbrille wie vom Donner gerührt an. Vor ihr lag eine geöffnete Tüte Gummibärchen, und auch ihre Faust, die sie halb zum Mund erhoben hatte, enthielt eine große Portion der bunten Tierchen. »Ääääh – Entschuldigung«, beeilte sich Fritz und nahm Haltung an. »Ich hätte vielleicht anklopfen sollen. Ich bin der Neue.« Das Mädchen starrte ihn weitere drei Sekunden lang an, dann kam jäh Leben in sie und ihre Hände ließen die Süßigkeiten so rasch verschwinden, dass sie nur noch als vage Ahnung im Raum vorhanden blieben. Blitzschnell hatte sie einen Kugelschreiber in der Hand. »Ja, bitte?« Er bemerkte ihr Namensschild, das sie als Susanne Schröter auswies, und erklärte: »Friedrich Wunderbaum … Ich soll mich hier melden. Buschfeldt …« »Ooooh, ah ja. Ja.« Sie blätterte in einem Terminkalender und fand den Eintrag. »Sie sind ein bisschen früh, wir hatten Sie erst um zehn erwartet.« »Naja, das ist ja nur noch eine Viertelstunde.« »Der Chef wird sich ein wenig verspäten. Gehen Sie bitte weiter bis zur dritten Tür rechts, das ist das Besprechungszimmer.« »Vielen Dank.« Er schenkte ihr ein professionelles Lächeln, das sie eher kläglich erwiderte, und verließ das Büro. Azubi, dachte er, unübersehbar. Kaum achtzehn und noch mit ganz großen Vorstellungen von einem Beruf beim Geheimdienst … Er folgte dem Gang. Weitere Fackeln gab es nicht, aber auch sonst nichts an den Wänden. Eine Tür auf der linken Seite trug die Aufschrift KÜCHE, und jemand hatte mit Filzstift ›Wer den geheimdienstlichen Kaffeekocher klaut, ist ein schlechter Mensch‹ dazugeschrieben. Rechts waren die Türen spärlicher, doch schließlich erreichte er sein Ziel. Stimmen drangen an sein Ohr, wenn auch nur leise; das Holz mutete massiv an. Als Fritz soeben die Hand hob und anklopfen wollte, vernahm er zwei hastige Schritte in seine Richtung und dazu den gedämpften Ruf »Ich mach sie mal auf, damit wir Chefchen kommen hören!«. Er versuchte, noch rechtzeitig beiseite zu springen, schaffte es jedoch nicht, sodass ihn die mit voller Wucht aufgestoßene Tür frontal an der Stirn traf und ins Taumeln brachte. »Gnaaah!« »Huch«, sagte der Übeltäter. »Wo kommen Sie denn her?« Fritz rieb sich die Schläfe. Als er die Augen wieder öffnete, sah er in ein misstrauisches Gesicht, das eindeutig von zu vielen Haaren umrahmt war. Sie fielen als Mähne über die Schultern des Mannes, der seinen Blick nun prüfend an Fritz herab gleiten ließ. »Hm, sind Sie der Neue? Buschfeldts Neuanschaffung aus Hildesheim?« »Ich … ich bin Fritz.« »Ich bin …« Der andere hielt kurz inne, als überlegte er, welchen Namen er nennen sollte. »… Falk.« »Ist das echt ein Name?«, fragte Fritz lahm. »Wenn man mich so nennt, dann ist das wohl ein Name, ja.« Der Mann packte seine Hand, ohne dass sie ihm hingehalten worden war, und ließ sie dann wieder los, um den Gang hinunter zu spähen. »Ist Buschfeldt noch nicht da?« »Nein, er verspätet sich.« »Auch gut. Komm rein, Fritz.« Falk hielt ihm die Tür auf, sodass Fritz in den Besprechungsraum schlüpfen konnte. »Setz dich einfach irgendwohin.« Fritz sah einen großen runden Tisch vor sich, der ihn spontan an König Artus’ Tafelrunde erinnerte. Daran saßen weitere sechs Leute, alle männlich, soweit Fritz erkennen konnte. Aber das war ja auch richtig so, fand er. Wenn das hier wirklich die X-Akten des BfV waren, dann war es sicher ganz gut, dass keine Frauen mitmischten. Die sechs sahen auf, als Fritz sich zu ihnen gesellte, unterbrachen jedoch nicht ihre Gespräche für ihn. Sie saßen nicht alle beieinander, sondern hatten unterschiedlich viele Plätze ausgelassen und somit Grüppchen gebildet. »Wir sind ziemlich wenige heute«, erklärte Falk, »nur ein kleiner Bruchteil. Weißt du, wenn wir den Auftrag kriegen, hierher zu kommen, dann kommen immer nur die von uns, die gerade Zeit haben.« Er wies zum Tisch. »Na komm, nimm Platz.« Fritz zögerte und sah zu, wie Falk selbst sich neben einem anderen Mann niederließ, der ihm auf den ersten Blick nicht unähnlich sah, ihn jedoch so deutlich überragte, dass alle anderen im Raum vergleichsweise klein wirkten. Fritz’ Annäherung war inzwischen allgemein aufgefallen, und man wandte ihm einen zunehmenden Anteil an Aufmerksamkeit zu. Offensichtlich warteten sie ab, ob er etwas sagen würde. Fritz wollte sich eigentlich nur hinsetzen, musste jedoch feststellen, dass auf allen noch freien Stühlen zwischen den Agenten irgendwelche Taschen lagen, wohlgemerkt unterschiedlichster Art. Darauf also warteten sie gerade: Ob er sich trauen würde, von einem von ihnen einen Sitzplatz zu verlangen. Das war Männergetue, und damit war Fritz vertraut. Sein Blick fiel auf einen sesselartigen Stuhl mit Armlehnen, der um einiges bequemer wirkte als die, auf denen die Leute saßen. »Das ist der Chefsessel«, sagte der große Mann neben Falk. »Buschfeldts Thron.« »Komm doch hierher«, bot ihm jemand zu seiner Linken an und rettete ihn damit aus der merkwürdig angespannten Situation. Der Mensch sah unheimlich aus; er trug einen schwarzen Ledermantel und war kahl bis auf einen schwarzen Pferdeschwanz. Als sich ihre Blicke begegneten, schenkte ihm der Fremde ein etwas spöttisches, jedoch warmes Lächeln. »Du kommst auch nicht jeden Tag in ein HQ unter der Erde, was?« Fritz schüttelte den Kopf und setzte sich. »Also, guckt ihn euch an, das ist Fritz«, verkündete Falk in freundlichem Ton. »Ich glaube, Buschfeldt hat ihn engagiert, um auf uns aufzupassen.« Die Männer lachten auf und tauschten amüsierte Blicke. Fritz fühlte sich plötzlich ganz und gar nicht mehr wohl. »Aber wir wollen es ihm nicht so schwer machen. Wir sind ja nette Leute.« Falk streckte den Arm zur Tischmitte hin aus und bekam den karierten Block zu fassen, der dort lag. Auf der obersten Seite stand etwas geschrieben, aber er riss sie einfach ab und faltete sie in der Mitte, um mit einem schwarzen Filzstift etwas darauf zu schreiben. »Ah!«, rief der Große neben ihm und grinste. »Gut, ich mach mit.« Auch er riss eine Seite ab. Die Übrigen zuckten die Schultern und wandten sich Fritz zu. »Und was weißt du über unsere Arbeit?«, fragte der Mann, der zur anderen Seite des Unheimlichen saß. Er war blond und etwas zerzaust und trug auf beiden Seiten kleine runde, silberne Ohrringe. »Weißt du überhaupt, was wir hier machen?« »Noch nicht«, gab Fritz zu. Es hatte keinen Sinn, etwas anderes zu behaupten. »Das hab ich mir gedacht.« Der Blonde schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Die Übrigen saßen zu weit entfernt, als dass Fritz sich mit ihnen hätte unterhalten können. Er sah einen Dunkelhaarigen neben dem Blonden, dann, ein paar Stühle weiter, einen breitschultrigen Mann mit ganz kurzem, hellem Haar und an seiner Seite einen jungen Schlanken mit langer blonder Mähne, der etwas unschlüssig von einer Seite zur anderen schaute. Als Falk ihnen eine gefaltete Blockseite zuschob, erkannte Fritz, dass er Namensschilder gebastelt hatte. Vor ihm und seinem großen Freund waren die Namen FALK und LASTERBALK zu lesen, und zu Fritz’ Nachbar hatte er schmunzelnd ein Schild mit der Aufschrift ASP geschickt. »Ah-Es-Peh?«, las Fritz, und der Genannte seufzte. »Ich frag mich, was die Ö-Striche sollen«, murrte der Blonde neben Asp, der vergeblich versuchte, das gefaltete EINHÖRN vor sich zum Stehen zu bringen. Falk und Lasterbalk lachten einfach weiter und verteilten die Schilder SIMON M., IN.GO und PFEIFFFER an die Umsitzenden. »Drei F«, murmelte letzterer. »Ihr habt ja keine Ahnung, wie oft ich den Witz schon ertragen musste. Pfeiffer mit drei F.« »Old but gold«, sagte Lasterbalk. »Chefchen hat noch keins«, stellte Falk fest. »Das muss schon noch sein.« »Den kenne ich«, wehrte Fritz ab. »Trotzdem, keine halben Sachen.« Er beschriftete eine weitere Seite mit K. ZWERGNUDEL und schob sie an Buschfeldts Platz. »So, nun hat alles seine Ordnung.« Fritz war sich nicht sicher, was er von seinen neuen Kollegen halten sollte. Insgesamt wirkten sie ihm wohlgesinnt – auch wenn sie ihn mit falschen Namen veräppelten –, aber sie sahen einfach alle komisch aus. Keiner von ihnen trug Anzug und Krawatte. Insgesamt erinnerten sie ihn eher an Rockstars als an BfV-Agenten. »Ihr müsst mich aufklären«, sagte Fritz hilflos. »Wer oder was seid ihr?« »Wir sind die MIU«, erklärte Lasterbalk. »Das weißt du wahrscheinlich. Wir behalten die Musikindustrie im Auge. Das können wir besser als andere Leute, weil wir selber dazu gehören.« »Ihr …? Achso«, begriff Fritz, »ihr seid … Musiker!« »Wow. Das hat ja gar net lange gedauert …« »Und ich hab echt erwartet, dass Buschfeldts neuer Sklave ’n bisschen Grips hat«, kommentierte der Mann hinter dem IN.GO-Schild mit etwas herablassendem Lächeln. »Aber vielleicht haben wir ja Glück und er lernt bald, dass er uns nicht zu viel auf die Finger gucken darf.« Fritz duckte sich unwillkürlich. »Ich weiß nicht, welche Rolle mir Buschfeldt bei der Arbeit zugedacht hat. Vielleicht soll ich ihm einfach nur assistieren.« »Einen Assistenten hat er. Aber der ist auf unserer Seite.« IN.GO lächelte weiterhin süffisant. »Du übrigens auch, wenn du schlau bist.« »Nun mach ihm nicht auch noch Angst«, ging Falk ihn an. »Er ist doch erst fünf Minuten hier!« »Eigentlich sechseinhalb«, korrigierte Fritz, unruhig auf die Uhr sehend. »Nanu, du bist ja ein Klugscheißer.« »Pssst, pssst, Leute, er ist im Anmarsch!«, wisperte plötzlich der junge Blondschopf neben Ingo. Sofort nahmen alle Haltung an, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Falk langte noch einmal über den Tisch, um das K. ZWERGNUDEL-Schild ordentlich gerade zu rücken. Dann näherten sich Buschfeldts Schritte, bis er schließlich eintrat. »Guten Morgen«, sagte der Direktor murrig und ließ seine Ledertasche auf den Sessel fallen. »Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr eure Taschen nicht auf die Stühle legen sollt?« Er besah sich die lichten Reihen seiner Untergegeben. »Weniger als ein Drittel von euch ist hier, sehe ich das richtig? Ich sehe hier nur … sieben.« Er bedachte die Musiker der Reihe nach mit einem scharfen Blick. »Wo sind die Übrigen?« »Beschäftigt«, antwortete Lasterbalk. Offensichtlich war er so etwas wie der Gruppensprecher. »Genau zwei sind im Einsatz, der Rest hat keine Entschuldigung.« Erst jetzt wandte Buschfeldt sich Fritz zu, der immer noch das Namensschild anstarrte. »Schön, dass Sie hergefunden haben, Herr Wunderbaum. Verzeihen Sie meine Verspätung.« »Guten Morgen, Herr Zwww– … Buschfeldt.« Er wurde rot. Ein unterdrücktes Kichern machte die Runde. Buschfeldt bemerkte das Schild, las es und warf es dann kommentarlos über seine Schulter. »Also gut, wenden wir uns den Themen des Tages zu.« Leise ächzend nahm er Platz. »Erster Punkt des Tages: Das Azathioprin geht zur Neige. Darauf habe ich beim letzten Mal schon hingewiesen.« »Jaa, jaa, is’ ja gut«, rechtfertigte sich Ingo augenrollend. »Treuenbrietzen hat den Auftrag seit letzter Woche, Eric bringt es mit. Wahrscheinlich.« Fritz brannte darauf zu fragen, was Azathioprin war und weshalb ein Kaff in Brandenburg (ihm fiel sein LDS-Kennzeichen wieder ein) es liefern sollte; doch er war noch nicht an der Reihe, Antworten zu verlangen. Buschfeldt seufzte angespannt. »Zweiter Punkt: Es gab seltsame Todesfälle in Wuppertal.« »Das stand in der Zeitung«, sagte Lasterbalk achselzuckend. »Hat aber nix mit Musik zu tun.« »Abgesehen davon, dass die Opfer sämtlich während des Musikhörens an Herzversagen gestorben sind, nein.« Buschfeldt lächelte freudlos. »Wir haben in der Tat noch keinen Auftrag, uns damit zu beschäftigen, aber ich wollte euch gern einmal unter die Nase reiben, dass Musik tödlich sein kann.« Die Männer sahen beiseite. »Nun denn … Punkt drei: Friedrich Wunderbaum steigt in unser Team ein. Er kommt auch aus Abteilung 4 und wird die MIU hoffentlich bereichern.« Fritz lächelte dünn in die Runde. Dann, als alle schwiegen und ihn ansahen, fiel ihm auf, dass wohl ein paar Worte von ihm erwartet wurden. »Ja … danke, Herr Buschfeldt. Ich freue mich, euch alle kennen zu lernen, und hoffe auf ein … angenehmes Arbeitsklima.« »Hängt von dir ab«, raunte jemand, vermutlich Ingo. »Schön.« Buschfeldt klatschte in die Hände, als würde von ihm verlangt, gute Stimmung zu verbreiten. »Willst du ihm die Räume zeigen, Simon? Sie müssen wissen, Friedrich: Subway To Sally ist die bekannteste Kapelle, die bei der MIU tätig ist.« »Nein«, sagten Einhörn und Pfeiffer mit drei F simultan. Der Direktor beachtete sie nicht. Indes sah Simon von Fritz zu Buschfeldt und wieder zurück. »Joah … wieso nich’? Komm, ich zeig dir alles.« »Du zeigst, Schmittchen, aber ich komme mit«, kündigte Falk munter an. »Ich auch«, sagte Asp. Dann sah er zu seinem Nachbarn. »Mir ist das zu blöd«, erklärte Einhörn und stand auf. »Wir sehen uns später.« »Ich hab dich nicht entlassen, Einhorn!«, sagte Buschfeldt streng. Nun war er es jedoch, der ignoriert wurde. Simon, Asp und Falk sahen ihn kurz fragend an, dann, als der Chef ihren Blick nicht erwiderte, setzten sie sich gemeinsam in Bewegung. Sobald sie den Besprechungsraum mit den anderen zurückgelassen hatten, wandte Fritz sich unbehaglich an Asp: »Hat er irgendwas gegen mich?« Asp furchte die Stirn. »Wer? Buschfeldt?« »Nein … der andere.« »Micha? Nein, Fritz, das hat nichts mit dir zu tun. Micha ist genervt davon, dass Buschfeldt Subway To Sally immer bevorzugt. Die zwei können sowieso nicht gut miteinander.« Simon übernahm die Führung, beide Hände in den Taschen. »Sooo«, sagte er vor der Tür, auf welcher KÜCHE stand. »Hier kann man kochen … wenn man will. Bodenski kann gut kochen, leider ist er nicht da. Lasterbalk hat’s aber auch drauf. Kantine? Fehlanzeige, gibt’s nicht.« Falk ergänzte: »Trotz der Warnung, die wir auf das Schild geschrieben haben, verschwindet die Kaffeemaschine manchmal. Wir wissen nicht, woran das liegt, aber sie taucht immer wieder auf.« Die Tour ging weiter. »Das«, sagte Simon an einer späteren Tür, die er nicht öffnete, »ist der Ruheraum. Wenn man von einem Nachteinsatz kommt, kann man sich drinnen schlafen legen. Ansonsten ist da nichts, das Zimmer ist ausdrücklich nur zum Pennen gedacht.« »Und was ist da?«, wollte Fritz wissen und deutete auf die Tür gegenüber. »Oh, das ist ein Aufenthaltsraum. Da haben wir Sofas … und ’nen Fernseher …« »Um die Nachrichten zu verfolgen natürlich, nicht etwa, um Musiksender zu gucken oder so«, fügte Falk mit gewichtigem Nicken und verschmitztem Lächeln an. »Genau.« »Eigentlich fehlt jetzt nur noch der Bockshof. Den zeigen wir dir auch noch.« »Bockshof?«, echote Fritz in neuerlicher Verwirrung. »Was soll das sein?« Falk schien zu überlegen, wie er es umschreiben sollte. »Im Grunde ist es … so ’ne Art Krankenstation. Nicht so überflüssig, wie man denken sollte. Und wir haben dort ein geheimes Labor …« »Was wird da erforscht?« »Naja …« Falk rang mit sich. »Wir besprechen das lieber erst später mit dir«, sagte Asp. »Das hat noch Zeit.« »Ja, richtig. Guter Einwand.« Sie folgten dem Gang bis zum Ende, wo eine schwere Betontür einen neuen Bereich abgrenzte. An der Wand hing ein Schild mit der Aufschrift Dr. Jan Saltz. Auch hier stand eine gekritzelte Nachricht mit Filzstift dabei: welcome to the bockshof, der doc hier is stockdoof. Simon klopfte an. »Bock, bist du da?« »Bin gleich da, ihr Süßen!«, antwortete eine fröhliche Stimme von drinnen. Eine Männerstimme, wohl gemerkt. Fritz’ Verwirrung trieb seinen drei Begleitern erneut Erheiterung in die Züge, und sie kämpften mit dem Grinsen, als der Arzt öffnete. Dr. Saltz – oder Bock, warum auch immer – erschreckte Fritz beinahe mehr als Falk oder Asp. Seine langen Haare waren dabei nun nicht mehr ausschlaggebend, aber seine schwarzlackierten Fingernägel umso mehr. Wie bei Kitty!, dachte Fritz entsetzt. »Na, Neuer?«, grüßte Saltz und strahlte ihn an. »Fein, dass du mir hallo sagst!« »Bock, das ist Fritz«, stellte Simon vor. »Fritz, das ist Bock. Unser schw– … unser Arzt.« »Hab keine Angst, wenn du mal auf seinem Tisch liegst«, sagte Falk. »Er begrabbelt dich nicht. Das macht er nur bei Lasterbalk.« »Ach wo, ich bin nur so feinfühlig, dass ihr es einfach nicht mitkriegt!«, behauptete der Arzt und machte dabei eine Handbewegung, die Fritz beunruhigte. »Haben Sie, äh, hier unten viel zu tun?«, erkundigte er sich deshalb schnell. »Hach, nein … Nicht, wenn keine Einsätze stattfinden. Aber es gibt genug Laborarbeit. Davon erzähle ich dir ein andernmal, Fritz. Du musst ja bestimmt erst mal gaaanz viele neue Eindrücke sacken lassen.« Bock zwinkerte ihm vergnügt zu. Als sie sich verabschiedet hatten, hatte Fritz es eilig, in den Besprechungsraum zurückzukehren. Die übrigen Türen bedachte er nur mit kurzen Blicken. »Unsere Bandräume willst du wohl nicht sehen …«, begann Falk. Aus Pflichtbewusstsein stoppte Fritz doch und schaute sich die nächstbeste Tür an. Darauf stand SALTATIO MORTIS. WER TANZT STIRBT NICHT. »Da fehlt ein Komma«, sagte er. »Es heißt, Wer tanzt Komma stirbt nicht. Außerdem ist das falsch – gerade beim Tanzen kann man als älterer Mensch schnell mal einem Herzinfarkt oder Hitzschlag erliegen.« »Ah je, du bist wirklich ein Klugscheißer.« Falk seufzte. »Eigentlich benutze ich solche Wörter eher ungern, aber ich werde dich ab jetzt nur noch Klugscheißer nennen, bis du das abgestellt hast.« Als Fritz am Abend im Bett lag, kroch seine Frau gurrend neben ihn. Ihre Fingerspitzen kitzelten ihn an Orten, die selbst das Duschwasser nur auf der weichsten Stufe erreichte, und sie gab ihm honigsüße Namen, während sie ihre Beine um seine Hüfte schlang. »Nicht jetzt, Kitty«, murmelte er. »Ich muss über zu vieles nachdenken.« Verblüfft hielt sie inne. Es war seit mindestens fünfzehn Jahren nicht vorgekommen, dass er sie abwies. »Stimmt was nicht, Fritz?« »Nein, nein … Es war nur alles ein bisschen … komisch heute.« »Sind die Leute da so hässlich zu dir?«, fragte sie nach. Offenbar hatte sie die Hoffnung noch nicht auf gegeben, denn mit jedem Wort blies sie ihm mehr Atem ins Ohr als nötig. »Nein … Die sind in Ordnung … Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich auf die aufpassen kann. Die sind so überhaupt nicht wie andere, die machen alle so … ihr eigenes Ding … Die haben in allem ein System, das nicht mal Buschfeldt kontrollieren kann. Sie veralbern ihn von früh bis spät …« Und er war sicher, dass er nur einen ganz, ganz kleinen Teil davon gesehen hatte. »Dann musst du mitspielen«, stellte sie fest. »Ganz einfach. Lass dir die Regeln erklären und steig mit ein.« »Wir fangen morgen mit Ermittlungsarbeit an. Die machen garantiert alles völlig anders, als ich es gelernt habe.« »Dann musst du eben was Neues lernen.« Kitty ließ sich nicht abschütteln. »Fritz, du bist erst dreiundvierzig. Es ist nie zu spät für neue Denkanstöße!« Anstöße, dachte Fritz. Das trifft’s. Sie biss ihn ins Ohrläppchen und schnurrte: »Bift du ficher, daff du fon flafen willft, mein Hengft?« »Ja, bin ich. Nimm mein Ohr aus dem Mund, Kitty. Gute Nacht.« Sie seufzte enttäuscht und gehorchte. »Na, dann bis morgen …« Damit kehrte sie ihm den Rücken. Fritz lag noch eine ganz Zeitlang wach und versuchte, sich nicht auszumalen, was für Erkenntnisse der nächste Tag wohl bringen mochte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)