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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Ruhig Blut

Die Baugrube war schnell gefunden. Sie war so auffällig als solche gekennzeichnet, dass es richtig übertrieben wirkte.

»Die wollen wohl um jeden Preis verhindern, dass da jemand reinfällt«, bemerkte Falk, als er sich über den wild blinkenden Schutzzaun beugte. »Allerdings sehe ich da unten nur Finsternis. Sogar ohne Linsen.«

»Werter Herr von Hasenmümmelstein, manchmal sehen die Dinge von innen völlig anders aus als von außen, das solltet Ihr doch wissen«, neckte ihn Lasterbalk und schwang sich einfach über die Absperrung, um direkt vor dem Grubenrand stehen zu bleiben.

Falk war gerade ganz und gar nicht nach Witzen. Mit trockener Kehle folgte er seinem hünenhaften Kollegen, und auch Asp und Ingo traten neben sie.

»Auf in die Schlacht«, knurrte Ingo und sprang mutig voran.

Der Fall dauerte länger als erwartet, und unten kamen sie stolpernd auf der Erde auf und fanden sich in völliger Finsternis wider. Es dauerte einen Moment, bis die Vampire ihre glimmenden Augen an die neuen Lichtverhältnisse angepasst hatten. Dann streckte Falk, ganz selbstverständlich, die Finger aus, fand Ingos Hand und führte ihn.

»Ob es schlau ist, da einfach reinzumarschieren?«, sagte Asp zweifelnd.

»Fällt dir was Besseres ein, Alex? Mir nicht.«

Schweigend gingen sie weiter den erdigen unterirdischen Weg entlang, bestimmt einen halben Kilometer weit; dann war in der Ferne ein flackerndes gelbes Licht zu sehen.

»Eine Grubenlampe«, stellte Lasterbalk fest, »und … oh, verflixt. Ein Scheideweg.« Ratlos blieben sie vor der Verzweigung stehen. »Sollen wir uns aufteilen?«

»Miese Idee. Geht in Horrorfilmen immer schief.«

»Der linke Weg sieht benutzter aus.« Falk kostete die Luft; sie war so kalt, dass sie ihn in die Nase stach. »Und riecht benutzter.«

Mangels besseren Rates wandten sich die Vier nach links. Allmählich schien es wärmer zu werden, und der Geruch nach Menschen, Vampiren und Stroh nahm zu.

»Wir sind richtig«, wisperte Falk. »Ich sag’s euch.«

Und schließlich wurde aus dem Erdtunnel ein Korridor. An den Decken waren Lampen angebracht, doch sie brannten nicht. Kein Laut war zu hören. Die Luft war schwer von Staub. Lasterbalk blieb stehen.

»Wachposten«, zischte er. »Da, geradezu.«

»Meiner«, grollte Falk. Mit diesen Worten sprang er vor.

Die ahnungslose Frau stand inmitten einsamer Dunkelheit vor einer Holztür, die schief und rostig in den Angeln hing. Auf ihr war ein gelbes Warnschild angebracht: Brandschutztür. Falk machte keinen Kompromiss. Ohne jeden Skrupel warf er sein ganzes Gewicht in den Frontalangriff, packte die kreischende Blonde und schlug seine Fangzähne in ihren Hals. Er schmeckte fades Vampirblut, spuckte aus und griff nach dem Kopf der Frau. Einen kräftigen Ruck später erstarb ihr Geschrei in einem Röcheln, und sie erschlaffte mit gebrochenem Genick.

»Das war zu laut!«, zischte Lasterbalk. »Die hat fast ’ne halbe Minute gebrüllt!«

»Das waren nicht mal zehn Sekunden, du Lügner!« Falk ließ die Leiche fallen.

Asp und Ingo hatten sich gar nicht gerührt.

»Falk, ich hab dich noch nie so was eklig Brutales machen sehen, weißt du das?«, murmelte Hampf.

»Die verdienen es net besser«, verteidigte Lasterbalk seinen Bandkollegen sofort. »Ich werde das mit jedem Einzelnen hier machen, der sich an Alea vergriffen hat!«

Die beiden langmähnigen Vampire preschten heftig atmend voran, und es blieb an Asp, Hampf an der Hand zu halten. »Mischen wir uns nicht ein, Ingo. Für die beiden ist es so was wie ein persönlicher Angriff, wenn jemand Aleas Blut trinkt. Das ist so, das … kann man nicht anders erklären. Er gehört ihnen, auch wenn er es nicht weiß. Und Vampire hassen es, ihre Menschen mit Fremden zu teilen.«

»Aber die zwei haben Alea noch nie gebissen!«, wandte Ingo schwach ein. Dieser animalische Wesenszug, der jetzt bei den Saltatio-Mortis-Vampiren zutage trat, schien ihn zu beunruhigen.

»Aber sie würden es gern«, sagte Asp bedeutsam. »Das ist ihre Natur, Ingo. Sie sind seine Freunde, und sie erheben Anspruch auf ihn.« Damit hatte er genau das ausgesprochen, was Ingo gerade ebenfalls durch den Kopf geschossen war.

»Scheiße«, knurrte der blonde Mann.

Falk versetzte der rostigen Tür einen derben Tritt, und sie schwang mit einem Quietschen auf, das wie ein hoher Schrei klang. Licht flutete aus der Öffnung heraus. Aus dem Inneren des Raumes, in dem die beiden vordersten Musiker nun mit großen Schritten verschwanden, drangen sofort aufgeregte Stimmen. Auch Asp und Ingo begannen zu rennen.

Jenseits der Tür hatten Falk und Lasterbalk zügig damit begonnen, die Insassen in Stücke zu reißen. Über den weißgefliesten Boden schwappte Blut wie eine rote Flutwelle. In Panik sprangen zwei Personen beiseite – offensichtlich Menschen – und stürzten auf die nächstbeste Tür zu. Anstatt sie laufen zu lassen, sprang Falk ihnen nach und schlachtete sie mit einem Biss dahin wie ein Jagdhund die fliehende Beute. Blut lief über sein Kinn und verklebte seinen Bart; es störte ihn gar nicht. Mit wildem Blick und gebleckten Zähnen sah er sich nach einem weiteren Opfer um.

Asp packte Ingo an der Schulter. »Etwas stimmt nicht«, sagte er in einem Ton, der den Menschen erschauern ließ. Lauter sprach Asp die beiden Amokläufer an: »Falk, Lasterbalk, hört auf damit!«

»Ich kann nicht!«, stöhnte Lasterbalk und presste sich die Fäuste an die Stirn. »Mein Blut kocht!«

Ingo ergriff die Initiative. »Ihr zwei, kommt wieder runter, oder ich pfähle euch!«, kläffte er. »Ich mein’s ernst!« Drohend umfasste er seinen Pflock.

Falk blickte ihn ganz überrascht an; dann, als er den Ernst in Hampfs Miene erkannte, entspannte er sich ein wenig. »Oh, ja … Ingo, der Pfähler.« Plötzlich sah er furchtbar erschöpft aus und musste tief durchatmen.

Kurzzeitig senkte sich betroffene Stille über den Raum. Kein Gegner war mehr zugegen; nur Leichen lagen auf dem Boden, zwei von ihnen zuckten noch.

»Ich weiß net genau, was das war«, sagte Lasterbalk leise. »Ich war noch nie vorher in so einem … Blutrausch.«

Ingo schluckte und schob den Pflock wieder in die Schlaufe seines Gürtels. »Wie auch immer«, lenkte er vorsichtig ein, »es scheint euch … unbesiegbar zu machen.«

»Tja.« Tief durchatmend wandte Falk sich der rechten von zwei Türen zu, die aus dem weißen Raum abzweigten. Er legte seine Hand auf die Klinke, zögerte jedoch, bevor er sie hinunterdrückte. »Ich glaube«, flüsterte er, »wir haben die Quest abgeschlossen.« Es war beinahe zu hören, wie sich sein und Lasterbalks Herzschlag wieder beschleunigte.

»Nichts da!«, sagte Ingo heiser. »Ich gehe vor. Alea kriegt ’nen Herzkasper, wenn er euch so sieht. Zieht endlich die verfluchten Zähne ein!«

Beide Vampire wirkten bestürzt darüber, diesen Umstand vernachlässigt zu haben, und ließen hastig ihre Fangzähne verschwinden.
 

Fritz mühte sich vergebens, die trockenen Kaugummireste aus seinem Gehörgang zu kratzen. Das war eine beknackte Idee gewesen. Ob Alea immer so beknackte Ideen hatte? Kaugummi in den Ohren war eine Zumutung! Das Zeug klebte wie Fensterkitt!

Als hätte Alea seine Gedanken gelesen, behauptete er: »Ohne das Kaugummi wärst du jetzt tot, glaub mir.«

Fritz gab etwas Unverständliches zurück. Klebrige Fäden hafteten an seinen Fingern, sodass er nichts mehr anfassen konnte, ohne daran hängen zu bleiben. Wenigstens, das musste er zugeben, hatte das eklige Zeug seinen Zweck erfüllt: Von der Musik im Labor der Vampirgang hatte er kaum etwas gehört. Das Stampfen eines Beats, ja, aber keine Melodie; vielleicht die Ahnung eines verzerrten Gesangs. Passiert war gar nichts. Grollend hatten die beiden menschlichen Männer, die ihn aus der Zelle geholt hatten, ihn unverrichteter Dinge wieder dorthin zurückgebracht.

Als Fritz gerade die Idee kam, mit einem der härteren Strohhalme in seinem Ohr herumzustochern, ließ ein dumpfer Lärm im Nebenraum die beiden erstarren. Etwas fiel um, etwas polterte. Schreie ertönten, Schreie, die rasch und abrupt verstummten. Jemand rannte.

Was ist da los?, dachte Fritz voller Angst. Was geht da schief? Kommt uns jemand retten – oder müssen wir jetzt sterben? Ist ein Vampir außer Kontrolle? Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Fünf klamme, ungewisse Minuten später wurde die Klinke unerwartet sanft hinuntergedrückt. Dann streckte Ingo Hampf den Kopf herein.

Fritz und Alea seufzten gleichzeitig tief auf. »Ingo!«

Misstrauisch sah der grimmige Mann sich im Gefängnisraum um. »Wo sind die Bestien?«

»Die meisten sind nachts in der Stadt unterwegs«, beeilte Alea sich zu erklären. »Richten wahrscheinlich neue Massaker an. Kommt schnell, ich spüre gerade keinen Vampir in der Nähe!«

Als er das hörte, kam Ingo sofort herein. Er war voll bewaffnet, wie Fritz sah. Ihm folgten Falk, Lasterbalk und dann Asp. Sie alle sahen aus, als wäre ihnen ein Gespenst begegnet.

Fritz zuckte innerlich zusammen, als er sah, dass Falk und Lasterbalk voller Blut waren – und er wusste sofort, dass es nicht ihr eigenes war. Alea sah es auch. Sein muskulöser Körper war starr wie eine Salzsäule.

»Wie kriegen wir die Zellentüren auf?«, knurrte Ingo, die prekäre Situation nicht beachtend. Schon ging er mit großen Schritten an den Gittern entlang und suchte fieberhaft nach einem Werkzeug.

Asp wandte sich gewohnt kontrolliert an Fritz. »Was machst du hier? Wir dachten, du wärst bei Fírinne

»Bei wem?«, fragte Fritz verwirrt, bis ihm wieder einfiel, dass das die irische Gruppierung war, die mit der MIU damals Paul Frais verjagt hatte. »Achso, die … Sind die etwa auch hier?«

Asp musterte ihn prüfend, als versuchte er, sich auf die Geschichte irgendeinen Reim zu machen. »Seltsam«, sagte er schließlich. »Micha hat Buschfeldt mitgeteilt, dass ihr mit Fírinne auf einer Besprechung seid.«

»Micha!«, fuhr Fritz in jähem Zorn auf. »Micha hat mich – !« Erschrocken bremste er sich. Alea, der in der Zelle nebenan stand, starrte noch immer mit weit offenen Augen geradeaus.

»Scheiße!«, schrie Ingo auf. »Hier ist nichts zum Aufmachen, verdammter Mist!« Voller Wut schlug er gegen die Gitterstäbe und schüttelte sofort danach seine Hand.

Endlich brach Lasterbalk den Bann zwischen sich, Falk und Alea und trat an die Gitter, um dort ein wenig in die Hocke zu gehen und seine Hände durchzustrecken. »Hier, hüpf drauf. Wenn ich mich richtig anstrenge, glaube ich, kann ich dich so hoch heben, dass du oben drüber klettern kannst.« Aufmunternd nickte er dem Sänger zu.

Alea setzte sich zögernd in Bewegung. »Wurdest du gebissen?«, fragte er ganz beklommen.

»Ich werd’s überleben«, antwortete der große Mann und rang sich ein Lächeln ab. »Jetzt komm, es ist bestimmt schon Verstärkung im Anmarsch.«

Der Plan ging auf; Lasterbalk war groß genug, Alea über das Gitter zu helfen. Als es daran ging, den Sänger am ausgestreckten Arm oben zu halten, simulierte er ein wenig, wie Fritz sah, und heuchelte Anstrengung, obwohl er nicht einmal schwitzte – jedenfalls nicht deshalb. Ingo und Falk stützten seine Schultern, um ihn zu entlasten.

»Gut!«, stieß er hervor, als er Alea loslassen konnte. »Fritz, jetzt du!«

Das ließ Fritz sich nicht zweimal sagen. Während er sich abmühte, ein Bein nach dem anderen über die wackelnde Oberstrebe zu bringen, begannen die anderen wieder nervöse Blicke zu tauschen. Niemand kam Alea zuvor, der kurz darauf feststellte: »Vampire kommen. Ich, ich kann sie nicht alle auf einmal …«

Schon flog die Tür auf. Mit gebleckten Zähnen stürzten vier Männer herein; es waren dieselben, die Alea entführt hatten. Als sie Alea mitten im Raum stehen sahen, fielen sie ihn sofort an wie eine Schar Heuschrecken.

Falk war schneller. Er umfasste Alea und warf ihn unter sich zu Boden, wobei er sich noch im Fallen so auf den Rücken rollte, dass Alea auf ihm zu liegen kam. Nur Sekundenbruchteile später war Ingo Hampf mit dem Pflock zur Stelle und begann seine Arbeit. Lasterbalk half Fritz auf den Boden und schubste ihn aus der Schusslinie, um sich an dem Kampf zu beteiligen. Sie mussten jetzt kämpfen wie Menschen, und das war ihnen sichtlich ungewohnt, doch ihre Waffen entschieden die Schlacht schnell für sie. Noch ehe alle vier Gegner gefallen waren, brachen drei weitere Vampire durch die gegenüber liegende Tür herein und griffen von rückwärts an. Falk sprang ihnen entgegen, während Ingo einen Angreifer nach dem anderen pfählte, als würde er nie etwas anderes tun, mit dem konzentrierten, jedoch leidenschaftlichen Gesichtsausdruck eines Musikers, der passioniert ein tödliches Instrument spielt.

Alea hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und stand, den Rücken an die kalten Gitter gepresst, in angespannter Abwehrhaltung. Fritz sah, wie er langsam die eine Hand zur Faust ballte und sie auf Kinnhöhe hob, während er die andere mit gespreizten Fingern nach vorne ausstreckte; dann schloss er die Augen und nahm einen tiefen, lautlosen Atemzug. Im selben Moment brach eine Vampirin, die versucht hatte, sich hinter dem Tumult vorbei auf ihn zuzuschleichen, röchelnd auf die Knie und griff sich an die Brust. Ihr Mund öffnete sich zu einem ungehörten Schrei, und spasmisch zuckend kippte sie endlich vornüber, um tot auf dem Bauch liegen zu bleiben. Fritz fühlte Grauen in seine Eingeweide hinauf kriechen. Erstmals war er Zeuge von Aleas unsichtbarer, tödlicher Macht geworden. Es war so schnell gegangen! So einfach! Alea öffnete die Augen, schluckte und wandte sich schaudernd ab von dem, was er getan hatte.

»Jetzt!«, schrie Falk. »Nichts wie raus hier!«

Fritz erkannte die Chance: Gerade war der Strom an neuen Angreifern abgeebbt, alle waren tot. Augenblicklich setzten die MIU-Leute sich in Bewegung. Nur Alea blieb wie angewurzelt stehen. Lasterbalk packte ihn und klemmte ihn sich unter den Arm wie eine Bierzeltbank.

Geduckt stürzten sie zurück in den Gang, der jetzt nicht mehr dunkel, sondern hell erleuchtet war. Fritz konnte kaum folgen, also ergriff Falk ihn am Arm und riss ihn mit sich wie der Haken einer ausgeworfenen Angel. »Nicht trödeln, Fritz!«, drängte er.

Kurz vor Ende des Ganges wurden sie erneut aufgehalten. Fünf Vampire versperrten ihnen den Weg in die Baugrube.

»Hier ist Endstation, MIU-Scheißer!«, bellte ein muskelbepackter Koloss mit Vollbart. »Kommt erst mal an Conall Cernach vorbei!« Mit diesen Worten stieß er einen rauen Schrei aus, dass der Boden erzitterte, und schlug sich mit der Faust auf die breite Brust wie ein Gorilla.

Falk, Lasterbalk und Asp drängten ihre menschlichen Begleiter wie automatisch hinter sich und nahmen eine Art Formation ein, um von jeder Seite vorstoßen zu können. Fritz hatte jetzt richtig Angst, und er spürte, dass es weder Ingo noch Alea anders ging. Alea allerdings riss sich zusammen und begann schon damit, den Türsteher-Vampir für eine tödliche Attacke anzuvisieren.

»A Lámh Dé, ich sehe doch, dass du dir vor Angst in die Hosen pinkelst!«, dröhnte Conall Cernach, als er Alea die Faust ballen sah. »Kannst du dich nicht konzentrieren? Na?« Er scharrte mit dem Fuß im Dreck und setzte zum Sprung an wie ein gewaltiger Tiger. »Haaar

Sofort, als er lossprang, stürzten sich Falk und Lasterbalk synchron auf ihn. Sie schienen nicht anders zu können; voller Ingrimm warfen sie die Zähne aus und rammten sie in die Schultern des mächtigen Mannes.

Fritz sah, wie Alea neben ihm ein fassungsloses Keuchen ausstieß. Dann war Ingo Hampf hinter ihm. »Tut mir Leid, Kleiner!«, schnarrte der blonde Pfähler, ehe er weit mit der Faust ausholte und Alea einen gezielten Schlag auf den Kopf versetzte. Der Sänger sackte zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man losgelassen hatte. Ingo fing ihn auf und zog ihn mit verkniffener Miene weg vom Kampfgeschehen.

Inzwischen hatten Falk und Lasterbalk den Angriff des bulligen Vampirs erfolgreich abgewehrt, doch der Hieb des Feindes hatte Falk eine heftig blutende Wunde an der Stirn beigebracht. Etwas benommen rollte er sich beiseite, während Lasterbalk erneut angriff und Asp vollauf damit beschäftigt war, die anderen vier Gegner mit der Natron-Kanone auf Distanz zu halten. Fritz bereute, dass er keine Waffen bei sich trug; natürlich waren sie ihm im Zuge seiner Gefangenschaft abgenommen worden, nachdem Michas Blutfessel sich gelöst und ihn aus der Verdammnis zur Untätigkeit entlassen hatte.

Conall Cernachs enorme Körpermasse machte ihn unvergleichlich stark, aber auch langsam, und Lasterbalk, groß und schlank, wich jedem seiner Schläge um Haaresbreite aus. Endlich wagte Ingo Hampf es, vorzuspringen und sein Glück mit dem Pfahl zu versuchen. Er trieb das Holzstück mit aller Macht in die eisenharte Brust des Gegners, erreichte aber nur ein Vordringen um wenige Zentimeter. Der Vampir brüllte auf, und sein Prankenhieb schleuderte Hampf einfach beiseite wie ein lästiges Insekt. Aus der Wunde über seinem Herzen begann Blut zu sprudeln.

Jemand packte Fritz; es war Falk, und er hatte es eilig. »Los!«, schrie er und stieß die letzten drei schwächeren Vampire, die ihn halbherzig aufzuhalten versuchten, grob beiseite. Lasterbalk warf sich Alea über die Schulter und Asp stützte Ingo, der ein wenig taumelte, aber stehen konnte. Als sie es bis zum hohen Rand der Baugrube geschafft hatten, verloren die Vampire keine Zeit; da sie die Distanz nicht springend überwinden konnten, zogen sie sich blitzschnell ihre Schuhe aus, nahmen sie in die Hand und begannen, die Erdwand barfuß im rechten Winkel zu erklimmen. Fritz wurde ganz schwindelig, als er so verkehrt in der Luft hing.

Oben angekommen, konnte Falk nicht widerstehen, sich noch einmal über den Zaun zu beugen und aus voller Kehle in die Grube zu brüllen: »Merkt euch das, ihr Hundesauger! Das ist unser Sänger, also wenn den einer austrinkt, dann wir, kapiert?!« Dann kehrte er dem Erdloch grollend den Rücken.
 

Fritz wusste, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Schnurstracks hielten die Vampire auf einen öffentlichen Parkplatz zu. Gott sei Dank, sie waren mit dem Auto da. Zwar waren sie zu sechst, doch Alea würde man bequem quer über die Rückbank legen können.

Schon nach wenigen Schritten fing Lasterbalk, der das Schlusslicht bildete, an zu rennen. »Sie folgen uns! Schneller

In grimmiger Schadenfreude knurrte Falk: »Das werden sie ihrem Chef Frais erst mal erklären müssen. Er wird sie alle aushungern, diese Versager.«

Leider stellte sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass Rennen nicht genug war. Schon drang das Geschrei der Verfolger, die nicht auf Menschen Rücksicht nehmen mussten, an ihre Ohren.

»Der Dark Knight steht ganz am Ende des Parkplatzes, links in der Ecke!«, rief Falk. »Wir teilen uns auf und treffen uns gleich da! Jetzt

Und dann rannte plötzlich jeder in eine andere Richtung. Fritz wusste nicht wohin. Es war ein eingespieltes Manöver, das sie alle kannten – außer ihm. Hilflos lief er irgendeinem ungenauen Ziel entgegen, einfach geradeaus, wo im Dunkeln ein weißes P auf blauem Grund zu erahnen war.
 

Falk zog noch im Laufen den Autoschlüssel aus der Tasche und drückte den Schalter. Die Lichter des Opels blinkten auf. Aus vier verschiedenen Richtungen kamen die anderen gelaufen, und jeder riss gleichzeitig eine der Autotüren auf.

»Scheiße!«, stieß Ingo Hampf hervor, als er sah, dass jemand fehlte. »Wo zur verfickten Hölle ist Fritz?«

»Ich hole ihn«, erklärte Asp ruhig. »Fahrt los, wir treffen uns am Tor der Offiziersschule.«

Stöhnend rammte Falk den Zündschlüssel ins Schloss. »Ich glaube, heute ist echt nicht mein Tag.«
 

Stolpernd erreichte Fritz das Ende des Parkplatzes. Wohlgemerkt, es war eines der Enden – und offenbar das falsche. Panisch sah er sich um, als er rennende Schritte in seine Richtung kommen hörte, die von einem hellen Kichern begleitet wurden. Noch ehe er wieder losstürmen konnte, hatte Ríona Rua ihn gepackt und warf sich um seinen Hals wie eine Würgeschlange.

»Fial, Puls meines Lebens, willst du etwa schon gehen?«, säuselte sie, und er hörte das scharfe Klicken ihrer Zähne.

Ein Biss kam allerdings nicht. Unmittelbar auf das Klicken folgte ein Laut der Überraschung, und die Vampirin ließ ihn los. »Wer bist du?!«, fauchte sie jemanden an, der lautlos hinzugetreten war, und machte einen Buckel wie eine rote Katze. »Das ist mein Abendbrot, nur meins, meins, meins

»Eigentlich nicht«, antwortete Asp, der vor ihr stand, als nähme er ihre drohende Haltung nicht zur Kenntnis. »Ich nehme ihn mit, wenn du nichts dagegen hast.«

Ríona hatte allerdings etwas dagegen. Sie plusterte sich auf wie ein Fregattvogel und griff an. Sie hatte den ganzen Zorn einer hungrigen, wütenden Frau auf ihrer Seite, aber Asp war ein stattlicher Mann mit etwa doppelt so viel Körpersubstanz; er ließ sie einfach gegen sich laufen, wo sie so erfolgreich kämpfte wie eine Welle mit einem Felsen. Dann packte er sie am Kragen und hielt sie eine Armlänge weit von sich, sodass sie fauchend in der Luft zappelte.

»Hm«, sagte er nachdenklich. »Was mache ich jetzt mit dir?«

Ríona überschüttete ihn mit einem Schwall gälischer Flüche, der kein Ende finden wollte. Als sie auch nach Minuten noch furios um sich trat, sagte Fritz leise: »Alex, lass sie gehen. Sie hat mir nichts getan.«

»Noch nicht«, antwortete Asp und zögerte. Dann jedoch entschied er sich, die Vampirin auf den Boden zu setzen. »Deine Entscheidung, Fritz.« Er ließ sie los.

Zischend nahm Ríona die Beine in die Hand und schoss davon wie ein roter Blitz. Fritz hatte das ungute Gefühl, dass er sie nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
 

Die Gefahr war gebannt; die Verfolger hatten endlich aufgegeben. Nur noch Dunkelheit umfing die beiden Männer auf dem Parkplatz.

»Wir treffen die anderen an der Albertstadt-Kaserne«, erklärte Asp. »Komm jetzt mit und lauf schön ruhig. Wir wollen niemandes Aufmerksamkeit erregen, hm?«

Fritz bemühte sich, die Anweisung zu befolgen. Er schob die Hände in die Taschen und versuchte trotz seines jagenden Pulses, so entspannt zu gehen wie Micha immer; dann fiel ihm wieder ein, was Micha ihm angetan hatte, und er sagte unbehaglich: »Alex … Ich-ich stand unter Blutfessel. Das war … schrecklich.«

Asp musste nicht nachfragen, um zu wissen, dass Fritz nicht von einem Fiacail-Fhola-Vampir sprach. »Micha«, seufzte er. »Hätte ich nicht für möglich gehalten.«

»Ich … ich war ja auch selber Schuld daran«, sagte Fritz kleinlaut. »Ich bin ihm nur im Weg gewesen …«

»Es ist trotzdem nicht zu entschuldigen. Erstens bist du noch neu und zweitens sein Teampartner. Er kann dich nicht irgendwo stehen lassen wie ein Auto, das er gerade nicht braucht.«

Fritz schluckte. »Woher weißt du, dass es so war?«

»Ach … Ich hab das Talent, mir gewisse Dinge zusammen zu reimen«, erklärte der schwarz gekleidete Mann mit einem überlegenen Lächeln.

»Alex …«, begann Fritz leise. »… Ich will nicht mehr mit Micha arbeiten. Ich kann ihm sowieso nichts recht machen. Kann ich wechseln?«

Asp schien überrascht über die Frage. Er schürzte die Lippen und sagte umständlich: »Rein theoretisch ja … aber praktisch wird Micha dich nicht gehen lassen.«

»Was soll das bedeuten? Will er – will er mich etwa wirklich weiter beherrschen? Mit Blut?« Fritz konnte es nicht fassen.

»Nein, nein, missversteh mich nicht«, korrigierte Asp ihn sofort. »Vampire denken ein bisschen anders. Wenn sie einen Menschen kennen, beanspruchen sie ihn. Das ist ganz normal und in der Regel fällt das nicht mal auf. Ich kenne Micha, deshalb kann ich mich Leuten, die sozusagen ihm gehören, problemlos nähern. Wenn ich aber einem Mitglied von In Extremo absichtlich was tun würde, es beißen oder Ähnliches, dann würde er mich … töten. Wahrscheinlich. Dafür ist keine Freundschaft tief genug. Menschen teilt man nicht, das kann man nicht, wenn man ein Vampir ist.«

»Oh, mein Gott.«

»Bei den anderen ist es dasselbe. Ich habe heute gesehen, wie Falk und Lasterbalk ein Dutzend Vampire hingeschlachtet haben, um zu Alea zu gelangen. Genauso werden Silvio und Simon ständig über Eric und Ingo wachen. Menschliche Bandmitglieder werden gemeinsam beschützt. Genau wie Freunde und Familie.«

Fritz glaubte, die Hintergründe langsam zu verstehen. »Wenn also jemand deine Band angreift …«

»Ich kann nur jedem davon abraten«, sagte Asp direkt.

»Ich verstehe. Ich muss … also bei Micha bleiben, weil er mich … behalten will.« Der Gedanke war mehr als unangenehm. Und ein noch unangenehmerer folgte. Fritz riss die Augen auf. »Oh Gott, Alex, wird Micha meiner Frau was tun?!«

»Was? Nein! Natürlich nicht! Deine Frau ist was völlig anderes! Und außerdem ist sie kein Vampir. Versteh doch, Micha wird nicht bewusst handeln. Es wird ihn nur … verstimmen, wenn du jetzt jemand anderem zugeteilt wirst, und er würde gegen denjenigen vielleicht aggressiv werden, ohne zu wissen warum.«

Fritz schnaubte. »Das ist doch alles Mist!«, rief er verärgert und trat nach einem Stein am Straßenrand. »Ich hasse Vampire!« Dann fügte er leiser hinzu: »’Tschuldigung.« In der Ferne wurden Verkehrsgeräusche lauter.

»Ich hasse Vampire auch«, erwiderte Asp unbekümmert. »Komm, lassen wir die anderen nicht ewig warten.«



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