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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Falsche Freunde Reloaded

Das Carl-Gustav-Carus-Universitätsklinikum befand sich – so die Information, die dem BfV vorlag – in der Fetscherstraße 74. Die Haupteinfahrt jedoch war nur von der Fiedlerstraße aus zu erreichen, was bereits das erste Problem aufwarf. Als nächstes fing Buschfeldt, sobald er endlich das so genannte ›Service-, Ideen- und Beschwerdemanagement‹ gefunden hatte, mit der übermüdeten Angestellten hinter dem Pult einen Streit darüber an, ob das Parken (für Langzeitparker kam nur das Parkhaus in Frage) für Geheimdienstmitarbeiter genauso kostenpflichtig sein sollte wie für alle anderen.

»Natürlich!«, war die entrüstete Antwort. »Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sich das nicht leisten kann!«

Fritz sah das eigentlich genauso. Das BfV konnte sich auf Staatskosten so ziemlich alles leisten, und es war ja nicht so, als ob Buschfeldt den Betrag aus eigener Tasche hätte vorstrecken müssen.

Durch die rege Betriebsamkeit eines großen Krankenhauses mit vielen verschiedenen Instituten und interdisziplinären Zentren führte ein Brille tragender Nachtwächter die siebzehn Männer zu einem unzugänglich abgetrennten und mit Planen verhängten Bereich.

»Hier entsteht demnächst das Diagnostisch-Internistisch-Neurologische Zentrum, kurz DINZ«, erklärte er. »Der Teil des Kellers, der sich darunter befindet, ist gerade nicht in Verwendung. Es ist nicht unbedingt komfortabel dort, aber Sie können es nutzen. Wir werden alles zur Verfügung stellen, was Sie brauchen, das ist mit Ihrer Chefin abgesprochen. Manchmal kann es etwas laut werden … wegen der Bauarbeiten, Sie verstehen. Deswegen wird dieser Bereich auch gerade nicht genutzt. Es ist weder für Personal noch für Patienten zumutbar.« Begreifend, was er gerade gesagt hatte, räusperte sich der junge Mann hastig und ergänzte: »Ansonsten genießen Sie denselben Komfort wie die Angehörigen unserer Patienten. Sie können auch die Patientenküche nutzen. Es fehlt an nichts, wirklich nicht.«

»Danke«, sagte Buschfeldt. Es war zu hören, wie viel Überwindung ihm dieses Wörtchen abverlangte.

Der Keller glich mehr einem grauen Schacht; es gab eine Reihe getrennter Räume, aber sowohl Wände als auch Böden bestanden schlicht aus rohem Beton. Es war mehr oder weniger liebevoll dafür gesorgt worden, es für die unerwarteten Gäste ein wenig gemütlich zu machen. Leider wurde das Krankenhauspersonal ansonsten von ganz anderen Aufgaben in Anspruch genommen, die nicht viel Zeit für solche Sondereinsätze übrig ließen.

Glücklich war demnach niemand. Nur Bock freute sich ungemein – wie erwartet. »Ich habe alles, was ich will!«, frohlockte er und hopste sogar auf der Stelle. »Guckt mal, hier ist ein Brutschrank! Phantastisch! Damit kann ich Infusionen und Blutkonserven auf Körpertemperatur halten!«

Die anderen sahen sich nur müde um.

»Mann, lasst uns bloß hier abhauen«, murrte Boris. »Bei der Tristesse in diesem Loch wird man ja depressiv.«

»Für diesen Fall gibt es eine Psychiatrie und ein ökumenisches Seelsorgezentrum«, stellte Falk fest, der den bunt gedruckten Lageplan der Klinik in der Hand hielt und aufmerksam studierte. »Das werden wir wohl spätestens dann nutzen, wenn wir Alea nicht im Vollbesitz seines Blutes zurückkriegen.«

Dieses Stichwort veranlasste alle zu einem beinahe fluchtartigen Aufbruch.

Amboss, der – nun wieder gesundet – bereits bei der Ankunft eine Diskussion mit dem Hausmeister losgetreten hatte, die Schievenhöfel jedoch diplomatisch zu schlichten vermocht hatte, konnte es nicht abwarten, den lichtlosen Katakomben zu entfliehen. Stürmisch riss er, wie schon so oft, Eric die Leine aus der Hand und preschte kläffend voraus.

»Hechte ihm nach«, schlug Micha vor.

Eric biss die Zähne zusammen. »Ich hätte Lust, ein paar blöde Witze über deinen Namen zu reißen!« Irgendetwas, das war nicht zu übersehen, setzte ihm merklich zu; seine berechnende Einstellung wich mühsam unterdrücktem Unmut, das musste auch Micha aufgefallen sein. Fritz fragte sich, ob das mit Aleas Entführung zusammenhing.

Vor dem Erreichen des Aufnahmebereiches fing Falk den Hund wieder ein, und Eric weigerte sich, ihn noch einmal zu übernehmen. Verdrossen machten die Agenten im Zufahrtsbereich Halt, um die Aufgabenverteilung durchzusprechen.

»Wie immer in einer neuen Stadt«, knurrte Buschfeldt, »fangen wir wieder ganz von vorne an. Pfeiffer, Silbador: Ich will, dass ihr das Verkehrsnetz überwacht. Sobald auch nur eine Straßenbahn zu spät kommt, will ich das wissen.« Er wandte sich an Fritz: »Wunderbaum, Sie gehen mit Einhorn in die Südvorstadt. Das ist im Wesentlichen der Universitätscampus. In Wuppertal hatten wir das ja auch, dass sich die Blutsauger auf Studentenpartys gut bedient haben.«

»A propos Blut«, wandte Micha behutsam ein. »Wir haben kein Hyperborea mehr.«

Buschfeldt sah ihn entgeistert an. »Ist das etwa mein Problem? Holt euch doch welches! Das gilt für euch alle, ihr könnt euch ruhig selbst darum kümmern, dass ihr bei Kräften bleibt. Wenn ihr jetzt getrennt seid, holt sich eben jeder selbst sein … sein Mittagessen, oder wie man das nennen soll. Ich bin es sowieso leid, dafür Sorge zu tragen. Wenn ihr normale Leute wärt, hätten wir das Problem nicht.« Mit diesen Worten fuhr er fort, den Übrigen ihre Bezirke zuzuweisen.

Fritz entging nicht die Bitterkeit in den Zügen der Vampire, die einmal mehr aufgrund dessen, was sie waren, diskriminiert wurden. Dennoch leistete niemand Widerworte, und die Gruppe löste sich auf.
 

Micha überflog beim Gehen einen groben Plan des Universitätscampus’, der alle bedeutenden Straßen des Südviertels enthielt. Sein beharrliches Schweigen deutete Fritz als Missstimmung.

»Wieso nennt er dich bloß immer Einhorn?«, fragte er und trat damit einen ungünstig liegenden Stein los, wie ihm gleich darauf klar wurde.

»Das sind Scheiß-Codes!«, fauchte Micha ihn an. »Hast du das noch nicht gerafft?« Dann nahm er sich zurück, als ihm offenbar klar wurde, dass er den Falschen beharkte. »Er benutzt unsere Künstlernamen«, erklärte er seufzend. »Das macht er bei uns allen, wahrscheinlich deshalb, weil es herablassend, unhöflich und bevormundend klingt.«

»Oh …«

»Für ihn sind wir nur eine Horde kindischer Idioten, die man mit irgendwas beschäftigen muss. Vor allem wir Vampire! Wir sind zufällig nützlich, aber eigentlich sind wir eher so was wie … Wirtschaftsschädlinge. Die MIU hat wegen uns keinen guten Ruf beim Rest vom BfV. Eine Behandlung mit Respekt verdienen wir also nicht. Besser, man hält uns komplett geheim und macht für uns Hyperborea, damit wir brav unsere Natur unterdrücken, unsere Arbeit tun und ja keinen Ärger machen.« Erstmals hörte Fritz die ganze Frustration heraus, mit der Micha permanent zu kämpfen schien. »Dein Chef hat dich bestimmt Herr Wunderbaum genannt, wie sich das gehört, und nicht Sachen gesagt wie ›Einhorn, Finger aus der Keksdose!‹ oder ›Einhorn, geh weg da!‹ oder ›Ihr Fangzähne habt mehr Gift im Schädel als Hirnmasse!‹ … So was dürfen sich nur Vampire anhören!«

»Micha …« Fritz schürzte die Lippen, ganz kleinlaut angesichts so viel blanken Zorns. »Wenn Buschfeldt dich so hasst, wieso … beschäftigt er dich dann überhaupt?«

Der Sänger lächelte dünn. »Weil er mich braucht. Ich bin der älteste Vampir der MIU.«

»Aber du könntest doch von alleine gehen.«

»Nee, könnte ich nicht. Weil …« Ein Grollen kam tief aus Michas Kehle. »… weil In Extremo als Musikprojekt nicht unabhängig von der MIU funktioniert.«

Fritz sah ihn verwundert an. »Aber hast du nicht genau das immer behauptet?«

»Weil ich es mir gerne so einbilde! Fakt ist, unser Erfolg als Künstlergruppe ist zwar nicht direkt von unserer Arbeit bei der MIU abhängig … Aber Buschfeldt ist extrem nachtragend, der kann dafür sorgen, dass wir im Musikbusiness allen Halt verlieren und nie wieder Fuß fassen. Wär leicht für ihn.«

»Ist das schon mal passiert?«

»Hört man so«, murmelte Micha.

»Ist das der Grund …« Fritz wusste nicht, ob er das wirklich ansprechen sollte, entschied sich dann aber dafür. »… der Grund, warum du auch Eric nicht magst? Hat er was damit zu tun?«

»Eric? Neeee«, wehrte Micha sofort ab. »Nee, Fritz, das muss man Eric schon lassen: Er ist Buschfeldts Liebling, aber Vampire zu diskriminieren, das würde dem im Traum nicht einfallen. Der gute Hecht mag Vampire … mehr, als mir lieb ist sogar.«

Fritz ahnte, dass Micha damit auf Erics Neigung anspielte, Vampire aus sich trinken zu lassen; doch dies war ein verbotenes Thema, also hielt er den Mund.

Irgendwann hatten sie den Hauptcampus erreicht. Das Hörsaalzentrum am Fritz-Foerster-Platz, durch eine über das Straßenkreuz verlaufende Brücke mit dem Mensagebäude verbunden, zog unweigerlich die Aufmerksamkeit jedes zufälligen Passanten auf sich.

»Es ist eigentlich sackblöd, im Herbst am Tage ein Vampirversteck zu suchen«, beschwerte sich Micha wieder einmal. »Der einzige Hinweis sind Bisswunden, aber die Leute haben alle Schals um wegen der Scheiß-Kälte!«

»Dann müssen wir in ein Gebäude rein. Wollen wir einen Blick in die Mensa werfen? Speiseräume sind in der Regel gut überschaubar«, schlug Fritz vor.

»Ja, können wir machen.«

Sie gingen über die Fußgängerbrücke.

»Wissen wir überhaupt, ob es in Dresden registrierte Vampire gibt?«

Micha nickte. »Ja, gibt sogar ziemlich viele. Aber registrierte Vampire, weißt du … die vergreifen sich nicht an Studenten, die zu tief ins Glas gucken, sondern … haben Vertrauenspersonen, aus denen sie trinken, Freunde oder Verwandte, oder sie machen es wie die MIU und kriegen aussortiertes Blut aus Blutbanken, gegen Bezahlung. Diese Mensa da –« Er deutete auf das fensterreiche Gebäude, auf das sie zuhielten. »– veranstaltet fast jede Woche Blutspendeaktionen, bei denen alle Spender umsonst was zu essen kriegen.«

Fritz staunte. »Sieh an, du kennst dich aus in Dresden.«

»War hier schon ein paar mal, nicht nur für Auftritte.«

Die Türen zur ›Neuen Mensa‹, wie sie von den Studenten genannt wurde, standen offen, jedoch war das innen eher schummrige Gebäude fast leer; die Essensausgabe endete um halb drei und war damit schon über eine Stunde vorbei. Die Computerbildschirme, die neben den verschiedenen Aufgängen angebracht waren und normalerweise die Anstehenden über das Speisenangebot informierten, waren schwarz. An der Seite, die der Straße zugewandt war, befanden sich eine Garderobe und Reihen von Tischen, auf denen bunte Flyer lagen, welche Studentenpartys und andere Events ankündigten. Auf den Stühlen saßen wenige Studenten und arbeiteten an Hausaufgaben oder Karteikarten. Fritz und Micha spazierten einmal durch die ganze Länge des Foyers, an den Aufgängen vorbei bis zu den Toiletten, und kehrten dann um.

»Riecht nicht nach Vampiren«, sagte Micha leise. »Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Eff Eff wahrscheinlich auch erst heute angekommen sind. Wir müssen wohl warten, bis sie sich bemerkbar machen … wie immer. Mann, ich hasse Warten.«

Wieder draußen, folgten sie einer kurvigen Straße, die von Straßenbahngleisen flankiert wurde und schließlich an Reihengebäuden vorbeiführte, die hinter parkähnlichen Rasenflächen aufragten.

Studentenwohnheime, dachte Fritz. Eindeutig. Er las den Straßennamen: Fritz-Löffler-Straße. Wieso heißen hier alle Fritz?

»Da hinten ist ein Getränkeladen«, machte Micha ihn aufmerksam. »Ich hole mir Hyperborea, wenn du nichts dagegen hast.«

»Du weißt, ich fühle mich wohler, wenn du satt bist«, erwiderte Fritz gönnerhaft. Micha grinste ihn an, und Fritz grinste zurück. Ihn beruhigte es, dass sie sich im Moment so gut verstanden.
 

Hyperborea zu holen war für Fritz nichts mehr Neues, also wartete er bei den Spirituosen, bis Micha mit seinem ›griechischen Rotwein‹ zurückkehren würde. Allerdings fiel ihm schnell auf, dass das viel zu lange dauerte, und er ging neugierig zur Kasse, wo Micha im Dialog mit dem jungen schnurrbärtigen Verkäufer schon sämtliche Tarnung aufgegeben hatte.

»Hyperborea!«, raunte er, obwohl sonst niemand im Laden war. »Das ist ein Code!«

»Ich weiß!«, versicherte der Angestellte. »Ich gebe seit schon fast einem Jahr Hyperborea gegen Parole raus! Aber es gibt wirklich keins, glauben Sie mir das doch bitte! Uns wurde vom Hersteller mitgeteilt, dass wir jetzt ein anderes Vampirgetränk rausgeben sollen, weil das alte nicht mehr produziert wird. Und das ist nun mal das hier.« Er schob die Flasche, die unauffällig auf dem Kassentisch stand, ein wenig näher zu Micha hin. Ihr Inhalt war ebenfalls dunkelrot, aber sie trug ein goldenes Etikett mit dem Aufdruck Wikingerblut.

»Aber das ist roter Met!«, beharrte Micha ungeduldig. »Ich kenne das Zeug! Da ist kein Blut drin, das heißt nur so.«

»Ich weeeeiß«, stöhnte der junge Mann. »Das hier ist nicht das Wikingerblut, verstehen Sie? Wikingerblut ist keine geschützte Marke, jeder Hersteller kann seinen Kirschsaft-Met so nennen. Und dieser hier enthält mindestens achtzig Prozent Blut und ist der Nachfolger von Hyperborea. Sehen Sie? Hier ist ein Erkennungszeichen drauf, damit wir es nicht mit einem richtigen Met verwechseln.« Sein dünner Finger zeigte auf ein kleines schwarzes Symbol in der oberen linken Ecke des Etiketts; es war ein stilisiertes Paar Fangzähne, leicht zu übersehen.

Micha betrachtete die Flasche skeptisch. »Das hätte uns als Hauptabnehmer eigentlich jemand sagen müssen«, machte er seiner Verwunderung Luft. »Ich werde da mal Rücksprache halten.«

Achselzuckend entgegnete der Verkäufer: »Ich kann leider nur meine Arbeit tun und das rausgeben, was wir auf Lager haben. Tut mir Leid.«

»Jaja, ich hab’s verstanden.« Mit dem Getränk in der Hand entfernte sich Micha ein Stück weit von der Kasse und entkorkte dann die Flasche, um an ihr zu schnuppern.

Fritz betrachtete ihn neugierig. »Und?«

»Hm, riecht schon lecker. Ein bisschen anders, aber lecker. Auf jeden Fall ist wirklich Blut drin.« Micha inhalierte den Duft noch einmal und lächelte kopfschüttelnd. »Wikingerblut … Doof.« Dann jedoch zwängte er, soweit möglich, den Korken wieder zurück in die Flaschenöffnung. »Nee, nee. Da bin ich zu misstrauisch. Wir müssten informiert worden sein. Ich will das nicht trinken, bevor es nicht von oben abgesegnet ist.«

»Du hast doch sonst kein Problem damit, Getränke zu konsumieren, die Vampiren nicht gut tun«, neckte ihn Fritz.

»Da weiß ich aber, was es ist. Das hier soll Met mit Kirschsaft sein, ist es aber nicht, und bevor ich nicht genau weiß, was es ist, trinke ich davon keinen Tropfen. Aber die Idee mit dem schädlichen Getränk war gut, ich gehe mir ein Bier holen. Das unterdrückt den Hunger auf Blut, weißt du. Ich kann nicht arbeiten, wenn ich dauernd an Blut denken muss.«

Dagegen konnte Fritz nichts einwenden. Sich geschlagen gebend dachte er an das, was Buschfeldt ihm gesagt hatte: dass Bier für Vampire nicht gut war. Vermutlich, weil es den Blutdurst dämpfte. Aber gut, wenn Micha das neue Getränk nur prüfen lassen wollte, war dagegen sicher nichts einzuwenden.
 

Schließlich brach die Dämmerung an.

»Endlich … Blutsaugerzeit«, wisperte Micha. »Hast du alles dabei?«

Fritz nickte und vergewisserte sich erst dann, dass das auch wirklich stimmte. Ja, alles war an seinem Platz: UV-Lampe, Pflock, Hammer und Natron-Kanone. Alles steckte in Schlaufen seines Gürtels, gut unter der langen Jacke verborgen.

Sie folgten der Straße, am Hauptbahnhof vorbei, und bogen nach links in eine großflächige Fußgängerzone ein, die auch zu später Stunde noch recht belebt war. Läden, Kaufhäuser und andere Gebäude, etwa das Ibis-Hotel, drängten sich zu beiden Seiten aneinander, während in der Mitte der Straße Bäume, Bänke, Denkmäler und Wasserspiele – die nun nicht in Betrieb waren – zum Verweilen einluden.

»Die Prager Straße«, erklärte Micha. »Wenn man immer weiter runter läuft und an der Altmarkt-Galerie abbiegt, kommt man zur Elbe. Da sind verschiedene Brücken …« Er schmunzelte. »… was auch gut ist, denn Vampire können nicht durch fließende Gewässer durch. Weder schwimmen noch durchwaten. Die müssen die Brücken nehmen. Und da können wir sie erwischen!«

»Du und erwischen?«, sagte eine gelangweilte Stimme, dessen Besitzer unbemerkt hinter sie getreten war.

Fritz kannte den leicht herablassenden Ton inzwischen und war nicht verwundert, Eric Fish zu sehen, der ein schwarzes Stirnband trug und, genau wie Micha, die Hände in die Taschen seiner Jacke geschoben hatte.

»Hallo!«, begrüßte Fritz ihn freundlich.

»Was willst du?«, knurrte Micha.

»Das wollte ich euch auch gerade fragen«, gab Eric unbeeindruckt zurück.

»Wir haben die Südvorstadt, du Checker.«

»Ihr seid aber nicht mehr in der Südvorstadt, sondern in der Seevorstadt, und die hab ich!«, belehrte ihn Eric. »Also? Silvio hat zwei Vampire an der Loschwitzer Brücke geschnappt, wo sie auf einen Elbdampfer aufspringen wollten. Es waren aber nur zwei von diesen elenden Mitläufern.«

»Wie schön, dass du uns das erzählst. Fritz und ich wollten gerade selber nachgucken. Unser Viertel ist sauber. Könntest du dich jetzt wieder verziehen? Danke auch.«

»Wenn ihr in meinem Revier wildern wollt, komme ich mit«, sagte Eric glatt und schickte sich an, ihnen zu folgen.

Micha rollte die Augen und versuchte zähneknirschend, die Präsenz des anderen Sängers zu ignorieren. Fritz gefiel die elektrische Spannung nicht, die zwischen den beiden knisterte. Beinahe wollte er laut fragen: Wieso kämpft ihr nicht einfach? Fechtet das aus wie zwei Männer! Kitty hätte so was in der Art gerufen …
 

Bereits an der nächsten Brücke, der Augustusbrücke, sahen sie am schlammigen Ufer der Elbe dunkle Gestalten in den Schatten hocken. Über ihren Köpfen waren sehr rasch die letzten Sonnenstrahlen dem kalten Licht eines fast vollen Mondes gewichen. Sobald sie die Brücke beinahe überquert hatten, übernahm Eric die Führung. Sein Haar leuchtete auffällig im Nachteinbruch.

»Michael, was riechst du?«, zischte er.

»Da ist Blut im Wasser.«

»Gut. Versuch, die Passanten abzulenken.«

»Hey! Ich denk ja nicht dran, ich bin nicht weniger Vampirjäger als du! Wenn du jetzt denkst, du wärst besser als ich –«

Eric drehte sich schwungvoll zu Micha um und ging drohend zwei Schritte auf ihn zu. Er war kleiner als Micha, aber kräftiger. Der Vampir indes nahm auch jetzt nicht die Hände aus den Taschen, sondern behielt gleichmütig seine Position bei.

»Was ist los, Hecht? Jaah, ich weiß, du bist angepisst wegen Alea, weil du so was wie seine Mutti bist. Aber lass das nicht an mir aus, klar?«

»Das hat überhaupt nichts damit zu tun!«

Perplex schaute Fritz vom einen zum anderen. Dort unten waren Vampire, dachte er fieberhaft, und diese beiden Männer hatten nichts Besseres zu tun, als sich anzukläffen wie zwei Hunde an einem trennenden Gartenzaun!

»Heilt denn deine Wunde gut?«, erkundigte Micha sich gespielt fürsorglich. »Man soll ja nicht zu oft Blut spenden, weißt du, ist nicht gesund. Wer war das überhaupt? Sugar Ray?«

Eric hatte sich zu gut unter Kontrolle, um auf diesen Tabubruch etwas Hitziges zu erwidern. »Du«, sagte er stattdessen kalt und leise, »kannst doch nicht mal einen Stein geradeaus werfen, Michael Rhein. Du bist doch nur wegen deiner vampirischen Fähigkeiten bei der MIU – im Dunkeln sehen, Wände hoch laufen und so ein Mist! Abgesehen davon kannst du doch nichts

»Sie hauen ab!«, schrie Fritz. »Da!« Mit dem Finger wies er auf die drei Schatten, die sich von den Brückenpfeilern über den feuchten Rasen entfernten, schneller, als Menschen es können sollten.

Micha und Eric setzten sich gleichzeitig in Bewegung, ließen sich jedoch von ihrem Gezänk nicht abbringen.

»Ich frag mich, wieso du immer da bist, wo die Vampire sind, Hecht! Kann es sein, dass du ein Spion bist? Haben Fiacail Fhola dich adoptiert, weil dein Gälisch so toll ist?«

»Ich ein Spion?«, schnappte Eric, merklich aus der Fassung gebracht. »Hast du sie eigentlich noch alle?!«

Inzwischen hatten die drei Vampire bemerkt, dass man ihnen folgte, und schlugen einen anderen Weg ein, der sie wieder unter Menschen führte. Hier war es schwierig, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Plötzlich tauchten sie ab – weg von der beleuchteten Straße, hindurch zwischen zwei Häuserbuchten. Ihre Jäger folgten dichtauf.

Und rannten in einen Hinterhalt.

Plötzlich sprangen noch mehr Gestalten aus den Büschen hervor, und Fritz hörte das vielfache Klicken von Fangzähnen, das ihn augenblicklich mit lähmendem Grauen erfüllte. Sofort zog er die UV-Lampe, erwischte den Schalter – und das Licht fiel auf reflektierende Flächen an den Unterarmen der Vampire, die sie sich, seine Bewegung richtig deutend, vor das Gesicht gerissen hatten. Als sie Fritz anspringen wollten, feuerte Eric seine Natron-Kanone ab. Einmal, zweimal und noch einmal durchpflügte das Geräusch, das ein bisschen wie ein elektrischer Locher klang, die wimmelnden Stimmen, und aufkreischend griffen sich die drei Getroffenen in die Augen, die vom Natriumhydrogencarbonat blitzschnell verätzt wurden.

»Hau ab, Fritz!«, rief Micha mit rauer Stimme und schaffte es, den Nahkampf, in den er verwickelt war, für sich zu entscheiden. Im Pfählen war er nicht so überirdisch schnell wie Ingo Hampf, doch der Pflock traf sein Ziel, und die erste Bestie starb. »Hast du nicht gehört? Ich werde nicht auch noch dich diesen Wichsern überlassen!«

Fritz dachte nicht daran, sich in Sicherheit zu bringen; er stand weit genug weg, um den Kampf zu überschauen, und auch Eric hatte sich, Sonnenauge in der Hand, Raum zum Angreifen geschaffen. Als sich zwei Vampire gleichzeitig auf Micha stürzten und ihn unter sich begruben, sprang Fritz vor, den Pflock in der Hand. Eric versuchte dazwischen zu gehen, als hielte selbst er diesen Vorstoß für unüberlegt, doch auch er hatte postwendend zwei neue Gegner vor dem Lauf, die geduckt auf eine Lücke in seiner Abwehr lauerten, um ihn zu beißen.

Eine Vampirin mit feuerrotem Haar packte Fritz an beiden Schläfen und versuchte, seinen Kopf herum zu drehen, als wollte sie ihm das Genick brechen. Gerade noch rechtzeitig spannte er sämtliche Muskeln dagegen und hieb mit dem Pflock um sich. Sie lachte laut.

»Ist das alles, mein Hübscher? Dein Blut wird heiß wie Lava sein, wenn ich mit dir fertig bin, a ghrá mo chroí

Kurz nachdem sie kichernd diesen Satz geäußert hatte, rammte Micha ihr von hinten seinen Pflock zwischen die Schulterblätter, sodass Fritz die Spitze in Höhe ihrer linken Brustwarze wieder heraustreten sah. Eine Blume aus Blut wuchs auf ihrem gelben Kleid, und sie sackte zusammen.

»Hab ich dir was gesagt oder nicht?!«, schrie Micha ihn an.

Fritz taumelte zurück. Wieder packte ihn ein Vampir, aber inzwischen hatte sich Eric freigekämpft und gab einen präzisen Schuss ab, der auch diesen Angreifer mitten in die Augen traf. Endlich sah Fritz ein, dass er den Rückzug antreten musste. Jedoch kam er nicht dazu, da überall dort, wohin er auszuweichen versuchte, jemand Kicherndes und Fangzähniges zu lauern schien. Eine schiere Ewigkeit waren Micha und Eric damit beschäftigt, die zischenden Vampire von sich und Fritz fernzuhalten, sodass sie kaum dazu kamen, sie auch noch zur Strecke zu bringen. Der Plan war gewesen, einen von ihnen zu fangen und zum Reden zu bewegen – etwa darüber, wo das Versteck war und was man mit Alea vorhatte –, doch es war unmöglich, dieser Überzahl von ihnen beizukommen.

Erst als die Vampire merkten, dass diese potenziellen Blutspender zu wehrhaft waren, um problemlos angezapft zu werden, ergriffen sie endlich die Flucht, sich nicht um diejenigen kümmernd, die gepfählt am Boden lagen.

»Wir müssen ihnen nach!«, schrie Eric. »Vielleicht rennen sie in ihr Nest, die Feiglinge!«

»Schwimm schon vor, ich hol dich ein, Fisch!«, entgegnete Micha spöttisch. »Aber erst mal –« Seine Stimme wurde schlagartig ernst. »– hab ich hier noch was zu tun.«

Eric warf ihm einen angewiderten Blick zu und rannte dann los, den Vampiren hinterher. Er würde sie nicht einholen; das würde nur Micha können. Micha jedoch stand Fritz gegenüber, allein im Dunkeln, stemmte die Arme in die Seite und schüttelte missbilligend den Kopf.

»Das war ja wohl nichts, Fritz.«

»Es tut mir Leid!«, beeilte sich Fritz. Er hatte nicht vergessen, dass Micha nur Bier und kein Blut im Magen hatte.

»Ja, ja, das kann ich mir denken, du Idiot. Pass auf: Du machst jetzt, was ich dir sage, ohne zu widersprechen, kapiert? Nur dieses eine Mal!«

Fritz sah ihn ängstlich an und nickte dann hastig.

Micha hob eine Hand an den Mund, ließ die Fangzähne vorschnappen und zog den rechten von ihnen über seinen Handballen. Eine dunkle Linie trat im schwachen Schein des Mondes hervor und verbreiterte sich rasch.

»Hier«, sagte Micha und streckte die verletzte Hand nach Fritz aus. »Du wirst mein Blut trinken. Jetzt sofort!«


Nachwort zu diesem Kapitel:
A ghrá mo chroí! = O Liebe meines Herzens! (Vok.) Komplett anzeigen

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