Die letzte Feder der Erinnerungen von Feuerblut (Fye x Chii) ================================================================================ Kapitel 2: Schmerzvolle Erinnerungen ------------------------------------ Verdrängung sorgt dafür, dass man vergisst. Zumindest glauben das viele. Aber wirklich vergessen kann man nur, wenn man das Geschehene verarbeitet. Und das kann man erst, wenn man sich mit dem Schmerz auseinandersetzt. „Es gibt hier keine Feder“, sagte ich automatisch und Sakura lächelte. „Du musst mich nicht anlügen, Fye. Ich hatte einen Traum. Ich weiß, dass meine letzte Feder in Chii verborgen ist“, meinte die Priesterin und ich erstarrte. Sie wusste alles, einfach alles. Sakura trat näher und strich mir über die Wange. „Du liebst sie, nicht wahr? Das bedeutet, dass du auch mich liebst. Denn Chii ist ein Teil von mir“, meinte sie und ich ergriff ihre Hand, welche warm auf meiner Backe lag und zog sie in meine Arme. Ich strich mit meinen Lippen über ihre linke Wange, bis ich ihrem Ohr am nächsten war. „Ja, ich liebe dich“, hauchte ich. „Aber ich liebe Chii mehr als dich. Viel mehr. Du gehörst zu Shaolan. Und ich gehöre zu Chii.“ Dann drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange und Sakura lächelte. „Diese Antwort habe ich mir von dir erhofft“, meinte sie und wir standen uns gegenüber, sahen uns in die Augen. Blau traf auf Grün. „Wann werden sie kommen?“, fragte ich und Sakura musterte mich erheitert, sie wusste genau, wen ich meinte. „Jede Sekunde“, antwortete sie und in diesem Moment spürte ich auch schon die Magie in der Luft und irgendwie war es befremdend, Mokona bei einem Dimensionswechsel von außerhalb zu betrachten, anstatt selbst von ihr mitgenommen zu werden. Eine Blase erschien plötzlich in der Luft, sie weitete sich immer weiter aus und spuckte die Personen aus, die mir so vertraut waren. Kurogane und Shaolan. Ich trat unsicher zwei Schritte zurück. Irgendwie fühlte ich mich gerade in einer gewissen Art und Weise bedroht. „Das… war doch alles geplant, oder?“, fragte ich unsicher und mein Lächeln, welches eigentlich ein Teil von mir war, geriet bedrohlich ins Schwanken. „Es war Schicksal und daher unausweichlich“, antwortete Sakura und ich lachte auf. „So langsam klingst du wie diese Hexe“, meinte ich scherzhaft, während Shaolan und Kurogane überrascht Sakura musterten. „Prinzessin, was tut Ihr denn hier?“, wollte Shaolan wissen. „Ich bin hier, weil ich einen Traum hatte. Ich habe unser aller Zusammentreffen vorausgesehen. Ich weiß, wo sich meine letzte Feder befindet“, sagte sie und ich fing an zu zittern. Wie konnte ich Chii nur beschützen? „Wer ist das?“, hörte ich plötzlich eine Stimme, die ich in diesem Moment nicht hören wollte und wirbelte herum. „Chii!“, rief ich aus. Mokona bekam Riesenaugen. „Da ist die Feder!“, meinte das weiße Wesen und ich stellte mich augenblicklich vor Chii, die Hände nach hinten gerichtet, um sie auch wirklich von allen Seiten her abzuschirmen. „Ihr bekommt sie nicht!“, sagte ich und war mir dessen bewusst, dass meine Augen weit aufgerissen waren und ich keuchte. Meine Gefährten mussten mich für verrückt halten. Aber ich hatte Angst, panische Angst, dass mir auch noch das Letzte genommen wurde, das ich hatte. „Geh aus dem Weg“, meinte Kurogane, als er vor mich getreten war. „Nein“, sagte ich entschlossen und sah ihn an, ich konnte meine Angst vor dem Ninja nicht verstecken. „Ich sage es nur noch einmal!“, meinte der Ninja und ich schluckte hart. Er meinte es ernst, von ihm hatte ich nichts anderes erwartet. „Nein!“, sagte ich, mein Mut wankte nicht. „Ich habe dich vorgewarnt“, sagte Kurogane und holte aus. Ich schloss die Augen, wollte nicht sehen, wie er schlug, wollte es nicht wahrhaben… Ich traute mich nicht mehr, Magie anzuwenden, ich hatte zu sehr Angst, dass Ashura hier auftauchen könnte. Also nahm ich den Schlag in Kauf, auch wenn ich ihn nicht kommen sehen würde. Doch der Schmerz würde da sein, das wusste ich. „Kurogane-san!“ Der Ninja hielt sofort inne, Sakuras Stimme hatte noch nie so hart und entschlossen geklungen wie in diesem Moment, sie durchschnitt scharf die Luft. „Das können wir auch ohne Gewalt klären“, meinte die Prinzessin und trat näher. „Es sind jetzt bereits fünf Jahre vergangen, seit wir gemeinsam aufgebrochen sind. Und vier Jahre davon seid ihr ohne mich weitergereist. Glaubst du nicht auch langsam, dass man mit Reden viel mehr erreichen kann als mit Schlagen, Kurogane-san?“ Der Kämpfer zuckte unter ihren doch harten Worten zusammen und zog sich zurück. Sakura trat näher und sah mir ins Gesicht. „Bitte Fye… Lass mich einen Blick auf sie werfen und herausfinden, was die Feder in ihr genau ist. Meine Gaben sind stark angewachsen in den letzten Jahren. Ich verspreche dir, dass ihr nichts passieren wird.“ Sie sah mich an. Eindringlich und ehrlich. Immer noch etwas verstört trat ich zur Seite und Chii blickte nun fragend Sakura an. „Hallo, ich heiße Sakura!“, meinte die Priesterin von Clow Land und ergriff die Hände ihres Gegenübers. „Ich heiße Chii!“, meinte das Mädchen und Sakura lächelte. „Ich möchte mit ihr ungestört sein“, sagte die Prinzessin sofort und alle anderen nickten, also senkte auch ich mehr oder weniger einverstanden den Kopf. „Kannst du mich auf dein Zimmer bringen? Ich habe etwas mit dir zu besprechen!“, fragte Sakura und Chii nickte. „Gut, dann lass uns gehen!“ Widerstrebend sah ich beide verschwinden. „Was sollte das, eh?“, fragte Kurogane und ich musste lächeln. „Tut mir leid, Kuro-ta, aber das wirst du wohl nie verstehen“, meinte ich kopfschüttelnd und ich spürte meine Zuneigung zu Chii wieder in mir aufsteigen. „Fye hat Sehnsucht…“, murmelte das Mokona, aber ich hörte ihr kaum zu. Mit meinen Gedanken war ich viel zu sehr bei Chii. „Was machst du jetzt mit mir?“, fragte ich Sakura, als ich mich, wie gewünscht, entkleidet auf mein Bett gelegt hatte. „Also aussehen tust du wie eine ganz gewöhnliche Frau“, stellte sie nach einem prüfenden Blick auf meinen Körper fest. „Und jetzt bin ich gespannt auf deinen Geist“, meinte die Priesterin und ich sah sie etwas ängstlich an. „Keine Sorge. Ich werde dir nicht wehtun – hoffe ich zumindest“, meinte Sakura, beugte sich über mich und deckte mich zu. Sie legte ihre rechte, warme Hand unter die Decke auf meinen Bauch und setzte den Daumen ihrer linken Hand an meine Stirn, dann schloss sie die Augen. Ich tat es ihr gleich Erinnerungen schossen mir durch den Sinn. Ich hatte das Gefühl, dass mein ganzes Leben aufgerollt werden würde, es kamen die ersten Erinnerungen, wie ich langsam meine Augen öffnete und Fye erblickte, der mich erstaunt und überrascht ansah. Mir fiel sofort die Traurigkeit in seinen Augen auf, doch ich merkte, dass eine einzige Umarmung ihn glücklich machen konnte. Dann folgte die Einsamkeit. Ich fühlte mich unwohl, zurückgelassen, für alles verantwortlich. Und dann, erwachte Ashura. Ich fühlte die Verzweiflung, die von mir Besitz ergriff, und die Angst vor den kommenden Erinnerungen. „Wo ist er?“, fragte Ashura, ich blickte das erste Mal in seine Augen. Ich wollte keine Antwort geben. Das merkte er und sandte einen magischen Schlag aus, der mich gegen die Wand schlagen ließ. Warmes Blut lief meinen Kopf hinunter und ich sah mit trüben Augen auf, benebelt von dem Schlag. „Chii! Nein!“ Ich hielt mir den Kopf und sank auf die Knie. „Fye?“, fragte Shaolan erschrocken und kam näher, ich hörte ihn noch genau durch Chiis Schreie hindurch. Ich sah, was sie sah – all ihre Erinnerungen. Aber warum konnte ich das plötzlich alles sehen? Ich beobachtete, wie er auf sie zukam und sie vom Boden hochhob. „Eigentlich… bist du viel zu hübsch, um verschlagen zu werden. Eigentlich sollte ich etwas anderes mit dir machen, um dich zum Reden zu bringen…“ Ich schrie auf, ich war zornesgerötet, ich war rasend, ich war wütend. Wie konnte er es wagen, ihr in den Schritt zu fassen? Wie konnte er es wagen, überhaupt diesen Gedanken zu hegen? Ich spürte, dass Chii mit dieser Andeutung nichts anfangen konnte, sie war wahrscheinlich zu naiv, ein magisches Wesen, das eben doch nicht alles aus der Welt der Menschen wusste. Ich war glücklich darüber, dass sie es nicht verstand. Sie hätte wahrscheinlich noch mehr Angst bekommen. Dann hellte sich meine Stimmung auf, als Chii nun ihrerseits einen magischen Schlag anwendete und Ashura damit von sich stieß, und mit ihm seine dreckigen Finger. „Du wagst es, mich anzugreifen?“, fragte der König und schlug Chii gegen die Wände, den Boden und die Decke. Ich spürte ihren Schmerz, ihre Verzweiflung, ihr Unverständnis. Ich hörte ihr Schreien, und es ließ mir fast das Herz zerspringen. Warum war ich nicht da, um sie zu beschützen? Es waren Knochen gebrochen, sie hatte überall Schrammen davongetragen… Sie lag in ihrem eigenen Blut, es war mehr, als an dem Tag, wo ich sie gefunden hatte. Wie konnte sie das nur überlebt haben? „Du bist viel zu wertlos, als dass ich dich töten würde und wahrscheinlich weißt du dummes Ding gar nicht, wo er ist“, meinte Ashura. „Ich will, dass er dich leiden sieht, wobei ihn das nicht besonders kümmern dürfte. Denn würdest du ihm etwas bedeuten, dann hätte er dich hier nicht allein zurückgelassen. Du bist wirklich eine bemitleidenswerte Kreatur. Völlig wertlos, nur erschaffen, um den ohnehin schon toten Bruder zu beschützen. Wie armselig.“ Und mit diesen Worten verschwand er und Chii weinte, sie weinte einfach nur, die Tränen vermischten sich mit ihrem Blut, und sie wurde allein in der Kälte zurückgelassen. Ich schlug erneut die Augen auf und schluchzte. Mein Körper bebte. Ich hätte nie gedacht, dass es ihr so schlimm ergangen war. Dass Ashura sie so schlimm behandelt hatte und sie sogar noch vergewaltigen wollte. Mir wurde bei dem Gedanken schlecht. Ich fühlte mich so hundselend und riss mich von Shaolan los, der mich wohl gestützt hatte, während ich die Visionen Chiis miterlebt hatte. Ich stürzte in ihr Zimmer, und sah Sakura aufblicken, sie schien wohl überrascht zu sein, mich hier zu sehen. „Chii!“ Ich sah zu ihr herüber, aus ihren Augen fielen Tränen, ihre ganzen Wangen waren bereits nass. „Lass sie, sie schläft jetzt!“, meinte Sakura leise und schob mich zur Tür hinaus. „Was hast du mit ihr gemacht?“, schrie ich sie an. „Du hattest doch gesagt, dass du ihr keine Schmerzen zufügen willst!“ „Ich musste es tun. Ich musste in ihre Seele blicken, um festzustellen, was sie ist, wer sie ist“, meinte Sakura, doch ihr Gesichtsausdruck zeigte ihre Trauer. Es schien sie schwer erschüttert zu haben, was Chii durchgemacht hatte, ebenso wie mich. „Und weißt du es jetzt?“, fragte ich gereizt. „Sie hat sehr viel durchgemacht. Ich habe eine Vermutung. Aber um diesen Verdacht zu bestätigen…“ Sie schwieg kurz, als würde sie sich nicht trauen, es auszusprechen. „… muss ich auch in deine Seele und deine Erinnerungen blicken, damit ich auch die Funktionsweise deines Körpers untersuchen kann. Dann sehe ich, wie viel deiner Magie in Chii steckt und zu was für einem Anteil meine Feder daran beteiligt ist.“ Ich starrte sie wortlos an. Sie wollte meine Erinnerungen sehen. Das, was ich all die Jahre vor den anderen geheimgehalten hatte. „Nein“, sagte ich entschieden. „Dann wird Chii vielleicht sterben, wenn wir ihr die Feder entnehmen“, sagte Sakura und sah mich an. Ich zuckte zurück, als ich das Gesprochene realisierte. Dann vernahm ich wieder die Worte von Ashura: „Denn würdest du ihm etwas bedeuten, dann hätte er dich hier nicht allein zurückgelassen. Du bist wirklich eine bemitleidenswerte Kreatur. Völlig wertlos, nur erschaffen, um den ohnehin schon toten Bruder zu beschützen. Wie armselig.“ „Ich mache es“, hörte ich mich sagen und Sakuras Miene hellte sich auf. „Gut, einverstanden!“, meinte die Priesterin und ich führte sie auf mein Zimmer. Es war schon seltsam, mit Sakura allein zu sein. Sonst war immer Shaolan dabei gewesen, er konnte es schließlich nicht zulassen, dass seine geliebte Prinzessin schutzlos und allein war. Doch nun war es anders. Shaolan war erwachsen geworden, ebenso wie Sakura. Sie waren zwei junge Menschen, welche sich vier Jahre lang nicht mehr gesehen hatten. Sie hatten sich gleich getrennt, nachdem sie sich gegenseitig endlich ihre Gefühle eingestanden hatten. Ein harter Preis. „Leg dich hin“, sagte Sakura und ich gehorchte ihr zögernd. Dann sah ich sie an, als sie sich über mich beugte. „Ich weiß, dass dir das widerstrebt, Fye. Sogar sehr widerstrebt. Aber ich habe es schon immer für eine Tugend gehalten, ehrlich zu sein. Daher möchte ich dich fragen, ob es nun langsam nicht auch an der Zeit ist, Shaolan und Kurogane die Wahrheit zu sagen.“ Ich starrte sie an, das Entsetzen stand mir förmlich ins Gesicht geschrieben, ich wusste es. „Du willst…“, fing ich an, wurde dann aber unterbrochen. „Denkst du nicht, dass es das Richtige ist?“, fragte sie mich und ich begriff, dass sie recht hatte. „Ja…“, hauchte ich und die Prinzessin über mir lächelte. „Dann werde ich ein magisches Portal schaffen, damit es alle sehen können“, meinte sie und strich mir mit der Hand sanft über die Augen. „Schließe die Augen und befreie dich von allen Gedanken, Fye“, sagte sie und ich musste schlucken. So einfach war es nicht, mich von allem zu befreien. Es war ganz und gar nicht einfach, wenn nicht sogar unmöglich. Unruhig sah ich die erste Erinnerung in meinem Kopf. Zwillinge. Brüder, die haargenau gleich aussahen. Mein geliebter Bruder Fye… „Du… bist gar nicht Fye? Du bist Yuui!“, sagte Sakura, ich spürte ihren Geist dicht bei meinem und nickte schniefend. Ich spürte, wie real diese Erinnerung war und wie traurig ich wurde. Tränen stahlen sich jetzt in meine Augen, als ich an unsere gemeinsame Zukunft dachte. Wir, die Zwillinge, die jedem Unglück brachten, der in ihrer Nähe war. Aber wir waren glücklich. Als wir noch klein waren, nahmen wir das Leid um uns herum kaum wahr. Dann starb unser Vater, unsere Mutter hatte sich kurz darauf selbst umgebracht. Das Wasser im Königreich verdarb, bis es dann schließlich ganz ausblieb, die Felder wurden trocken und leblos. Traurige Kinderaugen sahen sich an, der Schmerz stand ihnen in den unschuldigen Augen geschrieben. „Nur, weil wir magische Kräfte besitzen?“, fragte ich. „Ist es ein Fluch, zu leben?“ „Sind wir wertlos?“ Ich spürte, wie Sakuras Geist tiefe Traurigkeit verspürte. Uns zu töten hätte noch mehr Unheil über Ceres gebracht. Es hieß, je unglücklicher wir waren, desto glücklicher wurde das Reich, so sagte man uns. Also sperrte man uns ein… Fye in einen Turm und mich nach unten in ein Tal, in dem die Zeit anders voranschritt als in Ceres und wo ich keinerlei Magie anwenden konnte. Doch es war eine Farce… Der alte König wollte uns weghaben, er war verrückt, er trieb das Land selbst in den Untergang… ganz allein ohne unsere Anwesenheit. Wir wurden als Sünder abgestempelt, die büßen mussten, alles nur, weil wir es gewagt hatten, auf die Welt zu kommen. Weil wir es gewagt haben, zu leben! Bevor man uns eingesperrt hatte, hat man uns die Wahl gegeben, wer von uns sterben soll. Aber wir haben uns so sehr geliebt, was hätten wir antworten sollen? Wir wollten, dass keiner von uns stirbt! Wir wurden von einander weggesperrt, wurden allein gelassen in der Kälte, in der Einsamkeit, mit dem Wissen, dass der jeweils andere Bruder ebenfalls allein ist und leidet. Aber ich schmiedete einen Plan, ich wollte fliehen, in ein anderes Land, wollte Fye mitnehmen und einfach nur aus diesem verfluchten Königreich verschwinden... Ich glaubte daran, dass unsere Zauberkräfte zusammen stark genug waren, um die Dimensionen zu wechseln. Ich kletterte den Turm empor, doch ich bin so oft heruntergefallen, die Finger blutig, das Herz gebrochen. Immer mehr Unschuldige wurden zu uns geworfen, als wäre dieser Ort ein Platz für Müll, für alle Leichen, die es in unserem Land gab. Mein Drang, zu Fye zu kommen wurde stärker denn je. Ich musste herausfinden, was in unserer schönen Stadt Valeria vor sich ging, doch mein Plan wurde vereitelt. Ich sah eine Schriftrolle, in der geschrieben stand, dass der Herrscher wahnsinnig geworden war. Ich gab uns unheilvollen Zwillingen die Schuld, ich weinte bitterlich. Doch die Wut und die Trauer gaben mir neue Kraft und ich kletterte entschlossener denn je zu Fye. Bis ich ihn plötzlich über die Mauer fallen sah – den Herrscher von Valeria. Und er hatte sich mit seinem langen Schwert vor mir aufgebäumt, vor mir, einem kleinen Kind, welches es immer noch nicht geschafft hatte, zu seinem Bruder zu gelangen. Ich ging in seinem großen Schatten verloren, er überragte mich um ein Vielfaches und schüchterte mich erheblich ein. Leise hörte ich die Schreie meines Bruders vom Turm aus. Und dann… rammte er das Schwert in seinen eigenen Hals. Er hatte sich direkt vor meinen Augen umgebracht, sein warmes Blut strömte über mein Gesicht, meine zuvor blonden Haare. Der Schreck saß tief in mir, ich war verwirrt, wütend, traurig, verzweifelt. Ich wurde beinahe verrückt, ich raufte mir die Haare, schluchzte. Ich war über und über mit Dreck und Blut übersät, meine Kleider waren zerrissen. Die Schuld über das Schicksal aller gab ich mir selbst. Nur mir allein. Die Schreie meines Bruders hörte ich kaum mehr. Ich zweifelte daran, ob ein Dimensionswechsel wirklich etwas bringen würde, oder ob ich die Menschen um mich herum nicht wieder in Gefahr bringen würde. „Und ich habe es getan“, flüsterte ich laut in meine Erinnerung hinein. „Ich habe euch alle in Gefahr gebracht. Nur, weil ich lebe“, raunte ich und spürte Sakuras Hand auf meiner Wange und gleich darauf ihre Lippen auf meiner Stirn. „Doch du hast uns ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert, in dem du lebst“, sagte sie und ich riss als kleines Kind erstaunt die Augen auf, die Erinnerung zerbrach und wurde von einer anderen abgelöst. Ich lag im Schnee, er begrub mich fast unter sich, ich spürte die Kälte und doch war sie mir egal. „Willst du hier raus?“ Ich dachte, es sei schon wieder ein Traum, aber es war Fei Wan Reed. Ich sollte wählen, wer rauskommen durfte, denn es konnte anscheinend nur einer von uns diese Welt verlassen. Ich wählte, dass Fye unsere Welt verlassen sollte. Dann sah ich ihn fallen. Tot schlug mein Bruder neben mir auf dem Boden auf. Er hatte mich gewählt. Aber er wollte sterben, weswegen ihm Fei Wan seinen Wunsch erfüllte, und mich am Leben ließ. „Dies ist dein zweiter Fluch!“, schrie er und ich zuckte, entsetzt und verstört über den Tod meines Bruders, zurück. „Von nun an bist du verantwortlich für das Leben, das wegen dir erloschen ist!“ Ich sollte zu Fei Wans Spion werden und er würde mir helfen, Fye wieder zum Leben zu erwecken, das war der Deal. Ich sollte jede Person töten, dessen Zauberkräfte stärker waren als das Band, das Fye und mich verbunden hatte und der Grund dafür war, dass wir an diesen magielosen Ort verbannt wurden. Und dann… holte er mich. Er tauchte einfach so auf, groß, sauber und rein. Ashura. Er nahm mich mit in das Schloss von Valeria. Er fragte mich nach meinem Namen, und ich nahm den meines geliebten Bruders an, der tot in meinen Armen lag. Ich veränderte mein Aussehen und meinen Namen. Er half mir, meinen Bruder im Thronsaal zu versiegeln und mich wieder umgänglicher mit Menschen zu machen. Ich wuchs unter seiner Obhut auf und setzte meine Zauberkräfte für das Gute ein. Eines Tages entdeckte ich die Federn der Prinzessin in einem Gebirge, so wie Fei Wan es vorausgesagt hatte. Ich erschuf Chii, welche meinen Bruder bewachte. Ashura rang mir das Versprechen ab, jeden Feind von Ceres zu töten und gab mir ein Tattoo auf den Rücken, damit meine Zauberkraft nicht so stark anwuchs. Doch die Zauberkräfte von Ashura wurden schon bald größer als die meinen und ich wäre dazu gezwungen gewesen, ihn zu töten, was auch sein Wunsch war. Er wollte, dass ich ihn tötete, denn er sagte mir, dass der Fluch nach dem ersten Mord von mir genommen werden würde. Er war ein Monster, er hat so viele Menschen aus Ceres umgebracht. Ich hörte wieder seine Worte in meinem Kopf: „Zwillinge bringen wirklich… nichts als Unheil. Nur Unheil! Sie haben den Kriegerdämon gerufen, der nun nach Herzenslust wütet und unschuldige Menschen tötet. Alles nur wegen der unheilvollen Zwillinge.“ Ich zerbrach fast an seinen Worten. Mein Bruder war tot und noch immer lastete dieser Fluch auf mir! Aber ich konnte ihn nicht töten, er war der erste Mensch in meinem Leben außer meinem Bruder, der nett zu mir war. Ich konnte es einfach nicht… Schluchzend sank ich in meiner Erinnerung auf die Knie. Und dann, in meiner Verzweiflung schickte ich Ashura in einen tiefen Schlaf, der ihn ruhen ließ. Und so ging ich als Fei Wans Agent zur Hexe der Dimensionen, floh aus Ceres. Ich schlug die Augen auf, Sakura ebenfalls. Tränen liefen ihre Wangen herunter, ebenso wie über die meinen. „Oh Fye, es tut mir alles so leid“, meinte die Prinzessin und zog mich in ihre Arme. Plötzlich sah ich ein Gesicht vor meinen Augen, das Zimmer um mich herum verschwand. Chii. Sie hatte sich in ihrem Bett aufgerichtet und weinte bitterlich. „Warum weint sie?“, fragte ich schniefend und Sakura trennte sich von mir, um mir in die Augen sehen zu können. „Du hast Chiis Erinnerungen gesehen, weil das Band der Empfindungen füreinander bereits so stark ist, dass sich eure Magie miteinander verbunden hat. Dadurch hat sie auch nun in deine Erinnerungen geblickt“, erklärte Sakura. „Ein Band… der Empfindungen? Sie hat alles gesehen, was ich dir und den anderen eben gezeigt habe?“, fragte ich bestürzt und die Prinzessin nickte. „Aber ich weiß jetzt endlich, dass…“, setzte Sakura an, doch dann traten Shaolan und Kurogane ein. Ich sah ihre bestürzten Mienen und senkte den Kopf. Auch Shaolan hatte Tränen in den Augen, der Ninja war um ein paar Spuren blasser geworden. „Es… tut mir so leid, Fye!“, meinte der junge Mann und ich blinzelte angestrengt, um nicht in Tränen auszubrechen. Plötzlich spürte ich Magie in der Luft und blickte auf. War das etwa Chii? Nein, ich musste es mir eingebildet haben. Das komische Gefühl war auch schon wieder vorbei und nach wenigen Minuten klopfte es erneut an der Tür. Sie schwang auf. „Yuui… wie schön dich wiederzusehen! Hast du mich denn vermisst?“ Eiskalte Schauder liefen über meinen Rücken, als ich Ashura sah. Er stand in der Tür, hochgewachsen, sein rechter Arm war in Schatten getaucht. „Was willst du hier?“, fauchte ich ihn an und sprang auf. Kurogane zog sein Schwert. „Ah! Das würde ich nicht machen an deiner Stelle! Du möchtest doch etwa nicht die Kleine hier verletzen?“ Er zog seinen rechten Arm an sich und entblößte… „CHII!“, schrie ich verängstigt auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)