Drachengesänge - Teil I von Khyre (Nembra) ================================================================================ Kapitel 3: Unheilvolle Botschaft -------------------------------- Sengende Mittagshitze wog schwer auf den quaderförmigen Lehmhäusern von Nembra, der Hauptstadt des Kontinents Esphalta und lies die Luft flimmern. Entgegen der Erwartung des damaligen Herrschers der Magier war Nembra nach Erschaffung des Neuen Reiches der unfruchtbare, trockene Boden geblieben, der er immer gewesen war. Um die Stadt herum wucherte das Grün nur so und die Felder trugen reich an Früchten und Korn, doch innerhalb der Stadtmauern war das einzige Grün einige Pflanzen in Töpfen mit Erde von außerhalb, mit denen die Stadtbewohner ihre Straßen und Häuser schmückten. Zwischen dem eintönigen Gelb-grau der Lehmhäuser fiel zudem die bunte Wäsche auf, die auf Balkonen oder auf langen Stricken, die zwischen den Häusern gespannt worden waren, aufgehängt worden war. Die Menschen selbst hatten sich in das kühle Innere ihrer Häuser zurück gezogen, und so war das einzige Geräusch, das zu hören war, das leise Zirpen der Schrecken, die auf den Feldern ihre Lieder spielten. Alle Menschen waren in ihren Häusern, bis auf die Wächter. Sie waren gezwungen, auch in der prallen Sonne in ihrer schweren Montur aus roter Rüstung, Lanze und Schild über die Mauer zu patrouillieren. Einer von ihnen war Sump, ein recht junger Wächter, der aber wegen seines beleibten Körpers und seiner Haltung öfters viel älter eingeschätzt wurde, als er eigentlich war. Er hatte zwar eine Ausbildung zum Zimmermann hinter sich gebracht, hatte es in diesem Beruf jedoch nie zu etwas gebracht und so hatte man ihn letztlich bei der Stadtwache angestellt. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er hier nur pro forma stand, hatte es doch wegen der magischen Ballung im Zentrum des Schlosses seit Jahrzehnten keinen einzigen Angriff mehr gegeben. Und so versuchte Sump auch heute wieder einen dieser sinnlosen, furchtbaren Sommertage hinter sich zu bringen. Der Schweiß rann ihm schon seit Stunden über das Gesicht, sein zu lang gewordenes, dünnes Haar klebte bereits an seiner Stirn und er konnte sich im Grunde schon selbst nicht mehr riechen. Aber mit Hektik würde das nichts werden. Gerade genoss er ein ausgiebiges Gähnen und setzte seinen Schlauch zum Trinken an, als plötzlich ein kleiner schwarzer Punkt noch weit in den Feldern seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein Bote? Nicht möglich! War etwas passiert? Ein Notfall? So schnell seine Beine ihn trugen, wankte er über eine an dicken Seilen befestigte Holzbrücke hinüber zum Wachturm und erklomm diesen. Die stählerne Leiter brannte unter seinen Händen, doch seine Neugierde und sein Pflichtbewusstsein waren stärker. Es würde vielleicht die erste wichtige Botschaft sein, die er ankündigte! Dafür hatte er Tag ein Tag aus abends geübt, einen schönen Ton aus diesem verdammten Horn zu bekommen! Mit einem gepressten Ächzen hievte Sump sich auf die Standfläche des Turms, ließ in seiner Aufregung sogar das Sicherheitstörchen hinter sich offen stehen und drehte mit seinen schweißnassen, rutschigen Händen das schnörkelhaft verzierte Messingfernrohr, dessen Gelenk an zwei ineinander verflochtene Flammen erinnerte, zu sich. Tatsächlich! Ein Bote! Da – er konnte sogar die rote Fahne im Wind wehen sehen! Auch den Boten und sein Pferd hatte die Hitze nicht verschont und man sah an ihrem Wanken und der leicht schlangenförmigen Linie, die das Pferd trotz seiner hohen Geschwindigkeit zog, dass beide der völligen Erschöpfung nahe waren. Die lange Fahne, die er schon den ganzen Weg über getragen hatte, spürte der Reiter schon nicht mehr. Seine Hände wie sein Gesäß waren durch das lange Reiten und die immer gleiche Stellung taub geworden. Um ihn flogen vor Schreck Vögel aus den Feldern auf und die Hufe seines Pferdes ließen Staub in alle Richtungen fliegen, doch er trieb es achtlos weiter. Innerlich fluchte er. Die Erschöpfung war wirklich zu viel. Den Banditenpass zu umgehen, hatte mehr Zeit gekostet, als gewollt. Aber je weiter man in die Randgebiete nahe des Gebirges kam - dort, wo die Energie und Magie am schwächsten waren - gab es nun immer mehr Zwerge, die sich zu organisierten Banditentrupps zusammenrotteten und Handels- und Botenwege belagerten. Dank des Geheimwortes, das die Wächter am Tor über den Inhalt seiner Botschaft informierte, wurde er ohne großes Aufheben durch das Tor gelassen. Hinter ihm ertönte der weiche, tiefe Klang eines Nalem-Horns und als er sich die Mühe machte, nach dem Ursprung des Tons zu suchen, sah er über sich einen gigantischen, runden Wachturm aufragen. Eine Uhr auf schwarzem Grund und mit goldenem Ziffernblatt war an diesem befestigt und glänzte im grellen Licht der Mittagssonne. Zwei Monde, der eine rot, der andere blau, kreisten wie von Geisterhand geführt um das Ziffernblatt herum. Durch das Eingangstor zum Palast ließ man ihn sogar ohne zu fragen. Kurz vor der Tür ließ er sich mehr von seinem Reittier fallen, als dass er absprang, überreichte einem der Diener, der ihm einen sorgenvollen Blick zuwarf, die Fahne und ließ sich von einigen weiteren, in schwarz und rot gekleideten Bediensteten in das Innere des Palastes begleiten. Der Prunk und die gigantischen Räume verschlugen ihm für einen Moment den Atem. Es war das erste Mal, dass man ihn so weit in das Innere des Palastes vor lies. So viel Gold und Kunstwerke hatte er in seinem Leben noch nicht auf einem Fleck gesehen. Säulen aus Gold, Fensterrahmen und Türrahmen aus Gold, Eichentüren in die filigran Flammen eingraviert waren, die sich um das Wappen der Magier, die Feuerblume, schlangen; dann fast wandgroße Gemälde von männlichen Mitgliedern der Herrscherfamilie in prächtiger Kleidung, mit dem Reichssymbol, dem goldenen Schwert, auf Pferden posierend oder umringt von Hofdamen, die bewundernd zu ihnen aufblickten. Zu gerne hätte sich Sulivan auf einen der weich gepolsterten Stühle mit ihren lustigen Knäufen, die ihn an sich nach innen drehenden Flammenwirbel erinnerten, gesetzt, doch man drängte ihn vorwärts und führte ihn schließlich in den Speisesaal. Dort fand er den Herrscher zusammen mit seiner Tochter und seinem Gefolge bei ihrem Mittagsmahl. Angesichts des prall gefüllten Tisches und der reichen Auswahl an verschiedenen Speisen und des Duftes, der von diesen ausging, floss auch ihm das Wasser im Mund zusammen – hatte er doch seit drei Tagen nur das Nötigste gegessen! „Bote Sulivan aus dem östlichen Gebirge!“, kündigte man ihn an. Sofort erhob sich der Herrscher, um einen besseren Blick auf Sulivan zu bekommen und sein roter, samtener Umhang flatterte auf und breitete sich erhaben um ihn aus. So gut es ging verbeugte Sulivan sich vor dem König, auch wenn er für einen kurzen Moment gegen die Gefahr ankämpfen musste, nach vorne hin umzufallen. „Gebt ihm Wasser und etwas zu essen!“, befahl der König mit zugleich sorgenvollem Unterton und setzte sich wieder. „Er soll erst ein wenig zu Kräften kommen.“ „Jawohl, mein König,“ nahm der Diener, der Sulivans Namen angekündigt hatte, den Befehl entgegen und wies einige jüngere Diener an, Essen, einen Stuhl und Wasser für den Boten bereit zu stellen. Gieriger als gewollt verschlang Sullivan das ihm angebotene zarte Fleisch und das frisch gegarte Gemüse und leerte den Becher Wasser mit einem Zug. Kaum hatte er seinen Teller geleert, fasste er sich wieder und teilte dem König von der Flucht der Mädchen mit. Die Augen des Königs blitzen auf, als er die Worte es Boten vernahm. Was? Sie waren tatsächlich aufgetaucht! Und dann auch noch entwischt! Trotz seiner äußeren Ruhe kochte in dem Herrscher die Wut. Seine Lippen bebten und in seiner Aufregung er rieb sich den braunen, gekräuselten Bart an der geballten Faust. Wie dumm und ungeschickt konnte man sein? War es denn so schwer, drei unbewaffnete Mädchen gefangen zu halten? Wofür hatte er dort Wächter stationiert? Das würde sie alle noch teuer zu stehen kommen. Was sollte er mit diesen stumpfsinnigen Bewohnern und diesem nutzlosen Wächter tun? Einsperren? Töten? Aushungern lassen? Seine Wut war kaum zu bändigen. Zur Bekräftigung seiner Gedanken blickte er Darveen, seine Tochter, an. Mit dem wallenden, lockigen Haar und dem weißen, mehrschichtigen Gewand wirkte sie wie eine zum Leben erweckte Statue einer Göttin. Doch ihr Blick war vor Sorge getrübt. Als ihr Vater ihren Blick auffing, gewann das ernste, ja, verkrampfte Gesicht plötzlich weiche Züge. Er erhob die Hand, um seine Tochter zu sich zu nehmen. „Pass auf, Darveen. Das ist eine ernste Angelegenheit. Ich werde in nächster Zeit leider öfters beschäftigt sein. Aber mach dir keine Sorgen. Deinen Geburtstag werden wir natürlich trotzdem gemeinsam gebührlich feiern. Schließlich wirst du ab morgen eine richtige Frau werden!“ Er drückte seine Tochter väterlich an sich, dann bat er in ruhigem Tonfall darum, das Mahl aufzulösen und um ein baldiges Treffen mit dem Boten und seinen Beratern, wo er um genauere Auskunft über den Verlauf der Ereignisse verlangte. Kaum war er in den Schatten des Gangs getreten, trat jedoch wieder die Wut in sein Gesicht. Er musste die drei Mädchen unbedingt einfangen. Sie würden das, was sein Geschlecht über drei Generationen hinweg sorgsam aufgebaut hatte, nicht zunichte machen! Außerdem hatten sie etwas bei sich, was er dringend benötigte. Dieser Stein, der das goldene Schwert - das seiner Rasse gehörte! - gefangen hielt. Mit diesem magischen Schwert, das einst dem stärksten Magier aller Zeiten gehört hatte, würde er seine Macht noch vergrößern und so das Unheil abwenden können! Gut, dass er schon vorgesorgt hatte, was diesen lächerlichen Bann des Gegenstandes anging. Um ihn von dem Stein in seine ursprüngliche Form zurück zu bringen, hielt er sich nicht umsonst seit Jahren einen dieser Verrückten der Allianz bei sich im Kerker. Mit genügend Druck würde man das Geheimnis dieses Banns schon aus ihm heraus quetschen können. Doch das hatte noch Zeit. Erst einmal galt es, die Mädchen ausfindig zu machen. Ob sie schon wussten, wo die Steine waren? Vielleicht waren sie schon in ihrem Besitz? Ob sie schon Kontakt zur Allianz aufgenommen hatten? Was gab es in der Gegend um Themen? Wohin konnten sie geflohen sein? Wer hatte sie wohl bei sich unterkommen lassen? Er hatte da so eine Vermutung … und es würde dieses Pack teuer zu stehen bekommen … Der Herrscher betrat sein Arbeitszimmer. Vor den flammenförmigen, in die Höhe ragenden Scheiben seines Fensters hingen schwere, rote Vorhänge. Ebenso schwer wirkte auch der dunkel gestrichene Arbeitstisch aus Buche. Auf ihm befanden sich säuberlich angeordnet eine Schreibfeder, einige Blätter Papier und ein kleines Gemälde seiner Tochter. Bis seine Berater beisammen waren, nahm er nochmals kurz Platz vor seinem Schreibtisch und griff nach dem Bild, das in einen schlichten, runden Goldrahmen gefasst war. Ein hübsches, kleines Mädchen mit wallendem Haar, das in eine weiße Schleife gefasst war, lächelte ihm entgegen. Damals, nach dieser frevelhaften Tat - es schien so ewig her! - hätte er sich nie erträumen können, dass ihm seine Tochter einmal so wichtig werden würde. Neben dem Wohl seines Volkes und seiner eigenen Machtgier war ihm das Wohl seiner Tochter noch um Vieles wichtiger geworden. Sie war sein Sonnenschein. Sein kostbarster Edelstein. Gerade um Darveens Willen würde er es nicht so weit kommen lassen. Sie sollte diese Kämpfe nicht erleben. Er würde es nicht zulassen, dass diese Verrückten in den Palast eindrangen und ihm seine einzige Tochter raubten. Als leise von draußen das Klopfen an der Tür zu hören war, erhob sich der Herrscher schweren Herzens und stellte mit einem tiefen Seufzer das Bild zurück an seinen Platz. Es wurde Zeit, blutige Pläne zu schmieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)