Pirate's Dreams von Black_Melody (...might turn into nightmares) ================================================================================ Kapitel 16: Juuroku ------------------- Shin seufzte leise. Jemand strich ihm durch die Haare, und er bemerkte durchaus den warmen Körper, an dem er ruhte. Er wusste, dass er neben Juri lag, und es war auch kein schlechtes Gefühl. Viel schlimmer war sein schlechtes Gewissen. Er hatte in einer spontanen Aktion freiwillig mit Juri geschlafen. Er hatte Saga betrogen, obwohl er es nicht hätte tun müssen. Wie sollte er Saga das jemals beichten oder sich sogar vor diesem rechtfertigen? Es würde sowieso nicht ganz leicht sein, einfach so wieder mit diesem zusammen zu sein, und dann hatte er sich auch noch auf einen anderen eingelassen. Natürlich war er ein Mensch wie jeder andere und wurde von seinen Bedürfnissen gesteuert, seine Gefühle spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle, und manchmal wurde der Verstand von Gefühlen und Bedürfnissen überlagert. Es hatte sich nicht falsch angefühlt, von Juri berührt zu werden und diesen zu spüren, es war also auch nicht falsch gewesen, aber es war seinem Freund gegenüber einfach nicht fair gewesen. Er wusste, dass er bereuen sollte, was passiert war, aber trotz seinem schlechten Gewissen wollte sich die Reue nicht einstellen. Er konnte es um Juris Willen nicht bereuen, auch wenn er es wegen Saga tun sollte. „Shin, ich weiß, dass du wach bist.“ Er hörte das Lächeln in der Stimme des Kleineren förmlich, aber was sollte er dazu sagen? Sich weiter schlafend zu stellen war sinnlos. Also blinzelte er müde und sah verschlafen zu dem Arzt auf. „Was ist?“ „Das würde ich dich gern fragen. Wie fühlst du dich?“ Liebevoll strich der andere ihm über die Wange. „Müde“, antwortete er prompt und schloss die Augen wieder. „Das sehe ich dir an, aber du bist so… ruhig. Es geht um letzte Nacht, richtig?“ Seufzend nickte Shin, sah den anderen aber nicht an. Juri als Kissen zu missbrauchen war viel gemütlicher. „Bereust du es?“ „Nein“, beantwortete er die Frage wahrheitsgemäß und wartete einen Moment, bis er hinzufügte: „Du würdest es wissen, wenn ich es bereuen würde.“ „Was ist dann los?“, hakte der Kleinere weiter nach. Ergeben seufzte Shin. „Meine Vernunft sagt mir, dass es falsch war, aber ich kann es nicht bereuen. Um jetzt mal Klartext zu reden, wir hatten Sex, meiner Meinung nach sogar guten, und es hat sich nicht falsch angefühlt. Ich hatte dieses Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit und du hast es erfüllt. Ich wollte es, also muss ich damit leben“, meinte er leise. „Ich muss mit dem Wissen leben, meinen Freund betrogen zu haben. Das ist das, was mir leid tut. Ich will ihm nicht wehtun, das wollte ich nie, aber ich kann auch nicht immer nur nach ihm gehen. Ich habe auch Bedürfnisse. Nur ändert das nichts daran, dass ich ihn liebe. Ich hoffe, dass er das weiß und im Kopf behält, wenn ich mit ihm rede.“ „Wenn er dich zu schätzen weiß, wird er dir verzeihen.“ Sanft küsste Juri ihn auf die Stirn und kraulte ihm den Nacken. „Besonders, wenn er deine Liebe zu schätzen weiß. Du hast lange durchgehalten und du hast Shaura in seine Schranken verwiesen.“ Seufzend setzte Shin sich auf und strich sich durch die Haare, wischte sich über die Augen. „Saga kann ziemlich eifersüchtig sein. Und ich befürchte, dass ich ein großes Problem bekomme.“ „Oh Gott… Jeden Moment geht es los.“ Nervös pustete Saki sich drei Tage später eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Stimmt“, meinte Jin und steckte den Schlüssel in seine Tasche. „Ihr müsst warten, bis ihr uns hört, dann müsst ihr nur zusehen, dass ihr von Bord kommt. Werdet ihr bemerkt, folgen San und ich euch einfach. Bleibt auf jeden Fall ganz ruhig, egal, was passiert. Dreht euch nicht nach uns um. Es wird schon alles gut gehen.“ „Ich wünschte ich könnte so optimistisch sein“, seufzte Shin und legte den Kopf in den Nacken. „Es ist mein Plan, und meine Pläne sind noch nie aufgegangen.“ Beruhigend nahm Wataru ihn in den Arm und strich ihm über den Kopf. Es tat gut, zur Ruhe zu kommen, aber die Angst konnte der Blonde nicht vertreiben. Wenn sie tatsächlich nicht entkommen könnten, wäre es eine Katastrophe. „Kopf hoch, Shin. Das klappt schon.“ Freundschaftlich klopfte Jin ihm auf die Schulter und verließ den Raum. „Na komm.“ Langsam führte Wataru ihn zur Tür, ließ aber einen Arm um seinen Körper liegen. „Weißt du, Shin, selbst wenn dein Plan nicht aufgeht, schlimmer kann es nicht mehr werden. Selbst wenn wir hier nicht wegkommen, wir haben es dann wenigstens versucht. Und du hast Saga immer geliebt. Du konntest ihm zwar nicht treu sein, aber du hast ihn nie freiwillig betrogen.“ Traurig seufzte Shin und sah den Blonden an. „Dazu muss ich etwas gestehen. Ich…“, begann er leise und brach dann kurz ab. „Ich habe vor vier Tagen doch die Nacht nicht hier verbracht, weil es mir nicht so gut ging. Ich war bei… Ich habe mit Juri geschlafen“, gab er leise zu. „Du hast was?!“, entkam es Saki geschockt. „Ich hatte Sex mit Juri“, wiederholte er lauter und sah den erstaunten Braunhaarigen an. „Freiwillig? Oder hat der dich dazu gezwungen?“, fragte Riku scharf. „Freiwillig“, beantwortete Shin die Frage ruhig. „Und ich habe es genossen. Es war wirklich schön und ich habe es in dem Moment so gebraucht.“ „Und deswegen betrügst du deinen Freund?!“, meinte Saki gereizt. „Halt die Klappe!“, wies Wataru diesen zurecht und strich Shin sanft über den Rücken. „Ich glaube, Shin hat so schon ein schlechtes Gewissen. Du musst ihm nicht auch noch Vorwürfe machen. Außerdem bist du nicht in der Position, Shin auch nur irgendetwas vorwerfen zu können. Du bist nicht sein Freund.“ „Könnt ihr das bitte irgendwann anders ausdiskutieren?“, unterbrach Riku sie und seufzte genervt. „Wir hauen gleich ab und ihr meint jetzt wirklich, streiten zu wollen? Das ist doch bescheuert!“ Unruhig nickte Shin und lauschte auf die Geschehnisse. Er hörte Jin und San, die vor der Tür die Wache übernommen hatten, leise miteinander reden. Auch für sie ging es um eine ganze Menge, es durfte einfach nichts schief gehen. Die Schritte der beiden entfernten sich und kurz darauf hörte er Jins Stimme: „Von Süden nähert sich ein fremdes Schiff!“ Nervös atmete Shin durch und lauschte auf die Schritte und den entstehenden Lärm, den die Crew verursachte. Vorsichtig öffnete er die Tür ein Stück und sah durch den Spalt. Es war nur zu hören, wie scheinbar alle an der besagten Schiffseite waren. „Also los“, flüsterte er den anderen zu und schlich durch den Spalt. Niemand sah zu ihnen, nur Jin und San zogen sich langsam zurück. „Schnell jetzt!“, murmelte Wataru und schob ihn vorwärts. Sein Herz raste wie verrückt, während er sich an der Wand entlang zur Reling bewegte. Auf der entgegengesetzten Seite mussten sie von Bord, sie würden so gut wie möglich um das Schiff herumschwimmen, während Saga auf die Bloody Night schießen ließ und diese so in die Flucht jagte. Es war nicht mehr weit. Sie würden es schaffen, und… „Hey! Die hauen ab!“ Erschrocken zuckte Shin zusammen und sah in die Richtung, aus der der Ruf kam. „Lauf!“, fuhr Wataru ihn an und schubste ihn vorwärts, stürmte dann aber schon mit Riku und Saki los. Wie in Trance folgte er den anderen und blieb auf der Reling stehen, drehte sich panisch um. „Jin! San!“ „Ja, wir sind ja da!“ Ohne Vorwarnung schubste San ihn von der Reling in das Wasser. Er hörte Schüsse aus Gewehren, denen der laute Knall von Kanonen weiter entfernt folgte. Das Wasser war ziemlich kalt und er begann zu zittern, als er wieder auftauchte. Hektisch sah er sich um. Wataru, Saki und Riku waren schon dabei, um das Schiff zu schwimmen, San und Jin schienen aber noch anderweitig beschäftigt zu sein. Schnell schwamm er zu ihnen und sah Jin an. „Was ist los?“ „San wurde angeschossen“, erklärte der Blonde und ließ zu, dass sein Freund sich auf ihm abstützte. Ohne weiter nachzudenken schwamm Shin an Sans andere Seite und legte einen Arm um ihn, zwang den Blauhaarigen so, sich zusätzlich noch auf ihn zu stützen. Schnell nickte er Jin zu und bewegte sich langsam vorwärts, immer noch mit dem Offizier die menschliche Last tragend. Er hörte, wie Mana den Befehl gab: „Lasst sie! Wir müssen hier weg!“ Er sah, wie Wataru und die anderen auf sie warteten, und umso mehr strengte er sich an, zu diesen zu kommen. „Alles okay?“, fragte Riku ruhig. „San wurde angeschossen, aber sie geben auf“, erwiderte Jin und versuchte, seinen Freund ein wenig höher zu halten, um die Wunde an der Schulter nicht zu sehr mit dem Salzwasser in Berührung kommen zu lassen. „Ich würde sagen, wir schwimmen der Rose entgegen“, meinte Saki. „Wenn es geht zumindest.“ San nickte stur. „Das wird gehen. Denke ich.“ Jin seufzte und zog San halb über sich. „Dann los. Ich hoffe, euer Arzt ist gut.“ „Ist er“, lachte Shin und schwamm einfach los. Er fühlte sich auf einmal so leicht. Alles war gut ausgegangen, jetzt mussten sie nur noch an Bord der Dark Rose kommen und er war wieder bei seiner Familie. Bei seinen Freunden. Und bei seinem Freund. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie das große Schiff erreichten, aber er wusste, dass es nur ein paar Minuten gewesen sein konnten. Er hielt die Strickleiter fest gespannt, während Saki, Wataru und Riku an Bord kletterten. Nur wurde es jetzt schwieriger. „Erst muss San hoch, dann du, Jin“, beschloss Shin. „Du kannst ihn besser stützen als ich. Ich komme dann nach.“ Er seufzte erleichtert, als Jin nickte und San etwas hochschob. Natürlich war das ein Grund, aber trotz der Vorfreude brauchte er noch einen Augenblick Zeit. Wie sollte er sich gegenüber Saga verhalten? Das Beste war wahrscheinlich, einfach so weiterzumachen wie vorher und zu warten. Seine Probleme würden sich schon lösen, wenn die Zeit gekommen war. Es würde sich schon alles fügen, wenn er nur lange genug wartete. Seufzend beobachtete er, wie Jin San über die Reling half und selber hinüber kletterte. Jetzt war er dran und er konnte und wollte es nicht mehr hinauszögern. Das Wasser war langsam wirklich kalt und er wollte auch wieder ins Trockene. Langsam zog er sich an der Leiter ein Stück hoch, bis seine Füße auf die Querstriemen kamen, kletterte dann höher. Seine Kleidung fühlte sich ungewöhnlich schwer an, der Wind sorgte dafür, dass er zu zittern begann und einen Moment innehielt, bevor er weiterkletterte. Er hatte das Gefühl, seine Muskeln gäben jeden Moment auf und er würde zurückfallen, aber er zwang sich weiter zu klettern, bis er die Reling erreichte. Er spürte, wie Tora und Kazuki ihn an Bord zogen und dafür sorgten, dass er nicht zu hart auf das Holz fiel. Zitternd zog er seine Beine an, um sich etwas warm zu halten. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als jemand ihm erst ein Handtuch und dann eine Wolldecke um die Schultern legte, ihn dann noch an den warmen Körper zog. „Saga…“ Vorsichtig sah er zu dem Älteren auf und schmiegte sich an den anderen. Es fühlte sich immer noch wahnsinnig gut an, den Körper des Größeren nah und wärmend an seinem zu spüren. „Ist gut, Kätzchen. Ich bin bei dir. Es tut mir leid. Ich hätte besser aufpassen müssen. Ich…“ „Saga?“ „Ja?“ „Halt die Klappe.“ „Okay.“ Liebevoll strich der Kapitän ihm durch die Haare und hielt ihn fest. Langsam wurde ihm auch wieder wärmer, aber er hatte das Gefühl, er sollte seine nasse Kleidung gegen trockene austauschen. Er wollte nicht unbedingt krank werden. „Ich liebe dich, Shin.“ „Ich dich auch“, flüsterte er zurück und schloss die Augen. Es war sogar die Wahrheit, an seinen Gefühlen hatte sich nichts geändert. Auch wenn er mit Juri Sex gehabt hatte, er liebte Saga, nicht Juri oder jemand anderen. Sanft streichelte Saga seinen Freund und legte seine Wange an dessen nasses Haar. Endlich hatte er Shin wieder bei sich, was kümmerte es ihn, wenn er nass wurde? Sicher wusste er noch nicht, wie weit Shins Gefangenschaft diesen gezeichnet hatte, aber jetzt war der Jüngere wieder in Sicherheit. „Ich habe dich vermisst“, flüsterte er und schloss die Augen. Es war einfach schön, Shin wieder bei sich zu haben, und der Kleinere lebte noch, schien körperlich sogar relativ unversehrt zu sein. Er hatte Shin nicht nur vermisst, seine Sorge war immer größer geworden. Jetzt konnte Shin nichts mehr passieren. Verwundert beobachtete Riku Saga und Shin und zog die Decke etwas fester um seine Schultern, während Nao sich um San kümmerte und Tora mit Jin sprach. Im Augenblick schien niemand so recht zu wissen, was er tun sollte, aber jeder wollte etwas tun. Nur Saga kümmerte sich anscheinend um alles außer Shin einen Scheißdreck. „Tora“, unterbrach er dessen Gespräch mit dem blonden ehemaligen Offizier, „was ist mit Saga passiert?“ Lächelnd zuckte der Schwarzhaarige mit den Schultern. „Was soll passiert sein? Er kennt Shin nicht einmal ein Jahr, aber er liebt den Kleinen über alles. Die beiden haben auch schon das eine oder andere zusammen durchgestanden. Das verbindet.“ „Aber Saga wollte keine Beziehung, soweit ich weiß.“ „Riku… Ja, er wollte keine Beziehung, aber er hat sämtliche Gegenwehr eingestellt, als er bemerkt hat, dass er schon verloren hatte. Shin ist für ihn zum Zentrum seines Lebens geworden, er tut alles, um Shin glücklich zu machen“, erklärte Tora. „Shin war da und Sagas Leben stand Kopf. Dass er sich verliebt hatte, wussten eigentlich alle, bevor er es zugegeben hat. Ob er es schon wusste, ist fraglich.“ „Wie konntet ihr das vor ihm wissen?“ Zweifelnd zog Riku eine Augenbraue hoch. „Weil Saga sich so extrem verändert hatte und fast explodiert ist, wenn jemand Shin an die Wäsche wollte. Außerdem wollte Saga es sich lange Zeit nicht eingestehen. Du kennst ihn doch auch gut genug.“ „Eben deswegen habe ich Shin nicht geglaubt, als er erzählt hat, dass er mit Saga zusammen ist und Saga ihn über alles liebt“, begründete er seine Frage. „Aber ich glaube, wenn ich die beiden so sehe… Saga liebt Shin wirklich.“ Vorsichtig hob Saga Shin hoch und brachte ihn in eines der Bäder. Der Jüngere musste wieder auftauen, und am Besten wäre es, wenn er erst einmal duschte und sich danach mit trockener Kleidung in eine Wolldecke kuschelte, sich vielleicht noch zusätzlich unter eine Bettdecke legte. „Du kannst dich schon ausziehen, ich hole dir frische Kleidung.“ Sanft strich er dem Jüngeren über die Wange und küsste ihn auf die Stirn. Danach ging er schnell in Shins Zimmer, nachdem der Kleinere zustimmend genickt hatte, und suchte in dessen Kleiderschrank nach etwas Anziehbarem. Es war draußen nicht kalt, zumindest nicht, wenn man nicht pitschnass war. Also sollte die Kleidung nicht zu dick sein. Seufzend griff er nach einer Jeans und einem dünnen Pullover. Falsch machen konnte er damit schon mal nichts. Frische Unterwäsche und Socken würden Shin sicherlich auch gut gefallen. Mit den Sachen auf dem Arm machte er sich auf den Weg zurück zu seinem Freund. Natürlich fragte er sich, was Shin passiert war und wie es ihm ergangen war, aber er vertraute darauf, dass sein Freund sich ihm anvertrauen würde. Er vertraute Shin und Shin vertraute ihm, warum sollte der Jüngere also nicht mit ihm reden? Skeptisch sah er Shin an, als er das Bad wieder betrat. Der Kleinere trug einen schwarzen, seidenen Bademantel, den er locker zugebunden hatte. Darunter schien er nichts mehr zu tragen. Aber seit wann trug Shin vor dem Duschen einen Mantel, besonders, wenn niemand außer ihm, Saga, den Raum betreten würde? Das war eigentlich lächerlich. Er hatte den Jüngeren schon oft genug nackt gesehen, ihn berührt und an seine Grenzen getrieben. Es gab einfach keinen Grund, aus dem der Kleinere sich schämen musste. Ruhig legte Saga den Kleiderstapel auf einem Hocker ab und ging auf seinen Freund zu, zog diesen vorsichtig an sich und strich ihm über den Rücken. „Was ist los?“, flüsterte er dem anderen zu und schloss die Augen. „Du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst. Ich will dich zu nichts zwingen, aber ich kann dir nicht helfen, wenn du mir keinen Einblick in deine Welt gewährst.“ „Du weißt nicht, wie es war. Du weißt nicht, wie ich mich gefühlt habe. Du hast keine Ahnung, was für eine emotionale Achterbahnfahrt das war. Und ich kann nichts davon erklären, weil ich es nicht in Worte fassen kann.“ Zittrig befreite der Kleinere sich aus der Umarmung und wandte ihm den Rücken zu, ließ den weichen, schwarzen Stoff von seinen Schultern gleiten. Auch wenn Saga nur einen Teil des schlanken Körpers sehen konnte, musste er schlucken. Vorsichtig strich er über die aufgerissene Haut und betrachtete die Striemen, zog den Stoff, den der andere mit den Armen oben hielt, noch etwas tiefer und sah sich den nackten Rücken an. „Oh mein Gott“, murmelte er fassungslos. „Das sind… Kratzspuren, Peitschenstriemen und… Schnitte, Blutergüsse und… Scheiße, Shin… Was ist mit dir passiert?“ Langsam drehte Shin sich um. Saga konnte das gefährliche Glitzern in den dunklen Augen des anderen sehen. Es tat ihm weh, seinen Freund in so einer Verfassung zu sehen. „Prügel, Folter… und noch mehr. Ich kann dir nicht erklären, was genau passiert ist, aber du würdest es auch nicht verstehen. Das ist etwas, das du nie begreifen wirst.“ „Shin, es… Das alles ist meine Schuld. Ich hätte dich beschützen müssen. Ich hätte es vorhersehen und dich in Sicherheit bringen müssen. Es tut mir so unendlich leid.“ „Die Gefangenschaft war nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war das Gefühl…“ Traurig sah Shin ihn an und versuchte durchzuatmen. „Viel schlimmer war das Gefühl, dir egal zu sein. Weil du so lange keine Anstalten gemacht hast, mich zu befreien.“ Beruhigend strich Saga dem Jüngeren über den Rücken und legte seine Stirn an dessen. „Du weißt, dass du mir nicht egal bist. Jeder andere, aber nicht du. Ich habe Renos Anweisungen ignoriert, um dir zu helfen. Shin, wenn ich die Wahl zwischen deinem Glück und meinem Leben hätte, würde ich sterben, weil… Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Wenn ich dich verliere, verliere ich alles.“ Schwach zuckte Shin mit den Schultern. „Der Verstand kann den Gefühlen nicht standhalten. Die Zweifel… waren einfach zu stark. Weißt du, wie schlimm das war? Und ich konnte nichts tun, ich…“ Erschrocken brach er ab und ließ den Satz im Raum stehen. „Du? Was hast du getan?“ Sanft strich Saga ihm einige Haarsträhnen aus der Stirn, sah ihn aber fest an. „Ich habe mich gerettet, indem ich mir das geholt habe, was ich gebraucht habe“, gestand Shin leise. „Ich hatte mich mit dem Schiffsarzt angefreundet und letztendlich habe ich mit ihm geschlafen.“ Still strich Saga dem anderen durch die Haare. Was sollte er zu dem Geständnis sagen? Natürlich freute er sich nicht darüber, dass sein Freund ihm fremdgegangen war. Natürlich schmerzte es. Aber er hatte nicht das Recht, Shin etwas vorzuwerfen. Er war selber Schuld, und hätte er Shin durch die Entführung verloren, hätte er zwar alles daran gesetzt, diesen zurückzubekommen, aber er hätte die Verantwortung bei sich suchen müssen. „Saga, es… tut mir leid. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich habe… Nähe und Zuwendung gebraucht.“ Unsicher sah Shin ihn an. „Bist du sehr sauer?“ Ohne etwas zu sagen beobachtete Saga die einzelne Träne, die dem Jüngeren über die Wange lief und wischte diese weg. „Ich werde keine Party schmeißen, weil ich mich so freue, aber es ändert für mich nichts. Ich liebe dich, Shin, und das hört nicht einfach so auf. In der Zeit, in der du nicht hier warst, ist es sogar noch stärker geworden. Du bist mir einfach zu wichtig als dass ich dich aufgeben könnte.“ Fest hielt er den schlanken Körper an sich gedrückt und atmete den angenehmen Duft des anderen ein. Er hatte seine über alles geliebte Droge endlich wieder. Shin seufzte leise und zog die Bettdecke höher. Das Gespräch mit Saga hatte ihn aufgewühlt, und umso glücklicher war er, erst einmal allein sein zu können. Er musste irgendeine Entscheidung für sich selbst treffen. Es konnte nie wieder alles so werden, wie es gewesen war. Konnte er aber nach all dem überhaupt noch eine Beziehung führen? Gab es eine Möglichkeit, irgendwann alles wieder normal anzugehen? Früher oder später würde er wieder mit Saga schlafen wollen und auch müssen, wenn er seinen Freund nicht verlieren wollte. Er musste Saga absolut vertrauen, auch wenn es nicht einfach wäre. Neugierig sah er zur Tür, als es klopfte. Er wusste, dass der Kapitän die Anweisung gegeben hatte, ihn vorerst in Ruhe zu lassen, weil er sich ausruhen sollte. Also gab es nicht allzu viele Möglichkeiten, wer ihn besuchen wollte. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als Nao schnell den Raum betrat und auf ihn zukam, ihn fast sofort in den Arm nahm. „Schön, dass du wieder hier bist“, flüsterte der Ältere ihm zu und sah ihn aufmerksam an. „Wie fühlst du dich?“ „Ganz gut, danke“, erwiderte er leise und ließ sich auf das Bett drücken. „Wie geht es den anderen?“ „Abgesehen von San sind sie alle unverletzt und San… Er ist zwar eingeschränkt, weil er seinen Arm und seine Schulter schonen muss, aber es geht ihm ganz gut. Er ruht sich gerade aus.“ Behutsam strich der Arzt über seine Hand. „Kätzchen, ich will wissen, wie es dir geht. Nicht körperlich. Dein Körper hält mehr aus als deine Seele, also… Ich mache mir weniger Sorgen um deinen Körper als um deine psychische Gesundheit. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du das nicht einfach so wegsteckst.“ Unruhig kaute Shin auf seiner Unterlippe herum und wich dem ruhigen, wachsamen Blick aus. Er wollte nichts dazu sagen, weil er wusste, dass Nao nicht locker lassen würde. Weil dieser genau wusste, dass er richtig lag. „Shin, ich will dich nicht zum Reden zwingen, aber du weißt, dass ich dir helfen kann. Ich kann nicht mehr tun, als dir meine Hilfe anzubieten. Ich bin zwar kein Psychologe, aber ein wenig Ahnung habe ich schon. Außerdem… Ich kann mir gut vorstellen, dass du über einige Dinge nur ungern mit Saga reden möchtest.“ Shin seufzte gequält und schloss die Augen. „Es gibt Dinge, über die ich gar nicht reden kann“, brachte er leise hervor. „Es spielt keine Rolle, mit wem ich reden soll, es tut einfach zu weh. Ich will nur vergessen.“ „Du hast schon eine Vergewaltigung mit Sagas Hilfe verarbeitet. Du weißt doch genau, dass Verdrängung auf Dauer keinen Sinn hat“, gab Nao zu bedenken und legte sich neben ihn, nahm ihn tröstend in den Arm. „So schlimm kann es nicht sein. Du wirst es wieder irgendwie mit Sagas Unterstützung hinbekommen. Er wird alles tun, um dir zu helfen, und du hast auch so ziemlich alle anderen hinter dir stehen.“ „Du hast keine Ahnung!“, fuhr Shin auf und schluchzte leise. „Es war schlimmer als die eine Sache mit Akito! Niemand kann mich verstehen, höchstens Riku, Wataru und Saki könnten es versuchen, aber die haben sich so brav gefügt, dass sie keine Ahnung haben, wie es einen quält!“ Beruhigend hielt Nao ihn fest und drückte seine Hand, wartete einfach, bis er sich ein wenig beruhigt hatte. „Shin, ich weiß nicht, was dir passiert ist, aber ich werde es nie wissen, wenn du mir keine Chance gibst. Außerdem weißt du genau, dass du nicht so allein bist, wie du denkst. Du fühlst dich einsam und unverstanden, aber das bist du nicht.“ Liebevoll strich der andere ihm durch die Haare. „Nein, Nao. Ich bin zwar nicht allein, aber niemand kann mich verstehen. Genau das ist ja das Hauptproblem. Und… Ich kann mich niemandem verständlich machen. Ich…“ „Ist schon gut. Du weißt, ich bin immer für dich da, wenn du reden willst. Aber jetzt sind wir beide still und freuen uns, dass dein Albtraum vorbei ist.“ Shin nickte leicht und schloss die Augen, schmiegte sich an den warmen Körper und genoss die Nähe. Er hatte zu Nao schon immer ein gutes Verhältnis gehabt, besonders, da der Arzt sich von Anfang an immer gut um ihn gekümmert hatte. Er war dem anderen sehr dankbar und er wusste, dass er diesem viel schuldete. Würde Nao ein Interesse daran haben, ihn zum Reden zu zwingen, musste er es nur einfordern und Shin würde reden, auch wenn es ihn fast umbringen würde. Würde Saga ihn dazu zwingen wollen, würde er ebenfalls reden. Er wollte nicht, dass Saga ihm irgendwann Vorwürfe machte oder ihn bemitleidete, ohne wirklich zu wissen, was passiert war. „Nao?“ Erwartungsvoll sah Saga den Älteren an, seufzte aber, als dieser den Kopf schüttelte. „Es geht ihm nicht besonders gut, aber er schweigt“, erklärte der Arzt und setzte sich neben ihn. „Aber warum? Er weiß doch, dass wir ihm nur helfen wollen.“ Deprimiert legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Shin redete eigentlich über alles mit Nao, aber wenn der nichts mehr rausbekam, kam niemand mehr an Shin heran. „Er fühlt sich unverstanden“, meinte der Arzt und nahm freundschaftlich seine Hand. „Niemand von uns weiß, was er durchmachen musste. Dadurch fühlt er sich mit seinen Problemen allein gelassen. Er ist mit seinen Gefühlen und Gedanken völlig überfordert. Aber ich kann dich beruhigen, er ist nicht sauer auf dich. Er braucht dich jetzt auch viel zu sehr.“ „Aber wie soll ich ihm zur Seite stehen, wenn ich ihn nicht trösten und auffangen kann? Er muss mit mir reden, damit ich ihm helfen kann.“ „Nicht unbedingt.“ Nachdenklich sah Nao in die Ferne. Er wollte Shin nicht in den Rücken fallen, aber er wollte dem Jüngeren nichts Böses. Und der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel. „Wie meinst du das? Wie willst du aus ihm rausbekommen, was ihm angetan wurde?“ Zweifelnd sah der Kapitän den anderen an und legte den Kopf schief. „Wenn er nicht mit uns redet, warum fragen wir nicht jemand anderen?“ Geheimnisvoll lächelte Nao ihn an. „Wataru, Saki und Riku haben über die zwei Monate mit Shin zusammengelebt, sie müssten uns etwas über das alltägliche Leben und Shins Entwicklung erzählen können. Und Jin kennt die Seite der Besatzung und weiß wahrscheinlich teilweise sehr detailliert, was mit Shin passiert ist.“ „Du willst Shin übergehen?“ Überrascht fixierte Saga den Arzt. Er war sich nicht sicher, ob er sich über den Vorschlag freuen oder deswegen ausrasten sollte. Er wollte seinen Freund nicht hintergehen, aber vielleicht könnte er diesem so besser helfen. „Saga, wir beschützen ihn so, und du weißt dann, was los ist und wie du ihm am Besten helfen kannst. Was du tust, ist deine Sache, aber ich muss so oder so mit Wataru, Saki und Riku reden, um herauszufinden, wie es um ihre psychische Verfassung steht.“ „Ich… will mit Wataru reden“, seufzte Saga schwer und stand auf. „Hoffen wir, dass es etwas bringt.“ _________________________________________________________________________________ Shin ist wieder zuhause. *pfeif* Und wie ihr vielleicht von diesem Kapitel aus erahnen könnt, gehen die Probleme erst richtig los. Auch wenn wir schon bei Nr. 16 sind. Die ganze Beziehung wird ja logischerweise nicht leichter. Ich muss sagen, dass ich ein kleines Problem habe. Ich hatte in den Ferien jetzt wenig Zeit, und ich hatte nur bis zu diesem Kapitel fertig abgetippt. Nach ewig langen Renovierungsarbeiten, dem wöchentlichen Lübeck-Ausflug und der netten Nachricht, dass meine Oma über Ostern verstorben ist, war natürlich wegen viel Arbeit nicht viel Zeit abzutippen. Ich sitze im Moment an Kapitel 17, kann aber eben nicht sagen, wie lange ich brauche. Vielleicht schaffe ich es mit viel Eile und Strecken und Zerren ja, den wöchentlichen Rhythmus beizubehalten, es könnte aber auch sein, dass ich ein oder zwei Wochen aussetzen muss. Ich hoffe, ihr könnt dann darüber hinwegsehen, aber ich habe gerade eben eine Menge anderer Dinge um die Ohren. *seufz* Aber ich will euch nicht die Ohren volljammern. Das ist nur meine Befürchtung mit Erklärung, weil ich es scheiße finden würde nur zu sagen, dass es sich verzögern kann. Wirkt dann so, als hätte ich keinen Bock mehr. >.< Wie dem auch sei, ich werde in der Beschreibung etwas ankündigen, wenn ich's nicht gebacken bekomme. Danke, wirklich. Ich schaffe das schon irgendwie, aber es ist eben ein bisschen viel Arbeit und Organisation auf einmal. *seufz* Die Folge siehst du ja. Bis zum nächsten Kapitel! Hikari Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)