Schneeträume von caramel-bonbon (Ich bin das Universum) ================================================================================ Erster Teil ----------- Goldene Monde wiesen den Weg. Rot und weiss schimmernde Sternschnuppen huschten vorbei. Eine grüne Sonne leuchtete auf, Motorenlärm. Rauschen und Gelächter lag in der Luft. Meine Augen waren starr auf das Fenster gerichtet. Gebannt folgten sie den Farbtupfern, die über den schwarzen Boden tanzend schaukelten und wir-belten. Dann stand alles still. Die Musik war verstummt, der Tanz vorbei. Jemand stiess mich in die Rippen. Mein leichtes Lächeln verzerrte sich. Ich stieg aus und knallte die Türe zu, ohne Rücksicht darauf, ob noch je-mand aus dem Wagen steigen wollte. Hinter der Scheibe eine verdutzte Fratze. Ich lachte sie aus, hackte mich bei Mel ein und zusammen schritten wir grinsend zum Eingang des Clubs. Dröhnend schwebten die harten Basstöne nach draussen. Der Eingang war verstopft. Leute, die rein wollten, und Leute, die aus der Hitze flüchtend nach draussen wollten. Wir wollten rein. Feixend drückte ich mich an einem Mädchen vorbei, das wie fünfzehn aus-sah. Ich erntete einen angesäuerten Blick. Der Türsteher wollte sie nicht reinlassen. Mir egal, wir waren drin. Dort stiessen wir dann auf die restlichen von uns. Ohne lange hallo zu sa-gen trotteten wir den Gang entlang und die Treppe runter. Feucht glänzende Körper wanden sich zur Musik. Eng aneinander gedrückt oder mit einem geringen Abstand. Freier Platz auf der Tanzfläche war heute rar. Es gab schon bessere Tage. Wir verdrückten uns in eine Ecke auf die schwarzen Sofas. Zwei sassen schon dort. Sie wurden an den äussersten Rand gedrängt. Wir kannten sie nicht. Mel kramte mit einer Zigarette in der Hand in ihrer Tasche. “Guck mal, was ich hier habe!“, zischte sie aufgeregt. Mit aufgerissenen Augen sah sie mich erwartungsvoll an. Sie hielt ein klei-nes Beutelchen zwischen ihren Fingern und wedelte damit herum, passte auf, dass es ausser mir keiner sah. Meine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben. Abrupt stand sie auf und zog mich mit. “Hey, wo geht ihr hin?“, fragte Alpha, sah uns von unten musternd an. „Auf die Toilette.“ Lange Erklärungen waren nicht Mels Ding. Eine lange Schlange wartete vor den Toiletten. Als wir endlich an der Reihe waren, schob sie mich in eine Kabine und quetschte sich hinterher. Sie zückte eine Kreditkarte und ein Röhrchen. Sah aus wie eines aus McDonalds. Das weisse Pulver schüttelte sie sorgfältig auf den zuvor geschlossenen Toilettendeckel. Mit der Karte zerhackte sie die gröberen Körner zu Staub. Geschickt teilte sie das Pulver in vier dünne Linien. Was an der Karte hän-gen geblieben war, wischte sie mit Daumen und Zeigfinger weg und zog es sich die Nase hoch. Dann setzte sie sich das Röhrchen an die Nase und snifte rasch nacheinander ihre beiden Lines weg. Ohne Worte überreichte sie mir das Röhrchen und ich putzte meine Lines vom Toilettendeckel. Die winzig kleinen Kristalle rutschten meine Nase hoch, lösten sich auf und glitten den Hals runter. Es schmeckte bitter. Die gewohnte Betäubung des Rachens breitete sich aus. Ich schniefte und wischte die Körnchen weg, die an meinen Nasenflü-geln klebten. „Wie hast du das hier überhaupt rein gebracht? Haben sie deine Tasche nicht kontrolliert?“ Mel sah mich nicht an und zeigte mir stattdessen den Inhalt ihrer Tasche. Eine kleine Tamponschachtel. Sie war leer. Kein Mann schaut so genau auf eine Tamponschachtel. Das ist weibliche Privatzone. Sperrgebiet für Männer. Auch für Türsteher. Natürlich ist es verboten, Schnee mit in einen Club zu schmuggeln, für uns aber gibt es keine Verbote. Wir schnupfen, wann und wo wir wollen. Mel stopfte das kleine Plastiksäckchen mit dem restlichen weissen Pulver zurück in die Tamponschachtel, dann erhob sie sich und schloss die Tür auf. Die Mädchen schauten uns komisch an, als wir uns an ihnen vorbeidräng-ten. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, seit wir uns in die Kabine sperrten. Draussen in der Eingangshalle bot mir Mel einen Kaugummi an. Sie hatte wohl bemerkt, dass ich mir bereits auf die Unterlippe biss. Eine Spannung lag auf meinem Kiefer. Ich musste ihn ständig bewegen. Mel zündete sich eine Zigarette an und zusammen gingen wir zurück zu den andern. Auf dem Tischchen standen bereits Getränke. Waren bestimmt Gummibär-chen, die Alpha uns geholt hatte. Ein Drittel Wodka, zwei Drittel Red Bull. Ich hatte keinen Durst mehr. Trotzdem nuckelte ich am Röhrchen. Es dauerte auch nicht lange, da war das hohe Glas leer. Später, als Rich von ihrer erfolglosen Männerjagd zurück zu den Sofas kam, leerte ich bereits das zweite Glas. Rich liess sich mit einem lauten Seufzer auf die Kissen fallen und starrte uns an. Wir redeten ununterbrochen, ohne sie bemerkt zu haben. Der Klimawandel war plötzlich extrem spannend. Wir fantasierten, wie die Welt in Zukunft wohl aussehen würde und wie es mit der Menschheit bachab ging. Aus meinem Mund sprudelten unglaublich in-tellektuelle Sätze. „Sagt mal, habt ihr was genommen?“ Rich wagte es tatsächlich, uns in unserem scharfsinnigen Gespräch zu un-terbrechen. Unglaublich. Während ich meinen Satz beendete und mir ausserordentlich wichtig vor-kam, wandte sich Mel ihr zu und grinste sie doof an. „Wie kommste drauf?“ „Na wie wohl, solchen Schwachsinn kann man doch nur in einem solchen Tempo faseln, wenn man was konsumiert hat!“ „Schwachsinn?“ Dies war eines meiner geistreichsten Gespräche überhaupt und sie erlaubte sich, es Schwachsinn zu nennen? Ich war empört. „Also bitte!“ Dieser Ton. Als ob es selbstverständlich wäre, dass wir nur Blödsinn von uns gaben. Ich exte einen Wodka pur. „Ja okay, wir haben was genommen“, gab Mel schliesslich zu und grinste noch breiter. Dann kramte sie wieder in ihrer Tasche rum und holte das kleine Säckchen mit dem Schnee heraus, wedelte damit hypnotisierend vor ihrem Gesicht herum. „Willste auch?“ „Spinnst du? Zeig es doch noch offensichtlicher!“, fauchte Rich, schnappte sich aber schon fast gierig, ich sah es genau in ihren Augen, das Säckchen und verschwand in Richtung der Toiletten. „Aber rupf mir nicht alles weg, hörst du?“ Sie hat es bestimmt nicht gehört. Viel zu gierig war sie auf das Koks. Ich hatte aber mittlerweile schon wieder andere Sorgen. Nämlich, wie ich an meinen nächsten Shot kam, ohne an die Bar gehen zu müssen. Die verkauften mir eigentlich noch gar keinen Alkohol. Durften sie gar nicht. Dann fiel mir ein, dass dieser Club ja sowieso ab achtzehn war. Also ging ich an die Bar und bestellte mir einen grünen Shot. Es war der erste Abend, an dem ich mir selber etwas bezahlen musste. Normalerweise wurde mir immer alles spendiert. Immerhin war ich die einzi-ge hier, die noch zur Schule ging. Alle andern verdienten. Sogar Matti ver-diente schon und der war gleich alt wie ich. Aber nur weil er eine Lehre machte, ich ging eben ins Gymnasium. Die andern fanden das toll und sag-ten mir immer, dass ich das zu Ende bringen sollte. Ich kam mir trotzdem manchmal vor wie ein Schmarotzer. Aber eben nur manchmal. Mit einem Schluck leerte ich das kleine Glas. Ich hatte Lust zu tanzen. „Mel, lass uns shaken!“ Aber sie wollte nicht. Stattdessen hing mir sogleich Rich am Ärmel. Sie setzte sich die Sonnenbrille auf und zog mich förmlich auf die Tanzfläche. Da war es viel dunkler. Der Bass dröhnender. Die Lichter farbiger. Sie flim-merten. Mein Puls raste. Ich musste mich bewegen. Die Musik drang in meinen Körper und liess ihn tanzen, liess ihn mit den Leuten um mich herum verschmelzen, die eng um mich standen. Ich kannte sie nicht. Aber ich mochte sie. Das blitzende Licht hypnotisierte mich. Ich schloss die Augen und lachte. Dieses Gefühl der Vollkommenheit in mir machte mich glücklich. Am liebs-ten hätte ich gleich alle hier umarmt und sie geküsst. Wie göttlich ich mich in diesem Moment fühlte. Ich war ich und gleichzeitig alle andern hier in die-sem Club. Ich war das Universum. Der Makrokosmos wurde allerdings schlagartig zu einem Mikrokosmos, als mir jemand den Ellbogen in die Rippen stiess. Was sollte das? Hatte der etwa ein Problem mit mir? „Verpiss dich, Mann!“ War man doch gerade so schön am Tanzen, da kam einfach so ein Idiot und verdarb einem alles. So ein Arschgesicht. Rich, die tanzend eine Zigarette nach der anderen rauchte, schien nichts mitbekommen zu haben. Sie schien sowieso nichts mehr wahrzunehmen ausser sich selbst und ihre Kippen. Musste sicher schon die zehnte sein. Mindestens die achte. Viel-leicht waren das momentan auch einfach die Dinge, die sie am meisten in-teressierten. Alles andere war gerade ziemlich nebensächlich. Jedenfalls spacte sie ge-rade irgendwo in einer anderen Welt herum. Na dann sollte sie mal wieder auf dieser Welt landen. Hoffentlich nicht allzu sanft, wie ich im Geheimen hoffte. Es war fies. Wusste ich. War mir egal. War doch sowieso bescheuert, ihr Benehmen. Ich wollte zurück zu den Sofas. Zuerst allerdings musste ich mich durch dieses Knäuel tanzender Men-schen quetschen. Das Knäuel bewegte sich im Beat auf und ab. Und ich mittendrin. Gott, wie mühsam. War meine Laune vorhin gerade noch auf hundertzwölf, bewegte sie sich nun rasant auf null zu. Richtig kämpfen musste ich, um vorwärts zu kommen. Mit Ellbogen und Zähnen biss ich mich durch. Diese Leute! Grauenhaft. „Mach Platz“, ich wollte auf’s Sofa sitzen. Alpha wollte rutschen, ich liess ihm aber gar nicht genügend Zeit dafür, sondern drückte mich zwischen ihn und Mel. „Mel, hast du noch was?“ Sie verstand nicht. Sah dann aber mein verzerrtes Gesicht. Ich fühlte mich ziemlich elend, im Moment. Und dann lachte die einfach. „Du arme Kleine.“ Nix mit Mitleid. Die kriegte sich fast nicht wieder ein vor Lachen. Sollte sie doch verrecken an ihrem blöden Gegacker! „Mel, gib mir doch einfach den scheiss Schnee!“ Ich sah bestimmt gerade ziemlich erbärmlich aus, den Tränen nahe und um Koks bettelnd, während Mel sich schieflachte. Ich tat mir irgendwie leid. Aber das war nun wirklich gemein von ihr. Ich wollte doch nur noch mal eine klitzekleine Line ziehn. „Komm schon Mel, nur eine klitzekleine Line. Bitte!“ Fast schon krass, wie sie auf dieses kleine Anhängselwörtchen reagierte. Als ob nichts gewesen wäre, schmiss sie mir ihre Handtasche auf den Schoss. „Nimm, was du willst, du kleiner Suchthaufen.“ Haaach, endlich mein Koks. Mit dieser Aussicht ging es mir doch gleich wieder besser. In der Toilette zog ich mir zwei nicht ganz so klitzekleine Lines in die Nase und ging wieder runter. Ich war hackedicht. Biss auf meinen Lippen rum. Mel bot mir einen Kau-gummi an, aber ich wollte eine Zigarette. „Du rauchst doch gar nicht!“ Mir egal, ich wollte eine Zigarette. Alpha hatte dann auch Erbarmen mit mir und gab mir eine und auch gleich Feuer. Übermässig grinsend bedankte ich mich bei ihm und sah ihm dabei in die Augen. Seine Pupillen waren überdi-mensional gross. „Hier meine Kleine“, sagte er zu mir. Ich erwiderte mit einem gesäuselten „danke mein Grosser, sag mal, was hast du denn geschluckt?“. Er winkte aber nur ab und behauptete, es wäre nichts Besonderes gewe-sen. Irgendwie wirkte er gerade besonders cool. Er war total ruhig, drückte gelassen seine Zigarette aus. Und zündete sich sogleich die nächste an. Ich lehnte mich zu ihm rüber. Ich wollte unbedingt wissen, was er geschluckt hatte. Doch dieser Typ wollte einfach nicht antworten. Stattdessen zog er seelen-ruhig ein Taschentuch hervor und tupfte mir die Nase ab. Verdutzt fasste ich selbst daran und spürte etwas Klebriges zwischen meinen Fingern. Es war Blut. War nicht das erste Mal, dass ich vom Koksen Nasenbluten bekam. War auch gleich wieder vorbei. Plötzlich ging alles sehr schnell. Ace tauchte wie aus dem Nichts auf, ant-wortete mir auf meine Frage mit „Ecstasy“, Matti kippte erschrocken ein Glas Gummibärchen über den ganzen Tisch, Handys und Taschen und Portemonnaies wurden zu retten versucht, Füsse angehoben, Mel zog ihr Säckchen Koks hervor, steckte zwei Finger hinein und zog sich eine grosse Menge in ihre kaputte Nase, vier Arme schlangen sich um mich, Alpha, Rich, in Tränen aufgelöst, laut heulend, dann war alles vorbei. Ich checkte überhaupt nichts mehr. Stiess als Erstes einmal Alpha von mir weg. Der spinnte doch total auf sei-nen Drogen. Voll anhänglich. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was mit Rich los war. Ein wenig grob stupste ich sie deshalb an. „Hey?“ „Ach verdammt, ich fühle mich so scheisse, ich könnte sterben, sie wollen mich umbringen, was will ich denn überhaupt noch hier, das alles ist doch für nichts, sie wollen mich tot sehn! Scheisse Mann, gib mir was zu trin-ken!“ Ihr Gesicht war tränenverschmiert. Und schwarz von der Schminke. Ich war schockiert. Der ging es ja vollkommen verschissen. So etwas hatte ich ja noch nie er-lebt. Alpha gab ihr sein Gummibärchen und sah sie mitfühlend an. Vom Gummi-bärchen blieb nicht mehr viel übrig, dabei war es doch noch fast unangetas-tet. Ich hoffte schon, dass es ihr nun wenigstens ein bisschen besser ging, wo sie schon sein Gummibärchen leer getrunken hatte, aber nein, sie hatte erneut einen Heulkrampf und vergrub sich vollständig bei Alpha. Heulend. Die wollte sich einfach nicht beruhigen. „Alpha, willst du ihr nicht ne Ecstasy geben?“ Könnte ja klappen, wenn die bei Alpha so beruhigend wirkt. Aber Ace schüt-telte heftig den Kopf. „Vergiss es, die bleibt hängen, wenn du ihr in diesem Zustand ne Tablette gibst.“ Ups. Hatte ich vergessen. Der wichtigste Leitsatz beim Drogennehmen ist, nur dann, wenn es dir gut geht. Ace hatte mir mal von einem seiner Kollegen erzählt, der hängen geblieben ist. Schaufelte LSD wie blöd, obwohl er gerade eine Problemphase durch-machte. Dachte an Selbstmord und so. Bam. Während dem Flash sah er die ganze Zeit einen grünen Apfel, der ihm hinterherlief. Aber der Flash war dann irgendwann mal vorbei und der grüne Apfel war immer noch da. Seit da verfolgte ihn dieser grüne Apfel. Ich musste schon wieder lachen, als ich daran dachte. Die Vorstellung, von einem grünen Apfel verfolgt zu werden, war doch irgendwie zu komisch. Ir-gendwie süss. Aber Ace hatte mich ziemlich zusammengestaucht, als ich damals gelacht hatte. Das könnte ihn dazu bringen, sich umzubringen, hatte er gesagt. Das musste wirklich ein bösartiger grüner Apfel gewesen sein. Mit einer verzerrten Fratze und ständig aus Verstecken springend. So gross wie ein Haus, mit Zähnen so lang wie Bäume und versuchend, ihn aufzufressen. Der Gedanke war wirklich ein bisschen beängstigend. Aber ich konnte es nicht lassen, mich darüber lustig zu machen. Nur die Erinnerung, dass er sich dann wirklich umbrachte, fand ich depri-mierend. Aber er hielt es nicht mehr aus, frass Tabletten, um den grünen Apfel los-zuwerden, und im Wahn und der totalen Übermüdung schüttete er sich eine ganze Packung Schlaftabletten in den Rachen. Dann schnitt er sich die Pulsadern auf. Vielleicht auch nicht, vielleicht war er auch einfach so gestorben, nur mit den Schlaftabletten. Ich brauchte dringend eine Zigarette, ich biss mir schon wieder die Lippen auf. „Ich kann fliegen, ich schwör’s!“ Ich wusste, dass ich fliegen konnte. Mein Gefühl sagte mir das. Mein Gefühl hat immer Recht. Besonders meine Laune erhob sich gen Himmel, den Sternen zu. Sie glit-zerten mich an und funkelten fröhlich. Ich wollte zu ihnen, meinen Freunden. Sie riefen mich. Mit einigen Schwierigkeiten kletterte ich auf eine Mauer. Hinten ging es steil und tief runter. Leichtigkeit durchflutete mich. Gierig saugte ich die frische Luft ein. Vorhin im Club war es so stickig. Hatte zwar nichts gemerkt. Und im Auto war sie auch nicht besser. Vernebelt vom Zigarettenrauch. Aber hier, da war sie klar und rein und sie duftete nach Nacht. Ich liess mich fallen. Und ich fiel und fiel und fiel und fiel und fiel und es kam mir endlos vor, und ich fiel. Auf die falsche Seite allerdings. Ich hatte mich nach hinten fallen lassen. Und Ace und Alpha fingen mich jetzt auf und drückten mich auf die Bank, die da irgendwie gerade in der Nähe stand. Ich fand das lustig, fing an zu lachen. Ich fühlte mich doch so gut. Mel, nur drei Meter von mir entfernt an die Mauer gelehnt, zog sich schon wieder Schnee ins Gehirn. Ich wollte auch noch mal, die letzten Lines waren schon eine Ewigkeit her. „Mel, lass mich auch mal wieder die Nase pudern.“ Die andern stimmten mir dabei nicht zu, sie waren anderer Meinung. „Lass mal, du hast dir dein Näschen schon genug gepudert.“ Eigentlich wollte ich daraufhin protestieren. Ich schmollte. Dann behauptete Mel auch noch, dass sie nichts mehr hätte. Das Wenige im Säckchen müs-se noch für die ganze nächste Woche reichen. Für sie allein. Es reichte mindestens für drei. Ausserdem log sie mich an. „Du lügst, Mel, lüg mich nicht an, du bist die Schneekönigin, unsere Schneekönigin, du hast immer was, kaufst, verkaufst, gibst uns was ab, hast immer genug vom besten Zeug dabei.“ Mel hörte nicht richtig zu, kratzte mit dem Fingernagel das letzte bisschen vom weissen Puder aus dem Säckchen, rieb es sich unter die Nase. Meine Aufmerksamkeit galt mittlerweile Rich, die irgendwo auf dem Boden lag und schlief. Wie konnte die nur schlafen? Unverständlich. Ich war hellwach. War doch erst halb fünf. Morgens. Ich war seit sechsund-vierzig Stunden wach. Seit ich am Freitagmorgen um halb sieben aufgestanden bin. Musste in die Schule. War nichts Besonderes. War jedes Wochenende so. Freitagabend traf ich mich mit Matti und Rich am Bahnhof, dann gingen wir zusammen zum zweiten Treffpunkt. Dort war-teten wir dann meistens einige Minuten auf unsere beiden Herren, die schliesslich immer zusammen kommen mussten. Zu fünft machten wir uns dann zu Fuss, Ace liess sein Auto immer stehen, auf den Weg zu Mel, die dann immer total gestresst ihre Sachen packte, weil sie immer bis spät ar-beitete. Zu sechst quetschten wir uns schliesslich in ihr Auto, das nicht besonders gross war. Nächster Stopp war dann irgendein Club. Samstag war ähnlich. Nur dass wir dann immer zu Mel oder Ace oder Alpha gingen und Flimmer-kiste glotzten, bis Abend war. Dann ging alles wieder von vorne los. Heute allerdings war es ein kleines bisschen anders. Ace machte sich Sor-gen um Rich. Die war ja auch doof. Einfach heulend zusammenbrechen, also ehrlich. Er wollte sie nach Hause bringen. Und Alpha ging mit, war ja klar. Sie sollte sich erst mal richtig ausschlafen, fand er. Matti kam dann also mit Mel und mir mit. Er wollte nicht nach Hause. Ich auch nicht. War sowieso niemand da. Es war wirklich fast wie immer. Bei Mel zu Hause hängten wir die ganze Zeit vor der Glotze rum und schauten uns irgendwelchen Müll an. Irgendwann kamen dann auch wieder Ace und Alpha zurück. Aber ohne Rich, die hatten sie bei sich abgeliefert. Müde waren wir nicht. Nur Ace, der auf dem Sofa vor sich hinschlummerte. Allerdings lag das daran, dass Ace nur LSD geschluckt hatte. Alpha und Matti waren auf E und Mel und ich auf Coke. Und wie mir in den ganzen Monaten, in denen ich bereits mit ihnen rumhing, aufgefallen war, nahmen Ecstasy und Kokain nicht nur den Appetit, sondern auch die Müdigkeit. Ich verlor nicht nur einige Kilos, sondern auch sehr viele Stunden Schlaf. Es kotzte mich richtig an, dass morgen schon wieder Montag war. Dann musste ich nämlich wieder eine Woche lang warten, bis ich mich wieder mit ihnen treffen konnte. Eine Woche war so lang. Die Zeit war gemein. Ich wollte doch einfach nur irgendwo unter offenem Himmel mit lauter, dröhnender Musik Koks in mein Näschen ziehen und tanzen bis zum Umfal-len, dann den Sternen zusehen, wie sie funkelten und glitzernde Funken versprühten und im Universum herumschwankten. Das wollte ich. Eigentlich. Aber so, wie wir das machten, in Clubs gehen und anschliessend nichts tun, das gefiel mir auch ganz gut. Ich hatte Lust auf eine Zigarette. Und weil da gerade ein Päckchen rumlag, bediente ich mich einfach. Die andern sahen mich an und Matti fragte, was ich machen gehe. Ich zeigte ihm nur deutlich die Zigarette und versuchte dann, die Balkontür zu öffnen. Sie klemmte immer. Draussen war es kalt. Die Küchenuhr, die ich von hier aus sehen konnte, zeigte ungefähr viertel nach zehn. Das Thermometer etwa sechs Grad. Mein T-Shirt war ziemlich dünn. Es störte mich nicht. Gelassen zündete ich meine Zigarette an. Der Rauch, den ich ausblies, unterschied sich fast nicht von den kleinen Atemwölkchen. Die Strasse unten war kalt und grau und nass. Mir fiel auf, dass es nieselte. Ich sah mir die Zigarette an. Gestern Abend war es nicht das erste Mal, dass ich plötzlich Lust auf eine Kippe bekam. Eigentlich war ich Nichtrau-cherin. Zumindest offiziell. Inoffiziell, an einem Abend wie gestern, konnte es schon dazu kommen, dass ich fast ein ganzes Päckchen alleine rauchte. Auf Coke musste ich einfach irgendetwas rauchen oder reden oder Kau-gummi kauen. Sonst biss ich mir die Lippen blutig. Darauf hatte ich keinen Bock mehr. Ganz am Anfang war es nämlich so. Allerdings war ich jetzt erst in der Hälfte. Und ich mochte nicht mehr. Egal, ich rauchte sie trotzdem fertig, wer weiss, was die andern sonst von mir dachten. Irgendwann einmal tauchte Slash auf. Wie immer mit einer Kippe im Mund, die ihm Mel sogleich wegnahm und aus dem Fenster warf. Eigentlich wuss-te jeder, dass Mel uns verboten hatte, in ihrer Wohnung zu rauchen. Slash verstand das nicht. Ich sehr wohl. Allerdings fragte ich mich, wieso er erst jetzt auftauchte. „Wo warst du gestern? Du bist nicht aufgetaucht.“ Da er keine Zigarette mehr hatte, an der er sich festklammern konnte, fum-melte er an seinen schwarzen Locken rum. „Probleme mit ein paar Typen. Du weisst schon, wollten nicht bezahlen. Ha-ben Stress gemacht.“ Das kam irgendwie öfters vor, dass seine Kunden nichts zahlen wollten. Obwohl das Gras, das er vertickte, sehr gut war. Und an den Pillchen war wirklich nichts auszusetzen. Deshalb kamen wir immer nur an gutes Zeug. Weil sich unter uns zwei Dea-ler befanden, die nur Erstklassiges zu einem bisschen überteuerten Preis weiterverkauften und natürlich durften wir unseren Dealer nicht vergessen, von dem wir das Zeug bekamen. Ralph. Ein herzensguter Typ. Hatte sogar immer ein wenig LSD dabei, sodass Ace an sein Seelenfutter kam. Die Übergabe fand allerdings immer freitags statt, wenn ich noch in der Schule hockte. „Mel, hast du noch ein bisschen Coke?“ „Weiss nicht, musst schauen.“ Sie hatte mir anvertraut, wo sie ihr Kokain aufhob. Und mir eingebläut, es niemandem zu verraten. Auch Ace oder Alpha nicht. Ich habe noch nie reingeschaut. Irgendwie hatte ich gewaltigen Respekt vor dieser Schublade. Auch jetzt schlug mein Herz gleich viel schneller, als ich sie nur anschaute. Mir fielen im wahrsten Sinne des Wortes beinahe die Augen raus. Noch nie, nie in meinem Leben hatte ich so viel Coke auf einem Haufen gesehen. „Boah Shiiit“, ich konnte wirklich nichts Gescheiteres mehr sagen. Ich wusste nicht genau, ob ich jetzt wirklich etwas davon nehmen sollte. Ich sah die Waage und die kleinen Säckchen, in die sie immer das Pulver ab-füllte, und ich sah die Geldnoten, aber irgendwie hatte ich zu grossen Res-pekt davor, um irgendetwas falsch zu machen. Ein wenig kleinlaut streckte ich den Kopf ins Wohnzimmer, wo Mel auf ihrem Sofa hockte. „Ähm… Mel, kannst du mir nicht schnell helfen?“ Sehr gemächlich stand sie auf und schlurfte in ihr Zimmer. Nahm sich mit allem genügend Zeit. Band sich die Haare mit einem schwarzen Haargummi zusammen, das sie immer ums Handgelenk trug. Aus der Schublade nahm sie einen einfachen, quadratischen Spiegel, ein Messer, in ein durchsichtiges Säckchen sorgfältig eingepackte Klümpchen Kokain und ein neues, kleineres Säckchen. Dann stellte irgendjemand von Slowmotion auf Highspeed. Alles ging ultra-schnell vor sich. Mel schüttelte einige Klümpchen auf den Spiegel, zermalmte sie mit der stumpfen Seite des Messers zu feinem Pulver, spachtelte dieses in das kleinere Säckchen und überreichte es mir. Mit dem Finger putzte sie Messer und Spiegel und sniefte das daran kle-bende Pulver weg. Das verlief dann wieder in Zeitlupe. Und ich, ich musste zusehen. Wie sie es genüsslich tat. Sie konnte manchmal so brutal sein. Dann versorgte sie alles hastig wieder in die Schublade und zusammen gingen wir zurück ins Wohnzimmer. Ich suchte meine Sachen zusammen. Draussen wurde es schon dunkel und ich musste dringend nach Hause. Einerseits wollte ich zu Hause sein, bevor meine Mutter kam und andererseits musste ich noch für eine Probe büffeln. Schlapp verabschiedeten mich die andern, Ace war mittlerweile aufgewacht. Wünschten mir eine gute Woche. Ich nickte, bedankte mich. „Bis Freitag“ war das letzte, was ich noch sagte, als ich bereits vor der Tür stand. Bis zum Bahnhof war es nicht sehr weit. Ich schritt hastig über die Strassen und Plätze. Vermied es, die Leute anzusehen. Leute, die dick in ihre Winterjacken ein-gepackt an mir vorbeistressten. Leute, denen es scheissegal war, dass ein siebzehnjähriges Mädchen mit Kokain in der Tasche an ihnen vorbeilief. Leute, die mich anrempelten und dann böse schauten. Ich schaute böse zurück. Aus meinen Kopfhörern dröhnte laut die Musik. Direkt in meine Ohren. Meine Mutter war noch nicht da. In der Wohnung brannte kein Licht, das konnte ich von weitem sehen. Meine nassen Schuhe liess ich vor der Tür stehen, die Trainerjacke zog ich gar nicht erst aus. Ich verschwand in mei-nem Zimmer. Keine Minute später allerdings huschte ich ins Badezimmer. Ich musste unbedingt duschen. Nach der heutigen Nacht im Club und dem ganzen Tag bei Mel roch ich un-angenehm. Die Dusche war ganz erfrischend. Meine Gedanken drehten sich aber um das Koks in meiner Tasche. Die lag auf meinem Bett. Es dauerte nicht lange und ich steckte meine Finger in das Säckchen. Sniefte das weisse Pulver. Die kleinen Kristalle schossen direkt in mein Gehirn. Ich war bereit für die Aufgaben. Die Blätter, die ich auswendig lernen musste, las ich einmal kurz durch. Meine Nase zugepudert. Nach nicht einmal dreissig Minuten hatte ich alles durchgelesen und schal-tete den Fernseher ein. Lief nur Müll. Typisch Sonntag. Sondermüllprogramme. Etwa um elf kam meine Mutter. Sie ging gleich ins Bett. War total kaputt. „Geh bitte nicht zu spät ins Bett.“ Morgen musste sie arbeiten. „Nein, nein Mami, sicher nicht.“ Allerdings dauerte es noch ungefähr drei Stunden, bis ich mich dazu bewe-gen konnte ins Bett zu gehen. Die Decke zog ich über meinen Kopf. Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Ich war alles andere als müde. Ich zwang mich, die Augen zu schliessen. Einfach an nichts zu denken. Klappte nicht so ganz. Ich glitt in einen Dämmerzustand. Komische Träume. Unreal. Noch vor dem Weckergeklingel wachte ich wieder auf. Lag eine Stunde da und starrte die dunkle Decke an. Jetzt war also wieder Montag. Und bis nächsten Freitagabend ging es noch fünf Tage. Ganze fünf Tage. Zweiter Teil ------------ Diese fünf Tage schleppten sich in einem Tempo dahin, das schier uner-träglich war. Immer wieder schielte ich zur Schublade, in der ich das Koks, das Mel mir mitgeben hatte, versteckte. Ich durfte nicht anfangen, das auch während der Woche zu nehmen. Bis Freitagabend hielt ich durch. Weil ich wusste, dass ich in vielleicht nur einer Stunde zu meiner Dosis kam. Doch da irrte ich mich. Es dauerte länger. Viel länger. Im Zug bekam ich eine SMS. Sie hatten sich beim zweiten Treffpunkt verab-redet. Mel war auch schon da. Irgendetwas war anders als sonst. Ich konnte nicht sagen was. Es war komisch. Als ich ankam, warteten alle auf mich. Nur einen konnte ich nicht ausfindig machen. Nicht Slash, der war diesmal da, aber Ace fehlte. „Wo is’ Ace?“ „Ace ist tot.“ Stille. Unbegreifen. Ich verstand nicht ganz. Die anderen wussten es schon. Ace war der süchtigste Konsumierende, den ich kannte. Er schwor auf LSD. Und jetzt war er tot. Wir hatten es zwar irgendwie geahnt, dass es eines Tages soweit kommen musste. Aber gerade jetzt. So völlig unerwartet. Slash steckte sich eine Kippe zwischen die Lippen und zündete sie schwei-gend an. Wir warteten. Waren gespannt. Wollten wissen, was passiert war. Slash wusste es ausser Alpha als einziger, wollte es aber nicht erzählen, bevor ich nicht da war. Ace starb nicht an den Trips. Er war auch Kokser. Seit über zehn Jahren. Vor einigen Wochen war er schon einmal beim Arzt gewesen. Zerfressene Nasenwand. Kam vom Koks. Die Hirnblutungen wurden zu spät festgestellt. Oder gar nicht. Er starb ganz allein in seiner kleinen Wohnung an einem Schlaganfall, den Folgen von Hirnblutungen. Scheisse. Meine Hände wurden feucht. Ich hatte plötzlich kalt. Hatte ich Angst? Spüren tat ich nichts mehr. Nichts ausser Leere. Dunkle, kalte Leere. Ich suchte Mels Blick. Sie versuchte stark zu sein. Ihre Tränen zu unterdrü-cken. Matti hatte sein Gesicht an ihrer Schulter vergraben. Für ihn war es be-stimmt der grösste Schock. Er hatte Ace immer verehrt, ihn geliebt. Wie einen grossen Bruder. „Ich glaube, ich geh nach Hause.“ Ich wusste nicht, ob ich das aushalten würde. An das Koks dachte ich nicht mehr. Meine Stimme war ungewohnt leise und zittrig. Alpha nickte. „Ja, Kleine, das wäre besser für dich. Matti, du auch.“ Auch er musste seine Stimme stark unter Kontrolle halten. Sie war noch rauer anzuhören als sonst. Die anderen nickten zustimmend. Matti und ich liefen zusammen durch die Stadt. Ich konnte mich von aussen betrachten, wie ich mit gesenktem Kopf durch die Gassen ging. Wenn ich Drogen nahm, konnte ich mich auch irgendwie von aussen be-obachten. Aber es war anders als sonst. Ich war nicht eins mit meiner Umgebung, ich war ein Fremdkörper. Distan-ziert. Nicht dazugehörend. Beziehungslos zu allem um mich herum. Ich kannte mich selber nicht mehr. Am Bahnhof verabschiedeten wir uns wie zwei flüchtig Bekannte. Ich merkte nicht, wie ich einen alten Mann anrempelte, stieg in den Zug, der mich nach Hause bringen würde. Dieses Wochenende wurde zum längsten und monotonsten seit Monaten. Die Zeit dehnte sich aus wie ein Luftballon. Ich wusste nicht, was tun. Ich lag apathisch starrend auf meinem Bett. Zum ersten Mal wurde mir unbewusst klar, dass mir mein Leben ohne die end-wöchentlichen Drogenpartys keinen Spass mehr machte. Ich konnte nichts mehr anfangen mit meinem Leben. Ich fühlte mich wie ein Alkoholiker, der sich selbst erst richtig wahrnahm, wenn er getrunken hatte. Genauso fühlte ich mich erst lebendig, wenn ich wusste, dass es für mich noch zwei oder vier Lines zu ziehen gab. Ohne fehlte mir der Antrieb. Ich hatte nicht einmal Lust, etwas zu essen. Es ging mir echt beschissen. Konnte nichts tun. Dümpelte den ganzen Tag alleine vor mich hin. Mal im Bett, mal vor der Glotze. Ich nahm sogar mal wieder ein Bad. Es war überhaupt nichts Besonderes, nicht so, wie ich gehofft hatte. Ich war nah dran, irgendjemanden anzurufen. Aber ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Also liess ich es bleiben. Die Schublade zog meinen Blick an. Das Coke war noch drin versteckt. Koksen, wenn man schlecht gelaunt ist, sollte man eigentlich nicht machen. Oder war das bei Trips so, ich wusste es nicht mehr genau. Ich stand auf, befand mich plötzlich vor der geöffneten Schublade. Das Coke in meiner Hand. Mechanisch bewegte ich mich auf mein Pult zu. Kramte meine ID hervor. Ich hatte keinen Spiegel. Im Badezimmer war einer. Meine Mutter war zu Hause. Also tat ich so, als ob ich auf die Toilette müsste. Möglichst leise nahm ich den Handspiegel aus der Schublade mit den Haarbürsten. Drückte die Spülung, liess das Wasser kurz laufen. Versteckte den Spiegel in meiner Trainerjacke. Zurück in meinem Zimmer setzte ich mich nervös an mein Pult. Mein Herz klopfte wahnsinnig schnell. Beinahe verschüttete ich das weisse Pulver über die Tischplatte. Mit der ID zerhackte ich die kleinen Kristalle. Ich tat es nicht ordentlich, konnte es kaum erwarten, endlich eine Line zu ziehen. Mit zittrigen, feuch-ten Händen brachte ich das Coke in seine zwei Spuren. Mir fiel ein, dass ich gar nichts da hatte, womit ich es sniefen konnte. Mel hatte immer Röhrchen dabei. Wir benutzten nie Geldnoten. Wegen den Bakterien, hatte Mel einmal gesagt. Ich hatte keine Röhrchen. Aber einmal mit einer Note konnte mich nicht gleich umbringen, andere be-nutzten nur Geld dazu. In meinem Kässeli fand ich eine halbwegs glatte Fünfzigernote. Perfekt. Hastig rollte ich sie zusammen, beugte mich tief über den Spiegel. Das eine Ende der Note in meinem Nasenloch, das andere am Anfang der Line. Mit einem tiefen Atemzug durch das eine Nasenloch zog ich die Spur weg. Wechselte automatisch Nasenloch und Line und zog den Rest in meine Na-se. Mein Hirn explodierte. War vielleicht eine etwas zu dick geratene Line. Es fegte mich richtig weg. Schwebte zur Decke hoch. Scheisse war das geil! So ein Idiot, dieser Ace, wie konnte der nur wegen Koks verrecken? Das war die beste Droge der Welt, verdammt noch mal und der starb einfach weg. Aber was ging das mich an, war mir scheissegal. Aber meine Mam, die hatte ich wirklich extrem lieb. Ich musste es ihr sagen. Ich biss mir auf der Lippe rum. Kaugummi hatte ich keinen. Ich ging nach vorne, wo meine Mutter am Tisch hockte und einen Kleiderka-talog durchblätterte. „Mami, ich hab dich lieb“, sagte ich und umarmte sie. Drückte sie ganz fest an mich. Sie strahlte mich an. Umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich auch sehr lieb, mein Spatz.“ Ihre Augen glitzerten so schön. „Was machst du denn in deinem Zimmer? So alleine?“ Ich kokse Mami, konnte ich schlecht sagen. Aber lügen konnte ich. Kein Problem, ich war Meisterin im Lügen. „Ich lese.“ „Was denn so?“ War ja klar, dass es sie interessierte. „Ach, irgend so ein Buch für die Schule.“ Sie glaubte es mir ohne weiteres, ich grinste sie an. Versuchte mir nicht auf die Unterlippe zu beissen. „Aber ich muss jetzt wieder weiterlesen. Wollte dir nur sagen, dass ich dich lieb hab.“ Noch ein strahlendes Lächeln, dann verschwand ich wieder in meinem Zimmer. Ich konnte sie eben gut aufmuntern, ich sah doch, dass es ihr nicht besonders ging. Aber ich konnte alle aufmuntern. Ich war eben Göttin der Aufmunterung. In meinem Zimmer übte ich Handstand. Ich wusste, jetzt konnte ich es. Ich konnte mein Lachen fast nicht unterdrücken, als ich mir fast das Genick brach. Scheisse, war das komisch. Ich schüttelte mich vor lauter Lachen. Dann dachte ich wieder an Ace und wurde plötzlich traurig. Warum musste dieser Depp denn auch einfach sterben. Ich könnte ihn ver-prügeln. Aber ich wollte gar nicht an ihn denken. Ich wollte nur glücklich sein. Koksen und glücklich sein. Mein Glücksgefühl allerdings ging gerade den Bach runter. Ich schielte zum Koks, das noch auf meinem Pult war. Noch zwei klitzekleine Lines. Nur zwei kleine. Ich hatte ja noch so viel. Es blieb nicht bei der zweiten Runde. Es kam noch zu einer zweiten und dritten. Ich wollte nicht süchtig sein. Ich war nicht süchtig, ich hatte Angst davor, süchtig zu sein. Ich kokste nur gelegentlich, aber ich war nicht süchtig. Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich wusste genau, wann ich aufhören sollte. Das dachte ich mir, als ich die erste Line der dritten Runde sniefte. Dann war alles wieder vergessen und ich sonnte mich nur noch in meiner imaginären Stärke. Ich war einfach die Beste, die Grösste im Universum. Ich jumpte auf dem Bett herum. Schlug den Kopf gegen die Kante, als ich herunterstürzte. Aber mir konnte schon nichts passieren, ich war unver-wundbar. Ich war unverwundbar. Und im nächsten Augenblick lag ich heulend auf der Matratze, meinen Teddy an mich drückend. Scheisse, warum musste er nur sterben. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte ihn zurück und am Leben bleiben. Dieses Teufelszeug, ich würde nie wieder koksen. Ende der Geschichte, es war vorbei. Das wars. Blut rauschte in meinen Ohren. Salzige Perlen tropften auf das Kissen und auf den Teddy. Ich versprach mir, nie wieder zu koksen. Es versaute mir nur mein Leben. Ich war erst achtzehn, mein ganzes Leben lag noch vor mir. Und auch meine Abschlussprüfungen. Ich versprach mir, nie wieder zu koksen. Das darauf folgende Wochenende blieb ich dann zu Hause. Offiziell war ich krank. Ich verkrümelte mich in meinem Zimmer und blies Trübsal. Schaute Fernsehen. Wusste wirklich nicht was machen. Nicht einmal mehr Shoppen brachte mich auf andere Gedanken. Ich kaufte mir einen dicken, braunen Pulli. Er gefiel mir. Aber irgendwie hasste ich ihn. Wie er in dem Plastiksack steckte und nichts tat. Zu Hause warf ich ihn in eine Ecke. Schaute wieder Fernsehen. Das Koks hatte ich verpackt und versteckt. Ich verschwendete viele Gedan-ken daran. Irgendwann kam eine SMS von Mel. Ob es mir besser ginge. Die Bestat-tung fand nächsten Samstagmorgen statt. Ich wollte nicht hingehen. Ich ging trotzdem. Mit gepuderter Nase. Wie immer trafen wir uns am Bahnhof. Quetschten uns dann in Mels und Alphas Autos und fuhren zur Kirche. Ace lag ganz unschuldig in dem weissgepolsterten Sarg. In einem Anzug. Er war Geschäftsmann. Seine Kollegen standen auf der einen Seite des Sarges. Auf der anderen Seite standen seine Eltern. Die Mutter hatte den Kopf gesenkt. Sie weinte nicht. Die anderen Familienangehörigen standen daneben. Einer sah aus wie sein Bruder. Längere Haare, aber genau die gleichen Gesichtszüge. Ich wusste nicht, dass Ace einen Bruder hatte. Wir standen ein bisschen abseits vom Geschehen, doch wir verstanden je-des Wort, das gesprochen wurde. Als alles vorbei war, trat ich an seinen Sarg heran. Er sah aus, als ob er nur schliefe. So unschuldig. Er hatte plötzlich nichts mehr von einem Drogen-süchtigen. Alle Merkmale wurden weggeschminkt. Tränen standen mir in den Augen. Verbittert wandte ich mich ab. Ich konnte das nicht mehr länger sehen. Als wir gingen, sechs still in sich gekehrte Personen, fing es an zu schneien. Der erste Schnee in diesem Jahr. Ich blieb stehen und schaute in den hellgrauen Himmel. Einige Schneeflo-cken fielen wie kleine Sterne auf mein Gesicht und schmolzen sofort. Ich liebte den Schnee. Er war so rein. Alpha drehte sich um und sah mir kurz dabei zu, wie ich in den Himmel starrte. Dann kam er zu mir. Legte seinen Arm um meine Schulter. „Komm, Kleines, du erkältest dich sonst wieder.“ Ich hatte meinen Schal zu Hause gelassen. Daran gedacht hatte ich nicht mal, als ich das Haus verliess und nach draussen kam. Nicht mit dem Koks intus. Die Kälte spürte ich nicht. Ich nickte nur und zusammen folgten wir der kleinen Gruppe. Wir gingen zu Mel nach Hause. Eigentlich wollte ich dort nicht hin. Aber sie und Rich hatten vor zu kochen und hatten uns eingeladen. Also ging ich mit. Um nicht alleine zu sein. Ich genoss es, mal etwas anderes mit ihnen zu machen als die ganze Zeit nur an Partys zu gehen und Drogen in mich hineinzustopfen. Obwohl die Stimmung sichtbar schlechter war. Während dem Essen sprachen wir nicht viel und es blieb auch eine Menge übrig. Niemand hatte wirklich Hunger. Es war Nachmittag, als ich nach Hause ging. Vielleicht war das das letzte Mal, dass ich sie gesehen hatte. Nachdem ich heute Morgen meinen letzten Rest Koks weggesnieft hatte, wollte ich eigentlich nichts mehr mit all dem zu tun haben. Ich hatte es mir versprochen. Und obwohl mir das immer präsent war und mir der Schock von Aces Tod noch immer in den Knochen steckte, verabredete ich mich bereits für nächstes Wochenende wieder mit den andern. Ace war tot, aber Ablenkung würde uns allen gut tun. Das leuchtete mir ein. Also verbrachte ich den nächsten Freitagabend in einem Club, tanzend und lachend. Ace war wirklich wie vergessen an diesem Abend. Mel hatte wieder Koks dabei. Ich machte keine Anstalten, sie darauf anzu-sprechen. Unter innerem Zwang schaffte ich es sogar abzulehnen, als sie mir anbot, mitzukommen. Die sah mich an, als wäre die Welt nicht mehr in Ordnung. Alpha fragte mich, ob ich nicht mal Ecstasy probieren wollte. Gereizt hatte es mich schon lange, aber da ich immer auf Koks war, konnte ich keine Tablette nehmen. Mischkonsum hatten sie mir von Anfang an verboten. Fand ich auch gut so. Aber heute hatte ich Gelegenheit, E auszuprobieren. War schliesslich auch etwas absolut anderes als Koks. Ich nickte. Alpha brach die Tablette entzwei. Und gab mir nur eine Hälfte. „Nur mal zum Testen, nicht dass du gleich ne Überdosis hast.“ Klang plausibel. Ich warf sie in den Rachen und schluckte sie herunter. Währenddessen kam Mel herunter. Rauchend. Zugedröhnt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich auch immer so aussah, wenn ich gekokst hatte. Ich war immer eine der ersten gewesen und hatte die andern nie gesehen, wenn ich nüchtern war. Jetzt hoffte ich nur noch, dass das Ecstasy anfing zu wirken. Ansonsten hielt ich das nicht aus. Langsam wurde ich ungeduldig. Nach einer halben Stunde reichte es mir. Von Alpha verlangte ich die andere Hälfte. Er gab sie mir. Ich schmiss sie, ohne gross zu überlegen. Und wieder hiess es warten. unterdessen hörte ich Mel und Rich zu, die im Zeug rum laber-ten. Unglaublich. Dieser Müll. Jetzt konnte ich gut verstehen, was Rich noch vor vier Wochen sagte. Sie redeten wirklich Schwachsinn zusammen. Langsam verflog meine Müdigkeit. Meine Anspannung löste sich. Ganz ru-hig sass ich auf einem Sofa und sah der Menge beim Tanzen zu. Wenn ich sie mir genauer ansah, konnte ich mir vorstellen, wie viele hier auf Drogen waren. Bestimmt mehr als die Hälfte. Allmählich begann das Ecstasy zu wirken. Mir wurde schwindelig. Alles drehte sich. Eine Sekunde lang, dann war es vorbei. Anstelle dessen stieg ein Panikgefühl in mir hoch. Scheisse, was sollte das? Dann breitete sich ein wohliges Gefühl in mir aus. Mir wurde ganz warm und leicht ums Herz. Es war alles plötzlich ganz wunderbar. Ich war okay, der Club war okay, die andern waren okay und das Ecstasy war okay. Alles war okay. Ich fühlte mich toll. Die Musik dröhnte lauter als vorher. Der Bass zwang mich zum Tanzen. Ich musste tanzen. Also stand ich auf, ich konnte nicht mehr stillsitzen. Alpha kam mit mir, als ich ihm sagte, dass ich unbedingt tanzen wollte. Aber nicht alleine. Auf der Tanzfläche hatte es nicht viel Platz. Es störte mich überhaupt nicht, ich freute mich für die andern, dass sie Spass hatten am Tanzen. Und ich freute mich, dass Alpha mit mir tanzte. Ich umarmte ihn. Sah, wie er lächelte. Wir tanzten. Von Lied zu Lied. Einmal kamen noch Rich und Mel zu uns. Tanzten mit. Wir waren eine grosse, zugedröhnte Familie. Ich fand das super, dass wir alle so miteinander tanzten. Das hatten wir schon lange nicht mehr gemacht. Ich mochte sie wirklich unglaublich gerne. Und ich Idiotin hatte mir tatsächlich überlegt, mich nicht mehr mit ihnen zu treffen. Darüber konnte ich nur noch lachen. Ich konnte nur noch über mich lachen. Wie dämlich ich doch war. Und dann erzählte ich alles Alpha. Dass ich nie mehr wieder Koks nehmen wollte und dass ich mir Gedanken darüber gemacht hätte, den Kontakt mit ihnen abzubrechen. Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich mich dafür geschlagen. Aber ich war auf E. Folglich ruhig und gelassen und in Hochstimmung. Und Alpha auch. Er verstand mich. Und er war froh, dass ich das nicht gemacht hatte. Also, den Kontakt abgebrochen. Dann erzählte er mir von sich. Mir wurde das erste Mal bewusst, dass ich eigentlich überhaupt nichts von ihm wusste, ausser dass er zwanzig war und irgendwo in einer Firma arbeitete. Er hatte Ace kennen gelernt, als er noch Lehrling war. Ace betreute ihn da-mals. Vor sechs Jahren. Bei den Abschlussprüfungen hatte Ace ihm sehr geholfen. Und an der Abschlussparty war Ace eingeladen. Im Schlepptau Mel und Rich. Und da erzählte Mel ihm, sie habe Koks dabei. Aus heiterem Himmel. Sie kannten sich gar nicht. Verrückt. Alpha hatte sich nichts dabei gedacht. Seit da hing er an den Drogen. „Ich wollte auch schon aufhören.“ Seine Drogenkarriere begann also mit achtzehn. Mit Koks. Genau wie bei mir. „Warum hast du’s nicht gemacht?“ Dumme Frage. Natürlich aus dem gleichen Grund wie ich. Sie waren Freunde. Und er kam nicht mehr davon los. Um nicht die ganze Zeit mit Rupfen zu verbringen, liess er sich dann einmal LSD von Ace geben. Allerdings war er bereits der eher stillere Typ und LSD machte ihn extrem müde. Als Zwischenlösung fand er Ecstasy. Irgendwann einmal stieg er komplett darauf um. Ecstasy war seine Droge. So wie LSD Aces Droge war. Und so wie Koks die Droge von Mel war. Der Schneekönigin. Die Drogen schweissten uns zusammen. Zu einer bunten, konsumierenden Familie. Und ich war froh, ein Teil davon zu sein. Ein Teil unserer Drogen-familie. Wir tanzten die ganze Nacht durch. Bald mal ohne Mel und Rich. Die ver-schwanden andauernd auf der Toilette. Alpha und ich hingegen schmissen noch eine ganze Tablette. Kurz bevor wir gingen. Die Nacht verbrachten wir bei Mel. Wie immer. Meine ruhige Hochstimmung hatte mich noch immer nicht verlassen. Allerdings war ich nicht so wach wie auf Koks. Meine Augen waren schwer. Starrten in die Flimmerkiste. Der Film, den wir schauten, komisch. Ich schloss kurz die Augen. War weg. Auf der Stelle. Sackte gegen Mels Schulter. Dann, mit einem Ruck war ich wieder bei Sinnen. Vollständig da und wach. Der Film lief immer noch. Mel sah mich an. „Alles okay?“ „Ja klar, ich bin nur eingeschlafen.“ Blinzeln. „Für eine Sekunde?“ Eine Sekunde. Es fühlte sich an, als ob ich mindestens einen Tag verschla-fen hätte. Ich nickte ein wenig bedröppelt. Wandte mich wieder dem Film zu. Meine Zähne schmerzten. „Alpha, meine Zähne tun weh.“ Er sah mich lieb an. „Das ist normal. Beim ersten Mal.“ Beim ersten Mal. Ich kam mir vor, als hätte ich null Ahnung von Drogen. Als hätte ich das erste Mal in meinem Leben Drogen konsumiert. Aber das stimmte nicht. Überhaupt nicht. Das erste Mal war schon fast vier Monate her. Das erste Mal Ecstasy allerdings war vor sechs Stunden. Und ich spürte deutlich, wie die Wirkung nachliess. Übelkeit breitete sich in meinem Magen aus. Mein Kiefer verspannte sich schrecklich. Ich wollte nur noch kotzen. Alles drehte sich. Mir war heiss. Draussen war es weiss. Der Schnee hatte den ganzen Balkon verdeckt. Schnee war kalt. Mir war heiss. Ich wollte zum Schnee. Mein Körper wollte nicht. Er war taub. Spielte nicht mehr mit. Ich bekam Panik. Zitterte am ganzen Leib. Die anderen schienen nichts zu merken. Sassen ruhig auf dem Sofa und glotzten in den Fernsehen. Ich hätte am liebsten geschrien. Aber mein Kie-fer war so verspannt, dass ich ihn nicht mal bewegen konnte. Mir war so heiss. So schrecklich heiss. Mein Magen zog sich zusammen. Ich wollte kotzen. Alles drehte sich. Es tat weh. Alles tat mir weh, mein ganzer Körper zitterte und schmerzte. Ich wollte sterben. Lieber sterben als das noch eine Minute länger ertragen zu müs-sen. Der Fernseher warf flackernde Lichter an die Wand. Und die Schatten. Frat-zen. Fratzen auf den Wänden. Bösartig. Hilfe. Ich wollte schreien. Sie hörten mich nicht. Starrten in den Fernseher. Er-starrt. Wie Puppen, bewegungslos. Versteinert. Mein Atem wurde immer heftiger. Mein Herz zog sich zusammen, alles schmerzte, alles verkrampfte sich. Alles gefror zu Eis. Panik. Ich hatte Panik. Hyperventilierte. Meine Augen rollten. Ich konnte nichts mehr fixieren, mein Blick schweifte über meine Freunde, über die Wände und die Fratzen. Die Fratzen. Sie wurden grösser, waren lebendig. Kamen näher. Hilfe. Sie hörten mich immer noch nicht. Hilfe. Warum halfen sie mir nicht. Die Fratzen. Wurden rot. Begannen zu verlaufen. Rote Farbe verschmierte die Wände. Rot wie Blut. Blut tropfte die Wände runter. Blut und Gedärme. Die Augen. Meine Augen. Sie liessen sich nicht schliessen. Ich wollte sie schliessen, sie waren weit aufgerissen. Hilfe. Ich bekam keine Luft mehr. Die Wände bekamen Risse. Blut tropfte heraus. Spritze in mein Gesicht. Ich schrie. Und ich schrie wirklich. Die versteinerten Puppen neben mir schreckten auf. Ich kippte vorüber. Schweissgebadet, zitternd vor Kälte. Leichenblass. Sofort waren alle um mich herum versammelt. Beugten sich über mich. Ihre Fratzen starrten mich an. Hilfe. Alpha drehte mich vorsichtig um. Mel verschwand hastig im Badezimmer und kam mit einem nassen Lappen zurück. Die Fratzen sollten verschwinden. Ich wollte, dass sie weggingen. Mit aller Kraft presste ich meine Augen zusammen. Tränen überströmten mein Ge-sicht. Mel drückte mir den nassen Lappen ins Gesicht. Über die Augen. Ich spür-te, wie mich jemand hochhob, klammerte mich an ihm fest. Ich hatte immer noch Angst. Ich wusste, dass die andern jetzt wieder für mich da waren. Aber die Fratzen. Ich wollte einfach, dass mich jemand festhielt. Mich beruhigte. Bei mir blieb. Ich zitterte noch immer am ganzen Leib. Viele Stunden mussten vergangen sein. Ich hatte mich einigermassen be-ruhigt. Das Zittern jedenfalls hatte aufgehört. Mel und Alpha sassen die ganze Zeit bei mir und redeten mit mir und mit sich selbst. Ich wusste es, auch ohne dass die beiden es aussprachen. Ich hatte einen Horrortrip. Alpha meinte, die letzte Tablette wäre zu viel gewe-sen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich noch nicht über Aces Tod hinweggekommen bin. Es tat ihm leid. Wie oft er das sagte. Ich wusste nur noch, dass ich nie mehr in meinem Leben Ecstasy schlucken würde. Nie mehr wieder. Ich hatte Angst vor dem Einschlafen. Angst davor, dass die Fratzen wieder auftauchen würden. Die Fratzen und das Blut. Sehr viel Zeit verging, bis ich vollkommen runterkam. Bis der Horrortrip und die Wahnvorstellungen vorbei waren. Bis ich keine Angst mehr hatte, die Augen zu schliessen oder alleine zu sein. Dafür heulte ich den Rest des Tages. War total fertig. Und abends war dann alles vorbei. Ende des Horrors. Ende der Panik. Nie wieder Ecstasy. Dafür tauchte Ralph auf. Er hatte noch Acid. Also LSD. Er wollte sie uns schenken. Eigentlich hatte er sie für Ace organisiert, aber der war nun mal nicht mehr am Leben. Wir nahmen sie. Obwohl niemand hier LSD schmiss. Schaden konnte es nicht, dachten sie. Sie konnten sie immer noch verkau-fen. Epilog: Alternativer Schluss ---------------------------- Doch auch nächstes Wochenende hatten sie die Tabletten immer noch nicht verkauft. Ich war erleichtert darüber. Konnte mir auch denken wieso. Einerseits dachte ich bestimmt, es wäre eine Schande, sie zu verkaufen, immerhin waren das die einzigen Erinnerungsstücke an Ace. Andererseits aber liebäugelte ich bereits mit ihnen. Vielleicht war die Reihenfolge auch anders rum. Zuerst ich, dann Ace. Alpha hatte sie in den Club mitgenommen. Er liebäugelte sicher selbst auch damit. „Du, was willst du denn jetzt mit denen machen?“ Es interessierte mich schon ziemlich. Aber er zuckte nur die Schultern. „Weiss nicht. Vielleicht schmeissen.“ Er war auch der einzige unter uns, der Drogen nur in Tablettenform konsu-mierte. Alle andern hier snieften oder rauchten sie. Und nun ja. Nachdem ich mir geschworen hatte, mit Koks aufzuhören und auch der Versuch mit Ecstasy absolut schief gegangen war, zog ich es schon even-tuell in Erwähnung, mal LSD auszuprobieren. Schlimmer als der Horrortrip auf E konnte es ja wohl nicht sein. Und da mein Mitteilungsdrang Alpha gegenüber irgendwie immer überhand gewann, teilte ich ihm das auch sofort mit. Er überlegte ein bisschen. Schliesslich kam er dann zum Schluss, dass LSD nichts mit Ecstasy zu tun hatte und gab mir eine Tablette. Eine halbe. Ohne gross zu überlegen warf ich sie mir in den Rachen. Schluckte sie her-unter. Und wartete, dass die Wirkung eintrat. Über eine halbe Stunde lang. Ich musste dringend auf die Toilette. Bis jetzt hatte ich geklemmt. Der Flash sollte nicht kommen, wenn ich alleine war. Aber ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste wirklich ganz dringend. Was für eine Erleichterung das doch war. Ich wollte gerade die Spülung drücken, als mir leicht schwindelig wurde. Die Spülung war unglaublich laut. Das Wasser begann sich zu verfärben. Rot und blau und gelb. Es strahlte in bunten Farben. Und es wurden immer mehr. Vereint in einem Wirbel. Regenbogen. Das Wasser ebbte ab. Ich spülte nochmals. Im Rausch der Farben starrte ich fasziniert in die Schüssel. Und spülte. Spülte noch mal. Jetzt klopfte jemand an der Tür. Der Schlag auf die Holztür hallte in meinem ganzen Kopf wider, ich beachtete es nicht und drückte die Spülung, ich versank im Strudel der Farben und im Rauschen und ich spülte und ich spülte und konnte meine Augen nicht von der Schüssel abwenden, in der das Farbenspiel stattfand, ich wollte nur noch spülen und den Farben zusehen. Ich spülte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)