Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 26: Wiedersehen in Spinners End --------------------------------------- Kapitel 26 : Wiedersehen in Spinners End Harry spähte noch einmal vorsichtig nach allen Seiten zur Tür hinaus, dann zog er sich zurück und schloss behutsam die Tür des verlassenen Klassenzimmers, in das er Hermine hineingezogen hatte. In dem Moment, als er sich umdrehte, als sie in sein Gesicht, seine Augen sah, wusste sie, dass sie besser nicht hier sein sollte. Es lag keine Abneigung in seiner Miene, doch ein beklemmend wissender Ausdruck. Hermine wich einige vorsichtige Schritte zurück, bis sie mit dem Hintern gegen einen Tisch stieß. Ihre Knie wurden weich, während er nur still vor ihr stand und so unbehaglich wirkte wie jemand, der ein ernstes Thema ansprechen muss, vor dem er sich selbst fürchtet. Sie warf ihre Tasche auf den Tisch und hüpfte dann selbst darauf. „Was gibt es denn?", fragte sie leichthin in einem kläglichen Versuch unbekümmert zu wirken. „Ich will mit dir reden. Aber nicht so." Er seufzte und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Statt zu ihr, ging er zum gegenüberliegenden Fenster und sah nachdenklich in die untergehende Sonne hinaus. „Warum? Was ist denn? " „Du solltest den Knutschfleck an deinem Hals entfernen. Es wäre nicht gut, wenn dich jemand so sieht." Hermines Inneres zog sich auf die Größe einer Erbse zusammen. Eiskalte Schauer liefen ihr über den Rücken. „Oh", murmelte sie betreten und befühlte die Stellen an ihrem Hals, wo sie das verräterische Mal vermutete. Sie ahnte schon sehr deutlich, worauf er hinauswollte. Mit zitternden Fingern kramte sie aus ihrer Tasche einen Spiegel hervor und hielt ihn vor sich. Ihr eigenes Gesicht spiegelte sich feuerrot darin wider, als sie blasse Bissspuren auf ihrer Kehle erkannte. „Du musst ihm unbedingt sagen, dass er besser aufpassen soll!", raunte Harry dem Fenster in verschwörerischem Ton zu. Er seufzte tief, lehnte sich etwas zurück, um die großen Flügel weit zu öffnen. Frische Sommerluft wehte herein und brachte den Geruch nach frisch gemähtem Gras und Blumen mit sich. „Wer… wer soll aufpassen?" Trotz des warmen Wetters hatte sie eine Gänsehaut bekommen. Hermine fröstelte und griff nach ihrer Tasche, die sie sich wie zum Schutz vor die Brust hob. „Das weißt du doch." Harry warf ihr einen kurzen Blick über die Schulter zu, deutete mit dem Finger auf seine Halsbeuge und drehte sich wieder um. Der Spiegel drohte ihr aus den Händen zu fallen, als sie ihn höher hob, um die Stelle zu betrachten, auf die Harry gedeutet hatte und an der sich der Fleck befand. Sie war so nervös, dass ihr Zauberstab glühte, als sie mit der Spitze ihren Hals berührte. Sie zuckte zusammen und stieß einen leisen Schmerzenslaut aus. Harry achtete nicht darauf. Er nestelte nervös am Fenstergriff herum, den er immer wieder und wieder hin und her und hin und her drehte. „Nachdem die Karte des Rumtreibers weg war, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Ich habe ein paar Dinge probiert, die haben aber alle nicht so geklappt. Naja, irgendwann dachte ich dann… es hat doch schon einmal funktioniert." „Was?", fragte Hermine beklommen und legte den Zauberstab neben sich ab, um die Tasche wieder fest an sich ziehen zu können. „Dobby!" Hermine hielt die Luft an. Sollte sie eben noch die geringste Hoffnung gehabt haben, dass er von etwas anderem sprach, machte er dies Sekunden darauf zunichte: „Dobby hat ihn beschattet. Die allermeiste Zeit. Gut, ab und zu hat er auch geschlafen… aber er war nie weit von ihm weg und Dobby kann sich tarnen. Er kann sogar schreiben… wusste ich gar nicht. Wusstest du das?" Hermines Mundwinkel verzogen sich bei dem Gedanken an all das, was Dobby hätte aufschreiben können, unglücklich nach unten. Sie schüttelte kraftlos den Kopf, als ihr Harry einen fragenden Blick zuwarf. Er drehte sich um, lehnte mit den Rücken gegen die geöffnete Fenstertür und betrachtete Hermine eine Weile lang mit verschränkten Armen. „Ich habe hundert beschriebene Blätter. Ich weiß genau, wann er Briefe per Eule versandt hat, ich weiß, mit wem er sich getroffen hat. Ich weiß, wer von den anderen auch alles zu den Todessern gehört oder mit ihnen sympathisiert. Ich weiß, was mit Kingsley und Flitwick geschehen ist. Ich weiß, wie oft er bei Madam Pomfrey war, wohin er geht, wenn er nicht in der Schule ist und auch, was er und diese Todesser-Azubis seit den Ferien hier alles treiben." Harry seufzte tief. „Und Dobby hat mir eine genaue Auflistung gegeben wann, wo und wie oft Malfoy mit dir in den letzten Monaten geschlafen hat." Hermine stöhnte und schlug sich die Hände vor die Augen. Ihr Geist arbeitete fieberhaft an einer Ausrede, einer Erklärung… irgendetwas. Worte formten sich und verflossen wieder. Zuviel… zu viel ging ihr in diesem Moment durch den Kopf, um auch nur einen klaren Satz denken zu können. „Hör mal, Hermine. Ich bin nicht hier, um dir eine Moralpredigt zu halten. Ganz egal wie eklig ich die Vorstellung finde, dass du… mit… mit … ihm…", und seiner offen kundgetanen Gleichgültigkeit zum Trotz, spuckte er das letzte Wort aus, als wäre es bitter und sauer zugleich, „mit Draco ins Bett gehst. Das ist… absolut… pervers, aber darum geht es jetzt nicht. Es geht…" „Moment mal, soll das heißen, dass Dobby uns zugesehen hat?", quetschte Hermine panisch hervor und lugte vorsichtig zu Harry, dessen Gesicht deutlich an Farbe verloren hatte und der fast so verloren aussah wie Hermine sich fühlte. „Nein, natürlich nicht. Ich sagte doch… er hat ihn… beschattet. Ich… ich hab ihm eben gesagt, dass er wirklich alles aufschreiben soll, nachdem…" Er hustete und hielt sich die Faust vor den Mund, auch dann noch, als er weitersprach. „Erinnerst du dich? Ist ein paar Monate her… Ginny und ich saßen im Garten und sie hat wegen Ron geweint und auf einmal… war… war Malfoy da und hat behauptet, dass du ihn belästigt hättest." Hermines Hände fielen schlaff nach unten. Ihr war übel… sie nickte matt. „… das war so dämlich und… naja… gut, wir sind ja allerhand Dämliches von ihm gewohnt. Aber du hast anders ausgesehen… nicht wirklich beleidigt. Ich hab Ginny mit irgendwas vertröstet und bin ihm nachgelaufen… und dann… dann warst du bei ihm." Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. Statt zu ihr, sah er auf seine Hände hinab. „Es gab einfach einiges, was nicht zusammengepasst hat. Er ist absolut gefährlich, er hätte alles Mögliche machen können… und… jedenfalls hat ihn Dobby von da an beschattet. Ich musste wissen, was er treibt und", er hustete, doch dieses Mal nahm er die Hand sofort wieder weg und sah Hermine offen ins Gesicht, als er mit fester, eindringlicher Stimme weitersprach, „was ihr miteinander zu schaffen habt. Ich habe eine Nacht darüber geschlafen und… je länger ich nachdachte, desto mehr schien vieles Sinn zu ergeben. Wir wussten damals schon, dass es einen Verräter gibt und wir wussten, dass er irgendwie mit ihm in Kontakt stehen muss. Ich musste wissen, ob du… naja… so viel war es ja nicht. Laut Dobby… laut Dobby hat er das meiste ja wirklich ohne dich geregelt. Er hat mit den anderen nicht über dich geredet. Dich hat er wohl nicht ausspioniert. Naja… und da er dich auch nicht geschlagen oder zu anderen Dingen gezwungen hat, da… naja…" Er zuckte die Achseln und fuhr sich in einer verspannt wirkenden Geste ungelenk durchs Haar. „Da dachte ich halt… dein Problem. Also vielleicht lag's ja an der Einsamkeit nach Rons Tod. Naja… nach den Ferien schien es eh vorbei zu sein. Hmm, bis jetzt eben. Nicht?" Hermine hielt sich beschämt die Hände vors Gesicht, weil ihr mehr und mehr klar wurde, was Dobby alles gesehen haben musste. Harrys Schritte kamen näher, noch näher, dann wackelte die Bank und sie hörte seine Stimme nicht mehr vor, sondern direkt neben sich. „Das war für uns alle eine schwere Zeit. Da ist man vielleicht… weiß nicht. Einsam und verzweifelt. Jeder braucht ja irgendwo menschliche Wärme. Warum das jetzt ausgerechnet er sein musste…", er schnaubte ratlos, „… ist ja auch egal. Vielleicht war er mal zur richtigen Zeit zur Stelle. Und er hat ja selbst genug Probleme, vielleicht wollte er die auch mal vergessen. Ist mir im Prinzip egal, aber das muss sofort aufhören. Du darfst nicht wieder mit ihm irgendwas anfangen." Hermines Hände sanken herab, sie drehte sich zu Harry um und durchbohrte ihn mit einem mahnenden Blick. „Willst du mich jetzt für verrückt erklären lassen, weil ich mit… oh Gott!" Hermine zuckte zusammen und bedeckte die Augen wieder mit den Händen, als ihr klar wurde, wie das alles für Außenstehende wirken musste. Harry atmete tief durch und biss sich auf die Lippe. Er schien angespannt, nicht einfach nur angewidert, ihm musste wesentlich mehr auf der Seele liegen. „Hör mal, das ist deine Sache. Du kannst mit ihm treiben", er grinste schief, bis Hermine ihm empört auf den Arm boxte, „was du willst. Darum geht es nicht… wenn die Dinge anders wären, könntest du mit ihm machen was du willst. Aber jetzt… das ist alles furchtbar gefährlich. Ich war neulich bei Hagrid und der… er hatte was getrunken und hat auch schon Andeutungen gemacht. Madam Pomfrey… ja, gut, das ist ein anderes Thema. Aber", er deutete mit beiden Händen auf seine Brust. „Auch wenn es nach den Ferien aufgehört hat… glaub ja nicht, dass niemandem aufgefallen wäre, wie du ihn ansiehst." „Ach was, das bildest du dir ein", gab sie empört zurück. Harry schnaubte und schüttelte ungeduldig den Kopf. „Hermine. Wenn ich es gesehen habe, dann haben es vielleicht auch andere gesehen. Wir wissen, dass Draco irgendjemand hat, der mit ihm redet und ihm… das eine oder andere verraten hat. Wenn man nun rausfindet, dass du mit ihm… wer-weiß-was treibst. Denk doch mal nach!" Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern, sah sich nochmal vorsichtig nach allen Seiten um und beugte sich zu ihrem Ohr. „Sie denken den ganzen Tag an nichts anderes mehr als daran, wie sie ihn am schnellsten umbringen können. Er ist total irre und eine Gefahr. Nicht nur, weil er dir vielleicht auch noch etwas tut, sondern weil es sehr schlecht wäre, wenn man dich für seine Komplizin hält. Hermine, wenn sie glauben, dass du eine Verräterin bist, dann stirbst du auch!" Hermines Atmung setzte einen, noch einen, und einen weiteren Herzschlag aus. Vermutlich zitterte sie, sie spürte es nicht, doch ihre Knie schienen zu wackeln, als sie auf sie hinuntersah. Ihr Sichtfeld verschwamm, als wäre sie unter Wasser und ein dumpfes Nichts breitete sich in ihr aus, bis sie endlich wieder atmen konnte. Sekunden oder auch Minuten später. Sie selbst hätte es nicht sagen können, sie nahm nur wahr, dass Harry sich nicht mehr zu ihr lehnte, sondern nach vorne gebeugt neben ihr kauerte und seine Hände knetete. „Das würden sie nicht tun", hörte sie ihre eigene, fremd klingende Stimme wiedersprechen. „Doch. Sie würden… sie sind verzweifelt und sie wissen, dass sabotiert wurde. Der Angriff auf das Manor im letzten Herbst, diese Wohltätigkeitsveranstaltung…" „Aber ich bin doch nicht gegen euch. Es ist doch nur, ich konnte nicht…" Hermine verzweifelte Rechtfertigungsversuche wurden durch ein abgehacktes Kopfschütteln von Harry unterbrochen. „Ich will es nicht hören", fuhr er sie barsch an, ohne sie jedoch anzusehen. „Ich sagte doch, ich vertusche auch einiges." Er drehte sich zu ihr um und jetzt sah sie, wie müde und grüblerisch er doch aussah. Kein Vergleich mehr zu dem Tatendrang, den sie sonst in ihm gesehen hatte. „Denkst du, ich finde diese Dinge gut?" Er stöhnte und schüttelte den Kopf. „Es ist alles aus dem Ruder gelaufen", murmelte er wieder zu seinen Händen gewandt. „Das hätte alles ganz anders gehen sollen. Schneller und mit viel weniger Beteiligten. Jetzt haben wir einen offenen Krieg." Er zuckte die Achseln. „War ja zu erwarten, oder? Wie konnte denn irgend jemand glauben, dass wir einfach im Vorbeigehen Top-Todesser ausschalten können, ohne dass es jemand merkt oder ohne dass sich jemand wehrt." Er seufzte, und beugte sich wieder nach vorne, um sich auf seinen Knien abzustützen. „Ich will nicht hören, was du sagst, da sie vielleicht Legilimentik gegen mich einsetzen… Ich habe das mit der Okklumentik nie hingekriegt. Das weißt du. Da ist dein Draco besser, ich habe es mehrmals versucht... aber er ist echt gut. Ich bin eigentlich nicht sicher, ob die anderen es tun würden. Aber ich würde es ihnen zutrauen und deswegen will ich uns zumindest nicht noch weiter reinreiten. Sie denken eh zuviel über dich nach. Vielleicht auch über mich, ich weiß es nicht… aber mir würden sie es weniger zutrauen, glaube ich. Was immer du aber getan hast… glaub mir, ich verstehe warum und ich habe es auch schon gemacht. Ich bin nicht zufrieden damit, wie es ist. Aber ich will auch nicht tatenlos zusehen, wenn Leute angegriffen werden, die nur ansatzweise oder vielleicht gar nichts mit dem ganzen zu tun haben. Und dann Malfoy…" Er lachte und schüttelte den Kopf. „Malfoy! Das ist vielleicht eine traurige Figur. Sie werden ihn umbringen, das weißt du. Nicht in der Schule… sicher nicht. Aber sobald sie ihn draußen erwischen... und bald ist die Schule für uns und für ihn vorbei und dann gibt es da eh keine Hinderungsgründe mehr." Er atmete tief durch die Nase ein, dann drehte er sich zu ihr um und musterte sie neugierig. „Wie geht das denn mit euch weiter? Hat er vorhin irgendwas gesagt?" Hermine zuckte die Schultern und stellte ihre Tasche von ihrem Schoß, um sich ebenfalls nach vorne sinken lassen zu können. „Nein. Muss er aber auch nicht, die Sache ist vorbei." Hermine schluckte, da ihr Hals sich bei diesen Worten schmerzhaft verengte. Ein Schmerz, der ihr sicher allzu offensichtlich ins Gesicht geschrieben stand und so wagte sie auch nicht Harry anzusehen, sondern sah weiter auf ihre baumelnden Füße hinab. „Als es anfing, war er noch ganz anders und die ganze Situation war anders. Aber jetzt… Es geht eben nicht mehr, das wissen wir beide und deswegen ist das Thema beendet!" „Dann ist es ja gut. Halte dich so weit wie möglich fern von ihm. Sie verdächtigen dich, aber nur ich weiß es. So soll es bleiben. Halte dich fern von ihm, oder…" Hermine stöhnte und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. „Es tut mir so leid, Harry. Ich schäme mich so… Du musst ja sonst was von mir denken, aber ich… ich …" Sie fühlte seine Hand, die beruhigend über ihren Rücken strich. „Es ist schon gut, ich weiß, dass das…" „Gar nichts weißt du", wimmerte sie. „Du weißt nicht, wie das mit ihm ist." Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Harry drückte sie an sich. Er fummelte ungeschickt in seinem Umhang herum, bis er ein offenbar unbenutztes Taschentuch fand, das er in ihre zitternden Finger drückte. „Mach dir keine Vorwürfe. Es weiß ja niemand und er wird es sicher auch keinem verraten. Es ist doch jetzt vorbei!" Hermine schnäuzte sich geräuschvoll. Sie erwog, Harry ihr Herz auszuschütten. Erwog, ihm zu sagen, dass es nicht, zumindest nicht nur, die Angst vor Draco war, die sie zum Weinen brachte, sondern dass sie ihn, so krank und abartig das auch klingen mochte, wirklich vermisste. Zumindest so, wie er vor den Ferien war. „Es ist schon gut, Hermine… Und ich bin eigentlich noch aus einem anderen Grund hier!" Hermine schniefte und nahm die Hände von ihrem Gesicht. „Wieso?" fragte sie, putzte ihre Nase und rutschte etwas weg, um Harry in die Augen sehen zu können. Er zog seine Mundwinkel unbehaglich von links nach rechts, kratzte sich am Ohr und zog die Stirn in Falten, „Tja…", begann er zaghaft. „Malfoy ist nicht der Einzige, der manchmal weg muss, um Leute zu besuchen!" Hermine schluckte schwer, schloss die Augen und atmete tief durch. „Ich bin nicht sicher, ob ich mit dir darüber reden möchte", antwortete sie mit belegter Stimme und schämte sich gleichzeitig für diesen Satz, da sie Harry Aufmerksamkeit verweigerte, die sie Draco immer wieder gewähren würde. „Ich bin aber sehr sicher, dass ich dir das jetzt sagen möchte", fuhr Harry ruhig, doch mit soviel Nachdruck fort, dass klar wurde, dass er heute keine Rücksicht auf was auch immer bei ihr nehmen wollte. „Du erinnerst dich an Herbert?" „An wen? Wer ist das? Ist das…" Hermine wurde bleich. „Ist das ein Todesser? Harry, ich will wirklich nicht…" Sie konnte nicht mehr weitersprechen, weil Harry angefangen hatte schallend zu lachen. „Nein", japste er angestrengt und musste sich seine bereits gefährlich verrutschte Brille herunternehmen. „Nein, nein." Wieder kicherte er in sich hinein, bis er sich unter Hermines indignierten Blick endlich soweit beruhigen konnte, um weiterzusprechen. „Herbert ist doch Hagrids Horkruxschwein!" „Ach so", sagte Hermine und verstand jetzt gar nichts mehr. „Und… äh… Moment… willst du Horkruxe suchen?" „Nein!" Harry räusperte sich und rubbelte sich über sein Gesicht. Nun wirkte er gar nicht mehr belustigt, nun schien die Realität des Abends das Gekicher doch endlich erstickt zu haben. „Nein, aber… wir haben festgestellt, dass Herbert eben nicht nur Horkruxe, sondern auch alles andere findet, wenn er an etwas, das dazu gehört, schnüffeln kann." Er seufzte schwer, setzte die Brille wieder auf und verspannte sich. „Auch Menschen!" „Oh!" Dieses Mal, konnte Hermine sich schon wesentlich mehr darunter vorstellen. „Oh", war jedoch alles, was sie auch das zweite und dritte Mal, als sie ihren Mund öffnete, sagen konnte. Nur klang es nicht mehr erstaunt wie beim ersten Mal, sondern zunehmend panischer. „Oh, Harry… du… du kannst doch nicht…" „Wieso nicht? Denkst du, es wäre das erste Mal?" Hermine wurde kalt und schwindelig. „Das… erste… Mal? Harry… hast du…?" „Das spielt jetzt keine Rolle", schnitt er ihr barsch das Wort ab und packte sie am Arm. „Komm jetzt. Wir gehen jetzt zu Hagrid und holen Herbert ab!" Er riss an ihrem Arm, doch Hermine konnte sich nicht rühren, zu viel Angst vor dem, was er angedeutet hatte, die sie lähmte. Harry zog abermals und Hermine begann leise zu wimmern. „Ich will da nicht mit…" Harry verdrehte die Augen. „Ich… nein… das wird wahrscheinlich nicht passieren!" „Wahrscheinlich?", schrie Hermine schrill. „Ich will aber auf gar keinen Fall bei sowas dabei sein! Warum überhaupt ich? Warum nicht…" „Ja, wer denn?", blaffet er ungeduldig. „Neville? Der macht nicht mehr mit. Ginny? Die will das viel zu sehr, deswegen habe ich ihr nichts gesagt. Und alle anderen sind entweder tot oder viel zu weit weg, um jetzt auf die Schnelle… Und außerdem sollen sie sich da nicht einmischen." „Aber ich will nicht", wimmerte Hermine leise. „Ich will und ich kann sowas nicht." Harrys Züge wurden weich. „Das weiß ich doch. Wahrscheinlich, wahrscheinlich wird es auch nicht soweit kommen… oder du kannst früher gehen. Komm, es wird vermutlich nicht gefährlich für uns und… bitte komm mit. Ich brauche dich dabei… ich kann da nicht alleine hingehen, sonst verliere ich die Beherrschung und mache was Dummes. Komm… siehst du… du kommst doch mit, damit nichts Schlimmes passiert. Komm, Hermine, komm… ich kann nicht alleine hingehen, aber ich muss, und zwar schnell, sonst ist er wieder weg… Komm… wir müssen uns beeilen!" Er zog die immer noch zaghafte Hermine, ohne auf ihren Protest zu achten, mit sich zum Zimmer hinaus. Hermine stolperte gehorsam hinterher. Sie wendete hin und wieder Schulvorschriften, Warnungen und einfach ihre Angst gegen diesen Ausflug ein, doch Harry zog sie erbarmungslos mit sich zu Hagrid. Der war nicht da, doch sein Schwein schon. Harry öffnete ein Fenster, nahm das Schwein auf den Arm und zog Hermine an sich. Wenn jemand sie beobachtet hatte, hatte er gesehen, dass sie gemeinsam die Hütte betraten, doch niemand würde sie die Hütte verlassen sehen, da die Tür nicht geöffnet wurde. Man würde denken, dass sie dort drinnen auf Hagrid warteten… vielleicht bis zu ihrer Rückkehr. Sie schlichen eine Weile durch den Wald. Harry, Hermine und das Schwein. Folgten einigen seltsamen Gewächsen, die, wie Harry ihr verriet, von Snape als Wegweiser zum Apparationsplatz gepflanzt worden waren. Hermine kicherte leise als sie erkannte, dass diese Blumen allesamt giftig waren. „Sehr passend für Snape, nicht?" An einer Gruppe bewaffneter Zentauren vorbei, an einer Herde von Thestralen vorbei - Harry fragte taktvollerweise nicht, seit wann Hermine diese Tiere auch sehen konnte - und sogar zwei Einhörner sahen sie, bis sie endlich eine Lichtung erreichten, an der gleich mehrere der Giftpflanzen in Form eines Drudenfußes gepflanzt waren. Harry hielt dem begierig schnüffelnden Herbert etwas unter die Nase, das Hermine nicht richtig erkennen konnte. Sie sah nur etwas Schwarzes zwischen Harrys hellen Fingern, das sofort wieder in Harrys Umhang verschwand. „Such, Herbert!", forderte er, hielt das Schwein ganz fest in seinen Armen und ließ sich von Hermine umarmen. Herbert grunzte und begann wie ein rosa Signalfeuer leuchtend zu flackern. Er erstrahlte einen Moment knallpink, dann verschwanden sie mit leisem „Plopp" aus diesem Wald und drehten sich der untergehende Sonne entgegen, bis sie kaum drei Sekunden später, auf den harten Betonboden einer verfallenen Arbeitersiedlung aufschlugen. Das ganze Gebiet wurde bestimmt von der erdrückenden Präsenz eines riesigen Fabrikgebäudes, dessen hohe, schwarze Schornsteine drohend, wie Arme, die nach Eindringlingen greifen wollten, hoch in die Luft ragten. Hermine duckte sich instinktiv und drückte sich etwas näher an Harry heran, als sie die hohen, schwarzen Röhren direkt vor sich aufragen sah. Unter der Fabrikhalle drängte sich, dicht an dicht, eine Vielzahl von schäbigen, kleinen Häusern, die in ihrer Hässlichkeit wie die Kinder des Fabrik-Monsters wirkten. Nicht so bedrohlich, doch ebenfalls feindselig. Die Wände waren vom Rauch der Jahrzehnte rußgeschwärzt, die Glasscheiben milchig-trüb und die Dächer waren von eben dem schwarzen Staub bedeckt, der auch den Rest dieser Gegend trüb und grau machte. Alles hier war grau und schwarz. Selbst das Gras und der Boden, die Bäume und die Straßen waren mit Asche bedeckt und doch schien diese Fabrik nicht einfach stillgelegt, sondern schon seit Jahrzehnten gestorben zu sein. Kein Laut um sie herum. Nicht einmal Vögel oder andere Tiere waren zu hören. Fenster waren zerbrochen, Türen aus den Angeln gerissen und um die stinkenden Mülltonnen, die hier und da am Wegesrand standen, tummelten sich noch nicht einmal Fliegen. Wahrhaftig, wie lange musste Müll denn stehen, damit er Insekten nicht mehr interessierte? „Als wäre man in einem Schwarz-Weiß-Film, nicht?", hörte Hermine Harry neben sich flüstern. Hermine verzog ihren Mund und nickte. Sie drehte sich zu Harry um, einfach nur, weil sie sich davon überzeugen musste, in diesem leblosen Nichts nicht alleine zu sein. Harry setzte Herbert auf den Boden und kniete sich neben dem Schwein auf den Boden. Herbert, dessen Zottelfell wie ein rosa Leuchtfeuer in diesem trostlosen Ort leuchtete. Trostlos… dieser Ort hier war trostlos. Hermine hatte sich unter „trostlosen Orten" nie viel vorstellen können und fand die Phrase deswegen bisher immer eher albern, doch als sie diese Umgebung sah, verstand sie. „Ich finde es hier irgendwie unheimlich", flüsterte Hermine, schlang die Arme um sich und überlegte, ob sie Herbert aus Harrys Armen herausziehen sollte, um auch etwas Wärmendes an ihrer Seite zu haben. Doch sie tat es nicht und sah stattdessen nur brav zu, wie Harry Herbert die Leine umlegte. „Irgendwie verlassen, nicht?", sagte sie und wandte sich von Harry ab, um sich hier noch einmal umzusehen. Der rot-gelbe Himmel der untergehenden Sonne ermöglichte es zwar, die groben Umrisse und Eindrücke der Arbeitersiedlung wahrzunehmen, doch war es schon zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen. Außer… „Aber da hinten brennt in einigen Häusern Licht", rief sie erstaunt und deutete mit dem Arm die verlassen wirkende Straße hinunter. Tatsächlich schien es, als ob nur direkt um sie herum, hier, der toten Fabrik am nächsten, alles leer und verlassen wäre. Weiter hinten konnte sie sogar Bewegungen ausmachen. Ein Tier vielleicht. Ein Hund, wie sich herausstellte, als sie ihre Augen verengte und angestrengt blinzelte. Eine Hand packte sie! Hermine wirbelte herum und atmete erleichtert aus, als sie sah, dass es nur Harry war. Harry selbst wirkte keineswegs erleichtert, sondern nervös und angespannt. Er deutete auf Hermines Brust und zuerst wusste sie sich absolut keinen Reim auf diese Geste zu machen bis Harry seinen Arm hob und sie sah, dass er unter dem weit vorgezogenen, auf einmal viel zu lang wirkenden Ärmel seiner Jacke den Zauberstab in der Hand hielt. In der anderen Hand hielt er Herberts Leine. Er wirkte etwas unbeholfen bei dem Versuch, gleichzeitig Leine wie Zauberstab sicher zu halten und dennoch den Tarnumhang unter seinem Pullover hervorzuziehen. Hermine zögerte einen Moment, überlegte, ob sie es wagen sollte, doch sie beschloss, dass hier weder Ort noch Zeit für Schamgefühle war. So packte sie mit einem schnellen Griff den Pullover ihres Freundes, steckte die Hand darunter und zerrte hastig den Tarnumhang hervor. Harry, im Zwielicht war das nicht so einfach zu erkennen, schien ein klein wenig rot geworden zu sein. Hermine winkte ab, weil hierzu einfach nichts zu sagen war, drängte sich dicht an Harry und warf den Tarnumhang über sie beide. „Man weiß ja nie, ob uns schon jemand gesehen hat", flüsterte sie leise und zog ihn mit sich, aus dem Schatten der Fabrik heraus, „aber immerhin können sie uns jetzt nicht folgen und sie wissen nicht…" „…doch! Wissen sie! Hier gibt es sonst nichts für uns!", schnitt ihr Harry bestimmt das Wort ab und knuffte Herbert sanft in die Hüfte, damit der sich nun auch in Bewegung setzen möge. Das Schwein hechelte wie ein Hund und statt zu laufen setzte es sich mit dem Hintern hinunter auf den langsam zerbröselnden Zement der offensichtlich selten benutzten Straße und warf Harry erwartungsvolle Blicke zu. „Ach ja… hier hast du!" Harry kramte in seiner Umhangtasche, beugte sich zu Herbert hinunter und gab ihm eines der Leckerlis, die sie aus Hagrids Hütte hatten mitgehen lassen. Harry tätschelte dem Schwein den Hals und zog ein zerfleddertes Buch aus seinem Umhang hervor. „Sag, was ist das, Harry? Ist es das, wofür ich es halte?" Harry zuckte die Achseln „Weiß doch ich nicht, was du denkst", und hob es dem begierig hechelnden Herbert vor die Nase. „Such, Herbert!" Herbert reckte die Schnauze in die Luft und schnupperte an dem Buch, als würde es nach Blumen und Frühling duften. „Hmm… er mag das", murmelte Harry und steckte den mysteriösen Gegenstand zurück in seinen Umhang. „Schwein", kommentierte Harry achselzuckend und ließ Hermine im Unklaren, wen er mit dieser Bezeichnung gemeint hatte. Herbert grunzte, warf Hermine und Harry über die Schweinelocken seiner Schultern einen auffordernden Blick zu und wackelte mit wippendem Schweinepopo los. Das Bild einer alten, beleibten Frau mit rosa gefärbter Dauerwelle drängte sich Hermine auf, sie blieb einen Moment stehen und lächelte, doch wurde sie augenblicklich von Harry in die Gegenwart zurückgeholt, der sie am Arm packte und mit ihr gemeinsam auf die Straße hinaustrat. Sie gingen an verlassenen, längst abrissreifen Arbeiterhäusern vorbei, von denen jedes die Tristesse eines Lebens in dieser Siedlung herauszuschreien schien. Es wurde noch ein wenig dunkler und sowohl Hermine wie Harry zuckten zusammen, als es über ihnen auf einmal summte und gelbe Lichtkegel von den mit der Dämmerung aufleuchtenden Straßenlaternen auf den Boden geworfen wurden. „Es scheint, dass dort drüben, da, hinter der Seitenstraße, das bewohnte Viertel losgeht", mutmaßte Hermine. Harry neben ihr nickte stumm und trottete so gehorsam hinter Herbert her, als wäre der der Herr und Harry das Haustier. Hermine fröstelte. Sie hätte sich enger als Harry drängen können, doch der machte weder Anstalten, den Arm um sie zu legen, noch sie sonst irgendwie zu beachten. „Was genau wollen wir eigentlich hier?", bohrte sie, nachdem sie die Grenze zum Wohnviertel passiert hatten. „Reden!", erwiderte Harry so knapp, dass es allzu offensichtlich war, dass er genau das jetzt nicht wollte. „Harry…" Hermine Stimme wurde brüchig. „Du willst doch nicht… ich… du… ich will nicht… du weißt", stammelte sie und stolperte Herbert ungeschickt hinterher, da eine plötzlich aufflammende Angst sie für Sekunden gelähmt hatte und sie sich nun beeilen musste, um nicht aus dem Tarnumhang herauszurutschen. „Du hast kein Streichholz dabei, oder? Das sage ich dir gleich, ich werde nicht ziehen. Ich will das nicht tun." So, nun war es heraus und Harry blieb wie angewurzelt stehen. Herbert quiekte, als Harry die Leine hart zu sich her zog und das arme Schwein durch einen Ruck am Hals zum Stehen aufforderte. Es war mittlerweile schon recht dunkel und der Schatten des Tarnumhangs über ihren Köpfen verdunkelte Harrys Gesicht wie Nebel, dennoch sah sie, wie dessen grüne Augen auf ihr ruhten und sie kalt und erbarmungslos durchbohrten. „Traust du mir das etwa zu?", zischte er wütend, trat einen halben Schritt näher, so dass sie nun dicht an dicht standen, „Denkst du, dass ich dich einfach so zu irgendjemand mitnehme und dich auffordere, ihn zu töten?" Hermine wollte nein sagen, sie wollte es wirklich und dennoch, die erstickenden Gedanken und Fragen all der letzten Monate im Sinn konnte sie nur hilflos mit den Schultern zucken und ein kaum hörbares „ich weiß nicht" hauchen. Harry knurrte unwillig, wandte sich von ihr ab und gab Herbert mit der Schuhspitze einen Stups, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. Hermine überlegte verzweifelt, ob und was sie sagen könnte, um ihre quälenden Gedanken besser auszudrücken, doch schon spürte sie erneut Harrys Hand auf ihrem Arm, der sie seitlich zu einem besonders hässlichen, wenn auch offenbar noch bewohnten, Reihenhaus zog und sich mit einem Ruck den Umhang vom Kopf riss. Hermine quiekte erschrocken, da sie für einen Moment das Gefühl hatte, nunmehr nackt auf offener Straße zu stehen. Dann jedoch zog sie ihren Zauberstab, als ihr klar wurde, dass ihr wirklicher Zustand zwar nicht ganz so peinlich, dafür aber umso gefährlicher war. Harry streckte seine angewinkelte Hand aus, zog Herbert dicht an die Tür heran und nickte Hermine zu. In Ermangelung irgendeines Einwandes erwiderte sie das Nicken. Sie schauderte, als Harry Herberts Leine losließ, und dreimal, es klang, wie ein festgelegtes Zeichen, gegen die Tür klopfte. Hermine zuckte bei jedem einzelnen Pochen zusammen und als Harry die Hand sinken ließ, kippte sie gegen seine Schulter, da ihr vor Furcht die Knie weich wurden. Nichts, kein Geräusch. Hermine wollte schon erleichtert aufatmen, doch plötzlich vernahm sie Schritte hinter der Tür. Harry deutete auf die Tür und murmelte: „Stupor, gleichzeitig mit mir!" Und bevor auch nur überlegen konnte, wer die Person war, die in diesem Moment die Türklinke herunterdrückte, trat Harry mit aller Macht gegen die Tür. Die Millimeter geöffnete Tür krachte nach hinten, stieß gegen einen Widerstand und Harry schrie: „Stupor!" Der Fluch brach aus Harrys Zauberstab hervor, ging glatt durch die Tür durch und prallte mit einem lauten „Klong" an etwas ab, das wie eine Glocke klang. Die Wucht des Aufpralls verursachte eine Druckwelle, die Hermine und Harry hart wie ein Schlag traf und sie hintenüber zu Boden gehen ließ. Die Tür schwang auf und ein extrem missgelaunter Severus Snape erschien. Er betrachtete Harry, dann Hermine und zuletzt Herbert, verdrehte die Augen und stöhnte genervt. „Welch unangenehme Überraschung!" Er schüttelte den Kopf, legte die Arme übereinander und musterte einige Sekunden lang seine ehemaligen Schüler, dann blieben die Augen doch auf Herbert haften, der an Harry vorbeigewuselt war und Snape nun fröhlich angrunzend, mit angehobenem Bein, an die Haustür pinkelte. Snape zog eine Augenbraue hoch und wandte sich an Harry: „Ein Verwandter von Hagrid?" Harry sprang auf die Füße, zückte seinen Zauberstab und schrie „Expelliarmus", bevor Snape auch nur seine Arme entfalten konnte. Nichts geschah. „Ich habe keinen Zauberstab bei mir, Sie Idiot!", zischte Snape ungehalten und hob beide Hände hoch, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Harry schnaubte verärgert, richtete den Zauberstab drohend gegen Snape und zischte wütend: „Ich bin hier, um Sie umzubringen, Mann. Ein bisschen mehr Respekt!" Snape machte ein Gesicht, als hätte er ihm dafür sehr gerne um die fünfzig Punkte abgezogen. Er nickte genervt, sah kurz über Harrys Schulter zu Hermine, die nun ebenfalls aufgestanden war, ihren Zauberstab auf ihn richtete und sah Harry dann direkt, bedrohlich düster wie eh und je, in die Augen. „Könnten wir meine Hinrichtung bitte in mein Wohnzimmer verlegen, statt hier weiter herumzustehen? Im Gegensatz zu Ihnen verspüre ich keinen Drang, meine Nachbarn zu unterhalten!" Snape wartete keine Antwort ab, sondern stieß die Tür weiter auf, um Hermine und Harry einzulassen, drehte sich um und verschwand, Harrys wütenden Protest ignorierend, in einem Zimmer am Ende des Ganges. Sie folgten, die Zauberstäbe stets erhoben. Hermine vollführte einen „Aufspürzauber", der jedoch keine weiteren Personen im Haus offenbarte. Sie waren alleine und Harry konnte… aber hoffentlich würde er es nicht tun, flehte Hermine innerlich. Zumindest nicht, solange sie dabei war. Snape führte sie in ein Zimmer, das am ehesten als heruntergekommene Bibliothek, in die ein paar schäbige Möbel gestopft worden waren, beschrieben werden konnte. Snape setzte sich in einen abgewetzten Ohrensessel und gähnte gelangweilt, als die beiden zu ihm stießen. Danach legte er die Hände auf die Lehnen, trippelte ungeduldig mit den Fingernägeln und warf den ungebetenen Gästen einen indignierten Blick zu. Hermine wurde bei diesem Bild unwohl. Severus Snape hatte eine Aura um sich, die es durchaus wahrscheinlich wirken ließ, dass er, auch wenn er sich nicht bewegen konnte, andere Menschen allein durch seinen missbilligenden Blick zu töten vermochte. „Fessel ihn!", fauchte Harry zu Hermine und die... gehorchte. Es war derselbe Fluch, mit dem sie damals Draco im Wurmloch zu Fall gebracht hatte. Wie Efeuranken schlang sich der Fluch um Snape. Band ihm zuerst die Beine zusammen, fesselte dann die Hände an die Sessellehnen und schlang sich letztendlich noch einmal um den ganzen Körper, um den ganzen Mann an seinen Sessel zu ketten. Fertig mit der Arbeit, standen Hermine und Harry vor ihm und wussten beide nicht so recht, was sie als nächstes vorhatten. „Sie wissen, warum ich hier bin?", fragte Harry schließlich. Snape begutachtete seine Fesseln und richtete danach seine Aufmerksamkeit auf die beiden, drohend gegen ihn gerichteten Zauberstäbe. „Durchaus. Sie haben ihre Absichten deutlich gemacht. Nun denn, nur zu! Tun Sie sich keinen Zwang an." Er entspannte sich, soweit die Fesseln dies zuließen und musterte seine Bezwinger erwartungsvoll. Harry leckte sich nervös die Lippen und schluckte. „Ich… ich will vorher mit Ihnen reden", flüsterte er mit tonloser Stimme. Snape verdrehte die Augen, als habe er gerade dafür jetzt keine Zeit und seufzte schwer. „Wenn es denn sein muss… Worüber?" Harry warf Hermine einen Hilfe suchenden Blick zu. Die konnte aber auch nur mit den Achseln zucken. Snape beobachtete beide mit spöttischem Blick, schließlich zuckte er amüsiert mit den Augenbrauen und offerierte den beiden Ratlosen seinen Vorschlag: „Warum beginnen wir nicht bei Ihnen… Die Todesser herrschen also nun über die Schule? Richtig? Erzählen Sie mir… wie macht sich der junge Malfoy denn so, als Schüleraufsicht? Von Finnigan hat er uns berichtet. Verraten Sie mir, hat er noch weitere Mitschüler getötet?" Snape feixte und wirkte dabei, als würde ihn der Gedanke an tote Schüler zutiefst amüsieren. „Das scheint Sie ja richtig zu freuen, dass Ihr Lieblingsschüler in ihre Stapfen als Mörder in der Schule tritt", schnarrte Harry und verengte seine Augen drohend. „Galgenhumor, Mr. Potter. Nun, darf ich erfahren, wie viele Punkte Sie ihm für diese kleine Machtdemonstration abgezogen haben", höhnte Snape belustigt. „Oh, ich vergaß. Gar keine. Sie wurden ja als Schulsprecher abgesetzt. Nun, dann wird es wohl dieses Jahr doch endlich etwas mit dem Hauspokal für Slytherin, denn ich schätze, dass Malfoy bald alle, die ihm den Sieg streitig machen könnten, eliminiert haben wird!" „Ihr Sarkasmus ist einfach widerlich." Hermine wurde zornig, weil Snape über Dracos Tat sprach, als wäre es nur eine Lappalie. Snape zog die Augenbrauen hoch und Hermine hatte bei dieser kleinen Geste das Gefühl, ein ganzes Jahr in ihrem Leben zurückgeworfen worden zu sein. Einen missmutig dreinblickenden, schnarrenden Snape vor sich zu haben, der sichtlich genervt von ihrer Gegenwart war, ließ in ihr nostalgische Gefühle aufglimmen. Sie lächelte bei diesem Gedanken in sich hinein und senkte den Kopf, da so etwas wie ein Lächeln in dieser Situation einfach unangebracht schien. Snapes eigenes Lächeln verblasste. „Die Drogen bekommen ihm nicht gut!" Hermines Kopf schnellte hoch. „Sie wissen davon, Sir?" Harry wandte sich zu Hermine um, in seinem Blick lag die selbe Frage, die Hermine gerade Snape gestellt hatte. Snape selbst verdrehte die Augen. „Ja, natürlich. Was denken Sie denn, wo er sie her hat, Miss Granger? Der Dunkle Lord hat mich angewiesen, so oft und so viele davon zu verteilen, wie es gewünscht wird. Speziell die Jüngeren unter uns wünschen dauernd." Er zuckte die Achseln und schnaubte. „Eigentlich habe ich so etwas nie hergestellt. Zumindest nicht für andere." Er zuckte gleichmütig mit den Achseln und fügte lakonisch hinzu. „Allerdings ist mein Privatkonsum etwas, was nicht mit dem, was diese Kinder tun, vergleichbar ist. Sie müssen wissen, dass ich sogar dazu angewiesen bin, jedem vor größeren Einsätzen welche zu verabreichen." Er schnalzte mit der Zunge und fuhr fort. „Tja, jedenfalls… der Lord begrüßt es, wenn die Jungen so viele Drogen wie möglich bekommen. Das hält sie vom Nachdenken ab. Je weniger sie nachdenken, desto eher machen und glauben sie alles, was er ihnen sagt. Draco ist auch so. Am Anfang fiel ihm das noch alles schwer, aber jetzt denkt der Vollidiot gar nicht mehr." Er lachte gehässig und schüttelte den Kopf. „Er glaubt das. Er glaubt das wirklich alles… Er denkt wirklich, dass er Voldemort mit Ergebenheit und Gehorsam so nützlich werden könnte, dass er ihm wichtig wird." Snape gab einen Laut von sich, der halb Husten und halb Grunzen war. „Dummes Kind! Wenn er lange genug lebt und sein Gehirn nicht vollkommen von Pillen und Whisky ruiniert ist, wird es ihm irgendwann vielleicht klar werden, dass er ihm ebenso egal ist wie jeder andere von uns. Keiner von uns ist sicher, wir sind alle nur Verbrauchsware." „Mir kommen die Tränen", spottete Harry. „Sie klingen wie frisch gefickt und weggeworfen!" Hermine runzelte die Stirn und bedachte Harry mit einem tadelnden Blick wegen dieser obszönen Ausdrucksweise. Harry zuckte gleichmütig mit den Achseln und ging weiter im Raum auf und ab. Die Stille im Raum war niederschmetternd leise und gleichzeitig doch ohrenbetäubend laut. Eine Fliege sirrte gegen ein fast vollkommen mit Büchern zugestelltes Fenster und eine Motte schwirrte willenlos unter dem Licht der Petroleumlampe herum, das sie, wie könnte es anders sein, wie magisch anzog. Jedesmal, wenn ihr winziger Körper den Lichtkegel der Lampe passierte, flackerte das darin glimmende Licht leicht auf. Winzige Schatten tanzten im Einklang mit dem Flug des berauschten Nachtfalters über Snapes ausdruckloses Gesicht. „Was genau geben Sie ihnen denn?" fragte Hermine, die weder die Stille noch die im Raum hängende Aussage aushalten konnte. Snapes Lippen kräuselten sich für einen Moment und die garstige Erwiderung schien mit aller Gewalt herauskommen zu wollen. Er runzelte die Stirn und machte ein Gesicht, als ob jeder Mensch, der nur einige Gramm Gehirn in seinem Kopf hätte, von alleine auf die Antwort hätte kommen können… nur sie nicht. Doch all dies blieb ungesagt und Snapes Züge glitten wieder in die nun überwiegende Teilnahmslosigkeit ab. „Es sind Tabletten. Keine Tränke… Ich braue es wohl als Trank, verwandle es danach aber in Pillen. Beständiger, länger haltbar und natürlich in größeren Mengen mitführbar. Das ist wichtig. Nun, ich verwende eine Mischung auf Euphorie-Elixier, Kokain und Methamphetamin." Er warf Hermine einen forschenden Blick zu, belächelte Harrys ratlosen Gesichtsausdruck und erklärte. „Es putscht auf und versetzt in Hochstimmung. Man kann danach nicht mehr schlafen und verspürt kein Hungergefühl mehr." Wieder tanzten Schatten über Snapes Gesicht, als die Fliege am Fenster ihre Versuche auszubrechen aufgab und sich stattdessen zur Motte begab, um mit ihr gemeinsam das in der Lampe gefangene Licht anzubeten. „Natürlich hat das Ganze noch weitere Effekte. Es sind wohl vor allem die Nebenwirkungen, die diese Drogen für den Dunklen Lord so interessant machen. Die Konsumenten verfallen zu Beginn in Hochstimmung, mit der Zeit wird ihnen aber eher alles egal. Das ist wichtig, da das auch bedeutet, dass sie in Gefahrensituationen weniger Angst haben und so etwas wie ein Gewissen und Hemmungen komplett ausgeschaltet werden. Ein Effekt, der sich auch bei denen ohne Drogen früher oder später, ich möchte geradezu sagen „todsicher" einstellt. Wer immer nur Mord und Todschlag sieht, gewöhnt sich irgendwann daran. Mit den Drogen geht es etwas schneller. Wir haben viele neue Leute im Moment, die wir nicht monatelang", seine Lippen kräuselten sich abermals und verliehen seinem fahlen Gesicht eine selbst für ihn erstaunliche Bösartigkeit, „einarbeiten können. Sie werden einige Tage lang bearbeitet und dann müssen sie funktionieren." Er zuckte mit den Schultern und winkte ab. „Aber wie gesagt. Früher oder später ist das alles egal. Irgendwann passen sich alle an. Nehmen Sie doch nur Ihren Mitschüler Malfoy. Als er mit sechzehn angefangen hat, hat er sich bei dem Gedanken daran, jemanden umzubringen, vor Angst angepisst. Mittlerweile ist er achtzehn und sowas ist ihm vollkommen egal." Snape seufzte, als wäre das ein besonders langweiliges und lästiges Gespräch und hob seinen Kopf, um direkt auf den gegen ihn gerichteten Zauberstab zu sehen. „Es ist einfach praktisch, die Leute mit Drogen vollzupumpen und ihnen eine Aufgabe nach der anderen zu geben. Das hält sie vom Denken ab. Ein bißchen Lob hier und da, und sie liegen ihm zu Füßen wie Hunde, die gekrault werden wollen. Es muss immer etwas getan werden. Zu langes Herumzusitzen bekommt Todessern nicht. Es hat schon seinen Grund, warum Askaban bei allen Spuren hinterläßt. Jahrelange Ruhe und keine anderen Gedanken als die eigenen Schandtaten, da muss man doch verrückt werden." Er wackelte mit dem Kopf und seufzte. „Tja… und manchmal kommt es sogar vor, dass der eine oder andere dabei sein Gewissen entdeckt. Der gute Lucius zum Beispiel." Er rollt genervt mit den Augen und schüttelte missbilligend den Kopf. „Vollidiot. Jetzt, wo es zu spät ist, wo Voldemort an der Macht ist, jetzt kommt er auf einmal auf die Idee, dass er das, was er vorher ständig gemacht hat, doch nicht gut findet. Jetzt!" Snape lachte bitter und schüttelte über soviel sinnlose Ironie den Kopf. „Ein Witz, nicht? Was für eine Witzfigur. Ausgerechnet jetzt, wo er andere Aufgaben hat und Voldemort am Ziel ist, jetzt. Und die ganzen Jahre davor… als es noch irgendwas genützt hätte… Was für ein Vollidiot!" Harry knurrte angewidert und boxte mit der Faust gegen die Wand. Im ersten Moment wirkte es auf Hermine, als ob er sich tatsächlich über eine Beleidigung gegen Dracos Vater ärgern würde, doch als Harry abermals zuschlug und sie hörte, wie hohl die getroffene Stelle klang, wurde ihr klar, dass es einen anderen Grund gehabt hatte. Harry deutet mit dem Zauberstab auf die Stelle und fragte an Snape gewandt „Dahinter?" Snape nickte desinteressiert und wandte sich von Harry ab, um die über ihm hin und her schwirrende Fliege zu beobachten. Die Wand öffnete sich und eine etwa halbmeterlange Falltür klappte nach unten und blieb horizontal zum Boden hängen. Harry griff hinein, nickte anerkennend und Hermine konnte sich nicht mehr halten. „Harry, nein", rief sie erschrocken, zog ihren Zauberstab und deutete auf das Loch in der Wand. „Was immer auch da drinnen ist, lass die Hände davon, es ist ganz sicher verflucht!" „Zweifellos", lachte Snape. „Lucius hat es oft genug bewiesen!" „Jeder Schlange ihr Gift", kommentierte Harry gelangweilt, griff hinein - Hermine schrie auf - und zog zwei Flaschen Feuerwhisky heraus. „Merlin, Snape. Wie viel haben Sie denn da drinnen versteckt?", murmelte er, bückte sich und streckte den Arm viel tiefer hinein, als es eigentlich möglich sein durfte. Hermine runzelte die Stirn, wagte es, sich aus ihrem Sessel zu erheben und gesellte sich zu Harry. Auch sie konnte ein überraschtes „oh" nicht unterdrücken, als sie in einen mehrere Meter langen Tunnel hineinsah, in dem sich eine Flasche an die nächste drängte. „Sie sind verhext. Sie müssen sagen was Sie wollen, dann kommt das Gewünschte auf Befehl herausgeschwebt", erklärte Snape hinter ihnen lakonisch. „Und zu Ihrer Frage. Es sind exakt zweihundertsiebenundsechzig. Ich habe sie gestern aufgefüllt. Ich war gezwungen, sie nach Lucius' letztem Besuch zu entfernen, doch nun… wie ich bereits sagte. Es ist für Todesser immer gut, das Denken so weit wie möglich zu vermeiden!" Hermine wusste nicht, was sie mit dieser Bemerkung anfangen sollte. Harry schien das egal. Er bückte sich wieder in den Spalt hinein und zog zwei Gläser heraus, die durch einen Schwebezauber oberhalb der Flaschen an der Decke des Tunnels hingen und stellte sie auf der heruntergeklappten Tür ab. „Elfenwein", forderte er und lachte albern, als es daraufhin tatsächlich geschäftig zu klappern begann und eine der Flaschen sich geschäftig durch ihre leblosen Schwestern hinaus ins Freie kämpfte. Er schenkte sich ein Glas ein und Hermine das nächste. „Vergiftet?", fragte Harry grinsend und nahm einen Schluck. „Bedauerlicherweise nicht", erwiderte Snape und wirkte dabei ehrlich enttäuscht. Harry nickte, goss Hermine ebenfalls ein Glas ein, jedoch nur zur Hälfte, er kannte sie schließlich, und reichte es ihr. „Wir sind nicht hier, um über Draco Malfoy zu reden!" „Ach, nein?" Snape grinste in Richtung Hermine und genoss deren allzu ertappte Augen. „Ich hatte das Gefühl, Miss Granger schon!" Hermine nahm einen hastigen Schluck und versuchte, ihre Verlegenheit damit hinunterzuspülen. „Wieso?", fragte sie allzu lächerlich offensichtlich und wurde, zu gleichen Teilen aus Scham und wegen des Weines, rot. Snape verdrehte die Augen. „Ich kann hellsehen!" „Können Sie nicht!", widersprach Harry entnervt und warf Snape einen angeekelten Blick zu. „Nicht wahr, Snape? Legilimentik ist nicht Hellsehen. Haben Sie mir doch selbst beigebracht, als wir unsere intimen Treffen hatten, letztes Jahr!" „In der Tat!" Snape nickte angeekelt. „Was für eine Zeitverschwendung. Monate meiner kostbaren Zeit und alles was Sie dabei gelernt haben, ist dämliche Antworten auf offenkundige Ironie zu geben!" Harry setzte dazu an etwas zu erwidern, doch Snape beachtete diesen einsetzenden Protest nicht, und sprach an Hermine gewandt weiter. „Miss Granger, das war ein Scherz. Grämen Sie sich nicht, das Missverständnis ist mir anzulasten. Ich hätte wissen müssen, dass eine Person wie Sie nicht in der Lage ist, meine wohldosierte Ironie zu verstehen, sofern sie nicht extra in einem Buch erklärt wird!" Er verzog spöttisch den Mund und sonnte sich für einige Sekunden in Hermines empört-beschämten Gesichtsausdruck, dann fuhr er mit gleichmütiger Stimme fort. „Ich sagte doch, daß ich ihn in letzte Zeit ein paarmal gesehen habe. Ich sagte außerdem, dass er seit Wochen, vielleicht Monaten, nicht ein einziges Mal nüchtern war. Nun, ich bin ein neugieriger Mensch und es war mir ein leichtes, sein krankes Hirn nach der einen oder anderen Überraschung zu durchsuchen!" „Spanner", entfuhr es Hermine verärgert. Harry kicherte. Hermine warf ihm einen empörten Blick zu. „Es mag Sie schockieren, doch ich hatte kein wirkliches Interesse daran, Sie nackt zu sehen. Mein Interesse galt eher seiner allgemeinen geistigen Gesundheit, die, wie Sie sicher selbst ahnen, kaum noch vorhanden ist. Es war nötig, das eine oder andere noch einmal mit ihm zu besprechen… Er ist zu unvorsichtig. Zu offensichtlich. Ich musste ihn warnen!" „Wie fürsorglich Sie sich um das Wohl eines irren Todessers wie Malfoy sorgen, während Sie keine Hemmungen hatten, zahlreiche andere Schüler in Stücke zu reißen!" „Ach, ja!" Snape nickte versonnen. „Ich nehme an, das ist der Grund Ihres Besuches. Der Vorfall in den Drei Besen!" „Gut erkannt. Das und mein Plan, Sie heute Abend umzubringen!" „Harry! Du… du hast doch gesagt…!" Hermines Körper versteifte sich. Sie klammerte sich so fest an ihr Glas, als wäre es ein Portschlüssel, der sie weit weg bringen würde. Snape hingegen schien diese Aussage nicht weiter zu beunruhigen. „Ja, sicher… wie konnte ich das vergessen. Wenn Sie Leute umbringen, ist das natürlich etwas anderes!" „Wir sind anders. Wir töten die Leute nicht zum Spaß!" „Natürlich nicht!", lachte Snape. „Es wird Sie sicher einiges an Überwindung kosten, mich zu töten… aber als mutiger Gryffindor der sie sind, erfüllen Sie auch diese Pflicht. Nicht wahr?" Harry wurde rot. „Nein, ich will in den Drei Besen bleiben. Warum? Warum haben Sie Ihre Schüler und Kollegen getötet. Warum musste Ron Weasley sterben?" Snape grunzte gleichmütig und hob die Schultern, als wolle er zeigen, dass ihm nichts auf dieser Welt gleichgültiger sein könnte. „Warum nicht?" Hermine klappte der Mund auf. So viel Dreistigkeit, so viel Kälte und Desinteresse raubten ihr nicht nur die Sprache, sondern lähmten auch, zumindest für einige Sekunden, all ihre Gedanken. „Ich wiederhole mich sehr ungern, doch in Anbetracht Ihres sehr begrenzten Verstandes sehe ich mich dazu gezwungen." Er lächelte böse und hob sein Kinn. „Warum nicht?" Die Augen kalt und schwarz und so starr, dass Hermine nicht umhin konnte zu überlegen, wie viele Snape bereits von seinen eigenen „Seelentötern" genommen hatte, erklärte er so beiläufig, als lese er aus einem von Harrys katastrophalen Zaubertrankaufsätzen vor: „Weasley hatte zu diesem Zeitpunkt noch fünf Brüder und eine Schwester. Die Weasleys haben noch ein paar Kinder auf Vorrat. Er war die beste Wahl des ganzen Abends!" Es riss sie von den Füßen, noch ehe sie selbst realisierte, was sie da gerade tat. Sie sprang auf, krallte eine Hand in Snapes Haare und schlug ihm mit der anderen mit der Wucht allen Hasses, den sie jemals gefühlt hatte, ins Gesicht. Snape schien weder Schmerzen zu haben, noch schien er sich überhaupt an dieser Behandlung zu stören. Gelangweilt verzog er den Mund, hob die Augenbrauen und weil Hermine das Gefühl hatte, dass er sie verspottete, schlug sie ihn noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Snapes Nase blutete und seine Lippen waren geschwollen. Hermine fand den Anblick so befriedigend, als habe sie gerade eine längst überfällige, schwierige Arbeit beendet. „Sie sind ein Monster", schrie sie ihn unter Tränen an. „All die Jahre habe ich geglaubt, dass Sie einfach nur ein Arschloch sind aber Sie… Sie… Sie sitzen da und das macht Ihnen alles gar nichts aus!" „Sie selbstgerechtes, scheinheiliges Pack. Was denken Sie denn? Denken Sie, dass wir eine Wahl hatten? Ich und der Junge gegen ein ganzes Dorf voller Todesser, die, wie ich bereits ebenfalls erklärte, bis zum Anschlag mit Drogen vollgepumpt waren?" Snape setzte sich so gerade hin, wie es seine Fesseln zuließen und funkelte hasserfüllt zu Hermine und Harry hinüber. „Seien Sie dankbar, von ganzem Herzen für den Rest Ihres Lebens, dass Sie nie eine solche Wahl treffen mussten. Wen hätten Sie denn ausgewählt? Warum nicht Weasley? Hätten wir ein Einzelkind nehmen sollen? Ja? Dessen Eltern dann gar nichts mehr bleibt, wenn ihr einziges Kind stirbt? Erstklässler? Die mit wenig Freunden oder die mit vielen? Und welche Lehrer? Hagrid vielleicht? Wäre der besser gewesen als Trewlany, eine depressive Alkoholikerin mit Leberzirrhose? Sagen Sie doch, wen sie ausgewählt hätten? Ich habe so gewählt, wie ich den kleinsten Schaden vermutet habe. Ich habe nicht die geringste Ahnung, nach welchen Kriterien Draco gewählt hat, doch es ist mir eigentlich auch vollkommen egal, weil es absolut unmöglich war, einen Grund zur Auswahl zu finden, der auch nur ansatzweise moralisch zu rechtfertigen war. Darum ging es doch… Er wollte, dass wir etwas tun, was es uns unmöglich machen würde, jemals die Seiten zu wechseln." „Als ob Sie das je vorgehabt hätten", höhnte Harry und schüttelte den Kopf. „Ihnen gefällt es doch dort, wo Sie sind. Da können Sie endlich mal rücksichtslos und grausam Leute quälen. Geben Sie doch zu, das macht Sie an. Ihnen geht doch einer ab dabei, wenn Sie jetzt mal was anderes machen dürfen als immer nur Punkte abziehen. Sie haben sich befreit, als Sie Dumbledore töteten. Endlich dürfen Sie machen, was Sie wollen!" Snape kräuselte die Lippen und betrachtete Harry und Hermine abschätzend. „Was würden Sie sagen", begann er gedehnt und klang dabei unangenehm lauernd, „wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich mehr getan habe? Wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich Minerva McGonagall unter größter Gefahr für mein eigenes Leben Briefe geeult habe, um sie zu warnen? Was würden Sie davon halten wenn ich Ihnen außerdem sagen würde, dass jeder einzelne Brief postwendend an mich zurückgesendet wurde? Eine Aktion, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meinen augenblicklichen Tod bedeutet hätte, wäre zufällig ein anderer Todesser in meiner Nähe gewesen…" Hermine stellte ihr Glas weg, da sie das Gefühl hatte, dass sich bereits jetzt der Raum um sie drehte. Es fühlte sich an, als ob Hagrids Bruder Grawp Hermine in seine Pranken geschlossen hätte und sie nun aus reinem Spieltrieb zu zerquetschen versuchte. Sie dachte an die Unterhaltung, die sie im Grimmauldplatz belauscht hatte. Harry kratzte nervös mit seinen Turnschuhen über den Boden. Hermine sah ihn an, er sah sie an. Sie fühlte, dass sie ebenso weiß im Gesicht war wie er. Briefe. McGonagall hatte Briefe erwähnt… die sie allesamt nicht ernst genommen hatte. Sie hatte es nicht mal in Erwägung gezogen, dass Snape sie tatsächlich warnen könnte. „Ich will Ihnen etwas verraten", fuhr Snape bitter fort. „Ich war doch tatsächlich dumm genug, mehrmals persönlich zu Kingsley und Minerva zu gehen, um mit ihnen zu reden. Sie haben Flüche auf mich geschossen, bevor ich ein Wort sagen konnte. Sie… Potter… erinnern Sie sich an den Überfall auf Malfoy Manor?" Harry wurde noch ein wenig käsiger und nickte. „Als Sie es für angemessen hielten, Gas einzusetzen und der erste, mögliche Massenmord riskiert wurde? Erinnern Sie sich, dass ich Sie gewarnt habe? Dass ich Sie und den jungen Weasley - sehen Sie mich nicht so entsetzt an, Miss Granger – als ich Sie vor Lucius gerettet habe? Ich habe Sie gehen lassen! Merlin, Junge. Ich habe gewusst, wer Sie sind. Gewusst, was Sie vorhaben und dass Sie gerade versuchen, die einzigen… vielleicht nicht Freunde ... aber gute Bekannte zu töten, die ich jemals hatte…. Abgesehen von Dumbledore. Sie wussten das und ich lasse Sie gehen. Und was tun Sie? Erinnern Sie sich an unser nächstes Treffen?" Harry nickte knapp und Hermine wurde bei diesem Anblick übel. „Ich habe alles versucht. Immer… ich habe meine Verpflichtungen ernst genommen und mehr noch… und wollte jeden Mord verhindern, sofern es in meiner Macht stand. Aber wie denn, wenn das niemand hören will? Sie können sagen, was Sie wollen, aber Ihre Seite hat Gefallen an der Gewalt gefunden. Mittlerweile geilt es Sie doch auf, jeden von Ihnen, gegen böse Todesser kämpfen zu können. Was immer Sie mir auch vorwerfen können ist nur das, was Sie bei sich selbst entdecken!" „Lügner!", schrie Harry. „Lügen! Lügen… Sie sind ganz anders als wir. Wir… wir… wir wollen helfen. Wir mussten es tun… wir..." „Ja, ja!" Snape kicherte in sich hinein. „Natürlich! Interessanterweise dürfte das haargenau das sein, was die meisten Todesser vor ihren Einsätzen denken. Wir befolgen Befehle, tun das für einen höheren Zweck und überhaupt sind doch immer die anderen viel schlimmer…" Er lächelte und nickte in Richtung der offenen Hausbar. „Da drinnen… eine der Weinflaschen ist mit Veritaserum versetzt. Warum schenken Sie mir nicht ein Glas ein, bevor wir weiterreden?" „Wozu?" „Ich will, dass man mir glaubt. Aufstehen, Potter." Harry gehorchte zögernd. Warf Hermine fragende Blicke zu, die diese nur mit einem hilflosen Schulterzucken erwidern konnte. „Sagen Sie „In Vino veritas", dann kommt die passende Flasche heraus", erklärte Snape, als Harry schon vor dem Porträt stand. Er tat wie geheißen, griff sich die darauf erscheinende Flasche und füllte eines der schwebenden Gläser zur Hälfte auf. Er zauderte, bevor er es Snape gab. „Und wenn da etwas ganz anderes da drinnen ist…. Vielleicht…" „Gift? Wirklich, sollte Sie das stören, wenn ich mich vergiften will?" „Es gibt viele andere Tränke, die ihre Wirkung mit Wein nicht verlieren. Es könnte…." „Ja, was denn?", schnarrte Snape. „Vielsafttrank? Natürlich, wenn ich mich jetzt hier vor Ihren Augen verwandle, werden Sie ganz sicher glauben, dass ich wirklich die entsprechende Person bin. Oder was sonst? Denken Sie, ich kann mich unsichtbar machen? Zu welchem Zweck? Ich habe all diese Flaschen hier für Treffen mit meinen…. Kollegen gelagert. Von Zeit zu Zeit hält mich der Dunkle Lord dazu an, diese mit Veritaserum zu befragen. Das Gift steht weiter hinten in den Absinth-Flaschen!" Er ruckte energisch in Richtung Bar. „Also entweder ich sage die Wahrheit oder ich sterbe in diesem Sessel. Beides war, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Programmpunkt dieses Abends…. Und nun stellen Sie sich nicht so an!" Ein letzter Blick zu Hermine, dann zu dem Glas… und Snape durfte trinken. „So…" sagte er, nachdem Harry das Glas abgesetzt hatte und Snape immer noch lebte. „Setzen Sie sich. Beide… es wird etwas dauern…" Und Snape begann zu erzählen… Er redete und redete. Vermutlich viel länger, als er in den letzten knapp vierzig Jahren seines Lebens mit überhaupt irgend jemandem geredet hatte… Sie hatte das doch alles gar nicht wissen wollen. So empfand sie es zumindest im Moment und Harrys gequältem Blick nach, rang er auch mit sich, Snape trotz vorheriger Aufforderung zu sprechen, den Mund mit Nadel und Faden eigenhändig zuzunähen. Snape erzählte davon, dass Dumbledore ihn gebeten habe, ihn umzubringen. Er erklärte das mit dem Fluch, dem Ring und dass es auch darum gegangen sei zu verhindern, dass Draco einen Mord beging. Snape lachte bitter ob dieser grausamen Ironie des Schicksals… dennoch, so erwähnte er achselzuckend, habe er es immerhin versucht. Der Reihe nach. Er erklärte, dass man ja die ganze Zeit gewusst habe, dass Draco etwas Dummes tun könnte. Snape erklärte, dass er Dumbledore regelrecht angefleht habe, die Sache so schnell wie möglich zu erledigen. Er hätte gewusst, wie sehr Draco unter diesem Auftrag litt und dass er, wenn er damals die Chance gehabt hätte, ganz sicher die Seiten gewechselt hätte. Er sei ein dummer, naiver Junge gewesen, aber er hätte eine hilfreiche Hand ergriffen, wenn man sie ihm angeboten hätte. Dumbledore hatte abgelehnt. Auch nach dieser Sache mit dem Met und dem Halsband. Nein, man müsse abwarten und dürfe nichts verraten. Und dann, auf dem Turm, war es zu spät gewesen. Als ob Draco, oder Snape selbst, eine Wahl gehabt hätte, irgendetwas anderes zu tun, nachdem sie von Todessern umgeben gewesen waren. Und dann war Dumbledore gestorben und sie hatten beide flüchten müssen. Draco, dieser Vollidiot, hatte bei ihrer Flucht aus Versehen Aberforth getötet. Immerhin hatte dies Voldemort etwas besänftigt. Ein wenig. Doch Snape selbst war bei diesem Ungehorsam, Dumbledore an Dracos Stelle zu töten, in Voldemorts Vertrauen gesunken. Natürlich wäre dies früher oder später ohnehin geschehen, was Dumbledore laut Snape auch wusste, doch es war ja darum gegangen, den Jungen zu töten… das konnte er nun nicht mehr und das war Snapes Schuld. Snape erzählte, dass er jahrelang als Doppelspion gearbeitet, sein Leben riskiert habe, getan habe, was er konnte, um Schüler zu schützen, aber Dumbledore hätte es nicht ein einziges Mal für nötig gehalten, das den Kollegen und anderen Ordensmitgliedern gegenüber zu erwähnen. Dumbledore sei immer der Meinung gewesen, dass ein starker Anführer effektiver sei als eine Armee von, wie Snape mit spöttischem Grinsen es nannte, „Hilfssheriffs". Und Dumbledore war ja auch genial gewesen, außergewöhnlich, auf seine Art gütig und unbestritten weise. Und doch… Snape schüttelte frustriert den Kopf, auch er konnte sich irren und Dinge nicht voraussehen. Manches habe er, genial wie war und mit dem Kopf voller Geniestreiche, einfach verschlampt. So hatte er immer vorgehabt, den Kollegen die Wahrheit über Snapes Auftrag mitzuteilen. Vorgehabt… und doch hatte er es nie getan. So war Snape, nachdem er den letzten Gefallen für Dumbledore getan hatte, zum geächteten Verräter geworden, dessen gesamte Taten in der Vergangenheit nun ebenfalls in zwielichtes Licht gerückt worden waren. Man hätte ihm einfach nicht geglaubt. Harry setzte sich, als man zu diesem Teil des Gespräches kam, zurück auf seinen Sessel, füllte sich und Hermine ein weiteres Glas Wein ein und starrte mit hohlem Blick ins Leere. Snape erklärte indessen Lord Voldemorts Plan: In „Phase 1" ging es darum, Muggelgeborene schlecht zu machen. In „Phase 2" ging es darum, sein eigenes mörderisches Image aufzupolieren und kräftig Propaganda für die eigene Sache zu machen. Zudem rekrutierte man sehr viele neue Todesser. In „Phase 3" waren Muggel gezielt gegen Zauberer aufgehetzt worden. Lucius habe nicht nur vor Zauberern, sondern mit ebenso viel Inbrunst vor Muggeln geredet und allen weisgemacht, dass der jeweils andere ihr Todfeind war. Sprich: Er hatte einen Bürgerkrieg angezettelt, dem täglich Muggel und Zauberer zum Opfer fielen. Snapes Augen wurden leer, als er hinzufügte: „Und natürlich wir, die dumm genug waren, in jungen Jahre dem Teufel die Seele zu verkaufen!" In „Phase 4" wurde das ganze international. Voldemort „half" anderen Ländern gegen ihre Muggelprobeme , wie er es nannte. Snape lachte und zog einen Vergleich zu „Schädlingsbefall". Zum Beispiel habe man in Rio de Janeiro Drogenbosse getötet und sich in Bandenkriege eingemischt. Insgesamt seien bei all diesen Aktionen natürlich auch viele Todesser getötet worden. Voldemort war das schlicht egal. Die neuen Todesserbewerber würden Voldemort regelrecht die Tür einrennen. Da Voldemort nun genug Uneinigkeit im Land gestiftet hatte, um starke Allianzen gegen ihn unmöglich zu machen, standen sie nun kurz vor „Phase 5". In „Phase 5" würde sich Voldemort zum Minister ernennen. Das war nur noch reine Formsache. Der Bürgerkrieg würde siegreich beendet werden. Voldemort wollte alleine herrschen, Muggel sollten Zauberern dienen, wenn nicht, würde man sie foltern und gefügig machen oder sie töten. Die Anti-Muggel-Hetze war soweit, dass das keinen einzigen Zauberer mehr stören würde. Außerdem würde Voldemort auch in anderen Ländern zumindest die Zaubererherrschaft übernehmen und dort genauso verfahren. Wie erwähnt, in Brasilien sei er damit extrem erfolgreich. Voldemort initiierte soviel Haß und Zwietracht, dass er keinen einzigen Gegner mehr hatte, weil alle viel zu sehr damit beschäftigt waren, ihre Nachbarn zu hassen, als dass sie ihn in Frage stellen würden. Er bedachte Hermine mit einem traurigen Blick. Zum ersten Mal in seinem Leben. Und sagte ihr vollkommen ernst und ohne Spott, dass der Hass gegen Muggel außerhalb der Schule so groß sei, dass Zauberer Schlammblüter bekämpfen würden, wo immer man diese sah… Weshalb viele das Land verlassen hätten oder sich gemeinsam versteckten. Auf Harrys Nachfrage, wieso er, Snape, denn nie an die Öffentlichkeit gegangen wäre, wenn er doch von alledem gewußt hatte, würgte Snape ein hasserfülltes „Ich sagte doch bereits, niemand glaubt mir" hervor. Zudem wäre die Zauberergesellschaft in ihrer strafrechtlichen Praxis extrem rückständig. Man hätte weder heute noch früher wirklich Hilfe annehmen können, da es so etwas wie Wiedereingliederung und Resozialisierung für Ex-Todesser nicht gab. Wer straffällig geworden war, war geächtet. Nach Gründen fragte man nicht und es wurde auch prinzipiell nicht angenommen, dass Personen die Möglichkeit zur Besserung hatten. Auch heute nicht. Wer etwas Verbotenes getan hatte, der wurde unbarmherzig bestraft. Selbst wenn das, wie in Malfoys Fall, ein sechzehnjähriger, eingeschüchterter Jungen war. Man gab niemandem eine zweite Chance. Harry empörte sich hier, dass der wahre Schuldige doch wohl Voldemort sei, der Todesser bereits in diesem Alter rekrutierte. Snape schnarrte daraufhin barsch, dass Harry den Mund halten sollte, wenn er nicht dazu in der Lage wäre, seine Reden mit Gedanken zu füllen. „Muss ich Sie etwa daran erinnern, dass Sie selbst noch jünger gewesen waren, als man Sie auf Voldemort angersetzt hat und dass Professor Dumbledore DA Bescheid gewusst und nichts als Stolz deswegen empfunden hat? Ich habe ihn gewarnt, dass das eine Bande naiver Kinder waren, die vom Leben keine Ahnung hätten, aber auf mich hat man ja nicht gehört", erklärte Snape bitter. Für einen Moment sah es als, als verlöre er sich vollkommen in der Kränkung, die seine Worte offenbarten, aber dann schloss er die Augen, seufzte und lenkte ein: „Man muss ihn verstehen. Dumbledore war sehr alt, hatte bereits in seiner Jugend schlimme Verbrechen gegen Muggel erlebt. Damals, als diese Sache mit Grindelwald gewesen war. Er hat sich in seinem Denken nie ganz davon erholt. Als dann Voldemort kam, noch viel böser und entschlossener als Gellert, war er der Meinung gewesen, dass er das mit allen Mitteln verhindern musste. Das, was jetzt ist, diese Gräuel, waren vorauszusehen. Professor Dumbledore wollte diesen Krieg unter allen Umständen verhindern. Zum Wohl der Gemeinschaft müsse man Opfer bringen. So hat er gesagt und darauf verwiesen, was geschehen würde, wenn Voldemort jemals an die Macht käme. Nach Voldemorts Terrorherrschaft, die das ganze Land traumatisiert hatte und doch nur ein Vorgeschmack von dem war, was noch kommen könnte, wer wollte angesichts dessen auf die Bedenken eines Ex-Todessers hören? Jemand, der doch bereits bewiesen hatte, dass er die Gefahr, die von Voldemort ausging, bereits einmal unterschätzt hatte." Snape erklärte, wie das mit Lily gewesen war. Er sprach sehr langsam und stockend, vermied es, Harry anzusehen, ignorierte dessen leises Weinen und gestand schließlich, dass sie der letzte Mensch gewesen war, der in ihm keinen Todesser gesehen hatte. Und dann… aber… daran konnte man nun nichts mehr ändern, nicht wahr? So gesehen wäre es Dumbledore schon anzurechnen, dass er ihm eine Stelle gegeben hätte. Er hatte das dunkle Mal erhalten und war damit Zeit seines Lebens mit einem Makel behaftet, der ihn alle Zeiten von den anderen Menschen trennen würde. Andererseits hatte Dumbledore ihn mit seinem schlechten Gewissen in der Hand. Er bedachte Harry mit einem kalten Blick und fügte hinzu, dass er doch nur ein Nutzgegenstand in diesem Krieg gewesen sei. Genau wie Harry. Solange Dumbledore daran geglaubt hatte, dass man diese Horkruxe wirklich einfach so über Nacht finden könnte, sei Harry wichtig gewesen. Er hatte ihn als halbes Kind darauf abrichten wollen, Menschen zu töten, weil das zweckdienlich im Kampf gegen das Böse schien. Wie Harry damit zurechtkommen würde, darüber habe Dumbledore einfach nicht nachgedacht. So gerne er Kinder auch gehabt hätte, er hätte sie nicht verstanden und in ihnen Menschen gesehen, die ebenso zweckgerichtet dachten wie er selbst. Hermine fragte verwirrt, was Dumbledore für weitere Pläne gehabt hätte. Ob Snape denn wisse, was als nächstes geplant sei. Es sei doch offensichtlich, dass diese „Tyrannenmordliste" kontraproduktiv gewesen sei. Snape zuckte mit den Achseln. „Nichts! Keine weiteren Pläne!" „Ja, aber", empörte sich Harry. „Das kann es doch nicht gewesen sein. Jahrelang Horkruxe suchen und zwischendurch alle Todesser umbringen. Da muss es doch noch etwas geben. Das muss doch klar gewesen sein, dass die sich wehren!" „Dass wir uns wehren schon", erklärte Snape nüchtern. „Dass wir gewinnen könnten, war dabei einfach nicht eingeplant!" Harry protestierte, doch Snape machte jeden Einwand zunichte. „Sie sind doch Mitglied des Phönixordens, Potter. Sie sind doch sicher bei den Treffen erwünscht, im Gegensatz zu mir. Da sollte man doch meinen, dass Sie sich mit den Plänen des Ordens viel besser auskennen als ich. Nun denn, war bei diesen Treffen je von anderen Plänen als jahrelanger Horkruxsuche und Todesservernichtung die Rede?" Harry wurde weiß, stellte sein Weinglas weg und sagte „Nein!" Snape nickte. Das habe er sich schon gedacht. Ebenso wie die Todesser es nie wagen würden, Voldemorts Pläne zu durchkreuzen, käme den Mitgliedern des Phönixordens nie in den Sinn, Dumbledores Ideen anzuzweifeln und sich stattdessen selbst etwas zu überlegen. Das sei ja alles gar nicht so dumm gewesen… doch hätte man das schnellstmöglich abbrechen müssen, als man merkte, wie viele Opfer es insgesamt fordern würde. Snape verzog den Mund: „Und vielleicht mal drüber nachdenken, wen man da eigentlich alles zum Tode verurteilt hat. Die Hälfte der erwachsenen Todesser würde aufhören, wenn es etwas anderes als Askaban oder Tod gäbe, das sie nach dem Kriegsende erwarten würde... Und die Jungen… das waren doch alle Kinder, die sich von jemandem einlullen haben lassen, der ihnen große Dinge versprochen hatte und ihnen das Gefühl gegeben hatte, wichtig zu sein." Durch die Bank durch seien sie alle betrogen worden und Snape sah nichts als den kompletten Zusammenbruch, wenn das alles enden würde. Keiner hatte je an die Folgen gedacht. Snape schloss damit, dass sie sein vollstes Wohlwollen hätten, Draco Malfoy bei ihrer Rückkehr zu töten. Ein schneller Tod sei ein Akt der Barmherzigkeit für diesen jungen Mann, da er, sollte er jemals wieder nüchtern werden und klar über seine Taten nachdenken, für den Rest seines Lebens keinen einzigen glücklichen Tag mehr haben würde. So wie er. Und nach diesen Worten gingen Harry und Hermine, einfach so. Harry hatte irgendwann im Verlauf des Abends erklärt, dass er hierher gekommen war, um Snape zu verhören (deswegen war Hermine mitgekommen, er hatte sich nicht getraut, das alleine durchzustehen) ihn danach zu töten oder sich mit Snapes Hilfe an Voldemort ausliefern zu lassen. Dann wäre es beendet. So hatte er gedacht. Dann hätte die Seite des Ordens zwar verloren, aber immerhin wäre es vorbei gewesen. Aber nun? Wenn Harry in Voldemorts Plänen kaum noch eine Rolle spielte, wenn Voldemort doch eh so gut wie gewonnen hatte und es keinen Plan B oder C mehr gab, um das zu verhindern. Und nun? Wenn die anstehende Katastrophe unvermeidlich war, da allzu offensichtlich weder die Todesser noch die Mitglieder des Phönixordens dazu imstande waren, einen eigenen Gedanken zu denken? Was dann? Dann war es eben vorbei und was würde ein Mord mehr - so hatte Harry gesagt und Hermine hatte ihn daraufhin entsetzt angesehen - noch nützen? Und so gingen sie. Xxx Der Sog eines Strudels erfasste sie beide, als ihre Hände sich berührten und sie gemeinsam von Spinners End wegapparierten. Sie trudelten und drehten sich in rasender Geschwindigkeit weg von dem Gestank der Fabriken und weg, weit weg von allem, was Snape ihnen sonst noch von seiner Welt gezeigt hatte. Sekunden später spürte sie wieder harten Boden unter ihren Füßen. Grüne Bäume wirbelten an ihnen vorbei, doch sie hätte schon alleine an der kühlen Brise, die einen wundervollen Duft nach Wald und Sommerabend mit sich brachte, gemerkt, dass sie wieder zurück im Verbotenen Wald waren. Hermine atmete tief durch. Sie schwankte, ihr war übel und der Boden unter ihr schien sich immer noch zu bewegen, als sie schon längst aufgehört hatten sich zu drehen. Sie musste sich an Harry festhalten, der ebenfalls, soweit das im gebrochenen Mondlicht, das durch die Bäume über ihnen herab schien erkennbar war, ebenfalls leicht grün im Gesicht war. „Wir hätten nichts trinken sollen, was Snape uns anbietet. Hmm?" Harry verzog den Mund. Seine Hand schnellte vor seine Lippen und sie hörte ihn hart schlucken. Doch, er war sehr blass. Als er seine Hand vor dem Gesicht wegnahm und tief einatmete, sah sie es ganz deutlich. „Ja", stimmte er matt zu. „Moody würde uns was erzählen!" Hermine nickte. Sie beugte sich vor und musste sich auf ihren Knien abstützen. Das Schwindelgefühl wurde etwas besser. Harry nahm seine Brille ab und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. „Bei mir geht's wieder. Und bei dir?" Hermine nickte und richtete sich wieder. „War wohl doch nichts Komisches." Sie schnaufte hart aus und schüttelte sich. „War wohl doch kein Mordanschlag von Snape. Man soll halt nicht trinken und apparieren. Das hat Twycross immer gesagt!" „Wer?" Harry setzte seine Brille wieder auf und bückte sich, um die Leine des entspannt am Boden wartenden Herbert wieder aufzunehmen. „Der Apparationslehrer. Ehrlich, Harry, wir hatten doch letztes Jahr Kurse bei ihm!" Harry grinste verlegen und klapste ihr kameradschaftlich auf die Schultern. „Ja, der. Ich weiß nur noch, dass er irgendwie durchsichtig aussah. Das wär doch ein Mann, für die Mysteriumsabteilung. So ein Typ, an den man sich nicht erinnert!" „Ich erinnere mich an ihn!" „Du bist ja auch nicht normal!" Hermine warf ihm einen ungehaltenen Blick zu, riss ihm die Leine aus der Hand – Harry schrie „au" weil er sich dabei am Seil schnitt - und deutete auf seine andere Hand, die immer noch den Tarnumhang hielt. „Los, mach schon. Wirf ihn über uns. Du weißt nie, wer hier noch alles ist!" Harry stöhnte, rieb sich die schmerzende Hand an seiner Hose ab und gehorchte. Der Gedanke kam zu schnell, um ihn stoppen zu können. „So reicht er wenigstens. Wenn Ron dabei wäre, würden wieder unsere Füße rausgucken, er ist…" Hermine schlug sich die Hand vor den Mund und Harrys Kopf fuhr zu ihr herum. Er sah sie eine Weile lang mit unbewegter Miene an, dann erwiderte er tonlos. „War! Ron war… größer als wir!" Sie musste für einen Moment die Augen schließen. Der Boden unter ihr schien wieder weich wie Pudding zu werden. Sie drohte zu stolpern, wurde aber von Harry gepackt und weitergezogen. „Geht mir auch manchmal so" murmelte er leise, während er sie weiterzog. „Manchmal ist er einfach da. Komisch, nicht? Wie sich manche Sachen einfach aufdrängen, während man sich an anderes fast gar nicht mehr erinnern kann!" Hermine nickte schweigend und schluckte den Einwand hinunter, dass sie sich immer an Ron erinnerte und nicht erst blitzlichtartig darauf gestoßen werden musste. Sie hielten inne, als sie auf einmal Stimmen hörten. Herbert begann zu hecheln und reckte die Schnauze in die Luft. Hermine hielt die Leine fest und legte eine Schweigezauber auf das Lockenschwein. Einige von Dracos neuen Freunden streiften mit erhobenem Zauberstab durch den Wald. Vier Leute, Hermine kannte sie alle, Eloise, Josh und Tertius waren Ravenclaws und nur der vierte, Parcival, war aus Slytherin. Sie gingen jeweils zu zweit. Hermine, Harry und Herbert standen wie die Statuen im Wald, während die Aushilfstodesser wie kleine Kinder auf der Nachtwanderung kicherten, mit ihren Zauberstäben herumfuchtelten – ohne irgend etwas damit zu bewirken – und jeweils zur Linken und zur Rechten an ihnen vorbei huschten. Nicht ohne sich dabei leise Kommandos und Warnungen zuzuzischen. Hermine drehte den Kopf vorsichtig zu Harry. Der grinste. Als ihre vier Häscher so weit weg waren, dass sie nicht mehr zu hören waren, setzten die drei sich wieder in Gang und gingen weiter. Hermine dachte darüber nach, wie jung sie ausgesehen hatten und dass sie wohl deshalb so kindisch wirkten, weil sie eigentlich noch Kinder waren. Sie drehte sich zaghaft zu Harry um, der sie daraufhin ebenfalls ansah und fast über einen empört quiekenden Herbert gestolpert wäre. Herbert wurde zur Entschuldigung der wollige Kopf gekrault, dann ging es weiter. Schon war Hagrids Hütte zu sehen. Am Eingang des Gryffindortraktes angekommen, seufzte Hermine schwer und warf Harry einen traurigen Blick zu. Harry verzog den Mund und legte ihr den Arm um die Schultern. Es war nicht nötig, dass er es aussprach. Er musste nicht sagen „es wird nie wieder so wie früher", war es doch offensichtlich, dass ab jetzt nur noch unterschiedliche Abstufungen von „furchtbar", aber nie wieder „gut" geben konnte. Nicht, wenn man ein Mitglied des Phönixordens war, nicht, wenn man gegen Voldemort war und schon gar nicht, wenn man Muggelwurzeln hatte. Jemand, vielleicht sogar Draco selbst, hatte das Loch an der Wand repariert, so dass die klaffende Lücke, die durch die Explosion in den Stein gerissen worden war, geschlossen wurde. Doch das Porträt war weg. Die fette Dame, die jahrelang, vielleicht jahrzehnte- oder jahrhundertelang, diesen Eingang bewacht hatte, war nicht restauriert worden. Stattdessen hatte man einen alten Wollteppich über das Einstiegsloch gehängt und irgendein Spaßvogel hatte es sich nicht nehmen lassen, in Hermines und Harrys Abwesenheit „Eingang zum Gryffindorturm" in dicken, roten Leuchtlettern oben drüber zu schmieren. Ein grünes, geschlitztes Auge dick darunter gemalt. Draco hatte sich das Zeichen einfallen lassen. Das Zeichen seiner „Schulwachen", wie er sie nannte, das diejenigen, die es in ihrer Nähe fanden, daran erinnern sollte, dass er sie bewachen ließ und strafen würde, sollte ihm irgendetwas was er sah missfallen. Harry löste sich von Hermine und keuchte. Offenbar hatte er jetzt erst das Schlangenauge bemerkt. „Das geht nicht so weiter" flüsterte er mehr zu sich selbst als zu Hermine. Er lehnte den Kopf an die Wand an und verdeckte das Auge mit seiner Hand. „Das kann einfach nicht so weitergehen…" Hermine seufzte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich weiß… und es ist alles so… aussichtslos. Mir will so gar nicht einfallen, was man noch tun kann außer darauf zu hoffen, dass sie sich irgendwann alle gegenseitig umbringen!" Harry kippte mit dem Rücken die Mauer und presste sich die Fäuste gegen die Augen, einen Moment lang glaubte Hermine, er würde weinen. Sein Körper bebte und er atmete flach, doch als er die Hände wegnahm, waren seine Augen trocken. „Nein!" sagte er und sah ihr fest in die Augen, „das kann es einfach nicht gewesen sein. Ich… ich…" Er schüttelte den Kopf und wirkte mit einem mal sehr fahrig. „Ich muss weg!" erklärte er knapp, schob Hermine in Richtung Porträtloch, zog den Tarnumhang erneut unter seinem Pulli hervor und warf ihn über sich. „Wohin?" fragte Hermine das Nichts, wo eben noch Harry zu sehen gewesen war. „Was hast du vor?" „Nachdenken", erklang es schon viel weiter den Korridor hinunter. Xxx Hermine konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Sie lag in ihrem Bett, starrte an die Decke über ihr und dachte an ihren Besuch bei Snape. So, das war es also? Das war Harrys letzter Versuch gewesen, irgendetwas zu unternehmen? Und dann waren sie dort angekommen und alles was sie gehört hatten, ließ ihre Lage nur von Sekunde zu Sekunde auswegloser erscheinen. Die Horkruxe schimmelten in irgendwelchen Erdlöchern vor sich hin, während Voldemort kurz davor stand, zum neuen Minister gewählt zu werden. Weil ihm alle glaubten. Weil ihn alle mochten. Weil kein Zauberer mehr die Muggel mochte und weil die Muggel die Zauberer nicht mehr mochten. Hermine wälzte sich unruhig hin und her, unfähig, irgendeine Position zu finden, in der sie sich wohlfühlte. Wie sie sich schon seit Monaten nirgendwo mehr wirklich wohl fühlte, egal wo und mit wem sie sich bettete. Sie warf ihren Kopf hin und her, stieß mit ihren Füßen gegen die Matratze und ächzte und stöhnte sich weiter hin und herwerfend, doch nein, es wollte nicht passen. Die richtige Position gab es für sie wohl nicht mehr. Ebenso wenig für Snape. Hermine schämte sich ein wenig so zu denken, doch sie wusste, dass Harry das gleiche zu schaffen machte, das auch ihr den Schlaf raubte. Die Erwachsenen, zu denen sie sich immer noch nicht voll und ganz zählen konnte, wussten keinen Rat mehr. Es war die alberne, lächerliche und doch unendliche Vorstellung eines Kindes, dass die Erwachsenen, die auf es aufpassten, irgendwo alles besser wussten, allem was geschah einen Sinn geben konnten und auf die entscheidenden, kritischen Fragen immer eine Antwort wussten. … dass sie überhaupt alles besser wussten. Dass sie wirklich wussten, was sie taten und nicht einfach irgendetwas taten. Und nun? Hermine wusste nicht, was Harry jetzt machte. Ob er es irgendwie geschafft hatte, sich nach Hogsmeade zu schleichen, um sich dort in den Drei Besen zu betrinken? Aber dort würde man ihn suchen und finden und irgendwie schien das auch nicht das zu sein, was Harry in dieser Lage tun würde. Aber was würde, was sollte er denn tun? Was sollte irgendjemand denn tun? All die Monate über hatte sie sich immer damit getröstet, hatte sie selbst Tag um Tag im Spiegel zunicken können, weil sie „gewusst" hatte, dass ihre Seite den Todessern moralisch überlegen war. Dass es überhaupt deutliche, für jeden erkennbare Merkmale gab, woran man die Guten von den Bösen unterscheiden konnte… und dass es überhaupt eine Rolle spielte. Und nun? Nun schien einfach alles egal. Hermine legte den einen Arm hinter ihren Kopf und rubbelte sich mit der anderen Hand über das Gesicht. Nach alledem was Snape gesagt hatte, klangen die Ereignisse dieses Krieges, die Liste, Dumbledores Tod und das, was danach gekommen war, die Kämpfe und selbst die Aktionen der Todesser nichts an die albernen, unüberlegten Spiele ganz kleiner Kinder. Es war immer einfach irgendwas gemacht worden, ohne dass vorher überlegt worden war, was daraus werden würde. Immer in der Hoffnung, dass es jemanden gab, der die Verantwortung übernehmen würde oder dass der, der wirklich wusste was zu tun war schon irgendwann kommen würde. Und bis dahin durften sie Krieg spielen… die Erwachsenen. Auf ihre Kosten… xxx Gegen vier Uhr war Hermine eingeschlafen, nur, um schon knappe zwei Stunden später geweckt zu werden. Auf Anweisung des neuen Direktors hin – sprich: nach einer Idee Dracos - mussten Muggelgeborene seit den Osterferien den Elfen bei kleinen Diensten helfen. Offiziell, also so hatte Runcorn es schülerfreundlicher verpackt, ging es darum, den Magiefremden tiefere Einblicke in die magische Welt zu geben. Seiner Beschreibung nach klang es wie eine Art Praktikum im Zauberersein. Ein Praktikum… das praktisch darin bestand, dass Hermine nun mit ihren Mit-Muggelgeborenen den Gemeinschaftsraum aufräumen musste. Eine Stunde später wachten die ersten anderen auf und machten sich fürs Frühstück fertig. Hermine tat es ihnen gleich und doch, egal wo, beim Essen, beim Duschen oder beim Zähneputzen, hätte sie nicht weiter von ihnen weg sein können. Das war also das Leben… darauf würde es hinauslaufen. Sie würde für den Rest ihres Lebens die „richtigen" Zauberer bedienen und wenn ihr das nicht passte, würde sie getötet werden… … von Leuten wie Draco, der, wie Snape ebenfalls betont hatte, seiner Meinung nach längst verloren war. Hermine sah ihn, Draco, an diesem Morgen nicht in der Großen Halle. Sie war froh darum. So beeilte sie sich auch, ihr Frühstück im Turbo-Tempo hinab zu würgen um danach so schnell wie möglich zu ihrer Lerngruppe hasten zu können. Sie trafen sich täglich zwischen Frühstück und Mittagspause, um noch mal allen prüfungsrelevanten Stoff durchzukauen. Die Siebtklässler hatten jetzt kaum noch Stunden. Die Prüfungen standen vor der Tür und so schnell konnte nicht einmal Runcorn die Schulqualität ruinieren, als dass er das hätte verbieten können. Er hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, zwei der neuen Schulwächter als Aufpasser abzustellen. Nach allem was Snape gestern gesagt hatte, schätzte Hermine jedoch, dass es nicht schwierig werden dürfte, das eine oder andere vor den beiden zu verheimlichen. Ihr Blick war starr, kalt und offensichtlich waren beide bis zur Halskrause mit diversen Drogen zugedröhnt. Nach zwanzig Minuten intensiven Lernens waren die beiden eingeschlafen. Harry schnaubte und kratzte sich die gekräuselte Nase. Er kaute auf seiner Lippe und zog die Stirn in Falten. Hermine beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er hielt immer noch die Feder in seiner Hand, doch schrieb er nicht. Stattdessen bildete sich auf dem Pergament und kreisrunder, hässlicher Tintenfleck, weil alles, was er vorhin aufgenommen hatte, nach unten floss. Er hielt seinen Kopf immer noch über seine Arbeit gesenkt, doch wirkten seine Augen irgendwie leer. Hermine beugte sich leicht zur Seite und flüsterte: „Harry?" Er schien sie gar nicht gehört zu haben. Kratzte sich nur statt der Nase nun das Ohr und starrte weiter mit leerem Blick auf die zwei Zeilen, die er in den letzten neunzig Minuten verfasst hatte. „Harry!" Hermine war fertig mit ihrem Aufsatz und ein wenig empört, dass er noch nicht einmal angefangen hatte. Als er immer noch nicht antwortete, schnippte sie ihm ungeduldig mit den Fingern vorm Gesicht. „Harry!" Er zuckte zusammen und fuhr erschrocken zu ihr herum, wirkte für einen Moment ehrlich verwundert sie zu sehen, schüttelte dann aber den Kopf, als ob er sich selbst durch diese Bewegung in die Wirklichkeit zurückbringen könnte. „Tut mir leid… Ich... bin etwas geistesabwesend!" „Ja, das merke ich… Mach dich endlich mal an deine Arbeit, wir haben doch gleich -" „Hast du eigentlich auch gehört" unterbrach Harry sie, dessen Blick schon wieder unfokussiert wurde „dass Snape gesagt hat, Lucius Malfoy hätte sein Gewissen entdeckt?" „Was?" Hermine runzelte die Stirn. Was sollte das denn jetzt? „Ach, ich… ich denke die ganze Zeit an das, was Snape gesagt hat!" Harry seufzte, gestand sich endlich ein, dass das mit dem Arbeiten nichts mehr werden würde und legte die Feder vor sich auf den Tisch. Hermines Magen krampfte sich zusammen. Sie legte ihre Feder ebenfalls weg und verschränkte die Arme auf dem Tisch. Wenn sie ehrlich war, hatte sie gerade wie eine Verrückte an einem ellenlangen Aufsatz geackert, um nicht über Snape und das, was er gesagt hatte, nachdenken zu müssen. Harry schien ihr Unbehagen jedoch nicht zu bemerken, er schluckte, nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. „Es ist… also…hast du das auch gehört? Er hat doch gemeint… also, wenn ich mich richtig erinnere… Also, er hat ein paarmal Andeutungen gemacht, dass ausgerechnet jetzt, wo eigentlich alles zu spät ist, Lucius sein Gewissen entdeckt hätte!" Hermine zuckte die Achseln. „Ja. Ähm… Ob er jetzt wirklich sowas wie Gewissen gemeint hat. Hmm… er sagte, wenn ich mich richtig erinnere, dass Voldemort so mächtig wäre, dass er praktisch unangreifbar ist. Tja, und dass ausgerechnet jetzt Leuten wie Malfoy klargeworden wäre, wen sie eigentlich die ganzen Jahre unterstützt hätten und das…" Sie seufzte und winkte ab. „Lauter depressives Zeug. Dass eben jetzt alles vorbei ist und…" „Ja… aber hat er jetzt gesagt, Leute wie Malfoy oder Malfoy… aber Malfoy ist doch auf jeden Fall Bestandteil dieser Behauptung, oder?" Hermine runzelte die Stirn. „Ja… schon!" „Hmm!" Hermine wurde ein klein wenig rot. „Draco hat das auch gesagt!" Harrys Kopf schoss herum. „Was?" Hermines Wangen glühten. Es war ein absolutes Tabu, in Harrys Gegenwart irgend etwas über diese ganze Draco-Sache zu sagen. Sie bereute zutiefst, dass ihr dieses Geständnis herausgerutscht war und hoffte, so schnell wie möglich das Thema wechseln zu können. „Ach, er… er hat gesagt, er hat es nicht so deutlich gesagt… aber… also, ich hatte den Eindruck, dass seine ganze Familie, mit Ausnahme von Bellatrix natürlich, nicht so ganz glücklich mit der Situation ist. Aber… ich meine, sie glauben wohl nicht, dass man da noch was machen kann!" Hermine schluckte, denn ihr Hals schien enger zu werden und schmerzte. „Aber… ich weiß nicht. Am Anfang war Draco ja auch nicht so… es ging ihm…" Sie schluckte und drehte ihr Gesicht von Harry weg, damit er ihre feuchten Augen nicht bemerkte. Ihre Stimme war schwach und verriet ihre Trauer, doch das sollte sie nicht. Sie musste sich beherrschen, denn Harrys angewidertem Gesichtsausdruck nach würde er nie verstehen, was diese Beziehung wirklich für Hermine bedeutet hatte. „Also… aber… jetzt sieht er das wohl anders. Und die Malfoys haben ja auch was davon. Sie sind ganz an der Spitze und…" „…aber Snape sagte, dass Lucius nicht zufrieden damit wäre. Nicht?" Hermine nickte schwach. „Ja… aber… was bringt das? Sie waren schon immer Voldemorts Anhänger und auch wenn sie jetzt vielleicht nicht mehr so überzeugt sind, was ändert das schon?" Harry kratzte sein Kinn und verzog seinen Mund. „Hmm… nichts. Das ändert nichts. Stimmt…" Der nachdenkliche Ausdruck in seinen Augen schwand wieder, er runzelte die Stirn und sah Hermine direkt an. „Malfoy redet mir dir über sowas?" Hermine schluckte schwer und nickte knapp. Sie wollte, sie konnte nicht mit Harry darüber reden. Allein aus dem Grund, dass es sie wie eine tödliche Faust am Halse würgte und sie zu ersticken glaubte, wenn sie nicht endlich mit irgend jemand über Draco reden könnte. Aber gleichzeitig… wer würde das verstehen? Man würde sie bestenfalls hassen. Sie musste doch nur in Harrys Gesicht sehen. Jetzt.. bei dem Wort Draco wirkte er nicht mehr nachdenklich, nur noch angewidert. Malfoy, der Todesser. Natürlich… und Hermine, die ihm… Sie schüttelte den Kopf und hielt sich für einen Moment die Hände vor die Augen. Sie musste die Fassung waren. Niemand würde es verstehen, niemand. „Tja… irgendwie erinnert es mich ein wenig an das, was Lupin gesagt hat", wechselte Harry das Thema. „Weißt du, irgendwie ist es doch bei allen das Gleiche. Sie machen mit… wenn du da zuhörst, dann ist keiner wirklich begeistert, aber alle machen mit!" „Wie meinst du das?" Hermines Hände sanken locker auf den Tisch, sie drehte sich nun vollkommen zu Harry um und sah ihm aufmerksam ins Gesicht. „Verstehst du? Keiner ist dafür. Keiner will verantwortlich sein. Wenn man so zuhört, sind sie alle dagegen, fühlen sich alle als Opfer und dem einzigen, dem das ganze irgendwas nutzt, ist Voldemort… Angeblich zumindest. Trotzdem kommt keiner auf die Idee aufzuhören. Egal was passiert, sie machen alle weiter und lassen sich immer neue Sachen einfallen um… um… aber verstehst du. Sie hören nicht auf. Sie wehren sich so lange, bis die anderen Grund haben, sich zu wehren und die wehren sich dann so heftig, dass wir uns wieder wehren müssen und wenn man so drüber nachdenkt, ist das doch alles vollkommen sinnlos, weil die Leute doch untereinander angeblich gar keinen Kampf wollen. Echt… wen du auch fragst. Snape, Lucius, vielleicht dein Draco… guck nicht so, war nicht böse gemeint… selbst Voldemort behauptet, dass er nur verteidigen will… Und bei uns… Ich", er deutete mit dem Finger auf sich und schüttelte den Kopf. „Ich will auch nicht mehr. Ich… nein, ich will und ich kann nicht mehr." Er seufzte schwer und Hermine schämte sich zutiefst dafür, nie darüber nachgedacht zu haben, wie Harry denn mit seiner Mitgliedschaft im Orden zurechtkam, doch Harry ließ ihr, außer dass er ihr gestattete, ihre Hand auf seine zu legen, keine Gelegenheit das weiter zu erforschen, denn schon sprach er weiter. Leise, doch eindringlich… wie eine Beschwörung. „Keiner will es. Lupin sagt das ganz offen, dass er Zweifel hat… Kingsley war eh immer dagegen, McGonagall weigerte sich und Moody… ja… Moody bedauert es, aber er und Dumbledore sahen eben leider, leider keine andere Lösung. Und Dumbledore… ja… der ist, nein war, der Einzige, vor dem Voldemort Angst hatte. Naja.. abgesehen von mir." Er lachte bitter und schüttelte den Kopf, da er es wohl für eine besonders lächerliche Vorstellung hielt, dass Voldemort ihn fürchten könnte. Hermine hatte verstanden. In ihrem Verstand begann es zu ticken. Sie nickte eifrig. „Keiner will es gewesen sein. Alle schieben nur die Verantwortung an den nächsten weiter. Keiner war es, keiner wollte es… aber alle machen weiter. Solange… bis sie dann doch wieder einen Grund finden… Ausreden, nichts als Ausreden, weil sie…ach, was weiß ich!" Harry knallte die flache Hand so laut auf den Tisch, dass alle rings um sie herum zusammenzuckten und vor Schreck heftig atmend, zu ihm herumfuhren. „Hermine!", verkündete er laut. „Ich will nicht mehr!" Hermine legte den Kopf schief und bekam kugelrunde Augen. „Wie?" Harry stand auf und sprach laut und deutlich, obwohl, oder vielleicht gerade weil, es alle im Raum hören mussten. „Ron, Charly, Kingsley, Flitwick und wie sie alle heißen… selbst Neville… Und überhaupt. Crabbe und Goyle und Nott und Wurmschwanz und alle überhaupt. Ich will nicht mehr. Das hört jetzt auf!" Hermine wurde kalt, eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus, der vor elektrischer Spannung zu beben schien. Ihre Atmung beschleunigte sich und ihr Herz begann zu hämmern, denn in Harrys Augen lag ein Ausdruck, der verhieß, dass jetzt etwas geschehen würde. Etwas Gutes. „Komm!", sagte er. „Wir gehen nochmal zu Snape. Das kann noch nicht alles gewesen sein!" „Nein!", wiedersprach Hermine und grinste glücklich, weil es sie sonst vor Anspannung zerrissen hätte. „Wir gehen zuerst ins Ministerium, ich habe eine Idee!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)