Alles Trans* normal von Iztlacoliuhqui ================================================================================ Kapitel 1: 001 -------------- Wie mein Leben war, bevor ich Yoon kennen lernen durfte? Es war eine einzige Katastrophe. Aber erst einmal zu mir: Mein Name ist Mike. Oder zumindest würde ich mir das wünschen. Ich bin nämlich nicht männlich. Zumindest was den Körper betrifft. Tief in mir, mein Denken und mein Selbstverständnis ist geprägt davon, dass ich Mike bin. Nicht Johanna. Schon als kleines Kind, in der ersten oder zweiten Klasse hatte ich den Wunsch danach, ein Junge zu sein. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Wie ich einem Schulkameraden sagte: "Ich wär viel lieber ein Junge." Nun ja, er sagte: "Bist du aber nicht, ätschi bätsch", und bekam von mir eine auf die Nase. Der Wunsch wurde immer größer, je älter ich wurde. Die Haare wurden kürzer, die Kleidung weiter. Ich versuchte meine Brüste zu verstecken, wie es eben ging. Das war gar nicht so leicht, da sie schon gewissen Ausmaße hatten. Doch wie hatte ich mich immer gefreut, wenn mich jemand fragte, ob ich ein Junge oder ein Mädchen sei. Ich hatte für diesen Wunsch lange keinen brauchbaren Nährboden. Mit 14 oder 15 informierte ich mich aber darüber. Mit der einfachen Google-Suche "Ich will ein Junge sein". Klingt ziemlich verzweifelt, was? Ich las alles über Transsexualität, was ich finden konnte. Übersetzte sogar französische Seiten ins deutsche. Doch es scheiterte daran, dass ich mich nicht traute, meinen Eltern davon zu erzählen. Alles, was ich tat, war mich überall im Internet als männlich auszugeben, mich so weit zu kleiden, dass man immerhin Männlichkeit erahnen konnte und so wenig wie möglich zu sprechen – denn den heiß ersehnten Stimmbruch würde ich niemals haben. Zumindest dachte ich das, bis ich Yoon kennen lernte. Ich wusste damals nicht, dass mich das weigern zu Sprechen krank machen würde. Denn nach und nach bekam ich regelrecht Angst davor, den Mund aufzumachen. Ich fing an Situationen zu meiden, in denen ich meine Stimme gebrauchen musste. Es entwickelte sich daraus eine Sozialphobie, die mich mit 15 schon in ihren Fängen hatte. Ich fing an die Schule zu schwänzen. Denn da musste ich reden. Ob mit den Lehrern, den Schülern, selbst morgens und nachmittags den Busfahrer unter die Augen zu treten war an manchen Tagen zu viel für mich. Auch das ständige Fragen 'Wirke ich zu weiblich?' oder 'Sieht man meine Brüste?' und vor allem 'Seh bloß keinen an, am Ende wirst du noch angesprochen' machte mich völlig fertig. Und doch konnte ich nicht anders, diese und tausende andere Fragen kamen ständig in mir hoch. Ich bekam Depressionen. Mein Vater hatte schon sehr früh klar gemacht, dass er nichts für Schmarotzer und Faulenzer übrig habe – und das war ich in seinen Augen. Denn ich konnte ihm keinen plausiblen Grund nennen für das Schwänzen. Ich sagte nur, ich habe Angst davor, zur Schule zu gehen. Auf das 'Warum' aber, antwortete ich nie. Dafür hatte ich nicht den Mut. Mit 15 dann war ich völlig am Ende. Ich hatte mir eine kleine Traumwelt aufgebaut. Ich hasste die Realität, in der ich Johanna war, Brüste hatte und eine viel zu hohe Stimme. Wo ich ein Mädchen war. Im Internet fühlte ich mich wohler. Ich hatte meine Chats, jeder dort dachte ich sei ein Junge. Ich kam mir nur so verloren vor, denn ich konnte nicht ewig im Internet leben. Ich entschloss dort mein Leben zu beenden. Ich schrieb drei Abschiedsbriefe. Einen an meine Mutter, einen an meinen Vater und einen an meine damalige beste und einzige Freundin. Ich sammelte alle Tabletten ein, die ich im Haus finden konnte, ganz gleich was für einen Wirkstoff sie hatten und legte eine Flasche Wein oder Sekt dazu. Ich plante es Samstag nacht zu machen. Denn Sonntags schliefen alle aus, also hatten die Tabletten genug Zeit zu wirken. Donnerstag Abend legte ich alles in meinen Schrank. Ich ging Freitag das letzte Mal zur Schule, ich wollte meine beste Freundin wenigstens etwas vorbereiten darauf. Ich sagte nichts eindeutiges, aber dankte ihr, dass sie für mich da ist. Sie hat den Wink nicht verstanden. Erst hinterher wurde ihr das klar, wie sie mir später sagte. Als ich aus der Schule wieder kam, war aber alles anders abgelaufen, als geplant. Meine Mutter hatte alles gefunden. Hatte alle Abschiedsbriefe gelesen. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was für eine groteske Situation das war. Sie haben mich nicht sofort in eine Psychiatrie gebracht. Wir saßen bis zum Montag immer schweigend zusammen am Esstisch. Mir war noch nie im Leben etwas unangenehmer. Sie schickten mich zu einer Psychologin. Ich erzählte ihr nichts, kein Wort. Daraufhin schickte sie mich in die geschlossene Psychiatrie. Ich erwähnte nichts davon, dass ich ein Junge sein wollte und das das Hauptproblem war. Ich war immer noch zu feige. Ich bekam die Diagnose Sozialphobie und Depressionen. Nach vier Monaten dort wurde ich weiter gereicht an eine Jugendwohngruppe. Dort lebte ich, bis ich 18 war. Und bekam immer noch nicht den Mund auf. Vielleicht hatte ich bis dahin Angst vor einem weiteren "Ätschi Bätsch", wie in frühster Kindheit. Oder wollte nur nicht wieder in eine Psychiatrie. Ich hatte davor unglaubliche Angst. Als ich wieder bei meinem Vater wohnte, ging es dann erst einmal bergauf. Ich holte einen Abschluss auf der Volkshochschule nach und trug nebenbei Zeitungen aus. Ich war ziemlich stolz auf mich, denn ich hatte immer noch Panik vor dem Sprechen. Doch ich schaffte es trotzdem meinen Abschluss zu holen. Leider lernte ich in dieser Zeit jemanden kennen, der mein Leben völlig zerstört hat. Noch heute kriege ich Gänsehaut, wenn ich nur seinen Namen höre. Es gab so viel Streit wegen ihm zwischen mir und meinen Vater, dass ich auszog. Zu meinem Freund. Das war der größte Fehler meines Lebens. Ich habe nicht die Kraft es auszuschreiben. Er nahm mir meine Freunde, meine Freiheit und meine Würde. Das muss genügen. Nachdem ich 1 1/2 Jahre bei ihm gewohnt habe, bin ich alkoholkrank geworden. Und drohte erneut mich umzubringen. Wieder Psychiatrie, wieder sagte ich keinen Ton. Weder über Trans noch über meinen Freund. Der Kontakt zu ihm brach ab und ich zog zu meiner Mutter. Er ging, aber der Alkohol blieb. Ich war die letzten Jahre eigentlich nur betrunken gewesen. Hatte versucht mein Abi nachzuholen, doch musste abbrechen. Ich verlor mich wieder in meiner Traumwelt, genannt das Internet. Ich sah keinen Ausweg, keine Hoffnung und dachte oft darüber nach, mein Leben zu beenden – diesmal Nägel mit Köpfen zu machen. Ich lebte so fast 2 Jahre durchgehend. Dann lernte ich Yoon kennen. Meine Cousine hatte mir ein Bild von ihm geschickt. Er war unglaublich schön – das könnt ihr mir glauben. In meinen Augen der schönste, junge Mann, den ich jemals gesehen hatte. Er war sehr schüchtern, traute sich erst nicht mich im ICQ zu adden. Doch dann war es... wie soll man das nennen? Liebe auf den ersten Buchstaben? Wir schrieben jeden Tag. Ich erfuhr, dass er verheiratet war – mit einem Mann. Gott, war das deprimierend. Aber die besten sind immer vergeben, nicht wahr? Doch es kristalisierte sich heraus, dass es in seiner Ehe alles andere als gut lief. Ich bekam viel von dem Streit mit. Und dass er sich nach Liebe und Zuneigung sehnte. Ich wollte sie dennoch nicht auseinander bringen. So egoistisch bin ich nicht, zumindest glaube ich das. Erst als mir Yoon gestand, dass er sich in mich verliebt hat, habe ich mich richtig ins Zeug gelegt. Ich gin die ganze Palette durch – Liebeserklärungen, mit ihm SMS gewechselt (ich habe extra wegen ihm mein Handy wieder aus einer alten, staubigen Kiste gefischt) sogar Blumen geschickt. Wenn man jemanden wie ihn kennen lernt, muss man am Ball bleiben! Ich merkte auch ziemlich früh, dass er keine einfache Person ist. Vieles in seinem Denken ist negativ und er wird unglaublich schnell eifersüchtig. Er verletzt sich selbst und ist sehr depressiv. Keines von diesen Macken hat mich abgeschreckt. Ich war immerhin auch kein unbeschriebenes Blatt. Ich erzählte ihm auch keine Lügen, er wusste von Anfang an, dass ich in einem Mädchenkörper war. Und es war unglaublich befreiend für mich, dass er das akzeptierte. Er betitelte mich kein einziges Mal als Mädchen oder nahm weibliche Pronomen in den Mund, wenn es um mich ging. Ich erfuhr auch bald danach, warum er so unglaublich gut damit klar kam – er war selbst Transsexuell. Er 'gestand' mir das in einer sehr langen Mail. Ich fiel damals aus allen Wolken, konnte das gar nicht glauben. Ich sah mir jedes Foto von ihm an. Doch ich fand nichts weibliches an ihm. Ganz egal wie genau ich hinsah. Er hatte Angst, ich würde ihn dafür hassen, dass er mir das verheimlicht hatte. Doch genau das Gegenteil geschah. Ich liebte ihn umso mehr. Denn diese Tatsache verband uns ungemein. Wir schrieben fast ein Jahr miteinander, bevor wir uns sahen. Denn obwohl er mir Kraft gab und Hoffnung, mit mir die Vornamensänderung machen wollte und mir erklärte, wie man vorgehen muss auf dem Weg ein Mann zu werden, ging es mir noch immer nicht besser. Ich war abgemagert, ich trank jeden Tag und kapselte mich ab. Mein Zimmer war meine Welt, alles was außerhalb davon war, machte mir Angst. Meine Mutter machte mich wahnsinnig. Ich war noch immer von den Erlebnissen meines Ex Freundes eingenommen, dachte jede ruhige Minute daran. Sie wusste das nicht, was damals passiert war, denn wie immer hatte ich keinen Ton gesagt. Also wusste sie auch nicht, dass ich nicht annähernd dazu in der Lage war, Schule zu machen oder arbeiten zu gehen. Es wurde immer schlimmer mit mir. Viele meiner Internet-Freunde kehrten mir den Rücken zu, wenn ich durchsickern ließ, dass ich mal wieder betrunken war. Nicht viele blieben. Ich dachte schon wieder darüber nach, aufzugeben. Yoon war der einzige Grund, es nicht zu tun. Ich wollte ihn nicht verletzen damit. Ich hasste es, wenn er meinetwegen traurig war – und das war er oft. Nach 11 Monaten des Chattens kam mitten in der Nacht eine SMS von ihm. "Pack deine Sachen und geh duschen, wir kommen dich abholen." Mein Herz stoppte, als ich das las. Ich konnte es nicht fassen. Doch heute weiß ich, dass dieser Tag der schönste meines Lebens werden würde. Kapitel 2: 002 -------------- Ich hatte den Schock der Nachricht noch nicht wirklich verdaut. Den ganzen Tag über hatte ich dieses Kribbeln in der Magengegend. Und mich quälten Fragen. Diese verfluchten Fragen, die mich schon mein ganzes Leben verfolgten. Wirke ich zu weiblich? Was ist, wenn ich ihm doch nicht Mann genug bin? Was ist, wenn er meine schiefen Zähne sieht? Meine komischen Füße? Meine Stimme hört (wir hatten sehr oft telefoniert, aber in echt hört sich nunmal alles anders an)? Diese und mehr Fragen trieben mich in den Wahnsinn. Ich lief den ganzen Tag über von einem Raum zum nächsten, duschte zweimal um sicher zu gehen, dass ich nicht irgendwie stank. Wechselte vier Mal die Klamotten um sicher zu gehen, dass man auch nichts sah. Mein Brustbinder, den mir Yoon geschickt hatte, war nämlich etwas ausgeleiert und ich hatte keine Ahnung, wie man sowas waschen sollte. Ich war zwar inzwischen bei meiner Mutter geoutet als Transsexuell, aber ich traute mich trotzdem nicht, sie danach zu fragen. Hätte ich es bloß getan! Ich wechselte viele SMS mit Yoon. Er war auf dem Weg. Er wohnte in Brandenburg, ich in Niedersachsen. Deswegen fuhr er eine Weile. Irgendwie machte es das noch schlimmer. Ich wollte den ersten Moment so schnell wie möglich hinter mich bringen – denn das würde der sein, in dem mein Herz wieder einen Aussetzer machen würde. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich tun würde. Ob ich erstarren würde, wie eine Statue und ihn einfach nur anglotze (was sehr peinlich wäre), oder lache, was ich immer tue, wenn ich extrem nervös bin (noch peinlicher) oder ob ich alle meine Fragen, Ängste und Zweifel beiseite schieben konnte und ihn einfach in den Arm nehmen und küssen würde (perfekt!). Irgendwann zwischen dem ersten Mal duschen und dem zweiten Mal umziehen setzte ich mich ins Wohnzimmer zu meiner Mutter. Sie fand es nicht gut, dass ich so spontan wegfuhr. Aber das war mir natürlich egal. Ich wollte Yoon sehen. Mehr als alles andere. Und hier weg wollte ich auch. Mal ehrlich, was für Perspektiven hatte ich hier schon? Mein Leben bestand darin bis mittags zu schlafen, den PC anzumachen, vielleicht (vielleicht aber auch nicht) etwas zu Essen, abends meine Weinflasche zu leeren und dann schlafen zu gehen. Das war kein Leben, das war nur existieren. Ich hoffte einfach, dass das mit Yoon enden würde, dass ich durch ihn endlich zu leben anfangen konnte. Nicht nur, weil ich ihn schon dort abgöttisch liebte, sondern auch, weil er wusste, was ich tun musste, um meine Sehnsucht nach einem männlichen Dasein zu stillen. Er war nämlich schon länger in dem Prozess. Er bekam Testosteron und würde in einem halben Jahr bereits die Brust-OP haben (Mastektomie). Er hatte seinen Stimmbruch schon, das hörte ich bei unseren vielen Telefonaten. Er war deshalb nicht nur in einer Hinsicht der Strohhalm, an den ich mich klammerte. Die Stunden vergingen grausam langsam. Yoon hielt mich auf dem Laufenden, wo sie gerade waren und wie lange es noch dauern würde. Aus unerfindlichen Gründen sank meine Nervosität ab einem gewissen Punkt wieder. Ich dachte, das sei alles nur ein Traum. Es kam mir unreal und befremdlich vor, als sei ich nur der Zuschauer und es beträfe mich selbst gar nicht. Ich redete mit meiner Mutter darüber, dass ich höchstens zwei Wochen wegbleiben würde, dass sie sich um meine heißgeliebten Haustiere (zwei Meerschweinchendamen) kümmern sollte und ob ich vorher vielleicht noch was essen sollte. Meine Tante rief sie an. Hätte sie dieses Gespräch doch nur einen Tag später geführt. Es war Tante Janine, die sehr korpulente (wenn ich das mal so sagen darf) Schwester meiner Mutter. Warum sie auf Lautsprecher gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich hätte mir gewünscht, sie hätte es einfach nicht getan. Denn Janine meckerte ziemlich offenherzig über mich. Dass ich meiner Mutter auf der Nase herumtanzen würde – denn ich ging weder arbeiten, noch machte ich Schule, noch half ich im Haushalt. Ich hörte nur zu und mir wurde irgendwie kalt. Denn ich hatte Tante Janine schon seit fast 3 oder 4 Jahren nicht mehr gesehen. Ich hatte seitdem auch kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Und nun durfte ich mir anhören, was sie zu meiner Situation meinte. Dabei hatte sie doch keinen blassen Schimmer. Ich hielt den Mund – wie immer. Eine ziemlich schlechte Angewohnheit, wie ich inzwischen finde. Irgendwie verdunkelte das den Tag. Meine Mutter nahm mich zwar wenigstens halbherzig in Schutz, aber das spielte keine Rolle. Ich hasste es einfach, wenn Leute über mich sprachen, ohne eine Ahnung zu haben, was überhaupt los war. Ich verbrachte die restliche Stunde, bevor Yoon bei uns ankam, damit darüber nachzudenken, ob ich wirklich so ein Stück assoziales Dreck wäre, wie so viele behaupteten. Bis die SMS kam, dass sie in 5 Minuten da wären. Fast augenblicklich verschwanden diese dunklen Gedanken, als hätte jemand sie einfach zerplatzen lassen. Ich sprang auf und holte meinen Koffer, den meine Mutter gepackt hatte (sie hat sich nicht aufhalten lassen) aus dem Zimmer. Stellte ihn in den Flur und zog mich das vierte Mal um. Gerade noch rechtzeitig. Denn sie waren auch schon da. Es klingelte und ich drückte den Summer. Das Kribbeln in meinem Bauch war aufs unermessliche angestiegen. Jetzt würde ich ihn sehen, nach 11 Monaten chatten und telefonieren. Ich hatte irgendwie Angst, dass mir schlecht werden würde. Und in bruchteilen von Sekunden flogen Bilder vor meinem geistigen Auge vorbei. Bilder von allen Möglichkeiten, wie ich reagiere, wenn ich ihn sehe. Ich stand im Treppenhaus, hörte ziemlich viele Schuhpaare die Treppe heraufkommen. Erst sah ich seine beste Freundin – Daniela. Sie hatte in etwa die gleiche Statur wie oben genannte Tante. Ich sah sie mir aber nur eine Sekunde lang an. Denn dann sah ich Yoons Haarschopf. Mein Herz blieb stehen, wie ich es vorausgesehen hatte. Er drehte den Kopf zu mir und lächelte oder lachte, oder beides. Ich machte einen Schritt rückwärts, erstens aus Überraschung – denn das war nun eindeutig kein Traum. Er war wirklich da, er lächelte mich an, lachte und kam zu mir die Treppe hinauf. Und zweitens vor Schreck. Nicht etwa, weil ich es schrecklich fand, dass er nun da war und es echt war. Nein, ich hatte wieder all die Fragen im Kopf. Und ich hatte Angst vor den Antworten. Doch als er bei mir ankam, nahmen wir uns in die Arme. Ich hatte Angst, ich müsste weinen, aber ich bin ziemlich gut darin, es zu unterdrücken. Das Kribbeln in meinem Bauch war nun ein Schmetterlingsschwarm geworden. Ich drückte ihn an mich. Und für diesen Augenblick, in dem wir uns zum ersten Mal berührten, schwiegen die Fragen und Zweifel. Später erst dachte ich darüber nach, ob er vielleicht durch meinen ausgeleierten Brustbinder etwas gespürt hat. Aber in dem Moment war mir das schlichtweg egal. Wir küssten uns dort nicht. Ich hatte nicht den Mut dazu. Und er wahrscheinlich auch nicht. Außer seiner besten Freundin war noch seine Stiefmutter dabei. Sein Vater war unten im Wagen geblieben. Alle drei gingen aufs Klo, bevor ich mit ihnen runter ging. Nun ja, zumindest der Teil mit dem Umarmen war ja perfekt gelaufen – nur alles andere nicht! Ich bekam einfach keinen Ton raus. Gott, habe ich mich dafür gehasst. Ich lernte seinen Vater kennen, er begrüßte mich fast überschwenglich. Dann saß ich hinter dem Fahrersitz eng gequetscht an Yoon. Seine Freundin saß auf der anderen Seite. Ich schwieg und er schwieg. Ab und an versuchte seine Freundin ein Gespräch anzufangen. Aber ich war völlig überfordert. Das Kribbeln hatte keinen deut nachgelassen, wurde eher schlimmer. Und jetzt wurde mir wirklich schlecht. Aber das konnte auch am Autofahren liegen. Mir wurde dabei immer schlecht. Wir saßen so dicht beieinander. Es war unglaublich. Eben noch hunderte von Kilometern getrennt und nun saßen wie eingequetscht hinten im Auto. Ich war glücklich und gleichzeitig hatte ich Angst. Angst vor den Antworten auf die Fragen. Wir hielten nach gefühlten 3 Stunden an einem McDonalds um uns zu stärken. Ich musste erst mal eine rauchen. Mir wurde irgendwie schwindelig davon, als wär das meine erste Kippe gewesen. Vielleicht war ich aber auch im Liebestaumel. Essen konnte ich irgendwie auch nicht. Ich hatte zwar Angst, irgendwer von ihnen würde denken ich sei Magersüchtig (außer Yoon, der wusste ja, wie es um mich gestanden hatte), aber ich bekam einfach nichts runter. Außer den Kaffee, den mir seine Stiefmutter Svenja ausgegeben hatte. Irgendwer wies mich darauf hin, dass ich ziemlich finster drein schaute. Das fiel mir gar nicht auf, irgendwie war das mein normaler Gesichtsausdruck gewesen. Selbst als ich ein kleines Kind war, sagte meine Uroma immer: "Johanna, nun guck doch nicht so ernst!" Ob ich diesen Namen jemals in dem Personenkreis hier hören würde? Zumindest hatte Yoons Vater mich sofort Mike genannt. Aber vielleicht wusste er schlichtweg meinen... richtigen? Falschen? Weiblichen? Namen nicht. Ich weiß nicht mehr, was wir am Tisch auf der Außenterasse des McDonalds Restaurants geredet haben – oder eher was die anderen geredet hatten – denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt Yoon anzustarren. Er war unglaublich schön! Er hatte Rehbraune Augen, eine sehr schöne Hautfarbe, alle im Gesicht war da, wo es sein sollte. Er war klein (leider genauso groß wie ich – das störte mich, denn ich wollte größer sein als er) und zierlich. Genau das, was ich wollte. Wir fuhren weiter. Irgendwann wurde ich sehr müde, ich hatte die Nacht immerhin nicht geschlafen. Ich senkte meinen Kopf etwas in Yoons Richtung und er darauf gleich seinen in meine. Sein Kopf ruhte dann auf meiner Schulter. Das Gefühl war einfach unbeschreiblich. Ich legte meinen Kopf auf seinen und schloss die Augen. Ich konnte so nicht schlafen, denn ich wollte diese Nähe genießen. Ich konzentrierte mich so sehr darauf, wie er atmete und sich bewegte, dass die restliche Fahrt wie im Flug verging. Als wir bei seinem Vater ankamen war ich etwas platt. Yoon hatte mir von dem Grundstück seines Vaters erzählt. Und ich in meiner dämlichen Art hatte daraus eine Luxusvilla in Gedanken gebaut. Ich dachte, sie hätten ein riesiges Haus mit Garten, einem großen Wohnzimmer und schicker Küche. Und ich dachte, der Wohnwagen, in dem wir demnächst wohnen würden, wäre um einiges größer. Aber das war natürlich meine eigene Schuld, ich hatte zu viel Phantasie. In Wirklichkeit war es ein relaitv kleines Grundstück und die 'Villa' nur ein Bungalow. Ein Flur der ins Bad und in die Küche führte. Das Bad hatte nur einen Vorhang als Tür, es war eine Badewanne darin, die man anscheinend nicht benutzen konnte. Und ein Klo. Die Küche war schon groß, aber auch nicht die hochmoderne, die ich mir vorgestellt hatte. Durch die Küche kam man in das Schlaf- und Wohnzimmer. Ansonsten war das Grundstück Sand mit Rasen. Es stand viel Müll an den Seiten, die seine Eltern verkauften. Ein Tisch mit Stühlen drum herum. Und am Zaun etwas neben der Einfahrt stand der kleine Wohnwagen. Wir waren gerade angekommen, da musste Yoon mit seiner Freundin und seinem Vater wieder weiter. Denn er wollte genau heute mit seinem Ehemann Dennis Schluss machen. Ich hatte Angst, wie fast die ganze Zeit. Vielleicht überlegte es sich Yoon doch noch anders. Vielleicht war ich nicht das, was er erwartet hatte? Ich sah sie wegfahren und war mit Svenja alleine. Seine Stiefmutter redete etwas mit mir über Dennis. Dass sie es gut fand, dass Yoon sich nun von ihm trennte. Sie fand es ungeheuerlich, dass Dennis in Yoons Privatsachen herumschnüffelte und wie er mit ihm umsprang. Ich pflichtete ihr bei und wartete ungeduldig. Yoon war ziemlich lange weg, oder zumindest kam es mir so vor. Ich stand Ängste aus, das glaubt mir keiner. Ich hatte Angst, ich müsse sofort wieder nach Hause. Oder dass er sich nicht traut, Dennis die Wahrheit zu sagen. Oder (und das wäre das Schlimmste gewesen) Dennis würde ihm etwas antun aus verletztem Stolz. Spät am Abend kam dann eine SMS von Yoon. "Wir sind auf dem Rückweg. Ich habe mich für dich entschieden. Und ich muss dir noch was sagen." Der letzte Teil jagte mir einen echten Schrecken ein, auch wenn die ersten beiden Sätze nur gutes erahnen ließen. Ich fragte ihn, was er mir denn sagen müsse. Doch er antwortete, dass er mir das gleich sagt, wenn sie wieder da waren. Er brachte einige Kartons mit. Wir trugen sie in den kleinen Bungalow und redeten anschließend draußen an dem Tisch miteinander. Er wollte, dass ich länger bliebe. Bis zum Ende einer Anime Convetion. Er war ein richtiger, kleiner Mangafreak, was ich irgendwie ziemlich niedlich fand. Und mir kam es nur Recht, wenn ich länger bleiben konnte. Ich freute mich unglaublich. Ich konnte es dort noch nicht so wirklich zeigen, weil meine Ängste und Zweifel mich immer noch umtrieben. Aber ich glaube, Yoon wusste, wieviel mir das bedeutete. Jeder Tag, den ich mehr bei ihm blieb, verstärkten meine Gefühle zu ihm. Und gleichzeitig schwanden nach und nach alle Fragen. Jede einzelne. Heute habe ich keine einzige mehr, nicht bei ihm. Er liebt mich, ich liebe ihn. So einfach ist das. Er sieht mich als das, was ich bin. Als Mike! Und etwas schöneres kann es für mich nicht geben. Kapitel 3: 003 -------------- Wir redeten lange. Oder kam es mir nur so vor? Sie besprachen Sachen, die mit Scheidung zutun hatten. Und eigener Wohnung, Anträge auf Hartz4 und allerlei Sachen, die wichtig für die Zukunft waren. Zukunft... Das machte mir erneut Angst. Oh man, ich hatte echt wegen jedem Pups Angst, merkt ihr das? Aber mal ehrlich... Ich war bei Yoon, er ließ sich von Dennis scheiden, wegen mir! Er wollte sich eine Wohnung suchen mit Daniela. Mir war natürlich klar, dass er nicht sofort sagte "Ich zieh mit Mike zusammen!". Das wäre doch etwas verfrüht, so am ersten Tag. Aber die Zukunft machte mir dennoch Angst. Jetzt war es offizieller als sonst. Ich und Yoon waren ein Paar (eines ohne ersten Kuss). Dennis war Geschichte und ich war die Zukunft. Seine Zukunft. Und er meine. Aber ich kam mir auf einmal so verloren vor. Ich war jahrelang in meinem kleinen Zimmer von mir selbst eingesperrt gewesen, hatte kaum Kontakt zu irgendwem und verschwendete mein Leben mit Alkohol und Schlafen. Und jetzt plötzlich stand ich hier, im Garten von Yoons Vater. Wenn man aus der Ausfahrt sah, war dort ein riesiges Feld, mit hochgewachsenem Gras. Überall war Wald um uns herum. Unsere Nachbarn lebten auch in Bungalows, so wie alle in dieser Straße. Es war eine Einöde. Ich meine, ich fand es gar nicht schlecht, immerhin war ich nicht mitten in einer Großstadt gelandet. Aber diese Weite und diese Freiheit erdrückten mich etwas. Ich war es einfach nicht mehr gewöhnt. Irgendwie war mir sogar nach Heulen zumute. Ich hatte jetzt alles, was ich wollte – nämlich Yoon – und doch brach zumindest für diesen Moment alles über mich hinein. Ich dachte, was für ein Idiot bin ich eigentlich, dass ich mir jetzt solche Gedanken mache? Ich bin doch dort, wo ich sein will. Warum bin ich dann nicht glücklich? Ich beantwortete mir die Frage damit, dass es einfach die Angst ist, die das verhindere. Ich zwang mich einfach dem zuzuhören, was gesprochen wurde. Ich rauchte eine nach der anderen und schielte die ganze Zeit zu Yoon rüber. Inzwischen registrierte mein Verstand, dass wir bald ins Bett gehen würden. Es war schon dunkel, ich glaubte es wäre so zwischen 10 oder 11 Uhr abends. Und ich war hundemüde. Aufregung vertrug sich einfach nicht mit Schlaf. Ich spinnte den Gedanken an Schlafen weiter und fragte mich, ob wir in einem Bett schlafen würden. Natürlich würden wir das, in den Wohnwagen da passen unmöglich zwei Betten rein... oder? Ich war mir unsicher. Immerhin war seine Freundin Daniela auch noch da. Und die schlief glaubte ich auch hier. Schliefen wir alle drei in einem Bett? Ich und Yoon in einem oder gar alle drei in verschiedenen? Und wenn ich und Yoon wirklich in einem Bett schliefen... hätte ich den Mumm, mich an ihn zu kuscheln? Ihn von hinten zu umarmen, meine Arme um ihn zu schlingen, ihn an mich zu drücken? Oder würde ich feige in einer Ecke und er in der anderen schlafen? Wir hatten oft darüber geschrieben, wie es wohl ist, wenn wir zusammen sind. In meiner Wunschvorstellung liege ich genau so, wie ich es eben beschrieben hatte. Manchmal tröstete ich ihn sogar damit, wenn es ihm sehr schlecht ging. Und fragte dann, ob er meinen Atem in seinem Nacken spürt. Was für eine schöne Vorstellung. Und ehe ich mich versah, war es dann soweit. Ich war so aufgeregt als sich alle eine gute Nacht wünschten. Yoon, Daniela und ich verschwanden im Wohnwagen. Er war wirklich ziemlich klein. Rechts neben dem Eingang war ein kleines Bett, auf das Daniela sich gleich setzte. Ich will jetzt nicht bösartig klingen, aber ich fragte mich ernsthaft, wie das Bett dieses Gewicht aushielt. Links vom Eingang war eine kleine Küchenzeile, die aber nicht als solche gebraucht wurde. Es stand ein Flachbildfernseher darauf. Wenn man nach vorne guckte, waren dort Schränke die zum bersten voll mit allem Möglichen waren. Und am Ende des kleines Ganges zwischen Küchenzeile und Schrank war ein größeres Bett. Darin würden er und ich also schlafen. Mein Herz pochte, ich fühlte es sogar in meinen Händen. Yoon setzte sich aufs Bett und unterhielt sich etwas mit Daniela. Ich setzte mich zu ihm. Und prompt kam das nächste Problem – ich musste mich irgendwie ausziehen. Natürlich nicht ganz nackt, das wollte ich nicht vor Yoon und vor allem nicht vor seiner Freundin. Nur den Pulli, den ich trug. Das T-Shirt darunter würde ich anbehalten. Die Hose war eher das Problem. Ich hatte dabei zwei Schwierigkeiten: Erstens würden sie meine dürren Beine sehen, wenn ich die Socken auszog auch meine seltsamen Füße. Und Zweitens... ich hatte einen ziemlich großen Packer in der Unterhose (eine Art Penis-Prothese). Ich hatte Angst, dass ich damit lächerlich wirke. Und irgendwie wünschte ich mir, ich hätte mir einen kleineren bestellt. Yoon zog sich dann aus. Er entkleidete sich obenrum bis zur Brustbinde. Ich war fasziniert und beeindruckt, weil er ich dachte, er hätte mehr Hemmungen. Er zog sich dann ein Schlafhemd an. Seine Hose zog er auch sofort aus. Er hatte einen wesentlich kleineren Packer, das konnte ich sehen (Ups, hab ich ihm echt zwischen die Beine gestarrt?). Ich folgte dann seinem Beispiel, auch wenn ich mich nicht bis auf die Brustbinde entkleidete. Es wurden Kommentare gemacht über meine Beine – aber nicht wie ich befürchtet hatte, weil sie so dünn waren. Eher über die wuchernde Behaarung. Ich war und bin sehr stolz darauf, dass ich auch vor dem Testosteron ziemlich behaart war. Und ich freute mich, dass es Yoon auffiel. Ich weiß nicht mehr, was wir in der Nacht noch beredet hatten. Ich glaube, ich habe sogar den Mund etwas aufgekriegt. Aber eins weiß ich. Als das Licht ausging und wir uns hinlegten, habe ich Yoon von hinten umarmt. Meine Arme um ihn geschlungen und ihn an mich gedrückt. Selbst, dass er meinen Atem nicht spüren konnte, weil ich zu klein war um ihn dort zu erreichen, war nicht schlimm (auch wenn es schöner gewesen wäre). Ich küsste seinen Rücken. Ich war in dem Moment glücklich. Die ganze Zeit über war ich angespannt. Nun war ich die Entspannung in Person. Und da fiel mir zum ersten Mal auf, wie gut er roch. Ich lag noch lange wach und habe ihn einfach nur gehalten. Ich wollte ihn nicht mehr loslassen. Selbst als ich Rückenschmerzen bekam, ließ ich ihn nicht los. Ich bekomme immer Rückenschmerzen, wenn ich eine Weile in der gleichen Position liege. Ich glaube, das lag an meinem Untergewicht. Aber es war mir egal. Ich hielt ihn, sog seinen Duft ein, horchte seinem Atem und spürte mein Herz wild schlagen. Es war wie der wunderschönste Traum den man haben kann. Nur, dass es kein Traum war. Sondern meine Zukunft. Kapitel 4: 004 -------------- In der Nacht hatte ich wenig geschlafen. Zum einen weil es unglaublich aufregend war neben Yoon zu schlafen (und abwechselnd zu glauben es sei Traum und Realität), zum anderen hatte ich irgendwie Angst Dennis würde hier aufschlagen. Terror schieben und mich oder Yoon vermöbeln. Das passierte aber zum Glück nicht. Es ist mir peinlich, denn ich erinnere mich gar nicht mehr an den Ablauf des aller ersten Tages, den ich bei Yoon verbrachte. Ich weiß noch, dass er mich öfter fragte, ob irgendwas sei. Weil ich ihn andauernd anstarrte. Meine Antwort war immer die Gleiche: "Nichts, ich gucke dich nur gerne an." Und das war die Wahrheit. Er war schöner als auf allen Fotos, die ich von ihm hatte (und ich hatte verdammt viele). Wir saßen draußen, an dem Tisch. Sein Vater und seine Stiefmutter waren arbeiten (glaube ich). Er und seine Freundin redeten und ich trat mir im 5 Minuten-Takt gedanklich selber in den Arsch. Denn ich bekam es nicht hin, ihn zu küssen. Ich wollte es so sehr, das könnt ihr mir glauben. Ich war so ein verdammter Angsthase! Meinen Mund bekam ich immer noch nicht so wirklich auf. Und ich hatte die Befürchtung, dass das noch schlimmer werden würde, wenn Daniela nach Hause fahren würde. Er und ich – ganz allein. Zum einem hatte das etwas gutes, denn im Großen und Ganzen konnte ich seine Freundin nicht leiden. Das lag auch daran, dass ich glaubte, sie sei in ihn verliebt (was sich bewahrheitete) und weil wir zumindest beim Chatten schon aneinander geraten waren. Aber ich hielt mich dahingehend zurück, ich wollte Yoon nun wirklich nicht seine Freunde verbieten. Für die meisten wäre es selbstverständlich, dass man sich da zurückhält. Aber bei mir und Yoon war das etwas anderes. Wir wollten kein normales Paar sein. Er hat mich noch bevor er mir die Liebe gestand gefragt, ob ich sein 'Herrchen' sein wolle. Damals hatte ich ziemlich zurückhaltend geantwortet. Denn er wollte eine Master/Slave Beziehung. Und ja, soetwas wollte ich auch! Mich zerfraßen nur Zweifel, ob ich dazu in der Lage war. Ob ich Autoritär genug dafür war, ob ich die Kraft dazu hatte ihn zu unterdrücken (von ihm gewollt, wir sprechen hier immer vom gegenseitigen Einverständnis) und ob er mich in meiner Rolle ernst nehmen konnte. Damals schrieb ich, dass ich mir nicht sicher sei, ob ich das könne. Und warum ich das schrieb, zeigte sich nun an diesem Tag. Yoon bekam eine SMS von Dennis. Eine sehr unfeine, wenn ich das mal so umschreiben darf. Es ging um Geld, dass Yoon ihm ziemlich viel schulden würde und er das haben wolle. Über 500 Euro sollten das gewesen sein. Yoon, der eh schon angeschlagen und down war, zog das natürlich in einen tiefen Abgrund. Er sprang auf und lief in den Wohnwagen. Ich sah ihm nach, aber wusste nicht, was ich tun sollte. Ihn sich beruhigen lassen? Hinterherlaufen? Und wenn ja, was sollte ich machen, sagen, tun? Ich saß dort mit Daniela, wir schwiegen uns an und ich sah die ganze Zeit rüber zum Wohnwagen. Bis Daniela sagte: "Dann guck doch nach." Sie hatte natürlich gemerkt, wie ich den Wohnwagen beglotzt hatte. Und irgendwie bin ich schon aufgesprungen, noch bevor sie den Satz überhaupt beendet hatte. Als hätte sie mich in die Richtung geschubst. Das muss ich ihr zugute halten, auch wenn ich sie nicht mochte. Im Wohnwagen lag Yoon que über dem Bett, mit dem Kopf aus dem breiten Fenster. Ich legte mich daneben. Ich fragte, ob es wieder ginge. Er nickte. Und fragte, wann ich aus meiner Schockstarre (so nannte ich scherzhaft meinen Zustand, in dem ich fast kein Wort sagte) aufwachen würde. Ich hatte keine Ahnung. Zumindest redeten wir dort etwas mehr. Ich glaube über Anime und Vergangenes. Und machten scherze, dass Daniela jetzt sicher denken würde, wir haben Sex. Weil wir so lange weg waren. Und Gott weiß: Ich hätte ihn am liebsten dort geküsst und wüschte, der Scherz mit dem Sex würde purer ernst werden. Doch weder das eine, noch das andere geschah. Als wir uns wieder zu Daniela setzten wurde ich wieder schweigsamer. Aber ich hatte es genossen mit ihm allein zu sein. Und augenscheinlich hatte es ihm auch geholfen. Und er würde jetzt wirklich Hilfe brauchen. Es war ja nicht nur so, dass er mit seinem Freund Schluss gemacht hatte. Er war verheiratet, hatte seine Sachen alle noch bei ihm und wie gesagt, stand etwas im Raum, was 500 Euro bedeutete. Seine Freundin hatte Würstchen gemacht. Die waren echt lecker, keine Frage. Aber ich bekam gerade mal zwei oder drei von ihnen runter. Da war ich dann schon vollgefressen. Ich überlegte, ich ich mir noch ein paar von ihnen reinzwängte, ich wollte nicht, dass die beiden doch noch dachten, ich sei essgestört. Aber ich konnte einfach nicht. Ich brachte zu dem Zeitpunkt 45kg auf die Waage und war 1,66m groß. Das war nicht sonderlich viel. Zuhause hatte ich ja kaum bis gar nichts gegessen. Das nagte nicht nur an meinem Selbstbewusstsein, dass ich so dünn war, es ließ auch die Hoffnung kleiner werden, dass Yoon mich als Master ernst nehmen konnte. Oder dass irgendwer mich als Mann ernst nehmen konnte. Als sein Vater und seine Stiefmutter wieder da waren, ging auch das Diskutieren los. Dennis' Forderung nach dem vielen Geld sei an den Haaren herbei gezogen. Und sie würden für Yoon einen Anwalt bereit stellen, einen Freund von ihnen. Sie planten dann den Hartz4 Antrag und wann sie Yoons Sachen holen sollten. Wie gesagt, ich erinnere mich nicht genau. Zumindest hörte sich das alles recht gut an. Yoon würde sich erstmal hier bei seinem Vater anmelden und einen Antrag stellen. Dann würde er mit Daniela eine Wohnung suchen. In Berlin, weil dort seine Psychologin war, die ihn wegen seiner Transsexualität betreute. Ich fand es schön, dass ihn dort alle so behandelten, wie einen Jungen. Das machte mir Mut und ich fühlte mich dort wohl. Ich dachte wirklich, es würde eine schöne Zeit dort werden. Leider kam ja alles anders. Kapitel 5: 005 -------------- In den nächsten Tagen passierte einiges. Am nächsten Abend konnte ich nicht schlafen. Ich hatte befürchtet, dass soetwas passieren würde. Nur dachte ich, es würde nicht so schnell geschehen. Ich hatte oft Schlafstörungen. Entweder schlief ich überhaupt nicht, oder aber ich schlief 20 Stunden und mehr. In dem Fall wurde ich einfach nicht müde. Die meiste Aufregung, dass ich nun bei Yoon war, hatte sich gelegt. Und richtige Entzugserscheinungen hielten sich auch in Grenzen, auch wenn ich leicht zitterte und diesen Durst hatte. Ein Durst, der nicht wegging, soviel man auch trinken mochte. Aber es war aushaltbar. Daniela war schon lange eingeschlafen, ich und Yoon redeten und schauten fern. Wir hatten morgen aber einiges vor, er musste sich noch ummelden und wir wollten ein paar seiner Sachen und seine Katze holen. Er gab mir deswegen etwas von seinen Antidepressiva, die einen sehr müde machten. Er nahm auch eine und war ziemlich schnell eingeschlafen. Ich hingegen wurde nur langsam müde. Ich guckte noch eine Folge Two and a half man und How I met your mother, ehe ich auch einschlief. Der Schlaf mit der Tablette war komisch. Eigentlich werde ich relativ leicht wach. Aber diesmal nicht. Als ich aufwachte und meine Arme um Yoon legen wollte, war der Platz neben mir leer. Ich spürte ein Blatt Papier meinen Arm streifen und öffnete meine Augen nur so weit wie nötig. Auf dem Brief stand, dass Yoon mich nicht wachgekriegt hatte. Dass sie ohne mich losgefahren seien. Ich setzte mich auf und mir wurde schwindelig, als hätte ich mir am Abend zuvor die Kante gegeben. Ein Blick auf mein Handy verriet, dass Yoon versucht hatte mich wachzuklingeln. Als ich Zuhause war, funktionierte das immer. Wenn er anrief saß ich Senkrecht im Bett. Nur diesmal war der Versuch vergebens. Ich schrieb ihm eine SMS, dass es mir Leid tut. Natürlich konnte ich da nichts für, ich hatte nicht mal Ansatzweise bemerkt, dass mich irgendjemand versucht hatte zu wecken. Aber ich kam mir trotzdem ziemlich schlecht vor. Ich wollte ihm doch helfen und nun saß ich im Bett und er war mit seiner Freundin allein unterwegs. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, diesmal weckte mich der SMS Ton meines Handys. Er meinte, es wäre keiner sauer auf mich und erstattete mir Bericht, dass sie es nicht rechtzeitig zum Amt geschafft hätten und sie nun seine Sachen aus der Wohnung holten. Ich schrieb irgendetwas zurück (wahrscheinlich wieder etwas mit einem 'Tut mir Leid') und zog mich an, um in den Bungalow rüber zu gehen. Der Schlüssel dazu lag auf der kleinen Küchenzeile. Ich stand dann in der kleinen Wohnung und wusste nicht, was ich tun sollte. Sein Vater und seine Stiefmutter waren nicht da – ich war ganz allein. Ein ganz schön komisches Gefühl, ganz allein in einer fremden Wohnung, deren Besitzer fremde Menschen waren, in einer fremden Gegend und sogar in einem fremden Bundesland. Ich nutzte die Gelegenheit und ging schnell aufs Klo. Denn sonst war das immer eine Tortur. Ich ging sowieso ungern auf fremde Klos, aber dieses hatte nicht einmal eine Tür. Und dann setzte ich mich ins Wohn/Schlafzimmer auf die Couch/das Bett. Und starrte den Fernseher an, der mir nur seine schwarze Oberfläche präsentierte. Ich wusste rein gar nichts, mit mir anzufangen. Ich schlenderte nach einiger Zeit in die Küche. Ich kam mir etwas unnütz vor – in diesem Augenblick hieften Yoon und Daniela wohlmöglich schwere Möbel die Treppe hinunter oder schleppten Kartons in den kleinen Wagen von ihr. Und ich? Ich stand in der Küche des Bungalows und sah aus dem Fenster. Mein Blick wanderte zu dem Geschirr neben der Spüle. Ich könnte ja abwaschen, dann hätte ich wenigstens etwas getan, selbst wenn es nicht viel war. Ich tat es tatsächlich – das erste Mal nach etlichen Jahren. Unglaublich, bei meiner Mutter hatte ich jahrelang keinen Finger krumm gemacht und ich war erst den zweiten Tag bei Yoon und wusch das Geschirr ab. Als ich abtrocknen wollte, wurde mir kurz schwarz vor Augen. Ich torkelte zurück ins Wohnzimmer und setzte mich auf meinen vorherigen Platz. Mir war schwindelig und schlecht – wahrscheinlich lag das an der Tablette. Und wusste zwar nicht, ob ich mir den Apfelsaft (oder war es Orangensaft?) nehmen durfte, der neben dem Wohnzimmertisch auf dem Boden stand, aber ich musste es einfach. Ich hatte irgendwie Angst bewusstlos zu werden. Aber das verschwand schnell wieder und ich verbrachte die restliche Zeit damit, aus dem Fenster zu gucken und auf Yoon zu warten. Er kam auch etwas später und ich half wenigstens die Kartons im Haus zu verstauen. Am nächsten Tag waren wir dann alle unterwegs. Wir waren beim Amt, aber es hatte zu. Damit wir das Parkticket nicht umsonst ausgegeben hatten, waren wir bei einem nahegelegenen See. Es war ganz schick da und wir kamen auf die Idee ein Handtuch zu holen und zumindest Daniela ihre Badesachen. Wir fuhren also nochmal hin und zurück. Machten uns dort einen schönen Vor- und Nachmittag. Daniela war im Wasser und Yoon wollte auch – zumindest so weit es seine kurze Hose erlaubte. Oh man, war das ein Anblick. Das war das erste Mal, dass mein Körper eindeutige Signale sendete, die bis unter die Gürtellinie gingen. Fragt mich bloß nicht, warum sowas nicht passiert war, wenn wir dicht hintereinander lagen und sein hübscher Hintern direkt an meinen Schritt gedrückt war – ich weiß es nicht! Zumindest tat ich es ihm gleich. Ich klappte meine Hose so weit nach oben, wie es ging und watete in dem Seewasser. Ich und Yoon spritzten uns etwas nass. Ich ging mit ihm allein auch einmal Snacks kaufen an einem Supermarkt. Wir haben gelacht und Witzchen gemacht. Als wären wir schon ewig zusammen, so kam es mir vor. Am nächsten Tag waren wir dann endlich beim Amt um Yoon umzumelden. Ich saß mit ihm in dem Büro. Er musste natürlich angeben, dass er noch verheiratet sei. Die Frau, die am Computer saß war nur ziemlich verwirrt. Sie fragte Yoon, wo seine Frau denn nun wohne. Wir mussten lachen, das könnt ihr sicher verstehen. Yoon sagte ihr, dass er mit einem Mann verheiratet sei. Und sie meinte dann irgendwas mit 'eingetragener Lebenspartnerschaft'. Ich fand es amüsant, dass sie wirklich keine Sekunde lang blickte, dass Yoon transsexuell war. Aber es freute mich auch für ihn. Und es gab mir Recht: Er hatte nichts weibliches mehr an sich. Wir machten noch lange darüber Witze, dass Dennis eine Frau sei und allerlei. Doch an diesem Abend wurden meine Entzugserscheinungen so stark, dass ich das erste Mal vor Yoons Augen trank. Es war nicht viel, nur ein Glas und jeder Schluck tat mir in der Seele weh. Ich merkte nur, wie ich langsam immer gereizter wurde. Und ich wollte ihn nicht anmachen oder auch nur pissig gucken. Wir einigten uns darauf, dass ich ihm bescheid sage, wenn es zu schlimm wird. Und das hielt ich gut ein. Ich wollte auf gar keinen Fall heimlich trinken. Er hätte es so oder so herausgefunden und ich käme mir dabei schäbiger vor, als wenn ich vor ihm trinke. Zwei Tage später fuhr seine beste Freundin nach Hause. Und ich war ganz allein mit ihm, in dem kleinen Wohnwagen, in dem großen Bett. Ich hatte ihn immer noch nicht geküsst. Und ich hatte vor, das endlich zu ändern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)