Anders von Alaiya (Shibumi X Megumi) ================================================================================ Teil I - Ein Jahr ----------------- Es würde schlimm werden, dieses Jahr, schlimmer als sonst. Megumi seufzte. Sie war alles andere als damit zufrieden, über die Position, die sie dieses Jahr ehrenhalber innehielt. Es war der späte Vormittag des 24. Dezembers 2010 und sie stand im vollkommen überfüllten Shibuya, wo sie, viel zu früh, einkaufen gewesen war, wie sie es traditionell für sich eigentlich jedes Jahr um diese Zeit tat. So hatte sie eine neue Bluse, ein Kleid, für das sie zu tragen wahrscheinlich für längere Zeit keine Gelegenheit finden würde, und ein paar neuer Schuhe für einen recht geringen Preis ergattert. Doch damit war es auch schon mit ihrer weihnachtlichen Unterhaltung für dieses Jahr vorbei, denn nur halb freiwillig war ihr dieses Jahr die Ehre zu teil geworden, die Spätschicht in Hypnos zu übernehmen, die um 16 Uhr beginnen würde. Nicht nur, dass sie also an Weihnachten, anstatt mit Freunden ein wenig etwas trinken zu gehen, sich in der Zentrale der ehemaligen Netzüberwachung zu Tode langweilen würde, nein, sie würde dies auch in Gesellschaft von Segawa Kenichi, einem ihrer zu jungen, zu frechen und weit zu unverschämten jüngeren Mitarbeiter, und Itsuka Yogiru, welcher wiederum alt und irgendwie langweilig war, tun. Aber gut, selbst ohne dieses Unglück, war dies mit Abstand das deprimierendste Weihnachten ihres Lebens und die Tage bis zum neuen Jahr versprachen nicht viel aufheiternder zu werden. Dies lag zu einem daran, dass sie dieses Jahr keinen Freund hatte, mit dem sie Zeit verbringen konnte, auch ihre besten Freunde hatten keine Zeit für sie, was letzten Endes daran lag, dass diese ohne Ausnahme mittlerweile verheiratet waren und mindestens ein Kind hatten... Was sie wiederum an einen weiteren Grund erinnerte deprimiert zu sein: Sie wurde alt. Natürlich eine Feststellung um die Reika, die immerhin fünf Jahre älter war, sie regelmäßig auslachte, aber Reika war immerhin bereits verheiratet. Was machte es für sie für einen Unterschied? Megumi hingegen war mittlerweile 32, würde in nur wenigen Monaten 33 werden, war weder verheiratet, noch geschieden, noch war sie im Moment in einer Beziehung oder wäre dies innerhalb der letzten zehn Monate gewesen. Jedes Jahr wurde sie sich der ersten und zweiten genannten Tatsache bewusst, doch die dritte war relativ neu. Nun, wie man es betrachtete. Zumindest hatte sie bisher um diese Zeit immer einen Freund gehabt. Selbst wenn dieser jedes Jahr einen anderen Namen gehabt hatte. Und irgendwie, ja, irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie irgendwas falsch machte. Seufzend bemerkte sie, dass die Ampel an der sie gewartet hatte, schon lange grün war und folgte schnell dem Strom der Menschenmassen über die Kreuzung, froh weiter hinten gestanden zu haben. Auf der anderen Straßenseite lief sie weiter mit dem Strom, der sie in Richtung der Hauptstation Shibuyas trieb. Sie widerstand dem Drang ebenfalls das Sunshine aufzusuchen und machte sich stattdessen auf den Weg zur Bahnstation selbst, erneut ihren nicht allzu freudigen Gedanken nachhängend. „Ach, Megumi“, murmelte sie, als sie in Gedanken versunken fast über ihre eigenen Füße stolperte. „Jetzt werd' nicht auch noch depressiv.“ Sie blieb stehen, um den umgeknickten Fuß kurz zu entlasten, wobei sich ihr Blick in ihrer blassen Spiegelung in einem der Schaufenster fing. Sie zupfte an ihren kurzen Haaren. „Alt, grimmig und depressiv. Kein wunder, dass dich keiner haben will“, schalt sie sich selbst, ehe sie weiterging. Es war fast halb zwölf. Es blieben ihr also noch etwas mehr als viereinhalb Stunden, um nach Hause zu fahren, ihre neue Kleidung in ihrer Wohnung zu lagern und von dort aus zur Metropolitan Government Building zu fahren, wo sie die folgenden Stunden, bis sie in der Nacht – hoffentlich – abgelöst wurde verbringen würde. „Juhu“, grummelte sie voller Sarkasmus bei dem Gedanken. Dabei war sie normal eigentlich nicht sarkastisch. Alt, grimmig, depressiv und sarkastisch. Das wurde ja immer besser. Einige Stunden später, es war fast sechs, hatte sich Megumis Laune nicht im geringsten verbessert. Sie war hungrig, weil sie feststellen hatte müssen, dass sie wenig zu Essen zu hause hatte und noch zu einem Supermarkt gemusst hätte, worauf sie wiederum keine Lust gehabt hatte. Des Weiteren war ihr Kenichi schon ausgiebig auf den Nerv gegangen und der Gedanke daran, dass ihre Schicht für weitere sieben Stunden – mindestens – so weiter gehen würde, half auch nichts. Zumal ihre Aufgabe, anspruchsvoller Weise, daraus bestand die Bildschirme und das Telefon im Auge zu behalten. Dabei konnten sie ohnehin nichts machen, sollte etwas passieren. Immerhin war die Frage mittlerweile nicht mehr, ob ein Digimon sich in der realen Welt materialisierte, sondern was es dort machte. Allein in Tokyo lebten im Moment etwas mehr als tausend Digimon, von denen nur etwa fünfzig oder sechzig einen Partner hatten. Und sollte sich eins der anderen 940 Digimon überlegen, dass es lustig wäre, ein Haus in die Luft zu jagen, blieb ihnen hier nichts übrig, außer einen der Tamer anzurufen, denn was sollten sie sonst machen, außer das Gebiet evakuieren zu lassen? Seit die Grenze zwischen den Welten mehr oder weniger nicht mehr existierte, hatten sie einige dieser Fälle gehabt und sie hatten nicht mehr tun können, als sich auf Ryou, Ruki, Takato und die anderen zu verlassen. Es war wirklich, wirklich sinnlos. So hatte sie, das Kinn auf die Hände gelegt und die Bildschirme müde anstarrend genug Zeit, über ihr eigenes Elend zu sinnieren. „Du siehst müde aus, Megumi-san“, hörte sie die Stimme Kenichis hinter sich. „Soll ich dir einen Kaffee holen?“ „Nein, danke“, grollte sie. „Ich hab ja nur gefragt“, meinte der junge Mann, verdrehte die Augen und entfernte sich wieder von ihr. Megumi seufzte. Sie begriff wirklich nicht ganz, was sie falsch machte. Reika, die vielleicht eine bessere Figur hatte als sie, aber dafür sich immer durchsetzen musste und einem stundenlang ins Gewissen reden konnte, war schon lange verheiratet.. Sicher, auf einen Griesgram wie Yamaki konnte Megumi verzichten, aber letzten Endes ging es ums Prinzip. Selbst Ruki mit ihren zynischen Charakter und ihrer wenig weiblichen Figur hatte Ryou, der so ziemlich alles für sie tun würde. Es war einfach nicht fair. Sie seufzte. Vielleicht sollte sie sich auf Blinddates oder Gruppendates einlassen. Auch wenn sie sich dafür eigentlich zu alt fühlte. Es gab viele Frauen in ihrem Alter und älter, die dergleichen machten. Vielleicht... Sie streckte sich. Ach, vielleicht sollte sie sich erst einmal darum kümmern, dass ihre Laune sich besserte. Nach kurzem Überlegen stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Damentoilette, wo sie ein paar Minuten später vorm Spiegel stand und sich ihre gefärbten Haare zurecht zupfte. Vielleicht sollte sie es auch einfach aufgeben. Sie hatte einmal gelesen, dass Männer sich bedrängt fühlten, wenn sie merkten, dass eine Frau unbedingt eine ernste Beziehung wollte und was dies anging schon ziemlich verzweifelt waren. Außerdem zog es Männer wie Kenichi an, die einfach nur ein wenig Spaß haben wollten. Es war wirklich trübsinnig. Einmal mehr seufzend verließ sie die Damentoilette und ging zur Kaffeemaschine auf dem Flur der Etage. Nach mehrfachen Versuchen nahm der Automat ihre 100-Yen-Münze schließlich an und spukte etwas Kaffee in einen Pappbecher. Da hörte sie Schritte weiter unten am Gang und drehte sich, ganz instinktiv in die Richtung. Ein Mann kam aus der Richtung des Fahrstuhls auf sie zu. Er war um die fünfzig und hatte mittellanges ausgeblastes braunes Haar. Sie fragte sich, was er hier machte, als er sie ansprach. „Onodera-san?“ Beinahe ließ sie ihren Kaffee fallen und hob fragend eine Augenbraue, da ihr unklar war, woher der Mann sie kennen sollte. Für einen Moment schien auch er verwirrt, lachte dann aber. „Mizuno Gorou“, erklärte er. Noch immer brauchte sie einen Moment, bis sie den Namen zuordnen konnte. „Shibumi-san?“, fragte sie. Er zögerte. „Ja.“ „Oh, tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe“, entschuldigte sie. „Ich dachte, Sie seien in Amerika?“ „Ja, ich bin nur für zwei Wochen in Japan, um ein paar Dinge zu erledigen.“ Er wirkte angespannt. „Ist Mitsuo-san da? Ich wollte eigentlich etwas mit ihm besprechen?“ „Yamaki-san ist mit Reika und Namiko bis Silvester fort“, erwiderte sie etwas verwirrt. „Und was ist mit Tao?“, hakte er nach. Erneut sah sie ihn fragen an. „Wer?“ „Lee Janyuu.“ „Oh“, entfuhr es ihr kleinlaut. „Nein, Janyuu ist auch nicht da. Ich weiß nicht wann er wiederkommt...“ Sie schwieg kurz. „Tut mir leid.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie können nichts dafür.“ Für einen Moment schien er abgelenkt und sah durch das Fenster auf das bereits dunkle Tokyo. „Es ist nicht so wichtig.“ Einige Sekunden lang sah auch sie geistesabwesend aus dem Fenster, fing sich dann aber wieder. „Ich würde Ihnen ja einen Kaffee anbieten, aber ich fürchte ich habe keine Münzen mehr“, meinte sie dann verlegen, vorrangig um irgendetwas zu sagen. „Kann ich vielleicht sonst irgendetwas für Sie tun?“ „Nicht nötig“, antwortete er freundlich und schwieg erneut, ehe der Ausdruck, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, über sein Gesicht huschte. „Wobei es etwas gäbe. Kann ich etwas nachsehen?“ Daraufhin zögerte sie. Eigentlich war es Yamakis Aufgabe über so etwas zu entscheiden, jedenfalls wenn er an die Daten Hypnos' wollte. Doch auf der anderen Seite konnte sie als ranghöchstes Mitglied dieser Schicht diverse Entscheidungen treffen und Shibumi, beziehungsweise Mizuno-san gehörte zum Wild Bunch, die ohnehin an vielen Hypnosprojekten beteiligt waren. „Ich denke schon“, fällte sie schließlich, wenn auch unsicher, die Entscheidung. Wahrscheinlich konnte er ohnehin herausfinden, was er wollte, immerhin war er wahrscheinlich – nein, ziemlich sicher – einer der besten Informatiker weltweit. „Wen haben Sie da mitgebracht, Onodera-san?“, fragte Yogiru, als sie die Überwachunsräume der Zentrale zusammen mit Shibumi betrat. Kenichi hingegen schien den Neuankömmling einfach zu ignorieren. „Ich dachte du wolltest keinen Kaffee, Megumi-san.“ Kurz überlegte 32jährige, etwas spitzes zu erwidern, beschloss aber dass es das beste war, Kenichi zu ignorieren. „Mein Name ist Mizuno Gorou“, stellte sich der ältere Mann derweil vor. „Er gehörte zum Wild Bunch“, erklärte Megumi, um irgendwelche Missverständnisse vorzubeugen. Yogiru, der wahrscheinlich nicht viel jünger als Shibumi war, rieb sich das Kinn. „Ich glaub ich habe von Ihnen gehört“, murmelte er dann. „Sie haben einige interessante Publikationen über künstliche Intelligenz geschrieben.“ Der ältere Mann nickte nur und setzte sich an einem der Computer. „Woran arbeiten Sie im Moment?“, fragte Yogiru nun mit einigem Interesse und kam zu ihnen hinüber. Shibumi zuckte erst mit den Schultern und für einen Moment machte sich ein eher finsterer Gesichtsausdruck breit. „Offiziell an gar nichts“, erwiderte er nur, in einem Tonfall, der klar ausdrückte, dass er über das Thema nicht weiter reden wollte. „Gibt es... Irgendwelche Probleme?“, fragte Megumi etwas verunsichert, erhielt aber keine Antwort, während die grauen Augen des Mannes auf den Bildschirm des Computers geheftet waren. Etwas frustriert betrachtete sie ihn. Kein Wunder, dass sie ihn nicht erkannt hatte, dachte sie sich. Sie hatte Shibumi als einen oft beinahe etwas verwilderten Mann in Erinnerung, mit langen Haaren und einem nicht selten eher ungepflegten Bart, aber mit einer nahezu kindlichen Begeisterung für die Dinge, die er tat, der wenn er an etwas arbeitete, alles um sich herum vergaß, jedoch niemals wirklich ernst schien. Jetzt schien er das genaue Gegenteil zu sein. Sein Haar war wesentlich kürzer. Statt dem üblichen verwilderten Vollbart, trug er einen gepflegten Dreitagebart. Und auch wenn dies vielleicht nicht negativ schien, so sah sein Gesicht nicht aus, als hätte er in der letzten Zeit viel gelacht. Seine Augen wirkten müde und ernst. Sie fragte sich, ob irgendwas passiert war, und wollte diese Frage beinahe laut aussprechen, hielt sich dann jedoch noch rechtzeitig zurück. Es ging sie schließlich nichts an. Sie kannte den Mann ja kaum, hatte ihn seit gut einem Jahr nicht gesehen. Soweit sie sich erinnern konnte, war er das letzte Mal im November des vergangenen Jahres in Japan gewesen. Nebenbei bemerkte sie, dass Kenichi nun vor seinem Computer saß und endlich einmal schwieg, jedoch mit einem leicht misstrauischen Blick zu Shibumi hinübersah. „Was wollten Sie eigentlich nachsehen, Shibumi-san?“, fragte sie schließlich in einem möglichst beiläufigen Ton und brachte ihn damit dazu vom Bildschirm aufzusehen. Für einen Moment schwieg er. „Ich bin auf etwas gestoßen“, erwiderte er schließlich. „Und hatte gehofft, dass Yamaki-san mehr dazu heraus finden kann.“ Sein Blick glitt wieder auf den Bildschirm, dann wieder zurück zu ihr. Er seufzte schwer. „Aber... Es ist nicht so wichtig. Nein.“ Dabei wirkte es so, als wären diese letzten Worte viel mehr an ihn selbst, als an jemand anderen, gerichtet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)