Und er lächelte von Crevan ================================================================================ Kapitel 22: Gefangen -------------------- Cullen bemühte sich nicht zu rennen als er durch den langen Gang, der von seinem Quartier fort führte, ging. In seinem Gesicht lag eine unbehagliche Aufregung, die er krampfhaft zu verbergen versuchte. Vor weniger als einer halben Stunde war ein junger Rekrut zu ihm in die Schreibstube geschickt worden, um ihm auszurichten, dass man 'seinen Abtrünnigen' in den Kerker gebracht hatte. Der Knight-Captain war perplex von seiner Papierarbeit hochgeschreckt, als er dies gehört hatte und hätte dem Jungen in der Tür zu seinem Büro daraufhin am liebsten ein scharfes 'Wie bitte??' entgegen geblafft. Cullen hatte doch angeordnet ihn gleich zu verständigen, sollte man vorhaben Anders aus dem Tiefschlaf zu holen. Sofort und ohne Umschweife. Damit er da sein konnte, wenn der verarztete Blonde die Augen öffnete. Warum hatte man das nicht getan? Er hatte den Leuten aus dem Lazarett gesagt, dass man ihn kontaktieren sollte; nur ihn. Nicht Meredith, nicht Orsino, niemanden sonst. Als Grund hatte er angegeben, dass 'der Abtrünnige' es nicht wert wäre die oberen Parteien zu stören. Denn die hätten wichtigeres zu tun als sich mit einem verwirrten, harmlosen Magiebegabten herumzuschlagen. Der Templerhauptmann hatte gesagt, er müsse 'diesen Fremden' verhören, denn er wäre ein wichtiger Zeuge 'in einem wichtigen Fall'. Cullen's Zeuge. Anders und dessen Geschichte ging hier sonst niemanden etwas an. Wäre ja noch schöner, wenn die Obrigkeit nun Wind von der Sache hier bekäme. Ja, was wäre gefolgt? Ein Verhör durch die Knight-Commander? Zurechtweisungen und Streit mit dem ersten Verzauberer? Ein Ausflippen seitens Anders? Fluchtversuche? Besänftigung? Tod? Oh, bei Andraste's brennendem Schwert, war Cullen vielleicht wütend! Der aufgewühlte Templer ärgerte sich, weil man seinen überaus klaren und simplen Befehlen keine Folge geleistet hatte und er war auch einmal wieder wütend über sein eigenes, so nachsichtiges Verhalten. Er hätte sich gewünscht, er hätte sein aufbrausendes Temperament gerade unter Kontrolle... aber er hatte es nicht. Hoffentlich kam ihm beim Weg in den Keller keiner in die Quere. Schwer stapften seine ledernen Stiefel am harten Steingrund auf, das stählerne Heft des Schwertes an Cullen's breiten Gürtel klapperte gegen die Nieten am Gurt, als er die Stufen nach unten nahm und seine dicke Robe bauschte sich leicht hinter ihm auf, da er so dahineilte. Der Mann trug, wenn er nicht Wache schob oder im Außendienst tätig war, keine Rüstung. Die Plattenteile dieser Montur störten nur, wenn man Schreibtischarbeit erledigte und so trug der nervöse Knight-Captain gerade nur die standardmäßige Stoffuniform seines Ordens: Eine Art Robe in rot-blau-gold mit Kapuze, breiter, roter Schärpe und einem Waffengürtel um die Hüfte. Im Notfall fungierte diese einfache Kluft, ohne wattiertes Gambeson darunter, auch als Unterkleid oder Wappenrock für Templerrüstungen. Denn wenn es ernst wurde, sparte man sehr gerne Zeit. Ja, das Gewand der Ordens war darauf ausgelegt äußerst praktisch und oftmals auch so spartanisch wie die Zimmer der einzelnen Odernsmitglieder zu sein. Sie waren hier schließlich nicht im schimmernden Orlais; sie waren abgebrühte Soldaten, keine verrückten Modemenschen. Als Cullen die unteren Gefilde der Galgenburg aufgescheucht betrat, schlug ihm ein klammer Geruch nach Moder, Fackelöl und Rattenkot entgegen. Die kühle Luft war feucht im düsteren Kerkertrakt und man musste aufpassen nicht noch an manchen Stellen der spärlich beleuchteten Gänge auszurutschen. Der Templer verzog das Gesicht leicht, was seiner verärgerten Miene nur noch weiter Beifall klatschte. Zwei der vielen Kerkerwachen saßen unweit von ihm an einem hölzernen Tisch und spielten gelangweilt Karten. Als sie ihn kommen hörten, fuhren sie zusammen und sobald sie ihn erkannten, erhoben sie sich sogleich hastig, um vorbildlichst zu salutieren „Knight-Captain!“. Cullen aber winkte nur beifällig ab und brummte seine Gegenüber an „Wo ist der Neue?“. „Hinten rechts. Nummer 28.“ erwiderte eine der Wachen und dessen Worte schienen sich überschlagen zu wollen. Cullen, ein Mann den man hier für gewöhnlich nicht häufig sah, taxierte den, der gerade gesprochen hatte zwei, drei Wimpernschläge lang. Hatten diese Brüder hier ein schlechtes Gewissen, weil sie zuvor Karten gespielt hatten, um die Zeit totzuschlagen? Sollte er sie nun belächeln? Sie sollten sich nicht so verkrampft anstellen. Es war im Grunde ja nicht so, dass man hier unten sehr viele bewaffnete Männer und Frauen der Kirche brauchte. Die massiven Zellen des Zirkels waren von potenter Antimagie umgeben und hielten selbst den aggressivsten und gefährlichsten Magiern aus Tevinter stand. Zaubereien wirkten hier unten nicht und Muskelkraft brachte noch weniger. Dennoch patrouillierten ständig ein dutzend fähige Templerwachen durch die unterirdischen, schimmligen Gänge. Die Galgenburg war ein Hochsicherheits-Trakt. Kein Zirkel – außer vermutlich der in Val Royeaux – war besser bewacht und so gut für Ernstfälle gerüstet wie dieser hier. Eine Tatsache, über die Cullen sich eigentlich stets froh gezeigt hatte. Nur heute, da verstimmte sie ihn und das aus sehr gutem Grund. „Danke.“ meinte der Fereldener nur knapp und schenkte den beiden anwesenden Männern keinerlei Beachtung mehr. Er hatte es schließlich eilig. Es galt nun Zelle 28 aufzusuchen und zu hoffen, dass der labile Anders noch nicht vollkommen durchgedreht war. Dazu musste der Templer an den restlichen 27 Kerkerräumen vorbei. Vorbei an magisch begabten Schwerverbrechern, Mördern, Verrückten, Abschaum. Vorbei an Abtrünnigen, die hysterisch lachten, um Vergebung bettelten oder ihre dünnen Körper gegen ihre stabilen Zellentüren warfen. Einer von ihnen versuchte gar seine knochige Hand durch seine Gittertüre hindurchzuzwängen, um voller gierigem Hass nach Cullen zu haschen. Doch der Abstand zwischen den magischen Stahlstangen war zu gering und der verdreckte Blutmagier fluchte in Arkanum. Eine der Wachen brüllte barsch ein genervtes „Ruhe!“. Der pikierte Knight-Captain presste die spröden Lippen aufeinander und versuchte nicht zur Seite zu sehen; denn das, was er hier sah, berührte ihn irgendwo auf negativste Art und Weise. Er wollte die hier Gefangenen nicht mustern müssen. Sie sahen teils elend aus, ungewaschen, mit filzigen Haaren und faulen Zähnen. Das, weil keine gutmütigen Templer oder pflichtbewussten Heiler mit nassen Lappen und Seife zu ihnen in die Zellen gehen konnten, ohne um ihre Leben fürchten zu müssen. Selbst die tägliche Essensausgabe geschah nur durch schmale Schlitze unterhalb der Zellentüren. Nie wurden die Kerkerräume geöffnet – außer, ein gefangener Abtrünniger war elendiglich verreckt oder wurde zum Sterben abgeholt. Die meisten von den Kerkerinsassen waren seit jeher vollkommen von Sinnen – oder erst hier drin verrückt geworden, weil sie schon seit Jahren auf Überstellungen oder ihre Urteile warteten. Mh, verrückt und gefährlich waren sie. Gehörte Anders tatsächlich hierher? Vorbei an Zelle 26 ging Cullen. An der 27. Und schließlich blieb er an der letzten in diesem modrigen Gang stehen. Beinahe scheute er davor zurück suchend in sie hineinzusehen. So, als hätte er Angst davor zu erblicken, was oder wer sich darin befand. Momente später weitete er seine Augen in erleichtertem Unglauben über das Bild, das sich ihm bot: Der blonde Magier aus der Dunkelstadt stand ruhig in dem Raum, der im Durchmesser kaum drei Fuß maß: An der kalten Wand lehnte er, und im Halbdunkel, denn seine kleine Zelle hatte kein Fenster. Bis auf einen alten Kübel beinhaltete sie auch sonst nichts; nicht einmal eine Bank, auf die man sich hätte setzen können. Der Boden des winzigen, stinkenden Raumes war dabei beinahe so schmutzig und verdreckt wie der Eimer in einer der Ecken, der dazu da war seine Notdurft zu verrichten. Vermutlich war dies der Grund warum der penible Anders stand und sich nicht längst niedergelassen hatte. Wer saß schon gerne im feuchten Dreck? Man hatte dem besagten Magier vor vier Tagen seine löchrige, blutgetränkte Kleidung genommen und ihn in der Krankenstation gewaschen, als er geschlafen hatte; er trug nun ein einfaches Hemd und eine dunkle Hose, wirkte zu gepflegt für einen schmutzigen Ort wie diesen hier. Die paar Heiler im Lazarett hatten es gut mit ihm gemeint. „Anders.“ murmelte Cullen, als er näher an die Stahlgittertür der 28 heran trat und sich die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchtete. Oh, wo sollte er anfangen? Sofort fiel der durchdringende Blick des Geistheilers aus den Augenwinkeln auf ihn. Seine Mimik schien ausdruckslos, wie die einer Statue. Der gefangene Abtrünnige sagte nichts und der betretene Knight-Captain bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Denn er wusste, dass Anders ein traumatisches Erlebnis hinter sich hatte, das einen dunklen Kerker involvierte: Er war in Ferelden ein Jahr lang in Einzelhaft eingesperrt gewesen und seine Psyche hatte sich nie so ganz davon erholt. Bis heute nicht. Und Cullen verstand das. Wer, wenn nicht er? Er selbst war einmal gegen seinen Willen eingesperrt gewesen... von dem Dämon in Kinloch Hold. Der Mann schluckte schwer. Wie schrecklich musste das hier nun für Anders sein. Und Cullen war quasi auch noch schuld daran... „Anders. Es tut mir leid.“ gab der vorsichtige Krieger mit gedämpfter Stimme von sich, nachdem er sich kurz und verstohlen nach den beiden Wachen umgesehen hatte. Sie schenkten ihm offenbar keine Aufmerksamkeit mehr. Sehr gut. „Das hier war nicht geplant, verstehst du? Nicht so.“ flüsterte Cullen schuldbewusst weiter zwischen den dicken Gitterstäben hindurch und seufzte dann verhalten „Ich hole dich raus. Nur so einfach wird das nicht. Du musst mitspielen.“. Noch immer ruhten die braunen Augen des Magiers ruhig auf dem erklärungsfreudigen Templer. Der Ausdruck darin war undeutbar und dennoch wurde Cullen davon irgendwie so flau im Magen. Der Anblick der weißen Bandage, die sich um den Kopf des Blonden schmiegte, half auch nicht gerade. „Anders. Hast du kapiert?“ Nach einem kurzen Zögern kam ein verächtliches Schnauben als Antwort und der stumme Geistheiler wendete seinen Blick wieder fort, der steinernen Wand vor sich entgegen. War das nun eine Zustimmung gewesen? Ein 'Fick dich.'? Oder was? Der Knight-Captain, der hier einen Monolog führen musste, ballte die Fäuste und atmete tief durch. Flüchtiger Ärger keimte in ihm auf. Ärger darüber, dass der jüngere Kerl hinter der Türe nichts sagte. Doch konnte man es dem flatterhaften Anders überhaupt verübeln, dass er sich gerade trotzig verhielt? Vermutlich nicht. Im Grunde... im Grunde war Cullen ja heilfroh darüber, dass sich der abtrünnige Heiler überhaupt irgendwie 'verhielt'. Es erleichterte so ungemein: Anders war wieder auf den Beinen, er hatte sich erholt und war hoffentlich wieder halbwegs gesund. Ja, wer mochte es nun als negativ werten, dass er stur auf Ansprache durch einen Templer reagierte? Er reagierte immerhin, verdammt! Cullen's raue Hände entspannten sich ob dieser Erkenntnis wieder etwas. Und sein Körper tat es ihnen nach und nach gleich, während er den stillen Magier in der Zirkelzelle abwartend forschend betrachtete. „Anders...“ fing er erneut an, doch haderte gleich etwas mit sich. Er zwang sich selbst dazu nicht auf seiner Unterlippe herumzukauen. Der introvertierte Templer war nie jemand gewesen, der Gefühle einfach so aussprach. Er redete nicht über Emotionen oder dergleichen. Doch gerade, da war es vielleicht angebracht und außerdem... außerdem musste er das, was nun gleich kommen sollte, einfach aussprechen. Es schlug sich förmlich den Weg aus ihm heraus, um mit kleinen, fahrigen Fingern nach dem vertrauten Mann hinter der massiven Gittertür zu haschen. „Ich bin froh, dass du wieder gesund bist.“ und im Gegenzug zu allen wackligen Erwartungen fühlte es sich gut an diesen einfachen Satz zu sagen. Das nicht nur für den schuldbewussten Cullen selbst, denn er glaubte zu erkennen, dass der Ausdruck im Gesicht des verärgerten Abtrünnigen ein klein wenig weicher wurde. Doch er antwortete nach wie vor nicht. Cullen holte hörbar Luft, um weiterzusprechen. „Wir müssen reden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)