I´ve got nothing... von Arisa-Yuu (but love for you) ================================================================================ Kapitel 2: Lektion eins: Blickkontakt ------------------------------------- Es war weit nach dreiundzwanzig Uhr. Auf den Straßen leuchteten die verschiedensten bunten Lichter und erhellten dadurch die ansonsten dunkle Nacht. Trotz der späten Stunde waren noch viele Leute auf den Beinen. In Tokyo ganz normal, denn diese Stadt schlief nie. Im Gegensatz zu mir. Ich war mehr als müde. Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon in meinem weichen Bett liegen und musste prompt gähnen. Der Tag und die ungewohnte Arbeit im Restaurant hatten mich geschafft. Von Kai ganz zu schweigen. Wenigstens war jetzt Feierabend. Ich musste nur noch auf den Brünetten warten, der gerade die Hintertür seines Restaurants abschloss, und dann würden wir uns auf dem Heimweg machen. Eigentlich hätte ich schon gehen können, aber da wir ohnehin den gleichen Heimweg hatten und die U-Bahnen nicht mehr fuhren, fand ich es unterhaltsamer zusammen mit Kai nach Hause zu gehen als allein durch die Nacht zu stapfen. Jedenfalls in meiner Vorstellung. Ob der Kleinere das ähnlich sah, wusste ich nicht. Zumindest schien es ihn nicht zu stören, dass ich nun neben ihn herlief. An einer Unterhaltung schien er offensichtlich nicht interessiert zu sein. Er unternahm nicht einmal den geringsten Versuch ein Gespräch mit mir zu beginnen. Dabei war ich der Überzeugung gewesen, dass wir uns nun besser verstanden. Uns sogar ein bisschen angefreundet hatten. Aus den Augenwinkeln sah ich erst flüchtig, dann jedoch immer unverwandter zu Kai hinüber und beobachtete ihn. Das diesen, das nicht verborgen blieb, war mir klar. Er schien mich erst ignorieren zu wollen, doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Ein kurzer Seitenblick von ihm, danach sah er noch entschlossener als zuvor geradeaus. Es gab nur einen winzigen Unterschied zu vorher. Seine Wangen begannen zart Rosa zu schimmern. „Ist es dir unangenehm, wenn Ich dich ansehe..?“, fragte ich unvermittelt und ohne jeden Spott. Wie aufs Kommando blieb der Koch stehen, sodass er einen Schritt zurückblieb und ich über die rechte Schulter schauen musste, um ihn anzusehen. „Natürlich, du glotzt mich schließlich an wie ein Affe, der das erste Mal eine Banane sieht..“ welch netter Vergleich, aber wenigstens sah er mich seit langer Zeit richtig an. Er hatte über seine Empörung, ganz seine Schüchternheit vergessen. Für ein paar Augenblicke zumindest. Dann wand er seinen Blick wieder von mir ab und lief weiter. „Ist es dir nur bei mir unangenehm oder bei jedem..?“ hakte ich weiter nach, wobei ich meine Hände in meine Hosentaschen schob. Ich hatte Kai versprochen ihm zu helfen, doch dafür musste ich mehr über ihn wissen. „Was denkst du denn? Wer lässt sich schon gern anstarren..?“ erwiderte er kurz angebunden, was verdeutlichte, wie unangenehm ihn dieses Thema war. „Und wenn Uruha dich ansieht..?“, wollte ich herausfordernd wissen. Der Brünette schien kurzzeitig zusammen zuzucken als hätte ich ihn erschreckt. Erneut warf er mir einen Seitenblick zu, der mir als Antwort jedoch genügte. Ich wurde aus diesem Mann wirklich nicht schlau. Mal trat er selbstbewusst und unerschrocken auf. Mal freundlich und sogar witzig, aber nur eine Sekunde später war er schüchtern und zurückhaltend. Er war wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Leider zeigte Kai mir meist seine etwas kratzige Seite. Obwohl ich mir alle Mühe gab ihn nicht zu verärgern. Vielleicht würde sich das mit der Zeit ändern, wenn wir uns besser kennengelernt hatten.. Mittlerweile standen wir an einer roten Ampel. Bis zu unseren Wohnungen war es nicht mehr weit. Ungeduldig sah der Kleinere auf das leuchtende Licht, auf der anderen Seite der Straße und schien es innerlich zur Eile anzutreiben. Einer plötzlichen Eingebung folgend, stellte ich mich direkt vor Kai auf den Bürgersteig. Nun musste er mich ansehen, ob er ihm gefiel oder nicht. „Was soll das? Lass den Unsinn. Es ist gleich Grün..“ gab mein Gegenüber mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen von sich, was ihn ziemlich zerknautscht aussehen ließ. „Erst wenn du mir richtig in die Augen siehst..“, verkündete ich knapp. „Was soll der Blödsinn? Ich bin müde..“ versuchte der Koch mich deutlich genervt und wenig motiviert abzuspeisen, wobei sein Blick unstet in der Gegend umher huschte. „Ich dachte du willst Uruha unbedingt kennenlernen..?“ gab ich gelassen von mir. Sofort ruhte sein Blick auf mir. Halb verärgert. Halb verlegen sah er zu mir auf. Als könne er sich nicht entscheiden, welchem Gefühl er nachgeben sollte. „Ich wüsste nicht, was das miteinander zu tun hat..“ zischte er mich leise an, hielt allerdings den Blickkontakt aufrecht. Ich merkte, wie schwer es ihm fiel mir so direkt in die Augen zu sehen. Wie stark sein Bedürfnis war wegzusehen. „Sehr viel, denn der Blickkontakt zwischen zwei Personen ist sehr wichtig, besonders wenn sie sich kaum kennen oder hast du noch nie etwas von 'Liebe auf den ersten Blick' gehört..?“ erklärte ich und musste dabei sogar lächeln. Kai hingegen sah mich an wie ein verschrecktes Reh, ehe sein Blick zu flackern begann. Seine Gesichtszüge wirkten auf einmal wieder sehr weich, was durch das Mondlicht und das entfernte Licht einer Laterne nur noch betont wurde. Seine Wimpern wirkten noch dichter und schienen die haselnussbraunen Augen noch ausdrucksvoller zu Geltung zu bringen. Leider schauten diese mich mutlos an, als wäre er sich bereits sicher etwas verloren zu haben, um dass er noch nicht einmal gekämpft hatte. „Ich glaube kaum, dass Uruha sich in mich verliebt, nur weil ich ihm in die Augen sehe..“ wehrte er nicht halb so energisch ab, wie es wohl klingen sollte. Er drehte seinen Kopf zur Seite, senkte ihn ein bisschen, sodass sein Gesicht außerhalb des Lichtkreises war und ich seine Mimik nicht mehr erkennen konnte und dadurch unser Blickkontakt ebenso abgebrochen wurde. „Aber es ist ein Anfang..“ beharrte ich in meinen unerschrockenen Optimismus. Gleichzeitig zog ich meine linke Hand aus der Hosentasche, streckte sie aus und legte meinen Daumen, sowie Zeige-und Mittelfinger unter Kais Kinn. Mit sanfter Gewalt drückte ich sein Gesicht zurück in meine Richtung. Er sah mich zwar wieder an, doch in seinem Blick lag immer noch viel Unsicherheit. „Genügt das..?“, wollte er nach etlichen Sekunden, in welchen wir uns stumm angesehen hatten, beinahe schon trotzig wissen. „Du könntest mich zur Abwechslung anlächeln, so wie du Uruha anlächeln würdest..“ denn wenn er ihn so ansah, wie mich gerade, würde aus einem Date sicher nichts werden. „Aber du bist nicht Er. Warum sollte ich..?“ konterte der Brünette trocken und verschränkte seine Arme vor der Brust. „So habe ich die Gelegenheit ihn vorzuwarnen..“ brachte ich ebenso trocken über meine Lippen. Kai mag schlagfertig sein, aber gegen mich hatte er keine Chance, was sein beleidigter Gesichtsausdruck mir nur zu offenkundig bestätigte. Es ließ mich schmunzeln, dass ich ihn derart einfach ärgern konnte, aber er legte es immer wieder darauf an. Schnell faste er sich wieder, verzog seinen Mund zu einer Grimasse und enthüllte seine weißen Zähne. Das erinnerte mich mehr an ein Zähnefletschen, als an ein Lächeln und würde mich sicher noch mehrmals in meinen Nächten heimsuchen. „Wenn du das vor Uruha machst, wird er dir sicher nicht seine Telefonnummer geben, sondern eher die Nummer eines Therapeuten..“ gab ich unbeeindruckt von mir. Ich zog meine Hand von seinem Kinn zurück und bedachte ihn mit einem abwartenden Blick. Wie ein Lehrer der darauf wartete, dass sein Schüler ihm endlich die richtige Antwort sagte, die alle in der Klasse kannte, bloß der Gefragte nicht. „Na und. Es ist doch sowieso sinnlos. Er wird sich nie für mich interessieren, selbst wenn ich ihn schöne Augen mache. Ich bin lediglich ein schwuler Koch, der sich immer in Männer verliebt, die viel attraktiver sind als ich und bei denen ich von vornherein keine Chance habe..“ sprudelt es in einem Anflug von Selbstmitleid aus ihm heraus. Gleich darauf schien er seine Worte zu bereuen, denn er senkt beschämt seinen Kopf. Dennoch konnte ich sehen, dass er sich auf die Unterlippe biss, als wolle er sich selbst am Weitersprechen hindern. So viele Emotionen war ich von ihm gar nicht gewöhnt. Langsam, aber sicher begriff ich, dass mehr hinter seinen meist streng wirkendem Gesicht steckte. Er war nicht nur der nörgelnde Nachbar und Koch, sondern viel mehr ein ziemlich verschlossener Mensch, der Angst vor seinen eigenen Gefühlen hatte. Dabei war es egal, welcher Art diese waren. Hauptsache niemand verstand, was tatsächlich in ihm vorging. Ich hatte den Drang ihn zu trösten. Denn seine Selbstvorwürfe entsprachen nicht der Wahrheit, das schien ihn nur noch niemand gesagt zu haben. Dennoch entschied ich mich für eine andere Taktik, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. „Du bist ein Feigling..“ tat ich ungerührt kund. Dabei neigte ich meinen Kopf zur Seite und reckte mein Kinn ein wenig nach vorn. Stille war das Einzige, was ich zu hören bekam. „Und ein schlechter Lügner..“, fuhr ich deshalb nüchtern fort. Kai senkte seinen Kopf noch mehr und es schien als schrumpfte er ein Stück in sich zusammen. „Außerdem meckerst du an allem herum und weißt alles besser. Uruha würde es bestimmt nicht lange mit dir aushalten, wenn er sich überhaupt dazu herablässt, sich mit dir zu treffen..“ setzte ich meine Vorhaltungen fort, bis ein Ruck durch den Brünetten ging und er plötzlich ganz dicht vor mir stand. Er musste sich ein bisschen auf die Zehenspitzen gestellt haben, da wir uns auf gleicher Augenhöhe befanden. Sein Blick schien mich durchbohren zu wollen, dennoch wich ich nicht zurück. Dass er sich so schnell von mir provozieren ließ, hätte ich nicht vermutet, aber so konnte ich mir wenigstens weitere Lügenmärchen sparen. „Bist..du..fertig..?“, fragte er betont ruhig, die Augen schmal wie Schlitze und die Zähne fest aufeinander gepresst. „Du hast echt niedliche Grübchen..“ eröffnete ich ihm völlig ungezwungen, woraufhin er hörbar ausatmete. Seine Augen weiteten sich auf die normale Größe zurück. Anscheinend hatte Kai nicht damit gerechnet, dass ich ihm ein Kompliment machen würde, und hatte ihn dadurch den Wind aus den Segeln genommen. Verdutzt blinzelte er mich an, während er auf seine eigentliche Körpergröße zurück schrumpfte. „Was..?“, konnte ich ganz leise vernehmen, wobei er sich mit einer Hand unbewusst über seine rechte Wange strich. „Du hast Grübchen. Zumindest wenn du lächelst. Was du übrigens viel öfter machen solltest. Du bist um einiges attraktiver als du glaubst und das sage ich nicht nur, weil ich dir Geld schulde. Ich bin mir sicher Uruha ist das schon längst aufgefallen. Wenn du lächelst, wird er dir und deinen Grübchen nicht widerstehen können..“ versicherte ich ehrlich, obwohl es nicht meiner Art entsprach anderen Honig um den Bart zu schmieren, aber irgendwie musste ich Kai davon überzeugen, dass er nicht schlechter war als andere Menschen. Ich lächelte ihn an und überspielte so ein Schmunzeln, denn er war erneut rot geworden. Schnell senkte er seine Hand als ihm bewusst wurde, dass er sich noch immer an der Wange berührte. „Und wenn er mich trotzdem nicht mag..?“, wollte er unsicher wissen. „Er wird..“ entgegnete ich, ohne zu zögern. Er sollte gar nicht erst wieder anfangen zu zweifeln. Für einen Moment war seine Mimik wie erstarrt, doch dann bogen sich seine Mundwinkel langsam nach oben. Er lächelte mich freundlich und vor allen dankbar an. Keine Ahnung wieso oder warum, aber ich wusste, dass es aufrichtig war. Es verstärkte den positiven Eindruck, den ich nach und nach von Kai gewann. Ein leichter Schauer rieselte mir über den Rücken. Die Nachtluft war merklich abgekühlt und ein seichter Wind wehte. Kein Wunder, das mir kalt war. „Kazuki..?“ riss mich mein Gegenüber mit sanfter Stimme aus meinen Gedanken. „Hm..?“ machte ich lediglich, um zu signalisieren, dass ich ihn zuhörte. Unser Blickkontakt war noch immer nicht abgebrochen, was mir erst jetzt richtig bewusst wurde. Ich konnte sogar ein wenig seiner Körperwärme spüren oder ich bildete es mir ein, weil er so nah vor mir stand. „Es ist Grün..“ Was? Hatte ich was im Gesicht? Halluzinierte Kai? Hatte er zu viel Wasabi gegessen? Meine Verwirrung blieb dem Jüngeren nicht verborgen. Er fing sogar leise an zu lachen, bevor er meine Hand ergriff und mich schnellen Schrittes über die Straße lotste. Schlagartig dämmerte mir, dass er die Ampel gemeint hatte. Manchmal fragte ich mich wirklich, ob mein Gehirn mich ab und an im Stich ließ, nur damit ich mich lächerlich machte. Es brachte allerdings nichts mich selbst anzuschmollen. Also konzentrierte ich mich wieder auf die wesentlichen Dinge. Zum Beispiel, dass Kais Hand sich angenehm warm anfühlte. Seine Haut war sogar um einiges weicher als ich gedacht hatte. Kaum das ich diese Erkenntnis gemacht hatte, ließ der Brünette mich wieder los. Schade irgendwie.. „Guck nicht so. Du bist alt genug, um alleine zu laufen..“ stichelte er und grinste mir auch noch frech ins Gesicht. Ich hatte ihn wohl zu sehr aufgebaut. Das nächste Mal würde ich keines seiner Körperteile loben, sonst würde er noch übermütig werden und so dreist werden wie meine Freunde. Es reichte schon, dass ich als Kellner arbeiten musste. Das war Schmach genug. „Muss ich morgen wieder arbeiten..?“, fragte ich betont lustlos nach, wodurch ich seinen Kommentar einfach überging und geschickt das Thema wechselte. Die Hoffnung, dass Kai auf meine Dienste verzichten würde, hatte ich längst begraben. Aber vielleicht hatte er ein bisschen Mitgefühl und gönnte mir einen Tag Pause. „Nein, morgen ist Ruhetag, da ist das Restaurant zu..“, erklärte der Koch, während er die Tür des Hochhauses öffnete und es danach als Erster betrat. Meine Laune stiegt augenblicklich. Beschwingt folgte ich ihm die Treppen hinauf. Gedanklich nahm ich mir bereits vor morgen mindestens bis Mittag zu schlafen, dann würde ich mir eine Pizza bestellen, fernsehen und.. „Du wirst mir morgen beim Tapezieren helfen. Immerhin muss ich nur wegen dir mein Wohnzimmer renovieren..“ machte er meine Pläne mit einem Schlag zunichte. Wo waren die Hilfsorganisationen, wenn ich sie brauchte? Es musste doch Vereine geben, wie 'Ein Herz für Kazukis' oder 'Kazukis in Not'. Von mir aus auch der 'KWF', denn wenn Kai mich weiter so durch die Gegend scheuchen würde, wäre ich ganz sicher bald vom Aussterben bedroht. Konnte mein Leben noch schlimmer werden? „Am besten wir fangen gleich früh an, dann haben wir den ganzen Tag Zeit..“, informierte mich mein persönlicher Sklaventreiber netterweise, ohne auf eine Zustimmung meinerseits zu achten. Es machte also gar keinen Sinn sich eine Ausrede auszudenken. Er würde sie mir ohnehin nicht glauben. „Wie schön..“ entwich es ironisch meinen Lippen. Meine Schritte waren längst nicht mehr beschwingt. Ich schlurfte eher wie ein gebrechlicher alter Mann Etage um Etage hinauf. Da Kais Wohnung unter meiner lag, verabschiedete er sich vor seiner Wohnungstür mit einem schlichten „Bis morgen..“ und verschwand danach. Ich brummte lediglich vor mich hin, während ich den Rest der Stufen nach oben erklomm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)