Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 19: 19. Kapitel ----------------------- Es waren einfach unglaublich viele Menschen! Obwohl sie gleich nach dem Frühstück losgegangen waren, hatte Emma das Gefühl, in dem Touristenstrom zu ertrinken, der sich auf die Tempel und Schreine zubewegte. Vor allem aus den U-Bahn-Aufgängen drängten immer mehr Menschen. So viele, dass Emma sich gar nicht vorstellen konnte, wie viele U-Bahnen gleichzeitig hatten ankommen müssen, um so viele Leute ausspucken zu können. „Ich bin froh, dass wir gelaufen sind“, meinte sie zu Calmaro, der sie aber vermutlich bei dem Lärmpegel gar nicht hatte hören können. Sie wurden mehr geschoben, als sie auf den Park zugingen, bis ... es auf einmal besser wurde. Kaum waren sie an einem großen Tor vorbei, durch ein Weiteres hindurch und auf eine gekieste Fläche getreten, wurde es so plötzlich ruhig, dass Emma sich erstaunt umsah. Die Menge schien halb vor dem Tor zurückgeblieben zu sein und die andere Hälfte hatte sich verteilt. Mit einem kleinen, erleichterten Seufzen ließ Emma ihre Handtasche los, die sie bis jetzt krampfhaft festgehalten hatte, und schüttelte kurz ihre Füße in den schwarzen Turnschuhen aus. Sie zog einen kleinen Plan, den sie im Hotel bekommen hatte, aus der Jackentasche und faltete ihn auf. Nach einem bisschen Herumdrehen hatte sie ihn so in der Hand, dass sie genau sehen konnte, wohin sie von hier aus als Erstes marschieren könnten. „Ich würde gern den Tempel mit dem riesigen Lampion sehen.“ Ihr Finger deutete auf einen Schnappschuss und eine kleine Erklärung neben der Karte. „Ansonsten bin ich für alles offen. Waren Sie schon mal hier?“   „Nein, bis jetzt noch nicht.“ Und das freute in mehr, als angemessen sein dürfte, aber so war das nun einmal bei ihm, wenn er Sachen sah, die er noch nicht schon wenigstens einmal gesehen hatte. Da war die Überraschung wenigstens noch nicht vorüber. Cayden stellte sich leicht hinter Emma, um über ihre Schulter hinweg auf den Plan sehen zu können, den sie in der Hand hielt, und studierte auch gleich die anderen möglichen Stationen. „Der riesige Lampion scheint mir ein gutes Ziel zu sein. Wenn es irgendwo auf dem Weg dorthin einen Teich mit Kois gibt, bin ich eigentlich schon zufrieden.“ Es war ein bisschen Schade, dass sie die Sakurablütensaison nicht erleben konnten, aber die Bäume machten auch jetzt ein schönes Bild und die Tempelanlage war hübsch gestaltet. Von der hektischen Stadt war in dieser Oase der Ruhe kaum noch etwas mitzubekommen, von den vielen Touristen einmal abgesehen. „Es ist lange her, dass ich in einer Tempelanlage war, daher würde ich sagen, ich hänge mich einfach an Sie dran und wir sehen, was sich so ergibt.“ Damit gab Cayden ihr offiziell die Erlaubnis, die Führung über ihre Zweiergruppe zu übernehmen, ohne dass er irgendwelche Einwände erheben würde.   „Okay.“ Emma steckte den Plan ein, auf dem leider kein Koi-Teich verzeichnet gewesen war. Aber vielleicht gab es irgendwo im Inneren der Tempelanlage einen. „Sie mögen also Kois? Ich finde sie auch toll. Irgendwann habe ich mal im Fernsehen einen Bericht gesehen, in dem es darum ging, einen Koi zu züchten, der die japanische Flagge darstellt. Am Ende ist der Fisch für mehrere tausend Dollar verkauft worden.“ Für einen Fisch! Emma gefielen die hübschen Fische. Einfach weil sie so groß waren und in so vielen Farben vorkamen. „Mir gefallen die Dreifarbigen am besten. Und die in Weißorange.“ Sie sah zu Calmaro hoch und lächelte, während sie auf einem Kiesweg an mehreren Kirschbäumen vorbeigingen und man in einiger Entfernung schon einen Pagodenturm sehen konnte. Irgendwo dort in der Nähe musste der Lampion-Schrein sein. „Haben Sie vielleicht sogar Kois? Wobei die ja sehr viel Pflege brauchen.“ Vielleicht hatte er auch den passenden Gärtner.   Cayden musste fast lachen, bei der Vorstellung, man könnte ihm ein richtiges Haustier anvertrauen. „Ich finde Kois auch toll, wobei mir die vollkommen Goldfarbenen am besten gefallen. Aber nein, ich habe keine. Eigentlich besitze ich nichts, was mehr Pflege bedarf als ein paar Topfpflanzen und kleine Zierfische. Selbst die gieße und füttere ich nicht selbst.“ Außerdem starben die meisten Haustiere viel zu schnell weg. Da müsste es schon eine Schildkröte oder etwas derartig Langlebiges sein und die wären ihm dann doch zu langweilig. Sein Aquarium diente da mehr dem Zweck einer Dekoration. Wobei … „Wussten Sie, dass einzelne Exemplare von Kois bei guter Haltung über 200 Jahre alt werden können? Das erstaunt mich immer wieder, weil man Fischen dann doch keine so hohe Lebenserwartung zuschreiben würde. Zumindest nicht, wenn sie einem im Hausteich so schnell wegsterben.“ Das Gekreische eines kleinen Kindes lenkte ihn kurz ab und sein Blick wandte sich dem kleinen Drama zu, gerade als die Mutter das Kind vom Boden aufhob, wo es offenbar in seiner Freude über seine eigenen kleinen Füße gestolpert war. Das gab ihm den Anlass, sich einmal genauer die Menschen um sie herum anzusehen. So gut wie alle hier waren Touristen und manche schon so übertrieben auffällige, dass es einem fast schon peinlich war, ebenfalls zu dem Schlag zu gehören. „Sind Sie eigentlich eine waschechte Wellingtonerin?“, fragte er ziemlich unvermittelt, während sie in Ruhe den Kiesweg entlang schlenderten, aber manchmal war es nicht ganz so leicht, seinen Gedankensprüngen zu folgen, zumal er selbst nicht immer mitkam.   Emma kaute auf ihrer Unterlippe herum, während sie beobachtete, wie die Mutter ihr kleines Kind zu beruhigen versuchte, das heulte, als hätte es sich wirklich wehgetan. Sowas bewunderte sie wirklich. So gern Emma Kinder auch mochte, sie fühlte sich in Situationen, wo sie losweinten – ob es nun schlimm war oder nicht – immer ziemlich hilflos. Im Trösten war sie nicht besonders gut. Aber die Kleine stand bald schon wieder auf den kurzen Beinchen, hatte ihren Sturz scheinbar schon ganz vergessen, auch wenn ihre Bäckchen noch rot vom Weinen waren. Sie tapste sofort wieder drauflos und die Mutter glücklich lächelnd hinterher. Emma fragte sich, für was man sie selbst und ihren Begleiter hielt. Freunde? Ein Pärchen? Nein, dafür gingen sie nicht nah genug nebeneinander. Außerdem berührten sie sich nicht. Es gab kein Händchenhalten oder eine Umarmung oder so etwas in der Richtung. Eigentlich ... gar nichts, was auf eine starke Verbindung hätte schließenlassen. Was auch heißt, er ist nicht … auf diese Art an mir interessiert. Warum dachte sie überhaupt an sowas? Emma sah ihn kurz verwirrt an, bis sie schnell seine Frage beantwortete. Immerhin konnte sie glücklich darüber sein, dass er sie auf andere Gedanken brachte. „Ja, bin ich. In Wellington geboren, aufgewachsen und immer noch dort. Meine Mom lebt aber in Nelson. Da hat sie vor ein paar Jahren einen besseren Job gefunden. Sie sind ursprünglich nicht aus Welly, oder?“ Irgendwie war Emma sich immer noch nicht schlüssig, ob er überhaupt Kiwi war.   „Nein. Ich lebe erst seit ungefähr 14 Jahren in Neuseeland“, erklärte Cayden gelassen, während er versuchte, sich an Fakten zu halten, aber dabei doch nicht gänzlich die Wahrheit zu sagen. Bevor er allerdings weitersprechen konnte, wurden sie beide von einem Pärchen getrennt, das sich partout nicht loslassen wollte, weshalb Emma und er ausweichen mussten. Wieder nebeneinander fuhr er im Plauderton fort: „Meine Vorfahren müssen vermutlich irgendwo aus Europa stammen, was meine Haut- und Haarfarbe erklären dürfte, aber aufgewachsen bin ich in Zentralamerika. Besser gesagt in Belize.“ Zumindest hieß die Region dort heute so. Danach hatte er sich sehr früh erkundigt, auch wenn er schon sehr lange nicht mehr dort gewesen war. „Und Sie hatten nie das Bedürfnis einmal hinaus in die Welt zu gehen und etwas anderes zu sehen als Wellington, oder gab es dafür andere Gründe?“ Falls er ihr zu neugierig war, würde sie es ihm bestimmt sagen, weshalb er einfach munter drauflosfragte. Was das anging, hatte er kaum Hemmungen. Solange die Leute redeten, würde er zuhören.   „Ja, stimmt. Wie ein Zentralamerikaner sehen Sie nicht aus.“ Emma grinste, was aber durchaus einen freundlichen und auch irgendwie hintergründigen Touch hatte. „Wobei ich sogar glaube, dass rote Haare in fast allen Kulturen vorkommen. Bei manchen eben häufiger, als bei anderen. Kommen rote Haare in ihrer Familie öfter vor?“ Eigentlich müsste einer seiner Elternteile rothaarig sein, überlegte Emma und gab einen Tipp ab, ob es seine Mom oder sein Dad war. Sie glaubte ... Daddy hatte dem Sohnemann die Haarfarbe vererbt. „Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich noch nie aus Welly raus gekommen wäre. Ich war in NZ öfter unterwegs und auch mal in OZ. Bloß weite Reisen, wie nach Asien oder gar Europa hab ich mir bis jetzt nicht leisten können. Ist ja auch verdammt weit weg. Schon allein der Flug kostet fast dreitausend Dollar.“ Es war nicht so, dass sie noch nie darüber nachgedacht hätte. In Europa oder den USA gab es ein paar Dinge, die sie gern einmal sehen würde. Zum Beispiel diese alten Schlösser und Kirchen. Die Gargoyles auf Notre Dame in Paris ... Solche Sachen. „Ich werde das bestimmt irgendwann noch nachholen. Muss eben ein bisschen sparen. Darf man denn fragen, was Sie dann nach Welly verschlagen hat? Ist ja von ihrer Heimat aus auch nicht gerade der nächste Weg.“   Cayden folgte Emma in eine Kirschbaumallee, von der aus sie zu dem riesigen Lampion kommen würden, was aber bei ihrem langsamen Tempo noch etwas dauern dürfte. Er dachte etwas über ihre Frage nach, während er sich die alten Bäume anschaute. Ihm fielen zuerst einige Antworten ein, die er ihr hätte geben können. Zum Beispiel, dass er die Haarfarbe von seiner Mutter hatte und die Augenfarbe von seinem Vater, oder dass seine ganze Sippe so aussah, wie er es eben tat. Vielleicht auch, dass er die Ausnahme war und das Aussehen von einem der Großelternteile vererbt bekommen hatte. Doch letztendlich verwarf er diese ganzen Möglichkeiten, weil sie alle nicht stimmten. Zumindest wusste er es nicht. Vielleicht hätte er einfach gar nichts sagen sollen, doch irgendetwas trieb ihn dazu, sich an die Wahrheit zu halten. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und mein Vater kam bei einem Schiffsunglück ums Leben. Ich habe aus purem Glück dabei überlebt und bin dann von einer einheimischen Familie aufgenommen worden, da ich auch keine näheren Verwandten hatte. Aber ich denke, es dürfte durchaus in der Familie liegen.“ Er lächelte und er meinte es sogar ernst damit. Das alles lag schon so weit zurück, dass er schon sehr lange ganz normal darüber reden konnte. Außerdem erinnerte er sich wirklich nicht mehr allzu genau an seinen wahren Vater. Dafür war er viel zu klein gewesen. „Ja, es ist tatsächlich kein Katzensprung und eigentlich ist es in Neuseeland sehr schön. Sie haben also durchaus auch gute Gründe zu bleiben.“ Caydens Lächeln vertiefte sich, als er Emma von der Seite her ansah und dabei daran dachte, dass sie auch durchaus noch sehr viel länger bei ihm arbeiten durfte. Ihre Gesellschaft war sehr angenehm. „Eigentlich hat mich tatsächlich das Land nach Wellington verschlagen. Ich bin schon sehr viel in der Welt herumgekommen und habe viele verschiedene Länder und Kulturen gesehen. Aber Neuseeland hat eine faszinierende Schönheit, wenn man aus den Städten herauskommt und zudem ist das Wetter ein bisschen dem ähnlich, was ich gewohnt bin. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Schnee ist zwar toll, aber wenn ein halbes Jahr lang alles davon erstickt wird, kann man ihm sehr schnell überdrüssig werden. Sie sagten, Ihre Mutter lebe in Nelson. Was ist mit Ihrem Vater? Haben Sie auch Geschwister?“   „Oh, das mit ihren Eltern tut mir leid.“ Mist. Emma konnte sich gerade noch so aus einem Loch schlechten Gewissens ziehen. Denn immerhin hatte sie nicht ahnen können, dass sie mit dieser Frage an einem Schicksalsschlag rührte. Trotzdem war es ihr unangenehm. Auch wenn Calmaro erstaunlich gefasst darüber hinwegging und ihre anderen Fragen beantwortete. Da musste man vor Männern wirklich manchmal den Hut ziehen. Wäre ihr so etwas passiert, hätte sie zwanzig Jahre später mit einem fast Fremden vermutlich nicht so locker darüber sprechen können. Oder war es gerade die Tatsache, dass sie sich eigentlich nicht kannten, die es einfacher machte? Emma versuchte nicht zu intensiv darüber nachzudenken, sondern ließ ihren Blick am penibel rasierten Rand des Rasens entlangschweifen, bis sie sich einem weiteren Tor näherten. Der Schrein, zu dem sie wollten, schien nicht mehr weit zu sein. „Meine Mom und mein Dad waren zehn Jahre verheiratet, bis ich auf die Welt kam. Da ist meinem Dad ein Licht aufgegangen – eine Ehe und ein Kind waren einfach zu viel Arbeit und Verantwortung. Da hat er das Weite gesucht.“ Sie zuckte mit den Achseln. Da sie den Mann nur von ein paar alten Fotos kannte, machte ihr da nichts aus. Was man nie gehabt hatte, konnte man nicht vermissen und mit ihrer Mom allein war Emma immer sehr gut klargekommen. Auch wenn es manchmal geldmäßig ein bisschen knapp gewesen war. „Angeblich hat er noch ein Kind, was heißen würde, dass ich noch Stiefgeschwister habe. Aber genau weiß ich das nicht.“ Emma war ganz froh, dass sie jetzt wieder von mehreren Menschen begleitet wurden, die ebenfalls auf den Eingang der Schreinanlage zusteuerten. Hinter dem Tor konnte man bereits kleine Buden und Souvenirstände erkennen und einen Durchgang, in dem wohl hoffentlich der riesige, rote Lampion hängen musste. „Wir sind fast da, glaube ich.“ Eigentlich wollte Emma nur den Hals ein bisschen recken, um sehen zu können, ob es auch der richtige Schrein war. Dabei kam sie allerdings minimal ins Straucheln und stützte sich kurz an Calmaros Oberarm ab, bevor sie ihn vollkommen anrempelte. „Entschuldigung.“ Sie lächelte und versuchte das Flattern ihres Herzens zu übertünchen, das ihr so seltsam und unpassend vorkam in diesem Moment. „Es ist wohl der Richtige.“   „Das ist etwas, das ich noch nie verstanden habe“, meinte Cayden seufzend und fragte sich, was für ein Idiot Emmas Vater gewesen sein muss. Zehn Jahre mit einer Frau verheiratet zu sein, war schon bemerkenswert und dann ein Kind zu bekommen, klang in seinen Augen auch nach einem Entschluss und nicht einfach nach einem Unfall. Dass der Kerl dann aber gekniffen hatte, war wirklich ungeheuerlich. Zumal Emma wirklich eine bemerkenswerte Persönlichkeit war, auf die man als Vater ruhig hätte stolz sein können. „Ich meine, dass so einige Väter sich so einfach ihrer Verantwortung entziehen und gerade nach einer so langen Ehe, glaube ich nicht, dass sie einfach plötzlich da waren. Tut mir leid, dass ich das jetzt so sage, aber ihr Vater ist ein Feigling, während ihre Mutter nur zu bewundern ist. So eine Verantwortung alleine zu tragen ist sicherlich nicht leicht gewesen.“ Als Emma das Gleichgewicht verlor und sich an ihm abstützte, griff seine Hand automatisch nach ihrer Schulter, bis sie wieder einen guten Stand hatte. Danach ließ er sie langsam los. „Nichts passiert.“ Er lächelte zurück und unterdrückte die Versuchung, Emma noch einmal an der Schulter zu berühren. Irgendwie kribbelte es plötzlich seltsam in seinem Bauch und er spürte, wie ihm Hitze in den Nacken hochstieg. „Ja, das denke ich auch. Lassen Sie ihn uns ansehen.“   Der Lampion war wirklich gigantisch. Weitaus größer, als er angenommen hätte und auf jeden Fall sehenswert. Cayden verstand sofort, warum Emma ihn hatte sehen wollen, und da er selbst nicht ganz vor dem Erstaunen gefeit war, musterten sie ihn beide schweigend, während sie in stiller Eintracht nebeneinanderstanden. Der Touristenstrom nahm zu und schließlich waren so viele Menschen um sie herum, dass Emma und er näher zusammenrücken mussten, bis sich ihre Schultern berührten. Die Wärme ihrer Köper schien deutlicher zu werden, dort wo sie sich berührten und irgendetwas daran, ließ Cayden leicht unruhig werden. Zumindest war es nicht mehr der Lampion, auf den er sich hauptsächlich konzentrierte. Verstohlen warf er einen Seitenblick zu Emma, bis sie ihm ebenfalls das Gesicht zu wandte, zu ihm hochsah und sich ihre Blicke trafen. In diesem Moment blitzte etwas in seinem ohnehin grell erleuchteten Augenwinkel und Cayden wandte ruckartig seinen Kopf in diese Richtung. Wachsam und schon mit einem halben Schritt vor Emmas Körper geschoben, um sie wenn nötig, ganz hinter sich zu bringen, entspannten sich seine Schultern schließlich wieder, als er lediglich einen kleinen Jungen mit einem riesigen Fotoapparat entdecken konnte, der ihn mit einem Zahnlückenlächeln angrinste. Er nahm etwas von seiner Kamera, schüttelte es und kam dann damit auf sie zugelaufen. In liebenswürdigstem Japanisch quasselte der kleine Junge auf sie beide ein und hielt ihm das Foto entgegen, das sich langsam zu einem sichtbaren Bild entwickelte, wo vorher nur Grau gewesen war. Cayden konnte über so viel Unternehmensgeist nur lächelnd den Kopf schütteln, sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche ziehen und dem Jungen einen Schein in die Hand drücken, ehe er das Foto entgegen nahm. Er warf nur kurz einen Blick darauf, ehe er es an Emma weiterreichte. „Ein Souvenir. Meint der Kleine und dass ich dumm wäre, wenn ich es nicht annehmen würde, da er uns richtig gut getroffen hat.“ Was stimmte. Denn auf dem Bild sahen Emma und er sich gerade an, Schulter an Schulter, während gerade keine Touristen durchs Bild liefen, sondern nur als Hintergrund in ihrer Nähe herumstanden.   Emma sah sich das Bild an und versuchte das Strahlen, das sich daraufhin in ihrem Gesicht ausbreiten wollte, wenigstens ein bisschen zurückzuhalten. Aber so richtig wollte das nicht funktionieren. Ihre Mundwinkel kämpften sich nach oben und auch ihre Augen erfüllte ein Lächeln, als sie auf das kleine Souvenir in ihren Händen hinuntersah. Es war tatsächlich ein gelungenes Foto. Sie sahen beide ziemlich gut getroffen und vor allem fast schon übertrieben glücklich aus. Ganz so, als wären sie wirklich mehr, als … als wären sie nicht nur zusammen auf Geschäftsreise. Aber das entsprang vielleicht auch nur Emmas Phantasie. Der Hintergrund war ein bisschen verwackelt, was dem Bild auch noch ein kitschiges Sahnehäubchen aufsetzte. Als Emma dem Jungen auf Japanisch danken wollte, war der schon in der Menge verschwunden. Vermutlich, um auch anderen Leuten den perfekten Moment einzufangen. Still dankte sie ihm trotzdem.   Sie spazierten weiter. Fast einmal um die gesamte Parkanlage, bis sie auf einem kleinen Wiesenstück eine steinerne Bank besetzten und das Bento auspackten, das Emma am Morgen besorgt hatte. Diesmal hatte sie darauf bestanden, dass sie die Runde ausgab. Es fühlte sich einfach besser für sie an, wenn sie ihrem Chef nicht die ganze Zeit auf der Tasche lag. Zumal sie ja auch etwas Geld für sich selbst mitgenommen hatte, um möglicherweise über die Stränge schlagen oder Geschenke einkaufen zu können. Auch das tat sie, indem sie ihrer Mom und Kathy einen Glücksbringer an einem der Stände aussuchte und für Rob einen dicken, grünen Buddha, der so breit grinste, dass er Emma sofort gefiel. Sie kaufte sich auch selbst einen, der einen Ehrenplatz auf ihrem Fensterbrett bekommen würde. Den Rest des Nachmittags verbrachten sie mit ein wenig Bummeln durch die Stadt. Emma ließ sich von Calmaro ein paar dieser elektronischen Neuheiten zeigen, für die er sich interessierte, und fand ein paar Sachen sogar ganz witzig.   „Mir fallen bald die Füße ab.“ Sie standen an einer Ampel, mit vermutlich hundert anderen Menschen und Emma konnte nicht anders, als sich ein bisschen zu schütteln. Einen ganzen Tag umringt, zusammen gequetscht zwischen so vielen Leuten ... das ging ihr irgendwie aufs Gemüt. Wie man so einen latenten Stress täglich ertragen konnte, war ihr schleierhaft. Aber manche mochten es ja sogar. „Haben Sie noch etwas vor? Ich würde ganz gern ins Hotel zurück.“ Sie warf einen Blick in das Stück Himmel, das zwischen den Wolkenkratzern zu sehen war, und fügte mit einem lockeren Grinsen hinzu: „Ist auch schon Zeit zum Abendessen.“   Auch wenn Cayden sich nicht mehr wirklich an den letzten freien Tag erinnern konnte, den er ganz ohne mit der Arbeit im Kopf verbracht hatte, wusste er schon jetzt, dass der Tag mit Emma so ziemlich alles übertraf, was er seit einiger Zeit gemacht hatte. Sie hatten sich noch über alles Mögliche unterhalten, während sie das Bento zu Mittag langsam verdrückt hatten und noch anschließend durch die Stadt gebummelt waren. Eigentlich hätte er sich ihrer Meinung anschließen müssen, als sie schließlich zugab, wie anstrengend es für sie beziehungsweise ihre Füße gewesen sein musste, so lange unterwegs zu sein. Aber statt sich erschöpft zu fühlen, ging es ihm besser denn je. Er hatte sich schon lange nicht mehr so viel bewegen können und da störten ihn auch die vielen Menschen um sie herum kaum. Obwohl er zugeben musste, dass auch seine Sinne langsam überreizt waren, von dem vielen Lärm, den Gerüchen und immer wieder die einstrahlende Sonne in seinen Augenwinkeln. Es war zwar nicht so schlimm, wie eine direkte UV-Einstrahlung, war mit der Zeit aber auch für seine Augen anstrengend. „Nein, wir können sehr gerne ins Hotel zurückgehen. Für heute habe ich definitiv genug von der Stadt und einen ziemlichen Hunger. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich vorher noch gerne aus den Klamotten raus und mich etwas erfrischen. Wie wäre es, wenn wir uns in einer halben Stunde im Restaurant Peter treffen, nachdem wir im Hotel angekommen sind?“ Die dazu passende Bar hatte er auch noch nicht gesehen, vielleicht wäre das noch das letzte Reiseziel für heute Abend, bevor sie morgen abreisen würden. Laut der Broschüre war die Bar einfach absolut umwerfend eingerichtet. Mit all den Lichtern, dem Flair und ... Später.   ***   In dieser halben Stunde schaffte Emma es leider nicht, ihre Haare zu waschen. Aber sie hüpfte noch schnell unter die Dusche, zog sich frische Kleider an. Wieder etwas eleganter, als die Jeans und das Shirt, die sie tagsüber getragen hatte. Aber in ihre Büromontur zwängte sie sich diesmal nicht. Hübsche, schwarze Unterwäsche, eine schwarze Stoffhose mit Nadelstreifen und eine helle Bluse dazu. Als sie sich im Spiegel betrachtete, die Haare noch durchkämmte und ihren Lidschatten ein bisschen auffrischte, war Emma ganz zufrieden. So konnte sie sich in diesem Nobelhotel doch durchaus zum Abendessen sehen lassen. Kurz kam ihr allerdings der Gedanke, dass sie neben Calmaro, in seinem asiatischen Dress ein bisschen fehl am Platz wirken könnte. Aber sie hatte eben nichts Entsprechendes anzuziehen. Sie zuckte die Schultern und grinste ihrem Spiegelbild verschwörerisch zu, bevor sie sich ihre Schlüsselkarte schnappte und sich auf dem Weg zum Restaurant machte. Diesmal musste sie auch nicht auf ihr Glück hoffen, Calmaro auf dem Gang zu begegnen. Stattdessen fuhr sie zielstrebig in die richtige Etage, stieg aus dem Fahrstuhl und fragte die junge Japanerin, ob ihr Boss schon eingetroffen war. Diese bejahte und führte sie durch das wunderschöne Restaurant an einen edel gedeckten Tisch. Calmaro war so höflich sogar aufzustehen, als Emma an den freien Platz trat und ihm einen guten Abend wünschte. Sie war wirklich so unglaublich froh für diesen Tag, den sie zusammen verbracht hatten. Jetzt hatte sie nicht mehr ganz so stark das Gefühl, sich jeden Moment daneben benehmen zu können. Calmaro war ein netter Mensch und gar nicht so spießig, wie er manchmal nach außen hin den Eindruck machte. Emma leistete ihm sehr gern Gesellschaft und war endlich dieses nagende Gefühl im Nacken los, das sie bis jetzt immer irgendwie verfolgt hatte. Sie konnte locker mit ihrem Chef umgehen. Das war ein Glück, das sie zu schätzen wusste. Das Privileg genoss nicht jeder Angestellte. Und auch nicht jede persönliche Assistentin.   Cayden hatte nicht allzu lange gebraucht, um sich schnell zu duschen und seine bequemere japanische Kleidung überzuwerfen. Im Restaurant hatte er dabei zugesehen, wie die letzten Sonnenstrahlen hinter der Skyline von Tokio verschwunden waren und es langsam Nacht wurde, während er auf Emma wartete. Wieder einmal mit dem seltsamen Kribbeln im Bauch, das seiner Vorfreude entsprach, sie schon bald wiederzusehen. Es war schon erstaunlich, aber nach dem Tag heute, ging sie ihm die paar Minuten bereits auf eine Weise ab, die er bisher nicht zu fassen bekommen hatte. Aber er würde auch das noch näher ergründen, spätestens, wenn sie wieder zuhause waren. Zunächst allerdings konzentrierte er sich auf das Abendessen und das Gespräch bei Tisch. Dazu gab es ausgezeichneten Rotwein und ein Dessert, bei dem man dahinschmelzen könnte. Gerade wurden auch die letzten Teller abserviert und Cayden spielte nebenher mit dem Stiel des Rotweinglases zwischen seinen Fingern, während er mit Emma Augenkontakt hielt. „Vielleicht wäre es sogar eine ausgezeichnete Idee, wenn ich Sie des Öfteren auf Geschäftsreisen als Unterstützung dabei haben könnte. Immerhin würden Sie so auf Firmenkosten etwas von der Welt sehen und ich hätte jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Vielleicht auch jemand, der mich wieder daran erinnert, mich zusammenzureißen, wenn ein möglicher Auftrag ins Wasser fällt und ich mich in eine Ecke verkrieche und wie ein kleines Mädchen heule.“ Er lachte leise, denn es war sehr unwahrscheinlich, dass er je so die Fassung verlor, aber sich vorzustellen, wie Emma ihn mit ihrer Art wieder auf Trab brachte, war auf jeden Fall erheiternd. Ihr würde das bestimmt ausgezeichnet gelingen. „Was halten Sie eigentlich davon, wenn wir den Abend noch in der Bar nebenan ausklingen lassen? Vielleicht ein bisschen das erfolgreiche Meeting feiern. Stella war dafür seltsamerweise nie zu haben. Ich glaube, sie wollte ihren Boss einfach nicht betrunken sehen.“ Nun grinste er wirklich. Denn dass er einmal betrunken war, war noch unwahrscheinlicher, als wie ein kleines Mädchen zu heulen. Aber es sollte ja auch ein Scherz sein.   „Na, ich weiß nicht, ob mir da die Reisen um die Welt als Entschädigung reichen würden.“ Sie grinste. Selbst wenn sie sich sehr anstrengte – und an mangelnder Fantasie lag es bei Emma bestimmt nicht – konnte sie sich ihr Gegenüber nicht einmal im Ansatz heulend vorstellen. Nicht einmal mit Tränen in den Augen. Schon gar nicht, wenn es um so etwas, wie ein geplatztes Geschäft ging. Freudentränen vielleicht ... ja, das funktionierte eher. Aber auch nicht wirklich. Auf seinen Vorschlag hin betrachtete Emma ihr Glas, in dem nur noch ein Schluck Grapefruitsaft übrig war und nickte dann lächelnd. „Gern. Wenn Sie allerdings tatsächlich vorhaben, sich maßlos zu betrinken, werde ich nicht bleiben und zusehen. Und dann verlange ich für den Flug Morgen einen Sitz möglichst weit weg von Ihrem.“ Sie lachte ihn an, ließ ihn sein Weinglas leeren und stand dann mit Calmaro zusammen auf, verabschiedete sich von der Bedienung und ging ihrem Chef voraus in Richtung Bar. Der schmalere, um diese Zeit ruhigere Raum, war durch zwei große Glastüren vom Restaurant getrennt. Als diese vor Emma aufschwangen, hätte sie zwischen sich selbst und Calmaro beinahe eine Karambolage verursacht, weil sie einfach stehenblieb und mit glitzernden Augen das Interieur betrachtete. „Wow. Das ist ... toll.“   „Ja, nicht wahr?“, sprach er ganz dicht an ihrem Ohr, als er sich etwas von hinten über sie gebeugt hatte, um sie nach ihrem unerwarteten Stopp nicht direkt zu rammen. Aber er stellte sich schließlich neben Emma, während er den Raum musterte und weiterredete. „Hier könnte man sich durchaus maßlos betrinken und es vielleicht nur dank des heftigen Katers am nächsten Tag bereuen. Aber ich garantiere Ihnen. Egal wie trinkfest Sie sein mögen, ich kann Sie locker unter den Tisch trinken, wäre das nicht so … ungalant. Zudem bin ich nicht hier, um mich zu betrinken, sondern mit Ihnen das gelungene Meeting zu feiern. Ein Glas dürfen Sie mir also durchaus zutrauen, Emma.“ Mit einem charmanten Lächeln berührte er ihren Rücken und führte Emma direkt zur fast vollkommen menschenleeren Bar. Was auch immer hier abends so los war, es schien noch zu früh dafür zu sein. Cayden selbst konnte auch nicht ganz die Augen vom Raum lassen, während er sich einen Cocktail bestellte. Purem Alkohol war er grundsätzlich abgeneigt. Er musste schon mit etwas Schmackhaftem vermischt sein.   Nein. Nein, nein, nein! Emma motzte sich selbst in Gedanken zu kleiner Statur mit Hut zusammen, als ihr Calmaros Stimme dicht an ihrem Ohr und seine Gegenwart in ihrem Rücken, einen warmen Schauer die Wirbelsäule hinunter prickeln ließen. Die Zähne fest zusammengebissen, hielt sie ihren Blick auf die vielen, hellen Lämpchen gerichtet und ließ sich von seiner Hand auf ihrem Rücken vorwärts und an die Bar schieben. Dort angelangt bestellte Emma sich einen Manhattan und nahm dann die lockere Unterhaltung von vorhin wieder auf. Das erschien ihr zumindest sicherer, als sich weiterhin damit zu befassen, wie genau sie Calmaros so plötzliche Berührungen und ihre Reaktion darauf deuten sollte. Eigentlich brauchte sie nur kurz einen Blick auf seinen Ehering zu werfen und sofort wurde es in ihrem Inneren kühler. Guter Trick. Klappte immer wieder und einwandfrei. Also zurück zum Gespräch. „Ein Glas, Mr. Calmaro. Wenn Sie anschließend schon dazu neigen, Ihre galante Art zu verlieren, werde ich Sie darauf hinweisen. Immerhin gehört das ja auch zu meinem Aufgabenkreis. Auf Sie zu achten.“ Sie hob ihren Manhatten. „Auf Ihre guten Geschäfte.“   Cayden hob breit lächelnd sein Glas. „Auf eine gute Zusammenarbeit.“ Er nahm einen kleinen Schluck und stellte das Getränk wieder ab, während er es sich auf dem Barhocker so bequem machte, dass er sowohl Emma, wie auch die nächtliche Stadt Tokios vor den Fenstern im Blick hatte. „Und sollte ich bereits nach einem Glas dazu neigen, ungalant zu werden, haben Sie einen Freifahrtschein zur Verfügung, mich entsprechend zu maßregeln, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Denn wie Sie schon sagten, es gehört zu Ihrem Aufgabenkreis, auf mich aufzupassen. Ich bin nur froh, dass Sie es nicht auf Gluckenhafteweise tun, so wie Stella dann und wann dazu neigte. Manchmal kam sie mir schlimmer vor als die Supernanny. Erst recht, wenn sie mich dazu gezwungen hat, fünf Mahlzeiten am Tag einzuhalten. Bei Gott, ich bin schon groß genug, aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie mir nicht doch ein Lätzchen umgehängt und mich eigenhändig gefüttert hätte, wenn ich nicht ihr Boss gewesen wäre.“ Er nahm einen weiteren Schluck. „Aber nun zu Ihnen. Wie lebt es sich eigentlich mit den guten Freunden zusammen unter einem Dach? Ist das nicht manchmal auch ganz schön anstrengend?“   „Ach, sein Sie nicht so. Stella hat es bestimmt nur gut gemeint.“ Emma nahm genau im falschen Moment einen Schluck von ihrem Manhattan. In der nächsten Sekunde schlug sie sich die Hand vor den Mund und wurde gänzlich von dem zurückgehaltenen Kichern durchgeschüttelt, bis sie den Drink mit Tränen in den Augen doch noch sicher hinunterschlucken konnte. „Das mit dem Lätzchen hätte sie hoffentlich für die Kantine fotografiert, wenn es dazu gekommen wäre.“ Emma konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, dass Stella so sehr auf ihren Chef geachtet hatte. Irgendwie ... passte das nicht in das Bild, das Emma von ihrer Kollegin hatte. Natürlich war sie hilfsbereit und tat oftmals mehr, als gefordert war. Aber bemuttern musste man Calmaro doch nicht. Er war erwachsen und schien bis jetzt ganz gut zurechtgekommen zu sein in seinem Leben. „Nein, bis jetzt ist es absolut nicht anstrengend. Wir passen gut zusammen, würde ich sagen. Wenn ich es recht bedenke, bin sogar ich in unserem Haushalt diejenige, die am meisten begluckt wird – wie sie so schön sagen. Ich kann mich also bestimmt nicht beschweren. Außerdem sehe ich meine Mitbewohner gar nicht so häufig. Kathy schiebt ständig Überstunden bis zum Umfallen, ich bin abends zweimal die Woche an der Uni und Rob ... ist unterwegs.“ Sie grinste auf eine Art, bei der Calmaro bestimmt verstand, in welcher Mission ihr Mitbewohner abends durch Wellington zog. Da musste man nicht viel erklären. „Wo in Welly wohnen Sie eigentlich? Haben Sie ein Haus?“   Cayden versuchte nicht zu lachen, als sich Emma beinahe verschluckt hätte, weil das für gewöhnlich nicht komisch war. Aber es gelang ihm nur mäßig und zum Glück stieg sie sofort auf den Themenwechsel ein. Während er sein Glas zwischen den Fingern drehte und ab und zu einen Schluck davon nahm, fragte er sich, ob dieser Rob auch einmal zuhause mit Emma unterwegs gewesen war. Cayden hatte zwar von Wohngemeinschaften keine Ahnung, aber der Gedanke war sicherlich nicht ganz abwegig. Auch wenn er sich sicher war, dass da nicht mehr zwischen Emma und Rob sein konnte. Sonst hätte sie anders von ihm erzählt, als bloß im gleichen Zusammenhang wie mit Kathy. „Ich habe ein Haus an der Küste und ein Appartement direkt über den Büroräumen, da dieses Haus eigentlich Vanessa gehört. Zumindest hat sie es mit ihrem Innenausstatter so in Beschlag genommen, dass es mir nie wie ein Zuhause vorkam. Fast schon zu … ähm … weiblich oder märchenhaft. Auf jeden Fall nichts, worin ich mich als Mann wohlfühlen könnte. Meistens nehme ich mein Reich über den Büroräumen in Beschlag und so weit zur Arbeit ist es dann auch nicht.“   Das Sate, das sie zum Abendessen gehabt hatte, schien sich in ihrem Magen zu einem erdigen Klumpen zu verdichten, als Calmaro den Namen seiner Frau erwähnte. Emmas Lächeln krümelte etwas, als er von 'ihrem Haus' und ihrem gemeinsamen Zuhause sprach. Selbst wenn es ihm dank des zuckersüßen Innenausbaus nicht mehr so vorkam. Ohne ihn anzusehen, nahm Emma einen großen Schluck ihres Manhattans wirbelte den Rest in dem Glas herum, bevor sie ihn kurze Zeit später hinterher schüttete und sich einen zweiten Cocktail bestellte. Der etwas bittere Nachgeschmack des Alkohols auf der Zunge gefiel ihr in diesem Moment. Genauso, wie das warme Brennen in ihrem Bauch, das zumindest den Kloß darin ein wenig anzugreifen vermochte. Sie war auch selbst schuld. Wer dumme Fragen stellte, bekam eben ehrliche Antworten. Wobei sie sich noch mehr dafür rügte, dass sie Calmaro immer noch nicht in die Augen sehen konnte und ihre Stimme ein bisschen belegt klang, als sie wieder anfing zu sprechen. Mensch, reiß dich am Riemen! Mach den netten Abend nicht mit sowas Dummem kaputt! „Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie nicht so nah am Büro wohnen würden. Die Arbeit scheint sie sowieso zu stark in Beschlag zu nehmen. Auf Dauer ist das nicht gesund.“   „Ich kenne meine Grenzen und ich weiß, wie lange ich vorhabe, für meine Arbeit zu leben. Daher machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Ich bin schon ein großer Junge und weiß, wann es genug ist.“ Zumindest meistens. Cayden sah Emma mit hochgezogener Augenbraue an, als sie ihren Drink so hinunterkippte und sich gleich noch einen bestellte. Das brachte ihn wieder auf die Frage, wie viel sie selbst vertrug. Aber wenn sie das heute Abend herausfinden sollten, dann war es so. Er war sicherlich nicht der Chef, der es sie am nächsten Tag spüren ließ, wenn sie einen zu viel intus gehabt und sich ein bisschen von der Rolle benommen hatte. Da Emma ihn immer noch nicht ansah, beugte er sich etwas zur Seite, um ihren Blick einfangen zu können und lächelte sie offen an. „Außerdem bin ich mir sicher, dass Sie mir sagen werden, wenn ich es übertreibe. Sie scheinen mir niemand zu sein, der mit seiner Meinung allzu oft hinterm Berg hält. Eine Eigenschaft, die ich durchaus schätze, solange man damit umgehen kann und damit niemandem auf den Schlips steigt.“   Es wurde ein kleines Lächeln, dann ein Großes und dann musste sie ihn doch wieder angrinsen. Wie er da so zur Seite gebeugt versuchte ihren Blick zu halten und gleichzeitig nicht vom Barhocker zu fallen. Können Sie bitte aufhören, so süß zu mir zu sein? Etwas, das sie ihm bestimmt nicht sagen würde. Schon gar nicht, wenn es bedeutet hätte, dass er es tatsächlich bleibenließ. Stattdessen reagierte Emma auf sein neuerliches Kompliment, indem sie ein bisschen die Wimpern senkte und ihn mit einem Lächeln bedachte, das man auf viele Arten lesen konnte. „Manchmal ist es vielleicht eine gute Eigenschaft, aber wieder andere Male sollte man einfach lieber denken, abwägen und dann erst reden.“ Sie zuckte die Schultern und lachte leise. „Hab ich zumindest mal gehört.“ Wieder etwas lockerer sah sie sich nach den fünf Japanern um, die gerade durch die Schwingtüren gekommen waren und den Lärmpegel ganz schön hoben. Sie wirkte geradezu aufgedreht und Emma sah ihren ersten Eindruck von dieser ihr so fremden Sprache wieder bestätigt. „Ich dachte immer, Japanisch klingt ganz anders. Viel weicher. Irgendwie passt es gar nicht so richtig zu den Menschen, die es sprechen.“ Versonnen schob sie sich eine verirrte Haarsträhne über die Schulter und sah schnell wieder von den Neuankömmlingen zu ihrem Chef. Schließlich war es in diesem Land fast noch unhöflicher als irgendwo sonst, jemanden länger als nötig anzusehen. „Ist es schwierig zu lernen?“   Caydens Blick blieb an Emmas Lippen hängen, als sie ihm dieses ganz besondere Lächeln schenkte, das ihm schier die Nackenhärchen aufstellte und die zarten Spitzen knistern ließ. Nur schwer löste er seine Augen wieder von ihrem Mund, als eine Gruppe Japaner hereinkam und er sie kurz sondierte und für unwichtig erachtete. Die kleine Gruppe wollte nur irgendetwas feiern. „Und in ganz speziellen Fällen sollte man einfach ganz den Mund halten. Aber Ihnen rate ich das nicht. Ich höre Ihnen gerne zu.“ Sein Lächeln vertiefte sich, wurde charmant und auch eine Spur mehr. Cayden nahm noch einen kräftigen Schluck von seinem Glas, das inzwischen nur noch halbvoll war und betrachtete für einen Moment die Eiswürfel darin, während er über Emmas Frage nachdachte. „Ich weiß nicht genau. Ich habe ein ziemlich ausgeprägtes Sprachtalent und vielleicht hört sich Japanisch für Sie auch einfach so anders an, weil sie kaum ein Wort davon verstehen.“ Emma bewegte ein Stück ihren Kopf, so dass ihr erneut eine verirrte Strähne ihres Haares über die Schulter rutschte und ihren Hals umschmeichelte. Ihre Haut dort war ebenmäßig und bestimmt zart, wenn man mit Fingerspitzen darüber streichelte. Außerdem konnte er sehen, wie der Puls ihrer Halsschlagader darunter lebendig pulsierte. Cayden trank sein Glas leer und zerkaute auch einen kleinen Eiswürfel, um sich etwas abzukühlen. Denn irgendwie schien Hitze in seine Knochen und Muskeln gekrochen zu sein, von der er nicht wusste, woher sie kam. Vielleicht eine schwache Wirkung des Alkohols, während sein Körper ihn verbrannte. „Sprechen Sie denn auch andere Sprachen? In Ihrem Lebenslauf war zwar nichts angegeben, aber ich bin mir sicher, dass Sie mir noch so Einiges verschweigen.“ Er lächelte sie mehrdeutig an und bestellte sich einen anderen Cocktail mit unterschiedlichen Früchten darin.   „Aha, ein 'ziemlich ausgeprägtes Sprachtalent'. An Ihrer Bescheidenheit müssen Sie aber noch arbeiten.“ Sie winkte ab, um den Kommentar nicht böser erscheinen zu lassen, als er gemeint gewesen war und streifte wie beiläufig mit ihrer Hand seinen Oberarm. Emma war kurz irritiert. Sie starrte auf den Rand ihres frischen Cocktailglases und stellte es auf der Bar neben sich ab, ohne einen Schluck davon getrunken zu haben. Vielleicht war das Getränk hier stärker als zu Hause? Zumindest kam ihr das Kribbeln in den Zehenspitzen und die Wärme in ihren Wangen, die unter Calmaros Lächeln bloß noch zunahm, irgendwie bekannt vor. So schnell konnte sie doch gar nicht angetrunken sein. Zum Essen hatte sie überhaupt keinen Alkohol gehabt und jetzt nur ein Glas. Auf vollen Magen! Emma schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich lieber auf ihr Gespräch. Immerhin lief es schon wieder ziemlich rund. Und das freute sie. „Und nein. Ich bin genauso hochnäsig, wie alle anderen englischsprechenden Menschen. Da wir in der Welt noch die sprachliche Oberhand haben, gehen wir meistens ganz automatisch davon aus, dass jeder unsere Muttersprache zumindest versteht und sie ansatzweise sprechen kann.“ Als der Barkeeper vorbeikam, bestellte Emma sich zu ihrem Manhattan ein Glas stilles Wasser und wandte sich dann wieder ihrem Gesprächspartner zu. „Aber wenn ich mir Japanisch so anhöre, würde ich es schon gern sprechen können. Außerdem gefallen mir die Schriftzeichen. Das hat noch richtig etwas mit Mühe zu tun, wenn man etwas notiert oder einen privaten Brief schreibt.“ Ja, ja. Hatte es. Emma blinzelte und hörte sich dann selbst etwas sagen, das ihr die Ohren ein bisschen glühen ließ. „Was das Andere angeht ...“ Ihr Blick hielt sich an seinen Augen fest, die wieder hinter dieser grässlichen Brille steckten. „Da können Sie aber davon ausgehen, Mr. Calmaro, dass ich Ihnen Einiges verschweige.“   „Sie haben recht. An Bescheidenheit fehlt es mir noch, aber da ich alle gängigen Fremdsprachen sprechen, schreiben und lesen kann und das meistens auch fehlerfrei, darf ich wohl ein bisschen damit angeben. Aber es ist auch nicht so, dass ich dieses Wissen für mich behalten würde. Wenn Sie einmal Nachhilfe in Japanisch brauchen, sofern Sie einen Kurs besuchen wollen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“ Cayden nahm einen langen Schluck von seinem neuen Cocktail und schloss für einen Moment genießerisch die Augen. Gott, war der gut. So schön fruchtig und erfrischend! „Ja, die Kalligraphien finde ich besonders schön an dem Japanischen. Genauso wie im Chinesischen. Das ist doch noch etwas völlig anderes als unsere dagegen sehr vereinfacht erscheinenden Buchstaben.“ Eine bequemere Position suchend, stützte er sich mit dem Unterarm auf dem Bartresen ab, drehte ab und zu das Getränk zwischen seinen Fingern, während er die andere Hand auf seinem Oberschenkel liegenließ. Ihre Knie berührten sich fast und manchmal bei einer bestimmten Bewegung sogar ganz, weshalb ihr Bein nicht allzu weit von seiner Hand entfernt lag. Es kribbelte in seinen Fingerspitzen, als er daran dachte und gerade wollte sich Cayden darüber wundern, als Emma ihn erfolgreich von dieser Tatsache ablenkte oder besser gesagt, das Kribbeln in seinen Fingerspitzen so verteilte, dass es auch auf andere Teile seines Körpers überging. Zum Beispiel in seinen Nacken, den Bauch und auch in den Fingerspitzen seiner anderen Hand. „Oh, das hoffe ich doch. Es gibt doch nichts Langweiligeres als bloßgelegte Tatsachen. Ich bin mehr für Rätsel und Geheimnisse. Vor allem, wenn es mir gelingt, sie alle irgendwann zu lösen und bitte nennen Sie mich Cayden. Bei Mr. Calmaro komme ich mir noch älter vor, als ich ohnehin schon bin. Denn wissen Sie, es mangelt mir zwar an Bescheidenheit, aber Eitelkeit kann ich Ihnen im Übermaß anbieten.“   Emma lachte herzhaft über den Scherz mit den Fremdsprachen und seiner etwas überzogenen Selbstgefälligkeit. Immerhin konnte er einen Scherz vertragen. Und allmählich schien es ihm auch nicht mehr so schwerzufallen, selbst welche zu machen. „Dann sind Sie also nicht nur ein Sprachgenie, sondern auch so etwas wie Indiana Jones?“ Verschwörerisch lehnte Emma sich vor, senkte die Stimme und legte ihre Hand auf seiner ab, die auf seinem Oberschenkel ruhte. Ihr Lächeln war keck und vielleicht auch ein wenig angriffslustig. Zumindest für Emmas Verhältnisse, die sonst nicht dafür bekannt war 'sexy' bei fremden Männern besonders gut draufzuhaben. „Wissen Sie was, Cayden?“ Ihr Lächeln wurde noch breiter und sogar begleitet von einem vollendeten Augenaufschlag, als sie sah, wie auch seine Mundwinkel sich hoben. „Wenn Sie sich anstrengen, könnten Sie auch irgendwann als einer von den bösen Jungs durchgehen.“ Sie kicherte los. Was zwar die unterschwellige Botschaft etwas verhunzte, es aber nicht so lächerlich klingen ließ wie eine billige Anmache. Als Emma sich zurücklehnte und nach ihrem Wasser griff, grinste sie immer noch. Und erst nach einer halben Minute zog sie die Hand von seiner. Schließlich hatte sie sich dort nur abstützen wollen.   Ihre Hand auf seiner und wie sie sich damit auf seinem Oberschenkel abstützte, brachte seinen Puls zum Flattern. Das Kribbeln, welches sich inzwischen in seinem ganzen Körper ausgebreitet hatte, wurde zu so etwas wie einem erwartungsvollen Ziehen. Es machte ihn irgendwie unruhig und schärfte doch zugleich seine Sinne. Cayden konnte Emmas Puls nicht nur sehen, sondern er glaubte ihn sogar bereits zu hören und ihr Duft schien ihm deutlicher als zuvor in die Nase zu steigen, als sie sich zu ihm lehnte. Aus ihm unerklärlichen Gründen lief ihm das Wasser im Munde zusammen, weshalb er einen weiteren Schluck von seinem Glas nahm und Emma auf verwegene Art anlächelte, als sie sich wieder zurückgezogen hatte. Cayden schloss seine Finger um ihre Hand, die ihr Getränk festhielt, so dass er ihren Blick einfing und nun war er es, der sich ein Stück nach vorne lehnte. „Emma, sind Sie sich sicher, dass Sie einen bösen Jungen erkennen würden, wenn er direkt vor Ihnen säße? Vielleicht muss ich mich gar nicht anstrengen, sondern versuche ganz im Gegenteil harmlos auf Sie zu wirken. Schon einmal darüber nachgedacht?“ Als er sich wieder aufrecht hinsetzte, zog er seine Hand wieder zurück, ließ es sich aber nicht nehmen, mit seinen Fingerspitzen noch zuvor über ihren Handrücken zu streichen.   Emmas Atem wurde flach. Ein nervöses Knistern ging durch ihre Finger, ihren Arm hinauf und direkt in ihre Brust, als Calmaro – nein, als Cayden – nun seinerseits ihre Hand berührte. Und das eindeutig nicht, weil er sich abstützen musste. Mit leicht geöffneten Lippen und einem überraschten Ausdruck in den Augen sah sie ihn an und brachte schließlich ein Schmunzeln zustande, während sie versuchte, sich an dieses verdammte Mantra zu erinnern, das sie davon abhalten sollte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre ... „Wissen Sie, was der Fehler in ihrer Frage ist? Selbst wenn ich Sie für einen von diesen Typen halten würde ... bin ich mir sicher, dass Sie zu intelligent sind, um mich in diesem Fall auch noch auf diese mögliche Gefahr hinzuweisen.“ Konnte er denn nicht diese doofe Brille abnehmen? Emma konnte genau sehen, dass das Gestell, dass bestimmt so schwer war, wie es aussah, ein Stück seine perfekt gerade Nase heruntergerutscht war. Seine halb entfärbten, roten Wimpern blitzten im richtigen Winkel darunter hervor. Wenn er sie nur ein bisschen weiter hinunterschieben würde, dann könnte sie diese unglaublich glitzernden, grünen Augen sehen. So, wie man sie immer sehen sollte. Nicht dieses blöde, schlammige ... „Wäre es Ihnen denn wirklich lieber, wenn ich mir Sorgen über die Absichten meines derzeitigen Gegenübers machen würde?“ Wieder begannen ihre Ohren, sich heiß anzufühlen. Aber inzwischen waren sie damit nicht mehr allein. Emma hätte sich zu gern das Glas mit dem kühlen Wasser an den Hals gehalten, um selbst ein bisschen Hitze abzulassen.   Unbewusst witterte er das Erhitzen ihrer Haut und wie sich ihre Blutzirkulation beschleunigte. Sein eigener Herzschlag reagierte darauf mit schnellerem Rhythmus, um bereit zu sein für ... Cayden lachte leise und lehnte sich locker an den Tresen, während seine Finger auf seinem Oberschenkel ebenso unbewusst einen stetigen Rhythmus zu trommeln begannen, im Gleichklang mit dem Schlagen eines anderen Herzens als dem seinen. „Wer weiß, vielleicht ist es auch einfach nur absolut brillant von mir durchdacht, und ich verrate es Ihnen genau deshalb, damit Sie sich vermeintlich in Sicherheit wiegen.“ Cayden blickte Emma für einen flüchtigen Moment über den Rand seiner Brille hinweg an, ehe er sein Kinn wieder hob und sich mit dem Zeigefinger die Brille wieder richtig auf den Nasenrücken schob. Zumindest konnte er so sichergehen, dass Emma seine stechenden Augen nicht verrieten, wie böse der Junge ihr gegenüber durchaus sein könnte, wenn er nur wollte. „Es kommt darauf an. Machen Sie sich denn Sorgen über meine möglichen Absichten und wenn ja, wie kann ich Sie Ihnen wieder nehmen?“ Während Cayden auf eine Antwort von Emma wartete, trank er seinen Cocktail leer, um gegen die Hitze in seinem Inneren anzukämpfen. Inzwischen wurde das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen, immer deutlicher. Wieder zog es seinen Blick auf Emmas Hals und ihre sinnlichen Lippen, mit denen man so viel mehr tun könnte, als nur mit ihnen zu sprechen. Cayden bestellte sich noch einen Cocktail.   Als er sich lässig gegen die Bar lehnte und sie ansah, als wäre er wirklich einer von diesen Haien, die das Blut von gebrochenen Herzen auf Kilometer im offenen Meer wittern konnten, senkte Emma kurz den Blick. Die Gänsehaut, die ihr immer wieder in Wellen über den ganzen Körper lief, einmal, weil sie in heißen einmal in kalten Emotionen gebadet wurde – das durfte einfach nicht sein. Aber es war auch wirklich ziemlich heiß hier. Vielleicht gingen die Japanerinnen normalerweise nicht in Blusen mit langen Ärmeln in Bars. Oder es lag daran, dass Emma sich zu sehr auf das Wetter zu Hause eingestellt hatte. Ihr war auf jeden Fall schrecklich heiß. Ihre Wangen glühten und sie rutschte bis zum Rand ihres Barhockers, um mehr zu stehen, als zu sitzen. Was allerdings mehr half, waren die automatischen Handgriffe, mit denen sie ihre Haare zusammenraffte, sie einmal um sich selbst schlang und damit ihren Nacken zumindest ein Weilchen freilegte, damit ein mögliches Lüftchen sie kühlen konnte. „Ich habe doch nicht die geringste Ahnung, was Sie vorhaben, Cayden.“ Sie nippte an ihrem Manhattan, der in der Zwischenzeit fast schon ein bisschen zu warm geworden war, und versuchte den Impuls zu ignorieren, ihre Hand wieder auf seine zu legen. Diesmal waren seine Finger sogar noch näher als zuvor. Emma schätzte die Entfernung zwischen ihrer und seiner Hand, die beide auf der Theke lagen, auf etwas mehr als zehn Zentimeter. Lächerlich kleiner Abstand. Sie mussten sich beide nur ein ganz winziges Stück entgegen kommen. „Andererseits wissen Sie aber auch nicht, was ich vorhabe.“ Ihr Lächeln war klein und rund, die Unterlippe ein bisschen nach vorn geschoben, bis sie ihre Augen von seiner Hand lassen konnte und ihm wieder ins Gesicht sah. „Und Sie machen sich ja auch keine Sorgen, oder?“   Seine Fänge pochten in ihren Startlöchern, als er dieses kleine, fast schon als Schmollmund zu bezeichnende Lächeln sah und beinahe körperlich registrierte, wie Emma näher an ihn heran gerutscht war, wenn auch vermutlich unabsichtlich. Caydens Blick wechselte erneut zu ihrem verführerischen Nacken, als Emma sich die Haare zurück hob und sie etwas zusammendrehte und somit die Haut ihres Halses vollkommen freilegte. Ein entblößter Hals war beinahe ebenso intensiv verführerisch für einen Vampir, wie ein zart bedeckter Nacken. Das Gesamtbild war pure Sinnlichkeit in Form einer Frau. Caydens Hand schloss sich fester um sein neues Glas und er nahm einen kräftigen Schluck, was zumindest vorerst, etwas das Pochen in seinem Mund beruhigte. „Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, Emma“, raunte er leise mit Unterstützung eines intensiven Blickes, der Akzent seiner Herkunft war dabei deutlich herauszuhören, wo er ihn sonst so gut verbergen konnte. Was zugleich bedeutete, dass Englisch nicht seine Muttersprache sein konnte. „Ich meine, was die Sorge angeht. Dafür wäre ich viel zu neugierig darauf, was Sie vorhaben könnten.“ Seine Hand ließ das Glas mit dem Cocktail los und glitt zu Emmas hinüber. Er beobachtete, wie seine Fingerspitzen sachte und doch mit voller Absicht die ihren berührten. „Ich überlege gerade …“, begann er gespielt nachdenklich und mit einem verwegenen Lächeln auf den Lippen, während er ihre Hand umdrehte und seine Fingerspitzen die ihren bedeckten. Wie kleine Hände sie doch hatte! „… ob Sie mir vielleicht einen kleinen Tipp geben könnten. Vielleicht einen kleinen Hinweis darauf, ob ich mir bei Ihnen nicht doch ein bisschen Sorgen machen müsste. Denn wie Sie schon sagten, Sie verbergen so Einiges vor mir. Gibt es da etwas, vor dem ich mich hüten sollte?“ Sein Lächeln wurde zu einem kleinen Grinsen, als er ihre Hand wieder losließ und erst einmal einen Schluck zur Abkühlung nahm. Inzwischen trommelten seine Finger auf seinem Oberschenkel schon ziemlich schnell und er hatte das Gefühl, bald nicht länger einfach nur untätig herumsitzen zu können.   Es war einfach viel zu faszinierend, um nicht konzentriert hinzusehen, wie seine Fingerkuppen sich sanft auf ihre legten. Eigentlich passierte nichts Großartiges. Die Zeit blieb nicht stehen, Emma hatte nicht das Gefühl, dass sie sich erheben und auf Wolken schweben würde. Aber es prickelte. Es knisterte und funkte sogar und Emmas Lächeln wurde eine Spur eindeutiger, als sie zu Cayden aufsah. Sie wusste, was sie meinte und wollte. Und wovor er sich hüten sollte. Aber das war ihr egal. Emma spürte die Hitze in ihren Wangen, spürte das Knistern in ihren Fingerkuppen, die sich genauso nach einer weiteren Berührung sehnten, wie es auch der Rest ihres Körpers zu tun begann. Sie brauchte sich gar nicht anzustrengen, um eine Gänsehaut über ihren Körper zu jagen, die sich noch verstärkte, wenn sie sich Caydens Hände vorstellte, die über ihre Taille, ihre Hüften und ihren Bauch streichelten. „Ich denke, Sie müssten blind sein, um nicht längst zu wissen, über was sie sich Sorgen machen müssen.“ Emma leerte ihr Wasserglas und ihr Lächeln wurde für einen Moment weich und warm. „Wie ich schon sagte, ich halte sie für intelligent. Es ist ihre Entscheidung, ob sie Indiana Jones rauslassen oder er für heute Nacht da drin schlummern bleibt.“ Sie legte ihre Hand flach auf seine Brust, zog sie dann aber so weit zurück, dass sie nur mit ihrem Zeigefinger eines der verschnörkelten Muster nachzeichnen konnte, die in den Seidenstoff gewebt waren.   Caydens Brust zog sich bei ihrer Berührung zusammen und sein Herz begann loszudonnern, als wäre es der Hufschlag eines wildgewordenen Pferdes. Er sah sie an, lange ohne etwas auf ihre Worte zu erwidern und doch schien es sich nur um den Bruchteil einer Sekunde zu handeln, bis er schließlich seine Hand hob und in Emmas Nacken legte. Ihr Puls in seiner Handfläche machte ihn zittrig und konzentriert zugleich. „In einem Punkt irren Sie sich“, begann er leise, mit rauer Stimme, während seine Fingerspitzen bis zu ihrem Schlüsselbein hinabglitten und er genau sehen konnte, wie sie unter der Berührung erschauderte. „Diese Entscheidung wurde bereits getroffen. Aber ich kann Ihnen versichern, die Peitsche habe ich zuhause gelassen. Ich bevorzuge es, mich mit anderen Mitteln ins Abenteuer zu stürzen.“ Seine Hand glitt über ihre Schulter, ihren Arm hinab und ergriff schließlich die ihre. Als er aufstand, drückte sich ihre Hand wieder deutlich gegen seine Brust und Hitze schien wie Flammenzungen davon ausgehend auf ihn überzugreifen. Sein Hals fühlte sich trocken an, während er auf Emma herabsah, doch seiner Stimme war davon nichts anzumerken. „Erlauben Sie mir, mich mit Ihnen im Tanz zu messen? Sie sagten einmal, Sie könnten es und dieses eine Mal, war leider nur ein kleiner Vorgeschmack auf dessen, was ich von Ihnen erwarte.“   Die Art, wie er sprach, hörte sich auf einmal anders an. Es hatte etwas Rundes, Sprunghaftes an sich. Irgendwie rau, aber dann doch wieder mit einer erdigen Wärme, die Emma noch nie gehört hatte. Es passte zu ihm. Auf jeden Fall besser, als das glatte Englisch, das er sonst an den Tag legte und das sich nun als genauso aufgesetzt herausstellte, wie seine immergleiche, versteinerte höfliche Miene. Cayden hatte die Fähigkeit, seine Gefühle über seine Mimik auszudrücken. Und das, was Emma da gerade entgegen sah, während seine Finger ihren Hals entlang, ein Stück den Kragen ihrer Bluse hinunter auf ihr Schlüsselbein glitten, wirkte verdammt nach dem, was in ihr selbst nur darauf lauerte, ihn anzuspringen. „Na, da bin ich gespannt, ob sie mich ohne Indys liebstes Spielzeug beeindrucken können.“ Eigentlich hätte man ihre Wimpern bei diesem Augenaufschlag klimpern hören müssen. Emmas Wangen färbten sich pink und trotzdem sprach sie einfach weiter. Wie es ihr gerade in den Kopf kam, purzelte es auf ihre Zunge und sie konnte rein gar nichts dagegen tun, dass es auch nach draußen gelangte. „Ich mochte sowieso den Hut immer am liebsten. Da braucht der passende Mann eigentlich kein anderes Kleidungsstück mehr.“ Als er ihre Hand ergriff und seine gesamte Haltung bereits klarmachte, dass es weniger eine Bitte, als eine echte Aufforderung zum Tanzen war, grinste Emma ihn ein wenig schief an. „Solange ich nicht mit Ihnen Karaoke singen muss, bin ich dabei.“   „Dann werde ich mir bei nächster Gelegenheit sofort einen Hut kaufen und nur noch den tragen. Das käme im Büro sicher gut an.“ Cayden lachte leise, schüttelte den Kopf, um ihn etwas klarer zu bekommen, aber alles, woran er denken konnte, war Emma und wie sie für ihn etwas ganz Besonderes sang in einem Rahmen, wo Publikum auf keinen Fall erwünscht war. Oh Gott, er würde Sie so gerne zum Singen bringen … „Keine Sorge, Sie müssen sich nur bewegen. Mehr verlange ich gar nicht von Ihnen.“ Cayden zog Emma ganz von ihrem Barhocker und führte sie durch die inzwischen sehr viel vollere Bar auf die Quelle der Musik zu, die im hinteren Teil zu hören war. Es war ein schnelles, westliches Lied, das gerade begonnen hatte und da sich sonst keiner auf die Tanzfläche zu trauen schien, hatten sie sehr viel Platz für sich alleine. Als sie in der Mitte waren, erfasste Cayden Emmas Hüfte, nahm ihre Hand richtig in seine, wartete noch den richtigen Takt ab und legte auch schon ohne Vorwarnung los, während er ihr tief in die Augen blickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)