Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel --------------------- Irgendwann nach einem Moccacchino mit zwei Marshmallows – einem Weißen und einem Rosa – einem Einkauf bei Borders – diesmal nur ein Buch – während des Nachhausewegs in Richtung Mount Vic klingelte ihr Handy. Emma blieb nicht direkt neben der Ampel stehen, um den Fahrer des blauen Wagens nicht vollkommen nervös zu machen, der bestimmt darauf wartete, dass sie ohne Vorwarnung einfach bei Rot die Straße überquerte. Kramend schob sie das viele Zeug in ihrer Handtasche hin und her und zog schließlich mit einem triumphierenden Lächeln das Handy an dem kleinen, klimpernden Anhänger heraus. „Hi, Rob.“ „Hi, Em. Ich bin gerade auf dem Nachhauseweg. Hab heute noch nichts Richtiges gegessen. Hast du Lust auf –“ „Dominos? Klar!“ Emma grinste in den Hörer, schlang sich den Schal über die Schulter und ging dann ordentlich bei Grün über die Ampel. „Nimmst du Salami? Dann möchte ich vegetarisch.“ „Oh man. Na gut, besser als Schinken und Ananas.“ „Das nennt sich Hawaii.“ „Sollte aber keine Pizza sein.“ „Stimmt.“ Emma schmunzelte. „Bis gleich, Rob.“ „Bis gleich.“ Es waren nur noch zwei Straßen, bis der ansteigende Part losging. Und Emma konnte glücklicherweise abbiegen, bevor es richtig ungemütlich und anstrengend wurde. Nicht, dass sie das gestört hätte, noch näher an Mount Vic zu wohnen, aber jeden Tag diese Steigung? Da war ihr das Haus, in dem sie sich vor zwei Monaten mit Rob und Kathy eine Wohnung gemietet hatte, schon sehr viel lieber. Über eine Holztreppe kam man auf die obere Veranda und zu der grünen Wohnungstür, die es Emma von Anfang an angetan hatte. An ein paar Stellen splitterte zwar schon der Lack ab, aber das tat dem einladenden Eindruck überhaupt keinen Abbruch. Erst recht nicht, wenn sie im Frühling eine Pflanze neben die Tür auf die kleine Veranda stellen konnten, um die Wohnung auch von außen bewohnt aussehen zu lassen. Innen hatten sie schon ganz schön etwas geschafft. „Hallo?“ Eigentlich blödsinnig, nach jemandem zu rufen. Rob war schon immer ziemlich lange in der Arbeit, da konnte man noch nicht einmal erwarten, dass Kathy bald nach Hause kam. Sie schuftete sich in diesem Reisecenter wirklich den Arsch ab und das auch noch für den bescheuertsten Chef, den das Erdenrund je gesehen hatte. Warum Kathy nicht einfach kündigte, war Emma ein Rätsel. Da konnte die Bezahlung noch so gut sein. Für so einen Idioten würde sie niemals so viele Überstunden machen! Wobei ihr selbst dieser Job im Moment ganz gelegen gekommen wäre. Emma stellte ihre Schuhe in der winzigen Garderobe ab, nahm ihre Jacke und den Schal aber mit in ihr Zimmer, um die Sachen dort hinter der Tür aufzuhängen. Wow, die Wohnung war immer noch unglaublich! Drei Zimmer, von denen sie sich noch das kleinste ausgesucht hatte und trotzdem absolut glücklich damit war. Nette Wohnküche, ein Wohnzimmer und Bad und Toilette extra. Die Traum-WG! Und inzwischen sah es auch nicht mehr so aus, als würden hier noch die grasrauchenden Hippies wohnen, deren ganzer Einrichtungsstolz in einer Wand voll Bierdosen bestanden hatte. Emma ging in die Küche, holte zwei große Teller des bunt zusammen gewürfelten Geschirrs heraus und deckte den Tisch, während sie auf Rob wartete. Wenn er immer noch Coupons für Dominos Pizza hatte, würde es ein bisschen länger dauern. Dafür waren die Pizzen größer. Und Kathy würde dann später auch noch etwas davon haben. Es dauerte noch eine halbe Stunde, in der Emma das Geschirr vom Frühstück spülte, dabei Musik hörte und ein bisschen durch die Kanäle des Fernsehers zappte, den sie gebraucht von den Hippies übernommen hatten. Emma hätte nie gedacht, dass es noch Fernseher gab, die tatsächlich über die kleine Antenne oben drauf funktionierten. Aber mehr als drei Kanäle brauchten sie ohnehin nicht. Allerdings war sich Emma sicher, dass der Fernseher sich durch den nigelnagelneuen DVD-Player, den ihr ihre Mom zum Einzug geschenkt hatte, ein bisschen runtergekommen fühlte. Deshalb hatte sie dem großen, braunen Kasten auch eine Plastiksonnenblume aufs Gehäuse geklebt, die Rob jedes Mal entfernte, wenn sie einen Actionfilm sahen. Er meinte, das Blümchen zerstöre total die Stimmung. „Hey! Wer da?“ Emma stellte grinsend den Fernseher aus. „Ich. Und der Tisch ist schon gedeckt.“ Sie steuerte durch die Küche zur Garderobe und nahm Rob die Kartons ab, damit er seine Jacke ausziehen konnte. Unter der Wollmütze sahen seine langen, schwarzen Haare hervor und Rob wirkte wirklich unglaublich niedlich. Was Emma ihm nur über ihre eigene Leichen sagen würde. Seitdem sie mit ihrem jüngeren Mitbewohner letztes Silvester im betrunkenen Zustand ein paar Küsse ausgetauscht hatte, hielt sie sich sehr genau an die ungeschriebenen Regeln einer Männerfreundschaft. Auch wenn Rob ab und an zu entfallen schien, dass sie beide nur Kumpels waren. Emma hoffte einfach darauf, dass er bald seine Traumfrau finden würde – oder zumindest eine, die er mit in sein Bett nehmen konnte. Dann wäre sie aus dem Schneider. „Und?“, fragte Rob beim Hinsetzen. „Was Neues bei der Jobsuche?“ Emma zerschnitt die Pizzen in hübsche Ecken und legte dann das Messer weg, bevor sie antwortete. „Nichts. Absolut gar nichts. Entweder sie bezahlen einen Hungerlohn oder gar nicht. Soweit ich zumindest gehört habe. Das Goblin braucht im Moment niemanden und alles andere hängt noch in der Warteschleife.“ Sie ließ den Kopf hängen und nahm sich ein Stück Pizza. Es war bloß gut, dass sie noch genug Ersparnisse hatte, um die Miete und Lebensmittel für ein oder zwei Monate mehr zu bezahlen. Wenn sie allerdings weiterhin so viel Bücher kaufte, würde sich die Zeitspanne extrem verkürzen. „Das wird schon. Ich hab zum Beispiel bei dem Fahrradladen ein Schild gesehen, dass sie jemanden suchen. Allerdings keine Ahnung, was du da machen müsstest.“ Zu kauen und gleichzeitig zu seufzen hatte schon einmal dazu geführt, dass Emma sich so stark verschluckt hatte, dass sie dem Tod näher als dem Leben gewesen war. Also unterließ sie die Theatralik und nickte lieber. Bald war sie so weit, dass sie auch Fahrräder verkaufen würde. In einer Stadt wie Wellington. „Wann hast du zuletzt jemanden auf einem Fahrrad gesehen?“ Rob überlegte. Er überlegte lange. „Vielleicht solltest du es doch weiter bei den Cafés versuchen.“   ***   „Nein, Mica. Es geht nicht anders.“ Er drehte seinen schweren Bürosessel aus schwarzem Leder zu der Fensterfront herum, so dass das Panorama der Stadt Wellington die gesamte Wand vom Boden bis zur Decke einfing. Es war noch relativ früh und der Morgendunst hatte sich noch nicht ganz verzogen, dennoch pulsierte bereits das Leben draußen vor seinen Fenstern. Die Hektik hatte schon längst begonnen, zumindest was die fliegende Tierwelt anbelangte. „Ganz einfach. Weil der Sänger mit einer Lungenentzündung im Bett liegt und da ich nicht vorhabe, eine ganz neue Stilrichtung in Sachen Singen bis zum bitteren Ende zu erfinden, muss ich momentan umorganisieren.“ Außerdem könnte Dan ihn dann vermutlich wegen Sklaventreiberei verklagen. Das Papier in seinen Händen raschelte leise, als er es aus dem dicken Umschlag nahm, um sich die neuen Eventplaner und –flyer für das 'The Run' Konzert anzusehen, während Mica – einer seiner Bandmanager – ihm unaufhörlich per Headset ins Ohr jammerte. Cayden warf nur einen kurzen Blick auf die Bilder mit den völlig überzogenen Texten, die – wenn schon nicht das Headset am Ohr – auf jeden Fall für Kopfschmerzen hätten sorgen können. Er warf die Papiere auf den Tisch und griff stattdessen nach der noch dampfenden Tasse Kaffee, ohne jedoch davon zu trinken. „Ich weiß, es ist kurzfristig. Aber ich will die Tonstudios voll besetzt haben, und da du mein vollstes Vertrauen besitzt …“ Zumindest, was das Geschäftliche anging. „… habe ich keine Bedenken, wenn du den Termin mit Bradleys Band tauschst. Deine Girls sind auf Zack. Die schaffen das.“ Nachdem das gesagt war, um die Moral seines ohnehin etwas unsicheren Bandmanagers zu stärken, gönnte er sich einen kleinen Schluck seines Kaffees und setzte die Tasse sofort wieder ab. Sein Seufzen blieb stumm und ungehört. „Mica, lass dir eins gesagt sein. Es ist nicht gut fürs Geschäft, über einen Kollegen herzuziehen. Das wirft am Ende nur ein schlechtes Licht auf einen selbst, so sehr man auch Konkurrenzdenken für eine gute Sache halten mag.“ Wobei in diesem Fall der Ärger auf Brad durchaus gerechtfertigt wäre, trotzdem blieb seine Stimme ruhig und angenehm. Der Kerl hatte es einfach verabsäumt, ihm wegen Dans Krankheit Bescheid zu geben, und zwar rechtzeitig. Einer seiner Bandkollegen hatte zum Glück noch einmal seine Assistentin angerufen, um zu fragen, ob sie den letzten Songtext von ihnen überhaupt bekommen und an ihn – den Boss – zur Absegnung weiter gegeben hatte. Dabei waren sie auf Dans Lungenentzündung zu sprechen gekommen. Woraufhin Stella ihm sofort die schlechte Nachricht überbracht hatte. Wenigstens war auf diese Frau Verlass, wenn auch nicht hundertprozentig in letzter Zeit. Ob sie überhaupt schon wusste, dass sie schwanger war und es ihm nur noch nicht sagen wollte? Micas aufgebrachte Stimme brachte ihn wieder zum Thema zurück. Gedanklich notierte er sich noch rasch, dass er für Brads Band einen neuen, zuverlässigeren Manager suchen musste, da sie Potential hatten und er das nicht wegen eines Alkoholikers absaufen lassen wollte. So gern er Brad auch hatte und dessen Situation verstand, das ging einfach zu weit. Himmel noch mal, wo hatte der Kerl sich bloß schon wieder die Kante gegeben, so dass man ihn einfach nicht erreichen konnte? „Ja, ich bin noch dran. Also wenn du das für Dienstag einfädeln kannst, hast du was gut bei mir. Gib mir am Freitag einfach noch mal Bescheid. … Gut, danke. Bis dann.“ Mit einer kurzen Umdrehung saß Cayden wieder gerade vor seinem Schreibtisch und nahm das Headset von seinem Ohr. Die Kaffeetasse immer noch in der Hand lehnte er sich gemütlich zurück und starrte die unbrauchbaren Flyer an, während er an Brad dachte. Kurz darauf erlöste seine Assistentin ihn von seinem zeitverschwenderischen Tun, in dem sie kurz an der Tür klopfte und auf sein knappes „Herein“ vor seinen Schreibtisch trat. Heute trug sie silberne Kreolen passend zu der Halskette, die sie von ihrem Mann zum Hochzeitstag geschenkt bekommen hatte. Ihr braunes Haar hatte sie mit einer Spange hochgesteckt und sie war dezent geschminkt, in Farben die ihr professionelles Auftreten, sowie den Ausdruck ihrer braunen Augen unterstützten. Genau das, was er in seiner Firma und von seiner Belegschaft sehen wollte. Professionalität und der Ausdruck von Qualität. „Was gibt es?“ Cayden hielt sich nicht lange mit Umschweifen auf, sondern kam lieber gleich zur Sache. Eine Eigenschaft, die er an seiner Assistentin übrigens auch sehr zu schätzen wusste. „Ihre Frau hat soeben angerufen. Ihr Flug von Miami wurde nun doch nicht gecancelt. Sie kann ihren Termin für Mittwochabend einhalten. Soll ich den Termin bestätigen?“ Er überlegte nur kurz. „Ja, tun Sie das.“ Stella nickte, wartete aber ab, als wüsste sie bereits, dass er noch mehr zu sagen hatte und da lag sie wie so oft richtig. „Versuchen Sie noch einmal Bradley zu erreichen und geben Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie etwas von ihm hören. Außerdem können Sie Nick Tompson die Entlassungspapiere schicken.“ Cayden stellte den Kaffee beiseite, griff nach den Flyern und steckte sie zurück in den Umschlag. „Seine Arbeiten sind nicht das, was wir in dieser Firma suchen. Ich hab mir das jetzt lange genug angesehen. Sollte er also nach Referenzen fragen, können Sie ihm sagen, dass, wenn er irgendwo auf dieser Insel noch einen Job in dieser Branche haben will, er besser auf die Referenzen verzichten sollte.“ Mit diesen Worten reichte er den Umschlag an seine Assistentin weiter, die ihn sich unter den Arm klemmte, um sich etwas in ihrem Notizbuch zu notieren. „Soll ich das für Sie entsorgen?“, wollte sie mit einem Fingerzeig auf den Umschlag wissen. „Füttern Sie am besten den Papierschredder damit, so dass wenigstens einer etwas davon hat.“ Cayden schenkte seiner Assistentin ein charmantes Lächeln, das seine Augen nicht die Spur erreichte, und schob sich die leicht rötlich getönte Brille auf der Nase zurecht. „Soll ich für Mr. Tompson Ersatz suchen?“, erkundigte sie sich rasch, als sie merkte, dass ihr Chef bereits wieder in seinen Gedanken zu anderen Geschäften abdriftete. „Ja, bitte tun Sie das. Und sagen Sie Bea, dass sie deshalb keine Überstunden machen muss. Ich werde derweil selbst dort vorbeischauen. Das wäre dann soweit alles, danke.“ Mit einem letzten Nicken schloss Stella ihr Notizbuch wieder und eilte zielstrebig aus Caydens Büro. Erst als er sie auf ihrer Tastatur klappern hören konnte, setzte er sich sein Headset wieder auf und drehte sich erneut zu der Aussicht seines Büros herum. Er musste Helen anrufen und ihr absagen, nun, da seine Frau doch beschlossen hatte, zu kommen.   ***   „Hi!“ In der Garderobe schepperte es, als Kathy die Tür schwungvoll zuzog und dann ihre Schuhe in die Ecke pfefferte, bevor sie in die Küche kam. „Hi!“, kam es zeitgleich aus Robs und Emmas Mund, während Kathy sich von ihrer Jacke befreite und sie über den Stuhl hängte, auf den sie sich anschließend fallenließ. „Ey, ich sag’s euch, was für ein Scheiß!“ „Dein Chef?“, fragte Emma. „Das Kollegen-Miststück?“, half Rob mit hochgezogenen Augenbrauen weiter. „Oder doch alles zusammen?“ Mit einem Lächeln, das heißen sollte, dass sie es bestimmt nicht böse meinten, schob Emma den Karton mit den drei übrigen vegetarischen Pizzastücken quer über den Tisch. Kathy verzog die Mundwinkel so, dass sich ihre Grübchen kräuselten. „Schon wieder Domino’s? Habt ihr zwei schon mal was von gesunder Ernährung gehört.“ „Jepp.“ Emma grinste zufrieden, als Kathy sich anscheinend ausgehungert auf ihr erstes Stück Pizza stürzte und gleich darauf anfing, mit noch halbvollem Mund von ihrem Tag zu erzählen. „Der Typ hat echt einen an der Schraube. Mir knallt er den Schreibtisch mit Aufgaben zu, obwohl er genau weiß, dass ich an dem großen Ding von Tui arbeiten muss und was macht er?“ Was er machte, würden sie erst erfahren, sobald ihre blonde Mitbewohnerin fertiggekaut und runtergeschluckt hatte. „Er kommt um fünf in unser Büro und wünscht uns einen schönen Abend noch. Er hat Karten für ein Konzert. Der ist so ein ...“ Die Beschreibung war ein wütender Laut, den Emma mit „Vollidiot“ ergänzte, bevor sie ihre Beine so auf den Stuhl zog, dass sie im Schneidersitz sitzen konnte. „Hast du schon wegen des Urlaubs mit ihm gesprochen?“ Diesmal klang das Geräusch aus Kathys Mund eher wie ein Grummeln, das ein Bär von sich gab, wenn man ihn zu früh aus dem Winterschlaf weckte. Eindeutig falsche Frage. Emma bekam sofort ein winziges, schlechtes Gewissen. Auch wenn ihr mehr Gefühle sagten, dass Kathy sich endlich für sich selbst einsetzen und vor allem die zwei Wochen freinehmen sollte, in denen sie mit einer Freundin über die Südinsel touren wollte. Immerhin gab es dort unten Schnee zum Skifahren! „Geht ihr eigentlich heute mit?“ Rob zog die Aufmerksamkeit, aber auch fragende Blicke auf sich, als er so abrupt das Thema wechselte. Wobei das vielleicht gar kein schlechter Schachzug war, wenn man bedachte, dass Kathy sich mit all ihrem Stress vielleicht in naher Zukunft ein Magengeschwür verursachen könnte. „Ich hab doch heute diesen Fotoauftrag. Ein paar Bilder von einer Band knipsen. Im San Francisco Bath House.“ Rob machte wirklich gute Fotos. Zwar meistens nur zum Privatvergnügen, aber manchmal bekam er auch solche Aufträge, wie den für diesen Abend. Bands in gutem Licht erstrahlen lassen und dabei noch ein bisschen was verdienen. Außerdem mindestens ein kostenloses Bier. Was für Rob eigentlich schon Grund genug war. „Ja, klar. Warum nicht? Ich hab sonst nichts vor.“ Aus den Augenwinkeln schoss Emma ihrer Mitbewohnerin einen Blick zu, bevor sie sich schnell zu ihr umdrehte, mit dem Finger auf sie zeigte, und versuchte sie unter ihrem Pony hinweg anzufunkeln. Das mit dem Funkeln hatte Emma leider noch nie drauf gehabt, aber zumindest gab es bei dem Versuch meistens was zu lachen. „Du wirst es nicht wagen, mich da mit Rob allein hingehen zu lassen! Er wird mit wichtigen Künstler-Foto-Shoots beschäftigt sein. Und weißt du, was dann passiert? Wenn ich allein an der Bar sitze, in mein Bier lächle und meine Augen über die Menge schweifen lasse?“ Um die Stimmung zu verdeutlichen, in der sich Einiges anschleichen konnte, hatte Emma die Stimme gesenkt und ihren Kopf ein wenig zwischen die Schultern gezogen. „Einer wird mich finden.“ Kathy grinste bereits und hatte das angebissene Pizzastück zurück in die Schachtel gelegt. „Das ist mein Ernst! Er wird Jeans und ein Hemd tragen, vielleicht auch einen Ringelpulli und ... jetzt kommt’s: einen coolen Hut! Ich werde verloren sein, ohne dich!“ Theatralisch griff Emma sich ans Herz und warf die Haare zurück, während sie weiter ihr Schicksal in schlimmsten Farben ausmalte. „Er wird mich anbaggern, mir einen Drink spendieren und am Ende gehen wir zusammen zu ihm in eine Wohnung, die nach Bier und Schimmelpilz riecht. Er wird ein lausiger Liebhaber sein und ich –“ „Schon gut!“ Emma sah mit einem Grinsen, das ihr beinahe von einem Ohr zum Anderen reichte, wieder Kathy an. „Alles klar, dann schmeißen wir uns in Ausgehklamotten. Und los!“ Im 'San Fran' war es wie immer, bevor die erste Band loslegte. Dunkel und zugig. Da man hier keinen extra Raucherraum eingerichtet hatte, gingen die Leute auf die Terrasse. Und selbst wenn nicht jeder Zweite die Tür offen gelassen hätte, wäre es an der Bar, die direkt neben dem Ausgang zum Balkon lag, kalt geworden. Da war es gut, wenn man sich ein bisschen auskannte. So hatte sich Emma unter ihre kurzärmelige, gelbe Bluse ein schwarzes Top angezogen, das nicht nur den Vorteil hatte, ein bisschen Rüschen im Ausschnitt zu zeigen, sondern sie auch warmzuhalten. Wie sie solche praktischen Klamotten doch liebte. Mit einem charmanten Grinsen nahm sie die zwei Biergläser entgegen und schob sich zwischen zwei Touristen hindurch, um zu Kathy und Rob an einen der kleinen, runden Stehtische zu gelangen. „Und du willst wirklich keins?“, wollte sie wissen und sah sich einmal kurz gegenüber im Spiegel an. Nicht, weil sie sich Sorgen machte, dass sie die Frisur oder irgendetwas Anderes richten müsste, aber das Gelb ihrer Bluse sprang im Kontrast zu dem ganzen Schwarz, Silber und Pink um sie herum doch ziemlich hervor. Und es brachte sie dazu, sich mit einer vorgehaltenen Hand zu Kathy hinüber zu lehnen und zu fragen, ob sie hier wohl doch auf der falschen Veranstaltung gelandet waren. Rob, der drei Jahre zum Studium in Schottland verbracht hatte, mochte eindeutig andere Musik als seine beiden weiblichen Mitbewohnerinnen. Ab und zu spielte er auch selbst Bassgitarre in der einen oder anderen Hinterhofband, aber Emma konnte sich ganz ehrlich nicht für seine Vorlieben, was Musik anging, begeistern. Immerhin liebte sie die lockeren neuseeländischen Bands, die Rob – wie er selbst sagte – einfach zu 'fröhlich und gut gelaunt' waren. „Nachher bekomm ich eh eins. Ich schau mal hinter die Bühne. Vielleicht kann mir da einer sagen, wann die wirklich anfangen. Eigentlich hätte es schon ...“ Was er sagen wollte, verlor sich im Getümmel, durch das er sich in Richtung Bühne quetschen musste. Vor dem schwarzen Glitzervorhang wurde er allerdings von einem breiten Kerl aufgehalten, der Rob von oben bis unten musterte, dann durch ein Walkie-Talkie irgendjemanden kontaktierte, bloß um Rob dann weiter warten zu lassen. Na, das konnte ja heiter werden. „Im Mighty spielen sie heute –“ „Nicht!“ Emma riss entsetzt die Augen auf und sah Kathy so an, als hätte sie ihr gerade angeboten, ihr erstgeborenes Kind ins Feuer eines Vulkans zu werfen. „Du kannst mir doch jetzt hier nicht erzählen, was heute im Mighty los ist. Willst du, dass ich jammernd an deinem Ärmel zupfe und dauernd nörgle, ob wir nicht lieber rübergehen wollen?“ „Nein, danke. Das hatte ich bei meinem Ex zu genüge.“ Sie lachten und prosteten sich zu, auch wenn Kathy nicht so wirkte, als wäre das ein Ich-bin-über-ihn-hinweg-Scherz gewesen. Emma hoffte es trotzdem. Der Kerl war wirklich eine Nulpe gewesen und sie hatte nie verstanden, warum Kathy sich diesen Klotz ans Bein hatte binden können. Nichts war diesem Typen rechtgewesen. Immer hatte er genörgelt und Kathys Freunde und vor allem, sie selbst schlecht gemacht. Schon allein bei dem Gedanken an den Typen lief es Emma kalt den Rücken runter. Was sich leider wiederholte, als die Band anfing zu spielen. „Sollen wir gehen?!“ „Oh bitte, bitte, ja!“ Kathy hatte ihren Kopf auf Emmas Schulter abgelegt und sah sie mit einem Hundeblick an, den Disney hätte teuer vermarkten können. „Okay. Ich verabschiede mich nur noch kurz!“ Während Emma sich vorlehnte und dem Mann, mit dem sie sich seit einer Stunde sporadisch unterhalten hatte, auf den Unterarm tippte, zog Kathy ihr Handy aus der Tasche ihrer engen Jeans. „Hey, wir gehen jetzt!“ Es war nicht nur deshalb unerträglich, weil man sich bei diesem Brüllen, das der Sänger da fabrizierte, anschreien musste, um sich zu unterhalten. Aber das genügte, um Emma sich ihr Bett herbeisehnen zu lassen. Und das so schnell, wie möglich. „Okay.“ Der Typ – war sein Name Chris? – grinste und hob einen Daumen zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Zu Emmas Erstaunen hatte er allerdings noch etwas zu sagen und schob ihr einen gelben Zettel hin. „Nicht vergessen! Schick deinen Lebenslauf an die E-Mail-Adresse. Ich sag dort Bescheid. Du hast bestimmt Chancen! Am besten gleich Morgen!“ „Danke!“ Das war wirklich genug des Herumschreiens und Emma schnappte sich ihre Tasche und die müde Kathy, bevor sie kurz an Rob dachte. Bloß um von Kathy das Handy vor die Nase gehalten zu bekommen, auf dessen Display sie Folgendes lesen konnte: 'Total cool! Hab vielleicht Chancen bei einer von der Band. Kommt ihr heim?“ Da Emma wusste, was es bedeutete, grinste sie nur und stieg vor Kathy hastig die Treppen hinunter, verabschiedete sich vom Türsteher, der den Ladys einen guten Nachhause-Weg wünschte, und freute sich bei jedem Schritt mehr auf ihr Bett. Den kleinen Zettel mit der E-Mail-Adresse faltete sie zusammen und steckte ihn sich in die Hosentasche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)