STUMME SCHREIE - Cum tacent clamant von Noveen (Indem sie schweigen, reden sie...) ================================================================================ Kapitel 8: Gehe hinein in das Schneckenhaus! In diesen Mauern haust der Tod, er wartet schon solang auf dich, auf dein Kommen! ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Information für die Leser: Auf den Wunsch einer einzelnen Dame, habe ich hier noch einmal die "soft version" des letzten Kapitels gepostet. Danke noch Mal für den Tipp... ich habe wirklich nicht daran gedacht. Trotzdem möchte ich hier nochmal den gleichen Hinweis geben!: Bitte geht nicht leichtfertig an das Kapitel! Es wird eine schwierige Thematik behandelt!! Aber die Dämonen müssen beim Namen genannt werden, wenn ich meine Story so erzählen will, wie sie nun einmal ist. ______ Es waren, seit dem Vorfall, bereits zwei Wochen vergangen. Der Wirbel hatte sich wieder etwas gelegt. Und auch wenn es Kris nie für möglich gehalten hätte, so war Luca in dieser Zeit doch zu einem Inhalt seines Lebens geworden, der nicht mehr wegzudenken war. Alles war so einfach mit ihm. Es war der Beziehung mit David sehr ähnlich, aber trotzdem war es so komplett anders. Bei David spürte er zum Beispiel nicht dieses Kribbeln in der Magengegend, wenn er ihn berührte. Und auch das Verlangen ihn ständig nahe zu sein war nicht so stark. Aber über diese Dinge wollte er eigentlich nicht nachdenken. Es verwirrte ihn nur... Für ihn zählte nur, dass Luca da war. Bei ihm. In der tränenreichen Nacht vor zwei Wochen hatte sich zwischen ihnen irgendetwas verändert. Und auch wenn Kris nicht genau wusste was es war, er spürte, dass es da war. Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er sich so geschämt. Sein gesamter Auftritt am Tag davor war daneben gewesen. Sein Vater hätte ihn bestraft und... Luca hingegen hatte so getan, als wäre nichts gewesen. Er war freundlich und zuvorkommend gewesen und hatte ihn sogar nach Hause gefahren, damit er sich vor der Schule noch umziehen konnte. Kris konnte es noch immer nicht richtig glauben. Irgendwas schien er richtig gemacht zu haben. Konnte das sein? Sonst hätte er doch Luca sicher nicht gefunden. Seit dem Attentat ließen ihn auch Sascha und seine Bande in Ruhe, was größtenteils daran zu liegen schien, dass David und er die meisten Zeit mit Luca zusammenhingen. Wenn man dem Blonden glauben durfte, hatte Luca der Gang übel mitgespielt, als sie im Duschraum aufeinander getroffen waren. Und wenn Kris sich es recht überlegte konnte es durchaus der Wahrheit entsprechen. Sie schienen regelrechte Angst vor dem Gothic zu haben. Eine Einstellung die er nicht wirklich teilen konnte. Im Gegenteil. Das einzige was ihm noch Kopfzerbrechen bereitete, war sein Vater. Er war noch immer sauer, auch wenn es sich in den 14 Tagen etwas gebessert hatte, zu spüren bekam er es noch täglich... Aber es war erträglich. Umso mehr freute er sich auf die Schule und vor allem auf Luca. Der Dunkelhaarige seufzte und beschleunigte seine Schritte. Er war schon spät dran. Als er endlich das Schultor durchschritten hatte, blickte er sich rasch um. Keine Gefahr zu entdecken... Irgendwie war es sehr komisch ohne David diesen Weg zu gehen, doch dieser war heute krankgeschrieben. Zügig ging er über das Gelände auf die Tür zu. Als er auf der Treppe war, sah er wer vor der Tür auf ihn wartete. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und ohne zu überlegen, beschleunigte er seinen Schritt und fiel Luca spontan in die Arme. Dieser gab ein erschrockenes Geräusch von sich und ließ seine halb aufgerauchte Zigarette fallen. »Kris?« Der Angesprochene schmiegte sich vertraut an den starken Körper, bis Luca ihn sanft zurückschob. Doch er lächelte nun auch. »Ich freu mich auch, dich zu sehen. Aber vergiss nicht wo wir hier sind.« Kris wurde rot. Das hatte er tatsächlich für diesen Moment vergessen! Luca lachte über seine betretene Miene und schob ihn ins Gebäude. »Also... auf in den Kampf.« Im Moment ging die Schule für ihn wie im Flug vorbei. Es war fast wie ein Traum… dass er einmal so erfreut war in die Schule zu gehen, hatte er vor wenigen Wochen noch nicht einmal hoffen konnte. Alles war irgendwie leichter und ging schneller. Es war kaum zu fassen. Er wusste nicht einmal womit er dieses Glück verdient hatte. »Kommst du?« Der Dunkelhaarige sah auf und nickte. Luca wartete auf ihn und sie gingen gemeinsam in die Pause. So war es schon die ganzen letzten Tage gewesen und er genoss das. Wie immer gingen sie zu der Bank, die weit ab vom Schulhof war… die Bank, auf der Kris das erste Mal mit Luca gesprochen hatte. »Wo ist eigentlich David?« »Hat sich für heute krankschreiben lassen.« »Ach so.« Der Gothic steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie sich an. Er fragte nicht nach… Auch eine Eigenschaft, die Kris so an ihm mochte. Luca nahm Situationen einfach so hin, wie sie nun einmal waren. Er fragte nur in Einzelfällen und auch dann akzeptierte er es, wenn man nicht darüber reden wollte. Diese Einstellung kannte er kaum. Oft wurde er gezwungen… zu Dingen die er nicht wollte. Er war es gewohnt, alles zu machen was man von ihm verlangte und sich unterzuordnen. Gerade deswegen war es so schön, aber gleichzeitig auch verdammt anstrengend mit dem Gothic zusammen zu sein. Bei ihm war der Dunkelhaarige gleichwertig, durfte seine Meinung sagen, sich einbringe, seinen Willen äußern und sich weigern wenn er wollte. Es war so schön, weil er es nicht kannte… Aber gleichzeitig auch so erschreckend, weil er nie genau wusste, wann er was falsch machte. All die Voraussicht und die Sicherheit, die er im Umgang mit seinen Vater hatte, waren weg. Kris wusste genau wann er bei dem älteren Mann zu weit ging und was passierte wenn er verschiedene Dinge tat… es war berechenbar. Das war sein Alltag. Luca stellte alles auf den Kopf. Der Rothaarige war anders als alle Menschen, die er je kennengelernt hatte. Und irgendwie wusste er nicht ob er das schön oder schrecklich finden sollte. »An was denkst du?« »Hm?« »Du wirkst ziemlich abwesend.« »Oh… ich äh, denke an nachher…« sagte Kris nur die halbe Wahrheit. »An meinen Vater…der ist immer noch nicht gut auf mich zu sprechen, weißt du?« »Aha?« Er blickte unsicher nach unten. »Mhm…« »Das heißt im Klartext er ist immer noch wütend?« »Ja… na ja. Er ist eben anders als sonst. Ich weiß auch nicht.« wich Kris verlegen aus. Auch wenn es ihn glücklich machte, dass sich Luca für seine Person interessierte. Er fühlte sich einfach nicht wohl dabei, wenn sie über dieses Thema sprachen. Nicht einmal mit David ging das ohne Bedenken… und die Beiden kannten sich schon wesentlich länger. Er konnte einfach nicht in Worte fassen, was er empfand. Luca schien es zu begreifen. Wie er es immer begriff, auf diese unheimliche, aber auch nüchterne Art und Weise. »Nach der Schule zu mir?« fragte er daher nur. Der Dunkelhaarige sah auf und konnte nicht anders als dem Älteren ein strahlendes Lächeln zu schenken. Auch wenn er damit sparsam umging, dieser Mensch war einfach unfassbar. Der Andere starrte ihn an und Kris merkte wie ihm die Gesichtszüge leicht entgleisten. Beinah wäre ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel geglitten, doch er fing sich schnell wieder. »War das ein ja?« »Ich würde wirklich gerne… aber wenn ich nicht nachhause komme, wird er noch wütender, schätz ich« wurde Kris sofort wieder ernst und sah den Älteren unsicher an. >A – aber ich könnte ja mit ihm reden und… und wir verschieben das?« »Mach dir keinen Kopf. Du musst es wissen…« meinte Luca und wank ab. Dann sah er ihm jedoch fest in die Augen. »Aber egal was passiert du kannst immer zu mir kommen, okay.« Kris wurde rot. »Ich…- ich… danke.« »Kein Ding.« Betretenes Schweigen senkte sich über die Beiden. Was sollte er auch dazu noch sagen? Er konnte nie wieder gut machen, was Luca alles für ihn tat. Wie sollte er sich jemals revanchieren?! Der Dunkelhaarige wurde von seinem neuen Freund aus den Gedanken gerissen, als dieser aufstand und ihn seine Hand hinstreckte. Er blickte auf die dargebotene Hand. Die langen schwarzen Nägel ließen die Finger an sich sehr filigran wirken… die silbernen Ringe taten ihr Übriges. Und doch waren es diese Hände, die ihn schon so oft beschützt hatten. Diese Hände hatten Sascha geschlagen…- Kris nahm die Hand und ließ sich hochziehen. »Lass uns schnell reingehen, sonst kommen wir zu spät.« Er nickte. Als Kris am frühen Nachmittag allein nach Hause ging, spürte er so viel Wiederwillen wie schon lange nicht mehr. Es war eine innere Alarmglocke die ihn zu warnen versuchte. Doch er konnte nicht wieder wegbleiben. Ihm blieb nichts anderes übrig als zu diesem Haus zu gehen, nachdem er die Aufzeichnungen und Hausaufgaben bei David abgegeben hatte. Schon als er von weitem die zwei dunklen Autos vor ihrem Haus sah, kehrte die Übelkeit zurück. Oh nein! Trotzdem zwang er sich weiter zu gehen. Sein ganzer Körper spannte sich an und doch schritt er weiter voran. Es war wie gegen den Strom schwimmen, alles in ihm, wehrte sich gegen den Gedanken, jetzt in dieses Haus zu müssen. Voller Anspannung ging er durch das kleine Vorgartentor. Er schloss auf und sofort befreite er sich von den Turnschuhen. Der Knoten in seinem Magen verfestigte sich, als er die vier geputzten Herrenschuhe sah, die ebenfalls auf den Abtreter im schmalen Flur lagen. Verdammt! Sollte er lieber schweigen? Aber irgendwann würde sein Vater bemerken das er hier war und dann würde er erst recht wütend werden… also Augen zu und durch! »Bin wieder da!« »Sehr gut. Ich verhungere gleich!« Kris zuckte leicht zusammen, ging aber sofort in Richtung Wohnzimmer, wo er seinen Vater vermutete. Der Zigarettengeruch und das laute Lachen verrieten ihn nur Sekunden später, das er richtig lag. Im Zimmer selber war es so neblig das man von der Tür kaum noch auf die Terrasse sehen konnte. Als er eintrat lagen sofort 5 Augenpaare auf ihm, sodass er erst einmal schlucken musste. »Verzeihung. Ich… ich habe David noch die Aufgaben vorbei gebracht. Er war heute krank. Auf was haben Sie Hunger?« fragte er förmlich, wie es von ihm verlangt wurde, wenn Besuch zugegen war. Er wurde mit strengem Blick gemustert. »Wieso bist du noch angezogen?« Kris zuckte erneut zusammen, sah dem Älteren dann in die Augen und erkannte sofort, dass sein Vater einen Schub hatte. Seine Augen waren dunkel umwölkt und bitter kalt. Deswegen dieses Gelage hier. Scheiße! »Ich…-« »Zieh dich aus und mach das Essen fertig, dann will ich das du hierher zurück kommst und uns ein wenig Gesellschaft leistest.« ordnete er mit gewohntem Befehlston an und deutete auf den Tisch, wo die Pokerkarten lagen. »Ich bin am Gewinnen.« »Ja, Sir.« Automatisch setzte der Dunkelhaarige sich in Bewegung um die Aufgaben zu erledigen. Doch er bekam sehr wohl die lüsternen Blicke, der anderen Männer mit, die nun ebenfalls ihre Karten aufnahmen und weiterspielten. Er wollte hier weg! Während er sich aus seinen Klamotten schälte, dachte er an Luca. Was er wohl gerade machte? Wie gerne wäre er jetzt bei ihm… Er wollte nicht hier sein. Er hatte solche Angst vor den gierigen Blicken der Männer… aber es waren nicht die Blicke,… vor allem andere Körperteile machten ihm Angst. Ohne darüber nachzudenken, schnitt er Gemüse, Kartoffeln und Hackfleisch in eine Auflaufform, rührte Soße an und goss diese darüber; schließlich legte er noch Käse drauf und schob das Ganze in den Ofen. Fertig… Ob das nun gut oder schlecht war? Er stellte den Kurzzeitwecker und ging unsicher zurück ins Wohnzimmer, wo die Männer noch immer mit ihrem Spiel beschäftigt waren. Kaum hatte ihn sein Vater bemerkt, wurde er auch schon am Handgelenk auf den Schoß des Mannes gezogen. Dort saß er nun… breitbeinig… Immer noch nackt. Beschämt blickte Kris auf den ramponierten Couchtisch, der schon viele Kratzer hatte. Er ertrug die wertenden Blicke auf seinem Körper. Und ihm wurde bewusst, dass er heute besser keinen Schritt mehr von der Seite seines Vaters wich. Er konnte die Lust förmlich riechen-… Wahrscheinlich war es besser sich heute alle allein Gänge zu verkneifen und nicht mal aufs Klo zu gehen. Sonst würde das wohl übel für ihn enden. Die Anderen waren heute alle schon ziemlich angetrunken, ein Grund mehr sich von ihnen fern zu halten. Das jedenfalls sagte sein Instinkt. Und er traute diesem… Schon immer war das die einzige Konstante auf die er sich in seinem Leben verlassen konnte. Kris wusste genau, dass fast alle „Freunde“ seines Vaters entweder die gleichen Vorlieben hatten wie er oder pädophil veranlagt waren. Ansonsten wären sie nicht hier. In dieser Runde gab es keinen Einzigen, der ihm noch nicht – bei einem seiner Besuche – anzüglich die Oberschenkel oder den Po gestreichelt hatte. Schon alleine bei dem Gedanken hätte er sich übergeben können. Nur am Rande bekam er die Gespräche und das Gejohle der Betrunkenen mit. Er selbst saß wie ein Ausstellungsstück auf den Schoß seines Vaters und ließ sich begaffen. Bis der Kurzzeitwecker schrillte. Hatte er wirklich schon so lange hier gesessen? Schnell stand er auf, nuschelte eine »Entschuldigung…« und hetzte in die Küche. Dort angekommen nahm er den Auflauf aus dem Ofen und richtete ihn auf Tellern an. Dann bestücke er das Tablett und sah sich noch einmal um. Ihm sollten heute besser keine Fehler unterlaufen, wenn sein Vater wirklich einen Schub hatte… vor allem da auch noch Besuch da war. Als er die Schürze über der Lehne des Stuhls entdeckte, nickte er und legte sie sich um. Das konnte ihm doch keiner verdenken oder? Ihm war einfach nicht danach den ganzen Abend angestarrt zu werden. So war es auch nicht unbedingt weniger peinlich, aber zumindest was die blaue Schürze blickdicht. Kris trug das Tablett rüber, deckte den Tisch ein und wartete dann artig, bis die angebrochene Spielrunde beendet wurde, ehe er zum Essen rief. Das war für ihn die beste Zeit, da jeder der Gäste, inklusive sein Vater, beschäftigt waren und er sich immer wieder in die Küche zurückziehen konnte. In besagtem Raum stand er nun auch und blickte aus dem Fenster in den kleinen Vorgarten. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie sein Vater das Haus halten konnte, obwohl er nicht arbeiten ging (wozu er nicht mal in der Lage wäre). Aber das ging ihn nichts an. Seine Gedanken schweiften weiter weg. Zu seinem neuen Schulleben, über David zu Luca und schließlich zu der Gang, die ihn seit dem Vorfall im Umkleideraum akribisch mied. Vor allem wenn der Gothic in der Nähe war. Erstaunt stellte der Dunkelhaarige fest, dass es ihm, trotz der Angst und der Ungewissheit was heute noch geschah, eigentlich doch gut ging. Er war das erste Mal zufrieden und irgendwie beruhigt. Und das alles seit Luca in sein Leben getreten war… Wie konnte ein einzelner Mensch nur alles so auf den Kopf stellen? Vor allen Dingen mit dieser Leichtigkeit. Ihm schien nicht einmal Ansatzweise klar zu sein, wie besonders er eigentlich war. Sanft lächelte er und spielte mit dem Band der Schürze, welches um seinen Bauch gewickelt war. Ob das Angebot wohl morgen noch galt? Er würde wirklich gerne noch einmal mit zu Luca. Er hatte sich trotz der schrecklichen Umstände beim ersten Mal dort so geborgen gefühlt. In seine Gedanken versunken, bekam er den Mann, der sich hinter ihn geschlichen hatte nicht wirklich mit. Erst als zwei besitzergreifende Arme seinen Körper an einen anderen pressten, versteifte er sich unwillkürlich. Oh Himmel, bitte nicht das auch noch! »Lange nicht mehr gesehen, Kleiner…« wurde ihm heiser ins Ohr gehaucht. Neugierige Hände betatschten seinen Körper und griffen ihm dreist in den Schritte. »Dein Vater lässt ausrichten, du sollst das Dessert servieren.« »O…okay…« sagte Kris und versuchte nicht auf die Hand an seinem Geschlecht zu achten. Schnell schob er sich an den Älteren vorbei und versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen. Er durfte dem Mann seine Angst nicht zeigen! Das wäre so ziemlich das fatalste. Mit zittrigen Händen nahm er die Kompottschälchen aus dem Schrank. Was sollte er jetzt auf die schnelle noch zusammenrühren? Am besten so ein Tütendessert… Paradiesspeise oder wie das hieß, entschied er sich schnell und begann die Utensilien zusammen zu sammeln ohne etwas zu bemerken. Den lüsternen Blick auf seinen nackten Hintern versuchte er zu ignorieren. Konnte der Typ sich nicht verziehen und ihn in Ruhe arbeiten lassen?! Doch das hatte der anscheinend nicht vor, denn plötzlich wurde der Dunkelhaarige herumgewirbelt und gegen die Anrichte gedrückt. »Wenn du mich fragst hat das scheiß Dessert noch Zeit…« zwinkerte der nun verschwörerisch. Kris setzte augenblicklich der Herzschlag aus… Nein! Was sollte er denn jetzt tun? Sein Rücken wurde hart gegen die Kante der Anrichte gedrückt und er spürte die deutliche Erhebung an seinem Bein. Blinde Panik stieg in ihm auf… Nicht schon wieder! Warum war er überhaupt alleine in die Küche gegangen? Hatte er nicht die ganze Zeit bei seinen Vater bleiben wollen?! Irgendwie war er ja selber schuld an seiner jetzigen Lage, wäre er auf den Schoß seines Vaters sitzen geblieben und hätte die Blicke ertragen, wäre er jetzt noch in Sicherheit… So allerdings nicht. Hektisch versuchte er seine Gedanken zu sortieren. Er musste irgendwie weg… Auf seinen Vater konnte er sich nicht verlassen, er war total betrunken und auch aufgrund seines Geisteszustandes würde er so schnell sicher nicht bemerken, dass einer seiner Gäste weg war. Was sollte er nur tun?! Immer mehr ergriff die Panik von ihm besitz und vernebelte seinen Verstand. Kris drehte den Kopf weg, als das bärtige Gesicht seinem zu nahe kam. Das hatte zur Folge, dass die Zunge seinen Hals und nicht den Mund traf. Er roch den Alkohol und die Zigaretten und spürte wie der Ältere an seinem Hals herumleckte. Er wollte hier weg! Sofort! Doch er war gefangen, bei jeder Bewegung wurde er nur noch grober gegen die Küchenanrichte gedrückt, was ihn schmerzhaft auf keuchen ließ. Er war nur durch die dünne Schicht Stoff der Schürze von dem Körper des Anderen getrennt. Dieses Wissen löste eine nie da gewesene Übelkeit in ihm aus. Jetzt konnte er die Erregung deutlich spüren… der Mann rieb sich gierig an seinem Oberschenkel. Der Dunkelhaarige schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Warum war er nur so dumm gewesen? »Bitte ich… ich muss doch - « »Fass mich an.« wurde er heiser unterbrochen. »Aber ich muss…« begann er erneut, wurde dieses Mal aber von einer Hand unterbrochen, die sich auf seinen Mund legte. Hektisch schnappte er nach Luft, doch es kam nicht mehr viel bei ihm an. »Du machst gefälligst das was ich dir sage…« wurde ihm ins Ohr geflüstert. »Dein Vater wird nichts merken, oder willst du das etwa? Soll ich ihm von unseren kleinen Abenteuern erzählen?« Schnell schüttelte er den Kopf. »Na also… los! Ohne Wiederworte…« Kris zitterte. Seine Panik schlug bedenklich große Wellen und raubte ihm die wenige Atemluft die er noch hatte. Ihm wurde schwindlig. Der Geruch, diese Hand und vor allem der fremde Körper, weckten Erinnerungen, die er so tief vergraben hatte. Diese schlugen nun mit der Panik über ihm zusammen und ließen ihn gegen die Hand wimmern. Schwarze Punkte platzten vor seinen Augen und er befürchtete jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Er roch Aftershave und Schweiß. »Jetzt mach oder soll ich nachhelfen?« Ohne nachzudenken streckte er seine zitternde Hand nach dem Mann aus. Er versuchte alles um nicht darüber nachzudenken was er da tat. »KRIS WO BLEIBT DAS DESSERT!!« unterbrach die Stimme seines Vaters plötzlich seine Qual. Der Angesprochene fuhr zusammen, doch der Andere dachte gar nicht daran seine Aktivitäten einzustellen. Er schien kurz davor zu sein. »Ich… einen Moment noch! Gleich fertig!« rief er zurück und versuchte das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. Die Ironie seiner Worte wurde ihm im gleichen Moment bewusst. In einer anderen Situation wäre es beinah lustig gewesen… So jedoch. Ein letzter heftiger Stoß folgte, der ihn nach oben katapultierte. Sein Kopf kollidierte mit der Schrankkante und schickte einen schwindelerregenden Schmerz durch seinen Körper. Er hörte das Stöhnen an seinem Ohr und spürte wie der dicke Körper vor ihm erzitterte. Dann wich der Mann zurück, schloss die Hose und ging zur Tür. Kris sank schwach auf den Küchenboden und versuchte seine Sinne wieder zu sortieren. »Ich freu mich schon auf nachher…« nahm er die leisen Worte des Anderen nur halb war, ehe Dieser aus der Küche verschwand. Einige Sekunden saß der Dunkelhaarige noch wie paralysiert auf den Boden, dann jedoch sprang er auf, riss die Schranktür, hinter der sich der Mülleimer befand, auf und erbrach sich geräuschvoll. Alles was er in der Schule zusammen mit Luca gegessen hatte, landete nun in der Plastetüte. Ein erneutes Zittern durchlief ihn und noch ein Schwall Erbrochenes folgte dem Ersten. Als Kris das Gefühl hatte, das nichts mehr nachkommen würde, knallte er die Schranktür wieder zu und spülte sich den Mund aus. Danach rührte er geistesabwesend das Dessert für die Männer an, die er im Wohnzimmer wieder grölen und lachen hörte. Es dauerte nur wenige Minuten, danach füllte er die braune Masse in die Schälchen, und drapierte sie auf dem Tablett um sie hinüber zu tragen. Seit langem war es ihm vorher so schwer gefallen das Wohnzimmer zu betreten. Vor der Tür schnappte er ein paar Mal hektisch nach Luft, aber ihm war klar, dass er es musste. Er musste… Mit steifen Bewegungen und unendlicher Angst stieß er die Tür auf und trat ein. Sofort steuerte er auf den Tisch zu und begann abzuräumen und das Dessert zu servieren; dabei versuchte er alles um ihn herum zu ignorieren. »Das wurde aber auch Zeit!« »Verzeihung, Sir.« Kris stellte die letzte Schüssel ab und versuchte jeden Blickkontakt mit den dreckig Grinsenden zu vermeiden. Er widerte ihn an. Wie konnte ein Mensch nur so grausam sein? Warum taten sie ihm das an? Was hatte er denn nur verbrochen? Mit diesen trüben Gedanken türmte er das dreckige Geschirr auf das Tablett, sich der Blick des Mannes, der neben ihm auf dem Stuhl saß wohl bewusst. »Sag mal Junge, was hast du eigentlich gemacht?« riss ihn plötzlich die Frage seines Vaters aus seinem tiefen Gedankenstrudel. Er blickte kurz auf. »W- was meinen Sie?« Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken, als er sah auf was sein Vater zeigte. »Du bist von oben bis unten eingesaut…« Plötzlich fühlten sich seine Beine sehr wacklig an. Er hatte wirklich kurzzeitig das Gefühl gleich zusammenzubrechen. »Ich… ich habe…die Milch hat ein wenig gespritzt… ich hab das Rührgerät zu weit … rausgehalten…« stotterte er und musste wieder über die Ironie der Worte innerlich schreien. Ihm wurde augenblicklich wieder schlecht. Neben ihm gluckste der angebliche Freund seines Vaters belustigt. Und in dem Moment wallte die Schwärze erneut in Kris auf. »Soso… na dann sie den Lappen aus und komm wieder her, wenn du das Geschirr in die Küche gebracht hast« befahl sein Vater streng. Er schien nichts zu bemerken. Wie auch? Er sah noch abwesender aus als eine halbe Stunde vorher, wenn das überhaupt möglich war. »Ja, Sir…« antwortete er artig und hob das Tablett hoch. »Soll ich dir tragen helfen, Kleiner?« säuselte ihm jemand scheinheilig ins Ohr. >Nein!« kam es sofort von Kris. Er hatte nicht einmal registriert wer das gesagt hatte… seine sämtlichen Sinne waren vernebelt und sein Körper fühlte sich hölzern an. In den seinen Ohren rauschte es und sein Magen wollte wieder rebellieren. »Danke.« schob er schnell noch nach. Dann wand er sich vom Tisch ab und ging fast schon fluchtartig auf die Zimmertür zu. Als er an dem einen Stuhl vorbei ging, neben dem er gerade noch gestanden hatte, spürte er die große Hand, die sich kurzzeitig auf seinen nackten Po legte und dann hineinkniff. Kris zuckte, ging aber unbeirrt weiter. Als er aus dem Wohnzimmer hinaustrat, fiel all die Anspannung von ihm ab. Wie ferngesteuert ging er in die Küche, räumte das schmutzige Geschirr vom Tablett in den Geschirrspüler ein und säuberte dann die Anrichte und den Herd. Als es so aussah als hätte er hier nie gekocht, ging er ins Bad und warf die Schürze in die Wäsche. Kurz überlegte er ob er duschen gehen sollte. Er fühlte sich so dreckig… Aber eigentlich war ihm das Gefühl nicht mehr so fremd… außerdem würde er jedem der hier hineintrat alles auf einen Silbertablett präsentieren! In diesem Haus konnte man kein Zimmer abschließen. Also ging er leise nach oben und bog in sein Zimmer ein, das genau neben dem Treppenabsatz lag. Mit weichen Knien steuerte er auf die Matratze zu, die vor dem Fenster auf dem Boden lag. Dort rollte er sich zusammen und erst jetzt konnte er weinen. Und das tat er. Bis er keine Tränen mehr übrig hatte. »HIER BIST DU , DU NICHTSNUTZIGER BENGEL!« Sofort in vollster Alarmbereitschaft sprang Kris auf und stand mit einem Satz mitten in seinem kleinen Zimmer. In der Tür stand sein Vater. Seine Haltung war aggressiv, seine Augen glasig und irre funkelnd und an seinem Hals pochte eine dicke Ader. Oh Himmel, nein…bitte nicht! »Ich bin… ein – geschlafen, Sir. Es tut mir leid ich…-« »DU SOLLTEST SOFORT WIEDER ZU MIR KOMMEN! SING ICH ODER WAS?« Der Dunkelhaarige trat ängstlich einen Schritt zurück. Die Wut Mannes füllte den ganzen Raum aus und war erschreckend und explosiv. »N – nein… ich -« Mit zwei großen Schritten war der wutentbrannte Mann bei ihm angekommen und packte seinen Arm, ehe er ihn hinter sich herzerrte. »Du gehst jetzt sofort in die Küche und machst Kaffee oder ich vergesse mich!« Müde und immer noch nackt stolperte Kris seinen Vater hinterher. »Los jetzt!« Er zerrte den Kleineren die Treppe hinunter und stieß ihn Augenblicke später durch die offene Küchentür. »Schnell! Und dann kommst du SOFORT rüber verstanden?« »Sir…-« »VERSTANDEN?« »Ja, Sir.« Sofort machte er sich daran den Kaffee aufzusetzen und den gestern vorbereiteten Kuchen auf Teller anzurichten. Sein Herz schlug immer noch im Rekordtempo und beruhigte sich nur sehr langsam. Wie hatte ihm denn das nur passieren können? Wie bescheuert war er eigentlich? Was für eine Frage! Sehr natürlich! Wie hatte er sich gehen lassen können? Das durfte er nicht! ... Er war nichtsnutzig, dumm, ein Jammerlappen – Einfach nichts wert. Für Niemanden. Wieder einmal ließ sich Kris von seinen schwarzen Gedanken betäuben und einhüllen. Es war wie eine unsichtbare Käseglocke, die sich über ihm senkte. Doch sie war pechschwarz und begrub alles, was ihn ausmachte unter sich. Es waren die Gedanken, die er so sehr fürchtete. Die schlimmen, dunklen Gedanken die sich in einer Spirale steil nach unten drehten… und es gab nur eine Richtung. Wenn man sich nicht befreite, dann war es zu spät. Und gerade hatte er keine Kraft etwas dagegen zu unternehmen, als er bemerkte wie diese Gedanken ihn mit sich in die Tiefe rissen. Sein Körper funktionierte nur noch, folgte Aufforderungen, übernahm aufgaben, ohne das sein Geiste auch nur ansatzweise am gleichen Ort war. Nur am Rande bekam er mit wie sein Vater, als er im Wohnzimmer ankam, ihn in diese demütigende, hockende Position brachte und seine Beine auf den zierlichen Rücken des Dunkelhaarigen ablegte. Das war also seine Strafe. Schon nach wenigen Minuten begann sein Rücken stark zu schmerzen. Seine Arme und Beine zitterten bedenklich. Doch er sagte nichts, bewegte sich kein Stück und versuchte sich mit dem Schmerz daran zu erinnern, dass er am Leben war… Irgendwie. Aber die Spirale drehte sich weiter. Erst als, dass verspätete Vesper der Männer vorbei war, durfte Kris aufstehen und abräumen. Er wusste nicht mehr wie lange er gehockt hatte, jede Sekunde war ihm wie eine Stunde vorgekommen… seine Arme jedenfalls konnten das Gewicht des Tabletts kaum tragen. So verging der Nachmittag und der Abend brach an. Je mehr Zeit verging umso abwesender fühlte sich Kris. Es war als beobachte man sich von außen. Immer tiefer und schwärzer wurden seine Gedanken. Immer mehr wurde es ihm egal, wenn große Hände ihn streichelten und anfassten. Warum sollte er sich wehren? Es nahm sich doch so wieso jeder was er wollte. Also… Das Abendbrot war bereits vorbereitet und auf dem Tablett gestapelt, als die Tür zur Küche aufging. Es war so weit… Kris spürte die Präsenz des Mannes, der nicht sein Vater war sofort, reagierte aber nicht darauf. Ihm war vollkommen klar was passieren würde und ändern konnte er es nicht. Es war nur logisch das heute jeder von den Vieren seinen Spaß haben wollte, wenn sein Vater abgelenkt genug war. Er hatte also schon beinah damit gerechnet. Er hörte die gesäuselten Worte des Mannes, verarbeitete sie aber nicht. Wozu auch? Es war immer das gleiche…- Der Dunkelhaarige ließ sich wie eine leblose Puppe auf den Stuhl stoßen und folgte allen Ambitionen und Anweisungen die er bekam. Er dachte nicht. Er fühlte nicht. Er war nicht mehr. Und das war gut so. Kris spürte wie an seiner Ersatzschürze herumgezerrt wurde, die er sich vorhin umgelegt hatte um seinen nackten Körper bei der Küchenarbeit wenigstens etwas zu schützen. Der wenige Stoff wurde nach oben gezerrt… ihn ins Gesicht geknallt, sodass er nur noch weinrot sehen konnte. Er selbst wurde auf den Tisch gehoben, die Beine weit gespreizt. Er war nichts… Nur eine Puppe. War er denn zu nichts anderen zu gebrauchen? War er nicht liebenswert? Wer sollte ihn schon lieben? Er keuchte unterdrückt, als er den fremden Finger spürte, der versuchte seinen engen Muskel aufzubrechen und genoss den ziehenden Schmerz schon fast. Ja… das war wohl alles in seinem Leben. Weil es keinen Sinn hatte. Er hatte keinen Sinn. Alles war sinnlos, weil ihn keiner mochte… Mochte? War da nicht irgendwas? Und urplötzlich, während er zitternd da lag und die Finger ertrug, die gierig seinen Körper eroberten, brach die schwarze Hülle um ihn auf. Unter simplen Wörtern, die aber so mächtig waren, dass sie sich in seinem Gehirn eingebrannt hatten. Sie hallten in seinem Schädel wieder und schienen von den Knochen darin immer wieder zurückgeworfen zu werden wie ein nicht enden wollendes Echo. Aber Es gibt Menschen die dich mögen. Wirklich… du musst nur deine Augen weiter aufmachen, dann erkennst du sie. David und ich mögen dich. Und es gibt sicherlich noch mehr…Ich hasse dich nicht. Auch wenn du mal schwach bist, hasse ich dich nicht, okay? Du bist ein toller Mensch. Egal was andere sagen. Den Geschmack den sie zurückließen war Kupfern und fremd. Etwas Neues… Und dann tauchte sein Gesicht auf und Kris erwachte völlig aus seiner Starre. Er musste hier weg! Er musste zu ihm! Ein Ruck ging durch seinen Körper und dann stand er auch schon mitten im Raum. Hätte ihn jemand gefragt wie er das gemacht hatte, oder was genau, er hätte nicht antworten können. Er wusste nur, dass er das schmerzerfüllte Stöhnen des Älteren hörte und die Flucht nach vorne antrat. Er rannte einfach. Im Vorbeilaufen hörte er seinen Vater irgendetwas brüllen, aber er konnte nicht sagen ob es für ihn bestimmt war… er blieb auch nicht stehen um es herauszufinden. Ungeachtet der Tatsache, dass er weder Schuhe noch richtige Kleidung trug stürmte er aus dem Haus und auf die Straße und lief. Es gab nur zwei Menschen zu denen er gehen konnte… und einer dieser beiden, wichtigen Menschen fiel aus rein gesundheitlichen Gründen schon einmal aus… Das hieß es gab nur einen Ort, wo sein Herz ihn hinführte. Erst als er vor Lucas Tür stand, wurde ihm bewusst was er da zutun gedachte. Er würde halbnackt bei Luca klingeln. Aber er musste doch… Zögerlich stand er noch ein paar Minuten unschlüssig vor der Tür und trat von einem Bein aufs andere; spürte wie jede Windböe ihm eine Gänsehaut über die nackte Kehrseite jagte. Was sollte er nur tun?! Die Antwort wurde ihm von den Leuten abgenommen, die vereinzelt noch auf der Straße unterwegs waren. Sie gafften ihn an. Wie auch nicht? Wahrscheinlich überlegten sie ob er exhibitionistisch veranlagt war und was er dann vor einem so stilvollen Haus trieb. Allen Mut zusammenkratzend klingelte er schließlich doch und trat dann ein wenig zurück. Was sollte er nur sagen? Wie würde der Gothic reagieren? Würde er ihn auslachen? Wegschicken? Ausfragen?...- Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als die Tür geöffnet wurde und er die ihm schon so vertraute Stimme hörte: »Wurde ja auch Zeit, s -« Der Rothaarige brach ab, als er sah wer da vor ihm stand. Seine dunkelumrahmten Augen weiteten sich und seinem Gesicht entfielen alle Ausdrücke. Er sah schlicht weg schockiert aus. Kris stand bibbernd auf der Treppe in dem gepflegtem Vorgarten und fühlte sich hilflos und ausgeliefert. Was würde der Andere jetzt tun? Schüchtern blinzelte er durch seine Haarsträhnen, die dem Himmel sei Dank sein errötetes Gesicht bedeckten, und sah den Größeren an. Noch immer bewegte der sich nicht. Aber seine Erscheinung war ihm schon so vertraut. Als würden sie sich schon Jahre kennen. Alles was sich verändert hatte, war das Fehlen des wallenden Mantels. Luca war nur in einem T – Shirt und einer Jogginghose an die Tür gekommen. Jetzt sah man erst seine Figur… Kris war sich sicher noch nie einen schöneren Menschen gesehen zu haben. Alles an ihm wirkte passend… Fast perfekt. »Kr – Kris?« würgte der nun hervor. »Was…?« Das reichte. Alle Hemmung fiel von ihm ab, alle Angst und alles Dunkle. Ein fester Knoten bildete sich in seinem Hals und die Augen brannten und ehe er es verhindern konnte brach er vor Luca in Tränen aus. »Scheiße, was ist denn mit dir passiert, Kleiner…?« Die Fassungslosigkeit war deutlich aus der warmen Stimmer herauszuhören. Kris schluchzte nur. Er wollte nur noch zu ihm… durfte er? Und als hätte der Rothaarige seine Gedanken erraten, trat er einen Schritt über die Schwelle und berührte Kris Schulter sacht. »Komm her.« Sofort stürzte sich der Dunkelhaarige vorwärts in die starken, schützenden Arme und klammerte sich an dem Menschen fest, der ihm in so kurzer Zeit so wichtig geworden war. Er spürte das Zusammenzucken des Anderen, wahrscheinlich als er merkte, dass der Jüngere wirklich nackt unter der Schürze war. Kommentarlos wurde er ins Haus gezogen und kurze Zeit später in eine warme Wolldecke eingewickelt. Dann bugsierte ihn Luca in das ihm bekannte Wohnzimmer. »Und…- Wer issen das?« drang plötzlich eine fremde Stimme an seine Ohren, unter der Kris wie unter einem Peitschenhieb zusammenfuhr. Instinktiv klammerte er sich fester an den Gothic. »Erklär ich dir später. Tust du mir nen Gefallen, setz mal Tee auf, ja? Lucie kannst du was zu anziehen holen?« Es folgte zustimmendes Gemurmel, dann wurde Kris auf die Couch gedrückt. Als Luca aufstand und sich von ihm lösen wollte, heulte er auf und klammerte sich mit aller Kraft an ihn. Er durfte nicht gehen! Er brauchte ihn! Jetzt! So sehr… »Shhht. Kris beruhig dich… ich will doch nur…« »Geh nicht weg!« Er konnte nichts gegen die Verzweiflung in seiner Stimme machen. Auch nichts gegen den Drang sich fester an den Ärmel zu klammern. Luca war doch alles, was er im Moment hatte… Wenn er ging musste er zurück zu…- Nein! Er hörte den Anderen seufzen und spürte wie er sich wieder näherte. »Beruhig dich doch. Alles gut, ich bleib hier. Du bist nicht alleine.« Der Dunkelhaarige wurde in die Arme gezogen, die ihn schon vertrauter waren als die seines eigenen Vaters. Schutzbedürftig schmiegte er sich an. »Du bist völlig ausgekühlt, Kleiner. Was ist denn passiert? Wieso stehst du nur mit ner Schürze bei mir vor der Tür?« »Ich…- ich…« Die Tür flog krachend auf. »Hier ist der Tee!« Wieder zuckte Kris heftig zusammen, krallte sich fester an den Größeren und konnte ein Wimmern nicht unterdrücken. »Ganz ruhig, Kris.« flüsterte Luca beschwichtigend, bevor er sich an den Dritten im Raum wandte. »Geht das nich leiser, Ben?...- Goth noch mal!« »Sorry…« »Danke für den Tee, stell ihn erst Mal auf den Tisch und geh hoch, ja?« »Aber der - « »Ich erklär es dir später… bitte. Und sag den Anderen Bescheid, dass sie nicht kommen brauchen. Planänderung.« »Sicher?« »Sicher.« »Okay.« Dann war der Fremde verschwunden. Kris drückte sich weiter verstört an Luca. Was war das denn? Ehe er sich bewegen konnte, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen, ging die Tür erneut auf. »Hier die Klamotten.« hörte er dieses Mal eine Mädchenstimme. »Danke.« »Ich lass euch dann mal wieder alleine, bis später…« Und schon war sie wieder weg. Warum waren so viele Menschen hier? Das letzte Mal war das doch anderes gewesen… Kris atmete ein paar Mal zittrig aus und ein. Sein Körper entkrampfte sich etwas und auch das stete Beben ließ ein wenig nach. Luca kraulte sanft seinen Nacken. Eine Aktivität die durch seinen Körper eine angenehme Wärme schickte. »Sorry. Ich hatte bis eben Besuch… ich wusste ja nicht, dass du herkommst.« sagte er dann leise und strich dem Jüngeren durchs Haar. »Na komm, zieh dir erst einmal was an und trink den Tee, ja? Damit du wieder warm wirst.« Kris gehorchte zögernd. Erst als er in den Sachen steckte, die alle so sehr nach Luca rochen, fühlte er sich wieder mehr wie er selber… er nahm die Tasse auf und trank vorsichtig einen Schluck warmen Tee ab. Der Rothaarige nickte zufrieden und betrachtete ihn undefinierbar von der Seite. Aber das störte Kris nicht… jetzt da er wieder Sachen am Leib trug, konnte er den Blick ertragen. Auch wenn diese Kleidungsstücke viele Nummern zu groß waren… es fühlte sich so gut an. »Willst du darüber reden?« Verhemmt schüttelte er den Kopf und starrte in seine Teetasse. Wie sollte er das denn auch erklären? Er wollte nicht das Luca erfuhr das…- Er würde ihn hassen und abstoßend finden und wahrscheinlich nie wieder mit ihm reden. »Na gut.« seufzte Luca und schob ihn sanft von sich weg. Kris sah ihn verzweifelt an. Er würde so gerne weiter in seinen Armen bleiben… doch er hatte ihn jetzt bestimmt verärgert. Es war nur logisch das er wissen wollte was passiert war, dass würd er selber ja auch wollen. Noch ehe er die richtigen Worte fand um sich zu entschuldigen und angemessen dafür zu bedanken das er ihm hier einen Platz gewährte, war der Ältere von der Couch aufgestanden. Doch bevor in ihm wieder die Panik hervorbrechen konnte, hatte sich Luca über ihn gebeugt und strich ihm sanft über die bebenden Lippen. »Ganz ruhig. Ich werde jetzt hochgehen und kurz was klären… ich wohne nämlich nicht alleine hier. Aber ich bin gleich wieder da. Du bleibst hier sitzen und zählst bis 20 okay? Wenn du fertig bist, bin ich wieder hier und dann sehen wir weiter.« Nein! Er durfte doch nicht einfach gehen! »Okay, Kris?!« Nein es ist nicht okay!, dachte der Dunkelhaarige und nickte. »Bis gleich.« Und dann waren die Hand und sein einziger Anker weg. Es war ein Gefühl als würde man fallen ohne sich zu bewegen. Ein leises Ziehen in der Bauchnabelgegend. Ähnlich dem Gefühl wenn man träumte man falle… Und er hasste dieses Gefühl. Um sich von den Gedanken abzulenken, die nun wieder in ihm aufzusteigen drohten, begann er wirklich zu zählen und dachte dabei an Luca. Was er wohl jetzt machte? Ob er seinen Besuch jetzt wegen ihm rausschmiss? Dann war er doch sicher sauer, oder? Nicht nur das er hier unangemeldet reingeplatzt war… er hatte ja auch noch immer nicht erklärt warum er eigentlich fast nackt bei ihm vor der Tür gestanden hatte. Eigentlich konnte er froh sein, wenn Luca überhaupt wiederkam… 12 Was würde passieren, wenn er ihm wirklich alles erzählte? Ihm und David. Würden sie ihm helfen können? Ob sein Vater wieder eingewiesen werden würde? Vorstellbar… Doch glaubhafter war die andere Möglichkeit, die sich in seine Überlegungen drängte. Sie würden ihn angewidert anschauen, sich von ihm abwenden und nur noch eine Freundschaft zu zweit fortsetzten und dann wäre er wieder ganz alleine. Wenn er an die Zeit dachte, bevor David ihn gefunden hatte, waren da nur noch schwarze Schemen des Schreckens. Damals war er kurz davor gewesen sich etwas anzutun. Da waren nur diese trüben Gedanken und die schwarze Spirale gewesen … und natürlich sein Vater, der mit seinen schwankenden Gesundheitszustand sein Leben bestimmt hatte. David war ihm wie ein Engel erschienen. Er war einfach aufgetaucht und hatte ihm seine Hand und damit eine Freundschaft angeboten ohne irgendeine Gegenleistung zu verlangen. Ähnlich wie der Gothic jetzt… Doch theoretisch hatte Luca nie angeboten ihr Freund zu sein, sondern war es einfach. Als hätte er nur darauf gewartet. Er hatte nie gefragt: Hey wollen wir Freunde werden? Sondern er hatte sich einfach so benommen wie ein wahrer Freund und hatte ihnen geholfen. So oft. 18 Ob er hoffen konnte? Hatte er wirklich noch einen Freund gefunden? War es wirklich möglich? Kris konnte das alles irgendwie nicht glauben… Erst hatte er so lange gewartet… und jetzt sollte er gleich zwei Menschen haben die ihn mochten und so nahmen wie er war?! Das war unfassbar! Unfassbar wunderbar! Und dann war da noch…- »So. Alles erledigt.« hörte er Lucas stimme. Verblüfft wandte er sich um und sah wie der Gothic mir einer Schüssel auf ihn zukam. Diese stellte er vor die Couch ab. »Hier deine Füße tun sicher weh… mein Haus ja nicht gerade um die Ecke von dir.« In der Schüssel wabberte grünlich schimmerndes Wasser vor sich hin. Zögerlich gehorchte Kris und steckte erst prüfend einen großen Zeh hinein, ehe er seufzen seine Füße eintauchte. Das tat wirklich gut… Er schloss die Augen und hörte wie Luca sich durch den Raum bewegte. Er war wieder da… er war wirklich zurückgekommen… »Hast du Hunger?« Unsicher öffnete er seine Augen wieder. »Ich… du musst nichts für mich machen.« »Das war nicht meine Frage.« »Ich weiß… aber wirklich. Ich will keine Umstände machen!« »Also hast du Hunger. Ich mach ne Pizza.« Damit verschwand der Ältere kurzzeitig in der Küche, ließ die Tür aber auf, wofür Kris ihm sehr dankbar war. So konnte er ihn hören. Langsam brach die Erschöpfung über ihn herein. Sein Tag war das reinste Chaos gewesen… vor allem an Gefühlen… er war so müde. »Du siehst ziemlich fertig aus…« kam die Feststellung auch von seinem Freund, der plötzlich wieder neben ihm war. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er aus der Küche zurück war. Der Dunkelhaarige spürte wie sein Fuß aus dem Wasser gehoben wurde und zuckte leicht, als Luca begann diesen abzutrocknen. Doch er ließ es zu. »Hmm…« Er genoss die Behandlung irgendwie… Der Rothaarige schmierte noch etwas auf seine Fußsohle, ehe er ihm die Socke überstreifte und die gleiche Prozedur mit dem Anderen Fuß wiederholte. Kris bekam immer weniger mit. Immer wieder dämmerte er weg und erwachte erschrocken wieder, weil er dachte, eine Hand würde versuchen nach ihm zu greifen. Den Rest des Abends herrschte Schweigen zwischen ihnen. Es war dieses angenehme Schweigen, was man hat, wenn zwischen zwei Menschen alles gesagt wurde, was zu sagen war. Natürlich war das hier nicht der Fall, aber trotzdem fühlte es sich so an. Kris lag seitlich auf der schwarzen Couch, tief in einer Bettdecke eingekuschelt und den Kopf in einem Kopfkissen vergraben, welches nach Luca roch. Seine Augen waren geschlossen, doch er war noch wach und lauschte mit halben Ohr dem eingeschalteten TV. Irgendein Actionfilm lief. Luca hatte sich eine Decke auf den Boden ausgebreitet und saß nun vor der Couch, aß Pizza und schaute den Film an. Seine Hand hatte er ihm einfach überlassen, sie ruhte neben Kris auf den Kissen. Er hatte seine Hände mit denen des Gothics verhakt und lächelte selig. Kris andere Hand ruhte auf den verknoteten Fingern. Nur dieser Kontakt, half ihm seine Halbschlafträume zu überwinden. Jetzt griffen keine dunklen, großen Hände mehr nach ihm und er konnte immer mehr in einen angenehmen Schlaf abdriften. Irgendwann spürte er noch weit entfernt wie sich Luca bewegte. Dann wurden ihm sanft die Augen abgeschminkt. Entfernt dachte er daran wie schrecklich er ausgesehen haben musste. Von den ganzen Weinen war die Schminke sicherlich total verlaufen gewesen. Doch diesen Gedanken konnte er nicht mehr weiter folgen… Die erste Helligkeit des Tages weckte ihn. Blinzelnd setzte er sich auf, sah sich um und rieb sich erst einmal die Augen. Doch er wusste sofort wo er war. Das verriet ihm schon der Geruch. Er hatte sich tief in sein Hirn eingebrannt. Kris würde ihn garantiert unter Tausenden erkennen. Patschuli. Er erinnerte sich an den Abend. Wie immer wenn er an Stunden mit Luca dachte, wurde ihm augenblicklich wärmer. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Welches nicht einmal die Gedanken an die vorherigen Erlebnisse des vergangen Tages schmälern konnten…- Er war hier bei Luca. Der Dunkelhaarige stand von der gemütlichen Couch auf, räumte das Schlafzeug weg und begab sich dann ins Bad um zu duschen. Vielleicht konnte er Kaffee aufsetzten und den Älteren dann wecken? Er würde sich bestimmt freuen. Eilig vollzog Kris seine Morgenhygiene, zog sich fertig an und begann sich dann vor den Spiegel fahrig zu stylen. Ihm war nicht klar ob Luca damit einverstanden war, dass er seine Sachen nahm. Aber ganz ungeschminkt wollte er ihm nicht unter die Augen treten. Nachdem er einigermaßen annehmbar aussah, entschied er sich die Hose wegzulassen. Er schwamm sowieso in den Klamotten des Älteren, da war es eigentlich egal ob er nur das T – Shirt und Shorts anhatte. Er öffnete die Tür und war erstaunt als er bereits Kaffeegeruch wahrnahm. War Luca etwa doch schneller gewesen? Er trat in die Küche und sah sich nach seinem Freund um. Aber was er sah, ließ ihn augenblicklich an die Wand zurückweichen. In der Ecke, wo ein Esstisch stand – der ihm heute zum ersten Mal wirklich auffiel – stand Luca umringt von vier ihm unbekannten Personen. Der Tisch war gedeckt und voll mit Blumen und Geschenken. Und es machte klick. Alles was er gestern Abend halb mitgehört hatte, ergab irgendwie einen Sinn… Oh nein! Luca hatte Geburtstag und er hatte ihm anscheinend seine Party gestern versaut. Ein leises Wimmern schlich sich in seine Kehle. Er war so wütend auf sich selbst. Warum hatte er nicht viel früher einmal danach gefragt? Warum hatte ihn das nie interessiert? Luca war ihm doch so wichtig! Er drückte sich noch weiter an die Wand, als sich fünf Augenpaare auf ihn richteten. Anscheinend war sein Wehlaut nicht ungehört geblieben. »Kris?<< Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)