Man sieht sich immer mehrmals im Leben - Part 2 von abgemeldet (...Fortsetzung folgt ...) ================================================================================ Kapitel 5: Diese Frau ist eine tickende Zeitbombe ------------------------------------------------- Charlotte Lewellyn war zusammen mit Leroy Grumman, ihrem Mann und Vorgesetzten, im Büro des Generalfeldmarschalls, um dort die letzten Vorbereitungen für den großen Ball zu treffen, als sie überfallen. Nachts um drei waren kaum noch Soldaten im Central Hauptquartier, deswegen war das möglich gewesen. Charlotte bekam einen kräftigen Schlag auf den Kopf und ging zu Boden. Als sie sich wieder aufrappelte, saß Leroy, ihr Mann, ihre große Liebe, gefesselt auf seinem Stuhl und um seine Brust herum trug er eine tickende Bombe. Um das mindeste zu sagen: The Queen was not amused. Ganz im Gegenteil. Charlotte war ziemlich sauer darüber, was eigentlich jeder verstehen konnte. Zudem hatte da irgendwer verdammt noch mal nicht aufgepasst, was sie mit einer Bombe tun konnte. Sie rieb sich den Kopf, während sie aufstand. Dann beugte sie sich über ihren Mann, während sie in ihrer Aktentasche nach ihrer Grundausrüstung suchte. Sobald ihr Lieblingsschraubenzieher in ihrer Hand ruhte, schraubte sie die Verkleidung der Bombe auf. Darunter kam der Rest der Bombe zum Vorschein. Charlotte sah mindestens vier verschiedene Drähte – nicht nur üblichen roten und blauen Draht. Das war eine neue Herausforderung, aber wer außer ihr konnte auf mehr als vierzig Jahre Erfahrung im Umgang mit Bomben zurückblicken? Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und begann, die Bombe in ihrem Kopf zu rekonstruieren. Draht für Draht, Sprengstoffkammer für Sprengstoffkammer setzte sich das Bild in ihrem Kopf zusammen. Diese Fähigkeit hatte sie so gut gemacht. Sie hatte jetzt ein präzises Bild der Bombe und ihres Aufbaus im Kopf und konnte deswegen besser vorherahnen, was passieren würde, wenn sie an bestimmten Drähten zog. Sie begriff rasch, dass der grüne Draht die Bombe sofort hochgehen lassen würde, sollte sie auf die Idee kommen, ihn zu durchtrennen. Blieben noch drei andere Drähte. Der gelbe Draht schied als nächstes aus, nachdem Charlotte erkannte, dass er keine Verbindung zur Bombe hatte, sondern nur zum Zeitzähler. Blieben also noch zwei Drähte – und die berüchtigte Frage: Der blaue oder der rote Draht? Charlotte legte die Stirn in sorgsame Falten. Sie hatte diese Frage schon immer gehasst. Normalerweise war es immer der rote Draht gewesen, aber sie konnte Leroys Leben nicht dafür aufs Spiel setzen. Sie musste sich sicher sein. Nur dann würde sie den roten Draht tatsächlich vor dem blauen durchtrennen. Noch einmal baute sie die Bombe in ihrem Kopf zusammen, bevor sie sich über die Bombe auf Leroys Brust beugte. Sie wusste, wonach sie suchen musste. Lötspuren. Ihrer Überlegung nach musste der Bombenbauer den wichtigsten Draht zuletzt eingebaut haben, folglich musste er also anders verlötet worden sein als die drei ersten. Und als sie es sich genauer ansah, stellte sie fest, dass der blaue Draht als einziger mit einer anderen Legierung verlötet worden war als die drei anderen Drähte. Ein klares Indiz. „Okay“, sagte Charlotte, während sie die Drahtschere aus ihrer Tasche nahm. „Ich hab’s jetzt. Ganz ruhig, Leroy. Keine hektischen Bewegungen … und dann wird alles gut.“ Er seufzte schwer. „Du schaffst das schon“, sagte er optimistisch. „Natürlich“, erwiderte sie trocken. „Ich habe es bisher immer geschafft … wieso jetzt also plötzlich nicht mehr?“ Sie atmete tief ein, dann schnitt sie den blauen Draht durch. Es gab ein letztes Ticken, dann erloschen die Ziffern auf dem Display. Charlotte ließ die Luft, die die unbewusst angehalten hatte, langsam entweichen. „Siehst du?“, fragte sie zufrieden, als sie seine Fesseln löste. „Danke, Kolibri“, sagte er seufzend. „Das hat mir doch ein bisschen Sorge gemacht.“ Sie schmunzelte. „Das hier war fast zu simpel“, sagte sie. „Normalerweise sind die Bomben heutzutage deutlich besser konzipiert. Ich war ja zusammen mit Kain auf einer Fortbildung und da haben wir so einiges gelernt, was uns weiterhilft, wenn die nächsten Bomben nicht so leicht zu verstehen sind. Das hier war Kindergartenkram. Unterschiedliches Lötmaterial zu verwenden! Das ist wirklich unprofessionell und zeugt nicht gerade von Ernsthaftigkeit.“ Leroy schmunzelte, bevor er ernst wurde. „Diese Leute müssen noch im Gebäude sein“, sagte er. „Und ich würde sagen, als erste Diener dieses Staates ist es unsere Pflicht, uns um sie zu kümmern, bevor diese Idioten irgendetwas wirklich Dummes tun können…“ Charlotte nickte, während sie sich an der Schreibtischkante hochzog. „Nun dann, Sir, gehen Sie mit guten Beispiel voraus, ich werde direkt hinter ihnen sein“, sagte sie trocken. „Kommen Sie also, General Lewellyn“, sagte er belustigt, bevor er einen Arm um ihre Taille schlang. „Angesichts der Intelligenz, die sie bisher präsentiert haben, würde ich sagen, dass wir sie in der Küche finden werden, wo sie ihren angeblichen Sieg über uns feiern. Und ich würde vorschlagen, dass wir ihnen diese Party mal ein bisschen vermasseln sollten…“ „Gerne“, sagte Charlotte, während sie die Tür öffnete, „aber reicht unsere Bewaffnung aus, um das gefahrlos zu überstehen? Du weißt, ich mache mir immer Sorgen…“ „Soweit ich das gesehen habe, hatte jeder von denen nur ein Messer“, sagte Leroy, als sie durch die Gänge schlenderten. „Deswegen mache ich mir keine allzu großen Sorgen um sie. Ich mache mir mehr Sorgen darum, was passieren würde, wenn wir ihnen nicht die Leviten lesen. Außerdem ist es meine Pflicht als Generalfeldmarschall Schaden von meinem Volk abzuwenden, nicht wahr? Das habe ich geschworen.“ „Stimmt“, sagte sie zustimmend, während sie ihre Finger dehnte, bevor sie nach ihrer Waffe griff, als sie die Küchentür sahen. „Nun, dann wollen wir mal, oder? Können ja nicht zulassen, dass die jungen Leute uns zuvorkommen und uns unser Spiel kaputtmachen.“ Leroy nickte, während er sie losließ und seine eigene Waffe zog. Er lehnte sich gegen die Wand links von der Tür und hob seine Pistole, während sie es ihm auf der rechten Seite gleichtat. Sie lauschten aufmerksam, hörten aber nur Gelächter und wie irgendwer den Drahtverschluss einer Sektflasche öffnete. Charlotte sah Leroy fragend an. Als er nickte, öffnete sie die Tür fast lautlos und schlich hinein, während er ihr folgte. Charlotte sah den Korken auf sich zufliegen und fing ihn mit der linken Hand, während rechts noch immer die Waffe warf. Die Männer, die bisher mit dem Rücken zu ihnen gestanden hatten, drehten sich um, als der Korken nirgendwo aufschlug. Was sie sahen, würde sie bis ans Ende ihrer Leben verfolgen. Charlotte Lewellyn war nett anzusehen, wenn sie gut gelaunt war. Wenn sie aber stocksauer war, dann sah sie einfach nur unheimlich aus. Ihre Augen funkelten und sie war kreidebleich. Ihre Hand zitterte nicht und sie hielt sie weiterhin erhoben, als sie den Korken fallen ließ. „Schon dumm gelaufen, was?“, fragte Leroy leise. „Da war man sich so sicher, es geschafft zu haben, aber jetzt bin ich hier … ohne Bombe, bewaffnet und mit Verstärkung. Das muss wirklich übel für euch sein, aber … ihr habt uns zuerst angegriffen. Wir sind nur hier, um euch den Gefallen zu erwidern.“ Er seufzte schwer. „Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Ihr könnt euch wehren, dann müssen wir euch wehtun. Das wollen wir eigentlich nicht. Oder ihr könnt euch ergeben, dann müssen wir euch nicht wehtun und ihr bekommt einen fairen Prozess. Ihr habt die Wahl.“ „Und vergesst eines nicht“, sagte Charlotte. „Messer nützen euch nur im Nahkampf. Um in den Nahkampf zu kommen, müsst ihr einmal das ganze Zimmer durchqueren … und in der Zeit würden wir euch vermutlich jeweils achtmal problemlos erwischen können. Und es ist schwer, ein bewegliches Ziel zu treffen, wenn man sich nicht richtig konzentrieren kann. Mein Schädel pocht ganz schön … und ich könnte euch versehentlich töten.“ Die vier Männer am anderen Ende des Raumes tauschten einen Blick, dann machte der Anführer einen Schritt nach vorne. „Früher hätte das Militär uns längst viermal erschossen“, sagte er, „aber jetzt bietet es uns sogar einen fairen Prozess an. Was ist los mit euch?“ „Die Zeiten haben sich geändert“, sagte Charlotte leise, „und die Zeit, in der man das Volk unterdrücken konnte, ohne sich vor seiner Rache fürchten zu müssen, sind vorbei. Der Weg der Gewalt und des Krieges ist nicht der Pfad, dem wir folgen wollen. Wir wollen Worte sprechen lassen, keine Waffen. Das ist der Unterschied zwischen dem alten Militär und uns. Amestris hat sich seinen Frieden nach all den Jahren verdient … und wir werden nicht dulden, dass irgendwer den Frieden, den wir erarbeitet haben, bedroht, indem er den Generalfeldmarschall bedroht. Das können wir nicht dulden … und wir werden es nicht dulden.“ „Würden wir uns jetzt also – rein hypothetisch gesprochen – an euch ergeben, würden wir einen fairen Prozess mit einem seriösen Richter bekommen?“, fragte ein anderer Mann. „Ganz genau“, sagte Leroy trocken. „Unterdrückung war nie das, was uns vorgeschwebt ist, als wir davon gesprochen haben, dieses Land neu zu ordnen und ihm eine neue Struktur zu geben. Ich kann euch nur sagen, dass es noch nicht zu spät für euch ist.“ „Es ist nie zu spät, den Pfad der Gewalt zu verlassen“, sagte Charlotte zustimmend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)