Lascivious Devil von abgemeldet (Die Kinder einer Stadt) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Im Zentrum des kleinen Handelsstädtchen Aloris, irgendwo im South Blue, stand ein prächtiger Springbrunnen mit einer aus Stein gehauenen Statue, die den Meeresgott Poseidon in all seiner Pracht darstellte. Zu der mächtigen Schwanzflosse, tummelten sich seine liebreizenden, barbusigen Töchter, die in ihren Händen jeweils einen Krug hielten, aus denen das kühle Wasser gemächlich in das runde Steinbecken plätscherte. Am Beckenrand saß just ein kleiner, rothaariger Junge und wusch sich die aufgeschlagene Knie sauber. Niemand der Passanten, die über den Platz eilten, schenkte ihm Beachtung. Er war nur eines der vielen, namenlosen Straßenkinder, von denen man gelegentlich in der örtlichen Zeitung las, wenn sie Hunger oder Krankheit dahingerafft hatte. Nur die Zähesten überlebten in der Welt, die sich, unsichtbar von den Augen der Bevölkerung, in den dreckigen Gassen und dunklen Hinterhöfen abspielte. Wer hier älter als zehn Jahre wurde, galt als Sieger im ständigen Kampf gegen Armut und Elend, aus dem sie, die Waisen und flüchtig Gezeugten, doch nie wirklich entkommen konnten. Er gehörte zu diesen unglücklichen Gestalten, die ein Leben zwischen Kirchasyl, Suppenküche, Diebstahl und der andauernden Flucht vor dem Kinderheim führten. Mutter und Vater kannte er nicht, war als Säugling abgegeben worden und mit knapp vier Jahren aus der Kinderverwahranstalt, die so lieblos war wie ein Stein, geflohen. Glücklicherweise hatte er nie das erfahren, was manch anderes Kind dort hatte durchmachen müssen, denn abends, wenn das Licht ausging, geschahen widerwärtige Dinge. Sein bester Freund Salim hatte ihn mitgenommen, nachdem ihm in der Dunkelheit etwas widerfahren war. Der Anführer der kleinen Kinderbande, die sich mit Diebstahl und diversen Delikten über Wasser hielt, hatte nie darüber gesprochen und der Knabe brauchte lange, um zu verstehen, dass sich nicht jeder Erwachsene so verhielt, wie man es allgemein annahm. Aloris war eine schöne Stadt, doch auch sie hatte ihre schmutzigen Geheimnisse, die wohl nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangen würden. Es hätte dem Ansehen des gesamten Blue geschadet, doch soweit dachte ein kleiner Junge nicht, wenn doch ganz andere Sorgen sein kindliches Gemüt bedrückten. Heute war Markttag und versprach fette Beute. Es war seine Aufgabe für diesen Monat die Rasselbande mit etwas Essbarem zu versorgen und so hatte er seit mehreren Stunden fleißig, mit geübten Fingern, Taschen gefleddert und die vollen Stände um ihre Ware erleichtert. Es lief hervorragend, bis er sich von einem Streifenpolizisten hatte erwischen lassen. Einen Moment der Nachlässigkeit und schon hatte ihn der Beamte am Schlafittchen gepackt und auf die Wache gezerrt, ihm die gestohlenen Wertsachen abgenommen und ihm eine Tracht Prügel verpasst. Obdachlose Kinder waren im South Blue noch weniger wert als streunende Hunde, die man in der Regel mit mehr Respekt behandelte als sie. Man hatte schon das Heim informiert, dass sie das aufmüpfige Gör abholen sollten und nur in letzter Sekunde war ihm die Flucht geglückt. In einer tollkühnen Flucht durch Seitenstraßen und über Dächer konnte er seine Verfolger abschütteln. Straßenkinder kannten Aloris besser als jeder andere, da Ortskundigkeit und zwei flinke Beine ihre Lebensversicherung waren. Da hockte er nun, übersäht mit blauen Flecken und Schürfwunden, schniefte leise, als das kalte Nass in den Wunden brannte wie Feuer. Für einen zweiten Beutezug war es bereits zu spät, da der Abend langsam hereinbrach und die Händler ihre Stände abbauten, um weiter zu ziehen. Bis sich solch eine Gelegenheit nochmals bot, würde es Wochen dauern und der Bube schämte sich, mit leeren Händen zu Salim und den anderen heimzukehren. Heute würden sie hungrig zu Bett gehen müssen und das war eine Strafe, die alle traf. Schweigsam saßt du auf dem Flachdach eines Trockendocks und stiertest durch das kleine Fernrohr auf den Hafen vor dir, der trotz der unerträglichen Mittagshitze geschäftig war wie eh und je. Große Handelsschiffe wurden be- oder entladen. Besucher, in feine Gewänder gehüllt, liefen eilends von den Reiseschiffen und versuchten den schmutzigen Dockarbeitern, Lageristen und vor allem den rauen Seemännern, die gleichgültig auf ihrem Tabak kauten und ihn dann und wann laut spötzend ausspuckten, auszuweichen. Ein paar Lokale, die Hochprozentiges anboten hatten bereits geöffnet und warteten darauf die ersten durstigen Kunden zu empfangen. Meist waren dies Seeleute und Piraten, auf die es auch die Hafenhuren abgesehen hatten. Unzüchtig lungerten sie vor den Spelunken herum, zeigten viel Haut und kicherten zwischendurch, wenn ihnen einer der Männer besonders gut gefiel und sie sich tuschelnd über ihn unterhielten. Dein Interesse galt jedoch nicht dem horizontalen Gewerbe und auch nicht dem allgemein bunten Treiben der Anlegestelle, die wie ein Schmelztiegel alle Gesellschaftsschichten und Schicksale in sich vereinte, sie zu einem mannigfarbigen Konglomerat aus Rufen, Lärmen, Schritten und dem Geruch der salzigen See vermengte. Möwen schrieen laut, stürzten sich ins Wasser und jagten dort geschickt nach kleinen Fischen, welche ebenso auf einigen Ständen auf großen Eisblöcken angepriesen wurden. Ein besonders dreister Vogel versuchte unentwegt einem Fischhändler die Leckerbissen zu stibitzen und lenkte dich immer wieder von deinem eigentlichen Ziel ab. Seit mehreren Stunden hocktest du schon hier oben, ließt dich von der Sonne brutzeln und inspiziertest diesen eigenartigen Schoner mit der auffälligen Galionsfigur, welche einen schwarzen, böse grienenden Teufelskopf darstellte. Es war ein Piratenschiff, das war jedem hier klar, doch hatte die Crew ihre Flagge nicht gehisst, um weniger aufzufallen oder Ärger zu verursachen. Etwas, was nun wirklich nicht von Nöten war, da das Schiff ein echtes Prachtstück war und jedem sofort ins Auge sprang. „Irgendeine Idee, was das für eine Bande sein könnte?“, stupstest du deinen Begleiter mit dem Fuß an. Salim, der braungebrannte Anführer eurer Gruppe, lag ausgestreckt neben dir und nuckelte am angebrannten Filter seine Zigarette, die sich vor einer viertel Stunde selbst aufgeraucht hatte. Sein dunkles Haar lag in einem dicken Zopf über seiner Schulter und reflektierte an einigen Stellen spielerisch das einfallende Licht. Er öffnete langsam die Lider und blinzelte dich aus rehbraunen Augen an, zuckte kurz mit den Schultern und überließ dir die Antwort auf deine Frage. Stöhnend schütteltest du den Kopf und stecktest das Fernrohr in deinen winzigen Lederrucksack. Der junge Mann mit dem schmissigen Kinnbart war dir keine große Hilfe. Ihn interessierte nur die mögliche Beute und das war viel, da ihr alles, was nicht bombenfest angeschraubt war, mitgehen lassen und es auf dem Schwarzmarkt zu Geld machen würdet. Salim und du kanntet euch bereits sehr, sehr lange, wart zusammen aufgewachsen und hattet überlebt. Ihr wart keine Straßenkinder mehr und doch konntet ihr euch nie von eurem diebischen Dasein lösen. In Aloris gab es keine Zukunft für die, die bereits bei ihrer Geburt als verloren galten. Viele Freunde hattet ihr eingebüßt, neue gefunden und doch war es ein ständiges Kommen und Gehen, denn wenige hatten aus der ursprünglichen Kinderbande überlebt. Auch wenn es traurig war, so hattet ihr euch über die Jahre damit abgefunden. Tod und Elend, Hunger und Kälte waren euer Alltag, hatten euch zäh werden lassen, klar im Handeln und Denken, welches sich nur auf das eigene Fortbestehen fokussierte. „Ist das nicht völlig egal?“, gähnte Salim und setzte sich auf, streckte seinen muskulösen Rücken durch und federte nach oben. Sein weißes, halboffenes Hemd, entblößte seine vernarbte Brust, die sich bedächtig hob und senkte, als er sich neben dich stützte und mit einer Hand deine Schulter rieb: „Sie sind hier im South Blue und können keine große Nummer sein. Das Schiff ist nur Aufmachung. Du kennst doch Piraten.“ „Scheint aber eine relativ große Mannschaft zu sein. Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?“ Selbstverständlich wollte er das! Je größer, desto besser war Salims Gebot und bisher wart ihr damit nicht schlecht gefahren. Dein Kumpel aus Kindertagen hatte gute Bekannte im nahe liegenden Bordell, mit denen er des Öfteren krumme Dinger drehte, die sich aber deines Wissens entzogen, da der Dunkelhaarige es generell vermied dich in den schmierigen Pfuhl aus Prostitution, Drogen und Verwerflichkeit zu ziehen. Er sorgte für klingende Münze und mehr interessierte dich nicht und so ganz nebenbei hattest du deine eigenen Geschäfte am laufen, welche wiederum Salim nichts angingen. Ihr wart eine Diebesbande, gönntet euch aber euren Freiraum, solange es der allgemeinen Sache dienlich war. Als unschuldig konnte euch niemand bezeichnen. Moral gab es in Aloris nicht, zumindest nicht in dem Aloirs, das ihr kanntet. „Die übliche Masche, oder willst du etwas experimentieren, Salim?“, grinstest du breit und ließt dir aufhelfen. Frohgemut lachte dein Bandenboss und gab dir zu verstehen, dass er es zuerst mit der alten Schiene versuchen wollte. Warum auch nicht? Immerhin funktionierte das einwandfrei. „Warum weinst du?“, fragtest du den Jungen, der erschrocken herumwirbelte und dich aus großen Augen ansah. Er war kaum älter als du, doch seine Gesichtszüge wirkten bereits hart und sehr abgehärmt. So gesehen war er wirklich ein niedlicher, kleiner Knirps, wenn da nicht dieser Blick gewesen wäre. Frostig, berechnend und… dämonisch, dass es einem kalte Schauer über den Rücken jagte. Genau wie du war er ein Straßenkind. Das konntest du sehen. „Ich weine nicht!“, kam es trutzig zurück. Pikiert drehte er sich wieder um und versuchte dich zu ignorieren. Pah, er und weinen? Selbst wenn er geflennt hätte, so hätte er das vor einem Mädchen niemals zugegeben! Du kratztest dich am Kopf. Seltsam, du hättest schwören können ein paar Tränen gesehen zu haben. Eigentlich warst du ins Stadtzentrum spaziert um dein geklautes Abendessen am Brunnen zu futtern. Deine Bande, die Marder, hatten den Tag gut genutzt und fette Beute nach Hause gebracht. Für jeden gab es mehr als genug, doch, ähnlich einem wilden Tier, aßt ihr nicht zusammen. Jeder hatte seinen Anteil geschnappt und war verschwunden. Diese Regelung leuchtete normalen Menschen nicht ein, aber für euch war sie enorm wichtig. Es verhinderte eventuellen Streit um die Portionen. Wer Hunger hatte schielte immer etwas missgünstig auf den Teller des anderen. Erst zur Schlafenszeit würdet ihr euch wieder zusammenfinden. „Na ja, dann…“, zucktest du mit den Schultern und hocktest dich, in einiger Entfernung, an den Rand und kramtest das Essen aus deinem Rucksack. Zwei rote Äpfel, drei belegte Wurstbrote und einen säuberlich zerschnittenen Kohlrabikopf. Lecker! Summend schmatztest du vor dich hin, beobachtest den abendlichen Himmel, der sich in wunderbaren Rot – und Violetttönen über dir ausbreitete. Was für eine Qual es für den Buben sein musste dir beim essen zuzusehen konntest du nicht ahnen. Er meinte schließlich, dass alles in Ordnung sei und vielleicht hatte er ja bereits gegessen, war über den Platz getobt und hatte sich wirklich nur das Knie aufgeschlagen. Jungs waren ohnehin irgendwie komisch und du wolltest keinen Gedanken an den Fremden verschwenden, der dir in einem fort zusah. Seine Lippen verformten sich zu einer schmalen Linie als er unentwegt seinen Speichel nach unten schluckte. BRURUUUUU! Verwundert hieltst du inne und glotztest zum Rothaarigen, welcher verlegen die Hände gegen den Bauch presste und rot anlief. Bei dir klingelte ein Glöckchen. So war das also, hm? „Hast du Hunger?“, richtetest du abermals das Wort an ihn und botst ihm eine Bemme an. Grummelnd zog er eine Schnute und wandte sich erneut ab. Himmel, was für ein sturer, kleiner Bock! Warum konnte er das nicht gleich sagen? Es war keine Seltenheit, dass manche Beutezüge in die Binsen gingen. Stöhnend rolltest du mit den Augen, nahmst das hundertmal benutzte Brotpapier und legtest das Sandwich hinein, schobst es vorsichtig zu dem Burschen. Einerlei wie rau die Sitten unter euch waren, so wart ihr keine Barbaren und konntet durchaus teilen. Teilnahmslos kautest du weiter, schenktest deinem unfreiwilligen Speisepartner keine Beachtung mehr, lauschtest aber nach dem verräterischen Knistern. Nichts, nur das träge Plätschern des Brunnens. Du meine Güte, wie konnte man nur so bockig sein?! Prüfend schautest du dich um und blicktest auf die Stelle, an der du das Essen niedergelegt hattest. Einsam und verloren lag das Pergamentpapier auf dem Stein, wehte sacht im Wind. Das Sandwich war weg. Gierig schob sich das Rothaar den letzten Happen in den Mund, schluckte ohne richtig zu kauen und leckte sich die Finger sauber. Krümel klebten an seinem Kinn. Du schenktest ihm ein freundliches Lächeln als er zu dir blickte. Wieder kroch eine leichte Röte über seine Wangen. „Apfel?“ Grob wurde dir das angebotene Obst aus der Hand gerissen. Dann die beiden Kohlrabischeiben, die Hälfte des zweiten Brotes und zu guter Letzt saß der fremde Junge neben dir. „Wie heißt du?“, wolltest du wissen. Jetzt, da du ihn, wie sagt man doch, angefüttert hattest, konnte sich der Namenlose wenigstens vorstellen, wenn er denn schon nicht in der Lage war Danke zu sagen. „Kid und du?“ Lachend ergriffst du seine Hand und schütteltest sie, nanntest deinen vollen Namen: „…aber du kannst mich ´Ferret` nennen. Das tun alle. Warum auch immer.“ Du warst nicht gerade beigeistert von deinem Spitznamen, hattest dich aber daran gewöhnt. Dein Anführer meinte, dass du wie ein flauschiges Frettchen aussehen würdest. Ob das nun eine Beleidigung oder ein Kompliment war, konntest du beim besten Willen nicht sagen. Das Hafenwasser war widerlich kalt und dreckig. Gerne hättest du eine andere Möglichkeit gefunden um auf den Schoner zu kommen, doch dies war der sicherste und unauffälligste Weg. Zwischen den breiten Schiffsrümpfen konntest du ungesehen entlang schwimmen. Salim und du hatten eine Münze entscheiden lassen, wer heute `anheuern´ sollte und wer baden gehen durfte. Das war schon das dritte Mal in diesem Monat, dass du verloren hattest und warst dir sicher, dass Salim schummelte. Beim nächsten Mal würdest du werfen! Dein Kamerad gab den interessierten Neuzugang und sorgte für etwas Ablenkung. Wie jeder, der auf einem Schiff anheuern wollte, musste auch er zum Kapitän vorgelassen werden, der dann seinen Segen gab oder eine barsche Abfuhr erteilte. Die Crew lag schon eine ganze Weile vor Anker und so waren nur noch ein paar Männer anwesend, welche abschließende Verladearbeiten verrichteten, die vom Vizekapitän, einem Sonderling mit langer, blonder Mähne und einer schrulligen Eishockey- Maske im Gesicht, beaufsichtig wurden. Es war leicht zu erkennen, wer etwas an Bord zu sagen hatte, alldieweil die interne Hackordnung unter Piraten keine Zweifel in ihrem Auftreten zuließ. Wollte man es einfach ausdrücken, so konnte man sagen, dass die, die aus rein körperlicher Sicht am wenigsten schufteten den größten Einfluss hatten. Bizarr, nicht? Auf alle Fälle sprach Salim bei dem athletischen Maskenmann vor, der ihn, nach einigem Palaver, zu seinem Kapitän vorließ. Dieser hockte vermutlich im Roof und erledigte administrative Aufgaben… oder lümmelte faul herum. Erst einmal an Bord würde Salim, mit viel diebischem Geschick, ein Tau von der Takelage lösen und es ungesehen über die Reling baumeln lassen. Gelang ihm das nicht, musstest du dir selbst mit einer modifizierten Pistole helfen, die einen Enterhaken abschoss. So oder so, du kämst an Bord und würdest dort dein kleines Versteckspiel beginnen. Du hattest Glück, auf Salim war Verlass. Nach einigem Suchen fandst du heckseitig deine Kletterhilfe und hangeltest dich nach oben. Leise glittst du über die Reling und huschtest in das erste, sich bietende Versteck, verschnauftest kurz zwischen ein paar Wasserfässern und verschafftest dir einen flüchtigen Überblick. Das Deck war groß und sauber. Statt Planken hatte man es gepflastert. Wie befremdend, aber es gab der ´Lascivious Devil` einen mediävalen Touch, der recht hübsch anzusehen war. Leise begannst du dich aus deinem Neoprenanzug zu kämpfen, den du bei solchen Aktionen über deiner eigentlichen Kleidung trugst. Du würdest den Schoner von Laderaum bis zur Kombüse durchforsten und die geklaute Beute in Stoffsäcke verstauen. Hier, zwischen den Fässern, war dein Ausgangspunkt, zu dem du mehrmals zurückkehren musstest, um die Beutel über Bord werfen zu können. Durch ihr Gewicht würden sie auf den flachen Grund des Hafens sinken, von dem ihr sie problemlos einsammeln würdet. Wärst du klitschnass hättest du eine gut sichtbare Spur hinterlassen. Es reicht schon, dass der kleine Sprint in deinen Schlupfwinkel für ein paar Wasserlachen gesorgt hatte, von denen du hofftest, dass die Sonne sie schnell trocknete. Du musstest schnell sein und ein Auge für Kostbarkeiten haben. Wertloser Plunder war für Amateure, die täppische Fehler meist mit ihrem Leben bezahlten. Im Gebälk von Schiffsraum und Gängen gab es genug Schatten und schummrige Winkel, in denen du dich vor vorbeilaufenden Crewmitgliedern ideal verbergen konntest. Hätte man dich entdeckt, wärst du tot oder schlimmer. Ging es um ihren Besitz, kannten Piraten kein Pardon. Einem ausgewachsenen Mann hattest du sowieso nichts entgegenzusetzen und bautest auf deine Finesse als Hafenräuber. Du warst nicht gläubig, aber bevor du mit der Plünderung der Lascivious Devil begannst, bekreuzigtest du dich und küsstest den Silberring an deiner Halskette. Der kleine Ring hatte dir bislang immer Glück gebracht und so ein bisschen Demut war obendrein nie verkehrt. Kapitel 2: ----------- Eustass Kid streckte sich ausgiebig und warf einen kurzen Blick zurück auf das Bett, in dem sich eine schwarzhaarige Frau genüsslich räkelte und ihre Blöße mit dem dünnen Laken bedeckte. Obwohl sie älter war als er umgab sie eine eigenartige, süffisante Schönheit. Der Hauch des Verruchten umwehte sie wie ein feines Parfum, welches ihn angesprochen und in den Bann kurzweiliger Leidenschaft gezogen hatte. Doch jetzt, da er bekommen hatte was er wollte, fand er sie so abstoßend wie tiefste Winternacht, wollte sie alsbald wie möglich von Bord bekommen. Dennoch ließ er ihr Zeit um sich für den nächsten Freier herzurichten. „Zieh dich an!“, befahl er barsch und warf ihr das Kleid entgegen. Der bloße Gedanke an all die Männer, die sich vor ihm mit ihr vergnügt hatten und es nach ihm tun würden, ekelte Kid an. Käufliche Liebe war allerdings nicht das, was ihn wieder nach Aloris getrieben hatte. Er war hier aufgewachsen und wollte ein letztes Mal die süßlich schwere Luft riechen, den unmerklichen Gestank der Slums, welcher pestgleich durch die Straßen zog und leise Lebewohl sagen, denn bald würden sie Segel setzen und dem South Blue den Rücken kehren. Viel zu lange hatte er die Abreise verzögert, aber seine Mannschaft begann sich zu langweilen, drängte nach neuen Abenteuern auf der sagenumwobenen Grandline, an deren Ende Macht, Ruhm und Gold Rogers Schatz wartete. Die Gewässer des Südens waren keine Herausforderungen mehr. Er war jetzt dreiundzwanzig. Ein ungewöhnliches Alter für einen Neuling, der sieben lange Jahre den Blue unsicher gemacht und Kraft gesammelt hatte. Alle Männer an Bord der Lascivious Devil waren ruppige Burschen mit einer unbändigen Kampfeslust und der kennzeichnenden Loyalität der Südländer, die sich gerne als Azurer bezeichneten wie die Farbe der seichten Küstengewässer rund um die vielen Inseln. Ein Stück Vertrautheit im Ungewissen, da Kid jederzeit auf sie bauen konnte. „Mein restliches Geld, Kapitän!“, forderte die Dirne kühl und streckte die schlanke Hand aus. Grunzend schlenderte Kid zum Schreibtisch und öffnete eine darauf stehende Schatulle. Edelsteine, geprägte Münzen aus fernen Ländern und Schmuck lagen ungeordnet zwischen grünen Berryscheinen. So gesehen hatte sich das Hafenluder keinen Obolus verdient, aber der junge Mann war nicht geizig und drückte ihr ein saftiges Trinkgeld in die Hand: „Ich hoffe du hast mir nichts Bleibendes verpasst.“, wisperte der Rothaarige giftig und erntete ein schnippisches Hüsteln. Die wenigsten Frauen von Aloris gingen freiwillig anschaffen. Schicksalsschläge, gleich welcher Art, trieben sie dazu, da viele Menschen bettelarm waren. Aloris teilte die Gesellschaft, wie kaum eine andere Stadt im Blue, in zwei Sparten. Arm und Reich, Freier und Hure, Bettler und Fürst. Hier gab es kein Dazwischen, nichts was die Gegensätze abpufferte. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit gab der Hafenstadt einen ganz besonderen Reiz, auch wenn er traurig und beschämend war. „Das beruht auf Gegenseitigkeit, Kapitän!“, schnurrte die Frau und entriss ihm das Geld, stopfte es sich in das Mieder, aus welchem ihre Brüste hervorquollen. Der Angesprochene gab ein belustigtest Glucksen von sich. Sie war sauber. Der Gesundheitspass, den die meisten Prostituierten - auf Anordnung der Gemeinde - mit sich herumtrugen, legte Zeugnis davon ab. Jeden Monat mussten sie sich einer Untersuchung unterziehen. Irrsinnigerweise war Hurerei die Haupteinnahmequelle der Stadt, weswegen Aloris etliche unschöne Kosenamen unter den Seefahrern hatte. Wobei Letztgenannte solch einen Pass dringend selbst benötigten. Kid beschloss nichts zu erwidern, sondern ließ sich geräuschvoll in den Schreibtischstuhl fallen, warf die Beine auf die Tischplatte und schickte seine Gedanken auf Reisen. Vor ihm lagen unzählige, vergilbte Seekarten ihrer kommenden Reiseroute. Stunden um Stunden hatte er mit dem Navigator darüber gebrütet, fein säuberlich die Breitengrade und bekannten Untiefen eingezeichnet. Er ahnte hingegen, dass dies ein recht sinnloses Unterfangen war, da die Grandline so mache Überraschungen bereithielt auf die man sich einfach nicht vorbereiten konnte. Verrufen als piratenverschlingendes Grab, bündelte die Grandline die stärksten Piraten der Welt in einem Meer und machte sie so zu einer extrem gefährlichen See. Der dauernde Kampf gegen feindliche Mannschaften, sowie ein extrem hohes Marineaufkommen sorgten dafür, dass die meisten Piraten bereits zu Anfang ausgesiebt wurden. Nur wer sich gegen diese Hindernisse behaupten konnte, hatte dort eine Chance. Dadurch überlebten nur die stärksten Piraten und sorgten so für das außerordentliche Niveau an Gesetzlosen. Auch wenn er keinen Schimmer hatte worauf der sich einlassen würde, wollte Kid mit seiner Crew dieses Wagnis eingehen, welches sie wohlmöglich für Jahre von ihrer Heimat trennen würde. Indes hatte er die Männer seiner Bande um Aufschub gebeten und Kurs auf seine Heimatstadt nehmen lassen. Er wollte nicht gehen ohne ein altes Versprechen eingelöst zu haben. Der erhabene Moment der Normalität ließ euch von ausgekochten Überlebenskünstlern wieder zu unschuldigen Kindern werden, die unverdrossen über die verschiedensten Dinge plauderten. „Du bist aus der Unterstadt, oder?“, harkte Kid nach als sich das Thema auf eure Herkunft änderte. Bedacht nicktest du und planschtest nebenbei mit der Hand im Wasser. Du warst mit sieben Jahren von deiner Mutter im Kinderheim abgegeben worden. Sie hatte einen Mann kennen gelernt und schämte sich mit einundzwanzig bereits ein Kind im Grundschulalter zu haben: „Mama hat bestimmt gedacht, dass ihr Neuer sie nicht mehr mögen würde, wenn sie mich hat.“, flüstertest du. Nach einem Jahr warst du geflohen. Gleichwohl sollte dich diese kurze Zeit für dein restliches Leben prägen. „Was ist dir passiert?“, wollte dein Gegenüber wissen. Es war erschreckend wie trocken er danach fragte. Gewalt war Alltag in den Heimen und das war vielleicht das Grausamste an dieser grotesk einfachen Fragestellung. Reuig zogst du die Beine an den Körper und umschlangst sie mit deinen Armen. Ein lautes Klopfen holte den jungen Mann in die Realität zurück. Erstaunt blickte er zur hölzernen Tür, hinter der die Stimme seines Vizekapitäns gedämpft um Einlass bat. Entnervt rieb Kid sich die Schläfen und griff nach der angebrochenen Flasche mit Rum: „Hatte ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte?“, maulte er nachdem Killer die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte und seinen Kopf in den Raum steckte. Eigentlich besaß der Vize genug Anstand ihn in Ruhe zu lassen während sein Kapitän zu Gange war. Es musste sich demgemäß um etwas Wichtiges handeln. „Kapitän, bitte entschuldige.“, räusperte sich der Blonde. Egal welche Gemütsregung sich in Killers Gesicht abzeichnete, so machte es die Maske unmöglich diese zu erkennen. Augenscheinlich war es ihm aber unangenehm. Kid hatte Killer auf dem Aimik Atoll aufgegabelt. Aloris war die Hauptstadt von Mara und lag etwas westlich von besagter Inselgruppe, die Kid´s erster Zwischenstopp war, nachdem er seinen Geburtsort verlassen hatte. In einem Wirtshaus war er mit der Löwenmähne im Verlauf eines gezinkten Pokerspiels aneinander geraten. Ein Wort hatte das andere ergeben. Die Bilanz des daraufhin ausgebrochen Handgemenges betrug sechstausend Berry Verlust für Killer, eine Teufelsfrucht für Kid, einen völlig aufgelösten Wirt, der um seine zertrümmerte Bar weinte und Ärger mit der dortigen Marine, vor der die beiden Streithähne letztlich flüchten mussten. Ja, aller Anfang war schwer. „Spuck es schon aus, Killer!“, ermahnte Kid seinen Nakama. „Hier will jemand anheuern.“, antwortete sein Vize beflissen und musterte das Flittchen von oben bis unten. Frauenbesuch war selten und bei ihrem leicht bekleideten Anblick regten sich durchaus gewisse Interessen. Der junge Kapitän nahm dies nur beiläufig wahr, denn Killers nichts ahnende Empfehlung ließ bei Kid sämtliche Alarmglocken lautstark schrillen. Es war befremdend, dass man um Aufnahme bei Piraten bat. Selbst der größte Vollidiot hätte erkannt, dass es sich bei der Devil nicht um ein normales Schiff handelte. Aloris verfügte über keinerlei Marine. Die Staatspolizei war gegenwärtig die exekutive Macht und vor dieser unterbezahlten und demotivierten Truppe brauchte sich die Mannschaft gewiss nicht zu fürchten. Nach oben buckeln, nach unten treten war ihr Motto. Für sie gab es leichtere Ziele als eine bis an die Zähne bewaffnete Piratenbande. Solange sich die Crew ruhig verhielt würde man um sie einen weiten Bogen machen. Viele Möglichkeiten, wer der Fürbitter war, blieben folglich nicht und Kid kannte nur eine Sorte von Einwohnern, die dreist genug waren unverblümt anzuheuern. Ihre Tricks waren ihm vertraut. „Ist das so?“, schmunzelte Kid und kippelte mit dem Stuhl. Sein Blick glitt zu Killer, der geduldig auf einen Befehl wartete. Euer Erzieher war ein strenger, älterer Herr, dessen stahlblaue Augen immer hinter einer getönten Brille versteckt waren. Dennoch stach dieses Blau durch die Gläser wie ein giftiger Pfeil. Fanatisch religiös wollte er die Mädchen deiner Gruppe durch militärisch anmutende Disziplin auf den Pfad der Tugend bringen, näher zu Gott, wie er gerne behauptete. Beständiges Arbeiten am eigenen Charakter, dem Befolgen strenger Regeln solltet ihr, beschmutzt durch die Erbsünde, euren Frieden mit dem Allmächtigen machen. Dein Tag begann mit kaltem Wasser, der Morgenandacht und der minutiös geplanten Einnahme des Frühstücks. Zu jeder vierten Stunde wurde gebetet und vor dem Abendessen gab es einen Gottesdienst. Spielzeug war rar und wurde penibel aufgeteilt. Lief etwas schief, ging etwas zu Bruch, war das Bett nicht ordentlich gemacht oder wagtet ihr gar zu murren, züchtigte er euch mit allem, was er in seiner Rage zu fassen bekam. Manchmal auch mit der blanken Faust. Im Heim hattest du dir ein Stockbett mit einem Mädchen namens Sophia geteilt. Sie hatte lustige, blonde Flechtzöpfe, war immer fröhlich und konnte den Puppen tolle Frisuren machen. Du mochtest sie sehr. Die Puppe, mit der ihr spielen durftet, trug den Namen Lucy. Deine neue Freundin hatte sie so getauft und ihr beide liebtet Lucy über alles. Ihr wolltet sie so umsorgen, wie es echter Mütter taten… wie ihr euch immer umsorgt wissen wolltet und wetteifertet, wer denn nun die weltbeste Puppenmama war. Eines Tages, ihr spieltet mit Lucy im ummauerten Garten, brach ein Streit aus. Du wolltest ihr das grüne Kleidchen anziehen, aber Sophia bestand eisern auf das Weiße mit den roten Streifen. Keiner von euch wollte nachgeben und so begannt ihr an dem armen Püppchen mit aller Gewalt zu zerren. Ihre Arme flogen in hohen Bogen davon und der Körper fiel auf die Erde. Lucy´s Porzellankopf barst in tausend Teile und eh ihr euch versaht, stand der sadistische Pädagoge hinter euch. Deine liebe Sophia nahm die Schuld auf sich, obgleich das wenig nützte. Man band euch am Mittag des nächsten Tages im Hinterhof mit den Händen an angespitzte Stöcke. Ohne Wasser, ohne Schutz vor der sengenden Sonne. Es war die grausame Art des Erziehers zu ermitteln, wer denn an dem Dilemma die Hauptverantwortung trug. Irgendwann kippte Sophia erschöpft vornüber… Beunruhigt lief dein Gefährte vor dem Roof auf und ab. Für seinen Geschmack dauerte das viel zu lange und wäre er nicht so erpicht auf die Beute gewesen, hätte er sich aus dem Staub gemacht. Euer Zeitplan war durch die Warterei durcheinander geraten und dein Gefährte hoffte rechtzeitig eingelassen zu werden bevor du hier aufkreuztest. In der Regel hätte er schon vorgesprochen, das Blaue vom Himmel herunter gelogen und sich absichtlich so dämlich angestellt, dass man ihn einfach ablehnen musste. Die Tür zum Deckhaus öffnete sich erneut und eine alte Bekannte schwebte mit unanständig wackelndem Hintern daraus hervor. Ein kaum merkliches Kopfnicken ließ ihn wissen, dass soweit alles glatt lief. Um sich vor dem Vizekapitän, welcher Salims spezieller Freundin auf den Fuß folgte, nichts anmerken zu lassen, stand er ein wenig stramm: „Fräulein.“, verbeugte er sich artig und wandte seine Aufmerksamkeit dem Maskenträger zu. Dieser zog sich den Kragen seines blauen Hemdes zurrecht: „Du musst dich gedulden.“, mit einer Kopfbewegung deutete er zu der Metze, die unter anerkennenden Pfiffen die Schiffsrampe hinab stieg, „Der Kapitän ist noch etwas indisponiert, wenn du verstehst was ich meine.“ „Oh ah…“, Salim tat auf peinlich berührt, wartete jedoch und versuchte gegen das ungute Gefühl und das ständig wachsende Misstrauen anzukämpfen. Er durfte nicht die Nerven verlieren, sonst wäre der Bluff aufgeflogen. Killer machte ihn, eben wegen dieser verfluchten Maske, nervös. Salim war in allen Belangen ein abgebrühter Hund, aber wenn man einer Person gegenüberstand aus deren Gesicht man keinerlei Regung ablesen konnte, fiel es schwer gefasst zu bleiben. Die Minuten kleckerten dahin und dein Kumpan glaubte jeden Moment durchzudrehen. Er war ein alter Hase was das Plündern von Schiffen betraf, hatte viele seltsame Piratenbanden getroffen, doch diese hier schien nicht wie die üblichen Schwachmaaten zu sein. Die meisten Seeräuber waren einfältige Narren, die nicht viel im Oberstübchen hatten, dennoch meinten die Welt würde der Macht ihrer geballten Dummheit zu Füßen liegen. Mit dem Maul vorneweg lebten sie nur für den Augenblick, der ihnen die Freiheit gab sich über gesellschaftliche Normen hinwegzusetzen. Wenige handelten nach einem inneren Rechtsempfinden und wollte man es kleinlich sehen, waren die Piratenmannschaften des Blue nicht anders als du oder Salim. Ob nun die Tatsache, dass ihr sie ausraubtet, zu besseren Menschen machte war fraglich. „Killer!“, eine strenge, herrische Stimme dröhnte unerwartet aus dem Roof, zerschmetterte mit ihrem rauen Bass die unbehagliche Stille, welche die Laute des Meeres und das dumpfe Stimmengewirr der Menschen am Hafen in sich aufzunehmen schien. Der Vizekapitän löste sich aus seiner Starre und hielt ihm die Tür auf: „Wollen wir?“ Argwöhnisch starrte Salim in den Raum, dessen halbdunkle Tücke nach ihm griff wie die Klaue eines Monstrums. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass der Coup danebengegangen war und eine fatale Wendung annehmen würde. Aus dem Zwielicht schnellte eine Hand und packte ihn grob am Kragen, zerrte ihn hinein in das lauernde Schwarz der Lascivious Devil. Kapitel 3: ----------- Eine Träne perlte von deiner Wange und tropfte in das Brunnenwasser, dessen beständige, kleine Wellen nun in konzentrische Kreise übergingen. Kid sagte nichts, auch wenn ihm deine Traurigkeit nicht verborgen geblieben war. Er wollte die Sache nicht herunterspielen, aber es gab Dinge, die so schmerzhaft waren, dass es keine Worte der Linderung gab. Selbst die Zeit konnte Wunden nicht heilen und was sollte dann ein kleiner Junge dagegen tun? Kid war wirklich kein guter Beistand. In der Vergangenheit hatte er es oft versucht, doch wenn er anderen gut zureden wollte, blubberte er meist nur Blödsinn, welcher die Betroffenen noch trauriger stimmte und er wollte dich nicht verletzten. Schweigend rutschte er näher an dich heran und legte die Hand auf deine Schulter: „Ferret, ich…“, weiter kam er nicht in seinem ungeschickten Versuch dir etwas Trost zu spenden, denn du drehtest dich jäh um und umklammertest seinen Hals, presstest dein Gesicht an seine Brust und schluchztest laut. Unter Kids Wangen wurde es heiß als diese sich auffällig röteten und wie die Abendsonne zu strahlen begannen. Wenn Jungs traurig waren, gingen sie der Einsamkeit nach, der emotionale Ausbruch eines Mädchens, welches stets die Nähe zu ihren Mitmenschen suchte, überrumpelte ihn jedoch völlig. Das war ihm noch nie passiert und er wusste ehrlich gesagt nicht, wie er damit umgehen sollte. Unbeholfen legte er die Arme um dich. Du erschienst ihm so fragil und empfindlich, dass er Angst hatte dich zu zerbrechen und das wollte er beileibe nicht. Schwärze wirbelte an Salims Augen vorbei als er durch die Dunkelheit des Raums geschleuderte wurde. Das Tageslicht barst durch die offen stehende Tür und flutete in das Roof, dessen Schatten dadurch noch dunkler, noch bedrohlicher und bleierner erschienen. Killer, der rätselhafte Vizekapitän, lehnte lässig mit verschränkten Armen am Türrahmen und sah sich die Szenerie schweigend an. Kid war noch nie zimperlich gewesen wenn es darum ging die Habe der Mannschaft zu verteidigen. Die Devil war ihr größter Schatz und wer immer sich daran verging, erfuhr schnell wie viel Grausamkeit der junge Mann an den Tag legen konnte. Er hatte von Aloris gehört und auch von den vielen Hafenräubern, die hier ihr Unwesen trieben und es ärgerte Killer maßlos, dass er auf den erstbesten Trick dieser Bagage hereingefallen war. Zum Teufel nein, er würde nicht einschreiten! War Kid, dessen kämpferische Impulsivität ein prägnanter Charakterzug war, erst einmal in Rage, dann getraute sich sogar jemand wie Killer nicht ihn auszubremsen. „Anheuern willst du, ja?“, verhöhnte Kid deinen Kamerad - wehrlos und blind durch die plötzlich veränderten Lichtverhältnisse – und warf ihn gegen die Eckkante seines Schreibtischs, die sich wie ein Speer in Salims Magengrube bohrte. Röchelnd presste er seine Hand an seinen Magen, würgte bitter. Alles um ihn herum kreiste. Übelkeit kroch durch seine gepeinigt aufschreienden Innereien. „Dann lass uns ein wenig plaudern!“, keifte Kid und hieb Salims Gesicht martialisch auf das harte Holz. Hinter der Stirn des Hafenräubers brachen tosende Schmerzen los und das Brechen seines Nasenbeins krachte durch das Halbdunkel. Mit tränenden Augen sah er auf, streckte die Hand nach der rettenden Tür aus. Wenige Meter trennten ihn von der Freiheit, der wärmenden Sonne, welches er nie wieder sehen würde. Vor sein verschwommenes Sichtfeld schob sich die Silhouette eines Mannes. Das Licht brach sich an seinem breiten Rücken, tauchte ihn in stählerne Schatten schmutzig wie Teer. Wie zwei Kohlestücke funkelten die nachtschwarzen Pupillen auf dem kalten Weiß seiner Augen. Salim verband dies unwillkürlich mit einem lauernden Raubtier in der Nacht, hungrig und zu allem bereit. Absurderweise glaubte er diesen Blick zu kennen, was natürlich vollkommen abwegig war. Er kannte nur einen Menschen, der ihn auf diese Weise angesehen hatte und der war tot… so viele Jahre war das her… Wie lange Kid dich so hielt war bedeutungslos geworden. Nachdem du aus dem Heim geflohen und eine Weile alleine in der Stadt herumgeirrt warst, gabelte dich der Bandenchef der Marder auf. Niemand fragte nach dem Warum oder Wieso. Du warst einfach da und das alleine zählte. Kid war der Erste, der dich nach den Schrecken deiner Vergangenheit gefragt hatte, die durch den täglichen Überlebenskampf so ungreifbar und grau in den Hintergrund des eigenen Bewusstseins gedrängt worden war, dass sie beinahe wie ein grausiger Alptraum erschien. Verdrängung war ein probates Mittel, von dem viele Straßenkinder Gebrauch machten. Manch Schicksal war zu schrecklich, zu krank als das man sich ständig daran erinnern wollte. Aloris strafte die Schwachen und Unschuldigen mit brutaler Kälte. Die Stadt war eine Lüge und zuweilen war es besser sich dieser Lüge anzupassen, von Vorne zu beginnen und nie wieder darüber zu reden. So hielten es die Kinderbanden. Keine Fragen, keine Antworten… keine Hilfe. Ihr wart das, was das Leben aus euch gemacht hatte. Seelische Krüppel, die, wenn man sie an ihrem wunden Punkt berührte, in sich zusammenbrachen wie ein wackeliges Haus aus Spielkarten. „Ich… das wollte ich nicht.“, stammelte der Knabe und grämte sich, dass er dieses ungeschriebene Gesetz missachtet und dich dadurch zum weinen gebracht hatte. Am liebsten hätte er sich vor Scham im Brunnen ertränkt. Kopfschüttelnd sahst du auf und wischtest dir die letzten Tränen aus den Augen. Es war in Ordnung. Vielleicht hattest du es gewollt. Es hatte dir einfach gut getan und du fühltest dich seltsam gelöst. Ein paar mal atmetest du tief durch und sahst prüfend auf deinen Schatten, welcher erschreckend lang geworden war: „Kid, ich muss jetzt zurück.“, verneigtest du dich kurz und schwangst dich von deinem Sitzplatz, „War nett dich kennen gelernt zu haben. Ich mag dich.“ Kid´s Augen weiteten sich und sein Mund klappte nach unten. Unter seinen Wangen kribbelte es erneut und sein Magen schlug Purzelbäume. War das Essen eventuell verdorben? „Magst du morgen wieder hier sein?“, wolltest du wissen und warst dir nicht im Geringsten darüber bewusst, was du damit in Kid auslöstest. Er hatte ja selbst keine Ahnung was es bedeutete, wenn der Kopf plötzlich wie leergefegt war und das Herz schneller zu schlagen begann. Möglicherweise wurde er krank. Vornehmlich war er verwirrt und wunderte sich über dieses eigenartige Hochgefühl, wenn er dich ansah. Ein unterbewusster Teil in ihm lachte ihn bereits aus, ein anderer wollte dich nochmals umarmen. Es hatte sich toll angefühlt. „Klar doch.“, sprudelte es aus Kid heraus, der sich im selben Moment auf die Zunge biss. Du warst ein Mädchen, verdammt! Er hing nicht mit Mädchen ab. Eigentlich mochte er sie nicht einmal. In Salim´s Bande hatten sie ein oder zwei und die waren seltsam gackernde Hühner mit noch eigenartigeren Themen, von denen Kid mit seinen zehn Jahren nichts verstand. Salim hatte einmal zu ihm gesagt, dass das normal sei und er einfach weghören sollte. Erfreut klatschtest du in die Hände und verbeugtest dich abermals, drehtest dich auf den Fersen um und flitztest zurück in den Bezirk deiner Bande. Dümmlich glotzte Kid dir nach. Tausend wirrer Gedanken tänzelten in seinem Schädel und dieses quietschfidele Kribbeln wollte nicht verschwinden. Seufzend streckte er sich auf dem Brunnenrand aus und gaffte in den Himmel, an dem sich die ersten Sterne zeigten. Leise brummelte er deinen Namen vor sich hin, malte ihn gedanklich ins Firmament und griff nach seinem Hemd. Die linke Seite, in die du geweint hattest, war nass und doch machte es ihm nichts aus. Spontan hielt er sich seinen Ärmel vor die Nase und schnupperte daran. Neben seinem eigenen Geruch glaubte er den deinen ganz deutlich heraus riechen zu können. Als er sich seines Verhaltens gewahr wurde, ließ er den Arm schnell wieder sinken. Verlegen sah er Poseidon und seine Töchter an, die stumm und steinern neben ihm emporragten. Es waren nur leblose Statuen und trotzdem bildete er sich ein, dass sie ihn wissend anlächeln würden. „Was guckt ihr denn so?“, streckte er ihnen die Zunge heraus und richtete sich auf. Es wurde auch für ihn Zeit nach Hause zu gehen. Salim würde sich gewiss Sorgen machen. Nichtsdestoweniger würde es schwer werden ihm das Fehlen des Abendessens zu erklären… Diabolisch grienend beugte Kid sich zu dem jungen Mann, dessen Oberkörper schlaff auf der Tischplatte lag, hinab: „Verrate mir wie viele Ratten du auf unser Schiff geschleppt hast und ich könnte mich überreden lassen dich ziehen zu lassen.“ Zitternd hob Salim den Kopf. In diesem Moment gab es nichts auf der Welt was er mehr verabscheute als diesen Fremden, der so selbstgefällig die muskulösen Arme vor der Brust verschränkte und die Hüfte zur Seite fallen ließ. Er würde ihn nicht gehen lassen. Eine anmaßende Lüge, der Salim nicht aufsaß: „Leck mich!“, spuckte dein Freund dem rothaarigen Kapitän geradewegs ins Gesicht. Dieser schloss kurz die Augen und lächelte schief. Gewiss, sieben Jahre waren lang, veränderten die Menschen stark, so auch Salim. Welch Ironie, dass Kid, der dereinst so sehr an dem jungen Mann gehangen hatte, nicht die Zeit fand innezuhalten und sich sein Gegenüber eingehender zu betrachten. Wer auf hoher See zu lange zögerte, starb. Erst schlagen, dann fragen und Eustass Kid war jemand, dem die Hand teilweise zu schnell ausrutschte. „Kapitän?“, warf Killer ein, dem es langsam zu viel des Guten wurde. Einen Toten würden sie an Bord nicht gebrauchen können, sintemal es recht beschwerlich war sich an einem betriebsamen Hafen ungesehen einer Leiche zu entledigen. Kid reagierte nicht, hieb das Gesicht des vermeintlichen Fremden letztmalig auf die Arbeitsplatte und schickte ihn kurzerhand in eine mittelschwere Ohnmacht. Entnervt rieb sich der Vize über die Gesichtsmaske: „So wirst du ganz bestimmt nichts erfahren, Eustass.“ „Als ob ich das jemals wollte.“, belferte das Rothaar ungehalten, „Sperr ihn in die Brig und informiere die restlichen Männer, dass sie mir das Schiff bis Achtern umkrempeln sollen!“ Ohne den Bewusstlosen weiter zu beachten schlenderte Kid um seinen Schreibtisch und griff sich den schweren Kapitänsmantel, welcher voluminös über dem Stuhl hing. Der Pelzbesatz aus schwarz und rot drückte schwer auf seine Schultern als er ihn sich überstreifte und prüfend zurechtrückte. Aus purer Gewohnheit schlüpfte er nur mit einem Arm in das Gewand und trotzdem sah er wie ein dekadenter König aus, der über jeden Zweifel erhaben schien: „Ich verlasse mich auf dich, Killer.“ „Was sollen die Jungs machen, wenn sie einen von denen erwischen?“ Kid erwiderte nichts darauf, gab seinem Nakama einen eindeutigen Blick. Die Männer würden das diebische Ungeziefer schon aufspüren: „Ich denke unser kleiner Freund würde sich über etwas Gesellschaft freuen, nicht? Lasst sie am Leben, bis wir wieder in See stechen.“ „Verstanden.“, nickte Killer und sah zu wie sich der Rothaarige den angebrochenen Rum griff und sich anschickte an Land zu gehen. Er wusste genau was Kid vorhatte. Niemals wäre der Vize auf die Idee gekommen ihm deswegen ins Gewissen zu reden, aber er glaubte nicht, dass nach all den Jahren die Frau, von der sein Freund und Bruder im Geiste erzählt hatte, noch aufzufinden war. Wie überflüssig war doch Kid´s verabschiedender Klaps auf seine Schulter, denn Killer kannte eure Geschichte, jeden Punkt und jedes Komma: „Glaubst du ernsthaft, dass Ferret noch lebt?“ Der Angesprochene hielt auf seiner Höhe inne und blitzte ihn aus dem Augenwinkel an: „Sie lebt und ist hier irgendwo. Ich weiß es einfach.“ Killer seufzte. Ihm war klar, dass Kid nicht aus der Stadt verschwinden würde, eh er dich gefunden hatte. Ein langer Aufenthalt stand ihnen bevor, denn du hättest weiß wo sein können und Killer wagte nicht sich vorzustellen was geschehen würde, wenn Eustass´ Suche vor der grünen Wiese endete. Einträchtig legte er seine Hand auf die seines Freundes: „Na ja, dann Mast und Schottbruch, Kapitän.“ „Das brauche ich nicht, bin ein Sonntagskind.“, feixte Kid. Ein ungewöhnliches und seltenes Minenspiel, welches so gelöst und ehrlich wirkte, dass es schon wieder unheimlich war, „Halt mir bloß den Kahn zusammen und die Truppe bei Laune.“ Killer konnte sich ein amüsiertes Glucksen nicht verkneifen. Hoffentlich blieb Kid nicht allzu lange weg, sonst würde der Blonde in arge Erklärungsnot geraten. Wie sollte er den Männern verständlich machen, dass ihr Kapitän nicht aus reiner Lust an der Freude Aloris hatte ansteuern lassen? Kid hatte seinem Stellvertreter viel erzählt, aber auch einiges verschwiegen. Insbesondere dann, wenn es um die emotionale Sache zwischen ihm und dir ging. Allerdings konnte Killer sich die Aussparungen gut zusammenreimen. Er war schließlich kein Idiot. „Hey, Kid!“, hielt der Vize seinen Anführer auf, bevor dieser durch die Tür verschwand, „Sag mal, ist sie dir so viel wert?“ Kid hob eine Augenbraue, stützte sich mit dem Ellebogen am Türrahmen ab und fuhr sich mit dem Zeigefinger über die schmalen, dunkel bemalten Lippen. Es war eine gewagte Frage mit der sein Adjutant sich weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Jeder andere hätte damit in ein Hornissennest gestochen, indes durfte Killer sich etliche Dinge erlauben, die partiell über Kid´s persönliche Toleranzgrenzen gingen. Ehrlich gesagt, dachte er tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde darüber nach den Blonden für diese Kaltschnäuzigkeit abzustrafen, verwarf diesen Gedanken jedoch schleunigst. Bei allem was Heilig war, Dämon hin oder her, niemals würde er so tief sinken, dass er seine Nakamas schlug. Zu ihnen war er zwar hart aber niemals grausam. Salim hatte ihn auch nie geschlagen, egal wie groß der verzapfte Mist sein mochte. Die alte Konservenfabrik lag etwas abseits im stillgelegten Industrieviertel. Einsam, rostig und grau klebte das weitläufige Areal als ungeliebtes Anhängsel an Aloris. Welcher Ort wäre demnach besser als Unterschlupf geeignet wie dieser? Salim, der wie auf glühenden Kohlen in der großen Halle zwischen verfallenen Verpackungsbändern und löchrigen Maschinen hockte und die Sekunden zählte, hatte sich in eine besorgte Verärgerung gewartet. Er vertraute seinem Freund, wusste, dass Kid ein raffinierter, kleiner Dieb war, aber das dauerte zu lange. Seine Leute hatten Hunger und wenn der Knirps bummelte, was Kid mitunter gerne tat, würde er ihn übers Knie legen oder ihm zumindest die Standpauke des Jahrhunderts halten. Über der Produktionshalle erhob sich die gläserne Front der ehemaligen Büros, hinter denen das Licht angezündeter Kerzen diffus und schaurig schön die abgewetzten Grautöne der modrigen Mechanikmüllkippe, die sie zu Hause nannten, erhellte. Jeder noch so kleine Windzug fauchte wie ein Gespenst durch die Stille, die sich gähnend um den Jungen ausbreitete. Salim hasste es zu warten. Die selbstauferlegte Isolation brachte Erinnerungen wieder und die wollte er nicht haben. Niemals mehr! Darum war er weggelaufen. Weit weg mit Kid, seinem Lieblingspimpf, dessen Schrulligkeit er ins Herz geschlossen hatte. Kid war, aus Salims Sicht, ein aufgeweckter Gnom mit einem aparten, trockenem Humor und einer angenehmen Antinomie. Zu einem war das Kind, welches die Welt und alles darin faszinierend fand, das Herz auf der Zunge trug und erfrischend naiv war. Andererseits war da dieser, in ihm schlummernde, Teufel, der sich bereits ansatzweise zeigte. Diesem inneren Dämon, wie auch immer man das beschreiben wollte, war es zu verdanken, dass Kid gegen die widrigsten Bedingungen bestehen konnte. Der Junge war unverwüstlich, kaltblütig und stolz. Sehr stolz… ja, fast schon borniert. Ein erstaunlicher Wesenszug für ein Kind, welches wie kein anderes seinen Weg gehen würde. Widerwärtig knarzte die Luke der Rampe im Lager und quietschte durch die Totenstille. Erleichtert atmete Salim auf und erhob sich, lauschte den eilig herantrapsenden Schritten: „Kid?“, rief er forschend und wartete bis der kleine Querkopf sich aus den gähnenden Schatten jenseits des Lichtkegels schälte. „Du hast auf mich gewartet?“, brubbelte Kid geknickt und vergrub die Hände in den Taschen. Ja natürlich hatte Salim auf ihn gewartet! Er hatte sich schreckliche Sorgen gemacht, die erfreulicherweise unbegründet waren. Aber irgendwie stimmte etwas nicht. Der Sack für die Vorräte fehlte und sein Kumpel sah mitgenommen aus. Was war passiert und vor allem: WO war das ESSEN?! Räuspernd trat Kid von einem Fuß auf den anderen und zog den Inhalt seiner Nase hoch: „Ist mir abhanden gekommen.“ Welch hübsche Umschreibung für eine derartige Katastrophe. Salim fiel aus allen Wolken und schlug die Hände vors Gesicht. Tausend gemeine Flüche böllerten durch sein Oberstübchen als der Knirps ihm im Detail schilderte was vorgefallen war… Eine lange Stille war zwischen den beiden Piraten eingetreten, während Kid nach den passenden Worten suchte. Er war sich sicher, dass Killer die Frage auch für sich alleine hätte beantworten können. Sein Vize war diskret und verschwiegen, spielte den Vorzug, genauestens über dich und ihn bescheid zu wissen, nicht vorteilig aus. Gleichwohl und vielleicht gerade deswegen war Kid ihm eine Antwort schuldig. Aus Killers Stimme hatte er unliebsame Skepsis vernommen, die durchaus berechtigt war. Kid ging mit seiner Hinhaltetaktik, dem verschweigen der Tatsachen… dieser Halbwahrheit, wissentlich das Risiko einer Insurrektion unter den gelangweilten Männern ein und das bereitete Killer Kopfzerbrechen. Kid spürte, dass der Blondschopf ihn durch die Maske anstarrte. Dieses eine Flüstern, so leise und tief, dass es wie ein ungewolltes Grollen klang, sollte ihm Bestätigung genug sein: „Ja.“ Kapitel 4: ----------- Die Marder hatten das Gebiet der Unterstadt besetzt, galten als die älteste und einflussreichste Kinderbande der Insel. Nicht zuletzt der gute Standpunkt eures Unterschlupfs nahe einem Finanzhaus, das auffallend der Geldwäsche der dubiosen Unterwelt nachging, sorgte dafür, dass ihr für die Stadtpolizei in gewissem Maß unantastbar wart. Natürlich nur so lange, bis man euch bei einem eurer krummen Dinger, die Drew, dein Boss und selbsternannter großer Bruder, immer häufiger einfädelte und drehte, zu fassen bekam. Er würde in ein paar Wochen die Volljährigkeit erreichen, mischte bereits bei einem kleinen Verbrechersyndikat mit und verdiente sich dort die ersten Sporen als Schläger. Du warst dir allerdings sicher, dass er bereits ausgeflogen und nicht mehr im Versteck aufzufinden war. Es machte dich traurig zu wissen, dass Drew sich immer weiter abkapselte, denn du hegtest eine kindliche Schwärmerei für den überaus charmanten Siebzehnjährigen, glaubtest aber nicht daran, dass dein Chef das ernst nahm, auch wenn er auf deine letzte, gestammelte Liebeserklärung äußerst lässig reagiert und gemeint hatte, dass die Zeit zeigen würde, was sich zwischen euch beiden ergeben wird. „Sei bitte vorsichtig.“, wispertest du mit einem letzten Blick in die Ferne und klapptest die Feuerleiter eines Mehrfamilienhauses nach unten. Vom Stadtplatz in die Unterstadt war es nicht weit, da du dich aber für die sicherste von allen Varianten entschieden und einen der vielen Schleichwege über die Dächer genommen hattest, war die Sonne bereits gänzlich hinter dem Horizont versunken und das letzte Licht des Tages durch den Schein der Fenster und Straßenlampen ersetzt worden. Es tat dringend Not endlich heim zu kommen und so kraxeltest du flink an den Sprossen hinab. Prüfend blicktest du dich in der engen Gasse, die abscheulich nach Rattenkot und Urin stank, um und schmuggeltest dich an der Häuserwand entlang, immer darauf bedacht still zu sein und, wie Drew dir eingebläut hatte, im Schatten zu bleiben. Selbst hier an der Bank, deren maroder Holzzaun in den weitläufigen Hof führte, warst du nicht sicher. Mehrere Polizisten liefen durchweg Streife und in deiner Fantasie glaubtest du, dass die Augen dieser Männer sogar bei tiefster Dunkelheit hervorragend sehen konnten, wenn sie denn ein verräterisches Geräusch aufmerksam machte. Du wärst lieber gestorben als dass du dich hättest fangen lassen und warst froh als deine Finger endlich die losen Zaunlatten ertasteten. Durchweg alle Bandenmitglieder klommen an der Einfriedung empor, dennoch waren sie so freundlich gewesen ein paar Stecken für dich zu lockern, denn zum klettern fehlte es dir schlichtweg an Kraft. So konntest du bequem und schnell in Sicherheit schlüpfen ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Federleicht, in bestechender Form, hangeltest du dich auf eine Querstrebe fernab der gehässig leuchtenden Öllampe, welche ihr Licht träge auf den darunter verlaufenden Gang warf. Im Schatten, still und lauernd, wartetest du die beiden Piraten ab, die nichts ahnend, einem Plausch frönend, unter dir hinweg liefen. Sie tratschten über alltägliche Dinge des Piratenlebens, das sich offenkundig nur um Feiern, Suff und Weiber drehte. Wie oft du unfreiwilliger Zeuge solcher Unterredungen geworden warst, konntest du nicht mehr zählen, dennoch rief die Unflätigkeit in ihren Worten allzeit einen tiefen Ekel in dir hervor. Selbst als Straßenkind hattet ihr euch nie derlei lebhaften Ausdrücken bedient, wenngleich dein Vokabularium alles andere als ladylike war. „Was´n mit dem Kapt´n los, hä?“, schwenkte einer der Männer, ein bulliger Kerl mit beachtlichem Stiernacken, das Thema auf einen neuen, für dich höchst interessanten Aspekt. Es schadete nie zu wissen wo sich der Kapitän gerade aufhielt und was für ein Mensch er war, denn die Herren zur See gehörten, gleich wie dumpf die restliche Crew auch sein mochte, zu einem ganz anderen Kaliber, welches man keineswegs unterschätzen durfte. Viele Kapitäne waren mit einer geradezu teuflischen Intelligenz gesegnet, allgegenwärtig und konnten ohne Vorwarnung hinter einem stehen. Was dann geschah konntest und wolltest du dir nicht ausmalen, es reichte schon, dass dir vor ein paar Wochen die grausame Geschichte einer Hafendiebin zu Ohren gekommen war, deren Schicksal dir sämtliche Farbe aus dem Gesicht getrieben hatte. Die Zeitungen hatten sich um den Autopsiebericht gerissen und ungeniert alle Details ihres qualvollen, entehrenden Todes breitgetreten. Für Frauen, sofern sie nicht mit den Vorzügen eines betuchten Elternhauses geboren wurden, gab es wenige Möglichkeiten in dieser Stadt zu Geld zu kommen. Entweder man verkaufte seinen Körper oder man wurde kriminell, wobei weder das eine noch das andere in irgendeiner Weise erstrebenswert war. Du lebtest riskant und die junge Frau, deren Leichnam man Tage später aus dem Hafenbecken gefischt hatte, war ein klagender Fingerzeig auf den traurigen Ausgang dieses hochbrisanten Spiels mit dem Feuer. Stumm schütteltest du den Kopf um klar bei Verstand zu bleiben. Je mehr du über die Risiken nachdachtest, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit von Fehltritten. Du warst ein Profi, aber das war sie auch gewesen... Unter dir waren die beiden Seeräuber derweil zum Stehen gekommen: „Was soll denn mit ihm los sein?“, hakte der Kumpan des Stiernackens nach und strich sich das fettige Haar seiner schwarzen Mähne zurück. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Zähneknirschend schleudertest du bitterböse Flüche in deinem Kopf von links nach rechts. Es lag zwar in deinem Interesse ein paar Informationen aufzuschnappen, aber wenn die beiden Quasselstrippen einen behaglichen Klatsch vor deinem Schlupfwinkel veranstalteten, dann würdest du den Soll nicht einhalten können. Bei einem Schiffsraub zählte jede verstrichene Minute. Du wagtest kaum zu atmen, geschweige denn eine unüberlegte Bewegung zu tun. Trotz, dass das Holz um dich herum knarrte, weil es durchweg arbeitete und somit einen vertrauten Laut für die Gesprächspartner darstellte, kamst du dir vor wie auf dem Präsentierteller und langtest unweigerlich an den Ring um deinen Hals. Dieses unscheinbare Kleinod, hatte dir mehrmalig zuträglichen Halt in Augenblicken höchster Anspannung beschert und auch diesmal ließ dich der erhoffte Placeboeffekt einer routinierten, kaum bemerkten Geste nicht im Stich. „Na, wieso kommen wir in diese Stadt?“, mit verschränkten Armen faselte der Kraftprotz weiter, „Wir sollten längst auf den Weg zum Rivers Mountain sein.“ „Ich weiß auch nicht, was er sich damit erhofft. Möglicherweise liegt's an einer Frau?“ „Pah!“, der Pirat spuckte aus, „Weiber bringen nur Pech! Sonst is der Kapt´n auch nicht so…. so…“ „Sentimental?“, half der Schwarzhaarige seinem ungelenken Freund auf die Sprünge und fing sich als Belohnung für seine Beredtheit einen wuchtigen, klatschenden Hieb auf seine braungebrannte Schulter ein. Daraufhin, unfassbar belustigt über die Vorstellung ihres turtelnden Kapitäns, brachen die Nakama in lautes, spöttisches Gelächter aus. Du konntest dir nicht vorstellen, dass die beiden Scherzartikel in Gegenwart ihres Vizekapitäns, der sie, wie du erfuhrst, auf das Oberdeck beordert hatte, so unverhohlen den Kapitän diffamieren würden. Wer indes noch nie einen grundschlechten Spruch über seine Anführer vom Stapel gelassen hatte, der werfe den ersten Stein. Dem ungeachtet brutteltest du vereinzelt auch über Salim, wenn er wieder mal seinen Unsinnigkeiten nachkam und im Freudenhaus seinen Anteil der Beute versoff, verspielte und verhurte. Himmel, über DAS wolltest du gegenwärtig partout nicht nachsinnen, da es dir sehr anstandswidrig vorkam! Dein Boss war dir durchweg eine selbstlose Stütze gewesen, ein Bruder wie du ihn nicht einmal in Drew gefunden hattest. Du schlucktest schwer bei dem Gedanken an deinen ehemaligen Anführer und umklammertest den Silberring fester als würde er dich davor bewahren in deinen eigenen Erinnerungen zu ertrinken. Es gab so viele Wege, wie „Dachshund“ Drew es besser hätte machen können, denn im Gegensatz zu euch war er kein Waise gewesen. Er lebte aus freien Stücken auf der Straße, wollte nicht zurück in das gepflegte Nobelviertel von Aloris und in einer Welt aus Lug, Trug und schönem Schein dahinvegetieren. Über die Gründe des Ausreißers hattest du viel spekuliert, sie dennoch nie erfahren und vielleicht, so glaubtest du heute zu wissen, war seine Geschichte nicht anders als die von euch allen. Immerhin weilte nicht unter jeder sprichwörtlichen Kutte gebenedeite Frömmigkeit und der Marasmus zog sich durch alle Kasten der Schäre. Daher standst du solchen Themen sehr sensibel gegenüber und miedst geflissentlich körperliche Nähe zu fremden Männern. Für dich hatte es nur Einen gegeben und du fühltest dich ihm, sogar sieben Jahre nach seinem Tod, pflichtig. Mit einem leisen Seufzen schobst du all dies aus deinem Gedankenfeld, schwangst dich stattdessen, nachdem sich die witzelnden Piraten endlich aus deiner Hörweite verzogen hatten, vom Balken und setztest deinen Weg zum Depot fort. Eventuell solltest du dich bei dem Vize nach getaner Arbeit in Form eines Briefs bedanken, dass er dir so freiweg zugespielt hatte? Innerlich jubelnd stahlst du dich den Gang weiter und nahmst die letzte Treppe, die dich an das Ziel deiner infamen Mission lotste. Dem Frachtraum der Lascivious Devil. So einfach hatte man es dir noch nie gemacht. „Los, Räuberleiter!“, wisperte Salim entschlossen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die hohe Abfalltonne des Restaurants. Kid und er hatten sich noch am selben Abend auf den Weg in die Schlemmermeile gemacht, einem Straßenzug voll mit Gaststätten, auf deren schimmeligen Hinterhöfen meist mehrere Mülltonnen mit Abfall standen. Was die Köche nicht brauchten, warfen sie weg und mit etwas Glück konnte man dort immer noch verwertbare Lebensmittel finden. Die beiden Jungs wühlten nicht gerne darin herum, denn Abfall war eben Abfall und nicht als echtes Essen zu bewerten, doch sie konnten ihre Truppe nicht länger hungern lassen. Eine gute Stunde Fußmarsch trennte sie von ihrem Unterschlupf und wurde zu einer gefährlichen Schleichaktion, da nach zweiundzwanzig Uhr mehrere Büttel ihre Runden drehten und jeden in Gewahrsam nahmen, der irgendwie suspekt erschien. Mit suspekt meinten sie natürlich die Straßenkinder, obwohl die Polizei aus ihrer Aufgabe ein sehr abartiges Spiel gemacht hatte. Salim Duperie´s Bande zog häufig durch die Vororte und brach in die dortigen Wohnhäuser ein. Die Kinder entwendeten zumeist Geld, Schmuck und andere Wertsachen. Nun konnte man denken, dass sie sich davon Essen kauften, doch brauchten sie den Krempel lediglich für eine einzige Sache: Bestechung. Sie wurden von der Staatspolizei verfolgt, weil Aloris die Kinderbanden zersprengen und in die Heime verfrachten wollte. Zu groß war die Sorge, dass aus den Kleinkriminellen irgendwann eine organisierte Verbrechenswelle entstehen würde, aber die Sicherheitspolizei hatte eine einträgliche Geldquelle in der Verzweiflung der Kinder gefunden. Jede Woche trat Salim eine Gebühr an den Hauptmann des Bezirks ab, erkaufte sich die Gnade der Büttel, die bei ihren gesetzwidrigen Aktivitäten einfach wegsahen. So konnten sie sich relativ ungestört in ihrem Revier bewegen, auch wenn der Oberaufseher der Schutztruppe eindeutig am längeren Hebel saß. Er konnte nach Lust und Laune die Höhe des Schmiergeldes bestimmen. War es ihm zu wenig, legte er die Daumenschrauben an und machte ihnen im Verlauf der folgenden Woche das Leben zur Hölle und verlangte am nächsten Zahltag die doppelte Summe. Eine endlose Spirale, ein Fass ohne Boden. Irgendwann konnten sie nicht mehr genug Geld herbeischaffen und momentan lief es nicht gut für die Duperie- Bande. Sie hatten seit Längerem eine dicke Pechsträhne und konnte den überzogenen Forderungen nur bedingt Folge leisten. Salim wusste um die Verantwortung, die er innehatte und wollte keine Angst unter seinen Leuten schüren, trug infolgedessen seine Bürden alleine. Davon ahnte Kid, der seinen Fuß in die ineinander gefalteten Hände seines Freundes stellte und sich mit Schwung in die Tonne befördern ließ, nichts. Die Gedanken des Buben kreisten sowieso gerade um etwas ganz anderes. Dich. Auf dem Weg zu ihrem nächtlichen `Einkauf´ hatte er ununterbrochen über seine neue Bekanntschaft geschwärmt und belustige Blicke seines Anführers kassiert. Er, mit seinen vierzehn Jahren, wusste was das für ein seltsamen Gefühl gewesen war. Dem ungeachtet behielt Salim seine Mutmaßungen und den typischen Spott für sich, grinste nur still in sich hinein. Irgendwann würde Kid es von selbst verstehen. Der Lagerraum war, wie nicht anders zu erwarten, schummrig und frei von störenden Piraten. Durch ein paar halb geöffnete Scharten fielen nur sporadisch die speerartigen Lichtsäulen des hellen Tages, brachen sich an den zurückgezogenen Kanonen, die man allesamt fest vertäut hatte und im Gefecht an die Luken schob. Es waren durchschlagskräftige Waffen aus schwarzem Eisen, dessen tonnenschweres Gewicht auf dafür präparierten Halterungen ruhte. Zugenagelte, penibel sortierte Kisten und Fässer säumten deinen Weg. Auf das Holz hatte man mit roter Farbe Nummern und Abbreviationen geschmiert. Offensichtlich um sie schneller zuordnen und verräumen zu können. Auf den Inhalt dieser Behälter hattest du es abgesehen, dem ungeachtet machtest du vorerst einen Bogen darum und schlichst weiter, vorbei an Seilwinden, Munitionskisten, allem möglichen und unmöglichen Seemannszeug. Entgegen deiner nicht vorurteilfreien, weil tausend Mal bestätigten Meinung, war das Depot aufgeräumt und geordnet. Kaum zu glauben, dass hier vor einer Stunde noch fleißig verladen wurde. Sonst galt der Schiffsraum als Festanger für Ratten, Mäuse und sonstige blinde Passagiere der Ungezieferwelt. Wahrlich, wahrlich, das waren keine Debütanten und sie schienen im South Blue herumgekommen zu sein. Du würdest deine Neugier bezüglich der Ladung später befriedigen, da du wusstest, dass im hinteren Teil des Lagers ein nicht zu verachtender Schatz wartete. Neben Gewürzen war Alkohol ein gefragtes Handelsgut, wenngleich Piraten es bevorzugten, sich den Fusel selbst hinter die Binde zu kippen. Es war der erste und beste Grund für sie überhaupt Land zu betreten. Durch ihre Reisen befand sich ein enormer Wert an Spirituosen, Bier und Schnaps an Bord. Stellenweise sogar echte Raritäten, vorbehalten für den Kapitän, an die man als normalsterblicher Inselbewohner gar nicht herankam. Die Hafenkneipen rieben sich die Hände danach und Salim und du machten durch das regelmäßige Fleddern der hochprozentigen Vorräte ein profitables Geschäft mit den Schankwarten der Stadt. Für ein paar Fässer Brandwein aus Saint Urea hagelte es teils sechsstellige Berrybeträge, zumal die dortige Staatsmacht von den Revolutionären gestürzt worden war und die Insel von der Regierung gegenwärtig mit einem harten Embargo geknechtet wurde. Die Zeiten waren günstig für dich und deine Zunftgenossen und tatsächlich solltest du dich in deiner Annahme nicht täuschen, denn an der Rückwand des Speichers, bevor man ritterlich zur Brig, dem Schiffskerker, geleitet wurde, stapelten sich die gesuchten Juwelen der Brauereikunst. Ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Alkohol, welcher deiner feinen Nase nicht verborgen blieb, waberte um die Behälter und ließ dich leise jauchzen. Obwohl du alleine warst zwängtest du dich weiterhin zwischen der Fracht entlang. Kein Risiko, auch wenn die voll gestopfte Einsamkeit zu vorschnellem Handeln einlud. Der schnelle Schulterblick war eingeübt, kam unvermeidlich zum Einsatz bevor du in die nächste Deckung glittst und irgendwann vor deinem ersten Etappenziel standst. Klingende Münze, hier kamst du! Natürlich waren viele Fässer zu groß, aber die Kisten mit dem Reiswein und dem Ale waren ideales Handgepäck und würden sich leicht aus einer der Luken ins Wasser abseilen lassen. Von deiner Schulter lupftest du eines der mitgenommenen Taue und wickeltest es eilig um die hölzernen Tragegriffe. Auch wenn es eine Plackerei war, so empfandst du es als den leichteren Teil der Übung. Später, wenn du das Kleinzeug aus den Mannschaftsräumen entwenden würdest, hättest du mehr Arbeit, da du katzenartig zwischen Tatort und deinem kleinen Fässerversteck auf dem Oberdeck pendeln musstest. Soweit sollte es diesmal jedoch nicht kommen, denn hinter der Trennwand vernahmst du, kaum das du die erste Kiste reisefertig verschnürt hattest, dumpf und gequält das leise Keuchen eines Mannes. Zuerst fuhrst du zusammen, warst schon im Begriff zu flüchten, doch die Erwähnung deines Namens ließ dich in deiner Bewegung einfrieren. Deine Augen weiteten sich geschockt als deine Beine dich unweigerlich hinter die Holzwand und zu der armen Seele, gefangen im Piratenkerker, trugen. Mit einem appetitlichen PLATSCH landete das Rothaar in der Tonne und versank bis zu den Hüften in der gärenden Schlacke. Panisch krabbelten ein paar fette Schaben über den Rand des Behälters und flüchteten sich in die Schatten der jungen Nacht. Kid störte sich nicht daran, sah vornehmlich den Nutzen dieser siffigen Aktion und begann beflissen im Dreck zu graben: „Weißt du, sie hat gesagt, dass sie mich wieder sehen will.“, brubbelte er und ein glühender Streifen Purpur flog dabei über seine Wangen, „Sie meinte, dass sie mich mag…“ „Ich würde dich auch mögen, wenn du endlich etwas Essbares findest!“, stöhnend verschränkte Salim die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den rostigen Stahl der Mülltonne. Er hatte Hunger und das Loch in seinem Bauch würde sich, anders als bei Kid, nicht mit Schmetterlingen füllen lassen. Er freute sich für den Knirps, aber die Freude wäre aufrichtiger, wenn Salims Magen aufhören würde brummelnde Arien zu singen. Schmollend schnaufte Kid und begann geeignete Speisereste, die nicht wie drei Monate alter Käse rochen, in den mitgebrachten Leinensack zu stopfen. Mitten in dieser zum Himmel stinkenden Tätigkeit meldete sich sein feines Gehör und ließ ihn zweifelnd über den Rand schauen. Ein Leben auf der Lauer schärfte die Sinne, machte sie für jeden noch so kleinen Laut sensibel: „Hast du das gehört?“, flüsterte er zu seinem Freund, der ebenfalls mit angespannter Miene auf die Straße starrte, die sich dunkel und trist, halb verborgen hinter einem Zaun, neben ihnen erstreckte. Abrupt packte Salim Kid am Hemdkragen und zog ihn mit unbegreiflicher Kraft aus der Tonne. Zischend stieß Kid´s Boss einen Fluch aus, zerrte das Rothaar hinter den Abfallbehälter und presste seine Hand auf dessen Mund. Mit dem Zeigefinger deutete Salim an still zu sein, riskierte allerdings einen kurzen Blick zurück und versuchte in der Nacht irgendetwas zu erkennen. Mehrere schwere Schritte kamen selbstbewusst näher und lärmten für die empfindlichen Ohren der beiden Jungen so laut wie Elefanten. „Weißt du warum der Boss dich heute zum Essen geladen hat, Dachshund?“, die sägende Stimme eines Mannes platzte in er Dunkelheit auseinander und die schwammigen Schattenrisse dreier Personen wurden sichtbar. Salims Augenbraue zuckte nervös. Er schwor bei seiner Pfiffigkeit, dass dieses arrangierte Dinner, an dessen Resten sie sich gütlich tun wollten, kein gutes Zeichen war. Er konnte den Namen Dachshund leicht zuordnen und ihm gefiel der drohende Spott der ausgesprochenen Worte kein bisschen. Kid neben ihm kämpfte derweil mit der Luft und begann zu zappeln: „Sei still!“, wisperte Salim und presste das Gesicht seines Kameraden an seine Brust. Ein falscher Laut und sie wären in Gefahr. Das spürte Salim instinktiv. Drew, der Dachshund, sagte nichts und was immer er getan hatte, er war seinem Paten lästig geworden. „Was ist los, Dachs?! Sonst reißt du dein Maul auch so weit auf!“ „Lasst die Kinder in Ruhe. Sie haben nichts damit zu tun.“, war das Letzte was Drew von sich gab, bevor das Klicken des Hammers einer Pistole in das laute Krachen eines Schusses mündete… „Salim!“, stießt du aus und klammertest dich panisch an die Gitterstäbe des Gewahrsams. Dein Boss lag wie ein Häufchen Elend darin. Blut tropfte aus seiner Nase, deren Bruch deutlich zu erkennen war. Lose Strähnen hingen aus seinem Zopf, klebten in seinem Gesicht, übersät mit Platzwunden, Schmissen und Ergüssen. Zitternd versuchte sich dein Gefährte aufzurappeln, doch der pochende Schmerz, der weiterhin hinter seiner Stirn grollte und alles vor seinen Augen verschwimmen ließ, verwährte ihm dieses Streben. Fluchend, keinen weiteren Augenblick zögernd, nesteltest du aus deiner Gesäßtasche ein Passepartout und begannst damit im massiven Schloss zu pulen. „Verschwinde einfach hier, Ferret!“, hustete Salim und streckte defensiv den muskulösen Arm von sich. „Zur Hölle nein!“, keiftest du, während in deinem Kopf die Geschichte der geschändeten Hafendiebin erneut ihre Runden zu drehen begann. So weit kam es noch, dass du deinen besten Freund der Gnade dieses Seefahrerpacks ausliefern würdest! Ihr hattet versagt, dennoch war die Gelegenheit günstig noch einmal mit einem blauen Auge davonzukommen, „Ich hol dich hier raus und dann verschwinden wir auf dem kürzestem Weg, klar?!“ Der dünne Draht tockte gegen den ersten Bolzen und gab diesen mit einem erlösenden Klacken frei. In der Zelle begann der Braunhaarige derweil cholerisch zu ächzen und kämpfte sich schwankend nach oben: „Verzieh dich, Mädchen!“ „Verdammt noch mal, Salim ich…“, raue Finger griffen schraubstockartig nach deinem Handgelenk und zerrten dich grob daran zurück. Du wurdest über den Boden geschliffen, verfolgtest verdattert wie sich die Zelle, an deren Stäbe nun dein Anführer stürzte und inständig die Hand nach dir ausstreckte, aus deiner Reichweite entfernte. Über dir tat sich die maskuline Figur des Vizekapitäns auf, der dich durch seine Gesichtsmaske beäugte. Ein leises Lachen brodelte in seiner Kehle und du wusstest, dass dies alles und nichts bedeuten konnte. Deine Vernunft plärrte in deinen Gedanken, schleuderte dir haltlose Vorwürfe und Predigten entgegen, verstummte schließlich und wich bunt blitzenden Sternen, welche vor deinen Augen schrill herumtanzten als der Blonde dich am Hals packte und mit dem Hinterkopf gegen die Wand schmetterte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)