Lascivious Devil von abgemeldet (Die Kinder einer Stadt) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Die Marder hatten das Gebiet der Unterstadt besetzt, galten als die älteste und einflussreichste Kinderbande der Insel. Nicht zuletzt der gute Standpunkt eures Unterschlupfs nahe einem Finanzhaus, das auffallend der Geldwäsche der dubiosen Unterwelt nachging, sorgte dafür, dass ihr für die Stadtpolizei in gewissem Maß unantastbar wart. Natürlich nur so lange, bis man euch bei einem eurer krummen Dinger, die Drew, dein Boss und selbsternannter großer Bruder, immer häufiger einfädelte und drehte, zu fassen bekam. Er würde in ein paar Wochen die Volljährigkeit erreichen, mischte bereits bei einem kleinen Verbrechersyndikat mit und verdiente sich dort die ersten Sporen als Schläger. Du warst dir allerdings sicher, dass er bereits ausgeflogen und nicht mehr im Versteck aufzufinden war. Es machte dich traurig zu wissen, dass Drew sich immer weiter abkapselte, denn du hegtest eine kindliche Schwärmerei für den überaus charmanten Siebzehnjährigen, glaubtest aber nicht daran, dass dein Chef das ernst nahm, auch wenn er auf deine letzte, gestammelte Liebeserklärung äußerst lässig reagiert und gemeint hatte, dass die Zeit zeigen würde, was sich zwischen euch beiden ergeben wird. „Sei bitte vorsichtig.“, wispertest du mit einem letzten Blick in die Ferne und klapptest die Feuerleiter eines Mehrfamilienhauses nach unten. Vom Stadtplatz in die Unterstadt war es nicht weit, da du dich aber für die sicherste von allen Varianten entschieden und einen der vielen Schleichwege über die Dächer genommen hattest, war die Sonne bereits gänzlich hinter dem Horizont versunken und das letzte Licht des Tages durch den Schein der Fenster und Straßenlampen ersetzt worden. Es tat dringend Not endlich heim zu kommen und so kraxeltest du flink an den Sprossen hinab. Prüfend blicktest du dich in der engen Gasse, die abscheulich nach Rattenkot und Urin stank, um und schmuggeltest dich an der Häuserwand entlang, immer darauf bedacht still zu sein und, wie Drew dir eingebläut hatte, im Schatten zu bleiben. Selbst hier an der Bank, deren maroder Holzzaun in den weitläufigen Hof führte, warst du nicht sicher. Mehrere Polizisten liefen durchweg Streife und in deiner Fantasie glaubtest du, dass die Augen dieser Männer sogar bei tiefster Dunkelheit hervorragend sehen konnten, wenn sie denn ein verräterisches Geräusch aufmerksam machte. Du wärst lieber gestorben als dass du dich hättest fangen lassen und warst froh als deine Finger endlich die losen Zaunlatten ertasteten. Durchweg alle Bandenmitglieder klommen an der Einfriedung empor, dennoch waren sie so freundlich gewesen ein paar Stecken für dich zu lockern, denn zum klettern fehlte es dir schlichtweg an Kraft. So konntest du bequem und schnell in Sicherheit schlüpfen ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Federleicht, in bestechender Form, hangeltest du dich auf eine Querstrebe fernab der gehässig leuchtenden Öllampe, welche ihr Licht träge auf den darunter verlaufenden Gang warf. Im Schatten, still und lauernd, wartetest du die beiden Piraten ab, die nichts ahnend, einem Plausch frönend, unter dir hinweg liefen. Sie tratschten über alltägliche Dinge des Piratenlebens, das sich offenkundig nur um Feiern, Suff und Weiber drehte. Wie oft du unfreiwilliger Zeuge solcher Unterredungen geworden warst, konntest du nicht mehr zählen, dennoch rief die Unflätigkeit in ihren Worten allzeit einen tiefen Ekel in dir hervor. Selbst als Straßenkind hattet ihr euch nie derlei lebhaften Ausdrücken bedient, wenngleich dein Vokabularium alles andere als ladylike war. „Was´n mit dem Kapt´n los, hä?“, schwenkte einer der Männer, ein bulliger Kerl mit beachtlichem Stiernacken, das Thema auf einen neuen, für dich höchst interessanten Aspekt. Es schadete nie zu wissen wo sich der Kapitän gerade aufhielt und was für ein Mensch er war, denn die Herren zur See gehörten, gleich wie dumpf die restliche Crew auch sein mochte, zu einem ganz anderen Kaliber, welches man keineswegs unterschätzen durfte. Viele Kapitäne waren mit einer geradezu teuflischen Intelligenz gesegnet, allgegenwärtig und konnten ohne Vorwarnung hinter einem stehen. Was dann geschah konntest und wolltest du dir nicht ausmalen, es reichte schon, dass dir vor ein paar Wochen die grausame Geschichte einer Hafendiebin zu Ohren gekommen war, deren Schicksal dir sämtliche Farbe aus dem Gesicht getrieben hatte. Die Zeitungen hatten sich um den Autopsiebericht gerissen und ungeniert alle Details ihres qualvollen, entehrenden Todes breitgetreten. Für Frauen, sofern sie nicht mit den Vorzügen eines betuchten Elternhauses geboren wurden, gab es wenige Möglichkeiten in dieser Stadt zu Geld zu kommen. Entweder man verkaufte seinen Körper oder man wurde kriminell, wobei weder das eine noch das andere in irgendeiner Weise erstrebenswert war. Du lebtest riskant und die junge Frau, deren Leichnam man Tage später aus dem Hafenbecken gefischt hatte, war ein klagender Fingerzeig auf den traurigen Ausgang dieses hochbrisanten Spiels mit dem Feuer. Stumm schütteltest du den Kopf um klar bei Verstand zu bleiben. Je mehr du über die Risiken nachdachtest, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit von Fehltritten. Du warst ein Profi, aber das war sie auch gewesen... Unter dir waren die beiden Seeräuber derweil zum Stehen gekommen: „Was soll denn mit ihm los sein?“, hakte der Kumpan des Stiernackens nach und strich sich das fettige Haar seiner schwarzen Mähne zurück. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Zähneknirschend schleudertest du bitterböse Flüche in deinem Kopf von links nach rechts. Es lag zwar in deinem Interesse ein paar Informationen aufzuschnappen, aber wenn die beiden Quasselstrippen einen behaglichen Klatsch vor deinem Schlupfwinkel veranstalteten, dann würdest du den Soll nicht einhalten können. Bei einem Schiffsraub zählte jede verstrichene Minute. Du wagtest kaum zu atmen, geschweige denn eine unüberlegte Bewegung zu tun. Trotz, dass das Holz um dich herum knarrte, weil es durchweg arbeitete und somit einen vertrauten Laut für die Gesprächspartner darstellte, kamst du dir vor wie auf dem Präsentierteller und langtest unweigerlich an den Ring um deinen Hals. Dieses unscheinbare Kleinod, hatte dir mehrmalig zuträglichen Halt in Augenblicken höchster Anspannung beschert und auch diesmal ließ dich der erhoffte Placeboeffekt einer routinierten, kaum bemerkten Geste nicht im Stich. „Na, wieso kommen wir in diese Stadt?“, mit verschränkten Armen faselte der Kraftprotz weiter, „Wir sollten längst auf den Weg zum Rivers Mountain sein.“ „Ich weiß auch nicht, was er sich damit erhofft. Möglicherweise liegt's an einer Frau?“ „Pah!“, der Pirat spuckte aus, „Weiber bringen nur Pech! Sonst is der Kapt´n auch nicht so…. so…“ „Sentimental?“, half der Schwarzhaarige seinem ungelenken Freund auf die Sprünge und fing sich als Belohnung für seine Beredtheit einen wuchtigen, klatschenden Hieb auf seine braungebrannte Schulter ein. Daraufhin, unfassbar belustigt über die Vorstellung ihres turtelnden Kapitäns, brachen die Nakama in lautes, spöttisches Gelächter aus. Du konntest dir nicht vorstellen, dass die beiden Scherzartikel in Gegenwart ihres Vizekapitäns, der sie, wie du erfuhrst, auf das Oberdeck beordert hatte, so unverhohlen den Kapitän diffamieren würden. Wer indes noch nie einen grundschlechten Spruch über seine Anführer vom Stapel gelassen hatte, der werfe den ersten Stein. Dem ungeachtet brutteltest du vereinzelt auch über Salim, wenn er wieder mal seinen Unsinnigkeiten nachkam und im Freudenhaus seinen Anteil der Beute versoff, verspielte und verhurte. Himmel, über DAS wolltest du gegenwärtig partout nicht nachsinnen, da es dir sehr anstandswidrig vorkam! Dein Boss war dir durchweg eine selbstlose Stütze gewesen, ein Bruder wie du ihn nicht einmal in Drew gefunden hattest. Du schlucktest schwer bei dem Gedanken an deinen ehemaligen Anführer und umklammertest den Silberring fester als würde er dich davor bewahren in deinen eigenen Erinnerungen zu ertrinken. Es gab so viele Wege, wie „Dachshund“ Drew es besser hätte machen können, denn im Gegensatz zu euch war er kein Waise gewesen. Er lebte aus freien Stücken auf der Straße, wollte nicht zurück in das gepflegte Nobelviertel von Aloris und in einer Welt aus Lug, Trug und schönem Schein dahinvegetieren. Über die Gründe des Ausreißers hattest du viel spekuliert, sie dennoch nie erfahren und vielleicht, so glaubtest du heute zu wissen, war seine Geschichte nicht anders als die von euch allen. Immerhin weilte nicht unter jeder sprichwörtlichen Kutte gebenedeite Frömmigkeit und der Marasmus zog sich durch alle Kasten der Schäre. Daher standst du solchen Themen sehr sensibel gegenüber und miedst geflissentlich körperliche Nähe zu fremden Männern. Für dich hatte es nur Einen gegeben und du fühltest dich ihm, sogar sieben Jahre nach seinem Tod, pflichtig. Mit einem leisen Seufzen schobst du all dies aus deinem Gedankenfeld, schwangst dich stattdessen, nachdem sich die witzelnden Piraten endlich aus deiner Hörweite verzogen hatten, vom Balken und setztest deinen Weg zum Depot fort. Eventuell solltest du dich bei dem Vize nach getaner Arbeit in Form eines Briefs bedanken, dass er dir so freiweg zugespielt hatte? Innerlich jubelnd stahlst du dich den Gang weiter und nahmst die letzte Treppe, die dich an das Ziel deiner infamen Mission lotste. Dem Frachtraum der Lascivious Devil. So einfach hatte man es dir noch nie gemacht. „Los, Räuberleiter!“, wisperte Salim entschlossen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die hohe Abfalltonne des Restaurants. Kid und er hatten sich noch am selben Abend auf den Weg in die Schlemmermeile gemacht, einem Straßenzug voll mit Gaststätten, auf deren schimmeligen Hinterhöfen meist mehrere Mülltonnen mit Abfall standen. Was die Köche nicht brauchten, warfen sie weg und mit etwas Glück konnte man dort immer noch verwertbare Lebensmittel finden. Die beiden Jungs wühlten nicht gerne darin herum, denn Abfall war eben Abfall und nicht als echtes Essen zu bewerten, doch sie konnten ihre Truppe nicht länger hungern lassen. Eine gute Stunde Fußmarsch trennte sie von ihrem Unterschlupf und wurde zu einer gefährlichen Schleichaktion, da nach zweiundzwanzig Uhr mehrere Büttel ihre Runden drehten und jeden in Gewahrsam nahmen, der irgendwie suspekt erschien. Mit suspekt meinten sie natürlich die Straßenkinder, obwohl die Polizei aus ihrer Aufgabe ein sehr abartiges Spiel gemacht hatte. Salim Duperie´s Bande zog häufig durch die Vororte und brach in die dortigen Wohnhäuser ein. Die Kinder entwendeten zumeist Geld, Schmuck und andere Wertsachen. Nun konnte man denken, dass sie sich davon Essen kauften, doch brauchten sie den Krempel lediglich für eine einzige Sache: Bestechung. Sie wurden von der Staatspolizei verfolgt, weil Aloris die Kinderbanden zersprengen und in die Heime verfrachten wollte. Zu groß war die Sorge, dass aus den Kleinkriminellen irgendwann eine organisierte Verbrechenswelle entstehen würde, aber die Sicherheitspolizei hatte eine einträgliche Geldquelle in der Verzweiflung der Kinder gefunden. Jede Woche trat Salim eine Gebühr an den Hauptmann des Bezirks ab, erkaufte sich die Gnade der Büttel, die bei ihren gesetzwidrigen Aktivitäten einfach wegsahen. So konnten sie sich relativ ungestört in ihrem Revier bewegen, auch wenn der Oberaufseher der Schutztruppe eindeutig am längeren Hebel saß. Er konnte nach Lust und Laune die Höhe des Schmiergeldes bestimmen. War es ihm zu wenig, legte er die Daumenschrauben an und machte ihnen im Verlauf der folgenden Woche das Leben zur Hölle und verlangte am nächsten Zahltag die doppelte Summe. Eine endlose Spirale, ein Fass ohne Boden. Irgendwann konnten sie nicht mehr genug Geld herbeischaffen und momentan lief es nicht gut für die Duperie- Bande. Sie hatten seit Längerem eine dicke Pechsträhne und konnte den überzogenen Forderungen nur bedingt Folge leisten. Salim wusste um die Verantwortung, die er innehatte und wollte keine Angst unter seinen Leuten schüren, trug infolgedessen seine Bürden alleine. Davon ahnte Kid, der seinen Fuß in die ineinander gefalteten Hände seines Freundes stellte und sich mit Schwung in die Tonne befördern ließ, nichts. Die Gedanken des Buben kreisten sowieso gerade um etwas ganz anderes. Dich. Auf dem Weg zu ihrem nächtlichen `Einkauf´ hatte er ununterbrochen über seine neue Bekanntschaft geschwärmt und belustige Blicke seines Anführers kassiert. Er, mit seinen vierzehn Jahren, wusste was das für ein seltsamen Gefühl gewesen war. Dem ungeachtet behielt Salim seine Mutmaßungen und den typischen Spott für sich, grinste nur still in sich hinein. Irgendwann würde Kid es von selbst verstehen. Der Lagerraum war, wie nicht anders zu erwarten, schummrig und frei von störenden Piraten. Durch ein paar halb geöffnete Scharten fielen nur sporadisch die speerartigen Lichtsäulen des hellen Tages, brachen sich an den zurückgezogenen Kanonen, die man allesamt fest vertäut hatte und im Gefecht an die Luken schob. Es waren durchschlagskräftige Waffen aus schwarzem Eisen, dessen tonnenschweres Gewicht auf dafür präparierten Halterungen ruhte. Zugenagelte, penibel sortierte Kisten und Fässer säumten deinen Weg. Auf das Holz hatte man mit roter Farbe Nummern und Abbreviationen geschmiert. Offensichtlich um sie schneller zuordnen und verräumen zu können. Auf den Inhalt dieser Behälter hattest du es abgesehen, dem ungeachtet machtest du vorerst einen Bogen darum und schlichst weiter, vorbei an Seilwinden, Munitionskisten, allem möglichen und unmöglichen Seemannszeug. Entgegen deiner nicht vorurteilfreien, weil tausend Mal bestätigten Meinung, war das Depot aufgeräumt und geordnet. Kaum zu glauben, dass hier vor einer Stunde noch fleißig verladen wurde. Sonst galt der Schiffsraum als Festanger für Ratten, Mäuse und sonstige blinde Passagiere der Ungezieferwelt. Wahrlich, wahrlich, das waren keine Debütanten und sie schienen im South Blue herumgekommen zu sein. Du würdest deine Neugier bezüglich der Ladung später befriedigen, da du wusstest, dass im hinteren Teil des Lagers ein nicht zu verachtender Schatz wartete. Neben Gewürzen war Alkohol ein gefragtes Handelsgut, wenngleich Piraten es bevorzugten, sich den Fusel selbst hinter die Binde zu kippen. Es war der erste und beste Grund für sie überhaupt Land zu betreten. Durch ihre Reisen befand sich ein enormer Wert an Spirituosen, Bier und Schnaps an Bord. Stellenweise sogar echte Raritäten, vorbehalten für den Kapitän, an die man als normalsterblicher Inselbewohner gar nicht herankam. Die Hafenkneipen rieben sich die Hände danach und Salim und du machten durch das regelmäßige Fleddern der hochprozentigen Vorräte ein profitables Geschäft mit den Schankwarten der Stadt. Für ein paar Fässer Brandwein aus Saint Urea hagelte es teils sechsstellige Berrybeträge, zumal die dortige Staatsmacht von den Revolutionären gestürzt worden war und die Insel von der Regierung gegenwärtig mit einem harten Embargo geknechtet wurde. Die Zeiten waren günstig für dich und deine Zunftgenossen und tatsächlich solltest du dich in deiner Annahme nicht täuschen, denn an der Rückwand des Speichers, bevor man ritterlich zur Brig, dem Schiffskerker, geleitet wurde, stapelten sich die gesuchten Juwelen der Brauereikunst. Ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Alkohol, welcher deiner feinen Nase nicht verborgen blieb, waberte um die Behälter und ließ dich leise jauchzen. Obwohl du alleine warst zwängtest du dich weiterhin zwischen der Fracht entlang. Kein Risiko, auch wenn die voll gestopfte Einsamkeit zu vorschnellem Handeln einlud. Der schnelle Schulterblick war eingeübt, kam unvermeidlich zum Einsatz bevor du in die nächste Deckung glittst und irgendwann vor deinem ersten Etappenziel standst. Klingende Münze, hier kamst du! Natürlich waren viele Fässer zu groß, aber die Kisten mit dem Reiswein und dem Ale waren ideales Handgepäck und würden sich leicht aus einer der Luken ins Wasser abseilen lassen. Von deiner Schulter lupftest du eines der mitgenommenen Taue und wickeltest es eilig um die hölzernen Tragegriffe. Auch wenn es eine Plackerei war, so empfandst du es als den leichteren Teil der Übung. Später, wenn du das Kleinzeug aus den Mannschaftsräumen entwenden würdest, hättest du mehr Arbeit, da du katzenartig zwischen Tatort und deinem kleinen Fässerversteck auf dem Oberdeck pendeln musstest. Soweit sollte es diesmal jedoch nicht kommen, denn hinter der Trennwand vernahmst du, kaum das du die erste Kiste reisefertig verschnürt hattest, dumpf und gequält das leise Keuchen eines Mannes. Zuerst fuhrst du zusammen, warst schon im Begriff zu flüchten, doch die Erwähnung deines Namens ließ dich in deiner Bewegung einfrieren. Deine Augen weiteten sich geschockt als deine Beine dich unweigerlich hinter die Holzwand und zu der armen Seele, gefangen im Piratenkerker, trugen. Mit einem appetitlichen PLATSCH landete das Rothaar in der Tonne und versank bis zu den Hüften in der gärenden Schlacke. Panisch krabbelten ein paar fette Schaben über den Rand des Behälters und flüchteten sich in die Schatten der jungen Nacht. Kid störte sich nicht daran, sah vornehmlich den Nutzen dieser siffigen Aktion und begann beflissen im Dreck zu graben: „Weißt du, sie hat gesagt, dass sie mich wieder sehen will.“, brubbelte er und ein glühender Streifen Purpur flog dabei über seine Wangen, „Sie meinte, dass sie mich mag…“ „Ich würde dich auch mögen, wenn du endlich etwas Essbares findest!“, stöhnend verschränkte Salim die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den rostigen Stahl der Mülltonne. Er hatte Hunger und das Loch in seinem Bauch würde sich, anders als bei Kid, nicht mit Schmetterlingen füllen lassen. Er freute sich für den Knirps, aber die Freude wäre aufrichtiger, wenn Salims Magen aufhören würde brummelnde Arien zu singen. Schmollend schnaufte Kid und begann geeignete Speisereste, die nicht wie drei Monate alter Käse rochen, in den mitgebrachten Leinensack zu stopfen. Mitten in dieser zum Himmel stinkenden Tätigkeit meldete sich sein feines Gehör und ließ ihn zweifelnd über den Rand schauen. Ein Leben auf der Lauer schärfte die Sinne, machte sie für jeden noch so kleinen Laut sensibel: „Hast du das gehört?“, flüsterte er zu seinem Freund, der ebenfalls mit angespannter Miene auf die Straße starrte, die sich dunkel und trist, halb verborgen hinter einem Zaun, neben ihnen erstreckte. Abrupt packte Salim Kid am Hemdkragen und zog ihn mit unbegreiflicher Kraft aus der Tonne. Zischend stieß Kid´s Boss einen Fluch aus, zerrte das Rothaar hinter den Abfallbehälter und presste seine Hand auf dessen Mund. Mit dem Zeigefinger deutete Salim an still zu sein, riskierte allerdings einen kurzen Blick zurück und versuchte in der Nacht irgendetwas zu erkennen. Mehrere schwere Schritte kamen selbstbewusst näher und lärmten für die empfindlichen Ohren der beiden Jungen so laut wie Elefanten. „Weißt du warum der Boss dich heute zum Essen geladen hat, Dachshund?“, die sägende Stimme eines Mannes platzte in er Dunkelheit auseinander und die schwammigen Schattenrisse dreier Personen wurden sichtbar. Salims Augenbraue zuckte nervös. Er schwor bei seiner Pfiffigkeit, dass dieses arrangierte Dinner, an dessen Resten sie sich gütlich tun wollten, kein gutes Zeichen war. Er konnte den Namen Dachshund leicht zuordnen und ihm gefiel der drohende Spott der ausgesprochenen Worte kein bisschen. Kid neben ihm kämpfte derweil mit der Luft und begann zu zappeln: „Sei still!“, wisperte Salim und presste das Gesicht seines Kameraden an seine Brust. Ein falscher Laut und sie wären in Gefahr. Das spürte Salim instinktiv. Drew, der Dachshund, sagte nichts und was immer er getan hatte, er war seinem Paten lästig geworden. „Was ist los, Dachs?! Sonst reißt du dein Maul auch so weit auf!“ „Lasst die Kinder in Ruhe. Sie haben nichts damit zu tun.“, war das Letzte was Drew von sich gab, bevor das Klicken des Hammers einer Pistole in das laute Krachen eines Schusses mündete… „Salim!“, stießt du aus und klammertest dich panisch an die Gitterstäbe des Gewahrsams. Dein Boss lag wie ein Häufchen Elend darin. Blut tropfte aus seiner Nase, deren Bruch deutlich zu erkennen war. Lose Strähnen hingen aus seinem Zopf, klebten in seinem Gesicht, übersät mit Platzwunden, Schmissen und Ergüssen. Zitternd versuchte sich dein Gefährte aufzurappeln, doch der pochende Schmerz, der weiterhin hinter seiner Stirn grollte und alles vor seinen Augen verschwimmen ließ, verwährte ihm dieses Streben. Fluchend, keinen weiteren Augenblick zögernd, nesteltest du aus deiner Gesäßtasche ein Passepartout und begannst damit im massiven Schloss zu pulen. „Verschwinde einfach hier, Ferret!“, hustete Salim und streckte defensiv den muskulösen Arm von sich. „Zur Hölle nein!“, keiftest du, während in deinem Kopf die Geschichte der geschändeten Hafendiebin erneut ihre Runden zu drehen begann. So weit kam es noch, dass du deinen besten Freund der Gnade dieses Seefahrerpacks ausliefern würdest! Ihr hattet versagt, dennoch war die Gelegenheit günstig noch einmal mit einem blauen Auge davonzukommen, „Ich hol dich hier raus und dann verschwinden wir auf dem kürzestem Weg, klar?!“ Der dünne Draht tockte gegen den ersten Bolzen und gab diesen mit einem erlösenden Klacken frei. In der Zelle begann der Braunhaarige derweil cholerisch zu ächzen und kämpfte sich schwankend nach oben: „Verzieh dich, Mädchen!“ „Verdammt noch mal, Salim ich…“, raue Finger griffen schraubstockartig nach deinem Handgelenk und zerrten dich grob daran zurück. Du wurdest über den Boden geschliffen, verfolgtest verdattert wie sich die Zelle, an deren Stäbe nun dein Anführer stürzte und inständig die Hand nach dir ausstreckte, aus deiner Reichweite entfernte. Über dir tat sich die maskuline Figur des Vizekapitäns auf, der dich durch seine Gesichtsmaske beäugte. Ein leises Lachen brodelte in seiner Kehle und du wusstest, dass dies alles und nichts bedeuten konnte. Deine Vernunft plärrte in deinen Gedanken, schleuderte dir haltlose Vorwürfe und Predigten entgegen, verstummte schließlich und wich bunt blitzenden Sternen, welche vor deinen Augen schrill herumtanzten als der Blonde dich am Hals packte und mit dem Hinterkopf gegen die Wand schmetterte… Hosted by Animexx e.V. 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