Aftermath von Lyn (Wenn die Folgen dein Leben entscheiden) ================================================================================ Kapitel 1: Die Maske -------------------- Zwei Wochen später. „Mit diesem Ding werden wir zwei Wochen lang auskommen müssen?!“ Skeptisch und ohne jegliche Begeisterung betrachtete Shinichi den dunkelblauen Minibus, der gerade in die Straße der Villa Kudo einbog. Er hatte wirklich alles erwartet, aber nicht das. „Das ist nicht euer Ernst, oder?“ „Wie du siehst … es ist unser Ernst.“, antwortete Yusaku seinem Sohn, als das Fahrzeug vor deren Haus anhielt, „was hast du denn gedacht? Immerhin sind wir sechs Personen plus Gepäck. Da bietet sich so eine Auto ja wohl an, oder?“ Der Angesprochene seufzte genervt und verschränkte die Arme. „Dann hätten wir doch genauso gut mit dem Shinkansen nach Izu fahren können. Es ist ja nicht so als ob uns das Geld fehlen würde.“ „In der Tat, das hätte wir machen können“, Yukiko war zu ihrer Familie getreten, „aber so eine Tour mit einem Bus macht bestimmt sehr viel Spaß!“ Vor lauter Freude fing sie an zu lachen und klatschte in die Hände, was Shinichi gleichgültig zur Kenntnis nahm. Es war mehr als offensichtlich, dass sie diese Idee hatte und er musste zugeben, dass sie eigentlich gar nicht so schlecht war. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn sie während der Fahrt keine fremden Leute um sich hatten... Ob das ihr Gedanke dabei gewesen war? Das Geräusch der sich öffnenden Beifahrertür erlangte nun die volle Aufmerksamkeit der Kudos. „Eri! Hallo, Kogoro! Schön euch wiederzusehen!“, begrüßte Yukiko das getrennte Ehepaar. Die Rechtsanwältin kam ihrem Mann zuvor. „Hallo ihr drei! Es freut mich auch! Und nochmals vielen Dank für die Einladung … obwohl ihr die Kosten für uns wirklich nicht hättet übernehmen müssen .“ „Ach was! Das macht uns wirklich nichts aus.“, sagte Yukiko und wedelte mit den Händen, „Ich freue mich riesig, dass wir zusammen in den Urlaub fahren! Ach, und vielen Dank, dass ihr das Auto abgeholt habt!“ „Ja, ja … gern geschehen. Können wir fahren?“, grummelte Kogoro und starrte genervt auf das Lenkrad, was Yukiko mit fragendem Gesicht auffasste. „Was ist denn mit dir los?“ „Ach, kümmere dich nicht um ihn! Dem passt es mal wieder nicht, dass ich mitfahre.“, missbilligte Eri und drehte sich mit verschränkten Armen von ihrem Mann weg. Dieser tat es ihr gleich und schimpfte etwas Unverständliches vor sich hin. „Sagt bloß, ihr habt euch während der Hinfahrt gestritten. Tut mir den Gefallen und vertragt euch doch wenigstens während der Zeit in Izu, ja? Schließlich wollt ihr doch nicht, dass eure-“ Yukiko brach ab, als sie ein verdächtig gekünsteltes Räuspern von Yusaku vernahm und den warnenden Blick von Shinichi im Rücken spürte. Verplappere dich bloß nicht! „Sie meint, dass ihr damit nicht unseren Urlaub verderben sollt. Schließlich dient er der Erholung. Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt losfahren.“, vollendete Yusaku den Satz und machte Anstalten, die Koffer im Bus zu verstauen. Yukiko warf seinem Sohn kurz einen entschuldigenden Blick zu und griff dann ebenfalls nach einem Gepäckstück. Shinichi schüttelte darauf nur den Kopf und wandte sich wieder Eri und Kogoro zu. Etwas sehr wichtiges fehlte noch. „Habt ihr Ran etwa nicht mitgenommen?“ Er bekam ein mulmiges Gefühl, denn von ihrer Anwesenheit war keine Spur. „Sie hat darauf bestanden, ganz hinten zu sitzen. Du kannst ihr gerne Gesellschaft leisten, oder Ran? Das kann er doch?“ Eri dreht ihren Kopf in Richtung Rückbank; Shinichi tat es ihr gleich. Ganz hinten links, von Shinichi aus gesehen, saß sie da, ganz still und rührte sich nicht bis sie bemerkte, dass sie von ihrer Mutter angesprochen wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Shinichi noch ihr ausdrucksloses Gesicht erhaschen, wodurch er von einer Welle von Schmerz und Mitleid erfasst wurde. Seine Miene verfinsterte sich. Ran hatte während der Unterhaltung ihrer Eltern keinen einzigen Ton von sich gegeben und sie nicht einmal begrüßt. Wahrscheinlich hatte sie auch während der Hinfahrt beim Streit ihrer eigenen Eltern keinen Einspruch erhoben. Ein Verhaltensmuster, das ihr nicht einmal annähernd ähnlich sah. Doch ein kurzer Blick auf diesen Gesichtsausdruck und Shinichi konnte ihr nichts mehr verübeln. Ihr Verhalten war berechtigt, dennoch konnte er nicht sagen, warum es so war. Schließlich wusste er nur die halbe Geschichte. Allerdings konnte Shinichi nicht lange den Anblick dieser Miene erleiden, denn Ran hatte bereits aufgeschaut und ein Lächeln aufgesetzt. Zwischen diesen beiden Zügen lagen Welten und erneut überkam Shinichi dieser Schmerz. Er nannte dieses scheinbar liebliche Lächeln auch Maske, denn genau das war es auch. Die Maske, die Zerbrochenes verbarg. Neben den Menschen, die Ran nahestanden, war er vermutlich der einzige, der diese Maske durchschauen konnte. Und Ran wusste das. „Na klar! Setz dich zu mir!“, rief sie und ließ ihre Hülle weiterhin aufgesetzt. Ihr Blick ruhte aber nur kurz auf dem Gesicht ihrer Mutter; Shinichis Blick mied sie gänzlich. Eri und Kogoro bekamen von dem Unerkennbaren natürlich überhaupt nichts mit. „Aber wage es ja nicht, meine Tochter anzufassen, hast du verstanden!?“, knurrte Kogoro und schaute ihm bedrohlich in die Augen. Eri sprang sofort auf diese Äußerung an. Shinichi ließ sich davon nicht mehr einschüchtern, er kannte das bereits. Schweigend begab er sich auf die hinterste Rückbank neben Ran, die dabei nicht aufschaute. Nachdem Yukiko und Yusaku das Gepäck verstaut und sich einen Platz im Minibus ausgesucht hatten – Eri und Yusaku hatten die Plätze getauscht, da Yukiko darauf bestanden hatte und Eri Kogoro fürs erste fernbleiben wollte – war die Truppe startklar für die Fahrt nach Izu. Die beiden Mütter hatten sich beängstigend viel zu erzählen, und bei so manchen Geschichten war es nicht zu vermeiden, dass Shinichi das Blut ins Gesicht schoss. Das darauffolgende Gelächter machte die Situation nicht besser. Warum mussten Mütter auch nur so peinlich sein? Die beiden Väter gaben hin und wieder einen Kommentar zu den Geschichten ab, waren aber ansonsten eher schweigsam. Kogoro konzentrierte sich auf den Verkehr und Yusaku schien ein Skript durchzugehen. Im Großen und Ganzen waren alle bei guter Laune. Nur eine Person konnte sich dem nicht anschließen. Shinichi versuchte für einen Moment das Geschnatter von Yukiko und Eri auszublenden und riskierte, angetrieben von seiner Sorge, einen Blick auf ihre Nebensitzerin. Ran stützte ihren Kopf mit der Hand und schaute aus dem Fenster. Ihr Blick war leer und weit weg. Sie war weit weg. Shinichi stellte widerwillig fest, dass sie nicht gut aussah. Sie sah sogar schrecklich aus. Es gab keine Spur mehr von Röte in ihrem Gesicht und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. Dieser Anblick brach ihm das Herz. „Schläfst du nicht gut?“, fragte Shinichi sie vorsichtig und so leise, dass es sonst niemand hören konnte. Was ist nur los mit dir? In Rans Augen kam ein wenig Leben nachdem sie Shinichis Stimme vernommen hatte, doch sie starrte weiterhin aus dem Fenster. „Nicht der Rede wert.“, flüsterte sie und brachte ein mattes Lächeln zustande, was schnell wieder verschwand. „Versuch doch jetzt während der Fahrt, ein wenig zu schlafen.“ Verdammt! Erzähl mir was sie dir angetan haben! „Ist schon gut.“, kam es nach einer Weile von ihr. Das hieß wohl „nein“. „Naja … jetzt hast du ja zwei Wochen Zeit, dich zu erholen.“ Lass dir doch bitte helfen! Darauf antwortete Ran nichts mehr. Shinichi seufzte geschlagen. Er hatte das Gefühl als würde er gegen eine Mauer reden. Alles prallte ab und er wusste einfach nicht was er sonst tun sollte. Sie einfach damit in Ruhe lassen? Das konnte er nicht, dafür machte er sich zu viele Sorgen und das schlimmste war, dass er kaum von etwas wusste. Müde lehnte er sich zurück und schaute nun ebenfalls aus dem Fenster. Er hatte die Idee gehabt, in den Urlaub zu fahren und er erhoffte sich schwer, dass es auch etwas brachte. Weit weg von Zuhause, zusammen mit der Familie und vertrauten Personen. Ja … das müsste doch bei der Erholung mitwirken. Und so ein Tapetenwechsel konnte manchmal Wunder bewirken. Nicht, dass Shinichi ein Wunder erwarten würde, aber er erwartete zumindest eine Besserung. Denn sie war von dringender Not. Ja … ein Tapetenwechsel wird ihr gut tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)