Familienbande von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Zwei Wochen ---------------------- III. Zwei Wochen Justin und Brian wurden förmlich aus dem Tiefschlaf katapultiert, als etwas mit Vehemenz begann, auf ihrer Matratze auf und nieder zu springen. „Aufwachen! Aufstehen! Ich habe heute Geburtstag“, jubelte Gus, während er über sie und recht schmerzhaft auf ihnen hopste. Sie waren beide in die Höhe geschossen, das Haar von der Nacht in alle Richtungen stehend. Brian fing sich als erster und schnappte sich seinen außer Rand und Band durch die Luft sausenden Nachwuchs. Er schlang beide Arme um ihn und zog ihn, sich wieder hintenüber fallen lassend, an seine Brust. „Was?“ sagte er. „Wirklich? Du hast heute Geburtstag? Das sollen wir dir glauben?“ Er lachte breit. Gus quietschte und strampelte: „Hab ich wohl! Und du weißt das auch! Ich habe heute Geburtstag!“ „Mmm, was soll ich dir bloß schenken?“ grübelte Brian demonstrativ die Stirn in Falten legend. „Ach jetzt fällt es mir ein, ein fröhliches Lachen ist das beste Geschenk!“ Er kitzelte Gus, dass dieser laut aufschrie und ihm wild zappelnd einen Tritt verpasste. Glücklicherweise erwischte er nur Brians Schenkel. Er hielt den japsenden Jungen fest in den Armen und streichelte über sein schimmerndes braunes Haar: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Kleiner. Jetzt bist du schon sechs Jahre alt. Das ist… unglaublich.“ Er drückte seinem kichernden Sohn einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt bin ich schon fast so groß wie du!“ stellte Gus breit grinsend fest. „Du träumst wohl!“ sagte Brian zärtlich. „Justin!“ rief Gus und schnappte den immer noch etwas betäubten Blonden am Arm. Justin lächelte warm und rutschte zu den beiden anderen hinüber. Gus robbte auf ihn und umschlang ihn. Justin setzte sich halb auf und wiegte den inzwischen gar nicht mehr so leichten Jungen, der sich um ihn geknotet hatte, hin und her. „Herzlichen Glückwunsch, Gus!“ stieß er etwas atemlos hervor. Gus strahlte ihn an und forderte seinen Geburtstagskuss. Brian lachte und strubbelte Justins Haar, was Gus sofort mit Schalk in den Augen nachmachte, bis Justin aussah, als habe er Bekanntschaft mit einem Tornado gemacht. „Und was ist mit meinen Geschenken?“ fragte der Kleine praktisch veranlagt. Justin robbte aus dem Bett und streckte sich, während Gus ihn mit flehenden Blicken verfolgte. Justin merkte, wie sein Gesicht, ohne dass er sich hätte bremsen können, zu einem Lächeln dahin schmolz. Gus kindliche Züge leuchteten vor Begeisterung und Neugierde, Justin sah Lindsays Fröhlichkeit durch sie schimmern und eine vertrauensvolle Unbefangenheit, die auch Brian einst so besessen haben musste. Brian bemerkte mit hochgezogener Braue Justins verklärte Mimik, krabbelte hinter Gus her, legte seine Wange an die seines Sohnes und kopierte dessen Blick mit einem leicht hinterhältigen Unterton. Justin starrte sie einige Herzschläge völlig gebannt an. Dann schlug er sich die Hände vor die Augen und lachte: „Ihr macht mich echt fertig!“ „Du bist so leicht, Sonnenschein…“ sagte Brian, sich auf die Unterlippe beißend, als seine Mundwinkel nach oben zuckten. „Geschenke?“ brachte Gus sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, den Dackelblick nun auf Brian gerichtet. Diesmal war es Brians Gesicht, das sich gegen ein leicht weggetretenes Strahlen nicht erwehren konnte. Justin witterte seine Chance, beugte sich herab, legte sein Kinn auf Gus‘ Schulter und verpasste Brian einen seiner unschuldig-wissenden Augenaufschläge, dass dessen Hirn kurzzeitig zu Watte wurde. Justin grinste triumphierend und bemerkte: „Wie gut, dass du gegen dergleichen natürlich völlig immun bist.“ Brian schüttelte sich ertappt, bedachte Justin mit einer leichten Grimasse und zog Gus beim Aufstehen mit sich in die Höhe. Gus gab übermütige Laute von sich und schlang die Arme um den Nacken seines Vaters. Brian schwenkte ihn herum, und Gus wand sich von ihm um Justin, immer noch glucksend. Justin hielt ihn und lehnte sich vornüber, dass Gus, die Beine um seine Hüften geklammert, fast kopfüber hing und gleichzeitig lachte und flehte. „So“, sagte Brian, „viel Spaß ihr beiden. Ich verschwinde kurz aufs Klo. Und dann,“ fuhr er fort, Gus empörten Blick erhaschend, „gibt’s erst mal Frühstück.“ „Neiiiin!“ jaule Gus auf, „Justin!“ Raffiniertes Kind, wenn er bei einem Elternteil auf Granit biss, dann musste halt‘ das andere herhalten. „Nix da“, sagte Justin, sich um Strenge bemühend, „erst Frühstück – dann gibt’s Geschenke.“ „Biiiiiiteeee!“ versuchte es Gus und bekam erneut Kulleraugen. Justin rollte die Augen hilfesuchend gen Decke. „Nein, Gus!“ blieb er eisern, auch wenn es ihm höllisch schwer fiel. „Erst gibt es dein Lieblings-Frühstück, das ist doch auch schon ein Geschenk, dann putzt du Zähne und ziehst dich an, und dann haben wir alle jede Menge Spaß beim Geschenke auspacken, okay?“ Gus schaute etwas miesepeterig, sah aber ein, dass er hier nicht weiter kam: „Gibt’s Blaubeer-Pfannkuchen?“ „Ja“, lockte Justin und stellte ihn zurück auf den Boden, wo die kleinen nackten Füße platschend aufsetzten. „Von Papa?“ fragte der Kleine misstrauisch. „Nein, von mir“, antwortete Justin grinsend. „Oh, gut“, antwortete Gus erleichtert. .............................................................................................................................................................................. Gus stopfte die Pfannkuchen in sich hinein, dass selbst Justin drohte, dagegen blass auszusehen. Er fiel beinahe vom Stuhl, während er ungeduldig darauf wartete, dass auch Brian mit dem einen, den er sich zur Feier des Tages gegönnt hatte, fertig war. Brian schien nicht zu bemerken, dass er seinen Sohn beinahe in den Wahnsinn trieb, indem er die selten genossene Kalorienbombe filetierte wie einen Fago-Fisch und sich auf der Zunge zergehen ließ. „Mmm, lecker“, lobte Brian geistesabwesend kauend. „Äh, danke, Übung macht den Meister, sage ich da nur“, antwortete Justin mit einem scharfen Blick auf seinen kochunwilligen und ziemlich unbegabten Gatten. „Den seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, konterte Brian elegant mit einem gleichermaßen hohlen Sinnspruch. „Dass du nicht kannst, wird dir vergeben, doch nimmermehr, dass du nicht willst!“ verpasste ihm Justin. „Geben ist seliger denn nehmen!“ „Liebe geht durch den Magen!“ „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!“ „Ich will ins Bad!“ fuhr Gus dazwischen, der genauestens verfolgt hatte, wie Brian den letzten Bissen hinunter geschluckt hatte. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Gefühlte dreißig Sekunden später waren sie alle gereinigt und angekleidet. Als sie hinter Gus her ins Badezimmer geschlurft waren, hatte der Kleine bereits Zahnpasta auf allen drei Bürsten verteilt gehabt und sie mit absoluter Bestimmtheit mit dem Kommando „Putzen!“ begrüßt. Jetzt saß er vor Ungeduld fast platzend auf dem Sofa und starrte auf die Päckchen, die vor ihm von Justin wohlverschnürt auf dem Tisch lagen. „So“, sagte Brian und schnappte sich ein etwas unförmiges Bündel und überreichte es Gus. Gus griff blitzschnell danach und begann wild an den Schnüren zu zerren. Justin reichte ihm lächelnd eine Schere, die Gus würdevoll entgegen nahm. Geschickt zerschnitt er die Bänder. Das ließ auf Lindsays Gene hoffen. Ein enttäuschter Gesichtsausdruck flackerte kurz auf seinem Gesicht auf. Er hielt ein Meerschweinchen in der Hand, aber es war ein Stofftier. Edel, ohne Frage – so teuer, dass Justin sich gefragt hatte, ob es vielleicht mit echtem Feenhaar gestopft worden war – aber nichts Lebendiges. „D… danke“, würgte er hervor. Justin zwinkerte ihm zu und sagte: „Schau mal, was hat es denn da um den Hals?“ Gus beäugte vorsichtig die kleine Karte, die an dem Tier befestigt war. Er schaute sich fragend um, da er noch nicht lesen konnte. „Mmm“, sagte Justin, „was steht denn da?“ Gus starrte ihn erneut hoffnungsvoll an. „Da steht, dass ich und Papa mit dir in den Zooladen fahren, sobald wir in unser neues Haus gezogen sind. Und dann darfst du dir selbst zwei Meerschweinchen aussuchen, die dann bei dir wohnen werden. Die du lieb haben darfst. Um die du dich kümmern musst. Und solange du noch warten musst, bleibt dieses Stofftier bei dir, damit es dich daran erinnert, dass du bald zwei echte Tiere haben wirst.“ Sie hatten sich erkundigt, Meerschweinchen sollte man nicht alleine halten. Nicht gerade zu Brians Entzücken. Gus Gesicht war bei diesen Worten wieder aufgeglüht. Überschäumend sprang er auf und jubelte: „Danke! Danke! Wann ziehen wir um?“ Brian lächelte und sagte: „In zwei Wochen geht es los.“ Gus legte den Kopf schief und schien zu rechnen. „Das ist aber noch ewig hin!“ Für Gus‘ kindliche Wahrnehmung waren zwei Wochen eine unendliche Zeitspanne. „Aber solange hast du doch… George“, sagte Justin in Gedenken an sein Kindheits-Meerschweinchen. Gus musterte das Stofftier jetzt deutlich begeisterter, dann nickte er zufrieden und streichelte das Spielzeug: „Stimmt. Hallo George.“ Er versenkte sich in den Anblick, dann sagte: „Das ist das allerbeste Geschenk!“ Brian drückte seinen Sohn von hinten an sich. Der Gedanken, sein Heim mit diesen grenzdebilen Mümmlern teilen zu müssen, behagte ihm zwar noch immer ganz und gar nicht, aber zugleich sah er die Freude, die Gus wie ein Leuchten zu umhüllen schien und auch irgendwie ihn wärmte. Das war wahrscheinlich der Unterschied zwischen einem Opfer und einem Geschenk. „Nun“, sagte Brian, „reicht das Gus? Dann magst du deine anderen Geschenke wahrscheinlich gar nicht mehr.“ Gus Augen blitzten augenblicklich auf, ohne dass er jedoch George losgelassen hatte. „Nein!“ entfuhr es ihm. Justin lachte. „Nun, was willst du denn als nächstes auspacken?“ Gus musterte den Geschenkestapel, dann sagte er: „Das Runde!“ Justin reichte es ihm, wusste aber nicht, was sich darin verbergen mochte. Brian hatte es, im Laden bereits verpackt, mitgebracht. Gus griff danach und rupfte das Papier ab. Er bekam große Augen. „Ein Ball!“ strahlte er. Justin schaute verdattert. „Ja, Gus, ein Ball. Ein Fußball“, erklärte Brian, „mit so etwas habe ich mit meinem Vater immer gespielt, als ich klein war.“ Gus drehte den Lederball andächtig hin und her. „Wie spielt man das?“ fragte er. Brian erklärte die Regeln in Kurzfassung, dass Justin der Kopf begann zu brummen. Aber Gus schien jedes Wort aufzusaugen. Er stand vom Sofa auf, legte George vorsichtig auf den Tisch und platzierte den Ball vor sich auf den Boden. Brian und Justin schauten ihm stumm zu. Eigentlich hätten ihnen warnende Worte entfahren müssen, als Gus begann den Ball anzuvisieren, aber sie waren gebannt von der plötzlichen Konzentration, die der kleine Junge an den Tag legte. Dann machte Gus zwei rasche Schritte, die kaum mehr kindlich-tapsig waren, traf das Leder und schoss es in hohem Bogen durch die Wohnung. Der Ball donnerte mit einem nicht zu verachtendem Rums gegen die Badezimmertür, prallte ab, tangierte ohne größere Schäden anzurichten den Esstisch und kullerte wieder brav zu ihnen zurück. Justin war reflexartig hinter der Sofalehne in Deckung gegangen. „Toll!“ sagte Gus. Justin starrte Brian etwas fassungslos an. „Ein Fußball?!“ fragte er ungläubig. „Tja“, sagte Brian „damit wäre wohl geklärt, wer im Tor stehen muss. Im Abfangen harter Stöße bist du doch immer schon Weltklasse gewesen.“ Die nächste Stunde verbrachten sie damit zu verfolgen, wie Gus sich sorgsam von Päckchen zu Päckchen grub. Brian hatte die Gelegenheit genutzt, Gus nach seinen Vorstellungen neu einzukleiden. Justin drehte innerlich lachend die Augen. Der arme Gus konnte sich im Gegensatz zu ihm gegen die Junior-Armani-Flut kaum zur Wehr setzten. Hoffentlich klaute ihn nicht irgendwer, der ihn mit einem der Söhne David Beckhams verwechselte… Gus nahm den edlen Zwirn zur Kenntnis, bedankte sich artig und räumte ihn dann zur Seite, um im Wechsel wieder verliebte Blicke auf George und den Fußball zu werfen. Deutlich erfreuter reagierte er auf eine üppige Sammlung an Disney-Filmen, auf die Brian mit den Worten „Noch einmal Ariel und ich häng‘ mich auf!“ bestanden hatte. Justin war im Buchladen gewesen und hatte einige Werke erstanden, an die er sich selbst noch aus seiner Kindheit erinnerte oder deren eher anarchische Charme in angesprochen hatte. Brian lugte hinein, er kannte sie nicht. Bei ihnen zu Hause hatte es nur die erbauliche Lektüre gegeben, die die Kirchengemeinde für den Nachwuchs empfohlen hatte. „Der Katz mit dem Latz“ und „Wo die wilden Kerle wohnen“ waren definitiv nicht darunter gewesen. Beim Durchblättern ging ihm so einiges über Justins Wurzeln und die Gründe seines Wesens auf. Justin hatte noch ein weiteres Geschenk für Gus, das er ihm aber erst zu einem anderen Zeitpunkt geben wollte, wenn er es wirklich brauchte. Gus saß etwas erschlagen in einem Haufen Geschenkpapier, als er die materiellen Bezeugungen väterlicher Zuneigung endlich abgearbeitet hatte. Einige nutzbringende Dinge waren noch zutage gekommen und Sachen, die Gus hoffentlich gleichermaßen gefielen wie sie sinnvoll waren. Es war nicht einfach gewesen, Brian zum Kauf eines Kinder-Schreibtischsets mit Spongebob-Motiven statt von in dezentem Dunkelgrün gehaltenen Montblancs zu überreden. Justin stand auf und begann das Papier in eine Tüte zu stopfen, Brian las Gus aus „Der Katz mit dem Latz“ vor und bekam dabei selber große Augen. Justin konnte sich lebhaft vorstellen, was Brian mit einem nur mit einem Zylinder und einem Hemdkragen bekleidetem Kater angestellt hätte, wenn der gewagt hätte, in seinem Loft aufzutauchen und alles in Schutt und Asche zu legen. Nun, Gus mit seinem neuen Fußball könnte das durchaus auch ohne fremde Hilfe hin bekommen, aber da war Brian ja selber schuld dran. Justin war immer noch etwas irritiert über dieses Geschenk. Sie ließen den Morgen mit einem Kaffee ausklingen und überredeten den ausgepowerten Gus zu einem Nickerchen, um auch ordentlich fit zu sein für seine Party. Dieses Jahr würden bis auf Molly, Hunter und Jenny keine Kinder kommen, da Gus gerade erst im Kindergarten begonnen hatte sich wieder einzufügen und noch nicht nach einer Kinderfeier verlangt hatte. Das würde sich ändern, aber bis dahin mussten sie sich „nur“ mit einer Horde selber recht farbenfroher Erwachsener herumschlagen. Man konnte nur hoffen, dass die ebenfalls nicht auf die Idee kommen würden, sich gegenseitig die Torte ins Gesicht zu klatschen. Viel Ruhe war ihnen nicht vergönnt, die Wohnung wollte für den Besuch hergerichtet werden. Brian brach auf, um Gus‘ Geburtstagstorte abzuholen, während Justin sich ans Räumen machte. Gegen Viertel vor Drei, gerade rechtzeitig, hatten sie es mit vereinten Kräften und mit tatkräftiger Unterstützung des wieder zu voller Energie erwachten Gus geschafft, die Bude präsentabel zu machen. Brian wollte sich gerade ächzend in die Kissen plumpsen lassen, da schrille es schon an der Tür. Er atmete tief durch… na, wer mochte das wohl sein… Justin öffnete die Tür. „Hallo Sonnenschein!“ strahlte ihm Debbie entgegen und verpasste ihm erst einmal eine weiche und zugleich ziemlich rippenquetschende Umarmung. „Hallo Debbie! Carl! Emmet! Schön, dass ihr da seid! Kommt doch rein!“ keuchte er hervor, als er aus der Umklammerung entlassen worden war. „Wo ist denn das Geburtstagskind! Gus! Komm her und lass dich drücken!“ Keine Chance für Gus, der geballten Liebe zu entkommen. Offensichtlich war es Usus, zu Kindergeburtstagen mit einem perversen Maß an Pünktlichkeit zu erscheinen, stellte Brian fest. Kaum waren die ersten Drei mit Kaffee und Sitzplätzen versorgt, trafen die Großeltern Peterson ein. Nathalie und Russel musterten augenbrauenzuckend das Loft und die illustren Gäste, enthielten sich aber, der Abmachung entsprechend, jeden Kommentars. Sie überreichten Gus ein riesiges Paket, das sich als ein Schlagzeugset für Kinder entpuppte. Pädagogisch im Sinne frühkindlicher musischer Erziehung bestimmt sehr wertvoll. Zugleich aber garantiert auch bestens dazu geeignet, ihm und Justin den letzten Nerv zu rauben. Na herzlichen Dank. Die Novotny-Bruckners fielen ein, dann Ted, Jennifer und Molly. Brian kredenzte Russel ein Glas von seinem teuersten Whiskey und ließ ihn dann auf Ted los, der sich artig mit ihm über die aktuellen Tendenzen auf dem Immobilienmarkt unterhielt. Nathalie setzte sich zu Jennifer, deren zivilisiertes Auftreten ihr wahrscheinlich etwas Seelenfrieden schenkte. Emmet unterhielt die Runde am Tisch mit Anekdoten aus seinem Caterer-Alltag, der ihm seltene Einblicke in das Reich derer gewährte, die sich selbst für reich und schön hielten. Russel erkannte ihn als den „Queer Guy“ aus den lokalen Nachrichten, was ihn, bereits leicht angesäuselt, dazu veranlasste, ihn auf Strich und Faden nach Drew auszuquetschen, bis Emmet sich wand. Michael und Ben kreisten wie Asteroiden um Jenny und erzählten dem geduldig nickenden Justin über die Tücken der Fürsorge für ein Baby. Hunter und Molly spielten mit dem aufgeregt hin und her flitzenden Gus. Sie bekamen die Erlaubnis, eine halbe Stunde mit dem Jungen in die nahe gelegene Grünanlage zu entschwinden, damit er ihnen seinen Ball vorführen konnte. Debbie eilte mit Carl im Schlepptau zwischen den einzelnen Gruppen hin und her. Brian und Justin sorgten dafür, dass alle versorgt waren und wanderten ebenfalls zwischen ihren Gästen herum. Die Zeit verflog. Gegen sechs Uhr abends holte Brian die Torte, er hatte eine Schokoladentorte ausgesucht, aus dem Kühlschrank und entzündete die Kerzen. Justin half dem kleinen Jungen diskret, sie alle zugleich auszupusten. Gus schloss die Augen, sein kleiner Mund verzog sich fast schmerzhaft, und wünschte sich stumm etwas. Brian und Justin sahen einander an. Auch in den Augen der anderen blitzte erneut die Trauer auf. Als Gus die Augen wieder öffnete, lächelte er tapfer und wurde erneut von allen geherzt. Brian ging dazu über, die Anwesenden mit Alkohol zu versorgen. Ein paar Haschkekse oder seine Spezialbowle hätten die Stimmung wahrscheinlich für einen Kindergeburtstag zu sehr angeheizt… Und auf eine Debbie, die alte Zeiten wieder aufleben ließ, konnten wahrscheinlich alle ganz gut verzichten. Die Stimmung war dennoch einigermaßen harmonisch… eine Bezeichnung, die Brian noch nie für eine seiner Feiern erhofft hatte, über die er aber unter den gegenwärtigen Umständen recht dankbar war. Es wurde wirklich Zeit, mal wieder ein wenig die Sau raus zulassen, dachte er sehnsüchtig mit Blick auf Justin, der gerade auf allen Vieren kriechend Gus‘ Ball unter dem Tisch heraus angelte. Michael verpasste ihm einen leichten Knuff in die Seite, als er Brians Blick auffing. Er grinste: „Ihr müsst nur Bescheid sagen. Wir passen gern ein paar Stunden auf Gus auf, wenn ihr Mal wieder… ein erwachsenes Gespräch führen wollt.“ Brian räusperte sich: „Danke, Mikey, wir kommen schon klar…“ Michael musterte ihn amüsiert: „Mein Angebot steht. Eh es dir beginnt aus den Ohren raus zu blubbern…“ „Danke für dieses eklige Bild! Damit hat sich mein Bedürfnis nach… erwachsenen Gesprächen fürs erste wieder gelegt!“ brummte Brian und nippte an seinem Bier. „Pah“, erwiderte Michael unbeeindruckt, „für fünf Minuten vielleicht. Dafür sind Freunde doch da. Um einander zu helfen.“ „Sehe ich aus wie die sprichwörtliche Jungfrau in Nöten?“ „Jungfrau nun nicht gerade…“ Brian zog eine Grimasse und beide mussten lachen. Der größere Mann schlang einen Arm um Michaels Schultern: „Vielleicht komme ich irgendwann darauf zurück. Falls ich in Gefahr zu laufen drohe, dass mir das verbleibende Ei platzt…“ „Igitt. Jetzt hab ich keine Lust mehr auf erwachsene Gespräche – lass uns Gus Schlagzeug testen!“ Gegen halb neun verabschiedete sich der letzte Gast. Debbie und Russel hatten beide eine leichte Schlagseite aufgewiesen, waren aber dennoch unter Wahrung ihrer Würde entschwunden. Sie waren zu dritt auf dem Sofa zusammen gebrochen und hatten das Aufräumen auf Morgen verschoben. „Ich hab noch was für dich“, sagte Justin schließlich zu dem an ihn gekuschelten Gus. Dieser öffnete müde die Augen und wurde wieder neugierig. „Moment“, Justin ging hinüber ins Schlafzimmer und holte etwas aus dem Schrank. Es war eine Papierrolle ohne weitere Verpackung. Gus nahm sie aufmerksam schauend entgegen und rollte sie auf. Es war eine Zeichnung, die ihn mit seinen Müttern und seiner Schwester zeigte, technisch perfekt aber naturalistisch. Sie war wie die Bilder, die Justin als Teenager gezeichnet hatte, nur ausgereifter. Gus schaute sie lange an. Brian fühlte ein inzwischen wohlvertrautes Würgen in seiner Kehle. Dann rollte Gus die Zeichnung wieder vorsichtig zusammen und presste sie an sich. Er sagte nichts, streckte nur seine Arme nach Justin aus und drückte seinen Kopf in die Halsbeuge des jungen Mannes. Justin hielt ihn und streichelte ihm über den Kopf. Dann nahm er sorgsam die Rolle aus Gus Händen und sagte: „Vielleicht möchtest du es irgendwann einmal aufhängen. Aber es gehört dir, ich bewahre es nur für dich auf. Du kannst es haben, wann immer du willst.“ Gus nickte schweigend, dann streckte er erneut die Arme nach Justin aus und ließ sich von ihm ins Bett bringen. Brian wartete, bis Justin wieder zurück kehrte. Justin setzte sich zu ihm auf die Sofakante und ließ sich nun seinerseits von Brian an dessen Brust ziehen. Sie saßen eine Weile still da, die wieder gewonnene Stille in der Wohnung genießend. Sechs Jahre. Justin wandte seinen Kopf. Sie küssten sich langsam und genüsslich. Es saß ihnen niemand – und nichts – im Nacken, das sie hetzte. Und mehr war leider ja auch nicht drin. Schließlich ließ sich Justin erneut seufzend gegen die warme, duftende Brust fallen. Seine Augen waren halb geschlossen. Er sagte: „Erzähl mir von dem Fußball.“ Brian atmete ruhig weiter. Schließlich sagte er: „Ich hatte ein Sportstipendium. Ansonsten hätte ich nie aufs College gekonnt. Ich war richtig gut. Hätte das professionell machen können. Sie haben es mir angeboten. Aber was sollte ich als Schwuchtel zwischen den ganzen Heten? Den Kopf in den Sand stecken und mir ein Alibi-Weibchen anschaffen? Heimlich rumficken und hoffen, dass es keiner rauskriegt? So wollte ich nicht leben. Ich habe gerne gespielt – aber nicht gern genug, um deshalb einen auf Klemmschwester zu machen. Nicht wie Drew Boyd. Der ist nichts ohne seinen Sport. Für mich gab es auch anderes, also habe ich abgelehnt und habe aufgehört. Entweder ganz oder gar nicht, habe ich mir damals gedacht.“ „Hast du es vermisst?“ „Ein wenig. Aber nicht genug. Und irgendwie hat es auch gut getan, das endlich los zu sein. Es hatte keine Zukunft, aber dafür jede Menge Vergangenheit.“ Justin lagen die Fragen auf der Zunge, aber er zügelte sich. Brian schwieg ein paar Minuten. Dann sagte er: „Der Fußball, das war das einzige, das mich mit meinem Vater wirklich verbunden hat. Und für mich baute es schlussendlich auf einer Lüge. Und Gus… für ihn muss es nicht so sein. Über das Feld zu laufen, den Ball zu spüren, sich zu spüren, zu handeln, zu schießen… Vielleicht gefällt es ihm ja. Vielleicht ist es etwas, was ich mit ihm… teilen kann. Ohne Lügen.“ Justin nickte nur. Dann rappelte er sich abrupt auf, schwang sich breitbeinig auf Brians Schoss und küsste seinen Mann mit allem, was er empfand. Liebe. Lust. Freude. Vertrauen. Brian war eine Sekunde lang etwas überrumpelt, dann straffte er sich und erwiderte den Kuss, ließ ihn Lippen, Zunge, Zähne spüren, bis sie sich atemlos voneinander lösten. „Wir schulden uns einen Jubiläumsfick – und das war der Gutschein!“ sagte Justin. „Wann kann ich den einlösen?“ fragte Brian, Justins Hintern begehrlich knetend. „Wenn Gus bei Oma und Opa ist… Oder als Großereignis, wenn wir umgezogen sind“, murmelte Justin mit zuckenden Hüften. „Wann ziehen wir nochmal um?“ „In zwei Wochen.“ „Das ist ja noch ewig hin!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)